Geschichten

Aus Yogawiki

Geschichten sind wesentlicher Bestandteil der kulturellen Identität der Menschheit. Geschichten helfen dem Menschen zu lernen, zu verstehen und sich zu unterhalten. Geschichten haben die Eigenschaft Wissen und Weisheit zu transportieren, das sich im wesentlichen zu analytischen Denken unterscheidet. Hier findest du interessante Geschichten. Falls auch du eine wunderbare Kurz-Geschichte hast, sende sie doch an wiki@yoga-vidya.de. Vielen Dank und viel Freude beim lesen.

Geschichten werden besonders gerne am Feuer erzählt und gehört

Zwei Geschichten über Gelassenheit: Es ist alles zum Besten

Niederschrift eines Podcasts (2014) von Sukadev

Der Königsweg zur Gelassenheit, Buch von Sukadev Volker Bretz und Ulrike Schöber

Glück oder Pech?

Eine Geschichte ist eine Geschichte aus dem alten Russland. Ein Bauer hatte ein Pferd, einen Hengst. Und eines Tages ist der Hengst über die Koppel drüber gesprungen und war weg. Dann kamen die Nachbarn und haben ihn bedauert: "Oh du Armer, was ein Pech, dass dir dein Zuchthengst weggelaufen ist." Der Bauer sagte: "Glück oder Pech, wer weiß." Ein paar Tage später kam der Hengst wieder zurück – zusammen mit sechs oder sieben Stuten. Sagen die Nachbarn: "Oh, du hast ein Glück, jetzt hast du so viel mehr Pferde." Sagte der Bauer: "Glück oder Pech, wer weiß." Der Bauer hatte einen Sohn und der musste jetzt natürlich die Wildstuten einreiten. Dabei hat eine Stute ihn runtergeworfen und er brach sich ein Bein. Sagten die Nachbarn: "Oh, was hast du für ein Pech." Sagte der Bauer: "Glück oder Pech, wer weiß." Ein paar Tage später kamen die Militärwerber und sie nahmen alle jungen Männer aus dem Dorf mit für den Krieg, aber den Sohn nicht, denn der hatte ein gebrochenes Bein. Sagten die Nachbarn: "Oh, was hast du für ein Glück." Und unser Bauer sagte: "Glück oder Pech, wer weiß." Man kann auch sagen: Wer weiß, wozu es gut ist.

König und Minister

In der zweiten Geschichte geht es um König und Minister. Obgleich ich euch gesagt habe, man muss kein Optimist sein, der Minister war ein optimistischer Minister, und er hat dem König immer wieder gesagt: "Was auch immer geschieht, es ist zum Besten." Wenn Katastrophen kamen, hat der Minister gesagt: "Eure Majestät, Ihr werdet noch sehen, es ist zum Besten." Und der König hat es geliebt, von einem solchen Optimisten umgeben zu sein. Es gab auch Pessimisten, die dort geholfen haben, richtig aufzupassen auf alles, aber am liebsten war ihm die Gesellschaft des Optimisten. Es war schön, mit ihm zusammen zu sein.

Und so – das ist jetzt keine yogische Geschichte, denn die beiden sind auf die Jagd gegangen eines Tages. Yogis üben Ahimsa, haben Mitgefühl mit Tieren und bringen sie nicht um. Aber die beiden sind auf die Jagd gegangen, und der König hatte gerade einen Pfeil losgeschossen und hat nicht aufgepasst, die Sehne des Bogens ist an den kleinen Finger geraten und hat den kleinen Finger abgetrennt. Der Minister kümmerte sich darum, desinfizierte die Wunde und verband sie und sagte dann: "Euer Majestät, ihr werdet sehen, das wird zum Besten sein."

Es gibt Situationen, dann schweigt man besser. Der König hat sich jedenfalls furchtbar darüber aufgeregt: "Wie kannst du das sagen, das soll zu meinem Besten sein. Du hast überhaupt kein Mitgefühl. Ich werde dir zeigen, was für dich am besten ist." Und er ließ ihn in ein Verlies sperren. Gut, zwei Wochen später, die Wunde war andeutungsweise angeheilt, ergriff den König wieder das Jagdfieber. Er ging wieder in den Wald, diesmal ritt er weiter weg, er verirrte sich.

Im Wald gab es eine Gruppe von Dämonenverehrern und diese waren auf der Suche nach einem Menschenopfer. Und sie fanden den König und dachten: "Welch besseres Opfer könnte man haben für die Dämonen als den König des Landes." Und der König wurde gewaschen und neu angekleidet und zum Priester gebracht. Und der Priester wollte gerade sein Beil nehmen, um ihm den Kopf abzuschlagen, dann sah er, dass ein Finger fehlte. Dann sagte der Priester: "Nein, einen unvollkommenen Menschen können wir diesem Dämonen nicht opfern, sonst wird er zornig, und dann bekommen wir Probleme. Aber weil er jetzt schon dem Opfer gewidmet wurde, können wir ihn auch nicht umbringen. Verbindet ihm die Augen und führt ihn wieder raus."

Der König war überglücklich, dass er überlebt hatte. Er rannte zurück zum Gefängnis. Persönlich, mit seinen eigenen Händen öffnete er die Tür zum Verlies des Ministers und sagte: "Oh, Minister, du hattest doch recht gehabt. Es war doch zu meinem Besten, dass ich den Finger verloren hatte." Leicht verschmitzt fragte er noch den Minister: "Aber Minister, wenn alles zum Besten ist, dann muss es ja auch für dich zum Besten gewesen sein, dass ich dich ins Verlies gesperrt habe." Da sagte der Minister: "Ja, Eure Majestät, auch das ist am besten, denn ihr wisst, mein Orientierungssinn ist noch sehr viel schlechter als euer Orientierungssinn. Wenn Ihr mich nicht ins Gefängnis geworfen hättet, dann wäre ich Euch hinterhergeritten und die Dämonenverehrer hätten uns beide aufgegriffen und wenn sie festgestellt hätten, dass Ihr keinen Finger mehr habt, hätten sie mich geopfert. Daher, Eure Majestät, vielen Dank, dass Ihr mich ins Gefängnis geworfen habt." Dieser Minister ist jetzt nicht nur ein Optimist, sondern einer, der auch alles positiv deuten kann, alles positiv sehen.

Zwei Geschichten über Gelassenheit, die einen zum Nachdenken bringen. Du kannst selbst in der nächsten Woche überlegen, was kannst du machen, um diese positive Lebenseinstellung zu haben, dass du nicht zu schnell beurteilst, "gut" oder "schlecht" oder "schlimm", sondern dass du sagst, "gutes Schicksal, schlechtes Schicksal, wer weiß, es wird schon herauskommen." Aus allem kannst du lernen, aus allem kannst du wachsen. Wer weiß, wofür es gut ist. Auch aus der zweiten Geschichte kannst du die Essenz nehmen, letztlich ist alles zum Besten. Wir wissen es nicht in dem Moment, wir werden es langfristig sehen. Gehe von dieser Lebenseinstellung aus: Langfristig ist alles zum Besten.

Die Geschichte des Nachiketas

Yama unterweist Nachiketas

- Abschnitt aus dem Buch: Was wird aus der Seele nach dem Tode - von Swami Sivananda -

Ich nehme an, dass ihr alle die Geschichte des Nachiketas, die in der Katha-Upanishad erzählt wird, kennt. Sein Vater Gautama war gerade dabei, ein Opfer zu verrichten, als Nachiketas ihn fragte: "Und wem willst du mich opfern?" Sein Vater antwortete ärgerlich: "Dem Tod gebe ich dich!"

Nachiketas begab sich zur Wohnstätte des Todesgottes und wartete dort drei Tage und drei Nächte ohne Bewirtung, da Yama abwesend war und niemand im Hause war, der ihn hätte empfangen können. Nach drei Tagen kehrte der Todesgott zurück und fand Nachiketas , der seines Vaters Weisung gehorcht hatte, wartend vor.

Yama sprach zu Nachiketas: "O Brahmane! Da du als verehrungswürdiger Gast drei Nächte ohne Bewirtung in meinem Haus warten musstest, will ich dir als Vergeltung drei Wünsche erfüllen."

Nachiketas wünschte sich zuerst, dass sein Vater wieder mit ihm zufrieden sein möchte. Yama antwortete: "Dein Vater wird dich wie vorher aufnehmen und wenn er dich von meinen Banden frei sieht, wird sein Zorn schwinden."

Nachiketas zweiter Wunsch war, Yama sollte ihn ein heiliges Opferfeuer lehren. Yama versprach es ihm und sagte, dass dieses Feuer seinen Namen tragen sollte. Als dritten Wunsch sagte Nachiketas, Yama sollte ihm das Geheimnis des Todes enthüllen. "Ein Zweifel waltet, wenn der Mensch verscheidet. Er ist, sagt dieser - er ist nicht, sagt jener. Das möchte ich gern wissen. Enthülle mir, o Gott des Todes, dein Geheimnis. Kann der Mensch deinem Griff entrinnen?"

Yama antwortete: "Erlass mir diese Frage, denn selbst die Götter sind sich im Zweifel darüber und es ist in Wahrheit schwer zu verstehen, es schwer zu fassen ist. O, Nachiketas, wähle dir einen anderen Wunsch und zwinge mich nicht zu einer Antwort. Ich will dir statt dessen Söhne, Enkel, Gold, Pferde, Land, Reichtum, ein langes Leben, schöne Jungfrauen, Wagen und so weiter geben."

Nachiketas antwortete: "Alle diese Dinge sind vergänglich und schwinden mit der Kraft unserer Sinne. Selbst das längste Leben ist kurz, wenn man es mit der Ewigkeit vergleicht. Mich verlangt nicht nach deinen Wagen, Jungfrauen, nach Tanz und Musik, denn niemand kann durch Reichtum glücklich werden. Erfülle mir den einen Wunsch, den einzigen Wunsch, den ich habe: "Wie kann ich dir entfliehen?"

Gott Yama erkannte, dass der Knabe geeignet war, Jnana oder das Wissen von der Seele aufzunehmen und enthüllte ihm, wie der Mensch der Macht des Todes entrinnen kann. Er sagte: "O, Nachiketas! Vernimm und richte deine ganze Aufmerksamkeit auf das, was ich dich lehre. Ich will dir den Weg zeigen, der zur Unsterblichkeit führt. Der Mensch ist durch Begierden gebunden, die aus den Sinnen geboren sind. So ist er an das Rad von Geburt und Tod gefesselt. Er muss die Begierden und Wünsche vernichten und Geist und Sinne beherrschen lernen. Das ist der erste Schritt. Der Körper ist wie ein Wagen, die Sinne wie Pferde, der Geist gleicht den Zügeln und der Verstand ist der Lenker. Atman oder das Selbst ist der Herr des Wagens. Die Sinnesobjekte sind die Straßen. Die Pferde laufen hinter den Sinnesobjekten her und ziehen dabei den Wagen mit sich fort. Sie müssen auf den richtigen Pfad gebracht werden. Wer keine Unterscheidungskraft besitzt und seinen Geist nicht beherrscht, dessen Sinne (Pferde) sind so unkontrolliert wie die stürmischen Pferde eines Wagenlenkers. Er gelangt nicht zum Ziel des Lebens, sondern wird in den Kreislauf von Geburt und Tod verstrickt. Wer aber Verständnis hat und seinen Geist beherrscht, dessen Sinne sind kontrolliert wie die gehorsamen Pferde eines Wagenlenkers; er erreicht sein Ziel und wird nicht wiedergeboren. Das ist das Ende seiner Wanderung, die höchste Wohnstätte Vishnus."

"Meditiere über das Eine, das Ewige, den Atman, der im Innersten des Herzens wohnt und richte deinen Geist auf das Höchste Selbst. Wenn alle Wünsche und Sinne vernichtet und die drei Knoten der Unwissenheit gelöst sin, erlangst du Unsterblichkeit oder Selbstverwirklichung oder Brahma Jnana. Das ist das Geheimnis des Todes, o Nachiketas, und seiner Überwindung."

"Der Atman kann nicht von dem gefunden werden, der an die Sinne gebunden und schwach ist. Er kann nicht durch den Intellekt und den Verstand gefunden werden, denn das Selbst enthüllt sich nur dem, des es erwählt hat und seine Wahl wird bestimmt durch die Reinheit und Selbstlosigkeit im Leben eines Aspiranten."

"Erhebe dich und erwache! Du hast die großen Lehren gehört, fange an zu lernen und verwirkliche den wunderbaren Atman. Der Pfad, der dorthin führt, ist schmal wie eine Messerschneide und sehr schwer zu gehen, - so sagen die Weisen."

Nachiketas verstand die Lehren, die Yama ihm erteilt hatte und auch alles, was er über Yoga gesagt hatte; er wurde frei von Leidenschaften, Unreinheiten und Tod und erlangte Brahma oder das Unsterbliche Selbst. Das kann jeder Mensch erreichen, der den Atman oder das Unsterbliche Selbst erkennt.

