HYP Jahresgruppe
Auf dieser Seite findest Du die in der Jahresgruppe Sanskrit - Lektüre der Hatha Yoga Pradipika erarbeitete Übersetzung der einzelnen Verse der Hatha Yoga Pradipika, eine Wort-für-Wort-Übersetzung mit einer Verlinkung aller Stichwörter zum Sanskrit Glossar, Auszüge aus dem Sanskritkommentar des Brahmananda, Anmerkungen und weiterführende Links.
Kapitel 1 Vers 1 : Einleitung
Versmaß: Indravajra
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Übersetzung
- Verehrung sei dem verehrungswürdigen Adinatha (d.h. Shiva), von dem die Wissenschaft des Hatha Yoga gelehrt wurde,
- die wie eine Leiter erstrahlt für den, der den äußerst erhabenen Raja Yoga zu erklimmen wünscht.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- śrī-ādi-nāthāya : dem verehrungswürdigen (Shri) uranfänglichen Herrn, Beschützer, Gebieter (Adinatha)
- namaḥ : Verneigung, Verehrung (Namas)
- astu : sei (as)
- tasmai : diesem (Tad)
- yena : durch den (Yad)
- upadiṣṭā : gelehrt wurde (Upadishta)
- haṭha-yoga-vidyā : die Wissenschaft (Vidya) des Hatha Yoga
- vibhrājate : die erstrahlt (vi + bhrāj)
- pronnata-rāja-yogam : den äußerst erhabenen („hohen“, Pronnata) königlichen Yoga (Raja Yoga)
- āroḍhum : zu erklimmen (ā + ruh)
- icchoḥ : für den, der wünscht (Ichchhu)
- adhirohiṇī : eine Leiter (Adhirohini)
- iva : wie (Iva)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erläutert das Wort rāja-yoga (Königs-Yoga) in diesem Zusammenhang im Sinne des höchsten Bewusstseinszustandes, der im Yogasutra als Asamprajnata (Samadhi) bezeichnet wird, und dessen Kennzeichen (Lakshana) das Zurruhebringen (Nirodha) jeglicher (Sarva) Fluktuationen (des Geistes, Vritti) ist: rāja-yogaś ca sarva-vṛtti-nirodha-lakṣaṇo ’saṃprajñāta-yogaḥ.
Kapitel 1 Vers 2 : Zweck des Hatha Yoga
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Übersetzung
- Nachdem er sich vor (seinem eigenen) verehrungswürdigen Lehrer und Schutzherrn verneigt hat,
- wird von Yogi Svatmarama die Wissenschaft des Hatha (Yoga) gelehrt, einzig zum Zwecke des Raja Yoga.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- praṇamya : nachdem er sich verneigt hat (pra + nam)
- śrī-gurum : vor dem verehrungswürdigen (Shri) (eigenen) Lehrer, Meister (Guru)
- nātham : dem Schutzherrn (Natha)
- svātmārāmeṇa : Svatmarama
- yoginā : durch den Yogin
- kevalam : einzig, ausschließlich (Kevala)
- rāja-yogāya : zum (Zwecke des) königlichen Yoga (Raja Yoga)
- haṭha-vidyā : die Wissenschaft (Vidya) des Hatha (Yoga)
- upadiśyate : wird gelehrt (upa + diś)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erläutert das Wort kevalam ("einzig") dahingehend, dass das wichtigste (Mukhya) Ergebnis (Phala) der Wissenschaft des Hatha Yoga allein (Eva) der (Zustand des) Raja–Yoga ist, und nicht (Na) die übernatürlichen Fähigkeiten (Siddhi): rāja-yoga eva mukhyaṃ phalaṃ na siddhayaḥ.
Kapitel 1 Vers 3 : Zweck des Hatha Yoga
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Übersetzung
- Denjenigen, die den Raja Yoga durch das Umherirren in der Dunkelheit vieler (Lehr-)Meinungen nicht kennen,
- schenkt Svatmarama, eine Quelle des Mitgefühls, die Leuchte des Hatha (Yoga).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- bhrāntyā : durch das Umherirren, durch Verwirrung (Bhranti)
- bahu-mata-dhvānte : in der Dunkelheit (Dhvanta) vieler (Bahu) (Lehr-)Meinungen (Mata)
- rāja-yogam : (den) königlichen Yoga (Raja Yoga)
- ajānatām : (denjenigen, die) nicht (er)kennen (jnā)
- haṭha-pradīpikām : die Leuchte des (Hatha Yoga)
- dhatte : gibt, schenkt (dhā)
- svātmārāmaḥ : Svatmarama
- kṛpākaraḥ : eine Quelle (Akara) des Mitgefühls (Kripa)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 4 : Traditionslinie der Meister
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Übersetzung
- Matsyendra, Goraksha und andere kennen zweifellos die Wissenschaft des Hatha (Yoga),
- und Yogi Svatmarama kennt sie durch die Gunst dieser (Meister).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- haṭha-vidyām : die Wissenschaft (Vidya) des Hatha(-Yoga)
- hi : gewiss, zweifellos (Hi)
- matsyendra-gorakṣādyāḥ : Matsyendra, Goraksha und andere ("die … zum Anfang haben", Adya)
- vijānate : kennen (vi + jnā)
- svātmārāmaḥ : Svatmarama
- atha vā : und (Atha Va)
- yogī : der Yogin
- jānīte : kennt (diese Wissenschaft, jnā)
- tat-prasādataḥ : durch die Gunst (Prasada) dieser (Meister, Tad)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 5 : Traditionslinie der Meister
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Übersetzung
- Der verehrungswürdige Adinatha (d.h. Shiva), Matsyendra, Shabara und Anandabhairava,
- Chaurangin, Mina, Goraksha, Virupaksha und Bileshaya ...
