Sexualität

Aus Yogawiki
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Zum Thema Sexualität in Verbindung mit Spiritualität finden sich weltweit bei verschiedenen Yogameistern unterschiedliche Ansätze.

Sexualität

Zwischenmenschliche Sexualität wird in allen Kulturen auch als ein möglicher Ausdruck der Liebe zwischen zwei Personen verstanden. Es gibt verschiedene Konzepte, wie man Sexualität auslebt oder die sexuelle Energie, Apana Vayu, mit Techniken sublimieren kann, um die eigene spirituelle Praxis zu intensivieren.

Die Symbole für Frau und Mann
Zwei Frauen tanzen den Tanz der Liebe

Definition und Überblick

Im biologischen Sinne beschreibt Sexualität zunächst nur unsere Geschlechtlichkeit. Die meisten Menschen werden mit einem klaren biologischen Geschlecht geboren, welches sich an den primären, wie Penis, Vagina und sekundären Geschlechtsmerkmalen, wie Körperbehaarung und Brüsten bestimmen lässt. Weiterhin ist es heute jedoch bekannt, dass die eigentliche Sexualität und persönliche Vorlieben nicht nur von diesen Merkmalen geprägt werden, sondern ebenso durch Genetik und Erziehung. Körperlichkeit und Sexualität sind für uns Menschen von Kindesbeinen an wichtig für die eigene Identitätsentwicklung.

So umfasst sie körperliche, biologische, psycho-soziale und emotionale Aspekte und kann als wichtige Lebensäußerung angesehen werden. Es gibt verschiedene Formen der Sexualität, wie Heterosexualität, Bisexualität, Polysexualität, Pansexualität, Homosexualität und Asexualtität. Sie spielt in jedem Lebensalter in irgendeiner Form eine Rolle, zumal es sich bei Sexualität auch um eine persönliche Ausdrucksmöglichkeit handelt.

So zeigt sich über die eigene Sexualität vieles darüber wie wir unser Menschsein leben, Beispielweise durch Zärtlichkeit, Sinnlichkeit, Lust, Liebe und Geborgenheit. Sie ist somit ein wichtiges Sprachrohr und kann uns stärken, nähren. Leider kann Sexualität sogar Sprache von Gewalt sein, was unter sexuelles Fehlverhalten fällt. Sie zeigt sich allen Lebensphasen als starke Lebensenergie und kann durch Übungen im Yoga und Tantra entsprechend sublimiert und genutzt werden.

Sexuelle Entwicklung

Zeichnung von Otto Müller: Liebespaar Mann Frau

Bereits bei der Befruchtung der Eizelle unserer Mutter beginnt unsere sexuelle Entwicklung. Wir entstehen aus der Geschlechtsgemeinschaft unserer Eltern. Diese sind für uns zum einen unsere biologische Fortpflanzungsstruktur und die Familie stellt gleichzeitig unsere erste Umgebung dar, die auch unseren späteren Umgang mit unserem Körper prägt. Siegmund Freud ist der größte Analytiker, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts die bis heute gültigen Theorien über sexuelle Entwicklung aufstellte. Diese ist eine komplexe Entwicklungsgeschichte bei jedem Individuum.

So durchläuft der Mensch von Kindheit an verschiedene Entwicklungsphasen, die seine Sexualität und seinen Charakter maßgeblich beeinflussen. Im Säuglingsalter beginnt die Orale Phase. Hier wird der Mund als primäre Befriedigungsquelle gesehen. In der zweiten Phase, der analen Phase, die vom zweiten bis zum dritten Lebensjahr geht, generiert das Kind durch Ausscheidung und das Lernen des zurück Haltens der Exkremente, Lust. Ab dem dritten Lebensjahr beginnt die ödipale Phase, in der das junge Kind anfängt, sich mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil zu identifizieren und den gegengeschlechtlichen Elternteil zu begehren.

Ab dem Grundschulalter schlummert die sexuelle Energie in der sogenannten Latenzperiode und wird kaum noch zum Ausdruck gebracht. In dieser Zeit wird die Energie besonders auf das Lernen verwendet. Ab dem ca. 12. Lebensjahr beginnt die genitale Phase in der auch die Sexualhormone stärker ausgeschüttet werden und sich der Sexualtrieb entwickelt.

Sexualtrieb

Die meisten Menschen denken bei ihrem Sexualtrieb an ihren Unterkörper. Das Geschlecht an sich ist in den meisten Kulturen verhüllt und wir sind es gewohnt zwischen dem Unterkörper und Oberkörper zu unterscheiden. Dadurch nimmt das bewusste Erleben der Sexualität im Alltag eine etwas untergeordnete Rolle ein. Es gibt sehr unterschiedliche Ansichten darüber welchen Stellenwert der sexuelle Trieb für uns Menschen hat, jedoch dient er uns, wie allen Säugetieren, auf jeden Fall zur Arterhaltung.

Die allgemeine Auffassung dass Sex unter Eheleuten eine gute Sache ist, wurde unter anderem stark durch Religionen wie zum Beispiel durch das Christentum geprägt. Die Familie ist gesellschaftlich betrachtet noch immer der geeignete Rahmen für Fortpflanzung und damit für die Arterhaltung der menschlichen Rasse. Außerhalb der Ehe oder einer monogamen Partnerschaft ist Sex bis heute etwas sehr Umstrittenes. Da die Ehen heutzutage nicht so lange halten und die Lebenserwartung gestiegen ist, haben vielen Menschen mehrere Ehen und langfristige Partnerschaften. Hierbei spricht man auch von serieller Monogamie.

Das promiske Ausleben von Sexualität wird in unsere Gesellschaft noch immer tabuisiert. Zum anderen ist Sexualität in unserem Alltag, besonders im Internet und Werbung überpräsent. Auch wenn sich nicht immer feste Partnerschaften entwickeln, bildet der persönliche Sexualtrieb des Menschen oft das Streben nach dem Empfinden von Liebe und Einheit ab. Alle Menschen streben nach Selbstausdruck, positivem Feedback, Bestätigung, emotionaler und sexueller Erfüllung. Dahinter steht fast immer die tiefe Sehnsucht nach Verbindung mit dem göttlichen Bewusstsein und der Quelle der Kreativität in uns selbst.

Formen von Sexualität

Noch immer gilt Heterosexualität in unserer Gesellschaft als der Maßstab an dem sich die meisten Menschen orientieren. Betrachtet man jedoch verschiedene Kulturen über die Antike bis heute, erfährt man, dass auch Homosexualität, die gleichgeschlechtliche Liebe kein neuzeitliches Phänomen ist. Genauso wie Bisexualität oder Asexualtität.

Diese unterschiedlichen Arten von gelebter oder nicht ausgelebter Sexualität stellen keine Abweichung von einer Norm dar, sondern eben genauso vorhanden und gleichwertige Form und Ausdruck der eigenen Sexualität. Erst durch die Verbreitung des Christentums, wurde eine "falsche" Sexualethik verbreitet, die die Ehe und Heterosexualität als die Norm bezeichnet. In diesem Zusammenhang spricht man auch von der sogenannten Heteronormativität.

Heteronormativität

Alle Lebensgemeinschaften sind gleichwertig

Der Begriff Heteronormativität wurde in den 90er Jahren von Michael Warner geprägt und wird sein 1995 in Deutschland genutzt. Er beschreibt ein System von Erwartungen und Verhaltensweisen, welches sich auf der falschen Annahme stützt, dass jeder Mensch heterosexuell geboren wird und Beziehungen und Familien diesem Modell folgen sollten. Das Modell selber durchzieht alle gesellschaftlichen Bereiche und viel Kulturen und akzeptiert weder Homosexualität, Intersexualität, Asexualtität noch Transsexualität. Diese Ausprägungen von Sexualität werden teilweise sogar als Krankheiten eingestuft.

