Indische Schriften und Philosophiesysteme

Aus Yogawiki
Heilige Indische Schriften vermitteln tiefes Wissen

Indische Schriften und Philosophiesysteme - Indische Schriften sind Schriften im Sinne von heiligen Schriften der Völker und Philosophiesysteme sind Richtungen der Philosophie, die in sich ein geschlossenes System haben.

Indische Schriften

- Ein Vortrag von Sukadev Bretz -

Klassische indische Schriften und ihre Bewandtnis für den Yoga

Die Upanishaden sind Teil der Veden, der wichtigsten der klassischen indischen Schriften. Über ihre Entstehung und ihr Alter gibt es unterschiedliche Theorien und Zeitangaben, die teilweise erheblich voneinander abweichen. Ich möchte deshalb hier zunächst einen allgemeinen Überblick über die indischen Schriften und die damit zusammen hängende Kultur geben.

Theorien der westlichen Orientalistik über die Entstehung der Schriften

Die Ursprünge des Yoga selbst liegen im Dunkeln. Die ältesten archäologischen Zeugnisse der indischen Hochkultur stammen aus der sogenannten Induskultur, die ihre Blütezeit zwischen 3500 und 1500 vor Christus hatte. Es existierte auch eine Schrift, die allerdings noch nicht entziffert ist, denn sie scheint nach einer anderen Logik aufgebaut zu sein als alle anderen bisher bekannten Schriften. Sie hat auch keine Ähnlichkeit mit Sanskrit. Archäologischen Ausgrabungen zufolge handelte es sich um eine großartige Hochkultur mit schachbrettartig angelegten blühenden Städten, die über Kanalisation und fließendes Wasser verfügten. Die größten heute bekannten Städte dieser Hochkultur sind Harapa und Mojendra.

Um 2000 herum werden die Ausgrabungsfunde geringer und schon um 1500 vor Christus gibt es keine Zeugnisse mehr von der Induskultur. Aus unbekannten Gründen hat sie sich irgendwann aufgelöst, ohne Anzeichen größerer Schlachten oder sonstiger Katastrophen. Nach einer Theorie westlicher Orientalisten war der Landbau eventuell nicht sehr ökologisch, so dass das Land allmählich ausgelaugt war und die Bewohner deshalb die Böden verlassen mussten.

Eine zweite Theorie beruht auf der Einwanderung der Indogermanen um 1500 vor Christus Diese sogenannten Arier – der Ausdruck hat zwar in Deutschland einen eigenartigen Klang, aber er kommt auch in der Bhagavad Gita vor; Arier heißt eigentlich stark, mutig - kamen aus der südrussischen Steppe, zwischen dem Kaspischen Meer und dem Baikalsee, und sollen von dort in mehreren Wellen ausgewandert sein. Ein Teil von ihnen zog nach Persien, das wurden dann die Iranoarier, ein anderer Teil nach Indien, die sogenannten Indoarier. Bis heute haben Sanskrit und Persisch eine enge Verbindung. Wenn man Sanskrit kann, versteht man viele persische Ausdrücke und die Bedeutung persischer Namen, wenn sie nicht arabischen Ursprungs sind.

So wird angenommen, dass die Arier zwischen 1500 und 1200 vor Christus erst das Industal eroberten, dann die Ganges-Tiefebene und schrittweise den nordindischen Subkontinent. In Südindien dagegen blieben die sogenannten Drawiden. Sie gelten als Ureinwohner und hatten auch eine eigene Kultur. Manche Wissenschaftler mutmaßen, die Drawiden könnten dasselbe Volk sein, das auch die Induskultur gegründet hatte. Bis heute gibt es in Indien zwei ethnische Hauptgruppen, eben die eher hellhäutigen Arier im Norden und die dunkelhäutigen Drawiden im Süden. Die höheren Kasten sind auch im Süden oft mit hellhäutigen arisch stämmigen Menschen besetzt. Daneben gibt es in Indien natürlich noch sehr viele andere Völker, sogar mongolische Völker, gerade in Nord- und Nordostindien, die ebenfalls nach Indien eingewandert sind. Dann gibt es die sogenannten Awinashis, die Stämme, die bis heute im Wald leben und nie sesshaft geworden sind.

Um die Zeit der arischen Einwanderung sollen dieser Theorie zufolge auch die indischen Schriften entstanden sein. Es sollen ursprünglich rein arische Schriften gewesen sein, die die Indogermanen mitbrachten und die sich später allmählich mit dem drawidischen Gedankengut vermischten. Auf die indogermanische, abendländische Kultur gehen die Vorstellungen von Brahman (das Absolute), Atman (das Selbst) und die vedischen Götter wie Indra, Varuna, Agni und so weiter, zurück. Von der drawidischen Religion nimmt man an, dass es sich ursprünglich mehr um eine Mutterreligion mit Verehrung der Göttin, eine tantrische Kultur, gehandelt hat, die sich im Gegenzug in den ersten Jahrhunderten nach Christus wieder über ganz Indien ausgebreitet hat und auch von der sogenannten Brahmanischen Kultur absorbiert wurde.

In indologischen und zum Teil auch in Yogabüchern liest es sich immer so, als sei das historisch klar bewiesen. Es gibt aber keine archäologische Beweisführung dafür, dass die Indogermanen tatsächlich die Indusbewohner besiegt haben. Die Theorie stützt sich hauptsächlich auf die Sprachwissenschaft und die Ethnologie.

Die zeitliche Bestimmung ist deshalb so schwierig, weil die Inder auf Palmblätter geschrieben haben, die nach ein paar hundert Jahren vollständig zerfallen waren und immer wieder kopiert, also abgeschrieben wurden. Man findet keine uralten Originale.

Klassische indische Theorie über die Entstehung der Schriften

Nach klassischer Chronologie sind die Schriften zu Beginn des Kali Yuga (das „eiserne Zeitalter“, in dem wir jetzt leben) entstanden, also um 3500 vor Christus. Die mündliche Überlieferung geht noch erheblich weiter zurück.

Zu Beginn des Kali Yuga erkannte Vyasa, ein großer Yogi und Rishi (Seher, Weiser), dass die Menschen sich nicht mehr so viel merken können, dass außerdem die Lebensspanne abnehmen und die ganze Zivilisation materialistischer werden wird. Er erhielt innerlich den Auftrag, das Wissen in den Veden festzuhalten. So hat er die Veden aufgeschrieben, unterteilt und anschließend auch die anderen Schriften geschrieben. Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse, vor allem amerikanischer Orientalisten, liefern einige Beweise, die für die indische Zeitangabe sprechen.

Beispielsweise gibt es eine Analyse des Sternenhimmels zur vedischen Zeit. Der in den Veden beschriebene Sternenhimmel war ein anderer als heute. Da die Erde leicht schief im Weltraum kreist, verschiebt sich der Sternenhimmel von der Erde aus gesehen etwa alle 2000 Jahre um 30 Grad. Aus den in den Veden beschriebenen Konstellationen der Hauptsterne, der Sternbilder, ihrem Verhältnis zueinander, lässt sich eindeutig nachweisen, dass es sich dabei um den Sternenhimmel der Zeit vor 3500 vor Christus handelt – und nicht um den von 1500 vor Christus.

Des weiteren wurde das Flussbett des Saraswati-Flusses entdeckt, der um 2000 vor Christus ausgetrocknet ist und an dem die Orte liegen, die in den Veden beschrieben werden. Also müssen die Veden zu einer Zeit entstanden sein, als der Fluss noch existierte.

Demnach hätten die Veden zur Zeit der Induskultur schon bestanden und die Indogermanen hätten sie nicht mitgebracht, sondern mehr oder weniger übernommen.

Weitere Theorien

Und es gibt noch eine andere interessante Theorie, die Swami Vishnu, mein spiritueller Lehrer, gelegentlich erzählt hat. Sie ist in den Schriften erwähnt, es gibt aber – wie für die der westlichen Orientalistik - keine archäologische Beweisführung dafür. Danach wären wir die Nachfahren der Induskultur.

