Upanishad: Unterschied zwischen den Versionen

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[[Kategorie:Artikel von Swami Sivananda]]
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Version vom 3. Oktober 2014, 13:33 Uhr

Die Upanishaden (Sanskrit: उपनिषद् upaniṣad f.) sind Teile der indischen Heiligen Schriften, die Veda genannt werden. Sie bilden den letzten und philosophischen Teil dieser Schriften. Die ältesten der 108 Upanishaden wurden etwa 800 v. Chr. verfasst. Sie beschäftigen sich mit der Essenz der vier Veden und bilden so die Grundlage des Vedanta. Aus den Upanishaden stammen die Mahavakyas (große Aussprüche). Jüngeren Datums sind die Yoga Upanishaden (Sanskrit: yogopaniṣad yogopaniṣad), die sich speziell mit dem Yogaweg beschäftigen.

Das Wissen wurde vom Lehrer an den Schüler weitergegeben

Die Upanishaden - Einführung nach Paul Deussen

Artikel aus „Upanishaden. Die Geheimlehre des Veda“ in der Übersetzung von Paul Deussen, herausgegeben von Peter Michel, Marix Verlag, 2. Auflage, 2007, Wiesbaden, S. 19-28.

Einleitung

Jenseits ist Fülle,
Diesseits ist Fülle,
Aus Fülle kommt Fülle hervor.
Nimmt man die Fülle aus der Fülle,
So bleibt nichts als Fülle!

(Zitat aus der Isha Upanishad)

1. Das vedische Zeitalter

Wer über die Veden spricht, steht zwangsläufig dem Dilemma gegenüber, sich mit Geschichte und Mythos auseinandersetzen zu müssen. Sind für den orthodoxen Hindu die Veden in Wahrheit unmanifestiert, der nur dem Seher vollständig erkennbare Ausdruck des absoluten Brahman, so stellen sie für den westlichen Indologen ein erstes schriftliches Zeugnis einer frühen Hochkultur dar. Während die Datierung der ersten Zivilisationen im Indus-Tal ständig weiter nach hinten verlagert wird und die Harappa-Kultur aus dem vierten vorchristlichen Jahrtausend schon lange nicht mehr als der eigentliche Ursprung gilt, ist die akademische Meinung hinsichtlich des vedischen Schrifttums relativ konstant geblieben. Die Abfassung des Rigveda, des ältesten Teiles der verfassten Veden - wir lassen den Mythos im Folgenden unberücksichtigt - wird etwa auf die Zeit um 2000 bis 1500 v. Chr. angesetzt. Die frühesten Upanishaden dürften nicht vor 1000 v. Chr. niedergeschrieben worden sein, und man setzt das Ende der Upanishaden-Epoche" etwa mit der Zeit um 500 v. Chr. an.

Man unterteilt die Veden in vier Bereiche. Der Rig-Veda enthält die Opferhymnen an die Götter; der Samaveda ist der Veda der Gesänge (Saman) und dient gewissermaßen als musikalische Ergänzung des Rig-Veda; der Yajurveda ist der Veda der Opfersprüche und der Atharvaveda ist nach dem Hohepriester (Atharvan) benannt, der die heiligen Handlungen ausführte und die mantrischen Sprüche rezitierte.

Die vier Veden wurden dann noch in drei Abteilungen gegliedert. Die Samhita (Sammlung) enthält die zu verwendenden Sprüche, Hymnen und Gebete; das Brahmanam die erforderlichen theologischen Erklärungen; während die Sutras den Inhalt des Brahmanam kurz zusammenfassen. Der theologische Teil, das Brahmanam, teilt sich dann wiederum in drei Teile, Vidhi, Arthavada und Vedanta. Letzterer, das Ende oder die Vollendung des Veda (Veda Anta), enthält die Upanishaden. Sie stellen gleichsam den Abschluss und Höhepunkt des vedischen Zeitalters dar.

Um die Bedeutung der vedischen Offenbarung in ihrer Tiefe zu verstehen, empfiehlt es sich, drei herausragende Repräsentanten der indischen Spiritualität des 20. Jahrhunderts zu Wort kommen zu lassen, die ihre eigene Tradition aus innerer Verwirklichung darstellten. Vivekananda, Indiens erster großer Botschafter im Westen, schrieb in seinem "Jnana Yoga": "Man muss wissen, dass in Indien die Veden als heiliger betrachtet werden als selbst die Bibel bei den Christen. Die christliche Idee der Offenbarung ist die göttliche Inspiration eines Menschen, aber nach der indischen Auffassung existieren die Dinge nur deshalb, weil sie in den Veden sind. Aus den Veden und durch die Veden ist die ganze Schöpfung entstanden; alles Wissen ist in den Veden. Jedes Wort ist heilig und ewig, ewig wie die Seele, ohne Anfang und Ende. Die Gesamtheit des Schöpfungsgeistes ist in den Veden enthalten, und in diesem Licht werden sie betrachtet. Etwas ist sittlich oder unsittlich, weil es die Veden so bezeichnen."[1]

