Wer bin ich

Aus Yogawiki

Wer bin ich?

Dies ist eine uralte Menschheitsfrage. Schon die alten Griechen wussten: Erkenne dich selbst! Der moderne Mensch befindet sich beständig in einem Prozess der Selbstfindung. Gerade Jnana Yoga und Raja Yoga haben eine Methodik entwickelt, wie man sich der Antwort auf diese Frage nähern kann. Es wird gesagt, dass eine intellektuelle Antwort auf die Frage: "Wer bin ich?" niemals zufrieden stellen kann. Nur in tiefer Meditation ist die Erkenntnis des wahren Selbst möglich - und das Ziel menschlicher Sehnsucht erreicht - Samadhi.

Wer bin ich? - erläutert vom Yoga Standpunkt aus

Philosophische Betrachtung der Frage: Wer bin ich?

Es gibt verschiedene Herangehensweisen an die uralte Menschheitsfrage "Wer bin ich". Unter den Yoga Wegen ist es Jnana Yoga, der diese Frage zu seinem Zentrum macht. Jnana Yoga geht es dabei um die metaphysische, die ontologische Tiefe: Hier geht es um die tiefe Fragestellung: Wer bin ich, vom absoluten Standpunkt ausgesehen. Wer bin ich wirklich?

Es geht hier weniger um praktische Entwicklung der eigenen Fähigkeiten, Entfaltung seiner Talente. Es geht vielmehr um die Frage: Wer bin ich wirklich? Vor dem Hintergrund der Veränderungen, vor dem Hintergrund der Vergänglichkeit, vor dem Hintergrund von Gedanken, Emotionen, ja auch vor dem Hintergrund von Wachen, Träumen, Schlafen, vor dem Hintergrund veränderter Bewusstseinszustände: Wer bin ich?

Wer bin ich - Vedanta in Kurzform

Die Vedanta Philosophie kann zusammengefasst werden in 3 Sätzen (Shankaracharya, ca. 800 n.Chr.):

  • Brahma Satyam: Brahman allein ist wirklich
  • Jagan Mithya: Die, Welt wie wir sie erfahren, ist unwirklich
  • Jivo Brahmaiva Napara: Das Selbst ist nichts anderes als Brahman

Einfach zusammengefasst: Hinter dem gesamten Universum gibt es eine einzige Wirklichkeit, Brahman genannt. Das äußere Universum ist nur eine Manifestation von Brahman. Das unsterbliche Selbst ist deine wahre Natur. Und dieses unsterbliche Selbst ist eins mit Brahman.

Körper und Geist mit Empfindungen, Emotionen, Gefühlen, Gedanken sind Teil von Jagad, der äußeren Welt. In Wahrheit sind wir weder Körper noch Geist. Vielmehr sind wir das unsterbliche Selbst - jenseits von Körper und Geist. Wie ein Raumanzug auf einem anderen Planeten Fortbewegung, Erfahrungen und Handlungen ermöglicht, so ist der Körper hier auf der Erde so etwas wie ein Raumanzug, der Fortbewegung, Erfahrungen und Handlungen ermöglicht.

Kurz zusammengefasst: Wer bin ich? Ich bin das Unsterbliche Selbst, der Atman. Ich bin Satchidananda: Unendliches Sein (Sat), Unendliches Bewusstsein (Chid), Unendliche Wonne (Ananda)

Wer bin ich? Subjekt-Objekt-Analyse

Eine klassische Vedanta-Form der Herangehensweise an die Frage "WER BIN ICH" ist die sogenannte Subjekt-Objekt-Analyse. Sie unterscheidet zwischen Subjekt und Objekt und arbeitet anhand dieser Unterscheidung heraus:

  • Wer bin ich?
  • Wie geschieht Identifikation?
  • Wie entsteht Leid?
  • Wie ist Identifikation und Leid überwindbar?
Shankara, der große Lehrer des Vedanta, im Kreis seiner Schüler

Grundlage der Subjekt-Objekt-Analyse

Grundlage ist: Subjekt-Objekt:

  • Subjekt ist derjenige der erlebt, erfährt
  • Objekt ist das, was erlebt wird

Wenn du sagst: "Ich sehe den Himmel", dann gibt es ein "ich", also das Subjekt, und etwas, was gesehen wird, also der Himmel. Mit anderen Worten: "Ich" ist das Subjekt. Das Wahrgenommene ist das Objekt. Ich bin also das Subjekt. Wenn ich herausfinden will, wer ich bin, kann ich mich lösen von allem Wahrnehmbaren. Der Prozess der Subjekt-Objekt-Analyse ist also der Prozess des Bewusstwerdens: Was kann beobachtet werden? Denn alles Beobachtbare bin ich nicht.

Des weiteren kann man feststellen:

  • Das Subjekt bleibt gleich: Du fühlst dich als "ich", solange du zurückdenken kannst
  • Das Objekt dagegen ändert sich: Das Beobachtbare ist im ständigen Fluss - es ändert sich ständig und manchmal plötzlich. Objekte ändern sich nicht nur, sie sind auch vergänglich
  • Wenn das Subjekt seine eigene Ewigkeit in das Objekt projeziert, also Dauerhaftigkeit vom Objekt erwartet, kommt Leiden. Denn Objekte ändern sich.

Bin ich mein Besitz?

Diese Frage ist leicht zu beantworten: Natürlich bin nicht mein Besitz... Dem würde vermutlich jeder zustimmen. Aber warum eigentlich nicht? Gehen wir mit der Subjekt-Objekt-Analyse vor, anhand eines Beispiels:

Bin ich meine Uhr?

Nein, denn: Ich kann meine Uhr beobachten. Ich kann die Uhr sehen, ich kann sie fühlen, ich kann an ihr riechen. Ich bin das Subjekt, die Uhr ist das Objekt. Also: Ich bin nicht die Uhr.

Was ist Identifikation? Du sagst aber nicht: Dies ist eine Uhr, sondern: Dies ist meine Uhr. Indem Moment, indem ich "meine" Uhr sage, identifiziere ich mich mit der Uhr. Indem ich mich mit der Uhr identifiziere, erwarte ich Dauerhaftigkeit von der Uhr, und mache mein Glück von der Uhr abhängig.

Was sind die Folgen der Identifikation? Die Uhr ist beschränkt: Du reduzierst dein unendliches Sein auf Gedanken um deine Uhr. Du willst, dass andere die Uhr wertschätzen - weil du dadurch Wertschätzung erfährst. Du wirst abhängig von der Wertschätzung der Uhr.

Die Uhr ist vergänglich: Irgendwann hört sie auf zu funktionieren. Jemand stiehlt sie. Jemand tritt auf die Uhr. Du verlierst sie. Du findest sie nicht mehr. Wenn du dich mit der Uhr identifiziert hast, wirst du unglücklich, wenn du sie verlierst.

Der Wert der Uhr ist Änderungen unterworfen: Wenn deine modische Uhr altmodisch wird, wirst du unglücklich. Und du hast Angst davor, dass die Uhr altmodisch werden könnte.

Die Uhr genügt dir nicht: Intuitiv weißt du, dass du nicht auf eine Uhr beschränkt werden kannst. Intuitiv weißt du, dass du mehr bist. Wenn du aber in materiellen Identifikationen gefangen bist, wirst du immer mehr Besitz anhäufen wollen, um mehr zu erscheinen. Alles um das "ich" größer erscheinen zu lassen - nachdem das Ich sich mit Materiellem beschränkt hat.

Wie überwinde ich die Identifikation und ihre Folgen? Erkenne: Du bist nicht dein Besitz. Du bist nicht beschränkt auf das, was du hast. Eigentlich gehört dir gar nichts. Aller scheinbarer Besitz ist Leihgabe von unbekannter Leihdauer. Alles kann dir jederzeit genommen werden. Wenn du erkannt hast, dass alles in Parinama, in ständiger Veränderung ist, fällt es dir leicht, dein Glück von äußeren Objekten unabhängiger zu machen.

Dir werden Dinge anvertraut, sodass du dich an ihnen erfreuen kannst, mit ihnen einiges bewirken kannst, Erfahrungen machen kannst. Und wenn ihr Zweck sich erfüllt hat, werden sie dir wieder genommen. Du hast einen gewissen Einfluss auf die Objekte und hast eine gewisse Verantwortung, ähnlich wie du ein für ein geliehenes Ding eine Verantwortung hast. Aber dir gehört nichts. Sei daher dankbar für das, was dir anvertraut wurde. Lächle über das Konzept des "Eigentums", welches als gesellschaftliche Konvention existiert. Und fühle dich frei.

Geschichte von Janaka und Ashtavakra Eine alte Geschichte verdeutlicht, wie ein spiritueller Aspirant mit seinem scheinbaren Besitz umgehen kann:

Der junge König Janaka ging zu dem Weisen Ashtavakra in die Lehre. Er lernte spirituelle Praktiken, die Bedeutung der Schriften, alles über spirituelles Leben. Im alten Indien war es üblich, dass ein Schüler seinem Guru am Ende seiner Lehrzeit ein Dakshina, eine Gabe, überreichte. Janaka fragte seinen Guru, was er ihm als Lehrgeld (Dakshina) geben könne.

Ashtavakra fragte Janaka: "Ich kann mir alles wünschen?". Janaka: "Ja, soweit es in meiner Macht steht." Sagte Ashtavakra: "Dann überschreibe mir das Königreich". So unterschrieb Janaka die Abdankungsurkunde und die Ernennungsurkunde von Ashtavakra zum König. Dann sagte Ashtavakra: "So, jetzt gehe zurück in die Hauptstadt des Königreiches. Regiere das Königreich für mich, so als ob es dein Königreich ist.

Sage niemandem, dass du mir das Königreich überschrieben hast. Regiere gut, gerecht und geschickt. Genieße das Leben eines Königs und diene anderen. Aber wisse: Ich habe die Abdankungsurkunde in meiner Hand. In jedem Moment kann ich kommen und mein Königreich selbst regieren." So kehrte Janaka zurück in das Königreich. Nach außen tat er so, als ob er der König sei. Im Inneren wusste er, dass er das Königreich für seinen Guru regierte. So war er verhaftungslos. Er erfüllte sein Dharma, seine Pflicht als Regierender, so gut er konnte. Und er erreichte Samadhi, die Gottverwirklichung.

So kannst auch du leben: Aus gesellschaftlichen Gründen kannst du so tun, als ob du Besitz hättest. Im Inneren weißt du, dass alles Gott gehört, und dass dir dein scheinbarer Besitz nur vorübergehend anvertraut ist. Du gehst mit dem scheinbaren Besitz sorgsam um - denn er gehört ja Gott. Du erfüllst deine Aufgaben, lernst Lektionen, machst Erfahrungen, entwickelst dich spirituell. Indem du alles als Besitz Gottes erkennst und Vertrauen in das Wirken Gottes hast, kannst du verhaftungslos, engagiert und glücklich leben.