Krishnas nordindischer Volksstamm der Yadavas war besonders heldenhaft. Krishna wollte aber nicht in die Politik und die Kämpfe seiner Zeit hineingezogen werden. Deshalb schuf er aus seiner Yoga Maya, seiner Yogakraft heraus, einen Kontinent namens Dvaraka vor Indien, auf den er mit seinem Volk auswanderte, um dort ein ideales Staatswesen zu gründen. Aber selbst Krishna ist an den Menschen gescheitert. Er schuf ein gut funktionierendes Wirtschaftssystem, so dass es allen gut ging. Aber wie es so ist, wenn es einem sehr gut geht, man wird schnell korrupt und materialistisch. Daher bestimmte Krishna, dass der Kontinent nach seinem Tod untergehen sollte und beauftragte seinen Schüler Arjuna, nach seinem Tod die Yadavas nördlich der großen Schneeberge zu führen. Und so geschah es dann auch. Krishna starb. Damit begann das Kali Yuga, Arjuna erfüllte Krishnas Wunsch und zog mit den Yadavas - zumindest mit denen, die ihm glaubten, was nicht die Mehrheit war - nördlich des Himalaya, ließ sie dort zurück und kehrte selbst nach Indien zurück. Danach wären wir Nachfahren des Volksstammes der Yadhavas. Man könnte die Geschichte von Dvaraka auch deuten als Geschichte von einem untergegangenen Kontinent, von dem die Menschen ihre Zivilisation mitgebracht haben.

Und es gibt die Theorien, wonach die ganze irdische Zivilisation nicht hier begonnen hat, sondern auf anderen Planeten. Und wenn man die Bücher von Erik von Däniken liest oder die indischen Schriften oder die Bibel, dann spricht durchaus einiges dafür. Man findet sehr oft Hinweise auf fliegende Gefährte, zum Beispiel im Ramayana. Dort werden Flugzeuge beschrieben, die großen Lärm machen, Feuer speien und bei einer bestimmten Geschwindigkeit – also beim Durchbrechen der Schallmauer – gibt es einen furchtbaren Knall. Manche fliegen nur durch die Kraft der Gedanken und sind noch erheblich schneller. Sie fliegen zu anderen Planeten und kehren zurück. Die Devas, die Engelswesen der hinduistischen Mythologie wären bei von Däniken Wesen von anderen Planeten, die hierher gekommen sind und die Kultur gebracht haben. - Swami Vishnu meinte, wir seien nicht die erste Raumfahrtkultur und die Zivilisation habe nicht auf der Erde angefangen, denn die Zeit seit der Entstehung des Lebens auf der Erde sei zu kurz gewesen, um sich so schnell so weit zu verändern und zu entwickeln.

Einteilung der indischen Schriften

Als die Menschen ursprünglich die Schriften geschaffen haben, haben sie sich natürlich nicht an irgendwelchen Kriterien orientiert. Alle Einteilungen sind erst nachträglich entstanden, als man sich später überlegt hat, wie man die Schriften logisch aufgliedern könnte. Die Einteilungen sind in verschiedenen Schulen auch unterschiedlich. Die indischen Hauptschriften gliedern sich in vier Teile:

Die Veden

Sie sind die ältesten, ursprünglichen indischen Schriften und werden auch als Shrutis bezeichnet. Shruti heißt wörtlich das Gehörte, wobei damit nicht gemeint ist, dass man es mit den Ohren gehört hat – sondern im Sinne einer Enthüllung, Schau oder Offenbarung. Shrutis sind das Gehörte, das man als Offenbarung empfangen hat.

Veda heißt Wissen - Wissen, das den Rishis, den Sehern, enthüllt, offenbart worden ist. Es heißt, das gesamte Wissen der Menschheit sei in den Veden enthalten. Brahma, der Schöpfer, soll vor der Erschaffung der Welt erst die Veden geschaffen haben. Natürlich hat er sie nicht zuerst aufgeschrieben – wo und wie hätte er sie auch aufschreiben sollen! – aber Veda als das Wissen um die Gesetze des Universums braucht man zuerst, um anschließend die Welt zu erschaffen. Und aus welchem Material hat er sie geschaffen? Er hat Tapas (Askese, spirituelle Praktiken) geübt, daraus Energie gewonnen und mit dieser Energie und seinen Gedanken die Welt geschaffen. Das ist einer der vielen Schöpfungsmythen, die man in Indien findet.

Die Veden sind Sammlungen einzelner Enthüllungen, die verschiedenen Rishis gemacht wurden, von ihnen an ihre Schüler weiter gegeben und von Vyasa gesammelt und aufgeschrieben wurden. Zusammengefasst würden sie viele Bände ausmachen. Diese Schriftensammlung ist in vier Hauptteile gegliedert:

Man kann nicht so genau sagen, was das Hauptthema jedes Veda ist. Man liest zwar manchmal, Rig behandle die Schöpfung, Sama die Musik, Yajur die Opferzeremonien und Atharva magische Praktiken, aber so ganz stimmt das nicht. Sie unterscheiden sich letztlich in der Melodie, mit der sie gesungen werden. Rigveda ist eine bestimmte Singweise, Sāmaveda ist eine ganz andere und Yajur und Atharva jeweils wieder eine andere. Jeder dieser vier Hauptveden besteht wiederum aus vier Teilen:

a) Samhitas
b) Aranyakas Karma Kanda
c) Brahmanas
d) Upanishaden Jnana Kanda

Die Samhitas sind die Hymnen oder Mantras. Das ist der wichtigste Teil vom mythologischen Gesichtspunkt her. Bei einer Puja (Opferzeremonie) oder Yajna (Feuerritual) rezitiert man Samhitas. Die Aranyakas geben Erklärungen und Erläuterungen dazu. Die Brahmanas beschreiben die rituelle Anwendung und die genaue Ausführung der Rituale. Alle drei zusammen bilden den Karma Kanda-Teil der Veden, wobei Karma hier im Sinn von Ritual zu verstehen ist, nicht als Handlung. Karma Kanda ist der Teil der Veden, der sich mit Ritualen beschäftigt. Die Upanishaden bilden den Jnana Kanda, den Teil, bei dem es um Wissen und Weisheit geht. Sie stellen den metaphysischen, philosophischen Abschnitt der Veden dar, in dem grundlegende Fragen der menschlichen Existenz behandelt werden wie „Wer bin ich, woher komme ich, wohin gehe ich, was ist der Sinn des Ganzen, wie erlange ich Befreiung?“. Sie sind der für den Yoga wichtigste Teil mit den Grundlagen des Jnana Yoga.

Die Inhalte der Upanishaden im engeren Sinne, wie sie in diesem Buch wieder gegeben sind, sind meist unterteilt in Adhyayas (Wortstamm Lernen) und Khandas (Teil) oder Vallis (Ableger) oder Anuvākas (anu – Teilchen, vāk - Sprache). Bei manchen Versen wird in Klammern auf Stellen mit ähnlichem Inhalt in einer anderen Upanishade hingewiesen, zum Beispiel der Hinweis: „Chand. 6,2,3.“ bezieht sich auf die Chandogya Upanishad, sechster Prapathāka, zweiter Khanda, dritter Vers.

Die Smritis

Man nimmt an, dass die Smritis um 1200 vor Christus bis 500 vor Christus geschrieben wurden. Allerdings findet man auch andere Jahreszahlen. Die Zeitangaben differieren in Büchern und Artikeln über Orientalistik um ein paar Jahrhunderte.

Smriti heißt wörtlich Erinnerung. Die Smritis sind die Gesetzbücher, die Umsetzung der Shrutis, der Weisheit der Veden, in Regeln und Gesetze und deren Anwendung im täglichen Leben. Shrutis sind die ewige Wahrheit, das, was immer bleibt; Smritis sind veränderlich, die Anpassung an das tägliche Leben.

Sie ändern sich auch je nach den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen Umständen der Zeit. Ursprünglich waren es sehr kluge gesellschaftliche Regeln für das Zusammenleben von Menschen aus verschiedenen Kulturen, Religionen, Kasten, Generationen. Im Laufe der Zeit sind sie immer mehr verkrustet und es gab mehr und mehr Vorschriften.

Die alten Smritis, in denen zum Beispiel die vier Ashramas (Lebensstadien) und die vier Varnas (Kasten) idealtypisch beschrieben sind, sind durchaus kunstvoll und faszinierend.