Eine ähnliche Bewertung findet sich auch in der "Autobiographie eines Yogi" von Paramahansa Yogananda. "In der reichhaltigen Literatur Indiens sind die Veden (Wurzel: Vid : wissen) die einzigen Texte, die keinen Verfasser aufweisen. Der Rigveda (X 90,9) schreibt seine Hymnen und Erzählungen einem göttlichen Ursprung zu und berichtet uns (III 39,2), dass sie aus "grauer Vorzeit" stammen und später in eine neue Sprache gekleidet wurden. Da die Veden den Rishis (Sehern) von einem Zeitalter zum anderen durch göttliche Offenbarungen mitgeteilt wurden, heißt es, dass sie Nitjatwa, das heißt "zeitlose Gültigkeit", besitzen.

Die Veden waren ursprünglich Laut-Offenbarungen, die von den Rishis unmittelbar gehört (Shruti) wurden, und enthalten im Wesentlichen Lieder und Rezitationen. Diese 100 000 Verse der Veden wurden also mehrere Jahrtausende lang nicht niedergeschrieben, sondern mündlich durch die Brahmanen-Priester weitergegeben. Weder Papier noch Stein sind gegen die zeitlich bedingten Zersetzungserscheinungen gefeit. Die Veden aber haben sich von einem Zeitalter zum anderen erhalten, weil die Rishis die Überlegenheit des Geistes über die Materie kannten und wussten, dass die geistige Art der Überlieferung die beste ist. Denn was ließe sich mit den "Tafel des Herzens" vergleichen?"

Die Gestalt des "Rishi", des großen Sehers des vedischen Zeitalters, erlangt auch in der Überlieferung der Upanishaden zentrale Bedeutung. Die Rishis waren nicht die Schöpfer der Veden, sondern sie gaben nur wieder, was sie in Meditation und Versenkung als geistige Wahrheit erschaut hatten. Sri Aurobindo, der zwei umfangreiche Bände über die Veden schrieb und mit seinem "Integralen Yoga" versuchte, östliches und westliches Gedankengut auf einer neuen, höheren Ebene zu integrieren, deutet die Veden als esoterische Initiationsschriften. "Die vedischen Rishi waren Mystiker, die ihre innere Erkenntnis für die Eingeweihten bewahrten; sie schützten sie vor der Allgemeinheit durch den Gebrauch eines Alphabetes von Symbolen, welches ohne Initiation nicht verstanden werden konnte, das aber vollkommen klar und systematisch war, wenn die Zeichen einmal erkannt waren. Die Symbole gruppierten sich um die Idee und Formen des Opfers; denn das Opfer war die universelle und zentrale Einrichtung des maßgebenden Kultes."[2] Dieses Opfer gewann im Sinne der vedischen Tradition eine doppelte Bedeutung, denn es war einerseits die Opferhandlung für die Götter, andererseits aber auch das innere Opfer der Selbstüberwindung und Selbsthingabe. Für Sri Aurobindo war die Sprache der Veden symbolhaft und zielte vor allem auf die sich im Menschen abspielenden Prozesse ab. "Die Götter des Veda repräsentieren die universellen Kräfte, herabgestiegen vom Wahrheitsbewusstsein, das die Harmonie der Welt errichtete."[3] Hinter allen Formen des Göttlichen, hinter den verschiedensten Namen sah Aurobindo jedoch eine alles vereinende göttliche Quelle. Dies führte ihn zu der Überzeugung, die vedische Offenbarung als monotheistisch zu bezeichnen. "Ihre Lehre ist monotheistisch, und die vedischen Götter sind verschiedene Namensnennungen der einen Gottheit; zur gleichen Zeit sind sie eine Bezeichnung Ihrer Macht, wie wir sie in der Natur wirken sehen."[4]

