Denken

Aus Yogawiki

Denken ist der Prozess, Gedanken zu folgen. Du kannst selbst bestimmen, ob du positiv denken oder negativ denken willst. Yoga kann Dir dabei helfen

Denken bewusst machen mit Hilfe von Yoga

Denken

Denken geschieht in der Feinstoffwelt

Denken ist eine machtvolle Kraft. Denken ist eine starke Macht. Denken ist dynamisch. Denken heißt, dass das psychische Prana (Sukshma Prana) auf der Geistsubstanz wirkt. Denken ist eine Kraft sowie Schwerkraft, Elektrizität und Magnetismus. Du bist umgeben von einer gedanklichen Welt. Du treibst im Ozean von Gedanken. Du nimmst dabei immer wieder Gedanken auf und gibst diese wieder ab. Letztlich ist die Gedankenwelt noch realer als das physische Universum.

Gedanken sind durch Denken entstandene, lebendige Dinge. Jedes Denken verändert die Schwingung der Geistsubstanz. Denken kann Formen annehmen. Diese geistigen Formen können sich auf der physischen Welt manifestieren. Denken geschieht in der Feinstoffwelt. Die Feinstoffwelt ist genau so real wie die physische Welt. Die feinstoffliche Welt ist eine Gedankenwelt. Wenn du einen Gedanken des Hasses hast, dann ist dieser dunkelrot. Wenn du einen selbstsüchtigen Gedanken hast, ist dieser braun. Spirituelle Gedanken können gelb sein.

Deine Gedanken nach dem Tod

Wenn du stirbst, wird dein Denken weitergehen. Die Gedanken leben weiter als subtile Form, als Schwingungen der Atmosphäre. Große weise Rishis vergangener Zeiten haben auf machtvolle Weise gedacht. Ihre Gedankenschwingungen, Gedankenformen, sind weiter in der Akasha Chronik. Du kannst dich mit diesen Gedanken der großen Rishis verbinden und dich inspirieren lassen.

Persönlichkeit formen durch Denken

Denken formt deine Persönlichkeit. Was auch immer du denkst, das hat eine Auswirkung auch auf dich. Denken hat einen Einfluss auf dein Handeln. Denken hat einen Einfluss auf die Gedankenwelt. Denken hat einen Einfluss auf das, was auf dich zukommt. Und Denken schafft deine Persönlichkeit.

Denke, du bist stark, so wirst du Stärke entwickeln. Denke, dass du schwach bist, so wird in dir Schwäche stärker werden. Denke, dass du Mut und Willenskraft hast, so wirst du Mut und Willenskraft haben. Du formst deinen Charakter durch dein Denken. Meditiere über Mut, denke über Mut und denke immer wieder: „Ich werde mutig sein.“ Oder kultiviere den Gedanken: „Ich freue mich darauf, Mut zu zeigen.“ So wirst du Mut entwickeln. Kultiviere Geduld, Selbstlosigkeit, Selbstbeherrschung und [Reinheit] durch entsprechendes Denken. Wenn du edel denkst, dann wirst du edel handeln. Wenn du edel denkst und handelst, dann wird dein Charakter edel werden.

Anziehungskraft des Geistes

Geist hat auch eine Anziehungskraft. Wenn du freundliche Gedanken hast, wenn du mitfühlend denkst, dann wirst du andere mitfühlende Gedanken anziehen. Wenn du deinen Geist auf Gott ausrichtest, wirst du andere Menschen anziehen, die an Gott denken. Wenn du Gutes bewirken willst, wirst du dich mit deinen Gedanken mit den Gedanken anderer verbinden, die Gutes bewirken wollen.

Die dreifache Frucht des Denkens

Ein guter Gedanke ist dreifach gesegnet. Wer Gutes denkt, der wird sich selbst gut fühlen. Wer Gutes denkt, der wird auch dem positive Kraft schenken, an den er denkt. Wer Gutes, Lichtvolles, Barmherziges, Liebevolles denkt, verbessert die allgemeine geistige Atmosphäre und nutzt so der ganzen Menschheit. So ist das Denken mehrfach gesegnet.

Denken führt zur Handlung. Gutes Denken führt zu guten Handlungen, schlechtes Denken zu schlechten Handlungen. Gutes Denken führt zu guten Handlungen, gute Handlungen führen zu guten Gewohnheiten, gute Gewohnheiten führen zu einem guten Charakter, ein guter Charakter führt zu einem guten Schicksal. Beobachte dein Denken sorgfältig und aufmerksam und überwinde negatives Denken.

Überwindung von negativem Denken

Bevor du Negatives tust, kommt erst ein negativer Gedanke. Aus diesem negativen Gedanken entstehen dann Vorstellungen. Aus diesen Vorstellungen kommen Emotionen und Wünsche. Dann entstehen daraus Handlungen. Und so entstehen Sankalpas und Vasanas, Gewohnheiten des Denkens und Wünsche.

Überprüfe das, was du denkst. So wie du merkst, dass ein Gedanke da ist, der nicht gut ist, dann ersetze ihn durch etwas Gutes. Übe das immer wieder. Erlaube deinem Denken nicht, automatisch abzulaufen. Gib auch anderen keine Macht über dein Denken. Bestimme selbst, was du denkst.

Das Denken ist wie Wellen im Meer. So wie es unendlich viele Wellen im Meer gibt, gibt es viele Gedanken im Geist. Wähle selbst aus, welchen Gedanken du folgst, und erzeuge positives Denken. Überwinde schließlich alle Gedanken und die Identifikation aller Gedanken und erfahre die reine Gedankenlosigkeit.

Gottesverwirklichung durch Aufgabe des Denkens

Überwinde das Denken und erfahre die Gottverwirklichung. Patanjali sagt: „yogas chitta vritti nirodhah“ – Yoga ist das Aufhörenlassen des Denkens im Geist. Und weiter: „tada drastuh svarupe vasthanam“ – dann ruht der Sehende in seinem wahren Wesen.

Lerne, alles Denken aufzugeben. So wirst du Frieden erreichen. Je weniger Denken bei Klarheit und Bewusstheit in deinem Geist ist, desto größer ist der Frieden. Je weniger Wünsche du hast, um so weniger chaotisch wird dein Denken sein. Reduziere deine Wünsche, das Denken wird ruhiger und du wirst Freude haben. Je weniger chaotisches Denken du hast, um so mehr Kraft und Frieden hast du. Reduziere die verschiedenen Wünsche durch Kultivierung von positivem Denken und schließlich von innerer Ruhe. Durch ständiges intensives Üben kannst du lernen, über Denken hinauszuwachsen. Der Yogi, dem es gelingt, seine Gedanken vollständig zur Ruhe zu bringen, hilft der Welt mehr als ein Mensch am Rednerpult. Wer keine Gedanken mehr hat, strahlt reine Freude und reine Liebe aus, wird zum reinen Instrument des Göttlichen.

Denke zunächst also positiv. Denke liebevoll, denke hilfreich. Dann entwickle Sammlung und Konzentration des Geistes, bewirke viel Gutes und lerne schließlich, ohne Gedanken zu sein. So wirst du zum Instrument Gottes werden.

(Nach einem Artikel von Swami Sivananda im Buch Inspiration und Weisheit)

Video zum Thema "Denken

Hier ein Vortragsvideo zum Thema "Denken":

Vier Arten des Denkens

Lerne richtig zu denken!

- Abschnitt aus dem Buch: Yoga der drei Energien von James Swartz -

Das Verständnis der folgenden vier Arten des Denkens ist notwendig, bevor du beginnst, an dir selbst zu arbeiten.

A. Impulsives unfreiwilliges Denken:

Māyā ist sehr subtil, komplex und schwer zu verstehen. Wir betrachten sie aus Sicht der drei guṇas, der grundlegenden Energien, die alle Erfahrungen im Bereich der Existenz erschaffen, aufrechterhalten und zerstören. Zusätzlich zu den drei guṇas, von denen jeder eine positive und eine negative Seite hat, erzeugt Māyā mit ihrer wichtigsten Kraft, viparaya, ein großes Problem. Viparaya ist ein sehr wichtiges Wort, also bitte merke es dir. Es bedeutet „Umkehrung“.