Das Konzept der Norm im Allgemeinen gibt vor, dass es Toleranz braucht um die Andersartigkeit zu akzeptieren. Die Menschen, die von der vermeintlichen Norm abweichen werden direkt, subtil oder sogar politisch dazu aufgefordert sich besser anzupassen. Menschen die ihr Geschlecht wechseln wollen, werden als krank bezeichnet und leiden oft unter Mobbing. Dabei sagte bereits Siegmund Freud, der Mensch sei nicht klar heterosexuell, sondern „polymorph pervers“ in verschiedenen Ausprägungen. So ist die Ehe für homosexuelle Paare in Deutschland rechtlich immer noch nicht mit der Hetero-Ehe gleichgestellt, was zu massiven Kämpfen und 2015 zu politischen Diskussionen und Gründung der LGBT-Initiative „Ehe für Alle“ führte.

Auch werden Kinder, die sich mit anderer Geschlechtsidentität auf die Welt kommen, oft nicht ausreichend ermutigt sich frei zu fühlen und auszudrücken. Im Gegenteil werden Kindern in der Erziehung weiterhin diverse Genderstereotype aufgezwungen, wie zum Beispiel, dass Mädchen rosa Kleidung tragen und mit Puppen spielen sollten. Global wird immer wieder diskutiert, ob homosexuelle Paare ein Kind aufziehen sollten, weil dem Kind dann die Mutter fehle. Solche Denkansätze mögen erstmal richtig erscheinen, was letztendlich selbst ein Beweis für Unbewusstheit ist.

Sie implizieren uns, dass eine optimale Form von Kindererziehung selber gäbe und diskriminiert und stigmatisiert somit ebenso geschiedene Eltern, Patchworkfamilien, konzeptlose Lebensgemeinschaften und Alleinerziehende. So schadet Heteronormativität schadet allen Menschen. Analog dazu kann betrachtet werden, wie die Menschheit sich über die Richtigkeit einzelner Religionen streitet, obwohl das Göttliche Bewusstsein, welches in uns wohnt selbst keine Religion kennt. Ebenso ist Sexualität als Ausdruck des Einheitsbewusstsein nicht formbar, sondern einfach nur existent.

Das „dritte Geschlecht“ im alten Indien

Die Geschichte der Homosexualität, hat historisch überliefert zwar ihren Urspung im alten Griechenland und doch gibt es aus Indien Belege für deren Existenz, die bis 1200 vor Christus zurückreichen. So existierte im vedischen Indien die Kultur der „tritiya prakriti“ die sowohl Homosexualität, Transgender wie auch Intersexualität umfassen.

In der vedischen Astrologie deutete das dritte Geschlecht auf eine hohe spirituelle Kraft hin, weshalb viele dieser Gebürtigen im Zölibat und als Mönche lebten. Sogar der Mahabharata finden sich Passagen in dehnen Arjuna zur Strafe einige Zeit selbst als Haremstänzer des dritten Geschlechts leben musste. Folgt man den vedischen Schriften, so wurden Homosexuelle Menschen dort verehrt. Im klassischen Kastensystem werden sie zwar diskriminiert, wobei sich die Forschung einig ist, dass es sich hier die ehemalige Akzeptanz und Toleranz der Veden verdrängt wurde und hier Einflüsse aus dem Christentum und Islam in dem Hinduismus unmerklich miteinander verwoben wurden.

Safer Sex

Kondome schützen in allen Farben

Sexualität dient zwar der Fortpflanzung, wurde aber auch immer schon für Freude ausgelebt. Sie ist ein wichtiger Bestandteil im Leben vieler Menschen. Um eine ungewünschte Empfängnis zu verhüten und Geschlechtskrankheiten vorzubeugen, ist verantwortungsvoller Safer Sex sehr wichtig. Hier helfen Kondome am besten. Diese haben keine Nebenwirkungen und sind einfach anzuwenden. Bereits in der Antike wurden ähnliche Hilfsmittel genutzt. Die Deutsche AIDS Hilfe informiert auf ihren Seiten über die korrekte Anwendung.

Sexismus

Sexismus bezeichnet ein System von Diskriminierung aufgrund des körperlichen oder sozial empfundenen Geschlechts. Hierbei wird aufgrund eines historisches und teilweise sozial aktuell fortgesetzten Machtungleichgewichts vorausgesetzt, dass Männer gegenüber den Frauen privilegiert sind. Das Patriachat entwickelte sich aus der Herrschaft von Vätern. Eine andere Betrachtung ist, dass die Shakti-Energie hingegen das herrschende Prinzip im Universum ist und klar dem Weiblichen zugeordnet wird. Im Tantrismus sind Shiva und Shakti gleichwertig und letztendlich nur gemeinsam Eins.

Leider werden in vielen Teilen der Welt, Frauen noch immer benachteiligt und leiden unter den Folgen von Sexismus. Solche Strukturen beginnen schon in der Kindheit, wo Männern gesagt wird, sie dürften ihre Weiblichkeit nicht leben und nicht weich und sensibel sein während junge Mädchen in rosa gekleidet werden. So sind die Männer und Frauen selbst von falschen Normen und Rollenbildern betroffen. Die Bewusstheit und Achtsamkeit hierfür prägt eine neue junge positive Feminismus-Bewegung.

Von diesem System profitiert auf Dauer keines der Geschlechter. Ein ausgeglichener Mensch hat seine weiblichen und männlichen Anteile in sein Bewusstsein auf gesunde Weise integriert und haftet diesen Rollenbildern nicht mehr an. Hier kann auch die Yogapraxis und Reflexion zur Integration beider Seiten und zu innerer Ausgeglichenheit führen.

Sexuelle Objektifizierung

Die sexuelle Objektifizierung, insbesondere von Frauen und zunehmend auch von Männern, ist in unserem Alltag so überpräsent, dass wir diese als solche gar nicht mehr bewusst wahrnehmen. Aus humanistischer Sicht steht die sexuelle Objektifizierung entgegen der Wahrnehmung und Achtung des Individuums in seiner komplexen Persönlichkeit. Objektifizierung definiert sich immer dadurch, dass ein Mensch reduziert wird, auf seine Körperlichkeit oder seine sexuelle Funktion für andere Menschen. Dies findet sich besonders im Internet, Pornografie, käuflicher Liebe, Zeitschriften und Werbung wider.

Hier wird mit Genderstereotypen gespielt, Menschen werden zu Objekten der Lustbefriedigung und ihr Wert wird daran gemessen. Die erzeugt massive Unzufriedenheit für alle Betroffenen. In einem oberflächlichen Kontext und durch die ständige Konfrontation mit diesen Idealbildern im Internet, es wird für manche Menschen zunehmend erstrebenswert, sich sogar selbst zum perfekten Sexobjekt zu entwickeln. Durch die massive Verbreitung solcher Inhalte im Internet entwickelte sich im letzten Jahrzehnt die Bodyshaming Kultur und die entsprechende Gegenbewegung.

Viele Menschen fixieren sich leider zu stark auf ihre äußere Hülle, der Anamyaya Kosha, die in der Sthula Sharira, dem grobstofflichem Körper sitzt. Dieser Körper wird im Yoga der Träger oder Fahrzeug der Seele genannt. Wir Menschen manifestieren uns aber als ganzheitliches Energiesystem, wobei es keinem Menschen oder Lebewesen gerecht wird, ihn nur als sexuelles Objekt zu betrachten oder zu benutzen.

Nur die Illusion der Dualität vermittelt den Eindruck, dass Menschen Objekte zur Lustbefriedigung sind. Das Oberste Sein ist eine Nicht-Dualität, die ist erfahrbar, aber nicht unmittelbar mitteilbar oder fassbar. Da es keine Unterscheidung zwischen dem Selbst und dem Anderen gibt, sondern alles Brahman ist, gibt es auf höherer Seelenebene nicht mal eine seelische Unterscheidung in der Geschlechtlichkeit.

Mit diesem vedantisch geprägten Verständnis von Sexualität, entsteht die Erkenntnis, dass absolut niemand von sexueller Objektifizierung profitiert. Hierbei ist die Bewusstmachung dieser Konzepte wichtig, um sowohl Männer als auch Frauen und zukünftige Generationen zu schützen.

Liebe in Bezug auf Sexualität

Es ist häufig so, dass Sexualität mit einem festen Partner gelebt wird. Auf eine Art bezeichnet Liebe auch Einssein und Einheit mit dem göttlichen Bewusstsein. Da das göttliche Bewusstsein in jedem Menschen innewohnt ist, der Sexualakt an sich die Verbindung mit dem göttlichen Bewusstsein im jeweiligen Partner. So ist es nicht einfach ein körperlicher Akt, sondern eine seelische und energetische Vereinigung. Dennoch ist die Sexualität in einer Partnerschaft sehr wandelbar, was völlig normal ist. Eine rein sexuelle Anziehung ist zwar auch eine Form von Liebe, wird aber langfristig nicht für eine Partnerschaft ausreichen.