In dieser Deutung zeigt sich eines der Grundprobleme der mystischen oder esoterischen Interpretation einer religiösen Tradition. Es kann kein Zweifel bestehen, dass die vedische Lehre im Hinduismus in breiten Schichten zu einem vulgären Polytheismus geführt hat. Doch Ähnliches lässt sich unschwer auch bei anderen spirituellen Überlieferungen nachweisen, so dass es sinnvoll erscheint, das Augenmerk auf die großen Mystiker zu richten, anstatt sich in den Niederungen des Aberglaubens zu verlieren. So erblickte auch Arthur Schult in seiner wertvollen Studie über "Die Weisheit der Veden und Upanishade" den einen GOTT hinter der Vielheit der vedischen Götter. "Wenn einer der Götter angerufen wird, scheinen alle anderen zu verschwinden, bzw. in ihm aufzugehen. Jeder Gott, der gerade angerufen wird, ist der einzige Gott. Die Götter gleichen einander, bilden eine geheime Einheit. Es gibt nicht ein Nebeneinander verschieden beschaffener, zueinander im Gegensatz stehender Götter, wie in der Götterwelt Homers. Henotheismus hat der berühmte Sprachforscher und Ethnologe Max Müller diese Art des Gotterlebens genannt, in der Polytheismus und Monotheismus auf eigenartige Weise geeint sind"[5]

Der Atharvaveda kündet in einer seiner Hymnen von der Einsicht, welche die weisen Waldeinsiedler der Upanishaden ihren Schülern vermitteln sollten:

"Er allein ist der Eine, der Einzige, nur Einer.
Die Götter (Devas) da sind in ihm ein Einziges." Atharvaveda XIV,4

II. Die Entstehung der Upanishaden

Die Upanishaden, als krönender Schlussteil der vedischen Überlieferung, wurden ebenfalls viele Jahrhunderte lange mündlich überliefert. Während die vier Veden noch stärker das mythologische oder auch das ritualistische Moment betonen, rücken in den upanishadischen Texten, obwohl vor allem die älteren noch jeweils einem der vier Veden angeschlossen sind, die philosophische Spekulation und die esoterisch-initiatische Tradition in den Vordergrund. Diese Entwicklung drückt sich in der indischen Gesellschaft durch die immer einflussreichere Vedanta-Schule aus, die im 9. Jahrhundert ihren bedeutendsten Repräsentanten in Shankara findet. Die eher ritualistisch-zeremoniell ausgerichteten Anhänger des Veda sammeln sich in der Karma-Mimansa-Schule.

Schon das Wort "Upanishad" weist auf die spezielle Überlieferungs- oder Einweihungstradition hin. Es setzt sich aus den Silben "Upa" (nahe), "Ni" (nieder) und "Shad" (sitzen) zusammen und beschreibt eine Lehrer-Schüler-Situation, in welcher der Schüler neben seinem verehrten Meister sitzt und dessen Lehre lauscht. Der Benediktinermönch Henri Le Saux, der nach Indien ging und dort unter dem Namen Swami Abhishiktananda eine Synthese zwischen upanishadischer Weisheit und christlicher Mystik verwirklichte, sah in dem Wort auch noch eine Entsprechung zwischen Makro- und Mikrokosmos. "Das Wort "Upanishad" muss ursprünglich bedeutet haben: geheimniserfülllte Entsprechungen oder Wechselbeziehungen. Tatsächlich schreitet die Upanishadenlehre für gewöhnlich von Entsprechung zu Entsprechung fort: im Kosmos, im menschlichen Körper und im Geist, bis man schließlich die höchsten "Entsprechungen" entdeckt, die den Schlüssel zu allem bieten."[6] Diese "Entsprechungen" erschließen sich dem Schüler für gewöhnlich nicht aus eigener Anstrengung, es bedarf zu ihrer Erkenntnis der Hilfe eines erleuchteten Meisters.