Was kehrt sich um? Es kehrt sich auf katastrophale Weise das Grundverhältnis zwischen dem Selbst, dem Subjekt und den Objekten, die das Selbst erfährt, um. Es ist so, dass der jīva, der Handelnde/Genießer, ein Objekt ist, das dem Selbst bekannt ist. Aber der Handelnde/Genießer denkt, er sei das Subjekt und alles andere ein Objekt! Wenn er vom Selbst erfährt, versteht er das Selbst als ein weiteres Objekt, und wenn er spirituelle vāsanās hat, wird er dazu tendieren, dem Selbst als Objekt hinterherzujagen, obwohl es kein Objekt ist, sondern seine ureigene Essenz. Es ist ein vergebliches Streben, das von den meisten modernen spirituellen Lehrern auch noch unterstützt wird. Der Suchende wird belehrt, dass er oder sie das Selbst erfahren muss und dass die Methoden des Lehrers eine solche Erfahrung ermöglichen werden. Tatsächlich aber erfährt der Suchende zu jeder Zeit das Selbst, weil es nur das Selbst gibt.

Mithilfe von vedānta transzendiert eine erleuchtete Person die guṇas, kehrt die Umkehrung um und bringt das Subjekt und die Objekte in ihre natürliche Ordnung zurück.

Wenn diese erneute Umkehrung geschieht, findet noch eine weitere, sekundäre Umkehrung im System des jīva statt: Die natürliche Beziehung zwischen Emotionen und Intellekt wird gleichfalls umgekehrt. Bei reifen Menschen, weltlichen wie erleuchteten, ist der Intellekt der Chef und die Emotionen nehmen Befehle von ihm entgegen. Aber wenn du schon sehr lange im Bann von Māyā, also den guṇas, stehst, bist du nie richtig gereift und deine Emotionen bestimmen das Geschehen. Du „denkst“ mit deinen Gefühlen.

Gefühle sind nicht etwas, das dein Denken beeinflussen sollte, denn sie halten dich vom Denken ab. Sie sind nur unbewusste Reaktionen auf Ereignisse, die auf deinen Vorlieben und Abneigungen, deinen vāsanās, basieren. Früher verursachte eine bestimmte Situation Wut, die vielleicht gerechtfertigt war oder auch nicht, aber das nächste Mal, wenn eine ähnliche Situation auftritt, wird man wütend, obwohl Wut an der Stelle völlig unangebracht ist.

Wenn dich jemand darauf hinweist, dass du wütend bist, behauptest du normalerweise mit wütender Stimme, dass du nicht wütend bist und begründest ausführlich, warum Wut hier gerechtfertigt sei. Offensichtlich ist impulsives Denken nicht der richtige Weg, wenn man sein Schicksal kontrollieren will.

Vedānta liegt mit Gefühlen und Emotionen nicht im Clinch. Du fühlst immer etwas. Und wenn es dir gefällt, wenn deine Emotionen dich hin und her schubsen, okay. Nur leider genießt niemand negative Emotionen. Negative Emotionen werden durch negative Gedanken erzeugt – Gedanken, die nicht in Harmonie mit der Natur der Realität sind. Die Neigung, deine Gefühle zu verherrlichen und zu romantisieren, hält dich nur davon ab, dir Gedanken auszusuchen, die erfreuliche Gefühle produzieren.

B. Mechanisches, automatisches Denken:

Impulsives Denken, so schmerzhaft es auch sein mag, lässt einen zumindest glauben, dass man am Leben ist, was wahrscheinlich besser ist als mechanisches Denken, das einen mehr oder weniger daran erinnert, dass man praktisch tot ist. Die meisten weltlichen Menschen sind kaum besser als Roboter, die durchs Leben schlafwandeln, weil sie vollständig von ihren vāsanās kontrolliert werden. Sobald du deine Routinen gefunden hast, wird die Last des bewussten Denkens aufgehoben und, nun ja, du tust, was du tust, aber genau so macht es auch deine Armbanduhr. Leider funktioniert das mechanische Denken nicht so gut, so bequem es für die Einfallslosen auch sein mag, denn das dharma-Feld produziert Situationen, die andere Antworten erfordern, als es zum Beispiel Reaktionen auf die Kurse deiner Aktien tun. Wenn du nicht angemessen reagierst, kannst du mit einer guten Portion Schmerz rechnen.

Viveka Chudamani - Brahman ist jenseits von Denken und Sprache

Überwinde alles Denken

- Kommentar zum Viveka Chudamani Vers 240 von Sukadev Bretz -

Das, was nicht weggeworfen oder aufgenommen werden kann, das, was jenseits aller Beschränkungen von Geist und Sprache liegt, was jenseits der Grenzen und unmessbar ist, was ohne Anfang und Ende ist, vollständig und eines Menschen ganz eigenes Selbst, was überstrahlende Pracht ist, das ist Brahman.

Was ist Brahman?

Was ist Brahman? Brahman ist aheyam, es kann nicht aufgegeben werden. Manchmal zweifeln Menschen daran, ob sie den spirituellen Weg weitergehen können. Du kannst den spirituellen Weg nicht aufhören zu gehen, denn Brahman ist da und Brahman wird sich immer wieder melden. Brahman ist anupadeyam, das, was nicht angenommen werden kann. Du kannst nicht sagen, dass du jetzt Brahman annehmen oder aufgeben willst.

Brahman existiert egal, ob du an Brahman glaubst oder nicht glaubst. Du kannst Brahman nicht zufügen oder wegnehmen. Brahman ist immer da. Die dahinterliegende Wirklichkeit. Es ist agocara, das heißt unzugänglich für Manas (Denken) und Vach (Sprache).

Brahman ist nicht wirklich erklärbar

Ich schreibe die ganze Zeit über Brahman, aber letztlich weißt du, dass über die Sprache/Schrift du Brahman nicht wirklich erklären kannst. Die Sprache ist wie ein Finger. Angenommen du willst jemanden den Mond zeigen, dann zeigst du zum Mond. Du nimmst den Finger, zeigst auf den Mond und sagst: „Dort ist der Mond.“ Der Finger ist nicht der Mond, sondern er zeigt zum Mond. Der, der dorthin folgt, wo du hinzeigst, der sieht den Mond und erfährt vielleicht, wie der Mond sich anfühlt. So ähnlich sind Worte wie Finger. Sie zeigen zu Brahman.

Dinge geschehen - Brahman bleibt immer gleich

All das, was Shankara sagt und ich kommentiere, ist nur hinzeigen. Die Worte können Brahman nicht beschreiben und auch mit Denken kannst du Brahman nicht beschreiben. Mit Denken kannst du dein Bewusstsein dort hinrichten, wo Bewusstsein ist. Brahman ist unergründlich (aprameya). Brahman ist ohne Anfang (Anadi), er war immer da und er ist ohne Ende (Anta).

All das kann geschehen, aber Brahman selbst bleibt immer gleich. Aus dieser Bewusstheit heraus kannst du auch Kraft schöpfen. Wenn du weißt, dass Brahman immer gleich bleibt, dann bekommst du daraus Sicherheit. Brahman ist Purna (Fülle). Und was ist Brahman auch? Aham (Ich bin) ist Brahman auch. Dieses Ich bin ist Brahman.

Lebe aus diesem Geist des Vertrauens

Denke darüber nach und lebe heute in diesem Geist. Vollkommen angstfrei, denn du weißt das, worauf es ankommt, war immer da, ist immer da und wird immer da sein. Du musst dir Gott nicht verdienen, denn Gott ist hinter allem. Du musst auch nicht ein guter Yogi sein, Gott ist immer da. Brahman ist immer da und was auch immer geschieht, Brahman ist immer da.

Wie zügelt man das Denken?