Wort-für-Wort-Übersetzung
- śrī-ādi-nātha-matsyendra-śābarānanda-bhairavāḥ : der verehrungswürdige (Shri) uranfängliche Herr, Beschützer, Gebieter (Adinatha), Matsyendra ("Herr der Fische"), Shabara und Anandabhairava ("der Schreckliche, der Glückseligkeit bringt")
- cauraṅgī-mīna-gorakṣa-virūpākṣa-bileśayāḥ : Chaurangin, Mina ("Fisch"), Goraksha ("Kuhhirt"), Virupaksha ("der unförmige Augen hat") und Bileshaya ("Schlange, Maus")
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 6 : Traditionslinie der Meister
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Übersetzung
- Korantaka, Surananda, Siddhapada und Charpati ...
Wort-für-Wort-Übersetzung
- manthānaḥ : Manthana ("der Schüttler")
- bhairavaḥ : Bhairava ("der Furchtbare")
- yogī : der Yogin
- siddhiḥ : Siddhi ("Erfolg")
- buddhaḥ : Buddha ("der Erwachte")
- ca : und (Cha)
- kanthaḍiḥ : Kanthadi
- koraṇṭakaḥ : Korantaka
- surānandaḥ : Surananda ("dessen Glückseligkeit Gott ist")
- siddha-pādaḥ : Siddhapada ("erhabener Siddha")
- ca : und
- carpaṭiḥ : Charpati
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 7 : Traditionslinie der Meister
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Übersetzung
- Kanerin und Pujyapada, Nityanatha, Niranjana,
- Kapalin und Bindunatha, Kakachandishvara mit Namen ...
Wort-für-Wort-Übersetzung
- kānerī-pūjya-pādaḥ : Kanerin
- Pujyapada : Pujyapada "dessen Füße (Pada) zu verehren (Pujya) sind"
- ca : und (Cha)
- nitya-nāthaḥ : Nityanatha ("ewiger Beschützer, ewiger Herr")
- nirañjanaḥ : Niranjana ("der ohne Schminke, der Reine")
- kapālī : Kapalin ("der eine Hirnschale als Bettelschale trägt")
- bindu-nāthaḥ : Bindunatha ("Herr des Tropfens, Herr des Samens")
- ca : und
- kāka-caṇḍī-īśvarāhvayaḥ : Kakachandishvara ("Herr der [[Chandi in Form einer Krähe") mit Namen (Ahvaya)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 8 : Traditionslinie der Meister
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Übersetzung
- Allama und Prabhudeva, Ghodacholin und Tintini,
Wort-für-Wort-Übersetzung
- allāmaḥ : Allama
- prabhu-devaḥ : Prabhudeva
- ca : und (Cha)
- ghoḍācolī : Ghodacholin
- ca : und
- ṭiṇṭiṇiḥ : Tintini
- bhānukī : Bhanukin
- nāra-devaḥ : Naradeva ("Fürst")
- ca : und
- khaṇḍaḥ : Khanda
- kāpālikaḥ : Kapalika („Hirnschalenträger“)
- tathā : ebenso (Tatha)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 9 : Traditionslinie der Meister
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Übersetzung
- Diese und andere große Siddhas wandeln, nachdem sie durch die Macht des Hatha Yoga
- den Stab der Zeit (des Todes) zerbrochen haben, im Universum umher.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- ity-ādayaḥ : diese und andere (die "so beginnenden", Iti Adi)
- mahā-siddhāḥ : große (Maha) Siddhas ("vollendete Wesen, Meister")
- haṭha-yoga-prabhāvataḥ : durch die Macht, Kraft (Prabhava) des Hatha Yoga
- khaṇḍayitvā : nachdem sie zerbrochen haben (khaṇḍ)
- kāla-daṇḍam : den Stab (Danda) der Zeit, des Todes (Kala)
- brahma-aṇḍe : im Universum, in der Welt ("Ei Brahmans", Brahmanda)
- vicaranti : wandeln umher (vi + car)
- te : diese (Tad)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 10 : Bedeutung des Hatha Yoga
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Übersetzung
- Für diejenigen, die von sämtlichen Leiden gepeinigt werden, ist der Hatha (Yoga) eine Hütte der Zuflucht.
- Für diejenigen, die mit sämtlichen Yogapraktiken beschäftigt sind, ist der Hatha (Yoga wie) die Schildkröte (bei der Quirlung des Milchozeans) eine feste Grundlage.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- aśeṣa-tāpa-taptānām : für diejenigen, die von allen, sämtlichen (Ashesha) Leiden, Qualen (Tapa) gepeinigt werden (Tapta)
- samāśraya-maṭhaḥ : (wie) eine Hütte, Einsiedelei (Matha) die Zuflucht (gewährt, Samashraya)
- haṭhaḥ : (ist) Hatha (Yoga)
- aśeṣa-yoga-yuktānām : für diejenigen, die mit sämtlichen (Ashesha) Yogapraktiken beschäftigt sind ("konzentriert sind", Yukta); oder: für diejenigen, die vollkommen (Ashesha) im Yoga bzw. mit der Yogapraxis beschäftigt (Yukta) sind
- ādhāra-kamaṭhaḥ : eine Stütze, feste Grundlage (Adhara, (wie) die Schildkröte (Kamatha, nämlich bei der mythologischen Quirlung des Milchozeans)
- haṭhaḥ : (ist) Hatha (Yoga)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 11 : Schutz der Wirksamkeit des Hatha Yoga
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Übersetzung
- Die Wissenschaft des Hatha (Yoga) ist von einem Yogin, der Erfolg wünscht, streng geheim zu halten.