Es fällt dem Abendländer des 21. Jahrhunderts nicht ganz leicht, diese Struktur unvermittelt anzunehmen. Zwischen der upanishadischen Epoche und der Gegenwart liegt vielleicht ein wenig zu viel an Ratio, ein wenig zu viel an Aufklärung, ein wenig zu viel an Materialismus und Atheismus. Zudem sind auch für den spirituell Interessierten Begriffe wie Meister (Guru), Einweihung oder Erleuchtung nicht ganz unbelastet. Dies stellt sich völlig anders da, wenn man selbst bereit ist, in die Überlieferungstradition der Upanishaden einzutauchen. "Die upanishadische Erfahrung hat nichts mit irgendeiner Religion zu tun, ebensowenig mit der Logik oder Erkenntnistheorie. Sie gehört einer anderen Ordnung an. Sie ist die endgültige Erfahrung des menschlichen Geistes, der sich die Religionen stellen müssen, wie sie in der Vergangenheit sich den mythischen und dann den logischen Kategorien des Denkens gestellt haben."[7] Es ist Vorsicht bei der Verwendung des Wortes "endgültig" geboten, aber die Intention von Henri Le Saux war es wohl eher, die transzendente Dimension der upanishadischen Erfahrung anzudeuten. Es geht den Rishis der Upanishaden nicht um eine theologische Spekulation, sondern um die Verwirklichung eines neuen Bewusstseins. Eines Bewusstseins, in dem sich der Meister als nicht getrennt vom Absoluten Geist (Brahman) empfindet, aber auch als nicht getrennt von seinem Schüler - ohne sich in einem wesenlosen Nichts aufzulösen. Die upanishadische Erfahrung ist, so sieht es der Vedanta, die höchste Selbst (Atman)-Verwirklichung, die dem Menschen möglich ist. Aufgrund dieses SELBST-Verständnisses erlangen die Upanishaden eine gleichsam über-historische Dimension. "Der Hintergrund, auf dem sich die Upanishaden entwickelt haben, ist unvergleichlich viel universaler als derjenige der Bibel und sogar des Evangeliums, denn Jesus ist eine historische Person, und ohne eine Beziehung zu seiner Person über die Zeiten hinweg ist kein Christentum möglich. Der Rishi der Upanishaden hat ebensowenig wie der Buddha eine Persönlichkeit, der er Bedeutung beimisst, oder eine Geschichte, mit der man ihn in Beziehung setzen muss. Die Entdeckung des Buddha ist die Entdeckung jedes Menschen, die Entdeckung des Rishi ist für jeden zugänglich, der bereit ist, der inneren Suche nachzugehen und der sich nach Befreiung sehnt. Die Entdeckung des letzten Grundes des Seins und des Selbst ist für jedes menschliche Bewusstsein erreichbar! In Wirklichkeit ist es eben darin und nur darin, wo der Mensch sich selbst verwirklicht, gleich in welcher Umwelt er sich befindet."[8] Mit der Entstehung der Upanishaden begann im menschlichen Bewusstsein eine Epoche, in der die Mittlerrolle der klassischen Religionen überwunden wurde - selbst jener, die damals noch gar nicht existierten. Der upanishadische Rishi bemüht sich, seinen Schüler seinen eigenen Weg finden zu lassen. Er sieht sich nicht in der Rolle eines Priesters, den der Schüler benötigt, um wieder vor das Antlitz Gottes treten zu können. Im tiefsten Sinne des Wortes ist der "Guru" ein Wegweiser, jemand, der die Dunkelheit der Unwissenheit vertreibt. Einen Wegweiser nutzt man dann am besten, wenn man seine Botschaft liest und sie beachtet. "Wer wollte", so ein Bonmot von Krishnamurti, "so unvernünftig sein und den Wegweiser anbeten?"

III. Die Botschaft der Upanishaden

"Führe mich vom Wahn zur Wirklichkeit!
Führe mich aus dem Dunkel ins Licht!"

Dieser Anruf steht in der Brihadaranyaka, einer der ältesten Upanishaden. Damit wird gleichsam die Grundnote der upanishadischen Botschaft deutlich - Erkenntnis und Erleuchtung. Die Seher der Upanishaden wollen ihre Schüler aus der Dunkelheit der Unwissenheit befreien und ins Licht der Göttlichen Wirklichkeit eintreten lassen. Alle großen Interpreten und Kommentatoren der Upanishaden weisen daher immer darauf hin, dass der Versuch, die Upanishaden rein intellektuell zu verstehen, von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Die Essenz der Upanishaden ist trans-rational, aber nicht irrational. Man muss sich ihr vom GEIST her nähern, nicht vom Verstand. Ist man dann in ihr Geheimnis eingetreten, empfindet man eine Glückseligkeit (Ananda), die weit jenseits aller vergänglichen menschlichen Freuden ist. Die Taittiriya Upanishad führt dies in ihrem Kapitel über "Ananda" beredt aus.

Bettina Bäumer weist in der brillanten Einführung zu ihrer Upanishaden-Ausgabe auch auf die methodische Komponente der upanishadischen Botschaft hin. "Upanishad bedeutet daher sowohl die Methode, das Mittel der Meditation und des Lernens von einem Meister, als auch das Ziel, die Vereinigung oder Erleuchtung. Als Beispiel für die erste Bedeutung bezeichnet die Mundaka (II,2,3) die Upanishad als Bogen, als die große Waffe, mit der man das Ziel, das Unvergängliche, trifft, wobei der Pfeil durch Meditation geschärft sein soll (III,11) Die zweite Bedeutung wird am Ende der Taittiriya-Upanishad (III,10,5) deutlich, wo der Erleuchtete ausruft: "Ich habe diese ganze Welt überwunden! Ich bin leuchtend wie die Sonne (und auch) der, der dieses weiß! Das ist die Upanishad!""[9]