Sattwige Sexualität

Eine gute Partnerschaft unterstützt uns auf dem spirituellem Weg

Da es bei Sexualität immer um individuelle Bedürfnisbefriedigung geht ist es wichtig, dass wir unsere Sexualität im Sinne des Gunas Sattwa ausleben. Das Ausleben der Energie Apana Vayu gehört zum ersten der vier Purusharthas. Diese Wunscherfüllung und Befriedigung der Sinne nennt man Kama.

In einer guten Beziehung, ob heterosexuell, homosexuell oder bei anderen Formen des Zusammenlebens helfen sich die Partner ihre Bedürfnisse auf sattwige Art und Weise auszuleben. Sexualität bildet eine Grundlage in der Partnerschaft. Durch sie wird die Liebe auf allen Ebenen des Seins ermöglicht. Denn nach der körperlichen Liebe entwickelt sich die geistige Liebe, die spirituelle Liebe und emotionale Liebe.

Bestenfalls wird die Liebe in der Partnerschaft irgendwann unbegrenzt und wir lernen uns für den anderen noch tiefer zu öffnen und ihn trotz dessen, dass einem nicht alles am Partner gefällt zu sehen und anzunehmen. Dabei lernen wir auf die Bedürfnisse des Partners genauso achtsam einzugehen, wie auf die eigenen. Das Paar bildet so zusammen eine Reflexionsgemeinschaft bei der sie sich gemeinsam auf ihrem spirituellen Weg entwickeln. Da letztendlich alles Brahman ist, üben wir hierbei immer gleichzeitig, uns selbst anzunehmen.

Auch die anderen drei Purusharthas kommen in einer Partnerschaft zur Geltung. Das Bedürfnis des Artha wird erfüllt, weil jede Partnerschaft auch immer eine Wirtschaftsgemeinschaft darstellt und ein Paar Güter und Sicherheiten miteinander teilt. Dies ist in Kulturen wie Indien heute noch ganz natürlich, nimmt in der westlichen Welt ab. Dank des Aspekts des Dharmas lernt ein Paar auch für andere Menschen und Lebewesen da zu sein. Dies kann dazu führen, dass sie eine Familie gründen oder sich für das Gemeinwohl engagieren. Der Aspekt von Moksha kommt zur Geltung dadurch, dass sich die Egos zweier Menschen in einer Partnerschaft immer wieder aneinander reiben. So sind beide Partner immer wieder Gurus füreinander, lernen voneinander und können sich beim Wachstum unterstützen.

Sexuelles Fehlverhalten

Auf dem spirituellen Weg ist sexuelles Fehlverhalten strikt zu vermeiden. Dieses definiert sich durch unterschiedliche Kriterien und diese Auflistung bewegt sich in einen sensiblen Grenzbereich, der subjektiv von verschiedenen Menschen und Kulturkreisen anders empfunden werden kann und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Allgemeingültigkeit.

  • Alle sexuellen Handlungen, die sich nicht im Rahmen der jeweiligen Gesetze eines Landes bewegen, wobei eben zu beachten ist, dass diese je nach Kulturkreis stark variieren, weshalb sie als Beurteilungskriterium nicht ausreichen. Ein Verständliches Beispiel zu beachten sind beispielsweise in Deutschland, die Altersgrenzen für Sexualität.
  • Darüber hinaus wichtig sind die europäischen Menschenrechte, die besagen, dass das Individuum in seinem Selbstausdruck frei leben sollte und ihm nicht geschadet werden darf. So sind und sollten Menschen überall auf dem Globus frei in ihrem Selbstausdruck und damit ihrer Geschlechtlichkeit und Lebensform sein.
  • Weiterhin ist Selbst oder Fremdgefährdung in jeglicher Form sexuelles Fehlverhalten. Hier gilt der Grundsatz von Ahimsa.
  • Aus yogischer Sicht ist jeder sexuelle Handlung die nicht im vollen Bewusstsein stattfindet, ist zu vermeiden, dies wäre Beispielsweise Sex unter Einfluss von Drogen.
  • Jede Form von sexueller Objektifizierung eines Menschen beschränkt ihn in seiner Würde gilt als sexuelles Fehlverhalten.
  • Auch moderne Phänomene wie Bodyshaming bewegen sich im Bereich des Fehlverhaltens.
  • Alles was den Rahmen einer vorab klar definierten Partnerschaft überschreitet, gilt als sexuelles Fehlverhalten. Dies wäre nicht Sattwa und damit ein klares Fehlverhalten. Ein Beispiel wäre Untreue in einer monogamen Partnerschaft. Wenn eine Partnerschaft nicht monogam gestaltet wird, bedarf es guter Regeln, großer Bewusstheit und viel Achtsamkeit und Austausch und auch ein verbindliches Bild von der gemeinsamen Beziehung. Wenn jemand diesen Rahmen sprengt und unachtsam wird, wäre es ebenso sexuelles Fehlverhalten.

Enthaltsamkeit - Brahmacharya

Das Gegenteil zu dem Modell der Partnerschaft ist der Weg des Brahmacharya, bei dem komplett auf Liebe und Sexualität verzichtet wird. Die Energie Apana Vayu wird vollständig in Ojas, der reinen spirituellen Energie umgewandelt. Diese Art zu leben ist für wenige Menschen interessant, einfach und natürlich. Meist sind es Menschen, die insgesamt wenig sexuelles Interesse haben. Sie können dann Swami, Mönch oder Nonne werden.

Es wird gesagt, dass von ihnen eine große Herzenswärme ausgeht. Manche Menschen geben den Weg später wieder auf, wenn sie merken, dass die körperlichen Bedürfnisse irgendwann zurückkehren. Brahmacharya bedeutet jedoch nicht nur sexuelle Enthaltsamkeit, sondern eigentlich auch die Kräfte für die Meditation und für höhere Zwecke zu konservieren. Auch im Ausleben der Sinne, wie Sehen, Hören, Schmecken, Riechen und Berühren sollte sich der Aspirant mit reinen Dingen beschäftigen.

Yoga und Sexualität

Sattwige Bedürfnisbefriedigung: Mit festem Partner gegenseitig Vergnügen schenken

Es gibt auf dem spirituellen Pfad verschiedene Wege im Umgang mit dem Thema Sexualität, von Entsagung bis tantrischer Sexualität. Yoga beinhaltet eine Spiritualisierung des ganzen Lebens. Ziel ist die Trennung von weltlichen und spirituellem Leben aufzuheben und jeden Aspekt des Lebens als spirituell anzusehen

1.) Kundalini Yoga: Sexualität ist Energie; Apana (eines der fünf Prana Vayus; beherrscht Ausscheidung, Sexualität und Menstruation) und Ojas (umgewandelte Sexualenergie)
2.) Enthaltsamkeit
3.) Purusharthas (vier Bestrebungen des Menschen): sattwige Bedürfnis- Befriedigung
4.) Vier Ashramas (Lebensstadien): Spiritualität wächst im Alter
5.) Rotes Tantra

Kundalini Yoga

Apana (Sexualenergie) ist genauso göttlich wie jede andere Energie auch, ist nicht sündhaft oder schlecht oder ähnliches. Apana ist eine Manifestation der schöpferischen Kraft, die uns letztendlich durch Fortpflanzung auch am Leben erhält. Apana Vayu hat, von verschiedenen Chakras aus wirkend, verschiedene Manifestationen (zum Beispiel Svadhishthana oder Anahata) und kann durch spirituelle Praktiken sublimiert werden.

Enthaltsamkeit

Um Apana Vayu vollständig zu sublimieren, ist vollständige Enthaltsamkeit hilfreich, da die durch sexuelle Handlungen abgegebene Energie nicht zu Ojas umgewandelt wird. Nach dem sexuellen Akt sind vor allem Männer müde und daher nicht besonders spirituell veranlagt. Es sollten nur die Menschen enthaltsam leben, die keinen Wunsch nach Sexualität mehr haben. Wir müssen uns unserer Svarupa (individuellen Wesensnatur) entsprechend verhalten. Oft haben Swamis irgendwann wieder eine Freundin oder einen Freund. Wir können durchaus eine gewisse Zeit enthaltsam leben. Das ist „normal“. Umfragen zu folgen leben mehr Menschen als wir vermuten eine Zeit lang enthaltsam.