Folge nicht deinen Gedanken - spüre tief nach innen

- Auszug aus dem Buch "Die ersten Stufen des Yoga" von Swami Sivananda -

1. Die sinnlich wahrnehmbaren Gegenstände wirken dauernd auf unser Hirn. Die Sinneseindrücke erreichen das Hirn durch die Sinnesorgane und erzeugen mentale Reizwirkungen. Dann werden dir die sinnlich wahrgenommenen Gegenstände bewusst. Bewusstsein kann entweder durch einen äußeren Reiz, den ein Sinneseindruck auslöst, oder durch einen inneren Reiz, den eine Erinnerung auslöst, geweckt werden. Jeder einfache Sinneseindruck ist ein äußerst kompliziertes Bündel erregender Reize. Damit sind Reize gemeint, welche von außen an das Hirn herangetragen werden. Ein Reiz oder Stimulus wirkt anregend auf die Tiefenschicht des Verstandes. Die Assoziationen (Verbindungen) solcher Anregungen, welche aus einem einzigen Sinneseindruck entstehen, sind sehr kompliziert.
2. Wenn du meditierst, beachte die Regungen in der Tiefenschicht des Verstandes, welche von den Sinnen verursacht sind, nicht. Vermeide sorgfältig den Vergleich mit allen anderen verwandten Vorstellungen und Beziehungen, an die du dabei erinnerst wirst. Konzentriere deine gesamte Denkenergie auf die eine Gottesidee oder auf Atma, ohne sie mit irgendeiner anderen Idee zu vergleichen.
3. Vermeide alle anderen Sinneseindrücke und Vorstellungen. Verhüte Verwirrungen, welche aus Wechselwirkungen in der Tiefenschicht des Denkens entstehen können. Konzentriere dein Denken ausschließlich auf die eine Vorstellung. Schließe jede andere Denkfunktion aus, dann wird dein gesamtes Denken nur mit der einen Idee beschäftigt sein. Stetigkeit (Nishta) wird die Folge sein. Wie die Wiederkehr oder Wiederholung eines Gedankens oder Tuns diesen Gedanken oder dieses Tun allmählich vollkommen macht, so fuhrt die Wiederholung desselben Denkvorgangs, der auf dieselbe Idee beschränkt wird, zur Vollkommenheit der Abstraktion, Konzentration und Meditation.
4. In der Gita findet man sehr oft Ausdrücke wie: Ananya Cheta, nicht an etwas anderes denken, Machirota, an midi, das heißt an Krishna ( Gott) denken (XVIII, 57), Nitya Yukta, ewig mit dem Absoluten vereinigt, Marrana, stetiges Nachdenken, Meditieren über die ewigen Wahrheiten, Ekagram Mana, die Gedanken auf einen einzigen Gegenstand (Gott) richten (VI, 12), Sarva Bhav, konzentrierte Liebe zu Gott. Diese Ausdrücke besagen alle, dass du dein gesamtes Denken, deinen gesamten Verstand hundertprozentig Gott hingeben sollst. Nur dann wirst du Selbstverwirklichung erlangen. Wenn auch nur ein einziger Gedanke abschweift, kann man Gottbewusstsein nicht erreichen.
5. Du kannst inneren Frieden nicht finden und nicht meditieren, wenn deine Gedanken umherschweifen (Vikshepa). Vikshepa bedeutet Schwanken, Unstetigkeit des Denkens. Vikshepa ist Leidenschaftlichkeit (Rajas). Vikshepa und Begehren sind zu gleicher Zeit im Denken. Wenn du ernstlich die Unstetigkeit (Vikshepa) vernichten willst, musst du alle irdischen Begierden und Wünsche durch Leidenschaftslosigkeit und Selbsthingabe an den Herrn ausrotten.
6. Wer Meditation und Konzentration mit einem Denken ausüben will, das infolge seiner Gleichgültigkeit gegen sittliche Gebote unvorbereitet ist, gleicht einem Menschen, der ein Haus auf morschen Unterbau errichtet. Du kannst das Haus wohl bauen, aber es wird bestimmt einstürzen. Du kannst auch viele Jahre lang Meditation treiben, aber du wirst ohne sichere sittliche Grundlage keinerlei greifbaren Ergebnisse oder Früchte ernten. Du wirst einen Zusammenbruch erleben. Deshalb ist Reinheit des Denkens durch ethische Erziehung von überragender Wichtigkeit, wenn du im Meditieren Erfolg haben und die Vereinigung mit dem Absoluten (Samadhi) erreichen willst. Ehe du Meditation versuchst, musst du das erforderliche korrekte sittliche Leben führen und das unerlässliche richtige Verständnis haben, nur dann wirst du vollen Erfolg haben. Die Vorbereitung des Denkens für das Meditieren erfordert viel mehr Zeit als das Meditieren selbst.
7. Vertreibe alle negativen Gedanken. Sei immer positiv. Das Positive überwindet das Negative. Wenn du positiv bist, kannst du erfolgreich meditieren.
8. Wenn deine Gedanken sich dauernd mit sinnlich wahrnehmbaren Gegenständen beschäftigen, wird zweifellos deine Erkenntnis des sichtbaren Universums bereichert. Wenn jedoch dein Denken ununterbrochen auf Atma, das Absolute gerichtet ist, wird dir die Welt wie ein Traum erscheinen.
9. Befreie dich selbst von den gewöhnlichen Gedanken, den mancherlei wertlosen Vorstellungen (Sankalpas). Erforsche unaufhörlich Atma. Beachte das Wort: unaufhörlich. Es ist wichtig. Nur dann wird dir höchste Erkenntnis aufgehen. Die Sonne der Erkenntnis (Jnana Surya) wird am Firmament von Chidakasha (im Erkenntnisraum, Brahma als grenzenlose Erkenntnis) aufgehen.
10. Wie man trübes Wasser durch Strychnos potatorum reinigt, so muss man auch den durch Sinneseindrücke (Vasanas) und falsche Gedanken (Sankalpas) getrübten Verstand reinigen, indem man über das Absolute (Brahma Chintana) nachdenkt und meditiert. Nur dadurch wird man wahre Erleuchtung erlangen.
11. Wenn jemand zwei Kaninchen zu gleicher Zeit nachläuft, wird er keines von beiden fangen. So wird man auch, wenn man hinter zwei widerstreitenden Gedanken her ist, keinen Erfolg im Meditieren haben können. Wenn man zehn Minuten göttlichen Gedanken und in den nächsten zehn Minuten entgegengesetzten weltlichen Gedanken nachhängt, wird man kein Gottbewusstsein gewinnen. Man darf nur einem Kaninchen mit vollem Krafteinsatz und Konzentration nachgehen, dann wird man es sicher fangen. Man darf nur göttliche Gedanken unter Ausschluss aller anderen hegen. Nur dann wird man bald Gott schauen.
12. Wie man Wasser mit Salz oder Zucker sättigt, muß man das Denken mit Gedanken an Gott und Brahman, mit göttlicher Herrlichkeit, göttlicher Gegenwart, mit erhabenen, die Seele erweckenden geistige Gedanken sättigen. Nur dann wird man immer in Gottbewusstsein sicher geborgen.
13. Beim Meditieren (Nididhyasana) muß man dafür sorgen, daß die Vorstellung vom eigenen Wesen — ich bin Brahman oder Aham Brahmasmi — ununterbrochen fließt (Swajatiya Vritti Pravaha). Laß die Gedanken an Brahman oder die göttliche Gegenwart wie die Übersdhwemmung eines Flusses strömen. Entsage den Gedanken an Sinnesdinge. Vertreibe sie mit der Peitsche Viveka (Unterscheidung zwischen wirklich und unwirklich) und Atmaforschung (Vidhara). Das bedeutet im Anfang Kämpfe. Es ist wirklich eine harte Prüfung, aber später wird die geistige Übung (Sadhana) leicht, wenn du stärker wirst und an Reinheit zunimmst und über das Absolute nachdenkst (Brahma Chintana). Dann bist du selig im Erlebnis der Einheit. Du empfängst Kraft von Atma. Deine inneren Kräfte wachsen, wenn alle Gedanken an wahrnehmbare Gegenstände (Vishaya Vritti) ausgejätet sind und dein Denken konzentriert wird (Ekagrata).
14. Beachte, wie lange du während des Meditierens alle irdischen Gedanken ausschalten kannst. Überwache den Denkvorgang sehr sorgfältig. Wenn du bisher zwanzig Minuten meditiert hast, versuche es auf dreißig bis vierzig Minuten und allmählich auf zwei bis drei Stunden auszudehnen. Erfülle dein Denken immer wieder mit Gedanken an Gott.
15. Du kannst das Denken durch dauernde Übung unter deine Herrschaft bringen. Du musst es nur immer mit Kontemplation des Göttlichen beschäftigen. Wenn du in deinen Anstrengungen nachlässt, werden sofort nichtige Gedanken auftauchen. Andauernde Übung kann jedoch das Denken ganz leicht unter deine Kontrolle bringen. Die Vereinigung mit dem höchsten Selbst (Samadhi) ist durchaus erreichbar, wenn man dauernd bei leichter Diät meditiert.
16. Wenn du eine Eisenstange ins lodernde Feuer hältst, wird sie rot wie das Feuer. Wenn du sie wieder herausziehst, verliert sie die rote Farbe. Wenn du sie für immer rot haben willst, musst du sie auch immer ins Feuer halten. So musst du auch deinen Verstand immer durch dauernde und angespannte Meditation in Berührung oder Verbindung mit dem Brahmafeuer der Erkenntnis erhalten, wenn du ihn mit dem Feuer der Brahmaweisheit durchglühen willst. Du musst dafür sorgen, dass das Brahmabewusstsein ununterbrochen fließt. Nur dann wird der überbewusste Zustand (Sahaya Avastha) etwas natürliches und dauerndes werden.
17. Setze dich bequem hin, schließe deine Augen. Schaue in dich. Ziehe die Gedankenstrahlen ein. Bringe die Gedanken zum Schweigen. Meditiere über Atma oder das Absolute. Singe Om, rezitiere OM, fühle OM, wiederhole in Gedanken OM. Dann wird sich langsam das Denken auf seinen Mittelpunkt oder seine Quelle zu bewegen. Du wirst Körper und Welt vergessen und nur noch sehr langsam atmen. Der Atem wird sich nur in den Nasenlöchern bewegen. Dein Herz wird von Freude und Seligkeit überströmen. Göttlicher Nektar wird träufeln. Trinke ihn, bis dein Herz satt ist und du erlangst Unsterblichkeit. Göttlicher Friede, ewige Gelassenheit wird Woge um Woge dein Haupt umfluten. Tauche tief in den Ozean des Friedens hinab. Schwimme ungehemmt darin und freue dich. Welch ein erhabener, glückseliger Zustand. Welch selige Freiheit. Wie wunderbar ist diese Vollkommenheit und Unabhängigkeit.
18. Der Kampf zwischen den alten schlechten Eindrücken (Samskaras) und den neuen, reinen (Sattwa) Eindrücken wird dann beendet sein. Der ewige Krieg zwischen Reinheit (Sattwa), Leidenschaft (Rajas) und Verfinsterung der Gedanken (Tamas) wird aufhören. Die aufrührerischen Gedanken und Sinne werden gehorsam gefangen sein. Der Widerstreit zwischen bösen und erhabenen Gedanken wird enden. Impulsive Einfälle und Gefühle werden gänzlich schwinden. Wie beruhigend und köstlich ist dieses ewige Leben im Atma. Wie lieblich und erfreulich ist dieses göttliche Leben. Verwirkliche es und du bist frei.