Wollte man eine zentrale Aussage der Upanishaden wählen, so wäre sie in dem Wort Nicht-Zweiheit (A-dvaita) zusammengefasst. Die höchste Einsicht der upanishadischen Rishis ist jene von der nicht-dualistischen Wirklichkeit. Swami Abhishiktananda (H. Le Saux) meditiert über den suchenden Menschen: "Er sucht Gott in einem Winkel des Raumes. Und Gott erfüllt den ganzen Raum und er ist außerhalb des Raumes. Er sucht Gott in einem Punkt der Zeit, in einer Vergangenheit, die vorüber ist, in einer Zukunft, die einmal sein wird. Aber Gott ist außerhalb aller Zeit, und die Ewigkeit ist in jedem Augenblick der Zeit gegenwärtig."[10] Wir finden hier ein klassisches Paradox der Mystik vorgezeichnet, die uralte Frage nach Transzendenz und Immanenz. Gott ist in der Schöpfung, im Innersten des Menschen anwesend - und ist trotzdem der ganze andere. Die eher unbewusst erlebte Einheit der Veden wird in den Upanishaden zu einer bewussten Erfahrung der Göttlichkeit des Menschen, die aber nicht in einen undifferenzierten Pantheismus einmündet. Um dieser Gefahr entgegenzuwirken, um die Einheit von Selbst (Atman) und Gott (Brahman) nicht als ein Aufgehen des Tropfens im Urmeer misszuverstehen, greift Sri Aurobindo in seiner Kommentierung der Upanishaden zur sprachlichen Übersteigerung des Gottes-Begriffes als Parabrahman. "Der Höchste ist reines Sein, absolute Existenz, sat. Er ist Existenz, weil er allein Ist, es ist nichts anderes seiend, das irgendeine höchste Wirklichkeit besitzt oder irgendein Sein unabhängig von seiner Selbst-Manifestation. Er ist absolute Existenz, weil er allein Ist und nichts anderes in Wirklichkeit existiert; er muss notwendigerweise durch sich selbst, in sich selbst und für sich selbst existieren. Es kann keine Ursache für seine Existenz geben, wie es auch kein Ziel für seine Existenz geben kann; es kann auch keine Zunahme in ihm geben, noch eine Verminderung, denn Zunahme könnte nur durch Hinzufügung von irgendetwas ihm Äußerlichen und Verminderung durch Verlust an etwas ihm Äußerlichen entstehen; aber für Brahman existiert nichts Äußerliches. Er kann sich nicht verändern, denn geschähe es in irgendeiner Weise, würde er Gegenstand von Zeit und Kausalität werden. Er kann auch keine Teile besitzen, denn dann würde er Gegenstand des Raum-Gesetzes. Er ist jenseits der Vorstellungen von Raum, Zeit und Kausalität, die er als phänomenale Bedingungen der Manifestation erschafft, die aber nicht ihren Ursprung bestimmen können. Daher ist er Parabrahman, ist absolute Existenz."[11]

Obwohl dieser Gott in radikaler Andersheit die Gesamtheit der Schöpfung durchdringt, erfährt der Rishi der Upanishaden sich in seiner Erleuchtung doch als eins mit ihm. Gott und das Selbst sind nicht getrennt, sondern auf unfassbare Weise im innersten Wesenskern vereint. Die vier großen Worte (Mahâvâkyas) der Upanishaden versuchen dieses Mysterium sprachlich zu fassen, falls dies in der Begrenztheit des menschlichen Ausdrucks überhaupt möglich ist.

Die Upanishaden und das Christentum

"Der Christ muss versuchen, im Tiefsten seiner selbst, gleichzeitig die Erfahrung der Nichtdualität des Seins zu machen, die der Grund der vedantischen Erfahrung ist, und die Erfahrung der göttlichen Sohnschaft, der unaussprechlichen Nichtdualität von Vater und Sohn, in der Einheit des Geistes, die die Erfahrung des christlichen Glaubens konstituiert."[12]