Purushartha (Kama, Artha, Dharma, Moksha)

Kama: Wunsch/ Sinnesbefriedigung - das beinhaltet auch sexuelle Bedürfnisse. „Wir haben Bedürfnisse auch allen Ebenen, die auch befriedigt werden müssen, aber auf sattwige Weise.“ Mit einem festen Partner/ fester Partnerin, mit dem/ der wir nicht nur eine sexuelle Beziehung pflegen, sondern mit dem/ der wir uns auf allen Ebenen stützen und pflegen. Zu viele Partnerwechsel „verschmutzt“ das Svadhishthana Chakra, weil unterschiedliche Energien gesammelt werden.

Wenn wir starke Bedürfnisse unerfüllt lassen, führt das zu innerer Unruhe, die auf dem spirituellen Weg bremst. Dann wird Ojas nicht erzeugt. In der Partnerschaft entwickeln wir die ganze Persönlichkeit, dienen dem anderen und den Kindern als Karma Yoga und entfalten so Liebe. Die alten Schriften sagen, dass es ideal wäre, wenn beide Partner nach Selbstverwirklichung streben und sich gegenseitig motivieren, wenn es eine Flaute gibt. Homosexualität ist mit Yoga vereinbar, entscheidend ist der gemeinsame Wunsch nach Moksha.

Nicht jeder oder jede hat einen spirituellen Partner. Es gibt mehr Frauen beim Yoga als Männer. Beide Partner sind „Ardhas“ (Hälften), aber nicht alle Hälften sind gleich. Toleranz ist wichtig, wir müssen nicht in allen Dingen übereinstimmen und vom Partner nicht zu viel verlangen. Heutzutage wird vom Partner oft zu viel verlangt. Er muss geradezu perfekt sein. Eine realistische Grundlage für eine Partnerschaft ist es, Interesse für die Unterschiedlichkeit zu entwickeln. Schwierig ist es, wenn ein Partner mit Yoga anfängt und der andere hinterherhinkt. Sensibler Umgang (manchmal auch Streit) ist notwendig. Kann bis zu zwei Jahre dauern.

Wenn wir anfangen, täglich zwei Stunden Sport zu treiben und die Ernährung auf Leistungssport umstellen, gibt es schließlich auch Schwierigkeiten.

  • ACHTUNG: Mit spirituellen Partnern nicht in „spirituellen“ Klatsch verfallen.
  • ACHTUNG: Bei 40- 50- Jährigen kann es natürlicherweise passieren, dass die Libido plötzlich wie weggeblasen ist. Nicht sagen, dass das vom Yoga kommt. Besser herunterspielen und auf die Wechseljahre schieben, die dabei eine Rolle spielen. Libido kommt normalerweise nach einiger Zeit wieder zurück. Männer holen sich sonst gerne eine neue Partnerin für ihre sexuellen Bedürfnisse.

Vier Ashranas (Bramacharya, Grihastya, Vanaprastha, Sannyas)

Brahmacharya

Bei einer Mischung aus sattwiger Bedürfnissbefriedigung und Enthaltsamkeit, geht die Spiritualität hoch. Der Höhepunkt ist im Alter, wo wir am leichtesten die Selbstverwirklichung erreichen können. Allgemein gilt, dass wir im Alter leichter meditieren können, im Gegensatz zur westlichen Gesellschaft, in der die Jugend hochgehalten wird.

Grihastya

Im Grihastya Lebensstadium steht der Mensch im Berufs- und Familienleben. Er lebt sattwige Bedürfnisbefriedigung. Der größte Teil des Lebens ist auf Karma Yoga ausgerichtet. Nicht nur für sich, auch für andere sollten wir sorgen. In Indien spielt die Gastfreundschaft eine wichtige Rolle.

Vanaprastha

Der Übergang zum Vanaprastha (Rentenalter) sollte schrittweise stattfinden. Wir stellen unsere Dienste zur Verfügung, zum Beispiel einem Verein, der Kirche oder ähnlichem. Die Partner sollten sich langsam sinnlich und emotional lösen, um sich in Sannyas dann ganz zu lösen, da gibt es allerdings unterschiedliche Meinungen).

Sannyas (Entsagung)

  • Indisches Ehegelöbnis („…bis ins hohe Alter“)
  • Die größte Verhaftung ist oftmals der Partner. Wenn wir mit starker Verhaftung aneinander sterben, heißt es, treffen wir uns im nächsten Leben wieder....wenn wir das also vermeiden wollen...
  • Hauptsadhana im Sannyas ist Meditation. Aufbau von Vairagya: Die Welt ist mein Zuhause, alle Menschen sind meine Familie.

Rotes Tantra

Wir können unsere Sexualität auch so ausleben, dass Apana Vayu trotz oder durch sexuellen Verkehr zu Ojas umgewandelt wird. In Verbindung mit Pujas, Mudras, Bandhas und anderen Praktiken (Andeutungen finden wir in der Hatha Yoga Pradipika). Im Moment des Orgasmus keine Ejakulation erleben, sondern mit Zuhilfenahme verschiedener Techniken wird Apana Vayu nach oben gezogen. Im Westen verstehen wir Tantra mehr als sinnlich. Ein achtungsvoller Umgang mit dem Partner wird gelehrt und praktiziert. Es gibt im Allgemeinen verschiedene Arten und Weisen, sein Leben spirituell zu leben.

Tantra

Shiva und Shakti in Vereinigung

Begriff Tantra kommt aus dem Sanskrit und wird mit Gewebe oder Zusammenhang übersetzt. Es ist religionsübergreifend und es nicht ganz klar, woher es ursprünglich kommt. Tantra geht immer von der Einheit des Universums aus und unterscheidet nicht zwischen Gut und Böse oder Hell und Dunkel. Meist ist Tantra die Verehrung des Göttlichen in der weiblichen Form.

Schwarzes Tantra

Bei schwarzem Tantra geht es um Macht und egoistische Ziele. Es werden Yantras als Amulette getragen und Mantras rezitiert. In bestimmten Teilen Indiens werden Tantriker mit schwarzen Magiern verglichen.

Man kann auch sagen. das Menschen welche dem schwarzen Tantra angehören, eher dazu bereit sind andere Menschen auszunutzen bzw sich ausnutzen zu lassen. Man findet hier also ein sehr niedriges Bewusstsein an. Diese menschen haben entweder keine Ahnung ihrer wahren Natur oder noch schlimmer sie negieren diese bewusst. deswegen nennt man es ja auch schwarzes Tantra. Die vorherrschende Guna hier ist Tamas.

Rotes Tantra

Rotes Tantra beruht auf der Shiva-Shakti-Philosophie bei der Shiva für reines Bewusstsein steht und die Shakti für die kosmische Schöpferenergie die sich überall ausdrückt. Ziel ist hier die Vereinigung der beiden Aspekte, die zum reinen Bewusstsein zurückführen soll. Im roten Tantra wird über die körperliche Vereinigung transzendentale Einheit erfahren. So wird das Ausleben von Sexualität als spirituelle Praxis verstanden, die mittels Atmen- und Konzentrationsübungen intensiviert wird. Hierbei wird mit dem Konzept der Pole gearbeitet, so liegen der positive Pol der Frau im Brustbereich und der negative Pol im Geschlechtsbereich. Beim Mann ist es genau umgekehrt. Beim Geschlechtsverkehr verbinden sich diese Pole miteinander zu einem Kreislauf in dem die Energie frei fließen kann. Die Energie soll hierbei keinesfalls verloren gehen, weshalb der Mann auch nicht zwingend ejakulieren sollte beim Akt, weil er dabei zu viel Energie verliert.

Es ist unter Yogis umstritten ob durch diese Techniken ein intensiver spiritueller Fortschritt entsteht. Im Yoga Vidya Yogastil nach Swami Sivananda bei Yoga Vidya wird kein rotes Tantra praktiziert. Hier liegt der Schwerpunkt auf dem weißen Tantra.