Chudulai und Shikidwaja

Vishvamitra und Vasishtha

Wer bin ich? Unsterblichkeit und Freiheit.

Geschichten und Märchen faszinieren die Menschen seit alters her, deshalb gibt es in allen Kulturen eine Vielzahl mythologischer Geschichten. Sie sind unterhaltsam, rätselhaft, mit unerwarteten Wendungen. Tiefgründig und voll vielschichtiger Weisheit und tiefer spiritueller Bedeutung sind sie ein didaktisches Hilfsmittel der Meister, um tiefe spirituelle Wahrheiten zu verdeutlichen.

Diese Geschichte stammt aus der Yoga Vashishta, eine der Jnana Yoga Schriften, über die wir im Rahmen der Bhumikas noch etwas mehr hören werden. Sie lehrt durch viele verschiedene Geschichten

Vorgeschichte zur Yoga Vashishta

Königssohn Rama – (Yoga Geschichten, S. 25)

Die Lebensgeschichte von Rama als Avatar ist im Ramayana beschrieben – Autor ist Valmiki (Ratnakar). Rama wird hier als einfacher Aspirant und nicht als Avatar dargestellt. Er ist der Sohn von Dasharatha in Ayodhya und sollte das Königreich erben. Er begab sich auf Reisen, um sich das Königreich anzusehen und redete danach nicht mehr. Der Weise Vishwamitra brachte ihn zum Reden und stellte fest, dass er sich auf der ersten Stufe zur Selbstverwirklichung (Shubheccha – Wunsch nach Befreiung) befand. Er bestimmte Vashishta zum Lehrer, der den noch jungen Rama durch Geschichten lehrte. Geschichten, die oft ins Paradoxe hineingehen und die Relativität von Zeit und Raum beleuchten und auf vielleicht nicht intellektuelle Weise zum Verständnis des Jnana Yoga hinführen. Eine der Geschichten ist die Geschichte von König Shikidwaja und Königin Chudula.

Geschichte von Chudula und Shikidwaja

Es war einmal … ein König, der hieß Shikidwaja. Er war ein normaler König und bemüht, ein guter und rechtschaffener König zu sein. Er liebte auch Luxus und Berühmtheit und wollte als der größte aller Könige in die Geschichte eingehen.

Chudula, seine Frau war eine große Yogini, eine Yogameisterin, die die Selbstverwirklichung fast erreicht hatte. Sie hatte alle möglichen übernatürlichen Kräfte. Wenn ein Meister weiß, dass er das Unendliche ist, sind die Gedanken so stark, dass sie sich manifestieren, auch wenn das physikalisch sehr schwer ist. Sie wusste, dass ihr Mann spirituelle Samskaras, geistige Eindrücke im Unterbewusstsein aus früheren Leben, hatte und sie versuchte, den König zur spirituellen Praxis zu bewegen. Essen, Trinken, Schlafen, Geld, Reichtum, Regierung, Luxus, Schloss bauen, Reich vergrößern ist nicht alles, es muss mehr geben, strebe doch danach – du musst etwas für deine spirituelle Praxis tun. Männer hören nicht auf Frauen und besonders nicht auf ihre eigenen. „Lass mich doch mit diesem Unsinn in Ruhe, ich praktiziere, ein rechtschaffener König zu sein und du kannst ja gerne deine Praktiken machen.“

Sie ersann eine List

Sie sagte zu ihrem Mann, du hast das schönste Schloss aller Länder, die schönsten Elefanten, den schönsten Rubin an der Krone, das beste Krankenhaus, bist der freigiebigste Spender für die Armen, aber eines fehlt dir noch, um über andere Königreiche zu triumphieren. Du hast noch nicht die großartigste Debatte der berühmtesten Gelehrten. Es gehörte zum Ruhm eines Königshofs dazu, dass große Schriftgelehrte zusammenkamen und diskutierten. Im alten Indien wurde das Wissen hoch geschätzt. Es gab Debatten, um Meinungsverschiedenheiten auszutragen und den anderen von eigenen Ansichten zu überzeugen. Ein neutraler Schiedsrichter verkündete am Ende den Sieger. Dies ist eine Errungenschaft der Zivilisation und Toleranz, anstatt unterschiedliche Ansichten auf dem Schlachtfeld auszutragen. Er überlegte und dachte: „Ja, das brauche ich noch.“ Da er sich nicht auskannte, sollte sie das organisieren. Sie lud die Gelehrten ein und bestimmte das Thema: VairagyaVerhaftungslosigkeit, Wunschlosigkeit, Entsagung. Die einzige Bedingung war, der König musste dabei sein, damit die großen Schriftgelehrten auch kommen und nicht beleidigt sind. Ein großer Preis wurde ausgesetzt (5000 Goldmünzen und 100-1000 Kühe).

Als aufmerksamer Leser wirst du sofort erkannt haben, dass eine derartige Debatte und ein solches Thema ein Widerspruch in sich waren, denn einerseits sollten sich die Schriftgelehrten um Leidenschaftslosigkeit und Entsagung streiten, andererseits würde der Sieger der Redeschlacht tausende Goldmünzen und Kühe erhalten und sich außer dem mit dem zweifelhaften Ruhm schmücken, der weiseste Mensch aus mehreren Königreichen zu sein.

Die Pandits reisten an und die Debatte begann

Prunkvoll reisten die Pandits, die Schriftgelehrten, von weit her an. Chudulai sagte zu ihrem Mann: „Du selbst musst während der Veranstaltung anwesend sein, sonst ist das eine Beleidigung für alle.“ Er jedoch fragte: „Reicht es nicht, wenn du dabei bist? Du bist doch die Königin.“ „Nein“, sagte sie, „das reicht nicht. Die Leute erwarten dich.“ „Gut“, seufzte er. Ja, ja, was tut man nicht alles für den Ruhm des Königreiches und vor allem für den eigenen!

Als Erster trat ein Pandit auf, der sprach: „O König, alles Leben ist Leiden. Geboren zu werden, ist Leiden, denn kein Kind kommt lachend auf die Welt, sondern ein jedes schreit mit den ersten Atemzügen. Hilflos sind die Kinder danach für Jahre, die ihnen endlos erscheinen. Als ältere Kinder sodann wollen sie schnellstens erwachsen werden. Erinnere dich, o König, eine der schlimmsten Drohungen aus der Kindheit ist: ‚Wenn du jetzt nicht brav bist, wirst du nicht groß und stark.’ Und auch die Jugendlichen wollen möglichst schnell selbständig und erwachsen werden, aber zäh verrinnen die Jahre. So voller Emotionen sind die Heranwachsenden, dass sie nicht wissen, was mit ihnen geschieht. Der Erwachsene verbringt das ganze Leben in der Familie und im Beruf. Und der alte Mensch schließlich bedauert, dass er in seinem Leben nicht das gemacht hat, was er eigentlich hätte machen sollen oder wollen. Eine Krankheit nach der anderen befällt ihn und zum Schluss ist er tot. Oh König, alles Leben ist Leiden.“

Nach ihm ergriff der nächste Schriftgelehrte das Wort: „O König“, sagte er, „alle Wünsche führen zum Leiden. Es gibt nämlich drei Möglichkeiten:

  • Entweder, man will etwas und bekommt es nicht – die Konsequenz ist Leiden.
  • Oder man will etwas, bekommt es und verliert es wieder – die Konsequenz ist noch mehr Leiden.“
  • Und das Dritte ist, man will etwas, bekommt es und es bleibt mit einem – Konsequenz: Es mag ein paar Tage Freude bereiten, aber dann ist doch wieder Leiden, denn man erkennt, dass man nicht so glücklich damit wird, wie man es sich eigentlich vorgestellt hat.“

Dann trat ein nächster Gelehrter auf: „O König, alle Menschen denken, dass andere glücklicher sind als sie selbst. Die Menschen auf dem Lande denken, dass die Menschen in der Stadt glücklicher sind. Die Menschen in der Stadt denken, dass die Reichen glücklicher sind. Die Reichen denken, dass die Mächtigen glücklicher sind. Die Mächtigen denken, dass du, o König, am glücklichsten bist. Aber ich glaube nicht, dass du glücklich bist, o König; keiner ist glücklich auf dieser Welt.“ In dieser Art wurde die Debatte weitergeführt.

Schließlich aber betrat ein Weiser den Saal, stellte sich vor den König und sagte: „Om na karmana na prajaya dhanena tyagenaike amritatwa manusuh.“ Alles klar? „Om na karmana na prajaya dhanena tyagenaike amritatwa manusuh.“ Jetzt klar? „Nicht durch irgendwelche Werke, nicht durch irgendwelche Praktiken, nicht durch irgendwelche Rituale wird Unsterblichkeit erreicht, sondern allein durch Entsagung.“

Der König versank in Gedanken. Irgendwie hatte all dieses, was gesagt worden war, einen Nerv in ihm getroffen. Er war zwar noch körperlich anwesend, aber er hörte dem Gespräch gar nicht mehr zu. Schließlich sagte er zu seiner Frau: „Sag schon, wer gewonnen hat. Gib ihm den Preis.“ Die ganze Nacht konnte er nicht schlafen. Er überlegte und dachte nach und am nächsten Morgen war sein Entschluss gefasst: Er wollte allem entsagen und das Königreich verlassen. Das war nun nicht gerade das, was die Königin hatte bewirken wollen. Sie rief aus: „Aber das ist nicht der Sinn des spirituellen Lebens! Bleibe im Königreich, regiere, erfülle deine Pflichten und erkenne, dass sich hinter allem noch etwas anderes verbirgt. Wer wegläuft, erreicht nicht die Selbstverwirklichung.“

Hörte der König auf seine Frau?

Hörte der König jetzt auf seine Frau? Natürlich nicht. „Weißt du“, sagte er, „du bist noch nicht so weit. Ich übergebe dir das Königreich. Regiere es, und wenn du auch so weit gekommen bist wie ich, dann entsage ebenfalls.“ Hier eine kleine Bitte an den Leser: Sage niemals einem Menschen: „Du bist noch nicht so weit!“ Es sei denn, du willst in deiner Partnerschaft eine große Krise erzeugen oder jemand so vor den Kopf stoßen, dass er nie wieder mit dir spricht. Dieser Ausspruch ist die höchste Form von Arroganz, die es gibt. Niemand weiß, wie „weit“ jemand ist oder nicht ist. Vieles kann Illusion sein. Der König sagte also zu seiner Frau: „Du bist noch nicht so weit, ich verlasse jetzt das Königreich.“

Am Rande der Stadt warf er seine Gewänder ab

Und er tat, was er angekündigt hatte. An der Grenze der Stadt ließ er seine Kleider fallen und betrat nackt den Urwald. Viele, viele Kilometer wanderte er, um sich schließlich mitten im Urwald an einer Stelle, wo er wusste, dass dort Bananen, Mangos und andere Früchte wuchsen, eine Hütte zu bauen. Damals gehörte Überlebenstraining zur Ausbildung eines Kindes, deshalb kannte er sich mit all diesen Dingen aus. Leicht ging ihm die Arbeit trotzdem nicht von der Hand. Mühselig errichtete er sich aus umgestürzten Bäumen mit Hilfe von Lianen und Bast eine notdürftige Hütte. Auch Kleider fertigte er sich aus Bast. Jetzt war er angekommen, hatte sich eingerichtet und es war gar nicht so unangenehm, im Wald zu leben: Keiner, der ihn ständig etwas fragte. Keiner, den er beeindrucken musste. Ab und zu hatte er vielleicht für ein paar Tage nichts zu essen, weil keine Mango und keine Bananenstaude reif waren, aber insgesamt war das Leben durchaus angenehm. Das unendliche Glück jedoch, die Unsterblichkeit, ließ auf sich warten; in seinem Bewusstseinszustand konnte er keine grundlegende Veränderung erkennen. Irgendetwas, dachte er, müsse er jetzt tun, und so begann er zu meditieren. Als Kind hatte er das ein wenig gelernt. Später, als Jugendlicher, hatte er es aufgegeben und als Erwachsener kaum noch daran gedacht. Nun meditierte er also wieder.

Er erinnerte sich an ein Mantra, und notdürftig rief er sich ein paar Atemübungen und Asanas (Yogaübungen) ins Gedächtnis. Zwar bekam er so einige schöne Energieerfahrungen, die Unsterblichkeit aber ließ weiter auf sich warten.

Wenn der Schüler bereit ist...