Es waren vor allem die Benediktiner, die, teilweise mit einem eigenen Ashram im Süden Indiens, den Dialog zwischen Vedanta und Christentum führten, und in Henri Le Saux (Swami Abhishiktananda) und Bede Griffiths ihre bedeutendsten Repräsentanten hatten. Vor allem Le Saux, der sich später ganz in die Einsamkeit zurückzog, kreiste in seinen Meditationen immer wieder um die upanishadische Einheitserfahrung. Für ihn boten die Einsichten der großen Rishis den lange gesuchten Schlüssel, um zu einem annehmbaren Verständnis einer trinitarischen Gottesvorstellung zu kommen. Le Saux hatte erkannt: "Dass Christus wesentlich der erste einer Vielzahl von Brüdern ist. Das Pleroma ist für die Menschwerdung wesentlich. Jedes einzelne Menschenbewusstsein bis hin zum letzten - sie alle sind "zum Lob der Herrlichkeit seiner Liebe" geschaffen - war nötig, damit die Herrlichkeit Gottes voll wurde, damit diese Herrlichkeit sich so offenbarte, wie der Vater in seiner erhabenen Freiheit es bestimmt hatte."[13] Um diese unorthodoxe Trinitätslehre zu untermauern, sah Le Saux in den Upanishaden den Schlüssel, da sie allein für ihn eine Erfahrung universeller Gotteskindschaft zu offenbaren schienen. "Die Trinität wird nur in der Erfahrung des Advaita (der Nichtdualität) begriffen. Jesus hat diese zerreißende und erfüllende Erfahrung der Nichtdualität (mit dem Vater) gelebt, eine Erfahrung, die sich in einem Glanz, in einem Licht, in einer Herrlichkeit offenbart, die alles übersteigt, die einem alles entreißt, die über alles hinausführt: Gabe der Weisheit, tiefe Wesenseinheit (connatura-lité), Explosion, der sich keiner entziehen kann, der 'gespürt' hat ..."[14] Die trinitarische Erfahrung wird für Henri Le Saux zu einer kosmischen Offenbarung. Der Vater (Brahman), offenbart sich im Sohn (Atman) durch den Geist - und diese Offenbarung ist universell! Alles Geschaffene ist in letzter Konsequenz der SOHN; und alles Geschaffene wird in letzter Konsequenz durch den GEIST zurückverbunden und vereint mit dem VATER. Das meint für Le Saux letztlich das Mahavakya "Aham Brahmasmi".

Le Saux, Griffiths und andere Christen, die in dieser upanishadisch-trinitarischen Tradition dachten, wurden von der Orthodoxie immer wieder angegriffen und der Häresie, vor allem der pantheistischen, verdächtigt. Diese Kritik greift vor allem deswegen zu kurz, weil sie offensichtlich das Geheimnis der upanishadischen Erfahrungen nicht versteht. Bettina Bäumer macht dies in ihrer Upanishaden-Ausgabe überaus deutlich. "Advaita, die Verweigerung der Zweiheit, der Dualität, ist nicht als Monismus oder Pantheismus abzutun, wenn auch solche Tendenzen später nicht immer ausgeschlossen waren. Wie alle upanishadischen Aussagen, muss advaita im Kontext der mystischen Erfahrung verstanden werden. Er bedeutet das letzte Ungenügen einer Spaltung der Wirklichkeit in Subjekt und Objekt, und vor allem die Unmöglichkeit, Gott oder das Transzendente auf die Seite des Objektes zu projizieren. Ebenso wenig kann die bloße Übertragung des Göttlichen auf das Subjekt der letzten Wirklichkeit gerecht werden. Wie Swami Abhishiktananda (Henri Le Saux) betonte, ist die Erfahrung des advaita die größte Reinigung des christlichen Gottesbegriffes."[15]

Der Dialog zwischen der Erfahrung der Upanishaden und der christlichen Mystik steht erst an seinem Anfang. Erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben Christen den Versuch unternommen, wirklich die Tiefen der upanishadischen Offenbarung auszuloten. Es war ein überaus fruchtbarer Dialog, der nun weiter ausgebaut werden sollte, um einen weiteren Schritt hin zu einer "Weltreligion des Herzens"[16] zu machen, die allein die religiösen Konflikte der Menschheit zu lösen imstande sein wird.

Fußnoten

  1. Vivekananda, Jnana-Yoga Bd. 1, Freiburg o. J., S. 195.
  2. Sri Aurobindo, Hymns to Mystic Fire, Pondicherry 1972, S. 466.
  3. Ders., The Secret of the Veda, Pondicherry 1971, S. 71.
  4. Ebd., S. 29.
  5. Arthur Schult, Die Weisheit der Veden und Upanishaden im Lichte des West-Ost-Problems, Bietigheim 1962, S. 57f.
  6. Henri Le Saux, Der Weg zum anderen Ufer, Köln 1979, S. 49.
  7. Ebd., S. 134.
  8. Ebd., S. 135.
  9. Bettina Bäumer, Befreiung zum Sein. Auswahl aus den Upanishaden, Zürich 1986, S. 25f.
  10. Le Saux, Weg, S. 26.
  11. Sri Aurobindo, The Upanishads, Pondicherry 1972, S. 16 f.
  12. Le Saux, Weg, S. 7.
  13. Le Saux, Indische Weisheit - Christliche Mystik. Von der Vedanta zur Dreifaltigkeit, Luzern 1968, S. 155.
  14. Ders., Weg, S. 9.
  15. Bäumer, S. 41.
  16. Vgl. Peter Michel, Weltreligion, Grafing 2001.