- (Diese Wissenschaft) ist wirkungsvoll, wenn sie geheimgehalten wird, aber wirkungslos, wenn sie öffentlich gemacht wird.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- haṭha-vidyā : die Wissenschaft (Vidya) des Hatha (Yoga)
- param : äußerst, aufs äußerste (Para)
- gopyā : zu verbergen, geheim zu halten (Gopya)
- yoginā : von einem Yogin
- siddhim : Erfolg, Vollkommenheit (Siddhi)
- icchatā : der wünscht (iṣ)
- bhavet : (sie) ist, wird sein (bhū)
- vīrya-vatī : kraftvoll, wirkungsvoll, mächtig (Virya)
- guptā : (wenn) verborgen, geheimgehalten (Gupta)
- nirvīryā : kraftlos, wirkungslos, machtlos (Nirvirya)
- tu : jedoch (Tu)
- prakāśitā : (wenn) offengelegt, öffentlich gemacht (Prakashita)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 12 : Der Ort der Yogapraxis
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Übersetzung
- In einem guten Königreich voller Rechtschaffenheit, in einer Gegend reich an Almosen, frei von Gefahren,
- soll ein Hatha–Yogin an einem einsamen Ort in einer Hütte wohnen,
- die im Umkreis einer Bogenlänge frei von (Gefahren durch) Felsbrocken, Feuer oder Wasser ist.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- su-rājye : in einem guten Königreich (Surajya)
- dhārmike : voller Tugenden, voller Rechtschaffenheit (Dharmika)
- deśe : in einer Gegend (Desha)
- su-bhikṣe : reich an Nahrungsmitteln, reich an Almosen (Subhiksha)
- nir-upadrave : frei von Gefahren (Nirupadrava)
- dhanuḥ-pramāṇa-paryantam : im Umkreis (Paryanta) einer Bogenlänge (ein Längenmaß, Dhanus-Pramana)
- śilāgni-jala-varjite : frei von (Gefahren durch, Varjita) durch Steine, Felsbrocken (Shila), Feuer (Agni) oder Wasser (Jala)
- ekānte : an einem einsamen Ort (Ekanta)
- maṭhikā-madhye : inmitten (Madhya) einer Hütte, Klause, Einsiedelei (Mathika)
- sthātavyam : soll wohnen ("ist zu wohnen", Sthatavya)
- haṭha-yoginā : ein Hatha–Yogin
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda gibt eine "Bogenlänge" als ein "Maß (Matra) von vier (Chatur) Ellen (Hasta) an, was ca. 184 cm entspricht: dhanuḥ-pramāṇaṃ catur-hasta-mātraṃ. Dort, wo (yatra) sich der Sitz (Asana) des Yogin befindet, sollen im Unkreis (Paryanta) einer Bogenlänge bzw. in einer Entfernung (Matra) von vier Ellen (catur-hasta) keine Steine (Shila), kein Feuer (Agni) und kein Wasser (Jala) sein: yatrāsanaṃ tataś catur-hasta-mātre śilāgni-jalāni na syuḥ.
Kapitel 1 Vers 13 : Der Ort der Yogapraxis
Versmaß: Shardulavikridita
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Übersetzung
- Die (folgende) Beschreibung einer Yoga-Klause wurde von den Hatha(-Yoga) praktizierenden vollkommenen Meistern überliefert:
- Sie hat eine kleine Tür, keine Fenster, Löcher oder Vertiefungen (im Boden), ist weder zu hoch noch zu niedrig,
- ist vollständig mit einer dicken (Schicht aus) Kuhdung beschmiert, rein, vollkommen frei von Ungeziefer,
- und der Außenbereich ist mit einer Mauer umgeben und schön (ausgestattet) mit einem (kleinen) Schrein, einem Opferaltar und einem Brunnen.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- alpa-dvāram : mit kleiner (Alpa) Tür (Dvara)
- arandhra-garta-vivaram : ohne Öffnung, ohne Fenster (a-Randhra), ohne Loch, Grube (a-Garta: ohne Löcher oder Vertiefungen, eben), ohne Öffnung, Spalte, schadhafte Stelle (a-Vivara: ohne Spalten)
- nāty-ucca-nīcāyatam : nicht (Na) allzu (Ati) hoch (Uchcha) niedrig (Nicha) sich erstreckend, sich ausdehnend (Ayata)
- samyak-gomaya-sāndra-liptam : vollständig, auf die rechte Weise (Samyak) beschmiert (Lipta) mit einer dicken (Sandra Schicht aus) Kuhdung (Gomaya)
- amalam : makellos, rein (Amala)
- niḥśeṣa-jantūjjhitam : vollständig, restlos (Nihshesha) frei (von, Ujjhita) Ungeziefer, Insekten, Getier (Jantu)
- bāhye-maṇḍapa-vedi-kūpa-ruciram : draußen, außerhalb (der Hütte, Bahya) einen) einer Gottheit geweihten Ort, (einen kleinen) Schrein (Mandapa) Opferaltar (Vedi) Brunnen (Kupa) schön, ansprechend, zusagend (durch, Ruchira)
- prākāra-saṁveṣṭitam : umgeben mit (Samveshtita) einer Mauer, einem Wall (Prakara)
- proktam : wurde gegeben, wurde gelehrt (Prokta)
- yoga-maṭhasya : einer Yoga-Klause (Yoga–Matha)
- lakṣaṇam : Beschreibung ("Definition", Lakshana)
- idam : diese (Idam)
- siddhaiḥ : von den vollkommenen Meistern (Siddha)
- haṭhābhyāsibhiḥ : den Praktzierenden (Abhyasa) des Hatha (Yoga)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 14 : Der Ort der Yogapraxis
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Übersetzung
- In einer sogearteten Klause wohnend, aller Sorgen ledig,
- soll (der Yogin) in der Weise, wie es von (seinem) Meister gelehrt wurde, ausschließlich Yoga praktizieren.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- evaṁ-vidhe : in einer sogearteten (Evamvidha)
- maṭhe : Klause (Matha)
- sthitvā : sich befindend, wohnend (sthā)
- sarva-cintā-vivarjitaḥ : aller (Sarva) Sorgen (Chinta) ledig (Vivarjita)
- gurūpadiṣṭa-mārgeṇa : in der Weise ("auf dem Weg", Marga) wie es gelehrt wurde (Upadishta) vom (eigenen) Meister (Guru)
- yogam : den (Hatha) Yoga