Kreative Lesung aus dem Buch „Inspiration und Weisheit“ von Swami Sivananda. Aus dem Kapitel „Gedanken“

Denken ist eine machtvolle Kraft. Denken ist eine starke Macht. Denken ist dynamisch. Denken heißt, dass das psychische Prana (Sukshma Prana) auf der Geistsubstanz wirkt. Denken ist eine Kraft sowie Schwerkraft, Elektrizität und Magnetismus. Du bist umgeben von einer gedanklichen Welt. Du treibst im Ozean von Gedanken. Du nimmst dabei immer wieder Gedanken auf und gibst diese wieder ab. Letztlich ist die Gedankenwelt noch realer als das physische Universum.

Gedanken sind durch Denken entstandene, lebendige Dinge. Jedes Denken verändert die Schwingung der Geistsubstanz. Denken kann Formen annehmen. Und diese geistigen Formen können sich auf der physischen Welt manifestieren. Denken geschieht in der Feinstoffwelt. Die Feinstoffwelt ist genau so real wie die physische Welt. Die feinstoffliche Welt ist eine Gedankenwelt. Wenn du einen Gedanken des Hasses hast, dann ist dieser dunkelrot. Wenn du einen selbstsüchtigen Gedanken ist, ist dieser braun. Spirituelle Gedanken können gelb sein.

Wenn du stirbst, wird dein Denken weitergehen. Und die Gedanken leben weiter als subtile Form, als Schwingungen der Atmosphäre. Große weise Rishis vergangener Zeiten haben auf machtvolle Weise gedacht. Und ihre Gedankenschwingungen, Gedankenformen, sind weiter in der Akasha Chronik. Du kannst dich mit diesen Gedenken der großen Rishis verbinden und dich inspirieren lassen.

Denken formt deine Persönlichkeit. Was auch immer du denkst, das hat eine Auswirkung auch auf dich. Denken hat einen Einfluss auf dein Handeln. Denken hat einen Einfluss auf die Gedankenwelt. Denken hat einen Einfluss auf das, was auf dich zukommt. Und Denken schafft deine Persönlichkeit.

Denke, du bist stark, so wirst du Stärke entwickeln. Denke, dass du schwach bist, so wird in dir Schwäche stärker werden. Denke, dass du Mut und Willenskraft hast, so wirst du Mut und Willenskraft haben. Du formst deinen Charakter durch dein Denken. Meditiere über Mut, denke über Mut und denke immer wieder: „Ich werde mutig sein.“ Oder kultiviere den Gedanken: „Ich freue mich darauf, Mut zu zeigen.“ So wirst du Mut entwickeln. Kultivieren Geduld, Selbstlosigkeit, Selbstbeherrschung und Reinheit durch entsprechendes Denken. Wenn du edel denkst, dann wirst du edel handeln. Wenn du edel denkst und handelst, dann wird dein Charakter edel werden.

Geist hat auch eine Anziehungskraft. Wenn du freundliche Gedanken hast, wenn du mitfühlend denkst, dann wirst du andere mitfühlende Gedanken anziehen. Wenn du deinen Geist auf Gott ausrichtest, wirst du andere Menschen anziehen, die an Gott denken. Wenn du Gutes bewirken willst, wirst du dich mit deinen Gedanken mit den Gedanken anderer verbinden, die Gutes bewirken wollen.

Die dreifache Frucht des Denkens

Ein guter Gedanke ist dreifach gesegnet. Wer Gutes denkt, der wird sich selbst gut fühlen. Wer Gutes denkt, der wird auch dem positive Kraft schenken, an den er denkt. Wer Gutes, Lichtvolles, Barmherziges, Liebevolles denkt, verbessert die allgemeine geistige Atmosphäre und nutzt so der ganzen Menschheit. So ist das Denken mehrfach gesegnet.

Denken führt zur Handlung. Gutes Denken führt zu guten Handlungen, schlechtes Denken zu schlechten Handlungen. Gutes Denken führt zu guten Handlungen, gute Handlungen führen zu guten Gewohnheiten, gute Gewohnheiten führen zu einem guten Charakter, ein guter Charakter führt zu einem guten Schicksal. Beobachte dein Denken sorgfältig und aufmerksam und überwinde negatives Denken.

Überwindung von negativem Denken

Bevor du Negatives tust, kommt erst ein negativer Gedanke. Aus diesem negativen Gedanken entstehen dann Vorstellungen. Aus diesen Vorstellungen kommen Emotionen und Wünsche. Und dann entstehen daraus Handlungen. Und so entstehen Sankalpas und Vasanas, Gewohnheiten des Denken und Wünsche.

Überprüfe das, was du denkst. Und so wie du merkst, dass ein Gedanken da ist, der nicht gut ist, dann ersetze ihn durch etwas Gutes. Übe das immer wieder. Erlaube deinem Denken nicht, automatisch abzulaufen. Und gib auch anderen keine Macht über dein Denken. Bestimme selbst, was du denkst.

Das Denken ist wie Wellen im Meer. So wie es unendlich viele Wellen im Meer gibt, gibt viele Gedanken im Geist. Wähle selbst aus, welchen Gedanken du folgst, und erzeuge positives Denken. Überwinde schließlich alle Gedanken und alle Identifikation aller Gedanken und erfahre die reine Gedankenlosigkeit.