Weißes Tantra

Im weißen Tantra liegt der Schwerpunkt darauf das eigene Energielevel zu erhöhen und ein Instrument Gottes zu werden. Hierdurch verstärkt sich die eigene Liebesfähigkeit. Es wird viel Hingabe in Rituale wie Pujas, Homas oder ähnliche Zeremonien gelegt. Die göttliche Mutter wird besonders verehrt. Jenseits von religiös gebundenen Formen, zählen Praktiken aus dem Kundalini Yoga auch als weißes Tantra.

Bei Yoga Vidya wird nur weißes Tantra gelehrt. Es mag vielleicht mal Seminare geben bei denen Lehrer von dieser Norm abweichen oder als Gastgruppe im Projekt Shantih unterrichten. So gsehen lehrt Yoga Vidya nur weißes Tantra.

Man kann das auch mit den drei Gunas vergleichen. Tamas ist die Trägheit.Schwarzes Tantra führt zu Trägheit des Opfers. vielleicht sogar zu einem Abhängigkeitsverhältnis. Rotes Tantra wird auf alle Fälle Rajas fördern. Rajas ist die Energiequalität, welche Aktivität und Feuer schürt. Der Mensch identifiziert sich mit den Handlungen und verkennt damit seine wahre göttliche Natur. Im weißen Tantra kultiviert man Sattva. Diese Grundenergie befähigt den Menschen zu handeln und sich dabei als Instrument Gottes wahr zu nehmen. Er unterliegt der Täuschung das ein getrenntes Wesen sei. Viele Menschen hängen dem Sexualtrieb übermäßig oder verklemmt an, nur weil sie damit einen Mangel an Liebe oder eine falsch verstandene Askese ausgleichen wollen.

So kann ein und dieselbe Handlung von Außen betrachtet alles mögliche der drei sein. Nur der Beobachter in Sattva kann all drei unterscheiden.

Kundalini Yoga

Im klassischen Kundalini Yoga wird sich das Sublimieren von sexueller Energie zu Nutze gemacht. Die Apana Vayu, die Energie die für Ausscheidung und Sexualität verantwortlich ist. Sie wird meist zuerst aus dem Muladhara Chakra aktiv. Dort ist sie die Energie der Ausscheidungsorgane. Sobald sie im Swadhisthana Chakra aktiv wird, ist sie eine der mächtigsten Energien. So erschafft sie neues Leben und gilt als Schöpferenergie aber auch als Quelle aller Kreativität.

Ebenso ist eine Energie durch die sich Liebe ausdrückt. Man kann diese Energie zum einem frei ausleben oder eben durch spezielle Praktiken sublimieren und hinlenken in kreative Schaffensprozesse, wie Kunstwerke oder in die Entfaltung von Talenten. Ein aus yogischischer Sicht interessanter Weg ist es, sexuelle Energie in Ojas, also spirituell transformierte Energie umzuwandeln.

Wenn die Kundalini aufsteigt erfahren wir Zustände die intensiver und voller Wonne sind, anders als im kurzfristigen Ausleben sexueller Triebe. Um den Geist in andere Bewusstheitsebenen zu bringen, brauchen wir viel spirituelle Energie, denn diese führt zur Selbstverwirklichung. Übungen die Ojas erzeugen im Kundalini-Yoga sind Pranayama, Mula Bandha (Zusammenziehen des Beckenbodens) Ashwini Mudra, Umkehrhaltungen, langes Halten der Asanas, Meditation und die Wiederholung eines Mantras.

Sexualität und spirituelle Evolution - Auszug aus der Yoga Aktuell 2013

Zum Thema Sexualität und Spiritualität veröffentlichte die Zeitschrift „Yoga Aktuell“ ein Interview mit Ashtanga-Yogalehrer Govinda Kai und befragte ihn über Tantra – den heiligen Tanz zwischen dem Männlichen und dem Weiblichen.

Seiner Auffassung nach geht es im Yoga hauptsächlich darum, das eigene Selbst zu entdecken und zu befragen, um sich tiefer verstehen und entwickeln zu können sowie möglichst viele Lebensbereiche bewusst wahrzunehmen. Sex bietet sich für diese Übung sehr an, weil Sexualität sehr unterschiedlich und kontrovers ist.

Govinda Kai ermutigt dazu, sich wach und bewusst in neue gefährliche Regionen vorzuwagen, um das eigene Mysterium immer weiter ergründen zu können. Dafür benötigt man zwar eine gewisse Intelligenz und Empathie für sich selbst und andere. Wenn man sich jedoch mit Bewusstheit ungekannten Situationen öffnet, die man vorher vielleicht sogar ungewollt vermieden hatte, kann daraus ein Yoga-Pfad werden. Wichtig dabei ist, mit seinem Bewusstsein oder seinem Herzen identifiziert zu sein und nicht mit seinen Gedanken.

Letzteres lässt uns glauben, sexuelle Erfüllung im Außen finden zu können, was einem zu einem Bettler macht, der sexuelle Gefühle durch äußere Umstände erhalten möchte und uns abhängig macht von äußeren Formen und Gegebenheiten. Nur durch die Identifikation mit dem Bewusstsein kann man sich selbst als Ursprung für Freude und tiefe Befriedigung erkennen. Angst und Scham lösen sich auf. Durch großzügiges Geben, vervielfacht sich das Reservoir dessen, was man zu geben hat.

Lachen und Liebe dominieren und das eigene Empfinden wird feiner und intensiver. Durch die Erfahrungen, die wir dann in der Sexualität machen können, werden auch andere Bereiche des Lebens sehr intensiv erfahren, so kann zum Beispiel das Trinken eines Glases Orangensaft nahezu extatische Gefühle auslösen o.ä. Dabei kann man sich spontan für einige Zeit im Bewusstsein verlieren – ein schönes Spiel und eine gute Übung für noch mehr Fokus.

Das männliche Shiva-Prinzip von völliger Wachsamkeit und Leere zieht automatisch das weibliche Shakti-Prinzip von Licht und Farbe an und umgekehrt, sofern der Zustand Bewusstheit ist. Solche Menschen werden sich weniger zu potentiellen Partnern hingezogen fühlen, die über das Außen identifiziert sind.

Bisher haben sich die meisten Menschen zwar an der körperlich-materiellen Identifikation orientiert. Es findet aber gerade ein gesellschaftlicher Wandel statt, der die Menschen bewusster werden lässt. Höchste Zeit also, mit der Selbstreflexion zu beginnen und sich selbst neu zu entdecken und erfinden.

Sukadev Bretz - Yoga und Sexualität

Sukadev war selber Swami

In der Yogaliteratur und bei den verschiedenen Yogameistern findet man unterschiedliche Ansätze, wie Spiritualität und Sexualität zusammen gehen oder auch nicht und wie man damit umgehen kann. Ich möchte hier fünf Hauptansätze vorstellen und auch versuchen, aufzuzeigen, dass sie sich nicht widersprechen, sondern das Thema jeweils nur aus einem anderen Blickwinkel heraus angehen. Es geht dabei nicht um Wertungen oder Moral – manchmal entsteht ja aus dieser Thematik das Vorurteil, aus yogischer bzw. spiritueller Sicht sei Sexualität etwas „Schlechtes“ -, sondern um eine Präsentation verschiedener Konzepte, Sichtweisen und Idealvorstellungen. Gleichzeitig sollen Vor- und Nachteile der einzelnen Konzepte sowie mögliche Interpretationen und Umsetzungen für den spirituellen Sucher der heutigen Zeit beleuchtet werden.

Kundalini Yoga: Das Konzept der Sublimierung der sexuellen Energie

Sexualität ist eine Form von Energie. Im Yoga wird das prana, die Lebensenergie, in fünf hauptsächliche Energieströme, vayus, unterteilt. Dabei ist zum Beispiel prana vayu die Energie hinter dem Atemsystem und dem Überlebensinstinkt, apana vayu die Energie hinter der Ausscheidung sowie der Sexualenergie und Arterhaltung. Selbsterhaltung und Arterhaltung sind wohl auch die ausgeprägtesten Instinkte.