- eva : einzig, allein, ausschließlich (Eva)
- samabhyaset : soll man praktizieren (sam + abhi + as)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 15 : Was dem Erfolg der Yogapraxis schadet
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Übersetzung
- Übermaß im Essen und Überanstrengung, Geschwätz, Regelversessenheit,
- Umgang mit Leuten und Unbeständigkeit - durch (diese) sechs wird die Yogapraxis wirkungslos.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- atyāhāraḥ : Übermaß im Essen (Atyahara)
- prayāsaḥ : (unangemessene) Anstrengung, Überanstrengung (Prayasa)
- ca : und (Cha)
- prajalpaḥ : Geschwätz, unbesonnene Worte (Prajalpa)
- niyama-grahaḥ : Sichklammern (an), Bestehen, Versessensein (auf, Graha) (unangemessene) Regel(n), Gelübde, Observanz(en, Niyama)
- jana-saṅgaḥ : (unpassender) Umgang, Verkehr (Sanga) mit Leute(n, Jana)
- ca : und
- laulyam : Unruhe, Unbeständigkeit, Gier, Verlangen (Laulya)
- ca : und
- ṣaḍbhiḥ : durch (diese) sechs (Shash)
- yogaḥ : der Yoga
- vinaśyati : geht verloren, wird zunichte, wird wirkungslos (vi + naś)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 16 : Was dem Erfolg der Yogapraxis nützt
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Übersetzung
- Durch Entschlusskraft, Mut, Ausdauer, durch die Erkenntnis der Wahrheit, durch Vertrauen
- und durch Aufgeben des Umgangs mit Leuten - durch (diese) sechs führt die Yogapraxis zum Erfolg.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- utsāhāt : durch festen Willen, Entschlusskraft (Utsaha)
- sāhasāt : durch Mut (Sahasa)
- dhairyāt : durch Ausdauer, ruhiges Wesen (Dhairya)
- tattva-jñānāt : durch die Erkenntnis (Jnana) der Wahrheit (des "Soseins", Tattva)
- ca : und (Cha)
- niścayāt : durch sicheres Wissen, genaue Kentniss, Überzeugung, Vertrauen (in die Lehren des Meisters, Nishchaya)
- jana-saṅga-parityāgāt : durch Aufgeben (Parityaga) (unförderlicher) Gemeinschaft (Sanga) mit Menschen (Jana)
- ṣaḍbhiḥ : durch (diese) sechs (Shash)
- yogaḥ : der Yoga
- prasidhyati : führt zum Erfolg, gelingt (pra + sidh)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 17 : Die zehn Yamas
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Übersetzung
- Gewaltlosgkeit, Wahrhaftigkeit, Nichtstehlen, Enthaltsamkeit, Geduld, Entschlossenheit,
- Mitgefühl, Aufrichtigkeit, Mäßigung beim Essen sowie Reinheit - (dies sind) die zehn Yama (genannten Regeln).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- ahiṁsā : Gewaltlosgkeit, Nichtschädigen (Ahimsa)
- satyam : Wahrhaftigkeit (Satya)
- asteyam : Nichtstehlen (Asteya)
- brahmacaryam : Enthaltsamkeit ("Wandel im Brahman", Brahmacharya)
- kṣamā : Geduld, Langmut, Nachsicht ([[Kshama)
- dhṛtiḥ : (innere) Festigkeit, Entschlossenheit (Dhriti)
- dayā : Mitgefühl (Daya)
- ārjavam : Aufrichtigkeit, Redlichkeit (Arjava)
- mitāhāraḥ : Mäßigung beim Essen (Mitahara)
- śaucam : Reinheit, Reinlichkeit (Shaucha)
- ca : und (Cha)
- eva : gewiss (Eva)
- yamāḥ : Yama (genannten Regeln)
- daśa : (dies sind) die zehn (Dasha)
Erläuterungen
Textgeschichtlich handelt es sich bei den Versen 17 und 18, die eine Aufzählung der Yamas und Niyamas beinhalten, um spätere Einschübe. Dies ist daraus ersichtlich, dass sie der Kommentator Brahmananda nicht kommentiert, also offensichtlich in seinen Handschriften nicht vorliegen hatte. Auffällig ist die Ähnlichkeit mit den fünf im Yogasutra (2.30) aufgezählten Yamas (es fehlt lediglich Aparigraha). Bei Patanjali wiederum zählt die "Reinlichkeit" (Shaucha) zu den Niyamas (vgl. auch die Anmerkung zu Vers 40 dieses Kapitels).
Kapitel 1 Vers 18 : Die zehn Niyamas
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Übersetzung
- Askese, Zufriedenheit, Glaube an Gott, Freigebigkeit, die (rituelle) Verehrung Gottes,
- das Hören der Aussagen der Lehrtexte, eine natürliche Scheu, Einsicht, halblaute Mantrarezitation und (rituelles) Opfer -
- (dies sind) die zehn von den Yogatextkundigen genannten Regeln (namens) Niyama.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- tapaḥ : Askese, innere Glut, Inbrunst, Verinnerlichung (Tapas)
- santoṣaḥ : Zufriedenheit (Santosha)
- āstikyam : Glaube an Gott, Gläubigkeit (Astikya)
- dānam : Freigebigkeit (Dana)
- īśvara-pūjanam : die Verehrung (Pujana) des Herrn, Gottes (Ishvara)
- siddhānta-vākya-śravaṇam : das Hören (Shravana) der Lehrsätze, Aussprüche, Aussagen (Vakya) der Lehrbücher, der heiligen Texte (Siddhanta)
- hrī-matī : Scham, Schamhaftigkeit (das Gegenteil von Unverschämtheit, d.h. eine natürliche Scheu und Zurückhaltung, Hri) und Einsicht (Mati)
- ca : und (Cha)
- japaḥ : halblautes Wiederholen eines Gebetes oder Mantras (Japa)
- hutam : Opfer (Huta)
- niyamāḥ : (sind die als) Niyamas (bezeichneten Regeln)
- daśa : zehn (Dasha)
- samproktāḥ : die genannt werden (Samprokta)
- yoga-śāstra-viśāradaiḥ : von denjenigen, die mit den Yoga-Schriften (Yoga–Shastra) vertraut sind (Visharada)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 19 : Asana
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Übersetzung