Shruti ist die hohe Wahrheit und Smriti die praktische Umsetzung.

Die Puranas und Itihasas

Die Puranas sind Göttergeschichten. Die Itihasas sind die sogenannten Heldenepen, wo zwar auch Götter eine Rolle spielen, es aber in der Hauptsache um Menschen geht, ähnlich wie in den griechischen Götter- und Heldensagen.

Die bekannteste der Puranas ist die Bhagavatam. Sie erzählt Geschichten von Vishnu und Krishna. Die bekanntesten Itihasas sind das Ramayana und das Mahabharata.

Puranas und Itihasas erklären die spirituellen Prinzipien auf einfache Weise. Denn die Menschen haben immer schon lieber Romane gelesen als philosophische Abhandlungen und sehen heute lieber Liebesfilme und Krimis als Videos über spirituelle Themen oder absolute Wahrheiten. Die Dinge, die den Menschen schon immer am meisten fasziniert haben sind Sex und Gewalt, Liebe und Krieg. Daher sind die Puranas und Itihasas voll von Liebesgeschichten, kriegerischen Eroberungen und menschlichen Dramen. Aber dazwischen ist die spirituelle Botschaft verpackt. Ab und zu trifft jemand einen Weisen, fragt ihn etwas und der Weise antwortet. Ein Beispiel dafür ist die Bhagavad Gita, die ja Teil des Mahabharata ist.

Nach der Theorie westlicher Orientalisten sollen die Puranas und Itihasas ein paar hundert Jahre vor Christus geschrieben worden sein, wobei schon das drawidische Gedankengut eingeflossen ist, so dass die alten vedischen Götter wie Indra, Varuna und Agni nicht mehr so vertreten waren. Man hat sie mehr als Engelswesen angesehen. Dafür wurden die neuen Götter wie Brahma, Vishnu, Shiva, Durga, Lakshmi, die noch älter waren, wieder bedeutender. Nach indischer Theorie soll Vyasa die meisten selbst geschrieben haben oder sie seinem Sohn Sukadev mündlich weiter gegeben haben, so dass sie teilweise erst später niedergeschrieben wurden.

Die vier orthodoxen Hauptschriften – die Veden beziehungsweise Shrutis, Smritis, Puranas und Itihasas - werden von allen Hindus als Autorität anerkannt.

Sutras

Daneben gibt es zahlreiche spätere, nicht-orthodoxe Schriften, die sich jeweils nur auf ein Teilgebiet oder eine bestimmte Glaubensrichtung beziehen und nicht von allen Hindus anerkannt werden. Dazu gehören zum Beispiel die Sutras. Ein Sutra ist ein Leitfaden und die kürzeste Weise, etwas auszudrücken, während Puranas und Itihasas die längstmögliche Weise sind, etwas auszudrücken.

Für den Yoga von größter Bedeutung sind die Yoga Sutras von Patanjali (wahrscheinlich um 600/500 vor Christus) über den Raja Yoga und die Brahma Sutras über das Jnana Yoga. Daneben gibt es noch sehr viel mehr Sutras über verschiedenste Bereiche.

Agamas und Tantras

Das Wort Tantra hat eine vielfältige Bedeutung. Zum einen bezeichnet Tantra neben dem Shaivismus (wo Shiva als höchstes Bewusstsein angesehen wird) und dem Vaishnavismus (wo Vishnu als höchste Gottheit verehrt wird) eine der drei Hauptreligionsrichtungen Indiens, wo Shakti, die kosmische Energie oder das Göttliche in seinem Aspekt als „göttliche Mutter“ verehrt wird. Zum zweiten ist Tantra ein bestimmtes Philosophiesystem, nämlich die Shiva-Shakti-Philosophie. Und zum dritten ist Tantra der Name für einen bestimmten Schrifttyp, die Agamas, die jeweils nur einer Tradition zugeordnet sind. Es gibt zum Beispiel Vishnu Agamas, Shiva Agamas und Shakti Agamas, wobei die Shakti Agamas als Tantra bezeichnet werden.

Diese Tantras haben eine besondere Bedeutung fürs Yoga, denn die Hatha Yoga Schriften und auch die Mantra Shastras sind ein Teil davon.

Hatha Yoga Schriften

Es gibt vier Hauptschriften des Hatha Yoga:

In diesen Schriften sind die Mudras („Siegel“, bestimmte Stellungen in Verbindung mit Konzentrationstechniken) beschrieben, die Bandhas („Verschlüsse“, bestimmte Stellungen, um Energie zu bewahren und zu lenken), die Asanas (Yogastellungen), Konzentrationstechniken, Kriyas (yogische Reinigungsübungen) und die Hatha Yoga-Meditationstechniken, zum Teil Theorie über Kundalini Yoga, über Chakras (Energiezentren) und Nadis (Energiekanäle).

Die sechs klassischen indischen Philosophiesysteme

Ramana Maharshi ein großer Jnani des 20. Jahrhundert

Alle sechs klassischen Philosophiesysteme – die unterschiedliche, teilweise durchaus widersprüchliche, Standpunkte einnehmen – berufen sich auf die Veden. Die Upanishaden als der metaphysische, philosophische Teil der Veden sind die Grundlage vor allem des Vedanta, der Philosophie des Non-Dualismus. Da die Kenntnis dieser Gedankenansätze wesentlich zum besseren Verständnis der indischen Kultur und Gedankenwelt beiträgt, geben wir hier einen Überblick über die verschiedenen Philosophiesysteme.

Die sechs Philosophiesysteme werden auch als Darshanas bezeichnet. Darshan heißt wörtlich Sichtweise. Man könnte es auch durchaus mit Weltanschauung übersetzen. Aber es ist eine Sichtweise, es ist nicht die absolute Wahrheit.

Jedes Philosophiesystem ist nur ein Versuch, die Wahrheit zu beschreiben. Eigentlich kann man die Wahrheit nicht in Worte fassen. Sie kann nur direkt erfahren werden. Wenn man sie erfahren hat und anderen vermitteln will, muss man erneut Worte oder Bilder gebrauchen, was wiederum begrenzend ist. Daher gibt es auch sechs Darshanas mit unterschiedlichen Standpunkten, die jedoch aus indischer Sicht keine Widersprüche sind, sondern nur verschiedene Sichtweisen der gleichen Wirklichkeit.

Jedes Darshana ist ein Philosophiesystem, das versucht, Antworten zu geben auf die großen Fragen:

Diese sechs Darshanas heißen:

Purva Mimamsa

Purva Mimamsa ist eine theistische Philosophie. Gott hat die Welt geschaffen. Das Ziel des Lebens ist es, in den Himmel zu kommen. Zu vermeiden gilt es, in die Hölle zu kommen. Um in den Himmel zu kommen, muss man Punyas ansammeln, Verdienste, und Papas, Sünden, vermeiden. Durch Papas zieht man erstens schlechtes Karma auf sich, zweitens kommt man in die Hölle und drittens wird man im nächsten Leben sehr schlecht wiedergeboren. Wenn man dagegen Punyas sammelt, erwirbt man künftiges Vergnügen, kommt in den Himmel und das nächste Leben ist um so besser. Diese Philosophie ist in Indien wohl am verbreitetsten.

Sie ist etwas differenzierter als die christliche Himmel- und Hölle-Philosophie, wo man auf ewig in die Hölle oder in den Himmel kommt. Man muss natürlich wissen, dass die Christen früher geglaubt haben, die Welt existiere erst seit ein paar Tausend Jahren und würde bald untergehen. So gesehen dauert die Ewigkeit auch gar nicht so lange.

Aber die Inder sind schon immer davon ausgegangen, dass es Trillionen von Trillionen von Leben gibt, und da ist die Ewigkeit schon sehr lange.

Purva Mimamsa beschreibt sowohl positive als auch negative Handlungen im täglichen Leben und beinhaltet auch ethische Gesichtspunkte. Wenn man anderen hilft, ist es Punya, wenn man andere schädigt, ist es Papa. Darüber hinaus gibt es alle möglichen Reinheitsvorschriften. Beachtet man sie, erwirbt man Punya, andernfalls Papa. Daneben gibt es einige Handlungen, die man unbedingt ausführen muss und die weder Punya noch Papa sind; unterlässt man sie jedoch, dann führt es zu Papa. Führt man sie hingegen verstärkt aus, gibt es Punya.