Wenn apana vayu vom untersten Energiezentrum, dem muladhara chakra aus aktiv wird, ist es die Energie hinter allen Ausscheidungsvorgängen. Wirkt apana vayu vom zweiten, dem Swadhistana Chakra aus, dann manifestiert diese Energie sich als sexuelle Energie. Aus yogischer Sicht ist das eine sehr machtvolle Energie, nämlich die schöpferische Energie, mit der neues Leben geschaffen wird und die letztlich hinter jeder kreativen Leistung und auch hinter dem ganzen Universum, der Schöpfung als Ganzes, steht. Diese Energie ist auch eine Manifestation von Liebe. Sie kann eine Grundlage sein zur Entfaltung aller Aspekte von Liebe. Diese Energie kann man nun entweder frei fließen lassen – in die Sexualität hinein - oder man kann ihr eine Bahn vorgeben, in die sie fließen soll – zum Beispiel in ein kreatives Kunstwerk oder die Entfaltung von Talenten - oder man kann versuchen, sie vollständig für spirituelle Zwecke umzuwandeln. Ein Ziel bei aller Energiearbeit ist ganz sicher, mindestens einen Teil der Energie umzuwandeln in ojas (spirituelle transformierte Energie). Denn wir brauchen viel von dieser spirituellen Energie, um den Geist in andere Bewusstseinsebenen zu bringen, unsere wahre Seinsnatur zu erkennen und schließlich zur Selbstverwirklichung zu kommen.

Apana vayu lässt sich zum Beispiel umwandeln in ojas durch pranayama (Atemübungen), mula bandha (Wuzelverschluß, Zusammenziehen der Beckenbodenmuskeln), ashwini mudra (schnelles mehrfaches Zusammenziehen und Loslassen der Anusschließmuskeln) sowie Umkehrstellungen, längeres Halten der Stellungen, Meditation, Mantrawiederholung und viele andere praktische Übungen aus dem Kundalini Yoga.

Die 4 Purusharthas: Das Konzept der sattwigen Bedürfnisbefriedigung

Die Funktion von apana vayu vom Swadhistana Chakra her können wir auf sattwige (sattwig: rein, klar, leicht, hell) Weise ausleben, im Rahmen einer auf gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung basierenden Partnerschaft. Sexualität gehört zur ersten der 4 Kategorien menschlicher Bedürfnisse, nämlich der Kategorie der sinnlichen Bedürfnisse. Es wird empfohlen, die Bedürfnisse aller 4 Kategorien auf sattwige, d.h. reine Weise zu leben, und auf rajassige (egoistische, gierige) und tamassige (rücksichtslose, träge, unwissende) Weisen der Bedürfnisbefriedigung zu verzichten. Und auch bei sattwiger Lebensweise sollte man Identifikation und Anhaftung vermeiden.

Diese vier Bedürfniskategorien, auf Sanskrit Purusharthas genannt, sind:

  •  Kama: Wunscherfüllung, Befriedigung der sinnlichen Bedürfnisse
  • Artha: Wunsch nach Wohlstand, Wohlergehen, Macht, Einfluss in Beruf und Gesellschaft,
  •  Dharma: Pflichterfüllung. Seiner Verantwortung in Familie und Gesellschaft nachkommen, sich für politische und/oder wohltätige Zwecke engagieren usw. Auch Selbstentfaltung im westlich-humanistischen Sinn
  •  Moksha: Befreiung


Eine ideale Partnerschaft hilft erstens, Bedürfnisse auf sattwige Weise zu leben. Zweitens ermöglicht sie es, Liebe auf allen Ebenen zu erfahren und zu geben. Drittens und letztendlich dehnt sich die Liebe über Partnerschaft und Familie aus zur allumfassenden Liebe aller Geschöpfe.

Im klassischen Indien ist die praktische Umsetzung dieses Konzepts ähnlich wie in der christlichen Kultur, nämlich in Form einer Ehe mit Kindern – mit dem Unterschied, dass das Sakrament der Ehe nicht bis zum Tod gilt sondern bis ins hohe Alter, wie wir später noch sehen werden. Von einem moderneren yogischen Standpunkt wären, losgelöst von gesellschaftlichen Konventionen, auch andere Formen des Zusammenlebens denkbar, auch z.B. homosexuelle Partnerschaft oder andere Formen des Zusammenlebens.

Sexualität wird als Grundlage einer Partnerschaft gesehen, die Liebe auf alle Ebenen des Seins ermöglicht. Körperliche Liebe entwickelt sich weiter zu emotioneller, geistiger und spiritueller Liebe. Liebe in der Partnerschaft wird schließlich Grundlage für sogenannte selbstlose Liebe, wobei vielleicht unbedingte, bedingungslose, unbegrenzte Liebe bessere Ausdrücke dafür wären. Man soll lernen, sich für einen anderen zu öffnen, für einen anderen auch Opfer zu bringen, für den anderen da zu sein. Idealerweise ist das natürlich beidseitig. Wenn beide füreinander da sind, ist das eine wunderbare Weise, das Ego etwas zu überwinden und an sich zu arbeiten.

Hier zunächst ein paar Anregungen, wie eine Partnerschaft der Bedürfnisbefriedigung bei allen vier Purusharthas helfen kann.

Kama: Natürlich soll sie einmal das Bedürfnis nach sexuellem Kontakt, aber auch nach Zärtlichkeit, Geborgenheit usw. befriedigen und zwar auf eine sattwige Weise, das heißt, dass man in dem anderen nicht nur das Sexualobjekt sieht, sondern auf seine Wünsche und Bedürfnisse auf jeder Ebene eingeht.

Artha: Gleichzeitig ist eine Partnerschaft auch irgendwie eine Wirtschaftsgemeinschaft, wobei jede Familie ihre Art der Aufgabenteilung finden muß.

Der nächste Aspekt, Dharma, bedeutet, auch für andere da zu sein. Eine Partnerschaft sollte sich nicht exklusiv auf die Zweiterbeziehung beschränken. Das kann heißen, Kinder zu bekommen und aufzuziehen. Das ist eine ausgezeichnete Weise, das Ego etwas zu überwinden, selbstloser zu werden. Diese Grundliebe, die man für einander und für die eigenen Kinder entwickelt, sollte man dann weiter ausdehnen auf andere Menschen, auf Arme, Kranke, Bedürftige, die Gesellschaft und sich für das Allgemeinwohl einsetzen. Eine Partnerschaft wie auch das eigene Leben sind nicht erfüllt, wenn dieser Aspekt nicht dabei ist. Es tut auch der Partnerschaft und der persönlichen Entwicklung nicht gut, wenn man sich von allem abkapselt und sich nur aufeinander konzentriert. Man erwartet dann von einem Menschen alles – und ein einziger Mensch kann nun einmal nicht alles gleichzeitig sein.

Also nicht: „My home is my castle“, und ich muss mich gegen alle Einflüsse von außen wehren, sondern im Gegenteil: Mein Heim, meine Familie, ist die Grundlage für alles andere, die Zelle, von der aus man wachsen und sich weiter entfalten kann.

Der vierten Aspekt, moksha, bedeutet, dass Partnerschaft auf dem Weg zur Einheit, zur Befreiung, hilft. Indem sich die Egos aneinander reiben, kommt das Tiefere zum Vorschein. Der eine unterstützt den andern auf dem spirituellen Weg. Der eine ist der Guru, der Lehrer, des anderen. Ideal ist es dabei natürlich, wenn beide Partner bewusst auf dem spirituellen Weg gehen und sich gegenseitig unterstützen. Wer eine solche spirituelle Partnerschaft hat, kann sich glücklich schätzen. Auch dabei kann es Probleme geben: Zum einen inspirieren sich die Partner nicht immer gegenseitig auf dem Weg, sondern liefern sich Entschuldigungen, nicht zu praktizieren, oder machen den anderen dafür verantwortlich, dass es auf dem Weg nicht so voran geht. Zum anderen ist bei jeder Partnerschaft natürlich die Gefahr einer starken Anhaftung an den Partner und statt einer Grundlage für mehr Liebe kann auch die Grundlage für emotionelle Schwierigkeiten geschaffen werden. Aber nichts im Leben ist immer einfach. Das Leben ist vielmehr dazu da, dass wir lernen und wachsen.