Schließlich begriff er, allein käme er nicht ans Ziel, sondern er bräuchte einen Guru, einen spirituellen Lehrer. Tief aus dem Innersten betete er: „O Gott, ich weiß nicht, was ich machen soll, denn so komme ich auf meinem Weg nicht weiter. Ich brauche einen Guru. Bitte schicke mir einen spirituellen Lehrer.“

Eine alte Aussage besagt: „Ist der Schüler bereit, ist der Lehrer nicht weit.“

Chudulai, mit ihrem geistigen Auge – es heißt, dass große Meister und Meisterinnen große telepathische und sonstige Fähigkeiten haben, und gleich werdet ihr von noch wunderbareren hören – Chudulai hatte mit ihrem geistigen Auge den Fortschritt ihres Mannes verfolgt. Sie wusste, dass er jetzt bereit war. Aber da sie erfahren hatte, dass er von ihr keine Ratschläge annehmen würde, ersann sie eine weitere List. Zu ihren Ministern sagte sie: „Bitte stört mich während der nächsten Stunden nicht. Ich werde jetzt meditieren. Unter keinen Umständen dürft ihr mich stören.“ Und sie verschloss ihre Kammer, ging in tiefe Meditation und verließ mit dem Astralkörper ihren physischen Körper. So reiste sie zu König Shikidwaja und manifestierte sich als Swami Kumbha in orangenen Gewändern, mit einem langen, wallenden, weißen Bart, einen Meter über dem Boden schwebend.

Der König betete gerade: „Bitte, lieber Gott, schicke mir einen Guru, einen Meister, ich komme allein nicht weiter!“

Swami Kumbha

Als er die Augen öffnete, sah er, wie aus fünfzig Meter Entfernung ein Guru in orangenen Gewändern, mit langem, weißem Bart und im vollen Lotussitz auf ihn zuschwebte. Zwei Meter vor ihm, immer noch schwebend, hielt der Guru an.

Der Guru schaute sehr ernst, hob den Zeigefinger und sagte: „Om na karmana na prajaya dhanena tyagenaike amritatwa manusuh!“.

Er hatte weder gegrüßt, noch sich vorgestellt. „Nicht durch irgendwelche Werke, nicht durch irgendwelche Praktiken, nicht durch irgendwelche Rituale wird Unsterblichkeit erreicht, sondern allein durch Entsagung.“

Der König verneigte sich.

„Ehrwürdiger Swami (selbstverwirklichter Meister), ich habe allem entsagt: Meinem Königreich habe ich entsagt, nackt habe ich diesen Urwald betreten, trotzdem merke ich nichts von irgendeiner Unsterblichkeit.“

Swami Kumba sprach: „Deinem Königreich hast du entsagt?“

„Ja, meinem Königreich!“

„Wieso deinem Königreich?“

„Ich habe es geerbt.“

„Du hattest das Königreich geerbt und nanntest es dann dein! Hast du die Bäume in deinem Königreich gepflanzt?“

„Nein.“

„Hast du die Menschen in deinem Königreich geschaffen?“

„Nein.“

„Hast du die Häuser in deinem Königreich gebaut?“

„Nein.“

„Hast du die Felder in deinem Königreich angelegt und bestellt?“

„Nein.“

„Hat sich das Königreich aufgelöst, nachdem du ihm entsagt hast?“

„Nein.“

„Geht es den Menschen in deinem Königreich sehr viel schlechter, weil du ihm entsagt hast?“

„Vielleicht, aber meine Frau ist klug, vermutlich nicht.“

„O König, dein Reich hattest du als eine bestimmte Aufgabe geerbt, nie hat es dir gehört, nie hattest du die Kontrolle über ein einziges Blatt in ihm, und was dir nicht gehört hat, dem konntest du auch nicht entsagen.“

„Ich habe meinem Palast entsagt.“

„Deinem Palast?“

„Ja, ich habe ihn gebaut.“

„Allein?“

„Nein, natürlich nicht, ich habe ihn bauen lassen.“

„Aha, bauen lassen!“

„Ja, aber ich habe gesagt, wie groß er sein und wie er aussehen sollte.“

„O König, woraus ist der Palast gebaut?“

„Aus Marmor, Gold, Diamanten, Edelsteinen ...“

„Und woher stammt der Marmor, das Gold ...?“

„Aus meinem Königreich.“

„Wir haben doch soeben festgestellt, dass das Königreich nicht wirklich dir gehörte. Du hast also Marmor und Diamanten aus der Natur geholt oder vielmehr holen lassen, die dir nicht gehört. Und wer hat den Palast errichtet?“

„Alle möglichen Arbeiter.“

„Die dir gehörten?“

„Ja, es waren meine Untertanen.“

„Deine Untertanen? Du hast sie geschaffen? Könntest du auch nur einen Finger mehr an ihnen wachsen lassen, wenn du wolltest? O König, kein Mensch war jemals dein Untertan. Du hattest eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen, von der du letztlich davongelaufen bist und das ist keine Entsagung. Nichts hast du entsagt!“

„Ich habe meiner Frau entsagt.“

„Deiner Frau?“

„Ja, wessen denn sonst?“

„O König, deiner Frau? Hat sie dir jemals gehört? War sie dein Besitz?“ Wenn zwei Menschen in Indien heiraten, dann heißt es, dass jeder eine Ardha, eine Hälfte ist; der Eine ist die Hälfte des Anderen.

„O König, deine Frau hat dir niemals gehört. Deine Frau hat sehr wohl vor dir gelebt und sie lebt sehr gut auch jetzt, nachdem du sie verlassen hast. Sie hat ihre eigene Persönlichkeit. Nur dadurch, dass ihr einen Bund der Ehe eingegangen seid, war sie noch lange nicht deine Frau. O König, da deine Frau dir nie gehört hat, konntest du ihr auch niemals entsagen. Was oder wem hast du also entsagt?“

„Ich habe meinen Kindern entsagt.“

Deinen Kindern?“

„Ja, ich habe sie gezeugt.“

„Allein?“

„Nein, natürlich nicht.“

„Woher stammen die Seelen dieser Kinder?“

Keine Antwort.

"O König, uralt sind ihre Seelen und durch dich haben sie sich nur neu manifestiert, inkarniert. Nicht einmal zur Hälfte hast du ihre Seelen geschaffen. Und ihr

Körper, wie ist ihr Körper gewachsen?“

„Ja, zuerst im Mutterleib.“

„In deinem?“

„Nein, nein, natürlich in dem meiner Frau.“

„Und wie hat deine Frau die Embryos ernährt?“

„Sie hat gegessen und die Embryos so mit ernährt und später hat sie die Kinder gestillt.“

„Und wodurch sind die Kinder danach gewachsen?“

„Ja, indem sie gegessen haben.“

„Was haben sie gegessen?“

„Reis und Dhal, Gemüse und Chapati und manchmal auch gute Nachspeisen.“

„Und woher stammten sie?“

„Aus meinem König..., Entschuldigung, von den Äckern in dem Königreich, das ich früher als mein bezeichnet habe.“

„Oh König, du siehst, die Seelen deiner Kinder haben sich nur neu manifestiert, ihre Körper sind gewachsen dank der Nahrung aus der Natur, sie haben sich nicht in nichts aufgelöst dadurch, dass du ihnen entsagt hast; oh König, deine wunderbaren Kinder haben dir niemals gehört. Als Vater hattest du bestimmte Aufgaben zu erledigen, nichts weiter.“

Swami Kumbha schaute wieder ganz streng und wiederholte: „Om na karmana na prajaya dhanena tyagenaike amritatwa manusuh!

In einer Woche komme ich wieder. Ich will, dass du dann etwas entsagt hast.“

Über dieses Gespräch dachte der König während der nächsten Woche nach und plötzlich sah er die Natur mit ganz anderen Augen. Er sah die Schönheit des Waldes, er sah das Wunder eines einzelnen Blattes. Und wenn er auf dem Boden Blätter beiseite schob, dann sah er die vielen unterschiedlichen Insekten, die dort lebten. „Ach, wie überheblich war ich“, rief er, „und ich hatte gedacht, das alles gehört mir!“ Seine Meditation wurde ruhiger, tiefer, sie bekam eine ganz neue Qualität.

Der Tag nahte, an dem Swami Kumbha zurückkehren würde. Der König zermarterte sich den Kopf, denn endlich wollte er etwas entsagen, was wirklich ihm gehörte. Meiner Hütte, meiner Kleidung und meinem Essgeschirr werde ich entsagen, beschloss er, und dies gehört nun wirklich mir, denn ich habe es mit meinen eigenen Händen angefertigt. Gedacht, getan: Er verbrannte die genannten Dinge.

Indessen sagte Chudulai wieder zu ihren Ministern: „Bitte stört mich während der nächsten Stunden nicht, denn ich werde mich wiederum in eine tiefe Meditation begeben.“ Sie betrat ihr Zimmer, schloss sich ein, ging in die Meditation, verließ mit ihrem Astralkörper den physischen Körper und manifestierte sich als Swami Kumbha. Streng schaute er dem König in die Augen und sagte: „Om na karmana na prajaya dhanena...! Was hast du entsagt?“

Stolz erwiderte der König: „Ich habe meiner Hütte entsagt.“

„Deiner Hütte?“

„Ja, mit meinen eigenen Händen hatte ich sie gebaut und nun habe ich sie verbrannt; ich habe ihr entsagt.“

„Woraus hattest du die Hütte gebaut?“

„Aus Bäumen, die umgestürzt auf dem Boden lagen.“

„Und woher stammten diese Bäume?“

„Hier aus dem Wald.“

„Und dieser Wald hat dir gehört?“

„Nein, erstens habe ich ihm schon entsagt und zweitens hat er mir nie gehört.“

Der König hatte also bereits etwas gelernt.

„O König, aus einem Wald, der dir nie gehörte, hattest du also, ohne jemanden zu fragen, Stämme herbeigeholt. Hattest aus ihnen eine Hütte gebaut, die Hütte dann verbrannt, Kleintiere getötet und die Umwelt verräuchert, und das nennst du Entsagung? O König, du hast noch immer nicht verstanden.“

„Ich habe meinem Essgeschirr entsagt.“

Deinem Essgeschirr? “

„Ja, ja, ich weiß schon. Und mit meinem Bastrock wird es das gleiche sein.“ Shikidwaja war niedergeschlagen. Wieder schaute ihn Swami Kumbha streng an. „Om na karmana …!“, rezitierte er seinen Vers. „In einer Woche kehre ich zurück, dann will ich, dass du etwas entsagt hast.“

Obwohl der König ratlos war, schätzte er nun die Natur, in der er lebte, noch höher. Und wenn er sich eine Banane pflückte oder Kräuter sammelte, dann spürte er eine neue Beziehung zu all den Pflanzen und Dingen um sich herum. Dankbar bereitete er sich abends ein Lager aus trockenen Blättern. Zum Glück war gerade keine Monsunzeit und es regnete kaum. Doch die Frage blieb, wem oder was konnte er entsagen? Was war sein? Was war wirklich ganz allein sein? Als Swami Kumbha eine Woche später erneut herbeischwebte, fand er Shikidwaja nicht an der gewohnten Stelle. Er musste eine zweite geistige Vision einschalten und sah dann, dass Shikidwaja auf einem hohen Felsen stand.

Eilends glitt er zu diesem Felsen, hielt über dem Abgrund inne und rief: „König, König, was willst du entsagen?“

„Ich will meinem Körper entsagen!“ Und schon lief Shikidwaja los, um sich hinunter in die Schlucht zu stürzen.

Aber Swami Kumbha war bereits neben ihm, hielt ihn an der Schulter zurück und sagte: „Moment, deinem Körper willst du entsagen?“

„Ja.“

„Wieso deinem Körper?“

„Ja, wessen denn nun sonst?“

„Woher stammt dieser Körper?“

„Nun, Mutter und Vater hatten etwas damit zu tun …“

„Und wie ist der Körper dann gewachsen?“

„Na, das hatten wir schon einmal besprochen, als es um meine Kinder ging. Durch alles mögliche: Getränke, Nahrung …“

„Gut, und wenn du nun dem Körper entsagst, was geschieht dann mit ihm?“

„Die Geier und die Tiger werden ihn fressen.“

„Könntest du deinen Körper auf ewig erhalten?“

„Nein, natürlich nicht.“

„Wenn du wolltest, könntest du dir eine zweite Nase wachsen lassen?“

„Natürlich nicht.“

„Könntest du dir deine Haare plötzlich grün wachsen lassen?“

Shikidwaja blieb stumm.

„O König, dieser Körper ist ein großartiges Geschenk von Mutter Natur, er ist ein großartiges Wunder. Jeder Atemzug, jeder Blick, jede Wahrnehmung eines Geräusches. Nicht einmal erklären könntest du, wie ein Fingernagel wächst! Du kennst nichts und beherrschst nichts, du sammelst Früchte und Kräuter aus der Natur, stärkst auf diese Weise deinen Körper, nennst diesen Körper dann dein und jetzt willst du dieses großartige Geschenk zerstören? Das nennst du Entsagung? O König, nichts hast du verstanden. In einer Woche kehre ich zurück.“

Den Zustand des Königs kann sich sicher jeder vorstellen. Und doch hatte Shikidwaja auch wieder etwas gelernt: tatsächlich, jeder Atemzug, jeder Schritt, jede Pore seiner Haut, jedes Haar war ein Wunder. Nur das Entsagen bereitete ihm Kopfzerbrechen. Denke ich falsch? Vielleicht sollte ich meinen Wünschen entsagen? Und dann dachte er: „Ich werde meinen Gedanken entsagen.“

Gut. Wie gewohnt erschien Swami Kumbha eine Woche später.