- Die Körperstellungen bewirken (körperliche und geistige) Festigkeit, Gesundheit und Leichtigkeit des Körpers.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- haṭhasya : des Hatha(-Yoga)
- prathamāṅgatvāt : denn das ist das erste (Prathama) Glied (Anga)
- āsanam : Asana ("Sitz", hier i.S. von "Körperstellungen")
- pūrvam : zuerst, als erstes (Purva)
- ucyate : wird genannt, gelehrt (vac)
- kuryāt : bewirkt (kṛ)
- tat : dieses (Tad)
- āsanam : Asana (die Gesamtheit der zu lehrenden Körperstellungen)
- sthairyam : (körperliche und geistige) Festigkeit, Ausdauer (Sthairya)
- ārogyam : Gesundheit (Arogya)
- ca : und (Cha)
- aṅga-lāghavam : Leichtigkeit (Laghava) der Glieder, des Körpers (Anga)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 20 : Asana
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Übersetzung
- Von mir (Svatmarama) werden (nun) einige Körperstellungen gelehrt,
- die (bereits) von den Weisen Vasishtha usw. und den Yogins Matsyendra usw. akzeptiert worden sind.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- vasiṣṭhādyaiḥ : Vasishtha usw., und anderen (Adya)
- ca : und, sowohl (Cha)
- munibhiḥ : von den Weisen (Muni)
- matsyendrādyaiḥ : Matsyendra usw., und anderen
- ca : und, als auch
- yogibhiḥ : von Yogins (wie)
- aṅgī-kṛtāni : die akzeptiert, berücksichtigt worden sind (Angikrita)
- āsanāni : Asanas (Körperstellungen)
- kathyante : werden genannt, gelehrt (kath)
- kāni-cit : einige (Ka Chid)
- mayā : von mir (Mad)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 21 : Svastikasana
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Übersetzung
- Indem man beide Fußsohlen auf die rechte Weise zwischen Unter- und Oberschenkel gebracht hat,
- mit aufrechtem Körper sitzend - diese (Sitzhaltung) nennt man Svastika.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- jānūrvoḥ : Knie (Janu) und Oberschenkel (Uru)
- antare : zwischen (Antara)
- samyak : auf die rechte Weise (Samyak)
- kṛtvā : gebracht ("gemacht") habend (kṛ)
- pāda-tale : Fußsohlen (Pada–Tala)
- ubhe : beide (Ubha)
- ṛju-kāyaḥ : mit aufrechtem (Riju) Körper (Kaya)
- samāsīnaḥ : sitzend (Samasina)
- svastikam : Svastika ("gekreuzter Sitz, der Glückbringende")
- tat : das, diese (Sitzhaltung, Tad)
- pracakṣate : nennt man (pra + cakṣ)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass mit "Knie" (Janu) der in der Nähe (Samnihita) des Knies befindliche Teil (Pradesha) des Unterschenkels (Jangha) gemeint ist: jānu-saṃnihito jaṅghā-pradeśaḥ.
Kapitel 1 Vers 22 : Gomukhasana
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Übersetzung
- Man lege den rechten Knöchel an die linke Seite des Gesäßes,
- und den linken (Knöchel) an die rechte (Seite des Gesäßes. Diese Sitzposition heißt) Gomukha, (denn man sitzt) in Form des Gesichts einer Kuh.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- savye : an die linke (Savya)
- dakṣiṇa-gulpham : den rechten (Dakshina) Knöchel (Gulpha)
- tu : jedoch, wiederum (Tu)
- pṛṣṭha-pārśve : Seite (Parshva) des Gesäßes ("Rückens", Prishtha)
- niyojayet : man lege (ni + yuj)
- dakṣiṇe : an die rechte (Seite des Gesäßes)
- api : auch, und (Api)
- tathā : ebenso (Tatha)
- savyam : den linken (Knöchel)
- go-mukham : (diese Sitzposition heißt) Gomukha ("Kuhgesicht")
- go-mukhākṛtiḥ : (denn man sitzt) in Form (Akriti) des Gesichts (Mukha) einer Kuh (Go)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass mit "an der Seite des (unteren) Rückens" (pṛṣṭha-pārśve) der untere (Adhas) Teil (Bhaga) der Hüfte (Kati) gemeint ist: kaṭer adho-bhāge.
Kapitel 1 Vers 23 : Virasana
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Übersetzung
- Man lege den einen Fuß fest auf den anderen Oberschenkel,
- desgleichen den (anderen) Oberschenkel auf den anderen (Fuß) - so wird die Helden-Stellung (Virasana) gelehrt.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- ekam : einen (Eka)
- pādam : Fuß (Pada)
- tathā : und (Tatha)
- ekasmin : auf den anderen ("einen")
- vinyaset : man lege (vi + ni + as)
- ūruṇi : Oberschenkel (Uru)
- sthiram : fest (Sthira)
- itarasmin : auf den anderen (Fuß, Itara)
- tathā : ebenso, desgleichen
- ca : und (Cha)
- ūrum : den (anderen) Oberschenkel
- vīrāsanam : die Helden-Stellung (Virasana)
- iti : so (Iti)
- īritam : wird gelehrt (Irita)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt es so: Man lege (vinyaset) den rechten (Dakshina) Fuß (Pada) fest (Sthira) auf den linken (Vama) Oberschenkel (Uru) und den rechten Oberschenkel (uruṃ dakṣiṇam) auf den linken Fuß (vāme pāde): dakṣiṇaṃ pādam … vāmoruṇi sthiraṃ vinyaset … vāme pāde ūruṃ dakṣiṇaṃ vinyaset.
Somit liegt der rechte Fuß auf dem linken Oberschenkel und der linke Fuß unter dem rechten Oberschenkel, mit anderen Worten, das rechte Bein liegt im kreuzbeinigen Sitz über dem linken Bein. Im Gegensatz zum halben Lotussitz (Ardha–Padmasana) liegen die Füße hier jedoch in Knienähe auf bzw. unter dem Oberschenkel des jeweils anderen Beines. Diese Sitzhaltung wird auch Ardhasana ("halbe Sitzhaltung") genannt.