Es ist eine besondere Herausforderung, wenn nur einer der Partner bewusst auf dem spirituellen Weg ist. Der eine wird regelmäßig seine Praxis machen wollen – Meditation, asanas, pranayama - seine Ernährung umstellen, keinen Alkohol mehr trinken wollen. Da wird es schon etwas schwierig, wenn der andere bei den bisherigen Gewohnheiten bleibt. Aber ich kenne eine ganze Reihe gut funktionierender Partnerschaften, die nach ein oder zwei Jahren die Anpassungsschwierigkeiten überwunden hatten und auf einen guten Weg gekommen sind. So lange der grundlegende Respekt, Liebe, Achtung und die Überzeugung da sind, dass der andere auf seine Weise ein guter Mensch und eigentlich auch spirituell ist, ohne es eben zu seinem Lebensstil zu machen, kann man miteinander wachsen.

Für die meisten Menschen ist eine Partnerbeziehung das Normale und Wünschenswerte.

Das Konzept der Enthaltsamkeit - Brahmacharya

Enthaltsam sein?

Das Gegenteil des Konzepts der sattwigen Bedürfnisbefriedigung ist Brahmacharya, der totale Verzicht auf Liebe und Zärtlichkeit in einer Partnerbeziehung, um so apana vayu vollständig in ojas, reine spirituelle Energie, umzuwandeln. Frei von emotionellen Bindungen und Verstrickungen kann der/die Enthaltsame seine/ihre ganze Energie für den spirituellen Weg und den Dienst an der Menschheit nutzen und diese so in höhere spirituelle Kraft umwandeln.

Dieser Weg ist für Menschen, die ein Bedürfnis nach partnerschaftlicher Beziehung nicht stark haben. Sie können ganz darauf verzichten und bewusst den Weg der Enthaltsamkeit und Entsagung wählen, zum Beispiel als Mönch, Nonne, Swami. Dieses Konzept findet man in den meisten spirituellen Systemen auf der ganzen Welt. Denn die oben beschriebene ideale Partnerschaft ist in der Realität oft nicht immer eine Quelle von Kraft für alle anderen Aspekte des spirituellen Lebens, sondern manchmal eine Quelle von Sich-Nicht-Wohlfühlen, emotionellen Konflikten, Verzweiflung, Unzufriedenheit, bis hin zum Selbstmord. Und wer keine starken sexuellen Bedürfnisse hat, kann sich sagen: Um zur vollen Verwirklichung zu kommen, verzichte ich auf die geringen Bedürfnisse, die ich auf dieser Ebene habe und widme mein ganzes Leben Gott. Gott ist mein Partner. Statt meine ganze Energie auf einen Partner oder die Familie zu richten, entwickle ich universelle Liebe zu allen Menschen und Wesen.

Oft findet man da auch tatsächlich Menschen, von denen eine große Herzenswärme ausgeht, die sich nicht auf den engen Kreis beschränkt.

Aber für viele ist es nicht damit getan, einfach zu sagen, jetzt verzichte ich auf die Bedürfnisse. In dem Moment, wo sie das Gelübde ablegen, meinen sie es natürlich ernst und diese Bedürfnisse sind auch nicht da. Aber nach einer Weile können die Wünsche auch wieder kommen. Und manche müssen sich dann distanzieren, um nicht in Versuchung geführt zu werden, sind frustriert oder resigniert. Oder sie haben dann doch eine Freundin oder einen Freund, was Gewissenskonflikte und Leid mit sich bringen.

Für einige wenige ist das Mönchtum sehr leicht und sehr natürlich, für einige wenige ist die Partnerschaft sehr leicht und ganz natürlich. Für die Mehrheit ist beides sehr viel Arbeit. Man kann sich auf beiden Wegen bemühen, zur Verwirklichung zu kommen und sollte gegenüber anderen tolerant sein.

Auch wer den Weg der Partnerschaft geht, kann Gelegenheiten nutzen, brahmacharya im Sinne von Enthaltsamkeit eine Weile lang zu erleben, z.B. wenn man aus beruflichen oder sonstigen Gründen mal eine Weile vom Partner entfernt ist oder gerade nach einer Trennung eine Weile allein lebt. Gefährlich für die Beziehung kann es werden, wenn ein Partner auf Sex verzichten will und der andere nicht. Manchmal kann während einer bestimmten Phase der spirituellen Praxis die sexuelle Libido verschwinden, weil apana vayu vollständig sublimiert wird. Dann muss man sehr einfühlsam sein, und keinesfalls dem anderen sagen: „Ich bin über Sex hinausgewachsen und brauche es nicht mehr“. Dies kann eine Partnerschaft zerrütten. Vielmehr sollten man sich bewusst machen: Meist kommt die Libido nach ein paar Wochen oder Monaten (manchmal auch erst nach 1-2 Jahren) wieder. Und eine vorübergehende Unlust ist in einer guten Partnerschaft dem anderen sicherlich vermittelbar.

Das Konzept der vier Lebensstadien

Dieses klassische indische Konzept der vier Stadien im Leben eines Menschen kombiniert Entsagung und sattwige Bedürfnisbefriedigung. Es besagt, dass der Mensch verschiedene Lebensphasen durchläuft, in denen verschiedene Dinge wichtig sind und erfahren und gelebt werden wollen. Die vier Phasen sind:

  • Brahmacharya, Schülerschaft (10/14 bis 20/25 Jahre)
  • Grihastya, Berufs- und Familienleben (20/25 bis 50/60 Jahre)
  • Vanaprastha, Vorruhestand (50/60 bis 70/75 Jahre)
  • Sannyas, Entsagung (70/75 Jahre bis zum Tod)

Brahmacharya

Das erste ist die sogenannte Brahmacharya, die Schüler-Phase bei einem Lehrer. Sie beginnt im Alter von etwa zehn bis vierzehn Jahren und dauert bis etwa zum 20. oder 25. Lebensjahr. Brahmacharya hat verschiedene Bedeutungen. In einem Sinn ist brahmacharya die sexuelle Enthaltsamkeit. Im Rahmen der fünf yamas (ethisch-moralische Grundlegen im Zusammenleben mit anderen) bedeutet brahmacharya in etwa die Vermeidung von sexuellem Fehlverhalten. Im Rahmen der vier Ashramas ist brahmacharya die Lernperiode, wo der Schüler sein Elternhaus verlässt und beim Lehrer lebt – das kann man sich vorstellen wie eine Art Internat: Der/die Brahmachari lebt beim Lehrer, arbeitet für ihn und lernt dabei seinen Beruf, seine Berufung und die Grundlagen des spirituellen Lebens. Dabei lebt der/die Brahmachari enthaltsam und wandelt so die Energie des apana vayu in ojas, spirituelle Energie um.

Als spirituelle Hauptpraktiken in dieser Periode galten pranayama, Atemübungen, asanas (Yogastellungen), Rituale, Mantras und Karma Yoga, also dem Meister zu dienen und notwendige Arbeiten in Haushalt, Garten und Landwirtschaft zu erledigen. Die Schüler lernen auch zu meditieren, aber da der Geist in jungen Jahren sich nicht so gut konzentrieren kann, ist Meditation in dieser Phase nicht die Hauptpraxis.

Grihastya

Mit etwa 20, 25 Jahren beginnt die zweite Phase, das Berufs- und Familienleben. Der Schüler kehrt nach Hause zurück und heiratet, wobei in Indien die klassische Heirat arrangiert ist. Idealerweise werden die Lehrer (gurus) und Astrologen von den Eltern zu Rate gezogen, um den geeigneten Partner/die geeignete Partnerin zu finden. Und die beiden sollen sich auch mögen. Also müssen eigentlich vier Seiten übereinstimmen. Da das realistischerweise selten zutrifft, wurde in der Praxis der vierte Punkt weggelassen, und die arrangierte Heirat überwog.

Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass Liebe nicht zuerst da ist, sondern dass Liebe entwickelt werden muss. Im Westen ist die Vorstellung, die Liebe müsse zuerst da sein und dann müsse sie auch ewig halten. In Indien lernten die Schüler, dass eine wichtige Aufgabe in der Beziehung ist, Liebe füreinander zu entwickeln. Liebe ist etwas, was immer wieder wachsen kann, indem man Arbeit und Energie hineinsteckt. Und das ist eine Aufgabe, die man systematisch angehen muss.