„Was, König, willst du entsagen?“

„Ich will meinen Gedanken entsagen.“

Deinen Gedanken? Ah, deinen Gedanken! Du hast also deine Gedanken im Zaum?

Du kannst sie vollständig steuern, beherrschen?“

Nun, wer kann seine Gedanken schon vollständig beherrschen? Es heißt zwar, Yogis könnten das, aber wenn, dann höchstens während der Meditation. Niemand kann seine Gedanken ständig steuern. Man stelle sich vor, jeden einzelnen Gedanken müsste man hervorrufen oder nicht hervorrufen...

Swami Kumbha sagte: „O König, zeitweise wirst du deine Gedanken vielleicht zur Ruhe bringen, doch nicht für längere Zeit. Deine Gedanken kommen und gehen, du kannst ihnen nicht entsagen. Überlege aber: Was ist die Ursache der Gedanken? In einer Woche werde ich wieder erscheinen.“

Während der König in der folgenden Woche meditierte, beobachtete er das Spiel seiner Gedanken und musste zuweilen lächeln. Was für eigenartige Bilder, Erinnerungen, Pläne, Wünsche tauchten da auf! Er erkannte, dass seine Wünsche die Ursache seiner Gedanken waren.

Und so sagte er zu Swami Kumbha, als dieser nach einer weiteren Woche erschien: „Vielleicht, o Herr, sollte ich meinen Wünschen entsagen.“

Swami Kumbha erwiderte: „O König, auch deine Wünsche sind nicht wirklich dein. Weder hast du sie willkürlich geschaffen, noch kannst du sie willkürlich ändern. O König, auch diese Wünsche sind einfach nur da. In einer Woche werde ich dich erneut besuchen.“

Der König meditierte während der nächsten Woche darüber und erkannte, wie die Wünsche in seine Gedanken hineingelangten. Tatsächlich stiegen oft die verschiedensten Wünsche in ihm auf: mal nach einer guten Mango, mal nach einer reifen Banane, und dann dachte er an seine Frau, an seinen Schimmelhengst, auf dem er früher so gern geritten war oder an seine Elefanten. Er stellte fest, die Wünsche tauchten zwar auf, aber sie gehörten ihm nicht. Er konnte ihnen auch nicht einfach so entsagen. Erfreut beobachtete er allerdings, dass sie, wenn er sich nicht mit ihnen identifizierte, schwächer wurden. Und dann entdeckte er, dass es etwas gab, was die Wünsche zusammenhielt: das Ego. Das Ego hielt die Wünsche zusammen.

Demütig sagte er zu Swami Kumbha, als dieser wieder herbeischwebte: „Vielleicht sollte ich meinem Ego entsagen.“

Der Heilige lächelte. „Was ist das Ego ohne Wünsche, ohne Verhaftung und ohne Identifikation?“, fragte er und verschwand.

In tiefer Meditation kam der König während der nächsten Woche zu dem Schluss, das Ego sei so etwas wie eine Zwiebel, denn wenn man von einer Zwiebel alle Schalen entfernt, was bleibt dann übrig? Nichts! Und wenn man vom Ego alle Wünsche und Identifikationen entfernt, dann bleibt ebenfalls nichts übrig, nichts, was man als Ego bezeichnen könnte. Das erzählte der König Swami Kumbha, als dieser nach einer Woche wieder schwebend im Lotussitz vor ihm saß.

Swami Kumbha sagte: „Nun, dann versuche noch zu erfahren, was jenseits von den Wünschen und Gedanken, jenseits vom Ego ist.“

Der König meditierte über diese Frage. Er hatte sich inzwischen vom Körper, von Gedanken, Wünschen, Emotionen und äußeren Besitzidentifikationen lösen können. Er erfuhr, dass es jenseits von all dem viel Licht und Wonne, Weisheit und Intuition gab. Am Ende der Woche erzählte er das Swami Kumbha.

Dieser schaute ihn nur kurz an und sagte: „Tat Tvam Asi – das bist du.“ Der König fiel in tiefe Meditation. Swami Kumbha verschwand.

Chudulai rief nach einer weiteren Woche ihre Minister zusammen und diesmal befahl sie, dass alle Minister und der gesamte Hofstaat mit allen Pferden und Elefanten sich bereit machen sollten zu einem Ausflug. Auch der Schimmelhengst des Königs sollte gesattelt mitgeführt werden. Und so zogen sie dann hinaus in den Urwald, Chudulai auf einem weißen Elefanten.

Der König befand sich noch immer im überbewussten Zustand, in Samadhi. Er hatte verwirklicht: „Aham Brahmasmi, ich bin Brahman, ich bin das unendliche Bewusstsein, ich bin eins mit dem Unendlichen.“

Alle Verhaftungen, Identifikationen und Wünsche hatte er transzendiert und seine wahre Natur erkannt.

Chudulai trat vor den König. Mit dem Mantra „Ooooooommm“ holte sie ihn aus der tiefen Meditation in das Normalbewusstsein zurück. Er erkannte, dass er selbstverwirklicht war und dass Chudulai vorher als Swami Kumbha sein Meister gewesen war.

Er verneigte sich vor ihr und sagte: „O Liebling, danke, dass du mich auf meinem Weg begleitet und mich belehrt hast; du bist mein Guru. Nun habe ich die Unsterblichkeit erreicht, nichts mehr gibt es zu tun.“

Lächelnd erwiderte Chudulai: „Lieber, wieder irrst du, dein Karma ist noch nicht zu Ende. Kehre zurück, zusammen wollen wir das Königreich regieren und uns um unsere Kinder kümmern. Dieser Aufgabe können wir uns nun in dem vollen Bewusstsein stellen, dass unsere wahre Natur Brahman (das Absolute) ist, dass die Natur hinter allem Brahman ist, dass die ganze Welt eine Manifestation Brahmans, des Göttlichen, ist.“

Der König nickte. Dann fragte er: „Was eigentlich war zu entsagen?“ Die Königin lächelte nur. In einer anderen Version: Eigentlich war nur der Vorstellung zu entsagen, dass es etwas gibt, was zu entsagen ist).

Wie sieht Frieden aus?

Wasserfall in Neuseeland

Es war einmal ein König, der alle Künstler/innen seines Landes dazu einlud, den Frieden zu malen. Das beste Bild sollte eine hohe Belohnung bekommen.

Alle Maler/innen machten sich eifrig an die Arbeit und brachten dem König ihre Bilder. Zwei davon gefielen dem König besonders gut. Das erste war ein perfektes Abbild eines ruhigen Sees, in dem sich malerische Berge und die Wolken des Himmels spiegelten. Jeder, der das Bild sah, dachte sofort an den Frieden. Das zweite Bild war anders. Auch hier waren Berge zu sehen; diese aber waren zerklüftet, rau und kahl. Am düsteren grauen Himmel über den Bergen waren dunkle Wolken, Regen und Blitz zu sehen. An einem der Berge stürzte ein tosender Wasserfall in die Tiefe, der Bäume, Geröll und kleine Tiere mit sich riss. Keiner verstand, wieso es hier um Frieden gehen sollte. Doch der König entdeckte dass auf der zerklüfteten Felswand hinter dem Wasserfall ein winziger Busch wuchs. In diesem hatte ein Vogel sein Nest gebaut. Dort in dem wütenden Unwetter an diesem unwirtlichen Ort saß der Muttervogel auf seinem Nest - in perfektem Frieden.

Welches Bild gewonnen hat? Der König wählte das zweite und begründete das so: 'Lasst euch nicht von schönen Bildern in die Irre führen: Frieden braucht es nicht dort, wo es keine Probleme und keine Kämpfe gibt. Wirklicher Frieden bringt Hoffnung, und heißt vor allem, auch unter schwierigsten Umständen und größten Herausforderungen, ruhig und friedlich im eigenen Herzen zu bleiben.'

Verfasser unbekannt, gefunden bei mymonk.de

Eine weise Geschichte über Vertrauen und Gelassenheit

Entwickle Gottvertrauen

- Ein Beitrag aus dem Yoga Vidya Journal Nr. 41, II/2020 - Urheber unbekannt, Hinweise sind willkommen -

In der Hauptstadt seines Landes lebte ein guter und gerechter König. Oft verkleidete er sich und ging unerkannt durch die Straßen, um zu erfahren, wie es um sein Volk stand.

Eines Abends geht er vor die Tore der Stadt. Er sieht aus einer Hütte einen Lichtschein fallen und erkennt durch das Fenster: Ein Mann sitzt allein an seinem zur Mahlzeit bereiteten Tisch und ist gerade dabei, den Lobpreis zu Gott über das Mahl zu singen. Als er geendet hat, klopft der König an der Tür: „Darf ein Gast eintreten?“ „Gerne“, sagt der Mann, „komm, halte mit, mein Mahl reicht für uns beide!“ Während des Mahles sprechen die beiden über dieses und jenes. Der König – unerkannt – fragt: „Wovon lebst du? Was ist dein Gewerbe?“ „Ich bin Flickschuster“, antwortete der Mann. „Jeden Morgen gehe ich mit meinem Handwerkskasten durch die Stadt und die Leute bringen mir ihre Schuhe zum Flicken auf die Straße“.

Der König: „Und was wird morgen sein, wenn du keine Arbeit bekommst?“ „Morgen?“, sagte der Flickschuster, „Morgen? Gott sei gepriesen Tag um Tag!“

Als der Flickschuster am anderen Tag in die Stadt geht, sieht er überall angeschlagen: Befehl des Königs! In dieser Woche ist auf den Straßen meiner Stadt jede Flickschusterei verboten! Sonderbar, denkt der Schuster. Was doch die Könige für seltsame Einfälle haben! Nun, dann werde ich heute Wasser tragen; Wasser brauchen die Leute jeden Tag.

Am Abend hatte er so viel verdient, dass es für beide zur Mahlzeit reichte. Der König, wieder zu Gast, sagt: „Ich hatte schon Sorge um dich, als ich die Anschläge des Königs las. Wie hast du dennoch Geld verdienen können?“ Der Schuster erzählt von seiner Idee, Wasser für jedermann zu holen und zu tragen, der ihn dafür entlohnen konnte. Der König: „Und was wird morgen sein, wenn du keine Arbeit findest?“ „Morgen? Gott sei gepriesen Tag um Tag!“

Als der Schuster am anderen Tag in die Stadt geht, um wieder Wasser zu tragen, kommen ihm Herolde entgegen, die rufen: Befehl des Königs! Wassertragen dürfen nur solche, die eine Erlaubnis des Königs haben! Sonderbar, denkt der Schuster, was doch die Könige für seltsame Einfälle haben. Nun, dann werde ich Holz zerkleinern und in die Häuser bringen. Er holte seine Axt, und am Abend hatte er so viel verdient, dass das Mahl für beide bereitet war. Und wieder fragte der König: „Und was wird morgen sein, wenn du keine Arbeit findest?“ „Morgen? Gott sei gepriesen Tag um Tag!“

Am anderen Morgen kam dem Flickschuster in der Stadt ein Trupp Soldaten entgegen. Der Hauptmann sagte: „Du hast eine Axt. Du musst heute im Palasthof des Königs Wache stehen. Hier hast du ein Schwert, lass deine Axt zu Hause!“

Nun musste der Flickschuster den ganzen Tag Wache stehen und verdiente keinen Pfennig. Abends ging er zu seinem Krämer und sagte: „Heute habe ich nichts verdienen können. Aber ich habe heute Abend einen Gast. Ich gebe Dir das Schwert...“ – er zog es aus der Scheide – „... als Pfand! Gib mir, was ich für das Mahl brauche.“ Als er nach Hause kam, ging er zuerst in seine Werkstatt und fertigte ein Holzschwert, das genau in die Scheide passte.