Verhaftungslosigkeit und Liebe im Umgang mit anderen Menschen

Die Identifikation mit anderen Menschen ist unter spirituellen Aspiranten meist größer als die Identifikation mit Besitz. Wer bin ich? Viele Menschen antworten innerlich darauf: Vater, Mutter, Tochter, Sohn, Partner, Freundin etc. Menschen definieren sich über ihre Rollen im Umgang mit anderen. Aus Identifikation mit der Rolle kommt Verhaftung an den Menschen aus der Verhaftung kommen Erwartungen an den anderen Menschen. Da andere diese Erwartungen nicht erfüllen, kommen Konflikte, Enttäuschungen und Leid. So gibt es drei Arten von Identifikationen und Verhaftungen:

  • Verhaftung an den Menschen
  • Verhaftung an das Bild das man vom anderen hat
  • Verhaftung an die Erwartungen an den anderen
Mädchen mit Pusteblume.jpg

Aus diesen Verhaftungen kommt Egoismus. Der andere ist einem insoweit lieb, als er das eigene Ego in Form von Erwartungen und Wünschen befriedigt. Aus solchen Ego-bezogenen Beziehungen entsteht Leid:

  • Jeder hat sein eigenes Karma. Beziehungen sind nicht immer von Dauer: Menschen sterben. Kinder gehen aus dem Haus. Auch der beste Freund kann mal umziehen bzw. nach der Heirat weniger zur Verfügung stehen. Partner können sich neu verlieben.
  • Menschen sind anders als das Bild, das man von ihnen hat. Menschen verändern sich.
  • Menschen erfüllen nicht die Erwartungen, die man an sie hat

Verhaftungslosigkeit und Liebe im Umgang mit anderen hieße:

  • Erkenntnis, dass jeder sein eigenes Karma hat. Beziehungen sind vorübergehend. Spätestens mit dem Tod endet die Beziehung. Auch wenn man sich in einem anderen Leben wieder zusammen inkarnieren mag, kann die Beziehung ganz anders sein: Die Mutter vom früheren Leben kann jetzt die Tochter sein. Der Ehemann von diesem Leben kann im nächsten Leben der Arbeitgeber sein. Da laut der indischen Karmalehre jeder schon millionenfach gelebt hat, kann man sogar sagen: Jeder, den du siehst, war schon mal dein Vater. Jeder, den du siehst war schon mal deine Mutter. Jeder den du siehst war schon mal dein Kind, dein Geliebter, deine Geliebte...
  • Innere Akzeptanz, dass Menschen anders sind als das Bild, das man von ihnen hat. Neugier auf den anderen. Freude daran, den anderen immer mehr kennen zu lernen und seine Entwicklung begleiten zu können
  • Bewusstsein, dass jeder ein eigenständiger Mensch ist, der sein eigenes Karma und Dharma hat und dass man selbst unabhängig von konkreten Personen ist
  • Liebe zum anderen ohne Erwartungen und ohne Verhaftung, im Bewusstsein, dass in der Liebe die Seele des einen die Seele des anderen berührt. In der Liebe leuchtet das wahre Selbst, das Göttliche, auf.

Bin ich der Körper?

Wer bin ich? Bin ich der Körper? Bin ich groß, klein, dick, dünn, hellhäutig, dunkelhäutig, jung, alt, gesund, krank?

Die Subjekt-Objekt-Analyse sagt: Du bist der Wahrnehmende, nicht das Wahrgenommene. Du kannst deinen Körper wahrnehmen, du kannst deinen Körper bewegen, du kannst durch deinen Körper wahrnehmen. Du hast zwar einen gewissen Einfluss auf den Körper. Aber du erleidest auch die Veränderungen des physischen Körpers. Daher: Du bist nicht der physische Körper.

Die Analogie eines Raumanzugs

Angenommen, Menschen wollen den Mars bewohnen. Dann bräuchten sie Raumanzüge. Jetzt nehmen wir an, es würden nahezu perfekte Raumanzüge dafür entwickelt: Die Raumanzüge geben die Temperatur weiter, allerdings in einem Spektrum, mit dem der Mensch zurechtkommt. So kann der Mensch durch den Raumanzug seine Umgebung fühlen. Der Raumanzug hat einen Filter für die Luft - so kann der Mensch die Luft atmen und auch riechen.

Der Raumanzug hat eine Art Vorverdau-Apparat, sodass der Mensch auch Marsnahrung essen kann. Der Raumanzug ist dabei so sensibel, dass Menschen sich berühren, umarmen etc. kann. Auch Ausscheidung und Geschlechtsverkehr funktionieren. Und der Raumanzug regeneriert sich selbst, muss nie abgenommen werden. Man muss sich zwar um den Raumanzug kümmern. Aber grundsätzlich regeneriert und repariert sich der Raumanzug selbst. Er wird dem Menschen als Baby angepasst - und verbleibt bis zum Tode. Der Raumanzug signalisiert dem Menschen, wenn er reparaturbedürftig ist, durch Schmerzen. Was würde passieren? Der Mensch würde sich mit seinem Raumanzug identifizieren. Er würde denken, dass er der Raumanzug ist.

So ist dieser Körper in Wahrheit der Raumanzug, den wir für Leben auf dieser Erde bekommen haben. In Wahrheit bist du unsterbliche Seele. Um Erfahrungen auf dieser Erde zu machen, dein Dharma zu erfüllen und dich spirituell zu entwickeln, erhältst du den für die Erde geeigneten Raumanzug, genannt "menschlicher Körper". Sei dankbar für diesen wunderbaren Körper. Sei dir aber bewusst: Du bist nicht der Körper. Der Körper ist Alter, Krankheit und Tod unterworfen. Du hast einen gewissen Einfluss auf den Körper - aber irgendwann wirst du ihn verlassen.

Out-of-Body-Experiences und Nahtoderfahrung

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Indizien, dass du nicht der Körper bist, sind Erfahrungen außerhalb des Körpers. Dazu gehören die Nahtoderfahrung und die Out of Body Experience:

  • In der Nahtoderfahrung ist der Erlebende klinisch tot. Er hat aber Erfahrungen, sieht seinen Körper von oben, kann z.T. sogar die Gespräche der Ärzte und der Verwandten im Warteraum hören und anschließend wiedergeben. Bewusstsein und Wahrnehmung sind also auch ohne physischen Körper und Sinne möglich
  • Out-of-Body-Experience (OOB):In der Meditation, in der Tiefenentspannung, manchmal auch nach Unfällen, nach Konsum von Drogen, ist es möglich, seinen Körper zu verlassen, das Körperbewusstsein zu verlieren. Du kannst deinen Körper von oben sehen - oder dich ganz als vom Körper gelöst spüren. Du kannst schweben, Dinge sehen und hören, deren Existenz du nachher verifizieren kannst. Wenn du einmal in der Meditation oder Tiefenentspannung auf Astralreise gegangen bist, weißt du: Ich bin nicht der Körper. Ich existiere auch ohne physischen Körper

Traum und Körper

Jede Nacht träumst du. Im Traum verlierst du das Bewusstsein des Wachzustands-Körpers. Du identifizierst dich mit deinem Traumzustands-Körper. Im Wachzustand mag dein Körper Schmerzen haben. Dein Traumzustands-Körper kann gesund sein. Dein Bewusstsein ist das gleiche, im Wachzustandskörper und im Traumzustandskörper. So erfährst du ständig wechselnde Körper. Bewusstsein ist das gleiche, ob im Wachzustand, Traumzustand oder Tiefschlaf.

Unfälle und Krankheiten

Der Körper ist Veränderungen, Krankheit, Alter und Tod unterworfen. Wenn du dich mit dem Körper identifizierst, führt das zum Leiden: Der Körper ist nicht so, wie du es gerne hättest. Und er wird sich anders entwickeln, als du es gerne hättest. Verhaftung an den Körper und Verhaftung an das Bild des Körpers und ein Idealbild deines Körpers führen zu Spannungen, Stress, Enttäuschung und Leid.

Akzeptiere: Der Körper ist Veränderungen unterworfen. Du bleibst gleich. Manche verlieren sogar Teile ihres Körpers in Unfällen. Auch jemand, der einen Arm verloren hat, ist weiterhin ein vollständiger Mensch.

Transplantation und Körper

Heutzutage können Körperteile ausgetauscht/ersetzt werden. Du kannst eine künstliche Nase erhalten. Dein Blut kann ausgetauscht werden. Du kannst das Herz eines Unfalltoten transplantiert bekommen. Du kannst künstliche Herzklappen erhalten. Du selbst bleibst inmitten aller Veränderungen der gleiche.

Verhaftungsloser Umgang mit dem Körper

Kümmere dich um den Körper - aber sei nicht an ihn verhaftet. Gerade indem du weißt, ich bin nicht der Körper, kannst du sorgsam mit dem Körper umgehen: Gib dem Körper was er braucht: Gesunde Nahrung, Wasser, Bewegung, Entspannung, Erholung, Herausforderung. Nutze den Körper für Erfahrungen, Lernen und Dienen. Sei dankbar für den Körper. Und ziehe dein Bewusstsein in den spirituellen Praktiken weg von der Identifikation mit dem Körper.

Im Yoga tust du so viel für deinen Körper. Trotzdem bist du nicht der Körper. Der Körper ist Fahrzeug, ist Instrument. Pflege ihn, nutze ihn. Erkenne seine Beschränkungen an. Und löse dich vom Körper immer wieder - durch Meditation und spirituelle Selbstbefragung: Wer bin ich?

Bin ich Prana, Gedanken und Emotionen?

Wer bin ich? Bin ich das Prana (die Lebensnergien), bin ich die Gedanken, bin ich die Emotionen?

Die Subjekt-Objekt-Analyse sagt:

  • Ich kann die Lebensenergien, das Prana wahrnehmen. Ich bin nicht das Prana, ich bin der Beobachter
  • Ich kann das Auftauchen und Verschwinden der Emotionen wahrnehmen. Ich kann den Ort der Emotionen lokalisieren. Ich bin nicht die Emotionen, ich bin der Beobachter
  • Ich kann das Spiel der Gedanken wahrnehmen. Gedanken kommen und gehen. Ich bin nicht die Gedanken, ich bin der Beobachter

Du hast einen gewissen Einfluss auf Prana, Emotionen, Gedanken. Zum großen Teil sind Prana, Emotionen und Gedanken jenseits deiner Kontrolle. Im Yoga lernst du, dein Prana zu erhöhen und in Harmonie zu bringen. Du lernst, mehr Freude und Liebe zu empfinden. Du lernst, gut mit deinen Emotionen umzugehen. Du lernst, wie du geschickter mit deinen Gedanken umgehen kannst, dein Denken positiver machen kannst. Du lernst, die Kraft deiner Gedanken zu stärken und zu nutzen. Aber so wenig wie du dein Kochgeschirr oder dein Telefon bist, so wenig bist du Prana, Emotionen und Gedanken.

Besonders in der Meditation kannst du humorvoll das Spiel deiner Gedanken und Gefühle wahrnehmen. Du kannst auch das Spiel deiner Gedanken und Gefühle verlassen und dich als unendliches Bewusstsein erleben.

Bin ich Persönlichkeit, Charakter?

Gedanken und Gefühle mögen sich ändern. Persönlichkeit, Temperament und Charakter scheinen beständiger zu sein. Wer bin ich? Bin ich Künstler, Intellektueller, Handwerker, Musiker? Bin ich Melancholiker, mitfühlend, Sternzeichen Fische?

Nein, du bist auch nicht Persönlichkeit, Charakter. Auch Persönlichkeit, Charakter können sich ändern: Sie ändern sich im Lauf der Zeit von selbst. Starke Erfahrungen können Persönlichkeit und Charakter verändern. Und du als Aspirant kannst bewusst Persönlichkeit und Charakter ändern.

Wer bin ich?

Swami Sivananda

- Auszug aus dem Buch "Die ersten Stufen des Yoga" von Swami Sivananda -

I.