Überwinde das Denken und erfahre die Gottverwirklichung. Patanjali sagt: „yogas chitta vritti nirodhah“ – Yoga ist das Aufhörenlassen des Denkens im Geist. Und weiter: „tada drastuh svarupe vasthanam“ – dann ruht der Sehende in seinem wahren Wesen.

Lerne, alles Denken aufzugeben. So wirst du Frieden erreichen. Je weniger Denken bei Klarheit und Bewusstheit in deinem Geist ist, desto größer ist der Frieden. Je weniger Wünsche du hast, um so weniger chaotisch wird dein Denken sein. Reduziere deine Wünsche, das Denken wird ruhiger und du wirst Freude haben. Je weniger chaotisches Denken du hast, um so mehr Kraft und Frieden hast du. Reduziere die verschiedenen Wünsche durch Kultivierung von positivem Denken und schließlich von innerer Ruhe. Durch ständiges intensives Üben kannst du lernen, über Denken hinauszuwachsen. Der Yogi, dem es gelingt, seine Gedanken vollständig zur Ruhe zu bringen, hilft der Welt mehr als ein Mensch am Rednerpult. Wer keine Gedanken mehr hat, strahlt reine Freude und reine Liebe aus, wird zum reinen Instrument des Göttlichen.

Denke zunächst also positiv. Denke liebevoll, denke hilfreich. Dann entwickle Sammlung und Konzentration des Geistes, bewirke viel Gutes und lerne schließlich, ohne Gedanken zu sein. So wirst du zum Instrument Gottes werden.

Video - Selektives Denken

Wähle aus, was du denken willst, welchen Gedanken du folgen willst. Hier ein Video Vortrag zum Thema Selektives Denken als Mittel zur Herrschaft über den Geist:

Tatsächliches vom Denken

Denken geschieht - setze den Namen Gottes dagegen

- Auszug aus dem Buch "Die ersten Stufen des Yoga" von Swami Sivananda -

1. Das Denken wird nicht nur täglich, sondern stündlich erneuert. Es wechselt jede Minute seine Farbe und Gestalt wie ein Chamäleon. Es ist sehr unstet und flatterhaft. (Chanchalam und Asthiram. Gita Kap. VI, 26).
2. Das Denken hat seit undenklichen Zeiten eine sehr schädliche Gewohnheit, sich zu veräußerlichen. Wenn man dauernd die heiligen Namen Gottes wie Hari OM, Narayana, Rama, Shiva und so weiter ausspricht, reinigt man das unterbewusste Denken (Chitta) und fördert die Wendung des Denkens nach innen (Antarmukha Vritti).
3. Die Zeit ist nur eine Denkform (Kalashakti, das Absolute in zeitlicher Erscheinung). Sie ist ebenso trügerisch wie die Dinge. Wenn deine Gedanken tief konzentriert sind, wirkt ein Zeitraum von zwei Stunden wie fünf Minuten. Wenn die Gedanken zerstreut und auf Wanderschaft sind, erscheint eine halbe Stunde wie zwei. Das hat schon jeder von uns erlebt. Auch im Traum geschehen ja Ereignisse, die fünfzig Jahre umfassen, in zehn Minuten. Dem Spiel der Gedanken kommt ein Kalpa (ein Jahr Brahmans, gleich 1,200,000 Himmelsjahre zu je 360 Erdenjahren) wie ein Augenblick vor und umgekehrt.
4. Die Wahrnehmung durch den endlichen Verstand oder das Erkenntnisvermögen der Erfahrung arbeitet nach einander und nicht zu gleicher Zeit. Gleichzeitige Erkenntnis gibt es nur im überbewussten Zustand, wo es keine Unterscheidung mehr gibt (Nirvikalpa Samadhi), wo Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart verschmelzen. Nur ein Yogi wird gleichzeitige Erkenntnis haben. Ein weltlicher Mensch mit einem endlichen Verstand kann nur nach einander Erkenntnis gewinnen. Obwohl mehrere Dinge zu gleicher Zeit mit den verschiedenen Sinnesorganen in Berührung kommen können, arbeitet der Verstand doch wie ein Torhüter, der immer nur eine Person auf einmal durch das Tor einlassen kann. Der Verstand kann nur eine Art Sinneseindrücke auf einmal nach innen in die Gedankenfabrik schicken, damit eine Wahrnehmung und ein Begriff erzeugt werden.
5. Es gibt Absonderungen aus endokrinen Drüsen ohne Kanäle, zum Beispiel Schilddrüse, Thymusdrüse, Ohrspeicheldrüse, Zirbeldrüse, Nebennieren und so weiter. Diese Absonderungen werden unmittelbar vom Blut aufgenommen. Sie haben entscheidende Bedeutung für das Temperament des Einzelnen. Das Temperament des Menschen kann durch Umgebung, Erziehung und Erfahrung weitgehend verändert werden, aber man kann es kaum grundsätzlich ändern. Deshalb heißt es in der Gita: Sadrisham diestate swasyah prakriter jnanavan api, auch der wissende Mensch verhält sich entsprechend seiner Naturanlage. (III, 33).
6. Es dauerte viele Jahre, bis ich das geheimnisvolle, feine Arbeiten des Verstandes begriff. Der Verstand wirkt durch die Fähigkeit der Einbildung so verwüstend. Eingebildete Furcht verschiedener Art, Übertreibungen, Erfindungen, Dramatisierung der Gefühle, Luftschlösser bauen — das alles wird durch die Kraft der Einbildung oder Fantasie verursacht. Auch ein vollkommen gesunder Mensch hat infolge der schöpferischen Fähigkeiten des Verstandes diese oder jene imaginäre Krankheit. Ein Mensch hat eine kleine Schwäche oder Unzulänglichkeit (Dosha). Wenn er dein Feind wird, übertreibst und vergrößerst du seine Schwäche und Unzulänglichkeit. Ja, du hängst ihm noch mehr Schwächen und Doshas an oder erfindest sie. Das alles kommt aus der Fantasie. Eingebildete Furcht kostet sehr viel Energie.
7. Vertrauen, Urteilen, Erkenntnis und Glauben sind die vier wichtigen psychischen Prozess. Zuerst hast du Vertrauen zum Arzt, du gehst zu ihm zur Untersuchung und Behandlung. Er untersucht dich und verschreibt dir Arznei. Du nimmst sie. Dann denkst du den Fall durch: „Diese Krankheit ist es also. Der Arzt hat mir Eisen und Jod gegeben. Eisen wird mein Blut verbessern. Jod wird die Lymphdrüsen anregen und Ausscheidungen der Leber absorbieren." Wenn du diese Arzneien einen Monat lang nimmst, wird die Krankheit geheilt. Dann gewinnst du Erkenntnis und unbedingten Glauben an die Medizin und den Arzt. Infolgedessen empfiehlst du diesen Arzt und diese Arzneien deinem Freunde. „Ist Dr. Müller nicht ein kluger Mann. Er hat reiche Erfahrung. Huxleys Tonikum ist ein sehr gutes Anregungsmittel für Nerven und Blut."
8. Der Verstand möchte immer etwas zu tun haben und wenn er sich den Dingen, die er schätzt, hingibt, fühlt er sich vergnügt und glücklich. Das Kartenspiel zum Beispiel ist nichts besonderes außer dass die Beschäftigung damit Entspannung, Vergnügen bereitet. Es ist sehr schwer, den Verstand, der von Kindheit an sich bedauerlicherweise daran gewöhnt hat, seine Unterhaltung draußen zu suchen, davon abzubringen. Er wird es immer weiter so halten, wenn du ihm nicht etwas Höheres zur Unterhaltung bereitest, das ihm größere Freude macht.
9. Die überwiegende Mehrheit der Menschen erlaubt ihrem Verstand, wild zu schweifen und seinem Eigenwillen und Belieben nachzugeben. Er gleicht einem verwöhnten Kinde, dem die Eltern zu viel nachgeben oder einem schlecht erzogenen Tier. Die Gedanken vieler unter uns gleichen einer Menagerie wilder Tiere, die alle den Eingebungen ihrer Natur nachgeben und ihren eigenen Weg gehen. Der überwiegenden Mehrheit der Menschen ist Gedankenzucht unbekannt.
10. Ein Erfahrungsbild von einem Baum bekommen wir nur durch den Verstand. Man muss auch Brahman zuerst durch den geläuterten Verstand, intellektuell begreifen, intellektuell Gewissheit davon bekommen und umfassendes Verstehen. Die Hilfe des Verstandes ist immer nötig entweder für die Wahrnehmung eines Gegenstandes oder für das Verständnis Brahmans. Meditation geht immer vom Verstande aus.
11. Beobachte einmal, wie ein Gedanke oder eine Vorstellung (Sankalpa) sich in kurzer Zeit zu vielen Sankalpas (Visthara, Ausdehnung) erweitert. Nimm einmal an, dir käme der Gedanke (Sankalpa), für deine Freunde eine Teegesellschaft zu geben. Der eine Gedanke „Tee" weckt sofort den Gedanken an Zucker, Milch, Teetassen, Tische, Stühle, Tischtuch, Mundtücher, Löffel, Konfekt, Salzmandeln und so weiter. Dieses Wort ist also nur die Erweiterung von Vorstellungen (Sankalpas). Die Erweiterung der Gedanken des Verstandes auf verschiedene Dinge ist Bindung (Bandha) . Verzicht auf alle Vorstellungen (Sankalpas) ist Befreiung (Moksha). Du mußt immer sorgfältig darauf achten, dass du die Sankalpas schon im Keime erstickst. Nur dann wirst du wirklich glücklich sein. Der Verstand treibt sein Spiel und seinen Scherz mit dir. Du musst seine Natur, Verfahrensweise und Gewohnheiten zu verstehen suchen. Nur dann kannst du ihn leicht beherrschen.
12. Der Verstand nimmt die Gestalt eines jeden Gegenstandes an, über den er angespannt nachdenkt. Wenn er an eine Orange denkt, nimmt er die Gestalt einer Orange an. Wenn er an Krishna denkt, der die Flöte in der Hand hält, nimmt er die Gestalt Krishnas, des Herrn an. Man muss also den Verstand entsprechend schulen und ihm geeignete reine (Sattwa) Nahrung zur Aneignung geben. Schaffe deinem Denken oder deinen Gedankenbildern einen lichten (Sattwa) Hintergrund.
13. Wenn du einen Monat lang Ovaltin gekostet hast, bildet sich im Verstande eine „Gedankenbeziehung" zu Ovaltin. Wenn du mit Sannyasins verkehrst, Bücher über Yoga, Vedanta und so weiter liest, entsteht im Verstand eine ähnliche Gedankenbeziehung, um Gottbewusstsein zu erlangen. Aber eine bloße Gedankenbeziehung allein genügt nicht. Inbrünstiges Verlangen nach Befreiung (Moksha), die Fähigkeit zu geistigen Übungen (Sadhana), intensiver und dauernder Fleiß und Meditation (Nididhyasana) sind dazu notwendig. Nur dann ist Selbstverwirklichung möglich.
14. Die Form, welche der unendliche Atman, der Höchste Geist durch das Denken (Sankalpa) annimmt, heißt Manas, Verstand, die Fähigkeit zu denken. Durch seinen Feind, das Unterscheidungsvermögen gelangt der Verstand in den Ruhezustand Parabrahman. Zuerst kehrte er der Unterscheidung den Rücken und verfing sich infolgedessen in den Schlingen der Begierden (Vasanas) nach irdischen Dingen.
15. Der Verstand wandelt sich dauernd und schweift umher. Diese Unstetigkeit des Verstandes äußert sich auf verschiedene Weise. Du wirst immer auf deiner Hut sein müssen, um diese Zerstreutheit des Denkens in Zucht zu nehmen. Die Gedanken eines Hausvaters schweifen ab zu Kino, Theater, Zirkus und so weiter. Die Gedanken eines Sadhu wandern nach Benaras, Vrindavan und Nasik. Viele Sadhus bleiben während ihrer geistigen Übungen (Sadhanas) niemals an einer Stelle. Man muss die Neigung der Gedanken umherzuschweifen in Zucht nehmen, indem man sie an einen Ort, eine Übungsmethode (Sadhana), einen Guru und eine Yogaform bindet. Ein rollender Stein setzt kein Moos an. Wenn du ein Buch nimmst um es zu studieren, musst du erst damit zu Ende kommen, ehe du ein Neues zur Hand nimmst. Wenn du irgendeine Arbeit tust, musst du ihr deine ganze ehrliche Aufmerksamkeit schenken und sie abschließen, ehe du etwas anderes beginnst. „Eine Sache nur auf einmal und diese ordentlich« ist ein guter Rat. So muss ein Yogi vorgehen.
16. Wenn alle Gedanken ausgeschaltet werden, bleibt nichts mehr, das man als Verstand oder Denken bezeichnen könnte. Also sind die Gedanken der Verstand. Und weiter: es gibt also auch keine Welt unabhängig und losgelöst von unseren Gedanken.
17. Der Verstand wird im allgemeinen durch helles Licht, Schönheit, Intelligenz, verschiedene bunte Farben und angenehme Töne angezogen. Lass dich nicht durch diese wertlosen Dinge verführen. Forsche in die Tiefe: Was ist der Hintergrund aller dieser Dinge (Adhisthan)? Es gibt nur einen Wesensgehalt hinter dem Verstand und hinter allen Gegenständen dieser sinnlichen Scheinwelt. Dieses Wesentliche ist allumfassend (Paripurna) und in sich beschlossen. Dieses Wesentliche ist das Brahman der Upanishaden. Dieses Wesentliche bist du selbst, Tat Tvam Asi, mein lieber Leser.