Der König wunderte sich, dass auch an diesem Abend wieder das Mahl bereitet war. Der Schuster erzählte alles und zeigte dem König verschmitzt das Holzschwert. „Und was wird morgen sein, wenn der Hauptmann die Schwerter inspiziert?“ „Morgen? Gott sei gepriesen Tag um Tag!“

Als der Schuster am anderen Morgen den Palasthof betritt, kommt ihm der Hauptmann entgegen, an der Hand einen gefesselten Gefangenen: „Das ist ein Mörder. Du sollst ihn hinrichten!“ „Das kann ich nicht“, rief der Schuster voll Schrecken aus. „Ich kann keinen Menschen töten!“ „Doch, du musst es! Es ist Befehl des Königs!“ Inzwischen hatte sich der Palasthof mit vielen Neugierigen gefüllt, die die Hinrichtung eines Mörders sehen wollten. Der Schuster schaute in die Augen des Gefangenen. Ist das ein Mörder? Dann warf er sich auf die Knie und mit lauter Stimme, so dass alle ihn beten hörten, rief er: „Gott, du König des Himmels und der Erde: Wenn dieser Mensch ein Mörder ist und ich ihn hinrichten soll, dann mache, dass mein Schwert aus Stahl ist und in der Sonne blitzt! Wenn aber dieser Mensch kein Mörder ist, dann mache, dass mein Schwert aus Holz ist!“

Alle Menschen schauten atemlos zu ihm hin. Er zog das Schwert, hielt es hoch – und siehe: es war aus Holz. Gewaltiger Jubel brach aus. In diesem Augenblick kam der König von der Freitreppe seines Palastes, ging geradewegs auf den Flickschuster zu, gab sich zu erkennen, umarmte ihn und sagte: „Von heute an sollst du mein Ratgeber sein!“

Die Geschichte von der Taube

- Ein Artikel aus dem Yoga Vidya Journal Nr. 37 Herbst 2018 -

Eine Momentaufnahme von Christine Endris, beim Shivalaya-Meditations-Retreat in Bad Meinberg

Die Taube als Friedenssymbol

In den Tannenbäumen vor der Terrasse hüpfen kleine Wald- und Wiesenvögelchen kreuz und quer durch die Wipfel. Fröhliches Zwitschern. Plötzlich – panisches Geflatter und Geschrei - eine Taube kommt angesegelt. Die kleinen Piepmätze suchen das Weite, so rasch sie können.

Alle Bäume sind wie ausgestorben, die Taube hat die freie Platzwahl. Sie wählt die allerhöchste Spitze des allerdünnsten Tannenbaumes, den es weit und breit gibt. (Ich bin im 4. Stock des Shivalaya Retreatzentrums in Bad Meinberg und habe die Tannenspitzen direkt vor mir.)

Bei der versuchten Landung erweist sich das Täubchen als zu schwer für den schmächtigen Ast. Er dreht ab, immer tiefer und tiefer und fängt dann an zu wippen, hoch, runter, hoch runter. Auch Tauben haben ihren Stolz! Diese versucht als erstes, Haltung zu bewahren! Sie klammert sich verzweifelt an ihr Zweiglein. Aber – die Reise geht im Sturzflug nach unten, dann wieder pfeilschnell nach oben, kopfüber runter, ganz, ganz tief, dann wieder hoch, dann auch noch leicht schräg. Schon beim Hinsehen kann es einem schlecht werden! - Es sieht sehr lustig aus!

Endlich keine Bewegung mehr. Da sitzt sie nun, die Taube. Niemand da, der oder die ihre Schmach petzen könnte, bei den kleinen Piepmätzen womöglich noch! Oder sie gar auslachen! Sie putzt sich dezent die Federn. Dann bleibt sie ganz still sitzen. Kein Mucks, nichts.

Vielleicht hat sie mich doch wahrgenommen? Vielleicht war sie extra für mich, die kleine Flugshow? Ich bin so fröhlich, innerlich. Vorhin musste ich unwillkürlich sogar lauthals lachen. Habe ich jetzt mein meditatives Schweigen gebrochen? Andererseits, ein spontanes Lachen hat etwas Himmlisches. Natürlich: „Lachen ist die Musik der Seele.“

Ausgelacht habe ich sie jedenfalls auf gar keinen Fall! Und ich darf sie sogar fotografieren.

Irgendwann fliegt sie weg, die Taube, in hohem Bogen und mit zwei ganz besonders gelungenen Schlenkern. Liebe Taube, ich grüße dich.

Der Holzfäller - Eine nacherzählte Yoga Geschichte

Dschinn - dienstbarer Geist, Dämon, Schutzgottheit

- Ein Artikel aus dem Yoga Vidya Journal Nr. 42 Frühjahr 2021 von Sukadev Bretz -

Ein Holzfäller war älter geworden. Er war es müde zu arbeiten. Da er keine Kinder und auch keine Frau hatte und es keine Alterssicherung gab, er aber selbst langsam zu schwach wurde, um weiter diesem harten Beruf nachzugehen, erinnerte er sich an seinen Guru.

Dieser hatte nämlich übernatürliche Kräfte und kommandierte über Dschinnis, dienstbare Geister.

Er ging zu seinem Guru und sagte: „Bitte Guru, ich kann meinen Lebensunterhalt nicht mehr verdienen und brauche einen deiner dienstbaren Geister. Bitte, bitte, gib mir einen.“

Dieser antwortete ihm: „Das ist nicht so ganz ungefährlich. Ich gebe sie nicht so gerne, denn wenn du nicht richtig mit ihnen umgehst, bekommst du Probleme.“

„Aber Meister, ich habe sowieso schon Probleme, viel größer können sie gar nicht werden. Ich werde hungers sterben, wenn du mir nicht hilfst.“

„Nun gut“, antwortete dieser. „Ich gebe dir einen meiner Geister. Du musst ihn aber ständig beschäftigt halten, sonst frisst er dich auf.“

„Kein Problem“, antwortete der Holzfäller. „Ich habe mehr als genug zu tun.“

Er kam zu Hause an und fand dort schon den Dschinni, der auf ihn wartete. Er sagte: „Meister, gib mir etwas zu tun!“ „Siehst du die Bäume in diesem Waldstück hier?“,fragte der Holzfäller.„Schlag jeden zweiten Baum davon ab!“

Der Dschinni zog los und hatte nach zwei Stunden die Arbeit erledigt.

„Meister, gib mir etwas zu tun!“, forderte er.

„Entrinde die Bäume, schneide die Äste ab, mach’ sie dann klein und bündele sie schön“, sagte der Holzfäller.

Eine Stunde später war der Dschinni auch damit fertig und forderte wieder vom Holzfäller: „Meister, gib mir etwas zu tun, sonst fresse ich dich auf!“

„Dann geh jetzt ins Dorf und verkaufe das Ganze!“

So ging das eine Weile weiter. Der Dschinni erledigte auch die schwierigsten und langwierigsten Aufgaben in kürzester Zeit. Schließlich ließ sich der Holzfäller noch eine Hütte und ein Haus bauen und neue Bäume pflanzen.

Doch nachdem er drei Tage und drei Nächte nur beschäftigt gewesen war, sich auszudenken, was er dem Dschinni als nächstes zu tun geben könnte und der Dschinni immer wieder drohte, ihn zu fressen, rannte er schließlich zu seinem Lehrer und sagte: „Oh Guru, du hast Recht gehabt. Ich kann unmöglich meinen Dschinni ständig beschäftigt halten. Du musst mir helfen.“

„Ich will dir einen Ausweg zeigen“, antwortete der Meister.

„Bitte deinen Dschinni, den höchsten Baum zu fällen, die Zweige abzuschlagen und als Pfahl neben dein Haus in den Boden zu setzen. Und dann sag ihm, er soll hinauf steigen und wenn er oben angekommen ist, soll er wieder hinunter steigen. Wenn er unten ist, dann soll er wieder hoch klettern und wenn er oben ist, dann soll er wieder herunter klettern. Und das soll er so lange machen, bis du ihm etwas anderes zu tun gibst.“

Und so lebte unser Holzfäller glücklich und zufrieden bis an das Ende seiner Tage. Und wenn er nicht gestorben ist, dann rennt der Dschinni noch heute hoch und runter.

Die drei Totenschädel

Lass die Lehre tief in dein Herz sinken

- Abschnitt aus dem Buch "Erfolgreich leben und Gott verwirklichen" von Swami Sivananda -

Einstmals kam ein Rakshasa (in der indischen Mythologie ein Dämon) mit drei Totenschädeln in den Palast eines Fürsten. Er forderte, die Pandits (Gelehrten) des Reichs müssten innerhalb einer Woche entscheiden, welcher von den drei Totenköpfen der beste sei. Andernfalls würde er sie alle töten.

Fürst Vikranaditya rief die Pandits an den Hof und erklärte ihnen die Situation. Alle waren außer sich vor Angst, außer einem, dem Pandit Rajaram Shastri. Er machte ihnen Mut und versprach, er würde die Frage des Rakshasa problemlos beantworten.

Nach sieben Tagen kam der Rakshasa wieder in den Palast, um die Entscheidung zu hören. Pandit Rajaram Shastri erklärte vor der ganzen Versammlung: „Der Schädel, in den dieser Eisenstab von einem Ohr bis zum anderen hineingeht, ist der schlechteste und nicht einen Heller wert. Der zweite Schädel, in den der Eisenstab von einem Ohr zum Mund geht, ist der mittelmäßige. Der dritte aber, in dem der Stab von einem Ohr direkt zum Herzen geht, ist der Beste.“ Diesen Schädel überreichte er dem Rakshasa, der sich tief verbeugte. Der Pandit aber wurde vom Fürsten reichlich mit Gold, Gewändern und Kühen beschenkt.

Was ist nun die spirituelle Lehre der Geschichte?

Manche Menschen hören spirituelle Unterweisung und Weisheit zwar, aber sie geht zum einen Ohr hinein und zum anderen sofort wieder hinaus, ohne dass sie die Botschaft wirklich verstehen oder sie gar umsetzen. Das ist der am wenigsten reife Aspirant.

Andere hören die Unterweisung und Weisheit mit einem Ohr und sprechen auch zeitweise darüber. Aber sie denken nicht wirklich tief darüber nach, assimilieren sie nicht und es hat keine wirklichen Auswirkungen. Das ist die mittlere Art von Aspiranten.

Diejenigen, die die Belehrungen und Weisheit durch ein Ohr aufnehmen, sie tief in ihr Herz sinken lassen und in ernsthaftem Bemühen und Streben verwirklichen, sind die besten spirituellen Aspiranten.

Daher: Nur Lesen oder Reden über das Thema des Erfolges im Leben und der Selbstverwirklichung genügt nicht. Setze sofort in die Praxis um, was du aus diesem Buch gelernt hast. So wirst du ein großer Yogi und Jnani (Weiser).

Vilwamangal und Chintamani

Surdas war ein großer Krishna Verehrer

- Abschnitt aus dem Buch "Erfolgreich leben und Gott verwirklichen" von Swami Sivananda -

Die Tänzerin Chintamani gab Vilwamangal, der später als Surdas bekannt wurde, den Rat: „Vilwamangal, du bist verrückt nach meinem vergänglichen Körper, dem alle Arten von Unreinheiten anhaften. Heute ist der Todestag deines Vaters. Du bist in der Dunkelheit der Nacht über den Fluss zu mir gekommen. Die Sehnsucht nach diesem trügerischen weiblichen Körper gab dir die Kraft, den Fluss zu überqueren. Dieser Körper zieht junge Menschen an, weil noch ein wenig Glanz auf seiner Haut liegt und ein wenig Prana die Wangen belebt. Alles dies ist Maya, Täuschung. Dieser so anziehende Körper besteht einfach nur aus Fleisch, Knochen, Fett, Blut und so weiter. Warum lenkst du stattdessen nicht deine Gedanken zu Gott hin, der Quelle dieser Schönheit, der Schönheit aller Schönheiten, der Verkörperung nicht vergänglicher Schönheit? Dann wärst du jetzt schon ein großer Heiliger und hättest inneren Frieden und dauerhafte Glückseligkeit. Sei kein Narr!"

Dies öffnete Vilwamangal die Augen. Er lenkte seine Gedanken auf Gott und wurde ein großer Heiliger.

Du kannst das auch. Krishna, Gott, das Absolute, wartet in diesem Augenblick mit ausgebreiteten Armen auf dich, um dich willkommen zu heißen und dich zu umarmen. Vergeude diese wunderbare Gelegenheit nicht. Entfache jetzt oder nie die intensive Sehnsucht nach Befreiung, nach Erkenntnis und Erfahrung der höheren Wirklichkeit.

Mythologische Geschichten

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- Auszug aus dem Buch "Konzentration und Meditation" von Swami Sivananda -

Tiruvalluvar und Sarasvati

Tiruvalluvar, ein tamilischer Heiliger aus Südindien, stellte eines Tages seiner Frau Sarasvati eine flache Schale mit Wasser auf den Kopf und bat sie, mit einer Prozession mit Tanz, Musik und Vorführungen mitzugehen, ohne auch nur einen Tropfen zu vergießen.

Die Prozession nahm ihren Ausgang vor dem Haupttor des großen Tempels von Shrirangam in Trichinopoly. Sarasvati begleitete sie mit dem gefüllten Wassergefäß auf dem Kopf. Ihr gesamter Prana, Geist, Herz, ihr ganzes Wesen waren vollkommen auf diese Wasserschale konzentriert. Die Prozession zog drei Mal durch die vier Straßen und endete dann am Ausgangspunkt. Die Frau kam zurück, ohne auch nur einen Tropfen Wasser vergossen zu haben.