1. Wir leben in einer Welt der Verschiedenheiten. Jeder hat einen anderen Intellekt und ein anderes Gesicht. Die Religionen sind verschieden. Die Töne sind verschieden. Die Glaubenshaltungen sind verschieden. Die Farben sind verschieden. Fähigkeiten, Geschmack und Temperamente sind verschieden.. Aber eines ist allen gemeinsam: jeder von uns wünscht sich ewige Glückseligkeit (Nitya Suklha), unendliche Erkenntnis, Unsterblichkeit, Freiheit und Unabhängigkeit. Das alles kann man nur durch Erkenntnis des Selbst erlangen.
2. Jeder wünscht sich ewige Glückseligkeit, in die sich keine Sorge und kein Leid mischen. Alle unsere Bemühungen dienen nur diesem Ziel. Aber man kennt nicht den Ansatzpunkt, von dem aus man zu dieser höchsten Seligkeit gelangt. Wenn du höchste Seligkeit genießen willst, mußt du das Selbst verwirklichen oder Atma erkennen. Das beste Mittel, um diese Erkenntnis zu gewinnen, ist die forschende Frage: Wer bin ich? In dieser Frage ist die Macht verborgen, welche unser Bewußtsein beruhigen und es dadurch befähigen kann, diesen Ozean des irdischen Lebens (Samsara) zu überqueren. Das erfordert freilich einen verfeinerten, scharfen, reinen Intellekt, kühnes Verständnis und gigantischen Willen. Die Vedantamethode oder Erforschung des Selbst oder Atma (Atma Vichara) verlangt, daß man der Frage nachgeht: Wer bin ich?
3. Dieser allgemeine Begriff ICH, den jedermann vom lallenden Säugling bis zum geschwätzigen Greis jeden Augenblick seines Lebens zungenfertig ausspricht und voll Hochgefühls genießt, muß ganz genau und gründlich untersucht werden.

II.

1. Dieser physische Körper oder Sthula Sarira ist jedenfalls nicht dieses ICH. Er ist ein Erzeugnis unserer Nahrung. Er ist die materielle Hülle. Man nennt ihn deshalb Nahrungshülle oder Annamaya Kosha. Er lebt von der Nahrung und stirbt, wenn er keine mehr erhält. Er ist aus sieben Bestandteilen oder Dhatus oder fünf Elementen zusammengesetzt. Er ist eine Verbindung von Haut, Fleisch, Fett, Knochen, Mark, Blut und einer Menge schmutziger Bestandteile.
2. Der Körper existiert noch nicht vor der Geburt und nicht mehr nach dem Tode. Er währt nur in der kurzen Zwischenzeit. Er ist ein Übergang. Er wandelt sich dturdi Kindheit, Jugend und Alter. Es sind sechs Wandlungen (Shad Vikaras): Existenz, Geburt, Wachstum, Veränderung, Verblühen, Tod. Der Körper ist nicht von einheitlichem Wesen, sondern vielfältig, stumpf oder gefühllos (Jada). Er ist ein Gegenstand unserer Wahrnehmung wie ein Tisch oder ein Stuhl. Man lebt weiter, auch wenn man Hand oder Bein verloren hat.
3. Wie könnte der Körper, dieses Bündel von Fleisch, Knochen, Fett und Kot, das selbstseiende, ewig reine Atma sein, der wissende, der schweigende Zeuge der Wandlungen, welche im Körper und allen Dingen stattfinden, der innere Herr von allem? Daß Atma gewißlich etwas anderes ist, als der Körper, als seine Eigenschaften, Tätigkeiten und Zustände, ist selbstverständlich und bedarf keines Beweises.
4. Dieser vergängliche Körper ist nicht das ICH. Sobald die kosmische Energie (Prana) aus dem Körper geschieden ist, liegt er reglos da wie ein Holzklotz. Er verwest und löst sich auf. Er kann sich nicht mehr bewegen und nicht mehr reden. Audi im Traum oder Schlafzustand liegt der Körper wie ein Holzklotz im Bett. Selbst wenn das Bein amputiert ist, ist das ICH immer noch da. Der Körper verändert sich dauernd. Er ist gefühllos (Jada). Er hat einen Anfang und ein Ende. Er ist das Ergebnis von Karma, eine Wirkung des Nichtwissens (Avidya). Er ist eine Erscheinungsform der Vergänglichkeit (Tamo Gu-na). Er ist ein Gegenstand, den man mit den physischen Sinnen wahrnehmen kann (Drishya) . Er hat eine Ursache. Man sagt doch immer: Mein Körper. Das besagt, daß du etwas von dei¬nem Körper verschiedenes bist und daß der Körper dein Werk¬zeug ist. Das besagt, daß der Körper dein Eigentum und daß der Besitzer des Körpers von ihm verschieden ist. Du hältst ihn, wie du einen Spazierstock in der Hand hältst. Im Westen haben Okkultisten ihre vorn physischen Körper unabhängige Existenz demonstriert, indem sie den Astralleib vom physischen Leibe trennten und den Anwesenden zeigten. Im Traum wirkst du durch den Astralleib ohne Beziehung zu dem aus Fleisch gebauten Körper. Sri Shankara, Hastamalaka und Vikramaditya hatten sich von ihrem physischen Leibe getrennt und waren in andere Körper eingegangen. Diese Fähigkeit eines Yogi, in andere Körper einzugehen, heißt Parakaya Pravesha. Geister materialisieren sich. Man hat schon mehrmals solche Geister fotografiert. Sie bemächtigen sich eines Mediums und verschreiben Arzeneien wie ein Arzt in einer englischen Klinik. Sie schreiben auf der Maschine und bezeugen sich auch sonst auf verschiedene Weise. Diese Beispiele beweisen, daß du etwas von deinem physischen Körper ganz verschiedenes bist und ihn nur irrtümlich für das wirkliche Ich hältst, das immer rein, alldurchdringend, selbstseiend, selbstleuchtend und in sich selbst beruhend ist. Es kennt weder Anfang noch Ende noch Mitte, ist unveränderlich, jenseits von Zeit, Raum und Ursache, es existiert in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (Sat, Sat-ta-samanya, Chit samanya).
5. Der Yogi Sadasiva Brahman aus Karur im Trichinopolis Distrikt, der Verfasser von Adwaitamanjari und einer Glosse (Vritti) über die Brahma Sutras, bewies wie auch Mansoor, Shams Tabriez, die sufistischen Fakire von Multan unmittelbar, daß ihr Wesen etwas vom Körper verschiedenes sei. Ein Nawab hieb Sadasiva Brahman eine Hand ab. Das machte nicht den geringsten Eindruck auf ihn, da er in Brahman oder dem Höchsten Selbst weilte. Er ging lachend davon. Als man Mansoor die Haut abzog verriet er keinen Schmerz. Er sagte nur: „Analhaq", was dem Hinduwort Soham (Ich bin ER) entspricht. Jeder Blutstropfen, der auf die Erde fiel, erzeugte den Laut Analhaq. Also der Körper ist nicht mein Ich. Der Körper gleicht der Schale einer Kokosnuß. Er ist ein Haus, in dem der Atman wohnt.
6. ICH bin also nicht der Körper. Wie kann man überhaupt den Begriff ICH auf den Körper anwenden, der träge und unwissend ist? Wenn der Körper die Seele ist, müßten deine Hoffnungen und Erwartungen zunehmen, oder abnehmen, so-bald infolge von Gesundheit oder Krankheit die Körperkräfte zunehmen oder abnehmen. So ist es aber nicht. Selbst wenn du schon im Sterben liegst, hört dein Hoffen nicht auf. Du hoffst immer noch, wieder gesund zu werden. Du möchtest dich nicht von Hab und Gut trennen. Das weist ganz eindeutig darauf hin, daß die im Körper wohnende Seele etwas wesentlich von ihm verschiedenes ist. Sie endet nicht, wenn der Körper vergeht.
7. Du sagst: „Ich bin ein Brahmane. Ich bin ein Hausvater. Ich bin ein Hindu. Ich bin ein Raja. Ich bin ein Arzt." Das be-weist ganz eindeutig, daß Ich eine besondere Wesenheit ist. Brahmane, Hausvater, Hindu, Raja, Arzt sind verschiedene erläuternde Attribute. Wie kann ICH ein Brahmane oder ein Hausvater sein? Ich ist eines, Brahmane etwas ganz anderes. ICH BIN gibt uns den Schlüssel zur Existenz des wirklich un-sterblichen Selbst oder Atma. Alle Attribute werden nur durch Unwissenheit diesem ICH BIN zugeschrieben. Jedermann hat das angeborene Gefühl: Ich bin. Aham Asmi. Man kann sich nicht vorstellen, daß man völlig nichts sei. Kein Mensch hat das Gefühl: Ich bin nicht, oder ich existiere nicht. ,Ich bin' ist im-mer unveränderlich, konstant. Nur der Körper verändert sich dauernd. Er leuchtet nicht aus sich selbst. Er leuchtet nur mit dem Licht des ICH BIN. Er erscheint im Wachzustand (Ja-grat) und verschwindet im Schlaf.
8. Nur der Törichte meint, er sei der Körper. Der Buchgelehrte hält sich für eine Verbindung von Körper, Geist und Seele. Ein Weiser jedoch, der Selbstverwirklichung erlangte, weiß, daß er etwas vom Körper verschiedenes ist. Er sieht im ewigen unsterblichen Atma sein eigenes Selbst und fühlt: Ich bin Bralhman.
9. Du kannst sämtliche Vedanta Sutras und die Upanishaden auswendig gelernt haben — und doch gibt es für dich keine Hoffnung auf Erlösung, solange du dich mit dem physischen Körper gleichsetzest und nicht Erkenntnis des Selbst erlangst.
10. Die Identifizierung des ICH mit dem Körper verursacht die Fesselung. Nachdem aber die kleine Ichvorstellung schwand, schaut das Bewußtsein alle Dinge gleich. Nachdem diese Ichvorstellung, welche die Quelle aller Leiden, die Saat für Geburt und Tod ist, durch Selbsterkenntnis (Arma Gyana) oder die Untersuchung: Wer bin ich? vernichtet ist, wird eben diese selbe Vernichtung der Ausgangspunkt für den makellosen Zustand der völligen Befreiung schon in dieser Welt (Jivanmukti).
11. 0h törichter Mensch! Setze dich doch nicht gleich mit diesem Bündel von Fleisch, Fett, Knochen, Haut, Blut und Kot. Vernichte doch diese starke Täuschung. Die Identifizierung mit dem Körper ist die eigentliche Ursache aller menschlichen Leiden und von Geburt und Tod mit allen schlimmen Begleiterscheinungen. Wenn du auf diese Identifizierung verzichtest, wirst du von dem Kreislauf der Geburten und Tode befreit. Identifiziere dich mit dem selbstleuchtenden Atman, dem Selbst in allem, dem inneren Herrn aller Wesen und erlange so ewige Seligkeit und höchsten Frieden.

Wer bin ich?

Satchidananda (Sein, Wissen und Glückseligkeit) ist das Einzige, was wir jederzeit sind. Im Alltag nehmen wir verschiedene Rollen ein, die wir nicht wirklich sind. Wir sind, waren und werden immer Satchidananda sein. „Sat“ heißt absolutes Sein, „Chid“ ist Bewusstsein und „Ananda“ bedeutet Wonne. „Sat“ sein bedeutet: „Ich bin“. Alles, was nach „ich bin“ kommt, sind Attribute, die vergänglich sind. Sie haben keine absolute Wirklichkeit, sondern sind vorübergehend. Ich bin groß, klein, dick, dünn, jung, alt - all das sind Attribute und Identifikationen.

Subjekt - Objekt Beziehung

Viele kennen die Subjekt-Objekt Beziehung. Das Subjekt nimmt wahr und das Objekt ist das, was wahrgenommen wird. Ich bin das Subjekt, denn ich nehme wahr. Ich bin nicht meine Kleidung, denn ich kann sie wahrnehmen und ich kann sie wechseln. Bin ich mein Körper? Nein, ich bin nicht mein Körper. Der Körper verändert sich und geht durch verschiedene Zustände hindurch, aber das „Ich“ bleibt gleich.