Aber es bezieht sich auch noch auf etwas anderes. Wenn man etwas Bestimmtes erreichen will, kann man vorgeschriebene Rituale dafür machen. Angenommen, man will reich werden - gut, eine Möglichkeit wäre, fleißig zu arbeiten - die andere, bestimmte Rituale dafür zu machen. Dabei würde man Lakshmi (Göttin des Wohlstandes, des Gebens) auf eine bestimmte Weise verehren, eine Yajna (Opferzeremonie), Tapas (Askeseübungen) und so weiter machen, dann wird Lakshmi einen segnen und man wird reich.

Oder angenommen man wünscht sich ein Kind, dann muss man bestimmte Pilgerreisen machen, vorgeschriebene Mantras wiederholen, den Brahmanen eine gewisse Anzahl Kühe schenken, Almosen oder Hospitäler für Arme stiften. Wenn man das auf richtige Weise macht, bekommt man das Kind.

Oder man will heiraten und findet keinen passenden Partner oder der Mann, den man gerne haben will, ist schon vergeben oder möchte nicht oder die Familie weigert sich, dann gibt es bestimmte Rituale, den Mann in sich verliebt zu machen, alle Hindernisse verschwinden zu lassen und schließlich die Heirat herbeizuführen.

Wenn man schlechte Taten vollbracht hat und nach einiger Zeit von Gewissenskonflikten geplagt wird, gibt es bestimmte Bußübungen, die je nachdem, um welche Tat es sich handelt, ganz genau vorgeschrieben und auch recht drastisch sind. Es kann sein, dass man zwei Jahre in die Einöde gehen und 12 Stunden am Tag Askeseübungen machen muss. Oder man muss sein ganzes Vermögen den Armen zur Verfügung stellen oder sich vier Jahre als Diener im Tempel verdingen.

In gewisser Hinsicht ist das durchaus eine kluge Weise, mit Schuld umzugehen, wenn man die Tat wirklich bereut. Aber es kann auch zu Scheinheiligkeit und Berechnung führen, dann nämlich, wenn wir bewusst in Kauf nehmen, etwas Unrichtiges zu tun, Nutzen davon haben und anschließend einfach ein paar Bußübungen machen, um kein schlechtes Karma zu bekommen.

Diese Praxis hat Ähnlichkeit mit bestimmten Formen des katholischen Christentums, wobei die Bußen dort relativ harmlos waren, und am Schluss werden einem die Sünden vergeben.

In der Bhagavad Gita (klassische indische Schrift; Lehrgespräch zwischen Krishna als Lehrer und Arjuna als Schüler) liest man oft von Papa, Sünden. Gerade im ersten Kapitel spricht Arjuna davon, denn er hat große Angst, Sünden auf sich zu laden. Und Krishna sagt zum Schluss:

Sarvadarmam parityaja
Mam ekam sharanam vraja
Aham twa sarvapapebhyo
Mokshaishyami ma suksha

Papa ebhyo = ich befreie dich von allen Sünden, sorge dich nicht

Krishna wendet sich in der Bhagavad Gita anfangs noch recht diplomatisch, später ganz entschieden gegen diese Philosophie, während Arjuna ihr zunächst anhängt. Wörtlich sagt er: „Blumige Worte finden die Weisen, die an den rühmenden Worten der Veden Gefallen finden, oh Arjuna, und sagen, es gibt nichts anderes. Sie sind voller Wünsche. Der Himmel ist ihr Ziel und das Ergebnis ihres Tuns ist neuerliche Geburt. Sie schreiben verschiedene Methoden mit einer Überfülle von bestimmten Handlungen vor, um Vergnügen und Macht zu erlangen. In Menschen, die an Vergnügen und Macht hängen und deren Geist durch solche Lehren gelenkt wird, bildet sich nicht diese Bestimmtheit, die stets auf Meditation und Samadhi (Überbewusstsein|überbewusster Zustand) ausgerichtet ist.“

Es mag sein, dass die Mimamsa-Philosophie bestimmten Naturgesetzen folgt, aber laut Krishna geht es ihren Anhängern nicht wirklich darum, die Selbstverwirklichung zu erreichen. Sie kommen zwar in den Himmel, erreichen vielleicht Macht und Vergnügen, aber es führt nicht zur Befreiung, sondern in die Anhaftung hinein. Man hat ja nichts davon – zumindest nicht vom philosophischen und yogischen Standpunkt aus - wenn man reich wird. Ob wir nun reich werden, indem wir vierzehn Stunden am Tag arbeiten, sieben Tage in der Woche ohne Pause oder ob wir dafür Rituale machen, das Ergebnis ist das gleiche, nämlich Bindung.

Trotzdem, das Purva Mimamsa-System hat durchaus auch seine Funktion. Es erklärt bestimmte Funktionsweisen von Karma wie Ursache und Wirkung und Kompensation. Die Sühnerituale und Vorschriften können für die Mehrheit der Menschen, die sich unter Befreiung nichts vorstellen können, eine gute Motivation für ein ethisches Leben darstellen und helfen, mit schwierigen menschlichen Problemen wie Schuld und Sühne, Gerechtigkeit, Ärger, und so weiter besser umzugehen und fertig zu werden.

Ein paar Sachen könnte man auch durchaus in den Yoga integrieren. Es ist sicher sinnvoll, irgendwie Buße zu tun, wenn man eine schlechte Handlung begangen hat - am besten natürlich gegenüber dem betroffenen Menschen. Man kann sich entschuldigen und versuchen, die Sache gutzumachen. Manchmal ist das nicht möglich, entweder weil der Mensch so böse ist, dass er einem nicht erlaubt, etwas zu tun oder weil er nicht in der Nähe ist und man nichts mehr mit ihm zu tun hat. Dann kann man stattdessen irgendeine Sühneübung dafür machen.

Und auch in Bezug auf das Karma können wir von der Mimamsa-Philosophie lernen. Solange wir noch nicht so weit sind, vollständig ego-frei zu handeln, können wir uns wenigstens zu guten Handlungen motivieren, indem wir uns sagen, Schlechtes kommt nur auf uns zurück. Und umgekehrt lernen wir auch, nicht an anderen Rache zu üben. Im Alten Testament heißt es: „Mein ist die Rache, spricht der Herr“. Jemand, der eine schlechte Handlung ausführt, richtet sich selbst zugrunde. So wie Jesus auch in einem der Evangelien sagt: „Es muss ja Übles kommen, aber wehe dem, durch den es kommt!“ Wir müssen unser Karma ernten. Wer uns gegenüber schlecht handelt, ist für uns zwar ein Diener des Karmas, aber er selbst wird darunter leiden müssen, wenn er es bewusst macht. Nicht umsonst sagt Jesus noch am Kreuz: „Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun“. Denn er wusste, für ihn war es vorbestimmt, so zu sterben und er hat es auf sich genommen. Aber für die anderen, die ihn ans Kreuz nageln, bringt es schlechtes Karma. Wir sollten Mitleid mit denjenigen haben, die uns bestehlen oder ungerecht behandeln. Sie richten sich selbst zugrunde und schaffen sich ihr eigenes Leiden. Uns geben sie Gelegenheit zu wachsen und sind das Werkzeug dafür, dass wir unser eigenes Karma ausarbeiten können. Wenn man das verstanden hat, gewinnt man auch eine gewisse Gelassenheit.

Aber vergessen wir nicht die Kritik, die Krishna übt: „Allein danach zu handeln, führt uns nicht weiter.“ Und erinnern wir uns auch daran, was Patanjali (Autor der Yoga Sutras, eine der wichtigsten Raja Yoga-Schriften) gesagt hat: Für den weltlichen Menschen ist Karma dreifach, nämlich weiß, schwarz und grau. Für den spirituellen Menschen ist es nichts davon. Für ihn gibt es einfach nur Aufgaben, die zu erledigen sind. Es gibt weder Gutes noch Schlechtes, es gibt kein Karma über das wir uns freuen oder über das wir uns zu ärgern brauchen und es gibt auch keine Handlung, die wir ausführen, damit es uns im späteren Leben gut geht, sondern wir tun alles für andere Menschen oder als Diener Gottes.