Die Upanishaden – von Swami Sivananda

Swami Sivananda, der indische Yogi, Arzt und Weise, schreibt über die Upanishaden wie folgt:

Die philosophische Lehre, die als Vedanta bezeichnet wird, ist auch unter der Bezeichnung Uttara Mimamsa bekannt. Der Begründer des Vedanta-Philosophie-Systems war Baradayana Vyasa. Die Purva-Mimamsa-Schule wurde von Jaimini, einem Schüler von Vyasa, begründet. Der Unterschied zwischen den beiden Schulen ist der, dass bei Purva Mimamsa im Allgemeinen der Mantraanteil der Veden näher untersucht wird, während Uttara Mimamsa sich eingehend der Lehre der Upanishaden in den Veden widmet. Mit anderen Worten, Purva Mimamsa behandelt den Karma Kanda, während es bei Uttara Mimamsa um den Jnana Kanda geht.

Die Upanishaden als Teil der Veden

Sri Skankaracharya, der große Lehrer des Vedanta

Die Brahma Sutras von Badarayana oder Sri Vyasa werden als Vedanta Darshana bezeichnet. Sie heißen so, weil sie auf den Upanishaden beruhen, dem jeweils letzten und abschließenden Teil der Veden. Diese Brahma Sutras sind das Ergebnis der Harmonisierung der sich scheinbar widersprechenden upanischadischen Texte von Badarayana. Der von Sri Shankaracharya geschriebene Bhashya (Kommentar) zu den Brahma Sutras ist unter der Bezeichung Sariraka Bhashya bekannt.

Die Veden, von denen jede sich aus vier Teilen mit der Bezeichnung Samhita (Sammlung), Brahmana (rituelle Erläuterung), Aranyaka (Waldabhandlung) und Upanishad (philosophischer Lehrtext) zusammensetzt, sind zusätzlich in zwei große Abschnitte unterteilt, nämlich in den Karma Kanda oder Abschnitt der Handlungen und den Jnana Kanda oder Abschnitt der Erkenntnis. Der Abschnitt der Handlungen führt den Menschen zur Welt durch Glück und Genuss im Svarga oder Himmel, und der zweite, der Abschnitt der Erkenntnis, führt den Menschen zu Moksha oder der Befreiung. Die Teile Samhita und Brahmana bilden den Karma Kanda und die Aranyaka und die Upanishaden bilden Jnana Kanda, den Abschnitt der Erkenntnis.

Brahma Vidya oder das Wissen, mit dem wir Brahman erreichen, ist Gegenstand der Upanishaden. Die Upanishaden als jeweils letzter Teil der Veden stellen die Philosophie des Vedanta dar, wörtlich das Ende der Veden. Aufgrund der Gliederungen des Rigveda und anderer Texte heisst es, dass es vier Veden gibt. Sie sind vielfach verzweigt und so verhält es sich auch mit den Upanishaden. Im Rigveda gibt es 21 Unterteilungen. Im Yajurveda sind es 109, im Samaveda 1000, im Atharvaveda 50. In jeder Unterteilung gibt es eine Upanishad.

Das Wort Upanishad

Das Wort Upanishad wird dadurch gebildet, dass (…) die Vorsilben Upa und Ni zur Wurzel Shad hinzugefügt werden, die folgende Bedeutungen hat:

1) zerschmettern, töten,
2) erreichen und
3) lockern, freimachen.

Mit dem Wort Upanishad wird das Wissen um die erfahrbare Wesenheit angedeutet, die von dem zu kommentierenden Werk einprägsam beschrieben wird. Aufgrund welchen etymologischen Prozesses dieses Wissen durch die Bezeichnung Upanishad aufgezeigt wird, soll nun erläutert werden.

Das Wissen wird Upanishad genannt wegen seiner Bedeutung, dass es den Samen des Samsara wie Unwissenheit und all den Rest zerstört und zerschmettert, und zwar bei denjenigen spirituell Suchenden, die, nachdem sie sich von aller Verhaftung freigemacht haben, kein Verlangen mehr nach Dingen haben, die sie gesehen oder von denen sie gehört haben; die das Upanishad genannte Wissen erlangen, das nachstehend erläutert wird, und dann über das Wissen meditieren, indem sie ihren Geist fest darauf richten (…) Der Suchende wird von den Klauen des Todes befreit. Das Wissen um Brahman heißt auch Upanishad, weil es zu Brahman führt; es macht es dem spirituell Suchenden, der sich von aller Verhaftung frei gemacht hat, möglich, den höchsten Brahman zu erreichen (…). Hat er Brahman erreicht, so wird er frei von jedem Makel und unsterblich (…).