Bin ich die Gedanken? Die Gedanken kommen und gehen. Bin ich die Emotionen, die Gefühle? Die Emotionen und Gefühle kommen und gehen. Gefühle sind auch wahrnehmbar. Wenn man sich ärgert, kann man sich fragen, wo im Körper der Ärger spürbar ist. Ich kann mich mit den Gefühlen identifizieren, was das Leben intensivieren und abenteuerlich gestalten kann, aber ich bin nicht meine Gefühle, zumindest nicht dauerhaft.

Bin ich die Persönlichkeit? Vieles, mit dem man sich identifiziert ändert sich im Laufe der Zeit. Als Jugendlicher habe ich mal gesagt: „Ich bin mehr geistig interessiert, ich bin kein Techniker.“ Ich gehöre noch zu der Generation, in der es gelingen konnte, ein Betriebswirtschaftsstudium, ohne einen Computer auch nur zu berühren, zu absolvieren. Da war ich ganz stolz darauf. Und irgendwann sagte mein Lehrer, Swami Vishnudevananda, ich solle Computer lieben lernen. Dann habe ich festgestellt, dass ich eine Ader dafür habe und gar nicht so schlecht in technischen Dingen bin. Die Persönlichkeit verändert sich.

Die Analogie eines Raumanzugs

Wenn Menschen den Mars bewohnen wollten, bräuchten sie Raumanzüge. Jetzt nehmen wir an, es würden nahezu perfekte Raumanzüge dafür entwickelt werden: Die Raumanzüge geben die Temperatur weiter, allerdings in einem Spektrum, mit dem der Mensch zurechtkommt. So kann der Mensch durch den Raumanzug seine Umgebung fühlen. Der Raumanzug hat einen Filter für die Luft - so kann der Mensch die Luft atmen und auch riechen. Der Raumanzug hat eine Art Vorverdauapparat, sodass der Mensch auch Marsnahrung essen kann.

Der Raumanzug ist dabei so sensibel, dass Menschen sich berühren und umarmen können. Auch Ausscheidung und Geschlechtsverkehr funktionieren. Der Raumanzug regeneriert sich selbst und muss nie abgenommen werden. Man muss sich zwar um den Raumanzug kümmern, aber grundsätzlich regeneriert und repariert er sich selbst. Er wird dem Baby angepasst und verbleibt bis zum Tode. Der Raumanzug signalisiert dem Menschen durch Schmerzen, wenn er reparaturbedürftig ist.

Der Mensch würde sich mit seinem Raumanzug identifizieren. Er würde denken, dass er der Raumanzug ist. So ist dieser Körper in Wahrheit der Raumanzug, den wir für das Leben auf dieser Erde bekommen haben. In Wahrheit bist du die unsterbliche Seele. Um Erfahrungen auf dieser Erde zu machen, dein Dharma zu erfüllen und dich spirituell zu entwickeln, erhältst du den für die Erde geeigneten Raumanzug, genannt „menschlicher Körper“.

Sei dankbar für diesen wunderbaren Körper. Sei dir aber bewusst: Du bist nicht der Körper. Der Körper ist Alter, Krankheit und Tod unterworfen. Du hast einen gewissen Einfluss auf den Körper - aber irgendwann wirst du ihn verlassen.

Bin ich mein Besitz?

Diese Frage ist leicht zu beantworten: Natürlich bin ich nicht mein Besitz... Dem würde vermutlich jeder zustimmen. Intuitiv weißt du, dass du mehr bist. Wenn du aber in materiellen Identifikationen gefangen bist, wirst du immer mehr Besitz anhäufen wollen, um das „ich“ größer erscheinen zu lassen.

Wie überwinde ich die Identifikation und ihre Folgen? Erkenne, dass du nicht dein Besitz bist. Du bist nicht beschränkt auf das, was du hast. Eigentlich gehört dir gar nichts. Alles, was du besitzt ist eine Leihgabe von unbekannter Leihdauer. Alles kann dir jederzeit genommen werden. Wenn du erkannt hast, dass alles in Parinama (ständige Veränderung) ist, fällt es dir leicht, dein Glück von äußeren Objekten unabhängiger zu machen.

Dir werden Dinge anvertraut, sodass du dich an ihnen erfreuen kannst, mit ihnen einiges bewirken und Erfahrungen machen kannst. Wenn ihr Zweck sich erfüllt hat, werden sie dir wieder genommen. Du hast einen gewissen Einfluss auf die Objekte und eine gewisse Verantwortung. Aber dir gehört nichts. Sei daher dankbar für das, was dir anvertraut wurde. Lächle über das Konzept des „Eigentums“, welches als gesellschaftliche Konvention existiert und fühle dich frei.

Geschichte von Janaka und Ashtavakra

Eine alte Geschichte verdeutlicht, wie ein spiritueller Aspirant mit seinem scheinbaren Besitz umgehen kann: Der junge König Janaka ging zu dem Weisen Ashtavakra in die Lehre. Er lernte spirituelle Praktiken, die Bedeutung der Schriften, alles über spirituelles Leben. Im alten Indien war es üblich, dass ein Schüler seinem Guru (Lehrer) am Ende seiner Lehrzeit ein Dakshina (Gabe) überreichte.

Janaka fragte seinen Guru, was er ihm als Lehrgeld (Dakshina) geben könne. Ashtavakra fragte Janaka: „Ich kann mir alles wünschen?“ Janaka: „Ja, soweit es in meiner Macht steht“, sagte Ashtavakra. „Dann überschreibe mir das Königreich“. So unterschrieb Janaka die Abdankungsurkunde und die Ernennungsurkunde Ernennungsurkunde von Ashtavakra zum König. Dann sagte Ashtavakra:

„So, jetzt gehe zurück in die Hauptstadt des Königreiches. Regiere das Königreich für mich, so als ob es dein Königreich wäre. Sage niemandem, dass du mir das Königreich überschrieben hast. Regiere gut, gerecht und geschickt. Genieße das Leben eines Königs und diene anderen. Aber wisse: Ich habe die Abdankungsurkunde in meiner Hand. In jedem Moment kann ich kommen und mein Königreich selbst regieren.“

So kehrte Janaka zurück in das Königreich. Nach außen tat er so, als ob er der König sei. Im Inneren wusste er, dass er das Königreich für seinen Guru regierte. So war er verhaftungslos. Er erfüllte sein Dharma (Pflicht) als Regierender, so gut er konnte. Und er erreichte Samadhi, die Gottverwirklichung. So kannst auch du leben: Aus gesellschaftlichen Gründen kannst du so tun, als ob du Besitz hättest.

Im Inneren weißt du, dass alles Gott gehört, und dass dir dein scheinbarer Besitz nur vorübergehend anvertraut ist. Du gehst mit dem scheinbaren Besitz sorgsam um - denn er gehört ja Gott. Du erfüllst deine Aufgaben, lernst Lektionen, machst Erfahrungen, entwickelst dich spirituell. Indem du alles als Besitz Gottes erkennst und Vertrauen in das Wirken Gottes hast, kannst du verhaftungslos, engagiert und glücklich leben.

Die Kraft aus dem „Inneren Selbst“

„Ich bin Satchidananda“. Wenn wir das verwirklicht haben, bekommen wir eine große Kraft. Wenn wir regelmäßig meditieren, können wir diese in der Meditation fühlen. Auch wenn an einem Tag etwas furchtbar schief gegangen sein mag, gehen wir in die Meditation und lösen uns von Körper, Emotionen und Gedanken. Wir kehren zu diesem Teil in uns zurück, der wir wirklich sind, Satchidananda. Es ist immer zugänglich, es ist reines Sein, verbunden mit dem Unendlichen, es ist bewusst und es ist Freude.

Diese Freude hängt nicht von irgendetwas ab. Äußere Freude ist nur beschränkt beeinflussbar. Wenn wir aber Satchidananda erfahren und lernen, dass unsere wahre Natur Sein, Wissen und Glückseligkeit ist, was auch immer geschieht, dann haben wir eine Festigkeit, eine Sicherheit, aus der heraus wir alles tun können. Wenn die Sicherheit noch nicht ganz so fest gegründet ist, dann kann man sagen:

„Ich weiß es, ich vertraue dem und ich bitte Gott, mir dies zu zeigen.“ Wenn man früher in Indien in einen Ashram zu einem Guru gegangen ist, dann wurde man getestet und geprüft. Der Guru hat alles Mögliche schwierig gemacht. Danach musste man dienen und nach Möglichkeit hat man die Dinge zu tun bekommen, die man überhaupt nicht mochte. Swami Vishnudevananda sollte, obwohl er noch nie in seinem Leben Wäsche gewaschen hatte, die schmutzige Wäsche der Gäste am Ganges waschen.

Wenn ihr in den Ashram kommt, geht es nicht darum, nur an Programmen teilzunehmen. Es geht darum, die Lehren umzusetzen, wenn ihr spirituell wachsen wollt, z.B. dienen, d.h. etwas zu tun, ohne etwas dafür zurückzubekommen. Wenn ihr euch darüber ärgert, dass jemand euch nicht dankt, dann ist es kein reines Dienen. Das Dienen sollte nicht mit Erwartungen verknüpft sein. Immer wieder gilt es zu überlegen, ob du dienst oder arbeitest. Manchmal frage ich: „Dienst du schon oder arbeitest du noch?“ Im Dienen wächst man spirituell.

Dienen mit Liebe

Auch wenn man eine eigene Yogaschule hat, kann man überlegen, ob man sie leitet, um Geld zu verdienen oder um zu dienen. Natürlich braucht der Körper auch etwas, um sich zu erhalten, man muss auch die Räume schön gestalten, auch die Kinder brauchen etwas. Das gehört alles dazu. Wenn man aber nur Kurse gibt, weil sie Geld bringen, dann kommt man spirituell nicht weiter.

Wenn man angefangen hat zu dienen, beginnt man, Liebe hineinzubringen, indem man sich mit dem Meister verbindet, an Gott denkt, betet, vom Herzen her das Herz des anderen fühlt oder sich in andere Menschen hineinversetzt. Wir können Liebe entfalten und das, was wir tun, mit Liebe tun. Oft ist es so, dass Menschen anfangen mit Liebe zu dienen und irgendwann die Liebe weggeht. Dann gilt es, die Liebe wieder in das Dienen hineinzubringen.

Unsere Lehrmeister und die karmische Entwicklung Die Menschen um uns herum sind so, wie wir es für unsere Entwicklung benötigen. Die Situationen sind so, wie sie für unsere karmische Entwicklung notwendig sind. Ein Aspirant, der keinen persönlichen Guru hat, sollte sich über jeden freuen, der ihn kritisiert oder so tut, als ob er sein Gegner wäre.

Die Aufgabe des persönlichen Gurus ist es, den Schüler von seiner Ego-Identifikation zu befreien. Gott und Guru sind nicht wirklich voneinander verschieden. Wer sich dem Meister anheimgibt und seine Gnade gewinnt, wird Erlösung finden und nicht verloren sein. Nur muss der Schüler den Weg, den ihm der Guru weist, gehen, ohne zu fragen. Sich Gott anheimgeben, ist das Gleiche, wie sich auf das Selbst zu konzentrieren und keinen anderen Gedanken dabei aufkommen zu lassen. Legt man alle Last auf Gott, dann trägt Gott alle Lasten auf seinen Schultern.