Vaisheshika

Vaisheshika ist ein materialistisches Philosophiesystem, welches das Universum als ein Zusammenspiel von Atomen, Kräften und Naturgesetzen ansieht und auf logischem, eindeutigem, naturwissenschaftlichem Denken beruht. Danach besteht die Welt aus sogenannten Anus, Atomen, und verschiedenen Kräften, den Shaktis oder Energien.

Von dieser Philosophie gibt es mehrere Richtungen. Eine ganz extreme sagt, es gibt nur Materie. Auch die Seele ist ein Ausfluss der Materie. Lebensziel ist es, sich zu vergnügen, wobei man die Rechte der anderen achten und ihnen nicht schaden sollte, damit die Gesellschaft als Ganzes funktioniert. Höheres Ziel gibt es keines. Leiden ist, wenn man körperliche Schäden oder Krankheiten hat, seine Wünsche nicht befriedigen kann oder mit anderen Meinungsverschiedenheiten hat.

Auf dieser Ebene arbeiten weite Teile unserer materialistisch orientierten Wissenschaft, obgleich beispielsweise die Physik in letzter Zeit davon abgekommen ist, weil eben die physikalischen Gesetze letztendlich doch nicht so funktionieren. Trotzdem bleiben die meisten anderen Wissenschaftszweige weitgehend in diesem rein logischen Denken, insbesondere solche, bei denen es eigentlich nichts zu suchen hätte, wie Medizin und Psychologie, die den Organismus rein materiell auffassen und alle anderen Gesichtspunkte vernachlässigen.

Dennoch hat die Vaisheshika-Philosophie durchaus auch ihren Platz, zum Beispiel in der Anatomie, beim praktischen Handeln im Alltagsleben oder bei den Hatha Yoga-Übungen und ihren Wirkungen. Man darf die Naturwissenschaft nicht einfach außer acht lassen. Auch als spiritueller Mensch sollte man das logische Denken nicht nur auf die Unterscheidungskraft zwischen dem Wirklichen und Unwirklichen beschränken, sondern sie auch im täglichen Leben einsetzen, zum Beispiel, um ein Haus zu bauen oder den Computer zu reparieren. Jemand hat mir mal gesagt, mit logischem Denken könne man fast alle handwerklichen und technischen Probleme lösen. Das war irgendwie ein Augenöffner für mich. Früher hatte ich nämlich immer großen Respekt vor solchen Sachen. Vaisheshika, logisches Denken, ist also hilfreich, sowohl für die Gesundheit als auch im praktischen und beruflichen Leben. Wenn man Erfolg im Beruf haben will, sollte man sich nicht nur darauf beschränken, Lakshmi zu verehren, sondern auch lernen, mit den notwendigen Instrumenten umzugehen, um seine Arbeit gut ausführen zu können.

Nyaya

Unter dem Begriff Nyaya sind zwei Philosophiesysteme zusammen gefasst, so das es eigentlich sinnvoller wäre, von sieben statt von sechs Philosophiesystemen zu sprechen.

Eine Variante von Nyaya ist das Philosophiesystem der Logik mit bestimmten logischen Sätzen wie Schlussfolgerungen, Dialektik,und so weiter, ähnlich der Logik des Aristoteles. Man könnte sie auch als eine Unterphilosophie der Vaisheshika-Philosophie bezeichnen, eine materialistisch-rationale Philosophie.

Die zweite Variante von Nyaya ist eine stark Bhakti-orientierte, ausgesprochen dualistische Philosophie der Hingabe. Gott hat die Welt geschaffen, durchdringt sie ganz und macht alles. Gott und Mensch sind auf ewig getrennt. Der Mensch ist in seinem wahren Wesen eine Seele, die niemals eins werden kann mit Gott. Ursache des Leidens ist die Entfernung und Trennung von Gott. Ziel des Lebens ist es, Gott möglichst nahe zu kommen. Der Weg dazu ist bedingungslose Hingabe. Um diese Hingabe zu erzeugen, gibt es zahlreiche spirituelle Praktiken. Das entspricht durchaus einer auch im Christentum verbreiteten Sichtweise.

Bhakti hat im Yoga natürlich auch einen großen Stellenwert, gerade um das Ego zu überwinden und Hingabe zu üben. Man kann öfter versuchen zu spüren, oh Gott, dein Wille geschehe, du machst alles, ich allein kann nichts bewirken.

Samkhya

Samkhya ist eine dualistische und atheistische Philosophie, in der eine ewige Dualität zwischen Purusha und Prakriti postuliert wird und Gott nicht vorkommt. Purusha (höchstes Wesen; Individuum) verhält sich zwar wie Gott, wird aber einfach als Bewusstsein bezeichnet. Purusha ist das Bewusstsein, die Seele, Prakriti ist die Welt. Purusha im Samkhya entspricht Brahman im Vedanta oder Shiva im Tantra. Prakriti entspricht Maya im Vedanta und Shakti im Tantra.

Purusha und Prakriti waren von Anfang an und sind auf ewig getrennt, aber ursprünglich war Purusha in sich selbst zufrieden. Es gab nur eine allumfassende, undifferenzierte Prakriti, eine homogene unmanifestierte Mischung aus Sattwa (Reinheit, Klarheit), Rajas (Aktivität) und Tamas (Trägheit, Dunkelheit) in vollkommenem Gleichgewicht. Solange die drei Gunas (Grundeigenschaften der Natur) in vollkommenem Gleichgewicht sind, gibt es keine Schöpfung.

Nun ist Purusha aus unerfindlichen Gründen nicht mehr in sich selbst zufrieden, sondern sendet die Strahlen seines Bewusstseins in die Prakriti hinein, um die Welt zu erleben. Und in dem Moment fängt Prakriti an, sich zu verändern, aktiv zu werden, und der Schöpfungsprozess kommt in Gang:

  • Purusha

* Sattwa (Kausalwelt)

  • Prakriti * Rajas (höhere, mittlere, untere Astralwelt)

* Tamas (Physische Welt)

  • Spandana


  • Parinama

Das ganze Universum besteht nur aus Sattwa, Rajas und Tamas. Die erste Vibration ist Spandana, die Urschwingung, durch die Sattwa, Rajas und Tamas durcheinandergebracht werden und es entsteht Parinama, ständige Veränderung. Obgleich Prakriti ewig von Purusha getrennt ist, ist sie Purusha untergeordnet. Nur weil Purusha Prakriti erfahren will, bewegt sich Prakriti. Aber wenn sie einmal in Bewegung versetzt ist, entspricht es ihrer Natur, sich ständig zu bewegen. Dann entstehen die drei Grundwelten aus Sattwa, Rajas und Tamas. Das kosmische Sattwa wird zum Mahat, zum kosmischen Geist, zum kosmischen Ego, aus dem zahlreiche kleine Chittas entstehen. Rajas ist die Aufsplitterung der Welt und das kosmische Tamas wird zur physischen Welt.

Die sattwigste Welt ist die Kausalwelt, die rajasigste die Astralwelt, die tamasigste die physische Welt. Alles in dieser Welt ist nur eine unterschiedliche Zusammensetzung von Sattwa, Rajas und Tamas. Überall sind immer alle drei Gunas vorhanden, allerdings in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen.

Samkhya heißt wörtlich Aufzählung, Klassifikation. Die Samkhyas klassifizieren alles auf jeder Ebene nach Sattwa, Rajas und Tamas. Die Astralwelt, die insgesamt relativ rajasig ist, kann man wieder unterteilen in drei Welten: die höhere Astralwelt, die der Vijnanamaya Kosha im Vedanta entspricht, die mittlere Astralwelt, Manomaya Kosha, und die niedere Astralwelt, Pranamaya Kosha. Die höhere Astralwelt hat einen höheren Anteil an Sattwa, die mittlere mehr Rajas und die niederste, welche die Verbindung zur physischen Welt darstellt, die Prana-Ebene, ist die tamasigste davon.