Yogageschichten aus den Upanishaden

Selbst das Wissen von Agni ist in dem Begriff Upanishad enthalten, und zwar durch seine Verbindung zur Bedeutung der Wurzel ‚shad’, „lockern, freimachen“. Denn das Wissen von Agni, dem Erstgeborenen, dem Kenner, (...), lieferte Hinweise zum Erreichen des Himmels and lockerte und erleichterte so das Ausmaß des Elends, wie das Heranwachsen im Mutterleib, Geburt, Alter usw., das sich in dieser Welt ständig wiederholt. (…) Haben die Suchenden den Himmel erreicht, dann sind sie unsterblich.

Man könnte nun einwenden, dass Schüler den Begriff Upanishad auch auf das Buch anwenden, wenn sie sagen, wir wollen die Upanishaden studieren oder lehren. Das ist kein Fehler, da die Bedeutung der Wurzel ‚shad’, z. B. die Zerstörung der Ursache des Samsara usw., nicht nur mit der bloßen Handlung in Verbindung gebracht werden kann, sondern auch auf das Wissen Bezug nimmt; und auch die bloße Handlung kann mit diesem Wort bezeichnet werden, da sie demselben Zweck dient, so wie auch von Ghee gesagt wird, dass es wahrhaftig Leben ist.

Das Wort Upanishad wird daher in seinem ursprünglichen Sinn im Zusammenhang mit Wissen gebraucht, doch es ist auch möglich, es in einer sekundären Bedeutung im Zusammenhang mit dem Werk/ der Handlung zu benutzen. So werden die, die wirklich bereit sind, das Wissen zu erwerben, schon durch die bloße analytische Erläuterung des Wortes Upanishad weiter gebracht. Die gesamte Befassung mit Erkenntnis bewirkt durch das Erreichen Brahmans eine vollständige Befreiung von den Fesseln des Samsara.

Die Bedeutung der Upanishad kann beides sein, da sie die zahlreichen Übel wie Empfängnis, Geburt, Alter, Krankheit usw. bei Menschen, die sich für dieses Wissen um Brahman öffnen und sich ihm mit Glauben und Hingabe nähern, verringert, oder weil sie den Menschen den Weg zu Brahman weist, oder weil sie die Ursache des Samsara wie Unwissenheit usw. vollständig zerstört. Dies also zu den verschiedenen Bedeutungen der Wurzel ‚shad’, die den Vorsilben Upani folgt.

Rama und die Upanishaden

Rama

Rama sagt zu Hanuman: „Das einzige Mittel zur Erlangung der endgültigen Befreiung ist, für sich allein genommen, die Mandukya Upanishad, die für das Heil aller spirituell Suchenden ausreicht. Wird Jnana (Erkenntnis) dadurch nicht erreicht, dann wirst du durch das Studium der zehn Upanishaden erst Jnana und dann Meinen Platz erlangen. O Sohn des Anjana, wenn deine Erkenntnis dadurch nicht fest gegründet ist, dann befasse dich eingehend mit den 32 Upanishaden. Du sollst befreit werden. Sehnst du dich nach Videha Mukti, dann studiere die 108 Upanishaden.“

Die Upanishaden sind die mystische Erfahrung der Rishis. Die Upanishaden, die Gita und die Brahma Sutras werden als Prasthanatraya bezeichnet. Es sind die drei maßgeblichen Bücher über hinduistische Philosophie. Jeder Lehrer, der den Titel Acharya (Meister) für sich beansprucht und eine neue philosophische Schule begründen will, muss einen Kommentar zu diesen drei bedeutenden Büchern schreiben. Alle Acharyas der Vergangenheit, wie Sri Shankara, Ramanuja und Madhava haben Kommentare zu diesen Büchern geschrieben.

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Andere Schreibweisen für Upanishad

Im Deutschen gibt es viele Schreibweisen für Upanishad. Dazu gehören: Upanishade, Upanischad, Upanischaden, Upanisad, Upanisade.

Plural, also die Mehrzahl von Upanishad, ist Upanishaden bzw. Upanischaden bzw. Upanisaden. Anglisiert auch Upanishads bzw. Upanisads.

Siehe auch

Einzelne Upanishaden

Upanishadgruppen bzw. -sammlungen

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111 Geschichten aus den Upanishaden

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