Sein ist die höchste Kraft, die alle Dinge der Welt leitet. Was grübeln wir und quälen uns, ob wir dies oder das tun sollen, anstatt uns Gott anheimzugeben? Wer mit der Bahn fährt, trägt seinen Koffer nicht mit sich herum, sondern legt ihn ab und sitzt bequem. Wenn wir keinen persönlichen Guru haben, dann brauchen wir andere Menschen, die uns helfen, uns von unseren Ego-Identifikationen zu befreien.

Wir können ihnen dankbar sein. Sie sind unsere Gurus und großen Lehrmeister. Sie führen uns schließlich dazu, dass wir unser „Selbst“ verwirklichen. Was auch immer geschieht, was auch immer passiert, meine wahre Natur bleibt Sein, Wissen, Glückseligkeit - Satchidananda.

Shankara über Wer bin ich ?

- Ein Artikel aus dem Yoga Vidya Journal Nr. 39 Herbst 2019 von Chandra Cohen, übersetzt von Ruth Gaßmann -

Shankaracharya

Shankaras Einleitung zu den Brahma Sutras

„Alle Texte des Vedanta haben zum Ziel die Überlagerung (adhyasa), die Wurzel allen Übels (anartha heto), komplett zu zerstören um die Erkenntnis der Einheit des Selbst zu erlangen“.

In dieser Aussage von Shankaracharya in der Einleitung der Brahma Sutras geht es darum, saariraka mimimsa, die Natur des Körpers, zu hinterfragen. Die Brahma Sutras formen zusammen mit der Bhagavad Gita und den Upanishaden eine Triade. Alle Traditionen des [1] sind auf dieser Triade begründet. Shankaras Advaita Vedanta Schule ist die Ursprungsschule des Vedanta. Shankaras Kommentare über diese Triade repräsentieren die bahnbrechende Lehre der Nicht-Dualität beziehungsweise atmaikatva vidya oder die Einheit des Selbst wie in den Upanishaden offenbart (sruti)*. In dieser Lehre geht es um die Einheit des Selbst (atmaikatva Vidya), die durch gründliches Verständnis der Unterscheidungskraft, die das Böse (anartha) durch Beseitigung der Ursachen (hetu) zerstört. Diese Ursache liegt in der Überlagerung begründet.

Es folgen die Kernaussagen dieser bahnbrechenden Lehre:

Wir sind das Subjekt, alles andere sind wahrnehmbare Objekte “Es gilt als Tatsache (siddhāyām), daß Objekt und Subjekt (vișaya vișayi) sich voneinander unterscheiden (viruddha svabhāva). Es ist unlogisch (mithya), aber wir halten irrtümlicherweise das Eine für das Andere.“

Das Subjekt ist, was wir wirklich sind, das Subjekt aller Erfahrungen. Das Objekt ist alles, was wir wahrnehmen oder wissen. Wir nehmen den Körper in seinen Charakteristiken wahr: jung/ alt, Deutscher/Amerikaner, männlich/weiblich und so weiter. Auch den Geist nehmen wir als veränderlich wahr: wütend, fröhlich, traurig, müde, energisch und so weiter. Die wahre Natur des Subjekts ist Bewusstsein und immer gegenwärtig, die Natur des Objekts ständiger Wandel. Das Subjekt kann kein Objekt sein und das Objekt nicht das Subjekt. Wir verwechseln sie trotzdem und denken, das Objekt sei das Subjekt: Ich bin alt, ich bin Amerikaner, ich bin fröhlich, ich bin müde und so weiter.

Siddhayam-Shankara sagt, dass Subjekt und Objekt unterschiedlich voneinander sind, so wie Dunkelheit sich von Licht unterscheidet. Das Subjekt ist unser immerwährendes unbestrittenes Bewusstsein. Das Objekt ist alles, was dieses Subjekt erfahren kann, entweder körperlich oder geistig.

  • Visaya-visayi = Dualität- es gibt nur ein Subjekt, aber unzählige Objekte.
  • Viruddha svabhava = Das Subjekt ist das uns innewohnende Selbst. Sich selbst über mentale Konstrukte verstehen zu wollen, ist etwas völlig anderes.
  • Mithya Jnanam = ein Fachbegriff, der Erscheinungen beschreibt, die nicht so existieren, wie sie wahrgenommen werden. Es ist so, als würde man eine Schale am Strand, die die Sonne reflektiert, für Silber halten. Überlagerung ist der Gegensatz von Vernunft, auch wenn es keinen ersichtlichen Widerspruch gibt zu dem, was tatsächlich wahrgenommen wird.

Wer bin ich wirklich?

„Durch die fehlende Unterscheidungskraft (aviveka) über die Eigenschaften und dem Wesen, dem diese Eigenschaften gehören (dharmadharmiṇoḥ) denkt der Mensch (naisargiko) „Das bin ich“ oder „Das gehört mir“ (“ahamidam” “mamedam”). “

Aviveka= Die Schale sieht aus wie Silber, bis wir sie genauer betrachten. Selbstbefragung richtet unseren Blick nach innen, um Fehler, die durch Überlagerung entstanden sind, zu untersuchen. Viveka kommt nur zu denjenigen, deren Geist mit dem Wissen von Lehrer und Schrift angereichert wurde.

Dharma/dharmi = Objekte und ihre Charakteristiken.

In der Taittiriya Upanishad wird gesagt, dass der Körper lediglich modifizierte Nahrung ist. Wir sind sozusagen, was wir essen. Essen ist Materie und hat kein Bewusstsein, aber wir halten uns trotzdem für den Körper. Das Subjekt sieht Essen, wenn es sich im Spiegel betrachtet. Es ist das Essen, das den Körper von einem jungen in einen alten umwandelt. Swami Vishnu-devanandaji sagte: „Wir essen Tomaten, sie werden zu dem, was wir sind und wenn wir dann sterben, essen die Tomaten uns.“

Unser Gehirn ist ebenfalls Essen und so wie jegliche Materie dem mechanischen Verhalten der Partikel, die die Neuronen ausmachen, unterworfen. Muster von Gewohnheiten sind angeheftet an das Gefühl von Selbst und sie begrenzen es. **

Ein Subjekt, das ständig verändernde Gedanken, Gefühle, Wahrnehmungen beobachtet, maßt sich an, das Selbst zu definieren. Ich bin dieser Körper, das ist meine Frau, das ist meine Geschichte. Dieser Transfer der Wirklichkeit auf den Körper/Geist wird Überlagerung genannt.

Naisargika = Unwissenheit, nicht so wie rechtes Wissen, ist bei allen recht natürlich.

Ahamidam/mama idam = Identifikation mit dem Selbst, gleichgesetzt in den Originaltexten mit wirklich und unwirklich. Shankara zeigt uns nun, dass Ursache und Wirkung, verbunden mit dem Gefühl des individuellen Handelns, zusammen mit dem Genießen der Resultate unserer Taten, auch als das Selbst missverstanden werden können. Man identifiziert sich auch mit den Funktionen des Geistes, zum Beispiel sich etwas wünschen, an etwas zweifeln = Ich will, ich zweifle und so weiter. Weil wir nicht wissen, wer wir sind, halten wir uns für das, was wir nicht sind.

Weg von der Unwissenheit zum Wissen

„Diese so definierte Überlagerung nennen Gelehrte (paṇḍitā) Unwissenheit (avidyâ) und die Feststellung der wahren Natur des Selbst durch Unterscheidung (tad vivekena ca vastu svarūpa) nennen sie Wissen“

Pandita = Weise, die die Vedanta Methode kennen

Avidya = bei diesem Begriff sind drei Aspekte zu beachten:

1. Zweifel
2. das Selbst für das Objekt halten
3. Nicht - Wahrnehmung des wahren Selbst (vastu svarūpa).

Tad vivekena ca vastu svarūpa = Unterscheidungskraft, erlernt durch Texte oder Lehrer, kann Zweifel und Irrtümer beseitigen. Letztendlich kann aber nur das Wissen, um das wahre Sein den Trug der Dualität beseitigen.

„Deshalb ist Wissen, welches auf Wahrnehmung und Schriften basiert (pratyakṣā) für diejenigen, die in der Unwissenheit verweilen (avidyāvad).”

Pratyakṣā = Schriften bestreiten letztendlich nicht nur sich selbst, sondern auch die Erkenntnismittel, auf welche Schriften und Wahrnehmung basieren. Die Erkenntnismittel sind die fünf Sinne und der Geist. Sie benötigen eine Person, die etwas weiß, und einen Körper als ihre Basis. Wir haben schon gesehen, dass das ein Irrtum ist. Ohne ahamidam/mama idam würde es keinen Anstoß zum Handeln geben. Avidyāvad = Die Schlussfolgerung ist, dass Wahrnehmung, der Wahrnehmende und das Wahrgenommene auf Unwissenheit und Überlagerung beruhen.

Atmaikatva Vidya - Nicht Dualität

„Wer als Objekt den „ Ich“- Gedanken und die damit zusammenhängenden Aktivitäten (ahaṁ pratyayinam) hat, überlagert auf das innere Selbst alle Veränderungen des Geistes (sarva sākṣiṇaṁ), und umgekehrt wird das innere Selbst (pratyak ātmānaṁ) auf den Geist überlagert.“

Ahaṁ pratyayi = Das Ganze als Teile des Ganzen; alle fragmentierten Definitionen über sich selbst

Pratyak ātmānaṁ = unser inneres Selbst, frei von allen Konzepten

Sarva sākṣiṇaṁ = Um den Beobachter aller Dinge geht es im abschließenden Teil von Shankaras Werk. Der Beobachter ist Bewusstsein und durch Überlagerung erscheint der Geist bewusst. Der Geist jedoch ist ein Objekt des wissenden Subjekts und kann deshalb nicht bewusst sein. Der Geist sieht durch die Augen Objekte, die sich bewegen, mit einem Anfang und einem Ende und hat die Wahl, sie zu sehen oder sich abzuwenden. Aber Bewusstsein ist die wahre Natur des Beobachters, wie die Hitze die Natur des Feuers ist. Man spricht von Beobachter mit Bezug auf das Beobachtete.

Das Selbst verlässt uns nie als das, was wir sind, ob da nun Objekte sind oder ob wir im Tiefschlaf oder Koma sind. Wir gehen nicht durch Erfahrungen, die Erfahrungen gehen durch uns.

Der Schritt vom Beobachter zum atmaikatva Vidya ist subtil und offenbart sich durch Lehrer und Schriften. Wenn die Wahrnehmung, der Wahrnehmende und das, was wahrgenommen wird als Überlagerungen beseitigt werden, dann gibt es keinen Beobachter, weil es nichts zu beobachten gibt. Was bleibt ist Atmaikatva Vidya.

  • Shankaras Kommentar zu den Brahma Sutras ist so zentral in der indischen Weisheitslehre, dass über die Jahre etwa vier Dutzend Unterkommentare entstanden sind.
    • Das Subjekt kann das Objekt in die Wirklichkeit erheben und das sich verändernde Objekt kann das Selbst begrenzen.

Chandra Cohen:
Vereinigt in sich intensive Praxis, jahrelange Schülerschaft (bei Swami Vishnu Devananda und Swami Dayananda) und genaue Kenntnis der Schriften. Lehrbeauftragter für indische Philosophie in New York. Er hat eine sehr humorvolle und dabei sehr klare Weise, dich zu deiner inneren Wahrheit zu führen.

Wer bin ich? Was inkarniert?