Die mittlere Welt, die rajasige, ist die emotionell-geistige Welt. Und hier unterscheidet man wieder sattwige, rajasige und tamasige Emotionen. Tamasige Emotionen wären zum Beispiel Angst, Traurigkeit, Depression; rajasiger Ärger, Wut, Unruhe. Sattwige Gefühle sind Liebe, Mitgefühl, und so weiter.

Nehmen wir zum Beispiel das rajasige Gefühl Ärger. Nun kann man Ärger wieder unterteilen in sattwigen Ärger, rajasigen Ärger und tamasigen Ärger. tamasiger Ärger ist, wenn man sich über etwas aufregt, das in Wirklichkeit gar nicht so ist, also aus Täuschung heraus. rajasiger Ärger ist, wenn man sich ärgert, weil man etwas nicht bekommen hat. Sattwiger Ärger wäre gerechter Zorn. Man sieht zum Beispiel, dass jemand ungerecht behandelt wird, ärgert sich darüber und versucht, diesen Missstand abzustellen.

So hilft Samkhya, alle Dinge immer weiter zu klassifizieren.

Samkhya umfasst auch eine Theorie der Wahrnehmung, eine Theorie des Geistes und differenzierte Beschreibungen, wie die Welt und die individuelle Seele entstanden sind. Der philosophisch-theoretische Teil der Yoga Sutras von Patanjali stammt überwiegend aus dem Samkhya-System.

Sehr wichtig im Samkhya ist, alles befindet sich in Veränderung, in Parinama.

Aus Prakriti entwickeln sich im Zuge der Aufspaltung lauter individuelle Chittas. Um die Welt wirklich sehen zu können, nimmt Purusha ein individuelles Chitta (Gemüt, individuelle Seele) als Instrument an, denn mit einem kosmischen Gemüt würde er sie nicht ausreichend erleben. Das ist genauso, wie wenn man einen Film anschaut. Man identifiziert sich nie mit dem ganzen Film, sondern mit einer oder zwei Rollen besonders. Und man bangt mit seinem Helden und freut sich, wenn er am Schluss gewinnt. Wenn wir einen Film erleben wollen, müssen wir ihn aus einer bestimmten Perspektive anschauen. Und so macht es auch Purusha. Er identifiziert sich mit jedem dieser individuellen Gemüter und manifestiert sich durch die einzelnen Chittas. Das Problem ist, das er dabei in Verhaftung und Identifikation gerät. Das individuelle Asmita, Ich-Gefühl, beginnt, das Mögen und Nichtmögen, die Verstrickung in Verhaftungen. Das ist die Ursache des Leidens.

Das, was er eigentlich in sich selbst hat, nämlich Sein, Wissen und Glückseligkeit, Sat Chid Ananda, sucht Purusha nun in der äußeren Welt. Er glaubt, die Dinge in der Welt würden ihm Vergnügen (Ananda) schenken, er könne über seinen Geist Erkenntnis (Chid) gewinnen und auf der physischen Ebene Dauerhaftigkeit (Sat) erlangen.

Aber all das ist auf der physischen Ebene nicht möglich, weil sie in ständiger Veränderung ist und nichts gleich bleibt. Das ist ein großes Problem, denn Purusha ist ewig, und deshalb erwartet er auch Beständigkeit auf der physischen Ebene. Wenn der Mensch etwas erreicht hat, will er, dass es auch so bleibt. Aber es ist das Gesetz der Veränderung, Parinama, dass nichts beständig bleibt.

Auch dass die Welt Glück schenkt, ist ein Irrtum. Sie kann höchstens ablenken, aber wirklich Glück schenken tut sie nicht.

Wie kommen wir nun wieder aus diesem Leiden heraus? – Durch Nichtidentifikation. Wodurch erreichen wir das? – Durch Unterscheidungskraft (Viveka). Wir lernen, Purusha von Prakriti und Sattwa von Purusha zu unterscheiden. Durch immerwährende Unterscheidungskraft, Viveka Kyati, lernen wir, uns nicht mehr mit Prakriti zu identifizieren. Dazu hat Samkhya auch bestimmte Meditationstechniken entwickelt, zum Beispiel Sakshi Bhav: Wir nehmen die Einstellung eines Zeugen an und beobachten alles, was kommt. In dem Maße, in dem wir beobachten, können wir uns auch von der Identifikation lösen. Wir beobachten nur, verändern nichts und stellen fest, ich bin es nicht.

Weitere Methoden im Samkhya sind natürlich auch die intellektuelle Unterscheidung und Vairagya (Entsagung) Verzicht auf das Weltliche. Denn je mehr wir in die Welt hineingehen, um so mehr hängen wir an etwas und kommen in Anhaftung, Unfreiheit.

Eine schöne Darstellung des Samkhya findet man im 2. Kapitel der Raja Yoga Sutras ab dem 18. Vers:

„Das Universum, das durch die Wechselwirkung zwischen den Elementen und den Wahrnehmungen der Sinnesorgane erfahren wird, wird aus Sattwa, Rajas und Tamas zusammengesetzt und exisitiert einzig zum Zweck der Erfahrung und der Befreiung des Menschen.“

Wir nehmen das Weltall nicht so wahr, wie es wirklich ist, sondern wir nehmen es so wahr, wie es unsere Sinne ins Chitta geben. Purusha wird sich dessen bewusst, was im Chitta ist. Das Chitta ist wie ein Kristall, der die Form und Farbe der äußeren Objekte annimmt.

Purusha will Erfahrungen machen, will die Früchte der Handlungen genießen und will auch wieder zurückkehren. Prakriti hat die Aufgabe, den Menschen – und auch Tieren und allen Wesen – alles zu geben, was sie erfahren wollen. Sie muss dem Menschen alle Wünsche erfüllen, aber die Welt hat auch die Aufgabe, uns wieder zurückzuführen zur Befreiung. Prakriti hilft uns also, die Erfahrungen zu machen, die wir machen wollen und brauchen, aber sie hilft auch, dass wir irgendwann die Zusammenhänge erkennen und uns aus der Verhaftung in die Prakriti lösen.

Denken wir an die Geschichte, wo Indra sich als Schwein inkarniert hatte, um einmal volle Sinnesfreuden zu genießen, denn ein Schwein ist nicht durch Ethik oder Moral gebunden. Anschließend wollte er nicht mehr befreit werden, weil er sich in dieser Identifikation so wohl fühlte. Vorher hatte er allerdings seine Untertanen instruiert, sie sollten ihn holen, wenn er nicht bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zurück sei. Als die Untertanen dann kamen, wollte er aber nicht zurück, sondern sagte, sie sollten ihn in Ruhe lassen. Darauf hin hatten sie ihn dann so lange gequält, bis er schließlich doch den Schweinekörper verließ.

So ist es mit dieser Welt. Sie erfüllt uns unsere Wünsche, aber nicht alle und auch nicht dauerhaft und zwischendurch schüttelt sie uns durch. Das ist die zweifache Funktion der Prakriti.

„Die Zustände der drei Gunas sind grob, fein, manifest und nicht manifest. Der Sehende, Purusha oder Drashtu, ist reines Bewusstsein. Und obwohl er rein ist, scheint er durch Chitta zu sehen, also durch das Gemüt. Die tatsächliche Existenz des Gesehenen ist für den Sehenden da.“

Das Universum ist für den Purusha da.

„Auch wenn sie, Prakriti, für den, der seinen Zweck erfüllt hat, unwirklich wird, fährt sie fort, für andere zu existieren, denn sie ist allen gemein.“

Also, angenommen, wir würden jetzt die Selbstverwirklichung erreichen, dann wäre für uns die Prakriti zu Ende. Auch die Teile der Prakriti, mit denen wir uns besonders identifizieren, der physische Körper, Chitta, das Gemüt mit Prana, lösen sich auf, aber für die anderen existiert die Welt weiter. Solange Purusha noch irgendein Chitta hat, durch das er sich die Welt betrachtet, mit dem er sich identifiziert, solange gibt es die Welt. Erst dann, wenn Purusha sich durch kein Chitta hindurch mehr manifestiert, hört sie auf. Dann existiert Prakriti zwar weiter, aber in unmanifestiertem Zustand, im Gleichgewicht.