Kapitel 1 Vers 24 : Kurmasana
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Übersetzung
- Konzentriert (sitzend), den Damm mit von einander weg weisenden Knöcheln drückend -
- das ist die Schildkröten-Stellung (Kurmasana). So wissen es die Yogakundigen.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- gudam : den Anus (Guda, hier i.S. von Damm bzw. Beckenboden)
- nirudhya : in dem man verschließt, drückt (ni + rudh)
- gulphābhyām : mit beiden Knöcheln (Gulpha)
- vyutkrameṇa : "in umgekehrter Ordnung", auseinander gehend, von einander weg weisend (Vyutkrama)
- samāhitaḥ : konzentriert (sitzend, Samahita)
- kūrmāsanam : die Schildkröten-Stellung (Kurmasana)
- bhavet : soll sein, sei (zu verstehen als, bhū)
- etat : das, diese (Sitzposition, Etad)
- iti : so (Iti)
- yoga-vidaḥ : die Yogakundigen (Yogavid)
- viduḥ : kennen, wissen (es, vid)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda gibt hier keine nähere Erklärung, wie vyutkrameṇa ("auseinander gehend, in umgekehrter Reihenfolge") zu verstehen ist. Es ist wohl gemeint, dass man sich auf beide Knöchel (Gulpha) setzt, wobei diese nicht zueinander zeigen, sondern beide jeweils nach oben weisen und rechts und links neben dem Anus (Guda) Druck ausüben. Die Stellung ähnelt dann dem Fersensitz (Vajrasana), in Kurmasana liegen die Fersen jedoch zueinander zeigend nahe beisammen, und die Zehen weisen nach außen.
In der Gheranda Samhita (2.32) wird Kurmasana in ganz ähnlichen Worten, jedoch noch etwas ausführlicher beschrieben:
- gulphau ca vṛṣaṇasyādho vyutkrameṇa samāhitau |
- ṛju-kāya-śiro-grīvaṃ kūrmāsanam itīritam ||2.32||
- "Beide Knöchel (Gulpha) unterhalb des Hodensacks (Vrishana, die Füße) auseinander weisend, (sitze man) konzentriert (Samahita),
- Körper (Kaya), Kopf (Shiras) und Nacken (Griva) gerade (haltend) – so wird Kurmasana beschrieben."
Kapitel 1 Vers 25 : Kukkutasana
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Übersetzung
- Nachdem man, den Lotussitz eingenommen habend, beide Unterarme zwischen Unter- und Oberschenkel
- gesteckt hat, (und) sich - in der Luft befindlich - auf dem Boden abstützt, (ist dies) die Hahnenstellung (Kukkutasana).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- padmāsanam : den Lotussitz (Padmasana)
- tu : aber, wiederum (Tu)
- saṁsthāpya : eingenommen habend, herstellend (sam + sthā)
- jānūrvoḥ : Knie (Janu i.S. von Unterschenkel) und Oberschenkel (Uru)
- antare : zwischen (Antara)
- karau : beide Hände, Unterarme (Kara)
- niveśya : steckend (ni + viś)
- bhūmau : (und dann) auf die Erde, den Boden (Bhumi)
- saṁsthāpya : aufstellend, stützend
- vyoma-stham : (wenn man sich so nach oben drückt und) in der Luft befindet (Vyomastha)
- kukkuṭāsanam : (ist dies die) Hahnenstellung (Kukkutasana)
Erläuterungen
Das Neutrum vyoma-stham "in der Luft befindlich" kann hier adverbiell verstanden werden.
Zum Verständnis des Dvandva-Kompositums jānūrvoḥ (Genitiv Dual m.) vergl. die Anmerkung zu Vers 1.21 (Svastika).
Kapitel 1 Vers 26 : Uttanakurmasana
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Übersetzung
- Nachdem man die Hahnenstellung (Kukkutasana) eingenommen hat, (und) mit beiden Händen den Hals umfasst hat,
- sei man wie eine Schildkröte, die ihre Unterseite zeigt - das ist die auf dem Rücken liegende Schildkröte (Uttanakurmaka).
Wort-für-Wort-Übersetzung
- kukkuṭāsana-bandha-sthaḥ : sich in (der Ausgangs-)Position (Bandha in Form der) Hahnenstellung (Kukkutasana) befindend (Stha)
- dorbhyām : mit beiden Unterarmen (Dos hier i.S. von Händen)
- sambadhya : umschließend, umfassend (sam + bandh)
- kandharām : den Hals (Kandhara)
- bhavet : sei man, werde man (bhū)
- kūrma-vat : wie eine Schildkröte (Kurma)
- uttānaḥ : die ihre Unterseite zeigt bzw. "öffnet" (Uttana)
- etat : das, diese (Position heißt, Etad)
- uttāna-kūrmakam : Uttanakurmaka "die nach oben geöffnete (d.h. auf dem Rücken liegende oder aufgerichtete) Schildkröte"
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 27 : Dhanurasana
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Übersetzung
- Nachdem man mit beiden Händen beide großen Zehen ergriffen hat, führe man - bis an ein Ohr -
- das Heranziehen (der Sehne) eines Bogens aus. (Das) wird Bogenstellung (Dhanurasana) genannt.
Wort-für-Wort-Übersetzung
- pādāṅguṣṭhau : beide großen Zehen ("Fuß-Daumen", Pada–Angushtha)
- tu : aber, wiederum (Tu)
- pāṇibhyām : mit beiden Händen (Pani)
- gṛhītvā : ergreifend, haltend (grah)
- śravaṇāvadhi : bis zu ("bis zur Grenze", Avadhi) einem Ohr (Shravana)
- dhanur-ākarṣaṇam : das Spannen, Heranziehen (Akarshana der Sehne eines) Bogens (Dhanus)
- kuryāt : man soll machen, ausführen (kṛ)
- dhanur-āsanam : Bogenstellung (Dhanurasana)
- ucyate : wird genannt (vac)
Erläuterungen
Aus Brahmanandas Kommentar wird deutlich, dass es sich nicht um die klassische, als "Bogen" bekannte Stellung Dhanurasana handelt. In der hier beschriebenen Stellung sitzt man im gestreckten Sitz, fasst beide großen Zehen jeweils mit einer Hand und hält einen Arm (ekaṃ pāṇim) und das Bein derselben Körperseite weiterhin ausgestreckt (prasāritaṃ kṛtvā). Dann zieht man die andere Hand (itaraṃ pāṇim), indem man den Arm beugt (ākuñcitaṃ kuryāt), samt Fuß bis zum Ohr (karṇa-paryantam), als wolle man einen Bogen (Dhanus) spannen: ekaṃ pāṇiṃ prasāritaṃ kṛtvā … itaraṃ pāṇiṃ karṇa-paryantam ākuñcitaṃ kuryāt. Die hier beschriebene Stellung ist auch als Akarshana Dhanurasana bekannt.