Tiruvalluvar fragte sie: „0 Sarasvati Devi, hast du die Musik gehört, die Flöten und den Chor, die die Prozession begleiteten?“ „Nein“, antwortete sie. „Und die Feuerwerke?“ — „Auch nicht.“. „Wo warst du dann mit deinen Gedanken?“ – „Ich war ganz bei der Wasserschale. Ich habe gar nichts anderes zur Kenntnis genommen. Ich habe nichts gehört. Ich habe nichts gesehen. Ich habe an nichts gedacht. Ich war einzig und allein auf die Wasserschale konzentriert.“ „Nun höre zu, Sarasvati. So sollte deine Geistesverfassung während der Meditation sein. Das nennt man ekagrata, Einpünktigkeit. Ungeteilte Aufmerksamkeit, ungeteilte Energie muss da sein und alles auf Gott zentriert sein. Dann wirst du Gott erfahren und in Gott leben.“

Die Kunst des Bogenschießens

Pfeil Bogen Held Entschlossenheit.JPG

Drona testete die Konzentrationskraft der Pandavas wie folgt: Über einem Wasserbecken kreiste ein Vogel, der an einem Baum angeleint war. Man musste den Vogel mit dem Pfeil treffen, indem man sein Spiegelbild im Wasser beobachtete.

Drona fragte die fünf Pandava-Brüder der Reihe nach:

  • „0 Yudhishthira, was siehst du?“ – „Meister, ich sehe den Vogel, den Baum, auf dem er sitzt und auch dich.“
  • „Was siehst du, Bhima?“ – „Ich sehe den Vogel, den Baum, dich, meine Brüder Nakula und Sahadeva, die Tische und die Stühle.“
  • „Was siehst du, Nakula?“ — „Ich sehe den Vogel, den Baum, dich selbst, Arjuna, Bhima, den Garten, den kleinen Bach.“
  • „Was siehst du, Sahadeva?“ – „Ich sehe den Vogel, dich, Arjuna, Bhima, Yudhishthira, die Pferde, Wagen, Zuschauer und Kühe.“
  • „Und du, Arjuna, was siehst du?“ – „O verehrter Guru, ich sehe nur den Vogel.“

Diese Konzentration von Arjuna brauchst du für die Meditation.

Shuka Deva

Shuka Deva, der Sohn von Vyasa, war mit den Antworten seines Vaters auf gewisse philosophische Fragen nicht zufrieden. So schickte ihn dieser zu König Janaka von Mithila.

Als er dort ankam, ließ man ihn drei Tage lang ohne Bewirtung vor dem Palasttor warten, denn Janaka wollte testen, ob er Gleichmut und Gelassenheit besaß. Nach diesen drei Tagen wurde der junge Mann mit allen Ehren empfangen, köstlich bewirtet und von Haremsdamen bedient. Dieser königliche Empfang im Harem ergötzte ihn so wenig wie ihn vorher die Wartezeit ohne Essen bedrückt hatte. In beiden Situationen blieb er gleichmütig.

Nun wollte Janaka seine Konzentration testen. Er gab ihm eine bis zum Rand mit Öl gefüllte Tasse mit der Weisung, sie rund um die Stadtmauer zu tragen, ohne auch nur einen Tropfen zu verschütten. Gleichzeitig arrangierte Janaka rund um die Stadtmauer eine Art Jahrmarkt mit Musik, Tanz, Schauspielen und so weiter.

Shuka Deva nahm die Tasse in die Hand und brachte sie zurück, ohne dass auch nur ein Tropfen verschüttet war. So stark war die Konzentration und Abstraktion seiner Sinne, dass all die äußeren Klänge und Objekte ihn nicht im Geringsten ablenkten. Er war ganz auf die Tasse mit dem Öl konzentriert.

Arbeite daran, dieselbe hohe Konzentration zu entwickeln.

Der Pfeilschnitzer

Ein Pfeilschnitzer war intensiv mit seiner Arbeit beschäftigt und ganz auf seine Aufgabe konzentriert. Eines Tages ging der König mit seinem Gefolge direkt vor seiner Werkstatt vorbei. Seine Aufmerksamkeit war so vollkommen auf die Ausführung seiner Arbeit gerichtet, dass er den königlichen Zug überhaupt nicht bemerkte.

Dattatreya erwähnt den Pfeilschnitzer als einen seiner Gurus, von dem er geistige Konzentration lernte.

Mit der gleichen Konzentration setze dich zur Meditation hin. Mache den Atem ruhig und gleichmäßig, sitze fest und aufrecht und wie der Bogenschütze, fixiere den Geist auf das Ziel, das höchste Selbst. Wenn der Geist ganz im Atman absorbiert ist, nimmst du in dem Moment nichts anderes - Inneres oder Äußeres – mehr wahr, genau wie der Pfeilschnitzer nur auf das Herstellen von Pfeilen konzentriert war und so das Vorbeiziehen des königlichen Gefolges nicht bemerkte.

Napoleon Bonaparte

Napoleon.jpg

Napoleon war ein Mann von starker Konzentration, der er seinen Erfolg verdankte. Hätte er nicht an verschiedenen Krankheiten, an epileptischen Anfällen und Herzschwäche gelitten, hätte er vermutlich noch mehr vermocht. Er konnte jederzeit einschlafen und sofort anfangen zu schnarchen, wenn er sich hinlegte und genau zur festgesetzten Zeit aufwachen. Er konnte mitten im Kriegsgewirr tief schlafen, ohne sich von Sorgen wach halten zu lassen. Das ist eine Art Siddhi.

Er hatte gleichsam verschiedene Schubladen in seinem Gehirn, wie die Post zum Sortieren von Briefen. Aus diesen Schubladen konnte er sozusagen jeden beliebigen Gedanken hervorholen, ihn so lange beibehalten, wie er wollte und ihn dann einfach wieder zurücklegen. Er kannte weder Zerstreuung noch Hetze und besaß vollkommene Einpünktigkeit des Geistes. Dies alles verdankte er seiner angeborenen Konzentrationskraft, ohne je Konzentration geübt zu haben. So war er in gewisser Hinsicht das, was man im Yoga einen Yoga Bhrashta nennt, jemanden, der in einem früheren Leben schon auf dem spirituellen Weg war, dann aber davon abgekommen ist.

Der Affe und das Krokodil

Der Affe rettet sich durch geschicktes Handeln

In einer wilden Urwaldgegend lebten ein Affe und ein Krokodil. Der Affe lebte auf Bäumen am Ufer eines Sees, die ins Wasser hineinragten. Das Krokodil lebte im See. Die beiden verstanden sich ganz gut. Der Affe sprang öfters auf den Rücken des Krokodils, das Krokodil schwamm mit ihm durch den See, sie unterhielten sich und wurden mit der Zeit beste Freunde.

Unser Krokodil war eine Krokodilfrau, die auch einen Krokodilmann hatte. Der wurde eifersüchtig auf den Affen und sann auf eine List.

Eines Tages sagte er zu seiner Frau: „Mir geht es gar nicht gut. Ja, mir geht es sogar sehr schlecht.“
Die Krokodilfrau reagierte ganz besorgt: „Liebling, was ist denn los?“
Ihr Mann antwortete: „Eine große Schwäche hat mich befallen. Ich habe auch schon den Krokodilarzt konsultiert. Er sagt, nur das Fleisch eines Affen könnte mich retten. Aber ich bin natürlich viel zu schwach, um einen Affen zu jagen. Und wie sollte ich das auch anstellen?“
Betroffen fragte die Krokodilsfrau: „Das ist ja wirklich ganz ernst. Was sollen wir denn jetzt machen?“
Ihr Mann antwortete: „Du hast doch deinen Freund, den Affen. Vielleicht kannst du ihn ja herbringen und mich dadurch retten.“
Die Krokodilfrau ganz entsetzt: „Ja, aber ich kann doch nicht meinen Freund umbringen!“
Krokodilmann: „Ja, ich verstehe. Doch letztlich, wer ist dir wichtiger: Dein Freund oder ich?“
Schweren Herzens kam die Krokodilsfrau schließlich zu dem Schluss, dass es ihre Hauptpflicht war, ihren Mann zu retten und sie keine andere Wahl hatte. Sie schwamm ans Ufer zu dem Affen, der gleich wie gewohnt auf den Rücken sprang und wie üblich schwamm das Krokodil mit ihm auf dem See herum.
In der Mitte des Sees, in der Nähe ihres Mannes, druckste die Krokodilfrau herum und beichtete ihrem Freund schließlich: „Du, ich muss dir etwas sagen. Mein Mann ist schwer krank und der Doktor hat gesagt, nur das Fleisch eines Affen kann ihn heilen. Daher muss ich dir leider sagen, dass er dich nun gleich verspeisen wird.“
Der Affe war natürlich völlig entsetzt. Doch klug wie er war, fiel ihm sofort eine Lösung ein. Er sagte: „Natürlich helfe ich ihm gern. Er kann ja ein Stück von meinem Unterarm nehmen.“
Die Krokodilfrau war erleichtert, dass ihr Freund nicht sterben musste und rief ihrem Mann zu: „Mein Freund bietet uns an, dir seinen Unterarm für deine Heilung zu geben.“
Er rief zurück: „Nein, nein! Der Unterarm reicht nicht aus. Es muss das Herz eines Affen sein.“
Daraufhin sagte der Affe zu der Krokodilsfrau: „O, das tut mir jetzt leid. Leider habe ich mein Herz heute oben auf dem Baum am Ufer gelassen. Am besten schwimmen wir wieder zurück, ich hole mein Herz und danach können wir es deinem Mann bringen.“
Die Krokodilsfrau, die schon ganz durcheinander war, schwamm mit ihm zurück ans Ufer, wo der Affe sofort auf den Baum sprang und wegrannte, so schnell er konnte.

Was will uns diese Geschichte sagen?

Diese etwas eigenartige Geschichte lässt Deutungen auf verschiedenen Ebenen zu.

Vom Vedānta-Standpunkt ist die wichtigste Interpretation, dass man sein Herz, sein Selbst, nicht irgendwo deponieren und ohne es leben kann. Genauso wenig, wie man Gott in der Kirche, im Tempel oder im Himmel lassen und unabhängig von Gott leben kann. Gott ist tief in uns. So wie der Körper nicht ohne Herz funktionieren kann, so gäbe es uns Menschen auch ohne das Göttliche nicht. Aham brahmāsmi – ich bin dieses Göttliche.

Und anstatt das Göttliche von anderen haben zu wollen – wie der Krokodilmann das Herz des Affen haben will oder glaubt, es zu brauchen – sollten wir uns immer erinnern: Gott ist immer da. Gott ist in uns. Wir brauchen nichts Äußeres, nichts von anderen.

Und natürlich auf einer relativen Ebene kann es unter anderem heißen,

  • dass man nicht zu vertrauensselig sein sollte
  • oder dass man sich auch auf Freunde nicht immer verlassen kann. Ob jemand ein wahrer Freund ist, zeigt sich in schwierigen Situationen.
  • dass man in schwere Gewissenskonflikte kommen kann und Entscheidungen treffen muss, wo man weiß, dass sie, egal wie man sich entscheidet, jemandem Leid bringen werden.
  • dass man sich nicht von Eifersucht treiben lassen sollte.
  • dass schnelle Reaktionsfähigkeit und Geschick im Handeln uns oft auch aus scheinbar aussichtslosen Situationen befreien kann.

Der Schafslöwe

Es war einmal vor langer, langer Zeit eine trächtige Löwenmutter. Sie starb bei der Geburt, aber das Löwenbaby kam gesund zur Welt und schrie nach seiner Mutter. Es hatte Hunger und wollte sich an die Mutter ankuscheln, wollte saugen. Aber die Mutter war tot.

Zum gleichen Zeitpunkt gab es eine ebenfalls trächtige Schafsmutter. Ihr Lamm starb bei der Geburt. So war ihr Lamm tot, aber die Schafsmutter hatte überlebt. Sie war sehr traurig und beklagte ihr Junges.

Doch es ergab sich, dass das Löwenbaby und die Schafsmutter sich fanden. Die Schafsmutter adoptierte das Löwenbaby. Es saugte Schafsmilch und wuchs auf wie ein Schaf. Es lernte, zu blöken wie ein Schaf, Gras zu fressen und war in der Herde mit den anderen Schafen. Der junge Löwe hielt sich für ein Schaf, spürte aber irgendwie, dass er anders war als die anderen Schafe. Wegen seiner Andersartigkeit wurde er von ihnen hin und her geschupst und gehänselt, aber er gehörte natürlich trotzdem zu ihnen. So wuchs der Schafslöwe auf als Schaf mit Minderwertigkeitskomplexen.

Eines Tages kam der Berglöwe, der König des Waldes vorbei. Er stand oben auf dem Berg und schaute ins Tal – und was sah er dort? Inmitten einer Schafsherde sah er einen Löwen, ein Mitglied seiner königlichen Familie. Und dieser Löwe wurde noch dazu von anderen Schafen angerempelt und weggedrängt und wehrte sich nicht. Der Löwe dachte: „Was ist denn da los? Ein Mitglied meiner königlichen Familie inmitten einer Schafherde. Und er lässt sich noch dazu eine schlechte Behandlung gefallen. Welch eine Schande für meine königliche Familie!“

Er stürmte den Berg hinab. Die Schafe stoben in Todesangst in alle Richtungen davon. Doch der Berglöwe hatte nur Augen für den kleinen Schafslöwen.