Zweck der Verbindung (Samyoga) von Purusha und Prakriti ist, dass Purusha das Bewusstsein seiner wahren Natur erlangt und die Kräfte erkennt, die latent in ihm und in Prakriti liegen. Das ist gemäß der Samkhya-Philosophie der Sinn der Schöpfung. Wenn wir also nach vielen Äonen von Leiden und Vergnügen, von spirituellen Praktiken, Kopfständen und Mantrasingen schließlich die Verwirklichung erreichen, sind wir zum Schluss irgendwie klüger als vorher. Es ist zwar nicht sehr logisch, aber irgendwie emotionell befriedigend, zu wissen, dass das Ganze einen gewissen Sinn hat. Aber hier setzt natürlich die Kritik der Vedantins an. Wenn Purusha reines Bewusstsein ist, kann er auch nichts dazulernen. Samkhya macht hier ein paar Abstriche von der Absolutheit des Vedanta, weshalb viele Menschen mit der Samkhya-Philosophie besser zu Rande kommen als mit dem Vedanta.

Dass Prakriti und Purusha zusammenkommen, mag zwar den Sinn haben, dass es Purusha ermöglicht, die Welt zu erfahren. Aber die Ursache dieser Vereinigung ist Avidya, Unwissenheit.

„Durch das Ausmerzen der Unwissenheit schwindet die Verbindung von Purusha und Prakriti und der Sehende ist befreit.“ Also wir müssen die Unwissenheit ausmerzen. Und wie merzen wir die Unwissenheit aus? Durch Viveka Kyati. Das Mittel, Avidya zu zerstören, ist ungebrochenes Unterscheidungsvermögen.

Daher beschränkt sich die Samkhya-Praxis auch auf drei Grundprinzipien: Unterscheidungskraft, Beobachtung, Entsagung.

Auch Krishna nimmt in der Bhagavad Gita relativ häufig Bezug auf den Samkhya.

Yoga

Im Rahmen der Darshanas versteht man unter Yoga das durch Patanjali bekanntgewordene Yogasystem, das an sich natürlich weiter zurückgeht. Wenn ein Sutra geschrieben wurde, ist das immer ein Zeichen dafür, dass es das System schon Jahrhunderte lang gegeben hat. Es war schon ausgefeilt genug, um es in diese prägnante Form bringen zu können.

Unterschiede Samkhya und Yoga

Yoga basiert auf der Samkhya-Philosophie, mit ein paar einschneidenden Unterschieden. Der erste Unterschied ist rein praktischer Art. Laut Samkhya kommen wir über Viveka, Unterscheidungskraft, zur Ruhe des Geistes und zur Befreiung.

Patanjali hat einen etwas anderen Ansatz. Er beginnt gleich am Anfang mit: „Yoga ist das Zur-Ruhe-Bringen der Gedanken im Geist. Dann ruht der Sehende in seinem wahren Wesen.“ Patanjali empfiehlt zwar unter anderem auch, Viveka kyati zu üben, aber es ist nicht seine einzige Methode. Wir müssen irgendwie unseren Geist zur Ruhe bringen. Ist unser Geist ruhig, dann ruht Purusha in sich selbst. Und alles, was uns dazu hilft, den Geist zur Ruhe zu bringen, ist Yoga. Und so übernimmt Patanjali aus den Schriften, den Upanishaden, den Veden, der Mahabharata und anderen Traditionen umfangreiche Übungspraktiken (Abhyasa) die es im Samkhya nicht gibt. Er bringt zusätzlich zu den psychischen auch physische Hatha-Yoga-Praktiken.

Manchmal bezieht sich das Wort Yoga aber auch nicht nur auf das Raja-Yoga-System von Patanjali. Krishna gebraucht den Ausdruck Yoga in der Bhagavad Gita im Sinn von Karma Yoga, dem Yoga des selbstlosen Handelns, in bewusstem Gegensatz zum Samkhya als reinem Jnana Yoga. Anstatt allem zu entsagen wie im Samkhya oder zu handeln, um etwas Konkretes zu erreichen wie im Purva Mimamsa-System, handeln wir im Karma Yoga ohne Wünsche und Verhaftungen und kommen so zur Befreiung. Krishna sagt aber auch, nur die Unweisen sprechen von Samkhya und Yoga als getrennt. Im Grunde genommen führt beides zum Ziel und es hat beides seinen Sinn. Auch im Yoga gibt es Entsagung und auch ein Samkhya-Anhänger muss Handlungen tun ohne Verhaftung. Denn selbst die Aufrechterhaltung des physischen Körpers bedingt Handlung.

Eigentlich wird jedes Kapitel der Bhagavad Gita als Yoga bezeichnet. Es gibt 18 Kapitel, die zum Beispiel „Yoga der Mutlosigkeit und Verzweiflung Arjunas“ (1. Kapitel) heißen oder „Yoga der unsterblichen Seele“ (2. Kapitel), und so weiter.

Der zweite Unterschied zum Samkhya ist, dass es im Yoga Ishwara gibt, einen persönlichen Gott. Patanjali lässt sich zwar nicht zu sehr auf genaue Details ein; auf diese Weise vermeidet er es, jemandem auf die Füße zu treten, denn bekanntlich entsteht bezüglich religiöser Themen am schnellsten Streit. Patanjali spricht von Ishwara (persönlicher Aspekt des Absoluten, Göttlichen) als einer besonderen Manifestation von Purusha, die frei ist von Verhaftungen, Karma, Kleshas (Leiden), Unwissenheit und Wünschen. Ishwara ist der ursprüngliche Lehrer. Wenn man sich Ishwara hingibt, ist die Verwirklichung schnell. Man muss allerdings zugeben, es passt nicht ganz in die Logik des Yogasystems hinein. Aber Patanjali war ein Praktiker. Er hat festgestellt, Menschen, die Gott hingegeben sind, erreichen die Selbstverwirklichung schneller als andere. Wer es allein versucht, ohne Zuflucht zu Gott zu nehmen, verwickelt sich in alle möglichen Schwierigkeiten. Irgendwann kommt das Ego ins Spiel, man kommt nicht mehr weiter, Versuchungen, Prüfungen stellen sich ein – ohne Glauben an Gott ist alles schwierig. Glaubt man dagegen an Gott, dann hilft er einem über das Ego hinweg, hilft einem durch Prüfungen, wenn man verzweifelt ist, weint man zu Gott, dann kommt er und hilft einem – es klappt eigentlich alles viel besser.

In Kanada im Ashram von Swami Vishnu, meinem spirituellen Lehrer, ist mir zum erstenmal richtig klargeworden, was eigentlich Ego ist. Und zwar so klar geworden, dass ich mir überhaupt nicht vorstellen konnte, mich je vom Ego zu befreien. Denn das Ego kann sich überall manifestieren. Man kann zum Beispiel stolz auf seine Asana-Praxis oder auf seine Meditation sein, man kann sogar stolz darauf sein, dass es einem nichts ausmacht, die Toilette zu putzen, notfalls auch um Mitternacht, wenn es niemand anders macht und sogar, ohne dass es jemand merkt, einfach weil es getan werden muss. Man kann stolz darauf sein, dass man einfach nachgibt. Das Ego kann sich tatsächlich überall hineinsetzen. Nachdem ich also ein paar Wochen lang – in meiner damaligen Naivität dachte ich, das sei schon sehr lange – wirklich systematisch versucht hatte, das Ego zu überwinden und es mir nicht gelungen war, eine einzige wirklich egolose Handlung auszuführen - und wenn ich fast dran war, dann war ich stolz darauf, dass sie egolos war und dann war das Ego wieder drin! -, habe ich einem indischen Gastlehrer, der gerade da war, das Problem geschildert. Und er hat gesagt, ich soll mir nicht so viel Sorgen machen. Jeder müsse seine Aufgabe erfüllen. Meine Aufgabe sei Sadhana, spirituelle Praxis und Seva, Dienen. Gottes Aufgabe sei es, mich vom Ego zu befreien. Und vielleicht bin ich dadurch etwas egoloser geworden als durch den ständigen Versuch, mein Ego zu reduzieren, denn das war letztlich nur Egospiel. Es ist sehr wichtig und hilfreich, einfach diese Demut zu entwickeln, sich einzugestehen, ich tue zwar mein Bestes, ich mache Sadhana, Asanas, Pranayama, Meditation, Mantrasingen, Pujas und was auch immer, aber letztlich weiß ich, das, was wesentlich ist auf dem spirituellen Weg, das kann ich nicht selbst machen, dazu brauche ich die Gnade Gottes. Man verehrt Gott, betet zu Gott, versucht, anderen zu dienen, seinen Geist zu schulen und dann wird Gott einen ausreichend durchschütteln, so dass das Ego schrittweise nachgibt. Wenn man Vertrauen hat und darum betet, geschieht es auch irgendwie.