Kapitel 1 Vers 28 : Matsyendrasana
Versmaß: Upajati
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- vāmoru-mūlārpita-dakṣa-pādam : den rechten (Daksha) Fuß (Pada) auf den Ursprung, Ansatz (Mula) des linken (Vama) Oberschenkels (Uru) aufgelegt, auflegend (Arpita)
- jānoḥ : (um das rechte) Knie (Janu)
- bahiḥ : außerhalb, von außen (Bahis)
- veṣṭita-vāma-pādam : den linken Fuß gelegt ("gewunden", Veshtita)
- pragṛhya : (den linken Fuß mit der rechten Hand) ergreifend (pra + grah)
- tiṣṭhet : (so) verharre man (sthā)
- parivartitāṅgaḥ : mit (nach links) gedrehtem (pari + vṛt) Körper (Anga)
- śrī-matsya-nāthoditam : von dem erhabenen (Shri) Matsyendra ("Herr der Fische") gelehrt worden (Udita)
- āsanam : (diese) Körperstellung (Asana)
- syāt : ist ("sei", as)
Erläuterungen
Aus Brahmanandas umfangreichen Kommentar zu diesem Vers wird diese Stellung in allen Einzelheiten deutlich.
Syntax: Das Absolutivum pragṛhya "ergreifend" bezieht sich jeweils auf das Kompositum vāmoru-mūlārpita-dakṣa-pādam im erstem Pada und veṣṭita-vāma-pādam im zweiten Pada. In der hier beschriebenen Endstellung hält somit die linke Hand den rechten Fuß und die rechte Hand den linken Fuß.
Kapitel 1 Vers 29 : Matsyendrasana
Versmaß: Upajati
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- matsyendra-pīṭham : die Körperhaltung ("Sitz", Pitha) des Matsyendra
- jaṭhara-pradīptim : das Aufflammen (Pradipti) des Magens, Verdauungsfeuers (Jathara)
- pracaṇḍa-rug-maṇḍala-khaṇḍanāstram : (ist) eine Waffe (Astra) zum) Beseitigen ("Zerstückeln", Khandana) einer ganzen Schar, Menge (Mandala) von überaus heftigen, grimmigen, schrecklichen, (Prachanda) Krankheiten (Ruj)
- abhyāsataḥ : aufgrund (ihrer) Praxis, durch das Üben (Abhyasa)
- kuṇḍalinī-prabodham : der Kundalini das Erwachen (Prabodha)
- candra-sthiratvam : die Beständigkeit, Bewegungslosigkeit, Festigkeit (Sthiratva) des Mondes (Chandra, des "Tropfens" Bindu, des Nektars)
- ca : und (Cha)
- dadāti : (sie) gibt, verleiht, verursacht (dā)
- puṁsām : den Menschen (Pums)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass sich der "Mond" (Chandra) in der Region (Bhaga) oberhalb (Upari) des Gaumens (Talu) befindet (Sthita) und ständig (Nitya) herabtropft (kṣarataḥ). Die Stellung des Matsyendra bewirkt (dadāti) die Festigkeit (Sthiratva) bzw. das "Nichtsein" (Abhava) dieses Herabfließens (Ksharana): candrasya tāluna upari-bhāge sthitasya nityaṃ kṣarataḥ sthiratvaṃ kṣaraṇābhāvaṃ ca dadāti.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 92 behandelt.
Kapitel 1 Vers 30 : Pashchimatanasana
Versmaß: Upajati
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- prasārya : ausstreckend (pra + sṛ)
- pādau : beide Beine (Pada)
- bhuvi : auf der Erde, dem Erdboden (Bhu)
- daṇḍa-rūpau : (zweier) Stöcke (Danda) ähnlich der) Form (Rupa)
- dorbhyām : mit den Händen ("Unterarmen", Dos)
- padāgra-dvitayam : die zwei ("das Paar der", Dvitaya) Spitzen (Agra) der Füße (Pada)
- gṛhītvā : ergreifend, haltend (grah)
- jānūpari-nyasta-lalāṭa-deśo : die Gegend, denBereich (Desha) der Stirn (Lalata) über, auf (Upari) die Knie (Janu) ablegend (ni + as)
- vaset : (so) verweile man (vas)
- idam : das, diese (Stellung, Idam)
- paścima-tānam : Dehnung, Ausdehnung (Tana) der (Körper-)Rückseite ("des Westens", Pashchima)
- āhuḥ : nennt man (ah)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda ergänzt, dass man mit den gekrümmten (Akunchita) Zeigefingern (Tarjani) der beiden Hände (Dos) den Bereich (Pradesha) der beiden (Yugma) großen Zehen (Angushtha greifen und) kräftig (Bala) heranziehen (Akarshana) soll: dorbhyām ākuñcita-tarjanībhyāṃ … aṅguṣṭha-pradeśa-yugmaṃ balād ākarṣana-purvakam. Die hier beschriebene Stellung ist auch als Pashchimottanasana bekannt.
Kapitel 1 Vers 31 : Pashchimatanasana
Versmaß: Aupachchhandasika
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- iti : so, in dieser Weise (Iti)
- paścima-tānam : (ist) die Ausdehnung der Rückseite (Pashchimatana)
- āsanāgryam : die vorzüglichste, beste, erste (Agrya) der) Sitzpositionen, Körperstellungen (Asana)
- pavanam : des Atems, der Lebensenergie Prana ("des Windes", Pavana)
- paścima-vāhinam : das Fließen, das Zuführen (vah durch die Körper-)Rückseite (Pashchima, d.h. durch Sushumna)
- karoti : sie bewirkt, macht (kṛ)
- udayam : das Emporsteigen, Anschwellen, Anwachsen (Udaya)
- jaṭharānalasya : des Feuers (Anala) des Magens (Jathara)
- kuryāt : sie soll bewirken (kṛ)
- udare : im (Bereich des) Bauches (Udara)
- kārśyam : Schlankheit (Karshya)
- arogatām : Gesundheit ("Krankheitslosigkeit", Arogata)
- ca : und (Cha)
- puṁsām : der Menschen (Pums)
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt paścima-vāhinam ("hinten fließend") im Sinne von "(die Lebensenergie) fließt (dann) durch die Sushumna": paścima-mārgeṇa suṣumnā-mārgeṇa vahatīti.