Als er ihn erreicht hatte, ergriff er ihn am Schlafittchen und herrschte ihn an: „Was machst du denn hier?“
Der kleine Schafslöwe stammelte: „Mäh, mäh, mäh. Bitte, bitte tue mir nichts. Ich bin der einzige Sohn meiner Mutter, um die ich mich kümmern muss.“
„Wo ist denn deine Mutter?“
„Da hinten, schon weit weg, wo die anderen Schafe hingerannt sind!“
Der Berglöwe war ziemlich verdutzt und meinte: „Aber da hinten sind doch nur Schafe! Wo ist deine Mutter?“
„Ja, das sind die anderen Mitglieder unserer Herde. Mäh mäh mäh. Meine Mutter ist auch dabei.“
„Aber du bist doch kein Schaf, du bist ein Löwe! Also blöke nicht wie ein Schaf, sondern brülle wie ein Löwe!“
„Nein, nein, ich bin ein Schaf. Mäh mäh mäh. Bitte lasse mich los und tue mir nichts. Mäh mäh mäh.“
Der große Berglöwe schleifte den kleinen Schafslöwen zu einem nahegelegenen See. „Nun schaue ins Wasser, was siehst du?“ fragte der Berglöwe.
„Ich sehe nichts, ich habe Angst.“
„Öffne deine Augen. Ich tue dir nichts. Was siehst du jetzt?“
„Ich sehe nur Wellen“, stotterte der Kleine.
Woraufhin der Berglöwe entgegnete: „Beruhige deinen Atem. Atme tief und ruhig ein, atme tief und ruhig aus. Was siehst du jetzt?“
„Jetzt sehe ich dich zweimal.“
„Schaue genauer hin. Bewege deinen Kopf von rechts nach links. Was siehst du dann?“
Der Schafslöwe bewegte seinen Kopf. Und tatsächlich - er sah einen Löwenkopf im Wasser, der sich genau wie sein Kopf nach rechts und links bewegte.
Er schaute den Berglöwen fragend an. Dieser nickte und sagte: „Tat tvam asi – das bist du. Du bist dieser Löwe.“
Und der Schafslöwe brüllte aus tiefster Seele: „Aham Simhāsmi – ich bin dieser Löwe.“ Zum ersten Mal in seinem Leben brüllte er wie ein Löwe und hatte niemals mehr Angst vor irgendetwas.

Was will uns diese Geschichte sagen?

Das ist natürlich die Geschichte von uns allen. Wir sind wie Schafslöwen. Wir sind das unsterbliche Selbst, Ātman, Saccidānanda. Alle Kräfte sind in uns und wir brauchen vor nichts Angst zu haben. Aber wir identifizieren uns mit unseren Begrenzungen und denken, wir sind schwach, wir können nichts, wir sind minderwertig, wir brauchen dies, wir brauchen jenes, das kann uns passieren oder auch nicht und so weiter.

Viele Menschen mit spirituellen Samskāras haben oft schon in der Kindheit oder Jugend das Gefühl, irgendwie anders zu sein als andere, auf einem falschen Stern zu sein, nicht zu verstehen, dass das, was alle Welt macht, tatsächlich der Sinn des Lebens sein soll.

Und irgendwann kommt der Berglöwe in Form eines Guru oder Meisters oder Lehrers und sagt: „Du bist nicht der Körper, du bist nicht die Psyche. Du bist nicht schwach oder minderwertig. Tat tvam asi – du bist das unsterbliche Selbst. Ich habe es verwirklicht, und du kannst es auch verwirklichen.“

Wenn wir das hören, sagen oder denken wir: „Du magst das unsterbliche Selbst sein, aber ich bin nur ein schwacher Aspirant.“ – Und der Meister sagt: „Jeder ist das unsterbliche Selbst und du kannst es auch erfahren. Es gibt keinen Unterschied zwischen dir und mir und allen anderen. Erfahre das!“

Und er zeigt uns den Weg. Er fordert uns auf zu meditieren, den Atem zu beruhigen, den Geist zur Ruhe zu bringen. Und dann fordert er uns auf: „Nun sind Atem und Gedanken ruhig. Schaue jetzt in den Geistsee. Was siehst du?“ - Dann sehen wir unser wahres Selbst oder erahnen es zumindest.

Und dann wissen wir: „Aham brahmāsmi – ich bin Brahman.“ Sobald wir das verwirklicht haben, brauchen wir keine Angst mehr zu haben vor irgendetwas.

Swami Sivananda sagte gern: „Blöke nicht wie ein Schaf. Brülle oṃ oṃ oṃ wie ein Löwe von Vedānta!“

Video - Der Schafslöwe

Die vedantische Geschichte: "Der Schafslöwe" frei erzählt von Sukadev

Von den Schwierigkeiten des Lebens

Mönche auf Pilgerschaft

- Ein Beitrag aus dem Yoga Vidya Journal Nr. 43, Winter 2021 von Dirk Gießelmann -

Der Meister erzählte seinen Schülern ein Gleichnis:

„Drei Wanderer trafen an einem Fluss zufällig aufeinander und beschlossen kurzerhand, eine gemeinsame Rast einzulegen.

Der Jüngste von ihnen ließ seinen Rucksack zu Boden gleiten und ächzte: »Gott sei Dank! Endlich sind meine Schultern von dieser schweren Last befreit. Seit Tagen nun schleppe ich schon einen großen Stein mit mir herum, den sich der Vater meines Vaters zum Gedenkstein auserkoren hat und den ich in die benachbarte Provinz zu einem kunstfertigen Steinmetz bringen soll.« 

Der älteste Wanderer zog sich mit gestocktem Atem einen Schuh vom Fuß, schüttelte einen Kieselstein heraus und sprach: »Das tut gut! Seit vielen Wochen bin ich unterwegs, habe Höhen und Tiefen beschritten, und dieser Stein hier hat mir auf den letzten Metern wirklich sehr zu schaffen gemacht.« 

Der dritte Mann rieb sich die Augen, tauchte mit dem Kopf kurz in den Fluss hinein, wusch sein Gesicht und meinte daraufhin erleichtert: »Der grässliche Sand, den mir der Wind auf meiner Route in die Augen trieb, war wahrhaftig eine Plage. Klein und fein und doch beharrlich war der Staub mir eine Qual, indem er Tag für Tag unter meinen Lidern brannte. Nun bin ich wieder imstande, einwandfrei zu sehen. Welch Freude.« 

Nach einer unbeschwerten Zeit der Ruhe und Gemütlichkeit machten sich die Wanderer wieder auf – jeder zog seines Weges, mit erhobenem Haupt und das Ziel fest im Sinn.“

„Ihr seht“, sprach der Meister zu seinen Schülern, „dass jeder der Männer es auf seiner Reise mit besonderen Schwierigkeiten zu tun hatte. Mag auch so manches groß erscheinen und anderes hingegen klein, so sind Beschwerlichkeiten immer unliebsam für den, der sie erfährt. Urteilt daher nicht, weder über die scheinbare Größe oder vermeintliche Nichtigkeit einer Last noch über das Unbehagen eines Bruders. Bedenkt vielmehr, dass jedes Lebewesen frei sein will von Ungemach, in welcher Form auch immer es sich zeigt. So habt Verständnis füreinander. Sprecht euch gut zu und seid einander freundlich zugetan. Denn es ist niemand unter uns, der sich nicht beizeiten nach Erleichterung sehnt.“

Eine Bhakti-Geschichte

Rezitation mit Hingabe verbindet dich mit dem Göttlichen

- Auszug aus dem Buch "Mantra Meditation" von Sukadev Bretz -

Zum Abschluss will ich noch eine Geschichte erzählen, in der besonders die Klangwirkung und vor allem die innere Einstellung beim Arbeiten mit Mantras deutlich werden. Es ist zwar wichtig, den Mantra möglichst korrekt auszusprechen. Mit korrekter Aussprache und im Wissen um die Bedeutung kommst du besonders tief. Aber äußere Korrektheit und Gelehrsamkeit allein reichen nicht aus.

Wie aus „oṃ namo nārāyaṇāya“ „om namo nayanaya“ wurde und wie Hingabe zur Gottverwirklichung führt

Der interessierte Aspirant hört ein Mantra bei einem Sadhu

Vor langer, langer Zeit lebte ein junger Aspirant in einem Dorf, wo es keinen spirituellen Lehrer oder Meister gab, bei dem er etwas hätte lernen können. Aber er hatte eine tiefe Sehnsucht, Gott zu erfahren. Eines Tages kam ein Wandermönch, ein Sādhu, vorbei. Er rezitierte oṃ namo nārāyaṇāya und sprach darüber, wie großartig es sei, einen Mantra zu wiederholen und dass man durch die intensive Wiederholung eines Mantras Gott erfahren könne.

Der Schüler war davon tief berührt und beschloss, mit intensiver Mantra-Rezitation zur Gottverwirklichung zu kommen. Er verließ das Dorf und ließ sich auf einer Insel in einem Fluss nieder. Dort wiederholte er den ganzen Tag den Mantra – im Sitzen, im Gehen, im Stehen, während er Früchte und Kräuter zum Essen suchte und zubereitete und so weiter. Da er den Mantra nur wenige Male von dem Sādhu gehört hatte, konnte er sich nicht genau daran erinnern. Er dachte, er heißt „om namo nayanaya“, wiederholte das sehr laut und gestikulierte auch dabei, da er nicht genau wusste, wie man sich zur Meditation und Rezitation am besten hinsetzt.

Ein gelehrter Pandit unterweist den Aspirant

So verging Tag um Tag, Woche um Woche, Monat um Monat. Eines Tages kam ein Pandit, ein bedeutender Sanskrit-Schriftgelehrter, in einem Boot vorbei. Er kam gerade von einem Gelehrten-Wettbewerb, den er wegen seiner perfekten Aussprache und profunden Kenntnis der Schriften gewonnen hatte. Während der Pandit zufrieden mit seinem Erfolg vorbeifuhr, hörte er plötzlich ganz laut: „om namo nayanaya, om namo nayanaya…“. Ihm platzte fast das Trommelfell dabei, denn er kannte alle Subtilitäten der Sanskritaussprache und so war es ihm unerträglich, einen Mantra auf so falsche, unzivilisierte Weise zu hören.

Wegen des gewonnen Wettbewerbs war er in leutseliger Stimmung. Er beschloss, ein gutes Werk zu tun und dem Aspiranten die korrekte Aussprache beizubringen. Er ließ das Boot am Ufer der Insel festmachen.

Der Schüler kam sofort herbei, verneigte sich und sagte: „Om namo nayanaya. O großer Meister, welch ein Segen, dass du hierher kommst. Was verschafft mir diese große Ehre? Kann ich etwas für dich tun? Om namo nayanaya.“

Der Pandit antwortete: „Weißt du, du wiederholst hier einen Mantra, aber du wiederholst ihn ziemlich falsch.“

Daraufhin unser Schüler: „Om namo nayanaya. Das tut mir leid, aber ich kann mich nur noch so daran erinnern. Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du mich unterrichten würdest.“

Meister: „Gerne. Setz dich erst mal hin. Sieh mal, so setzt man sich hin, kreuzbeinig. Die Wirbelsäule ist gerade. Schultern entspannt. Nacken lang. Kopf gerade. Die Hände entweder übereinander oder auf den Knien. Du musst lernen, ruhig zu sitzen. Nicht so wild gestikulieren.“

„Und dann wiederhole den Mantra korrekt. ‚Oṃ‘ und ‚namo‘ wiederholst du schon gut. Aber es heißt ‚ nārāyaṇāya‘. Also nicht eine Silbe verschlucken, sondern ‚nārā‘ mit zwei langen ‚a‘. Das dritte ‚a‘ ist dann kurz, das nächste wieder lang und das letzte kurz. Oṃ namo nārāyaṇāya. Das letzte ‚n‘ ist zerebralisiert, die Zunge ist oben. Beim ersten ‚n‘ ist die Zunge vorne. Wiederhole jetzt den Mantra jeweils nach mir, also höre mir erst zu und dann wiederholst du. So lange, bis deine Aussprache korrekt ist.

So rezitierten sie etwa eine Viertel-/halbe Stunde lang im Wechsel

oṃ namo nārāyaṇāya - oṃ namo nārāyaṇāya - oṃ namo nārāyaṇāya …

Schließlich rezitierte der Schüler den Mantra ganz richtig. Der Meister war zufrieden und fuhr mit dem Boot weiter.

Ein paar Minuten später hörte er plötzlich wieder ganz laut: „Om namo nayanaya, om namo nayanaya…“ und dachte: „Schade, Zeitverschwendung. Dieser Bauerntölpel wird nie verstehen, wie man Mantras wiederholt.“ Obwohl er sich mit dem Boot von der Insel immer weiter entfernte, wurde der Mantra aber immer lauter. Er drehte sich um und was sah er? - Der junge Schüler lief auf dem Wasser hinter dem Boot her und rief dabei ununterbrochen „om namo nayanaya…“.