Eine Ausprägung von Samkhya besagt, das jeder Mensch ein eigener Purusha ist, es also nicht nur einen einzigen Purusha gibt, sondern Tausende, Millionen und Milliarden von Einzelpurushas. Und das Ziel ist, zu unserem eigenen Purusha zurückzukehren. Im Yoga hingegen gibt es nur einen Purusha und die einzelnen Seelen sind Auswirkungen des Rajas-Prinzips, wo das eine Kosmische in Splittern eines großen Spiegels gespiegelt wird. Das ist der dritte Unterschied zwischen Samkhya und Yoga.

Uttara Mimamsa = Vedanta

Uttara Mimamsa, Vedanta, ist das großartigste aller Philosophiesysteme. Sie beginnen also mit Purva Mimamsa und hören mit Uttara Mimamsa auf.

Vedanta, die höchste aller Philosophien, bedeutet das Ende allen Wissens. Antar = Ende, Veda = Wissen. Die Vedanta-Philosophie kommt dem Wissen, das man aus der Verwirklichung gewinnt, am nächsten. Sie ist am schwierigsten zu verstehen und für viele Menschen am schwersten zu akzeptieren.

Vedanta hat durchaus Ähnlichkeit mit dem Samkhya-System. Im Vedanta gibt es die beiden Hauptpole Brahman (das Absolute) und Maya (Illusion, Täuschung). Nur, der Vedanta sagt, Brahman und Maya sind nichts Unterschiedliches, sondern Maya ist nur eine scheinbare Kraft der Illusion aus Brahman heraus. In Wahrheit gibt es nur Brahman. Nichts existiert, nichts ist geschaffen, ich bin weder Körper noch Geist, ich bin das unsterbliche Selbst.

Das ist in den drei Hauptsätzen postuliert:

Brahma Satyam = Brahman allein ist wirklich;
Jagan Mithya = die Welt ist unwirklich;
Jivo Brahmaiva Napara = die individuelle Seele ist nichts anderes als Brahman.

Das geht sogar soweit, das Uttara Mimamsa sagt, die Welt ist nicht geschaffen worden. Es gibt gar keine Welt. Die Welt ist eine Illusion, sie scheint nur so. Sie ist nur ein Traum. Woraus besteht die Traumwelt? Woraus bestehen die Berge, Flüsse und andere Menschen im Traum? Sie bestehen nur aus dem Geist, der träumt. Woraus besteht diese Welt? Sie besteht eigentlich nur aus Brahman. Es gibt nur Brahman. Und die Welt bleibt immer Brahman. Es gibt keine geschaffene Welt. Es erscheint nur so, als ob sie geschaffen sei. Aber es erscheint nur so lange so, wie unser Bewusstsein es so erfasst. Genauso wie die Traumwelt nur so lange vorhanden ist, wie wir im Traum sind. Wenn wir in den Tiefschlaf abgleiten, sind sowohl Traumwelt als auch Wachwelt verschwunden. Wenn wir in die Wachwelt kommen, verschwindet die Traumwelt und die Tiefschlaferfahrung wird ebenfalls unwirklich für uns. Und wenn wir in Turiya, den vierten Bewusstseinszustand kommen (die ersten drei Bewusstseinszustände sind Wach-, Traum- und Tiefschlafzustand), wachen wir auf und erkennen, es war alles nur ein langer Traum. Das ist der Hauptunterschied zwischen Samkhya und Uttara Mimamsa.

Auf der relativen Ebene kann das Uttara Mimamsa-System mit allen in den vorherigen Systemen beschriebenen Aspekten arbeiten. Die Gesetze des Karmas im engeren Sinne werden nicht abgestritten. Dass die materielle Welt ihre Gesetzmäßigkeiten hat, an die man sich halten kann, mag auch sein. Dass es einen Ishwara gibt, der auch ein Produkt der Maya ist, zu dem man beten kann, in dessen Händen man sein kann, wird akzeptiert. Es wird sogar empfohlen, diese Praktiken zu üben, Hingabe, Liebe zu entfalten, um uns überhaupt bereit zu machen, Jnana Yoga zu verstehen. Das hilft, den Geist zu reinigen. Auch Viveka, die Unterscheidung zwischen dem Wirklichen und Unwirklichen, spielt im Jnana Yoga natürlich eine wichtige Rolle, ebenso wie Vairagya, die Entsagung. Zu einer Ausprägung von Vedanta gehört auch das Mönchtum dazu, zwar nicht notwendigerweise, aber die Hauptbefürworter der Vedanta-Philosophie waren alle Mönche. Man kann natürlich auch Vedanta-Anhänger sein und im Berufs- und Familienleben stehen, aber eine konsequente Vedanta-Philosophie führt durchaus zu einer Abkehr von der Welt. Wenn die Welt unwirklich ist, warum soll man sich hineinverstricken? Aber Uttara Mimamsa Vedanta als praktisches System sagt eben auch, der Yogaweg ist eine Vorbereitung, ein Mittel, um uns überhaupt erst in die Lage zu versetzen, unseren Geist kennen zu lernen, zu kontrollieren, fähig zu machen zur Unterscheidung.

Die verschiedenen Darshanas, so unterschiedlich ihr Ansatz auch ist und so widersprüchlich sie scheinen, ergänzen sich und haben jedes für sich je nach Situation ihre Berechtigung.

Krishna selbst macht übrigens diesen Standpunktwechsel. Er widerspricht sich ja öfter. Er argumentiert an verschiedenen Stellen aus unterschiedlichen Gesichtspunkten.

So wie das Licht gleichzeitig Welle und Teilchen ist – obgleich ein physikalisches Phänomen eigentlich niemals gleichzeitig Welle und Teilchen sein kann –, so können verschiedene sich augenscheinlich widersprechende Gesichtspunkte trotzdem ihre Gültigkeit haben. Man hat die Gesetze der Welle und die Gesetze der Teilchen analysiert. Anhand der Teilchenphysik kann man Licht zum Beispiel als Laserstrahlen oder Photonentechnologie nutzen. Andere Anwendungsmöglichkeiten ergeben sich, wenn man Licht als Welle sieht.

Genauso verhält es sich mit unserem spirituellen Sadhana (Praxis, Übung). Für unser spirituelles Leben hilft es manchmal, einen bestimmten Standpunkt einzunehmen, ein anderes Mal einen anderen und in einer neuen Situation einen dritten. Scheinbar widersprechen sie sich, aber sie sind praktisch, man kann sich danach richten und dadurch Fortschritte machen.

Man kann auf dem spirituellen Weg keine lineare Logik erwarten. Es ist aber auch nicht unlogisch. Alles hat irgendwo seinen Platz und seinen Sinn. Und es ist nicht beliebig, sondern zu bestimmten Momenten muss man das eine oder das andere anwenden. Manchmal muss man diesen Standortwechsel recht schnell vollziehen.

Krishna widerspricht sich ja in der Bhagavad Gita auch ununterbrochen. Im 11. Kapitel zum Beispiel nimmt er den Standpunkt des Bhakti ein. Arjuna stellt fest, ich bin nur ein Instrument, ich tue gar nichts, Gott macht alles. Krishna sagt ja sogar, selbst wenn du nichts tun willst, ich werde dich zwingen. Der Mensch hat keinen freien Willen. Man hat im Grunde genommen keine Wahl. Im 18. Kapitel sagt er, die Natur wird dich zwingen. Und kurz danach: „Und jetzt tue, was du willst!“

Siehe auch

Literatur

Seminare

Jnana Yoga, Philosophie

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