Wer bin ich? Das kleine Kätzchen (Körper) oder der Löwe (Atman)

- Abschnitt aus Karma und Reinkarnation von Sukadev Bretz -

Manu, der archetypische erste Gesetzgeber, formulierte es in der Manu Smriti wie folgt:

„Auf der physischen Ebene kommt der Mensch ohne etwas und geht ohne etwas. Auf der geistigen Ebene kommt der Mensch mit etwas, er verändert es im Lauf seines Lebens und geht mit etwas anderem. Auf der höchsten Ebene kommt der Mensch mit etwas, es verändert sich nichts und er geht mit dem Gleichen.“

Auf der physischen Ebene kommen wir nackt und gehen wir nackt. Nichts, was wir in diesem Leben aufbauen, nehmen wir nach dem Tod mit. Der Körper wird verfallen beziehungsweise von den Würmern gefressen werden. Kein Geld wird uns begleiten, kein Haus, keine Firma, kein Buch und keine Kunstsammlung. So sollten wir uns immer bewusst sein: Alles auf der physischen Ebene ist vergänglich und hat nur einen vorübergehenden Wert.

Auf der feinstofflichen Ebene kommen wir mit etwas: Wir kommen mit einer gewissen Menge an Prana (Lebensenergie). Wir haben schon von Geburt an ein gewisses Temperament, bestimmte Neigungen und Begabungen, eine Persönlichkeit, eine gewisse spirituelle Entwicklung. Und wir kommen mit einem bestimmten Karma, also Lernaufgaben, in dieses Leben. Im Lauf des Lebens können wir unsere Lebensenergie weiter ausbauen oder verausgaben, wir können bestimmte Talente und unsere Persönlichkeit entwickeln. Durch spirituelle Praxis, bewusste Lebensführung und die karmischen Lektionen können wir spirituell wachsen. Wenn dann der physische Körper stirbt, nehmen wir die Erfahrungen, die Lektionen, das Prana, die Ausstrahlung, die entwickelten Talente und Persönlichkeitsanteile sowie das veränderte Karma mit. Damit können wir dann das nächste Leben neu beginnen.

Auf dieser Ebene ist nichts umsonst: Jede Erfahrung hat ihren Wert. Wer zum Beispiel einen Naturkostladen aufmacht, ihn ein paar Jahre erfolgreich führt, bis er wegen Eröffnung eines Naturkostsupermarktes schließen muss, hat nicht „umsonst“ geschuftet. Das Engagement, das man hineingesteckt hat, die Konzentration und das Durchhaltevermögen, das man dabei entwickelt hat, die Fähigkeit, mit Kunden umzugehen, all das nimmt man als Teil der Persönlichkeit mit. Auch die Erfahrung, etwas Aufgebautes zu verlieren, hilft einem auf dem Weg zur Vervollkommnung. So ist auch eine „gescheiterte“ Ehe nicht wirklich gescheitert. Und wenn der ehemalige Ehepartner die Kinder mitnimmt, waren die Jahre, in denen man für die Kinder da war, nicht verloren. Auf dieser mittleren Ebene ist jede Erfahrung wichtig und hat jede Anstrengung ihren bleibenden Wert.

Auf dieser Ebene könnte man sagen, die Aufeinanderfolge der verschiedenen Leben ist kein Kreislauf sondern eine Spirale: In jedem Leben lernen wir etwas dazu. Wir wachsen und entwickeln uns. Und es heißt: Wir inkarnieren uns solange, bis wir die höchste Vollkommenheit erreicht haben.

Auf der höchsten Ebene kommen wir mit etwas, es ändert sich nichts und wir gehen mit dem Gleichen. Das ist die höchste Ebene, Brahman, das Absolute. Der höchste Aspekt des Menschen, sein wahres Selbst (Atman) ist reines Bewusstsein, Sat-Chid-Ananda, absolutes Sein, Wissen und Glückseligkeit. Dieser Atman ist unveränderlich, ewig. Die Bhagavad Gita beschreibt das Selbst in folgenden Worten: „Erkenne das als unzerstörbar, welches alles durchdringt (II 17)... Es wurde nicht geboren und stirbt auch niemals. Nachdem Es gewesen ist, hört Es niemals auf zu sein. Es ist ungeboren, ewig, unveränderlich und uralt... (II 20) ... Es ist ewig, alldurchdringend, fest, unverrückbar und ohne Anfang und Ende (II 24)... Es ist nicht sichtbar, gedanklich nicht fassbar und unveränderlich. Da du weißt, dass Es so ist, mache dir niemals Sorgen.“

Wenn wir geboren werden, ist unsere eigentliche Natur Atman. Wenn wir wachsen, sind wir weiterhin Atman. Und wenn wir sterben, sind wir immer noch Atman. Auf der höchsten Ebene bleiben wir immer der gleiche.

Das wahre Selbst wird also als Atman bezeichnet. Es hat als Fahrzeuge den physischen, den astralen und den kausalen Körper. Ein Auto braucht einen Fahrer. Ebenso braucht ein Fahrer ein Auto, wenn er wegfahren will. Allerdings sind Auto und Fahrer etwas Unterschiedliches. Des weiteren hat ein Fahrer typischerweise auch Kleidung an. Er braucht die Kleidung, wenn er sich in Gesellschaft begeben will oder auch zum Schutz gegen Kälte, Nässe oder Sonne. Der Mensch kann in der gleichen Kleidung verschiedene Autos besteigen und wieder verlassen. Das Auto wäre in dieser Analogie der physische Körper. Die Kleider wären der Astralkörper. Problematisch wird es, wenn der Fahrer sich mit dem Auto oder der Kleidung identifiziert und meint, er sei das Auto oder die Kleidung.

Hier ergibt sich eine der Paradoxien des spirituellen Lebens: Auf der einen Seite sind wir jetzt schon das Höchste Selbst. Wir sind jetzt schon vollkommen. Auf der anderen Seite identifizieren wir uns mit dem Körper, den Emotionen, der Persönlichkeit.

In der Vedanta Philosophie gibt es das Modell der drei Körper und fünf Hüllen.

  • Sthula Sharira ist der physische Körper, der grobstoffliche (Sthula) Körper (Sharira). Er wird auch als Annamaya Kosha bezeichnet, als aus Nahrung (Anna) gemachte (maya) Hülle. Er besteht aus den Elementen Erde (Festes), Wasser (Flüssiges), Feuer (Körpertemperatur), Luft (Gasförmiges) und Äther (elektromagnetische Prozesse). Er ist den Vorgängen Geburt, Wachstum, Reife, Alter, Krankheit und Tod unterworfen.
  • Sukshma Sharira ist der feinstoffliche (Sukshma) Körper (Sharira), auch Linga (strahlend) Sharira, also Astralkörper genannt, weil er in veränderten Bewusstseinszuständen als Lichtkörper wahrgenommen werden kann. Der Astralkörper besteht aus drei Schichten (Koshas):
    • Pranamaya Kosha, die Energiehülle: Hier sind die Lebensenergien (Pranas) mit den Chakras (Energiezentren) und Nadis (Energiekanäle)
    • Manomaya Kosha, die emotional-geistige Hülle: Hier sind die Jnana Indriyas (fünf Wahrnehmungsorgane: sehen, hören, riechen, schmecken, tasten), die Karma Indriyas (fünf Handlungsorgane: gehen, greifen/verändern, aufnehmen, ausscheiden, fortpflanzen), Manas (einfaches Denkprinzip mit den Emotionen), Chitta (das Unterbewusstsein) mit den Samskaras (Eindrücke, Fähigkeiten, Neigungen, Erinnerungen) und Vasanas (Wünsche, Anhaftungen)
    • Vijnanamaya Kosha, die Hülle der Erkenntnis mit Buddhi (Vernunft, Urteils- und Entscheidungsvermögen) und Ahamkara (Ego, Ich-Bewusstsein)
  • Karana Sharira ist der Kausalkörper, die Ursache (Karana) für alle anderen Körper. Hier sind die Samen von Avidya, der Unwissenheit. Hier spiegelt sich aber auch die Wonne des Selbst, weshalb Karana Sharira auch Anandamaya Kosha genannt wird, die aus Wonne gemachte Hülle. In Karana Sharira spiegelt sich auch intuitive Erkenntnis und von hier kommt der Ruf nach spiritueller Vollkommenheit. In der Karana Sharira ist auch der Sitz des Karmas: Hier sind alle künftig noch zu lernenden Lektionen. Die Karana Sharira geht schon jenseits der normalen Konzepte von Zeit und Raum. Man kann auch sagen: in der Karana Sharira ist der gesamte Lehrplan für all unsere Inkarnationen abgespeichert, wobei der Lehrplan immer wieder neu angepasst wird.

Aus diesem Modell kann man also die Frage, wer sich überhaupt inkarniert, wie folgt beantworten: Der Astralkörper (Sukshma Sharira) inkarniert sich zusammen mit dem Kausalkörper (Karana Sharira) immer wieder von Neuem in einem physischen Körper (Sthula Sharira). Das Selbst (Atman) identifiziert sich dabei mit dem physischen Körper und dem Astralkörper. Wenn ich im weiteren Verlauf dieses Buches von „Seele“ spreche, meine ich Sukshma Sharira zusammen mit der Karana Sharira.

Da Erinnerungen, Persönlichkeit, Wünsche, Fähigkeiten etc. zum Astralkörper gehören, nehmen wir diese mit, wenn wir sterben. Tod ist wie das Verlassen eines Autos oder das Ausziehen von Kleidung. Wenn wir aus einem Auto aussteigen oder abends die Kleidung ausziehen, bleiben wir doch der Gleiche. Allerdings setzt im Moment der Geburt ein Gedächtnisschwund ein und die meisten konkreten Erinnerungen an frühere Leben können nicht mehr so einfach ins Bewusstsein geholt werden. Die Fähigkeiten und Persönlichkeit dagegen sind schon da und werden dann im Lauf des Lebens manifest beziehungsweise entwickeln sich weiter.

Das Ziel aller Leben ist, sich dieses Atmans bewusst zu werden, die Höchste Wirklichkeit zu erfahren. Wir inkarnieren uns solange, bis wir die Identifikation mit physischem und Astralkörper überwunden haben.

Und da unsere wahre Natur Unendlichkeit, Vollkommenheit und Einheit ist, erreichen wir das, indem wir uns auch auf der relativen Ebene schrittweise vervollkommnen, aus dem Gefühl der Einheit heraus Liebe zu allen Wesen entwickeln, uneigennützigen Dienst für alle Wesen leben, Wunschgebundenheit und Verhaftungen überwinden und in Meditation und spirituellen Praktiken die Fesseln des Geistes transzendieren. Dies erreichen wir nicht in einer Inkarnation, das braucht viele Leben.

Das Sharira-Kosha-Modell reflektiert teilweise die Darwinsche Evolutionstheorie des Lebens, ergänzt sie aber auch:

  • zuerst gab es auf der Erde nur die physische Materie, entsprechend der Sthula Sharira
  • dann haben sich die Pflanzen entwickelt, welche die Pranamaya Kosha entwickelt haben, also eine lebendige Lebenshülle haben
  • dann kommen die Tiere hinzu, welche die Manomaya Kosha entwickeln, also Sinneswahrnehmungen haben, sich bewegen können, denken und fühlen können sowie Gedächtnis, Neigungen und vieles mehr haben
  • die Menschen haben die Vijnanamaya Kosha entwickelt, haben also die Fähigkeit zu Vernunft, freiem Willen, Urteilskraft und Ichbewusstsein
  • die Aufgabe des Menschen ist, sich weiterzuentwickeln, Zugang zu finden zur Karana Sharira und damit zu Intuition, uneigennütziger Liebe, Verbundenheit mit allen Geschöpfen und mit dem Göttlichen
  • das Ziel allen Strebens ist es, alle Koshas und Shariras zu transzendieren und die ursprüngliche Einheit zu erfahren

Die biologische Evolutionstheorie spricht natürlich von der kollektiven Evolution. Die yogische Evolutionstheorie ergänzt sie durch die Vorstellung der individuellen Evolution: Ab dem Tierreich gibt es eine individuelle Seele, auch wenn sie sich zunächst ihrer Individualität nicht bewusst ist. Und diese Seele inkarniert sich von einem Körper zum nächsten. Es heißt, dass die Seele sich 8.400.000 Mal in Tierkörpern inkarniert, bevor sie sich zum ersten Mal in einem menschlichen Körper inkarniert. Dann inkarniert sie sich viele Tausend Mal in einem menschlichen Körper, bevor tiefere Fragen im Leben wichtig werden: „Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Was ist das Ziel des Lebens? Gibt es eine höhere Wirklichkeit? Wenn ja, wie kann ich sie verwirklichen?“ Bis diese Fragen drängend werden, läuft die Evolution mehr oder weniger automatisch ab und der Mensch macht wenig Gebrauch von seinem freien Willen. Ab dem Moment, wo diese spirituellen Fragen immer wichtiger werden, kann man mit seinen Handlungen bewusst seinen spirituellen Fortschritt beschleunigen oder verlangsamen.