Er ließ das Boot anhalten. Der Schüler, der auf der Wasseroberfläche balancierte, verneigte sich und sagte: „Om namo nayanaya. Meister, es tut mir leid. Om namo nayanaya. Ich habe vergessen, wie der Mantra richtig gesprochen und wiederholt wird. Om namo nayanaya. Ich bin ganz erfüllt von Gott und werde von ihm getragen, so lange ich den Mantra wiederhole. Om namo nayanaya. Sag mir bitte noch einmal, wie wiederhole ich den Mantra korrekt? Om namo nayanaya.“

Der überraschte Gelehrte

Der Meister erzitterte am ganzen Körper. Ihm wurde bewusst, wie arrogant er sich verhielt und erkannte, dass der Schüler dank seiner vollkommenen Hingabe und Ernsthaftigkeit Gott erfahren hatte. Er bat unseren Schüler, ihn diese Hingabe und diese Intensität der Mantra-Wiederholung zu lehren, die Gott so stark erfahrbar macht, dass man sogar übers Wasser laufen kann.

So kehrten sie beide zu der Insel zurück. Der Schüler lehrte den Pandit vollkommene Hingabe und führte ihn so zur Gottverwirklichung. Und der Schüler lernte im Laufe der Zeit auch die korrekte Aussprache und kam zur vollen Selbstverwirklichung.

Was lehrt uns diese Geschichte?

  • Wenn du Bhakti, Hingabe, hast, spielt es nicht die große Rolle, ob du den Mantra ganz korrekt aussprichst.
  • Wenn du den Mantra korrekt mit Konzentration rezitierst, wird er dich zur Gottverwirklichung führen, auch ohne dass du die Bedeutung kennst.
  • Wenn du den Mantra von einem Guru, einem spirituellen Lehrer, hast, wird sein Segen mit dir sein.

Am allerbesten ist, du wiederholst den Mantra

  • so korrekt und so gut wie du weißt und kannst,
  • mit großer Konzentration und Intensität,
  • mit Hingabe,
  • mit der Sehnsucht, Gott zu erfahren,
  • und spürst dabei den Segen deines Gurus oder des Rishi oder der Traditionslinie.

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Haridas Thakur und der Heilige Name

Haridas Thakur war ein sehr enger und vertrauter Schüler des Heiligen Sri Krsna Caitanya (ca. 15. Jahrhundert). Er stammte aus einer mohammedanischen Familie, doch schon von früher Kindheit an fühlte er sich zu Krsna hingezogen. Er bekam den Beinamen 'Namacarya, was so viel bedeutet wie der Lehrer und Beschützer (Acarya) des Heiligen Namens. Weil er den Heiligen Namen Krsnas immer auf den Lippen trug, war der moslemischen Regierung ein Dorn im Auge, und da er nicht bereit war, Krsna zu verleugnen, wurde er in ins Gefängnis geworfen. Hier wird nun erzählt, wie er unerschrocken und voller Vertrauen auf den Höchsten Herrn und das Singen der Heiligen Namen Gottes, auch größte Schwierigkeiten überstehen konnte:

Auch im Gefängnis sing Haridas weiter den Heiligen Namen des Herrn. Von seiner Güte und Ausstrahlung beeindruckt, tun es ihm bald die anderen Gefangenen gleich. Die Wärter sind irritiert. Dieser fröhliche jubelnde Gesang kann doch kaum von den Gefangenen kommen? Doch sie können sich nicht darüber täuschen, die Gefangenen singen zum Lobpreis von Hari und Krsna, dem Hindugott. "Man sollte glauben, dass sie ihr Los verfluchen und jammern, 'bemerkt einer der Wächter, 'stattdessen singen sie, dass man den Eindruck bekommt, ihnen geht es da drinnen besser als uns hier draußen. '" "Das können wir nicht dulden!"murrt ein anderer, "Ich werde zum Kazi (moslemischer Herrscher) gehen, denn Schuld trägt nur dieser Störenfried, der schon wegen dieses Singen eingesperrt wurde."

So wird Haridas vor den Oberrichter geführt. Als dieser Haridasas bezaubernde Gestalt sieht, bietet er ihm achtungsvoll einen Sitzplatz an und spricht: "Warum ist dir das alles in den Sinn gekommen? Du hast doch wirklich ein gutes Schicksal, bist ein Moslem. Warum benimmst du dich wie die Hindus? Wir Moslems essen den Reis nicht.

Als Haridas diese Worte vernimmt, antwortete er mit sanfter Stimme: "Vernimm, Freund, Gott ist Einer für alle. Hindus und Moslems geben Ihm verschiedenen Namen. Aber es gibt nur einen Gott. Der Koran und die Puranas lehren: 'Er ist ewig, unteilbar, unvergänglich, die Fülle, der Schöpfer aller Welten. Er wohnt in den Herzen aller Wesen.' Ich tue nichts aus mir heraus. So, wie der Herr mein Herz bewegt, so handle ich. Je nach dem Werk, was einer tut, wird ihm die Frucht zuteil. Also entscheide du über mich. Wenn ich schuldig bin, bestrafe mich."

Der Bösewicht, Kaji, der neidisch und missgünstig ist, spricht zum Richter: "Bestrafe ihn, er wird nur andere verderben und die Moslems runieren. Lass ihn bestrafen, wenn er nicht das Glaubensbekenntnis des Koran sprechen will." Der Oberrichter wendet sich wieder an Haridas und spricht: " Du hast es gehört, bekenne dich zum Islam und dir wird nichts geschehen." Ganz demütig, doch mit einem Lächeln auf den Lippen antwortet Haridas: "Niemand ist in der Lage, etwas anderes zu tun, als sein Herz ihm sagt. Und wenn mein Leib in Stücke fällt und mein Leben dahingeht, den Hari - nam, den Heiligen Namen von Hari, dem Höchsten Herrn, kann und will ich nicht aufgeben. "Da fragen alle: "Was soll mit ihm geschehen?" Und der grausame Kaji bestimmt: "Lasst ihn in 22 Marktplätzen schlagen, bis er stirbt, - weitere Erörterung erübrigt sich. Wenn er doch am Leben bleibt, dann will ich zugestehen, dass er die Wahrheit gesagt hat." Und er ruft die Prügler und weist sie an, so zu prügeln, dass kein Hauch von Leben bleibt. "Er war Moslem und ist ein Hindu geworden - im Tode wird er von seiner Sünde frei werden."

Und Haridas wird von Marktplatz zu Marktplatz gezerrt und wütend ohne Rücksicht auf sein Leben prügeln ihn die Schergen des Kaji. Aber Haridas denkt an Hari, an Krsna, und im Glück des Gottesnamen fühlt er das Leid des Leibes nicht. Doch die Edlen leiden gar sehr unter seiner Tortur und einige sprechen: " Wenn sich die Regierung so aufführt, wird es bald Unheil für alle geben." Und gar mancher gerät in Wut und denkt daran einzugreifen. Einige versprechen den Moslems Bestechungsgeld, wenn sie ihn weniger schlagen. Aber die Diener des Kaji prüglen weiter. Nur durch Krsnas Gnade fühlt Haridas keinen Schmerz.

Haridas Thakur denkt im Herzen an die bösen Folgen, die seine Peiniger auf sich laden, und er betet: "O, Krsna, schenke ihnen bitte Gnade, bitte beachte ihre Vergehen nicht!" Die Prügelei geht weiter von Marktplatz zu Marktplatz. Alle wundern sich, da ein Mensch in der Regel schon nach 2 Marktplätzen stirbt, doch Haridas übersteht 22 Bazare. Von Zeit zu Zeit lächelt er sogar. Ist er etwa ein Heiliger? Und die Prügeler sprechen: "O, Haridas, du runierst uns. Wenn du am Leben bleibst, wird der Kaji sagen, wir hätten dich nicht richtig geschlagen, dann wird er uns wegen Befehlsverweigerung töten lassen."

Da lächelt er wieder und sagt: "Gut, wenn mein Leben euren Tod bedeutet, dann will ich sterben." Und wieder denkt er an Krishna. Der gesegnete Haridas wird leblos, ohne Atem. Die Moslems wundern sich und werfen ihn vor die Tür des Richters. Als dieser ihn beerdigen lassen will, protestiert der Kaji. Die Schandtat des Haridas sei nicht mit einer Beerdigung zu belohnen, sondern er sei in die Ganga zu werfen.

Mit großer Mühe wird Haridas also in die Ganga geworfen. Sein Körper ist unerhört schwer. Vor den Augen aller Versammelten versinkt er in den Fluten des Flusses. Doch durch Gottes Willen erlangt Haridas wieder das Bewusstsein der Außenwelt und voll höchster Freude kommt er ans Ufer. Und laut den Namen Krsnas singend, wandert er in der Stadt Phuliya. Die Moslems werden Augenzeugen seiner unerhörten Segnung und sie geben ihre Gewalttätigkeit auf und verehren ihn als Heiligen, beugen sich verehrend vor ihm und werden gerettet. Der oberste Richter kniet mit gefalteten Händen vor ihm und sagt: "Ich habe erkannt, du bist ein großer Heiliger. Du hast das Wissen von dem Einen Gott erkannt und erlebt. Das, wovon Gelehrte und die Yogis nur sprechen, hast du voll und ganz erreicht. Ich bin gekommen, um dich zu sehen. Bitte vergib mir meine Schuld. Niemand in der Welt ist dir gleich, gehe, wohin es dir beliebt." Haridas segnet ihn und geht laut den Hari Namen singend nach Nabadvipa um Sri Krsna Caitanya zu sehen.

In den Heiligen Schriften wird erklärt, dass es in diesem Zeitalter des Kali, des Streites und der Heuchelei, ein sehr machtvolles Mittel gibt, um sich von allem Negativen zu befreien und gleichzeitig göttliche Liebe im Herzen zu erwecken: das Singen der Heiligen Namen Gottes. Dieses Singen der eiligen Namen Gottes, reinigt die Atmosphäre und unsere Aura, hilft uns unseren Geist zu fokussieren, kann unser Herz erweichen und die Mauern, die wir um unser Herz aufgebaut haben, lösen. Es wird gesagt, dass das Singen der Heiligen Namen Gottes auch unsere Seele berührt, und sie zu ihrer wahren inneren Pracht und göttlicher Liebe aufblühen lassen kann. Ein machtvolles Mantra hierzu ist auch das Maha Mantra.

Quellen:

  • Mit Kindern durch das Vaisnava Jahr
  • Walther Eidlitz: Sri Krsna Caitanya - Sein Leben und Seine Lehren
  • Bhagavat Purana

Kurzgeschichte von Silke Kleemann

(ohne Titel)  

El Radji winselte nicht mehr. Sonnig ging er die Straße entlang, blickte hinauf zu den Baumkronen sah in ihnen Gestalten höher als Passanten und Engel, und unwillkürlich breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Ein Lächeln, das im Herzen nachklang. Ein Gefühl der Wärme breitete sich in El Radjis Brustkorb aus. Das Lächeln wurde noch breiter und El Radji war sich bewusst, dass er ein solches Lächeln auf dem Gesicht eines anderen noch vor wenigen Momenten für absolut dämlich gehalten hätte. El Radji war bis vor kurzem zynisch gewesen.

Wie kleine orangerote Flocken rieselte es zwischen seinen Rippen. El Radji spürte seine Handflächen warmwerden. Er ruderte kurz mit den Armen, zog dann zwei kunstvolle Schwünge und ließ die Wärme in Richtung eines Eichhörnchens ausstrahlen, das seinen Schreck vergaß und innehielt.

Warum hatte er vorher nie zu den Bäumen hinaufgesehen? Er hatte immer zu Boden gesehen. Oder nichts außer dem Gedankenwirbeln in seinem Hirn wahrgenommen. El Radji hatte viele schöne Bilder verschenkt. Jetzt sah er die Lichtwesen und musste sie nicht in die Erinnerung bannen, denn er wusste, sie waren immer und würden immer sein. Seine Augen fühlten sich auch warm an. Er blickte hinauf zu den Wolken. Zärtlichkeit floss aus seinem Blick, und unendliche Zärtlichkeit ergoss sich von den Himmeln über ihn. El Radji blieb stehen und badete. Fast schien die Ausdehnung im Herzen zu schmerzen. Fast furchterregend die tiefe, warme Schwärze, die ihn anzog. Doch er mußte nicht fallen. Er konnte fühlen und dabei seine vertraute Welt blicken. Die Bäume. Mehr Vögel, mehr Getier denn je. Dort hinten der Gartenzaun eines Hauses. Dahinter Stimmengewirr und Lachen. Am Horizont tauchte ein Flugzeug auf. El Radji hatte die Augen aufgemacht.

El Radjis ganzer Körper war jetzt voller Süße. Schwer und leicht zugleich. Er merkte, dass er sich noch bewegen konnte. Langsam ging er weiter.

Siehe auch

Literatur

Weblinks

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