Das Denken vor dem Sein

Artikel von Rami Julia

Vor dem Sein, ist meistens das Sein im Denken. Ich habe gelernt zu denken, zu urteilen, zu analysieren, abzuwägen. Ein Ziel zu verfolgen, etwas zu erzwingen, weil ich es will, doch das ist nicht das, was das Göttliche von mir will. Jedenfalls meistens. Das Göttliche will, dass ich glücklich bin, dass ich frei bin, dass ich sein kann im Fluss des Lebens. Doch oftmals sind meine Wünsche meinem Denken entsprungen. Natürlich kann ich mich von Anderen inspirieren lassen und doch ist mein Lebensweg, ganz individuell. Da gibt es Rockstars, SchriftstellerInnen, die ich toll finde und ich kann ihnen nacheifern, aber in meinem Leben gibt es nur meinen ganz individuellen Weg.

Paulo Coelho schreibt in seinem Roman „Der Alchimist“ von der Weltenseele, die, wenn wir unseren ganz eigenen Wünschen folgen, uns mit Hilfe von Zeichen führt. Ich habe zum Beispiel einmal, als das Coronavirus gerade begann sich auszubreiten, in einem Auto gesessen und wollte zu einer Fußgängerzone fahren, um zu flanieren, es gab mehrere Orte in die ich hätte fahren können. Da gab es plötzlich einen Regenschauer und ich sah einen Regenbogen, dessen Ende ganz nah sein musste. Ich hatte noch nie das Ende eines Regenbogens gesehen. So fuhr ich mit dem Auto zu einem Schulgelände hinter dem ein Feld war, wo das Ende des Regenbogens zu sehen sein musste. Ich war ganz fasziniert davon, von dem gelb des Regenbogens insbesondere. Während ich so im Auto saß und das Ende des Regenbogens betrachtete, schaute ich auf die Uhr und die digitale Anzeige zeigte mir 17:17 an. Ich deutete es nicht gleich als ein Zeichen der sogenannten Weltenseele, aber dann ging plötzlich das Radio an und es liefen die Nachrichten, in denen wurde von Schul- und Universitätsschließungen berichtet und von dem Coronavirus, und so entschloss ich mich nicht in eine Stadt zu fahren, um in der Fußgängerzone zu flanieren. Zu dieser Zeit gab es noch keine Masken. Ich glaube es war genau das Richtige nicht zu fahren, denn ein paar Tage später wurde ich sehr heftig krank. Ich weiß zwar nicht genau, ob es der Coronavirus war, an dem ich erkrankt war, doch da meine Hausmitbewohnerin kurz danach auch krank und positiv getestet wurde, gehe ich davon aus. Wäre ich nun in eine Stadt gefahren, hätte ich vielleicht andere Menschen angesteckt. Für mich war das ein Zeichen des Göttlichen oder der Weltenseele, wie es im Alchimisten so schön heißt. Mein vernunftgesteuertes Denken hätte mich in meiner Entscheidung wahrscheinlich dazu gebracht, einfach trotzdem in eine Fußgängerzone zu fahren, doch die Zeichen brachten mich dazu, dies nicht zu tun und das war für mich jetzt im Nachhinein, das Beste, was ich hätte tun können, da ich jetzt die Zukunft von diesem Moment kenne.