Kapitel 1 Vers 32 : Mayurasana
Versmaß: Upajati
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- dharām : auf die Erde, den Erdboden (Dhara)
- avaṣṭabhya : sich stützend (ava + stabh)
- kara-dvayena : mit beiden ("mit dem Paar", Dvaya) Händen (Kara)
- tat-kūrpara-sthāpita-nābhi-pārśvaḥ : die Seiten, Flanken (Parshva) des Nabels (Nabhi) haltend, stabilisierend (sthā) mit den Ellenbogen (Kurpara) der (beiden Hände bzw. Arme, Tad)
- uccāsanaḥ : hoch, oben, in der Höhe (Uchcha seine) Körperstellung (Asana einnehmend)
- daṇḍa-vat : wie ein Stock (Danda)
- utthitaḥ : erhoben, aufgerichtet (Utthita)
- khe : in die Luft ("in den Luftraum", Kha)
- māyūram : Pfau(enstellung, Mayura)
- etat : diese (Etad)
- pravadanti : nennt man (pra + vad)
- pīṭham : Körperstellung ("Sitz", Pitha)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 33 : Mayurasana
Versmaß: Malini
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- harati : verscheucht, überwältigt (hṛ)
- sakala-rogān : alle, sämtliche (Sakala) Krankheiten (Roga)
- āśu : schnell, geschwind (Ashu)
- gulmodarādīn : (wie z.B.) Unterleibsgeschwulst, vergrößerte Milz (Gulma, Anschwellung des) Bauches, (Udara) usw., und andere ("angefangen mit", Adi)
- abhibhavati : besiegt, überwältigt (adhi + bhū)
- ca : und (Cha)
- doṣān : (gestörte) Doshas ("Schaden, Fehler, Gebrechen", ein Übermaß an Vata, Pitta oder Kapha)
- āsanam : die Körperstellung (Asana)
- śrī-mayūram : des ehrwürdigen (Shri) Pfauen (Mayura)
- bahu-kad-aśana-bhuktam : Nahrung ("Gegessenes" Bhukta, bestehend in (zu) viel (Bahu oder) abgestandene (oder überlagerte "schlechte") Speisen, Ashana)
- bhasma : (zu) Asche (Bhasman)
- kuryāt : macht, verwandelt (kṛ)
- aśeṣam : vollständig, restlos (Ashesha)
- janayati : bringt hervor, erzeugt (jan)
- jaṭharāgni : das Feuer (Agni) des Magens, des Bauches (Jathara)
- jārayet : verdaut (jṛ)
- kāla-kūṭam : (das Gift) Kalakuta ("Fallstrick des Todes")
Erläuterungen
Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass "sie macht zu Asche" (Bhasman kuryāt) "sie verdaut" (pācayet) bedeutet, insofern die Verdauung mit einem Verbrennungsprozess verglichen wird: bhasma kuryāt pācayet.
Dieser Vers wird hinsichtlich seiner Grammatik und Metrik ausführlich im Sanskrit Kurs Lektion 88 behandelt.
Kapitel 1 Vers 34 : Shavasana
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- uttānam : (auf dem Rücken) ausgestreckt (Uttana)
- śava-vat : wie ein Leichnam (Shava)
- bhūmau : auf der Erde, dem Erdboden (Bhumi)
- śayanam : das Liegen, Ruhen (Shayana)
- tad : das (ist, Tad)
- śava-āsanam : die Leichenstellung (Shavasana)
- śava-āsanam : die Leichenstellung
- śrānti-haram : beseitigt, nimmt fort (Hara) Ermüdung, Erschöpfung (Shranti)
- citta-viśrānti-kārakam : bewirkt, verursacht (Karaka) Erholung, Ruhe (Vishranti) des Geistes (Chitta)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 35 : Vier Sitzhaltungen
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- catur-aśīti : 84 (Chaturashiti)
- āsanāni : (Körper-)Stellungen (Asana)
- śivena : von Shiva
- kathitāni : wurden gelehrt, erwähnt (Kathita)
- ca : und, aber (Cha)
- tebhyaḥ : von diesen, aus diesen (Tad)
- catuṣkam : vier ("eine Gruppe von vier", Chatushka)
- ādāya : genommen, ausgewählt habend (ā + dā)
- sāra-bhūtam : als Hauptsache, als Bestes ("als das, was die Essenz ist", Sara-Bhuta)
- bravīmi : bespreche, beschreibe (brū)
- aham : ich (Aham)
Erläuterungen
Kapitel 1 Vers 36 : Vier Sitzhaltungen
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Übersetzung
Wort-für-Wort-Übersetzung
- siddham : (die Sitzhaltung der) Vollkommenen (Siddha)
- padmam : (die Sitzhaltung des) Lotus (Padma)
- tathā : ebenso, desgleichen (Tatha)
- siṁham : (die Sitzhaltung des) Löwen (Simha)
- bhadram : (die Sitzhaltung der) Glücklichen (Bhadra)
- vā : oder (auch, Va)
- iti : so (lauten, Iti)
- catuṣṭayam : die vier ("die Gruppe der vier", Chatushtaya)
- śreṣṭham : besten (Sitzhaltungen, Shreshtha)
- tatra : unter diesen (vier, Tatra)
- api : auch, sogar (Api)
- ca : und, aber (Cha)
- sukhe : (welche besonders) angenehm, bequem ist, Sukha)
- tiṣṭhet : man soll verweilen (sthā)
- siddha-āsane : in der Sitzhaltung der Vollkommenen, im vollkommenen Sitz (Siddhasana)
- sadā : immer, stets (Sada)
Erläuterungen