Nachdem ich nun in diesem Kapitel das Konzept der Reinkarnation in einen breiten Kontext gestellt habe, möchte ich jetzt konkreter werden und insbesondere praktische Ratschläge für den Umgang mit dem Tod geben. Ich hoffe, dass diese Ratschläge für den Leser/die Leserin selbst hilfreich sind und dass sie ihr/ihm dazu verhelfen, anderen helfen zu können.

Heinrich Zimmer zur Frage "Wer bin ich?"

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Reflektion des Indologen Heinrich Zimmer aus seinem Buch "Der Weg zum Selbst" 1944 erschienen im Rascher Verlag Zürich

Alle Geschöpfe verlangen nach Glück ohne Leid und lieben sich selbst am meisten; das beruht darauf, daß Glück ihr innerstes Wesen ist. Um diese eingeborene Seligkeit, die alltäglich in der Seligkeit traumlos tiefen Schlafs erfahren wird, um diese eingeborene Seligkeit des Selbst in ihrer Fülle zu erleben, gilt es, das Selbst zu erkennen. Der beste aller Wege dazu ist das Fragen »WER BIN ICH?«

Wer bin ich? — mein Ich ist nicht dieser greifbare stoffliche Leib (sthûla-sharîra), auch nicht die Wahrnehmungskräfte der fünf Sinne oder die fünf Lebenskräfte (prâna), die Atem, Stoffwechsel, Bewegung, Äußerungen und Absonderungen des Leibes wirken, auch nicht das Gemüt mit seinen Regungen und Gedanken, — mein Ich ist weder eines von diesen allen, noch die bloße Gesamtheit dieser aller, Ich bin auch nicht die Schale aus seliger Lust gebildet (ânandamaya-kosha), die zuinnerst unter allen diesen Schalen meiner Person mich im traumlos tiefen Schlaf umfängt: der Stand des Unbewußtseins, darin die Tätigkeit all dieser Schalen nicht mehr fühlbar ist, indes ihre Kräfte, als reine Vermögen zugegen, schlummern.

»Ich« kann nur heißen, was übrigbleibt, wenn man von ihnen allen absieht: reines Innesein, Sein Wesen ist Sein, Geist und Seligkeit (sat-chit-ânanda), wenn das Gemüt als Werkzeug alles Wahrnehmens und Erkennens und aller Betätigung verlischt, verschwindet mit ihm die Dingwelt. Der Wahn, ein harmloser Strick, auf den man unver-sehens im Dunkeln tritt, sei eine Schlange, verschwindet, wenn die Wahrheit erfahren wird: es ist bloß ein Strick. Ebenso ver-schwindet der Wahn dieser scheinbaren Welt erst, wenn die Erkenntnis des wahren Selbst erlangt ist,

Das denkende Gemüt ist eine geheimnisvolle Kraft (shakti) des Selbst. Wenn alle Vorgänge im Gemüt ausgeschaltet sind, bleibt nichts, was noch Gemüt heißen kann. Es ist aber auch keine Welt da, unabhängig und außerhalb von den Vorgängen des Gemüts. Der traumlose Schlaf kennt keine Gemütsvorgänge, daher auch keine Welt. Das denkende Gemüt treibt diese Welt im Wachen und im Traum aus sich hervor und saugt sie wieder ein, wie die Spinne ihr Netz aus sich hervorbringt und ihren Faden wieder in sich schlingt zu anderer Zeit. Wenn das Gemüt sich mit seinen Gebilden und Vorgängen entfaltet, erschafft es die Welt, und diese verhüllt das Selbst. Daher: gewahrt einer die Welt, so gewahrt es das Selbst nicht; wird er des Selbst gewahr, so verschwindet die Welt.

Anhaltendes Fragen nach dem Wesen des Gemüts verwandelt dieses in das, worauf sich das »Ich« bezieht, und das ist letztlich das Selbst. Das Gemüt hängt sich immer an etwas Greifbares (sthûla), um zu bestehen, es kann nicht aus sich selber sein. Das Gemüt bildet den »feinen Leib« (sûkshma sharîra, subtle body), den Lebenskern (jîva) oder das Ich. Fragt man, wo entspringt die Idee des Ich? — so gewahrt man: im »Herzen« (hridaya). Wird das Gemüt durch innere Betrachtung in eine Spitze gesammelt, so läßt sich diese Stätte des Selbst auffinden.

Die erste und vornehmste aller Regungen, der Urgedanke im Gemüt, ist »Ich«. Erst wenn er aufsteht, stehen andere Regungen zahllos auf. Das Gemüt ist nichts anderes als ein Bündel von Regungen; so kann es nur zur Ruhe kommen durch das Fragen »wer bin ich?« Wie ein brennender Span, der einen Scheiterhaufen in Flammen setzt, schließlich dabei sich selbst zu Asche verzehrt, so verzehrt die rastlose Beweglichkeit des Gemüts, die den Gang nach der Frage »wer bin ich?« allererst auf die Füße stellt und darin alle übrigen Regungen des Gemüts verzehrt, am Ende sich selber zu nichts.

Wenn immer eine Regung in deinem Gemüt aufsteigt, die dich nach außen führt, folge ihr nicht, aber versuche den Blick nach innen zu wenden und frage: »wem kam diese Regung?« — Laß dich nicht davon irre machen, welche Gedanken und Regungen immer in dir aufsteigen mögen, verharre bei jeder, wie sie aufsteigt, im Fragen: »wem stieg dies auf?« — Gib acht, die Antwort kommt: »dem Ich stieg es auf«. Wer sich an dieses Fragen hält, dessen Gemüt bleibt einwärts gewandt und wird immerfort seiner eigenen Quelle zugetrieben. Und alle Regungen werden verzehrt, sowie sie aufsteigen. Halte dich an dieses Fragen und übe ständiges Einwärtsschauen und sei gewiß, daß dein Gemüt an seine Ursprungsstätte geheftet wird. Es findet sich bald darein und gibt den Kampf auf.

Erst wenn das unstofflich feine Gemüt auslädt und sich durch das Hirn und die Sinne nach außen wirft, treten Namen (Begriffe) und Gestalten der stofflich greifbaren Welt in Erscheinung. Wird das Gemüt vom »Herzen« aufgesogen, so schwinden diese Namen und Gestalten. Wenn die Strebungen des Gemüts, die nach außen gehen, unterdrückt werden und es im »Herzen« innen festgehalten wird und all seine Spannung sich ihm selber zuwendet: das ist Einwärtsschau (antarmukha-drishti).

Erhebt es sich aus dem Herzenund befaßt sich mit der Erschaffung der stofflich greifbaren Welt, so heißt das Auswärtsschau (bahirmukha-dristhi), Bleibt das Gemüt im Herzen eingeschlossen, so erlischt der Urgedanke »Ich« allmählich, und was übrigbleibt ist das ewige Selbst (âtman). Dieser Stand, in dem nicht die leiseste Spur der Ichvorstellung übrig ist, heißt »Schau des Wirklichen in seinem Eigenwesen« (svarûpa¬drishti), Im Vedânta wird dieser Stand »Schau der Erkenntnis« (jnâna-dristhi) genannt. Diese Ruhe ist nichts anderes als der Stand des Gemüts, bei dem es im Selbst versunken und mit ihm verschmolzen ist: es ist die Eigenform, die das Selbst bei sich selber hat (âtma-svarûpa), Dieser Zustand hat nichts mit Gedankenlesen, Fernwirkung der Seelen, Hellsicht oder »Wissen um die drei Zeiten« (tri-kâla-vedanâ) Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu tun.

Wahrhaft wirklich ist das Selbst in seinem Eigenwesen (âtma svarûpa). Die äußere Welt samt allen Wesen (jîva) und dem welt¬waltenden Höchsten Herrn (îshvara) sind reiner spiegelnder Schein, der überm Selbst (âtman) erscheint wie der Anschein von Silber an einem Stück Perlmutter. Alle drei: die Welt, die Wesen und der weltwaltende Höchste Gott, erscheinen zugleich und verschwinden zugleich. Im Grunde ist es das Eigenwesen des Selbst (âtma-svarûpa), das als Welt, Ich (jîva) und Höchster Herr erschaut wird; alle drei sind im Grunde »Eigenwesen Shivas« (shiva svarûpa), d. h. Eigenwesen des Selbst.

Unterscheidende Erforschung (vichâra) ist der wirksame Weg, das Gemüt zur Ruhe zu bringen. Auf anderen Wegen kann man wohl Gewalt über das Gemüt erlangen, aber es fällt immer wieder in seine alten Bande zurück. Durch Meisterung des Atems meistert man das Gemüt: wird er gehemmt, kommt das Gemüt zur Ruhe; hört aber der Zwang auf den Atem auf, so schnellt das Gemüt auf und wird von den ihm innewohnenden Neigungen (vâsanâ), mit denen es dank dem Karman aus früheren Leben durchtränkt ist, hin und her gerissen.

Gemüt einerseits, Atem und die übrigen Lebenskräfte (prâna) an derseits haben die gleiche Quelle; wird der Atem (prâna) gemeistert, kommt auch das Gemüt zur Ruhe, und umgekehrt. Der Atem und die Lebenskräfte gelten als der stofflich greifbare (sthûla) Ausdruck und Erweis des Gemüts. Solange der Mensch lebt, hält das Gemüt diese Kräfte im Leibe fest und erhält den Leib, im Tode umschlingt es sie und nimmt sie mit sich hinaus.

Die Meisterung der Lebenskräfte durch Zügelung des Atems (prânâyâma) kann wohl dazu dienen, das Gemüt zu meistern, nicht aber, es aufzulösen. Auch die Sammlung des Gemüts auf die innere Schau einer göttlichen Gestalt (mûrti-dhyâna) oder das innerliche Murmeln heiliger Formeln und Namen (mantra- und nâma-japa) und asketische Diät sind nur Vorstufen und Hilfen, das Gemüt zu meistern. Dank solcher Sammlung und solchen Hersagens wird das Gemüt in eine einzige Spitze versammelt und an einen einzigen Gegenstand gefesselt.

Wie der rastlos pendelnde Rüssel des Elefanten, wenn er eine eiserne Kette zu halten bekommt, ruhig bleibt, und der Elefant seines Weges ziehen kann, ohne immerfort mit dem Rüssel nach irgend etwas zu langen, so wird das ewig unstäte, beweglich schweifende Gemüt erzogen, in innerem Anschauen oder Hersagen sich auf ein Bild oder Wort zu sammeln, haftet daran allein und hört auf herumzuschweifen.