Das angelernte Denken kann uns blockieren. Es kann dazu führen, dass unser Geist gar nicht zur Ruhe findet oder wir falsche Entscheidungen treffen. Doch natürlich kann das Denken auch sehr nützlich sein. Das Patanjali Mantra kann hier reinigend wirken, wenn wir es chanten oder rezitieren. Es reinigt unseren Geist von dem Leid uns mit unserem Leid zu identifizieren und führt uns zum wirklichen Selbst, das aus reinem Gewahrsein besteht. Wir werden gereinigt von egoistischen Motiven und können uns frei davon in der Welt bewegen und dort leben und handeln.

Patanjali Mantra

yogena cittasya padena vācāṁmalaṁ śarīrasya ca vaidyakena |yo'pākarot taṁ pravaraṁ munīnāṁpatanjaliṁ prānjalir ānato'smi ||

ābāhu puruṣākāraṁśaṅkhacakrāsi dhāriṇam |sahasra śirasaṁ śvetaṁpraṇamāmi patañjalim ||hariḥ oṁ

Übersetzung: Ich verneige mich mit gefalteten Händen vor Patañjali, dem höchsten Weisen, der die Unreinheiten des Geistes durch den Yoga, die Unreinheiten der Sprache durch die Grammatik und die Unreinheiten des Körpers durch die Medizin beseitigte. Ihn dessen Oberkörper menschliche Gestalt hat, der ein Muschelhorn und einen Diskus trägt, der weiß ist und tausend Köpfe besitzt, diesen Patañjali verehre ich.

Julia Sander

Bewegt - Der Versuch, eine Frage zu stellen

von Hanspeter Sperzel

Quelle: Yoga Vidya Journal Ausgabe 4 Herbst 2000

Da gibt es Gedanken in mir, die aufsteigen und arbeiten, und obwohl ich ihrem Sinn nachgehe, ihnen offen und frei gegenüberzutreten versuche, legt sich oft eine seltsame Schwermut über meine Seele. Seltsam ist diese Schwermut, weil ihr Wesen sich in Gelassenheit, aber nicht in mentaler Ruhe, sich in Tiefe, aber nicht in Stille äußert. Diese Stimmung dann läßt mich zurückweichen vor den vielen Kleinigkeiten des alltäglichen, läßt mich inmitten der Menge stiller werden.

Ist es stets die selbe Idee, die immer wiederkehrend im Geiste sich bewegt? Mit jedem Versuch, in Worte zu fassen, Klarheit zu erlangen, was diese meine Stimmung nährt, steigen andere Assoziationen und Begriffe auf, ein unwirklicher Aufbau der Gedanken, dessen Struktur solange andere Formen annimmt, bis sich ganz langsam, aber zunehmend klarer und deutlicher, ein Satz von erbarmungsloser Trivialität verdichtet. Eine einfache Aussage ist es meistens nur, die so selbstverständlich klingt, dass sie unbemerkt im Schneetreiben der Gedanken unterzugehen droht.

Manchmal ist es nur ein Wort, manchmal auch ein von einer Analogie getragene, aber immer einfache Aussage, die sich dann so rücksichtslos in mein scheinbar festgefügtes Leben einschleicht und sich in hartnäckigen Zweifeln manifestiert. Zwischen Arbeit und Beschäftigung, zwischen Konversation und Gespräch sind diese Zweifel dann ständig präsent. Ich spüre Bewegung in mir, bin hin und her gerissen zwischen ”gefunden haben” und ”verloren scheinen”. Stunden und Tage vergehen so, und dann, unmerklich fast, beruhigt sich alles in mir, die Schwermut weicht und die Normalität kehrt zurück.

Reflektiere ich so mein Leben? Erschafft sich so jede kleine Erkenntnis ihren Raum im Strom des Bewusstseins?. Diese Frage stellt sich mir nach jeder dieser Reisen. Mühsam erscheint diese Weise, ein Puzzle von unendlicher Ausdehnung. Ich suche oft nach einem Grund, nach einem Auslöser dieser Abenteuer, der irgendwo doch in meiner Vergangenheit, wo sonst, liegen muss. Erinnerungen steigen dann auf, Sätze, Bilder und Begebenheiten, und die meisten von ihnen, fast alle, sind negativ besetzt. Wo sind die angenehmen Dinge des Gewesenseins? Suche ich nach ihnen, sind sie da in großer Zahl. Warum kommen sie nicht von selbst zurück, warum muss ich diese immer erst willentlich erzwingen?

Diese Weise des Erinnerns läßt mich oft an meiner Aufrichtigkeit mir selbst gegenüber zweifeln. Ich erkenne leicht viele Verletzungen und mit ihnen die entstandenen Vorurteile. Warum hinterlassen die vielen guten Begebenheiten dagegen in mir keinen wirklichen Eindruck? Sind sie da, aber nicht greifbar? Entziehen sie sich mir vielleicht nur, weil ich sie nicht festhalten kann, sie mir nicht wichtig genug erscheinen? Bin ich etwa im Negativen fixiert? Ich versuche, mit immer neuen Varianten, das umzuformen, was einst zu einem Scheitern geführt hat. Warum geben mir die vielen guten Stunden kein Feedback? Ist es vielleicht dieses Fehlende, daß mich oft leidend, oft schwermütig macht?

Ich realisiere etwas nicht und ich versuche, Wege zu finden, dieses zu ändern, doch etwas in mir hält mich fest, lässt mich es nicht finden. Suche ich wirklich ohne Ziel? Gibt es dieses Ziel überhaupt, oder finde ich von Zeit zu Zeit nur einen der vielen Fäden, die mich unendlich durchs Labyrinth eines Leben führen? Und was wäre, wenn all dieses Denken nur Unsinn ist, Zeitverschwendung?

Es fällt mir schwer, unter diesen Bedingungen klar zu sein, und selbst, wenn das Denken in mir etwas vollständig erfasst zu haben glaubt, stößt dessen Ausführung, die Handlung oft auf Widerstände, sowohl im Außen als auch, und dies ganz besonders heftig, im Innen. Der Umgang mit den äußeren Gegebenheiten erscheint machbar, hat mit alltäglichem und mitmenschlichem zu tun und erscheint zwar nicht immer einfach, aber zur Lösung fähig. Beim Innen allerdings bin ich oft ratlos und furchtsam, entzieht es sich doch meist meiner Erkenntnis im gleichen Rhythmus meiner Annäherung. Kann es möglich sein, daß etwas in mir mir entgegen geht und mich im Zurückweichen lockt, mich ihm folgen läßt, und wenn, wohin wird es mich führen? Bin ich wie der Esel, der einer Möhre nachrennt? Und wenn dies so ist, wer hält mir diese Möhre vor?

Ich versuche, weiter folgend, meine neuen, aber nur als jetzig erkannte Vorstellungen von Klarheit in mein Denken und meine Handlungen einfließen zu lassen, und doch, trotz dieses Wissens, nach manchem Wort und nach mancher Handlung bin ich noch immer entsetzt über diese Unvollständigkeit einer Vorstellung, die noch eine Minute vorher vollkommen klar erschien. Ich fühle mich erinnert an den Mythos des Sysiphus. Ich habe doch erkannt, was mich quält, ich weiß darüber und könnte dieses Wissen auch nutzen, mich befreien, und doch gelingt es mir nicht!