Wenn das Gemüt sich an zahllose wechselnde Vorstellungen verteilt und verstreut, bleibt jede einzelne von diesen schwach und wirkungslos. Je mehr dergleichen unwillkürliche Vorstellungen zur Ruhe gebracht werden und schließlich ganz verschwinden, um so mehr sammelt sich das Gemüt in eine Spitze und gewinnt dabei an Stärke und ausdauernder Kraft. Vollkommenheit in diesem Verfahren ist leicht zu gewinnen, wenn das Gemüt in der Erforschung des Selbst (âtma-vichâra) geübt wird.

Unter allen Regeln asketischen Lebens ist Diät die wichtigste: mäßige Mengen und leichte Kost, die voll des Elements heiterer Klarheit ist (sâttvika) und frei von Stoffen, die das Triebleben anstacheln (râjasa) oder tierische Dumpfheit und Schwere mehren (tâmasika). Solche Kost mehrt die lichte Klarheit (sattva) des Gemilts und erleichtert die Erforschung des Selbst.

Zahllose Triebe und Neigungen (vâsanâ) wohnen im Gemüt als Erbschaft des Verhaltens (karman) in früheren Leben; seit undenklichen Zeiten haben sie sich angehäuft in Leben ohne Zahl. Wie Wellen im Meer folgen sie einander unablässig im Gemüt. Wenn die Wesensschau des Selbst (svarûpadhyâna, âtmadhyâna) fortschreitet, kommen diese Bereitschaften zur Ruhe und schwinden schließlich, wie alt und eingewurzelt sie auch sind. Man muß fest und stetig werden in der Schau des Wesens und keinem Zweifel Raum geben, ob alle angehäuften Triebe und Neigungen je erlöschen können und das Gemüt sich je ins Eigenwesen des Selbst (âtma-svarûpa) zu ver¬wandeln vermag.

Die Sünden eines Menschen mögen groß und zahllos sein, er soll nicht weinen und klagen: »ich bin ein Sünder, — wie kann ein Sünder Erlösung erlangen?« — Er soll jeden Gedanken, daß er ein Sünder ist, verbannen und eifrig in der »Schau des Eigen-wesens« sein; bald wird er vollkommen sein. Solange die Nei-gungen und Triebe, die zu äußeren Eindrücken drängen (vishaya-vâsanâ), dem Gemüt anhaften, soll man in der Befragung fortfahren: »wer bin ich?«; im Fragen fortschreitend soll man jede Vorstellung unterdrücken, sobald sie im Gemüt aufsteigt.

Freisein von allen Lockungen äußerer Dinge heißt Leidenschaftslosigkeit (vairâgya) oder Wunschlosigkeit (nirâshâ), unverrücktes Festhalten an der Eigengestalt des Selbst (âtma-svarûpa) ist Erkenntnis oder Wissen um das Wirkliche (jiïâna). Wunschlosigkeit und Erkenntnis führen schließlich zum gleichen Ziel. Wie ein Perlfischer auf den Meeresgrund taucht mit Hilfe schwerer Steine, die er an seine Füße gebunden hat, und die köstliche Perle erlangt, soll man mit zäher Entschlossenheit tief in sich selbst hinabtauchen und sich des köstlichen Juwels, des Selbst, bemächtigen.

Es genügt, daß einer ohne Unterlaß über sein Eigenwesen, das Selbst, nachsinnt, bis daß er seine Wirklichkeit erlebt. Ablenkende Vorstellungen sind wie Feinde in einer belagerten Feste. Solange sie diese halten, machen sie Ausfälle aus ihr. Belagert und ausgehungert, müssen sie herauskommen, früher oder später wirst du sie einzeln, wie sie erscheinen, abtun und schließlich die Feste erobern.

Gott und der Guru sind nicht wirklich voneinander verschie-den. Wer sich dem Meister (guru) anheimgibt und seine Gnade gewinnt, wird Erlösung finden und nicht verloren sein, so wenig wie die Beute, die dem Tiger in den Rachen gefallen ist, ihm entkommen kann. Nur muß der Schüler den Weg, den ihm der Guru weist, gehen, ohne zu fragen.

Sich Gott anheimgeben, ist das gleiche wie sich auf das Selbst sammeln, wenn man keinen anderen Gedanken dabei aufkommen läßt. Leg all deine Last auf ihn, denn Gott trägt alle Lasten auf seinen Schultern, sein ist die höchste Kraft, die alle Dinge der Welt leitet, — was grübeln wir und quälen uns, ob wir dies oder das tun sollen, anstatt uns Gott anheim-zugeben? Wer in die Bahn steigt, trägt sein Bündel nicht länger auf dem Kopf, er legt es ab und sitzt bequem.

Seligkeit ist das eigentliche Wesen des Selbst (âtma-svarûpa), beide sind eins. Sie allein ist wirklich, in keinem der zahllosen Dinge der Welt ist vollkommenes Glück, es ist bares Nichtwissen, es von ihnen zu erwarten, Wenn das Gemüt sich nach außen wendet, hinter den Dingen her, so leidet es Angst und Kummer.

Immer wenn unsere Wünsche sich erfüllen, wendet sich im Grunde unser Gemüt zu seinem Quell zurück und erfährt das Glück des Selbst (âtmasukha); das gleiche erfahren wir im tiefen Schlaf, in Versenkung (samâdhi) entrückt und wenn das Bewußtsein schwindet. Wenn Erwünschtes sich erfüllt oder Unerwünschtes vergeht, wendet das Gemüt sich einwärts und genießt das Glück des Selbst. So schweift das Gemüt rastlos vom Selbst ab und kehrt zu ihm heim; dieses Spiel ist sein endloses leidvolles Teil.

Der Schatten unterm Baum tut wohl und erquickt, die Sonne draußen ist unerträglich heiß. Der Wanderer im Sonnenglast flieht in den Schatten und genießt seine Kühle, bald aber zieht es ihn wieder in die heiße Sonne hinaus, wieder wird ihm die Hitze unerträglich und er kehrt in den Schatten zurück. So schweift er unablässig hin und her.

Seinesgleichen heißt man einen Toren. Ein Weiser rührt sich nicht aus dem Schatten; das Gemüt des erleuchteten Weisen (jnânin) schweift nicht vom Unbedingten (brahman) ab, es erfährt dessen immerwährende Seligkeit.

Schließlich ist die Welt der Erscheinungen eine Vorstellung oder ein Gedankending. Zieht das Gemüt sich von ihrem Bilde zurück und hört auf, zu denken und vorzustellen, so schwindet die Welt dahin, und das Gemüt erfährt unbeschreibliche Seligkeit. Entsprechend: erscheint die Welt, d. h, das Gemüt ist tätig, so erfährt es Angst und Kummer.

Ohne Wunsch, Entschluß oder Mühe erhebt sich die Sonne am Himmel. Dann öffnet der Lotos seinen Kelch, das Wasser beginnt zu verdunsten, und die Menschen stürzen sich in vielerlei Tätigkeit. In der Nähe des Magnetsteins tanzt die Magnetnadel: so vollziehen die Seelen (jîva) rein unter der Gegenwart des weltwaltenden Gottes (îshvara), der selber ohne Wunsch oder Bedürfnis ist, ihre Tätigkeit gemäß ihrem angesponnenen Schicksal (karman) aus früheren Leben und sind darin untertan seinen fünf göttlichen Gebärden: dem Erschaffen (sarga), Erhalten (sthiti) und Einraffen (samhâra), seinem Sich-Entziehen-ins-Verborgene (tirodhâna) und seinem erbarmenden Ansichnehmen (anugraha).

Er aber ist alles gestaltenden Wollens (samkalpa) bar, und seine Tätigkeit reift keine Frucht des Karman. Er bleibt er¬haben und unberührt, — so rührt kein Treiben der Welt unten an die Sonne in ihrer Höhe. Die guten und schlimmen Eigenschaften der vier Elemente Erde, Wasser, Feuer und Luft, ihr Festes, Flüssiges, Hitzendes und Bewegliches haben dem fünften reinsten Element, dem Aether, der den Weltraum erfüllt, nichts an, er aber umfängt und trägt sie alle allgegenwärtig.

Alle heiligen Schriften verkünden einhellig: um Erlösung zu erlangen, muß man das Gemüt meistern. Endloses Studium in Büchern dagegen frommt zu nichts. Zu diesem Ende muß man sich fragen: wer bin ich? — helfen Bücher bei diesem Fragen? Du kannst das Selbst nur mit dem Auge der Erkenntnis gewahren. Braucht man einen Spiegel, um sich als sich selbst zu erfahren?

Das Selbst ist innen im schichtenreichen Leibe, Bücher sind äußeres Zeug, Um innen zum Selbst vorzudringen, muß man durch die Schichten der Person hinabtauchen und sie durchstoßen, — was helfen Bücher außen? Die Erkenntnis des Selbst, das gebunden scheint, und das Erlebnis seines wahren Wesens (svarûpa), ist Erlösung. Die Bemühung, das Gemüt immer wieder auf das Selbst zu sammeln, heißt »âtma vichâra«, unterscheidende Begründung des Selbst; »dhyâna« oder innere Anschauung ist die Betrachtung des Selbst als Sein, Geist und Seligkeit (sat-chit-anânda), d. h. als Brahman. Der Augenblick kommt, wo man alles vergessen muß, was man gelernt hat: Kehricht wird zusammengefegt, um weggeschüttet zu werden, es hat keinen Sinn, darin zu wühlen, was er enthält.

So hat es keinen Zweck, im Einzelnen die Elemente (tattva) zu erforschen, die das Selbst umhüllen und verschleiern, und ihr Wesen und ihre Eigenschaften zu bestimmen, anstatt sie einfach beiseite zu wischen. Vielmehr betrachte, soweit sie dich angeht, die Welt als Traum. Wohl währt das Wachsein länger, ein Traum nur kurz, und zwischen beiden mögen scheinbar einige Unterschiede walten, — das ist aber auch alles. Die Vorgänge im Traum erscheinen, indes sie sich abspielen, so wirklich wie die Tätigkeit, indes du wach bist. Während des Träumens nimmt das Gemüt nur eine andere Gestalt oder einen anderen Zustand an und bewegt sich in einer anderen Schicht des Leibes; aber Vorstellungen einerseits, Namen und Gestalten anderseits sind im Traum wie im Wachen gleichermaßen gegenwärtig.

Es gibt nicht diese zwei verschiedenen Dinge: ein gutes und ein schlimmes Gemüt. Die eingeborenen Triebe und Neigungen (vâsanâ) aus früheren Leben erzeugen Wünsche und Reize, die einmal gut, ein andermal schlimm sind. Ist das Gemüt mit den einen oder anderen der beiden verflochten, so scheint es jeweils als gut oder schlimm. So schlimm gesinnt dir mancher zu Zeiten scheinen mag, empfinde keinen Widerwillen mit Haß und Verachtung gegen ihn; nähre kein günstiges Vorurteil gegen andere, die dir gerade freundlich und wohltätig gesinnt scheinen. Meide beides: Abneigung und Vorliebe. Laß dein Gemüt sich nicht in die Dinge der Welt verlaufen und misch dich nicht in anderes. Wie du zu anderen bist, strahlt irgendwann auf dich zurück; was du anderen bietest, das bietest du dir selber. Wer diese Wahrheit begreift, wie sollte er anderen etwas weigern?

Wenn das Ich aufgeht, geht alles Uebrige auf; sinkt es zur Ruhe, so sinkt alles zur Ruhe. Je leiser einer ist, desto besser. Meisterst du dein Gemüt, was kümmert dich, wo du weilst und was dir begegnet?

Siehe auch

Weblinks

Literatur

  • Der Weg Zum Selbst von Heinrich Zimmer, Rascher Verlag Zürich, 1944, 1. Auflage

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