Es ist schwer, aufrichtig und ehrlich zu sein, wenn die Bedingungen und die Definitionen von Aufrichtigkeit und Ehre, die erkannt werden können, ständig im Fluss begriffen zu sein scheinen, sich schon geändert haben werden, bevor der darauf sich berufende Gedanke sich manifestieren konnte. Worauf ist Verlass in dieser Welt, worauf kann ich mein Denken und Handeln gründen?

Sollte wirklich das einzige, was ewig unverändert bleibt, der Wandel sein? Ist Wandel das Fundament des Erkennens? Dieses Fundament gleicht dann aber mehr einem Floß, daß drehend und schlingernd auf wildem Wasser vorwärts treibt und dessen Steuermann fest schläft.

Die Bereitschaft zur Akzeptanz unveränderlicher Dinge, wie sie die Vergangenheit erzeugt, ist in mir nicht immer gegeben. Ich suche oft nach der Sicherheit eines Planes, nach dem einen Moment der Ruhe, der mich nicht fortwährend in einer ”Hab-Acht-Haltung” festlegt. Die Zukunft ist und bleibt doch ungewiss, warum also ihr vorgreifen? Trotzdem projiziert dieselbe Vergangenheit ihre Bilder fortwährend in diese mich beängstigende Zukunft. Und obwohl ich weiß, das jede Möglichkeit der Einwirkung fehlt, die Vergangenheit endgültig vergangen ist, und obwohl ich weiß, daß nachträgliche Rechtfertigung die Lage meist nur verschlimmert, nimmt der Strom dieser Gedanken immer wieder sein verzehrendes Wirken auf.

Meine einzige Zuflucht ist dann die Stille, und nur hier bin ich fähig, diese Ketten zu zerbrechen. Meist nur für einen Augenblick verebbt dann der unselige Strom, und an seine Stelle tritt eine Kraft, die ich weder fühlen noch beschreiben, deren Wirkung ich aber lange verfolgen kann. Jeder dieser Momente erscheint vollkommen. Sie geben mir den Mut und die Zuversicht, lassen mich die Schmerzen der Wechselhaftigkeit ertragen. Aber was sind sie wirklich, diese Momente?

Ist diese Kraft aus dem Nichts bereits das, was die Welt lenkt? Entspringen aus ihr etwa nur die guten Dinge, die überall verehrt und hochgehalten werden? Oder ist sogar alles, gut und nicht-gut, groß und klein, heilig und trivial, eine Manifestation ihres Wesens? Und wenn dies so wäre, warum dann diese Heimlichkeit, warum zeigt sie nicht ihr wahres Wesen? Ich weiß wieder etwas nicht, und in jeder Minute meines Nachsinnens verliere ich ein Stück meines so sicher geglaubten Wissens mehr.

Ich versuche meist, tolerant zu sein, Menschen und Situationen so anzunehmen, wie ich sie antreffe. Und doch läßt das Wissen um den ewigen Wechsel spontanes nicht immer zu, durchkaut und verformt es manche Eingebung bis zur Unkenntlichkeit. Der häufige Versuch, etwas zu sagen, was nach dem Verklingen der Worte noch immer gültig ist, erscheint lächerlich. Und ich weiß nicht, wie ich mit diesem Mangel leben kann, ohne die Weitsicht und die Verantwortung, die Zuneigung und ”das gute Wollen”, das mir innewohnt, zu beeinträchtigen. Ich verliere mich und komme ständig zu spät.

Auch das Mitfühlen leidet unter diesem Verlieren. Ich entwerfe Lösungen und Systeme dort, wo ein einfaches Wort genügen würde, setze mein ”Ich” dort ein, wo nur ”Sein” gefragt ist. Und ein Gefühl, zu spät geäußert, wirkt meist verheerender als der Sturm der Spontaneität. Das letztere zerstört oft, lässt aber auch vieles unberührt, um im Schluss alle befreit aufatmen zu lassen; während ersteres sich in der Leere verliert, nichts schafft und nichts zurückläßt.

Wo immer ich gehe, wo immer ich stehe, die Seiten der Medaillen meiner Einsicht stehen Rücken an Rücken, und soviel Mühe ich mir auch gebe, ich kann weder die richtige Seite finden noch die Mitte entdecken, in der der Widerspruch verschwimmt. Ganz gleich, ob spontan oder überlegt, die Ungewissheit des Wissens bleibt und manifestiert ihr zerstörendes Wesen bereits im Moment der Entscheidung. Ist dass das, was man Leben nennt? Ist das gemeint, wenn seit Alters her von ”werden und vergehen” geschrieben und gesprochen wurde?

Die Anmut der Jugend liegt schon lange hinter mir, und diese Lücke, die vom Rat der Jahre erfüllt sein sollte, erscheint mir bedenklich leer. Das ”angekommen-sein” wird langsam, aber stetig vom ”gehen-müssen” überrollt. Und an manchen, gar stillen Tagen höre ich bereits in der Ferne die Brandung rauschen, die mich einst heimholen wird. Ich möchte gerne wissen vor diesem Tag, wohin die letzte Reise geht, aber trotz der Wichtigkeit dieses Wollens soll auch mein Leben, dieses Leben gelebt sein, kann ich dieses Wissen nur im Leben finden, darf ich dieses nicht vernachlässigen. Ist Wissen denn nur möglich im Wissen des ”Nicht-Wissen-Könnens”? Ich finde immerfort nur neue Fragen und nicht eine Antwort, die mich tröstet. Ist dieses Fragen-Müssen so nicht richtig? Sollte ich besser erst an diesem arbeiten, statt nach Antworten zu suchen? Wenn die Frage schon fraglich ist, wie wird dann erst die Antwort sein?

Ich soll die Stärke meiner Seele nähren, und ich frage mich oft, womit? Ich soll Liebe in die Welt hinaus entsenden, und ich frage mich, was dieses Wort eigentlich bedeutet und wie dieses vor sich gehen soll. Ich soll den Frieden zu erhalten suchen, und doch ist oft mein Friede nicht der meines Nächsten. Soll ich weiterhin dem allem folgen, auch wenn es mich hinterfragen läßt, also aktiv in die Welt hinausstürmen; oder sollte ich mich besser zurückhalten, die Stille suchen; oder kann ich gar beides Tun zur gleichen Zeit? Fragen, nichts als Fragen!

Die Geschäftigkeit des Alltags ermüdet mich, und wo ich alle meine Kraft aufwenden müsste, um meine Antwort, in Bescheidenheit eine einzige nur aus unendlicher Zahl, zu finden, erreiche ich die Stunden der Muße, in der ein Finden mir erst möglich erscheint, erst dann, wenn die Kraft in mir stagniert. Viele Lösungen, die mir bisher einfielen in meiner Zeit, stellten die Wahrheit nicht dar, nein, sie verstellten nur den einen Zugang, um einen anderen zu öffnen, verlagerten nur das Problem. Alle Möglichkeiten scheinen permanent erschöpft zu sein. Soll ich aufgeben?

Können wir sie überhaupt finden, diese eine bescheidene Antwort auf diese eine Frage? Gibt es sie, diese Frage, die sich beantworten läßt; und wenn ich sie beantworten könnte, würde ich dann verzichten können auf alle anderen? Oder würden sich nur neue Fragen öffnen und mich vor neue Tiefen setzen, würden neue Abgründe sich vor meinen Füßen öffnen. Wäre ich dann nur noch ratloser als zuvor?

Ich habe Fragen in mir in unendlicher Zahl, könnte Regale füllen mit ihrer Niederschrift, und ich wünschte, ich könnte nur einen winzigen Notizzettel füllen mit nur einer einzigen Antwort. Und du, lieber Freund, der diese Zeilen ließt, hast du eine Antwort, nur eine einzige, für mich bereit?

Es ist dies mein einziger Wunsch, eine Antwort zu finden nur auf eine dieser Fragen. Viele Dinge in dieser Welt erscheinen von Bedeutung, ich will sie alle nicht haben, diese Dinge, sie sind nicht so wichtig; ich will nur eine Antwort auf eine meiner Fragen, nicht mehr, aber auch nicht weniger, vielleicht nicht heute oder morgen, aber bitte noch, bitte, in dieser meiner verbleibenden Zeit!

Siehe auch

Literatur

Seminare

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