Im Grihastya-Stand ist die Aufgabe, ein sattwiges Leben zu führen. Das gilt sowohl für die Partnerschaft als auch für das Berufsleben. Im Beruf soll man sein Bedürfnis nach Anerkennung und seine Talente ausleben, auch nach Karriere, Geld, Macht, Ansehen streben – also das, was man unter Selbstverwirklichung im westlichen, humanistischen Sinn verstehen würde, sofern das im Beruf auf eine sattwige Art und Weise möglich ist und es einem ein Bedürfnis ist. Sattwig in diesem Zusammenhang heißt, es soll ethisch-moralisch vertretbar sein, man soll nicht auf Kosten anderer vorankommen wollen, soll sich dabei an die Einhaltung der yamas halten, also nicht lügen, nichts für sich beanspruchen, was einem nicht zusteht, Rücksicht auf andere nehmen usw.

Für manche Menschen ist der Beruf einfach Broterwerb. So lange man dabei nichts Unethisches macht, es einem nicht zu viel Energie raubt und man daneben noch genügend Kraft hat zum Beispiel für soziales Engagement, seine Yogapraxis oder sonstige sinnvolle Freizeitbeschäftigungen, ist das als Existenzgrundlage vollkommen in Ordnung, sofern man sich dabei einigermaßen wohl fühlt.

Für spirituelle Praktiken ist naturgemäß in der Grihastya-Phase weniger Zeit. Man sollte aber trotzdem täglich 1-2 Stunden asanas, pranayama und Meditation üben. Und vor allen Dingen ist es wichtig, Spiritualität in den Alltag zu bringen, über Beruf und Partnerschaft an seinem Charakter zu arbeiten, seine Lektionen im Leben zu lernen, an den Aufgaben zu wachsen, für andere da zu sein sowie das Göttliche immer mehr in allem zu sehen, also Karma und Bhakti Yoga.

Vanaprastha

Die dritte Stufe, vanaprastha, folgt etwa ab 50, 60 Jahren bis etwa 75. Es ist ein langsames Eintreten in den Ruhestand. Dieser Übergang findet allmählich statt, nicht abrupt wie im Westen, wo man bis 60 oder 65 seinen Acht-Stunden-Tag hat und danach von einem Tag auf den anderen nichts mehr, was für viele Menschen eine schwierige Umstellung ist. Klassischerweise zieht man sich in vanaprastha langsam aus dem Beruf zurück, übergibt das Geschäft oder den Hof an die Kinder oder die Nachfolger. Und man löst sich langsam körperlich und emotionell aus der Partnerschaft, um sich später ganz zu trennen und so im hohen Alter in sannyas, Entsagung, einzutreten.

Meditation fällt jetzt leichter, man ist ruhiger, abgeklärter, man hat mehr Zeit für die spirituellen Praktiken. In besonderem Maße wichtig sind jetzt wieder asanas und pranayama. Denn wenn man das jetzt nicht praktiziert, verliert sich die Lebensenergie relativ rasch und dann ist sannyasa, das Alter, nicht schön und angenehm, sondern eine unangenehme Phase, wo einem die Energie fehlt, wo man langsam krank wird und sich nicht mit der Selbstverwirklichung beschäftigen kann, sondern nur noch mit seiner physischen Gesundheit. Daher sind gerade in vanaprastha asanas und pranayama besonders wichtig. In manchen Teilen von Indien gilt Hatha Yoga geradezu als Alte-Leute-Beschäftigung. Wenn also jemand mit fünfzig anfängt, Hatha Yoga zu üben, ist das durchaus im Sinne der klassischen Lehre. Natürlich ist es auch im Sinne der klassischen Lehre, schon von Jugend an zu praktizieren. In der Jugendzeit soll man viel üben, so dass man auch fortgeschrittene Stellungen lernt. In grihastha reduziert man die Übung etwas, in vanaprastha verbringt man mehr Zeit damit und ist dann für sannyas bereit.

Sannyas

Nach der allmählichen Lösung in vanaprastha folgt in sannyasa die physische Trennung vom Partner sowie die Lösung und Befreiung von allen Anhaftungen.

De fakto ist das in Indien selten gemacht worden. Wenn zwei Menschen bis ins hohe Alter zusammen gelebt haben und die Beziehung funktioniert hat, dann kam sannyasa erst, wenn ein Partner gestorben war. Wenn die Beziehung nicht funktioniert hat, dann waren natürlich beide recht froh, jetzt sannyas nehmen zu können. Früher war das die einzig mögliche Weise der Trennung. Man konnte sich nicht scheiden lassen, aber man konnte Swami werden.

In der Sannyas-Phase bereitet man den Geist vor auf den Tod. Man versucht nicht – wie es bei uns üblich ist -, die Jugend nachzuahmen, zweite Flitterwochen usw. zu erleben, sondern langsam Abstand zu gewinnen, sich von der Welt zu lösen.

Die wichtigste Praxis in sannyasa ist die Meditation.

Man hat ein befriedigendes Leben gehabt, in grihastya seine Bedürfnisse und Wünsche ausleben, seine Talente und Fähigkeiten entfalten können, bei der Bedürfnisbefriedigung auch die Hohlheit der Welt erkannt und ist jetzt bereit, sich davon zu trennen. Man hat Energien aufgebaut, den Geist sublimiert, gelöst von allen Verhaftungen, jetzt kann man meditieren und die Selbstverwirklichung erreichen. Und dazu gehört auch ein formelles Gelübde, dass man allem entsagt.

In Amerika gibt es den Spruch: „Better quit before you’re fired“ – also, lieber selbst kündigen, bevor einem gekündigt wird. Wir bekommen irgendwann die Kündigung von diesem Leben. Und deshalb ist es gut, sich darauf vorzubereiten, nicht mehr nur den äußeren, vergänglichen Dingen nachzulaufen, bevor wir aus diesem physischen Leben hinausgeworfen werden.

Natürlich sind diese vier ashramas heute im Westen (und auch in Indien) nicht so einfach lebbar. Das Konzept der vier ashramas verdeutlicht aber eines: Im Leben gibt es verschiedene Lebensphasen, in denen die Spiritualität unterschiedlich gelebt werden kann und muss. Gerade die Übergangsphasen erfordern eine bewusste Neuanpassung des Lebens an die neuen inneren und äußeren Entwicklungen.

Das Konzept des roten Tantra

Tantra beruht auf der Shiva-Shakti-Philosophie, wo Shiva für reines Bewusstsein steht und Shakti für die kosmische, schöpferische Energie, die sich in allem Manifesten, in der ganzen Schöpfung ausdrückt. Ziel ist es, diese Shakti wieder zurückzuführen, symbolisch zu vereinen mit Shiva, dem reinen Bewusstsein und so den Schöpfungsprozess für das Individuum quasi rückgängig zu machen, zum Zustand des reinen Seins zurückzukehren. Im weissen Tantra macht man das zum Beispiel mittels Atem- und Konzentrationsübungen. Im roten Tantra soll über die körperliche Vereinigung eine transzendentale Einheit erfahren und verwirklicht werden. Geschlechtsverkehr wird als spirituelle Praxis verstanden. Das Ziel ist, dass die sexuelle Energie im Geschlechtsverkehr nicht verloren geht, sondern bewahrt und umgewandelt wird. Dafür gibt es bestimmte Atemtechniken, Mudras und Mantras, die beim Geschlechtsverkehr Anwendung finden. Der Mann lässt es z.B. nicht zur Ejakulation kommen, und auch die Frau zieht die Energien nach oben. Klassische Yogis bezweifeln jedoch, dass allein durch rot-tantrische Sexualität ein dauerhafter spiritueller Fortschritt erzielt wird. Noch ist es für den spirituellen Fortschritt notwendig, auf „normale“ Sexualität zu verzichten. Wenn beide Partner das wünschen, können rot-tantrische Praktiken das Sexualleben bereichern. Da ich kein Experte im roten Tantra bin, werde ich es bei diesen wenigen Sätzen belassen.

Zusammenfassung

Es gibt im Yoga unterschiedliche Modelle, wie Spiritualität und Sexualität in Beziehung stehen. Letztlich gilt: Jede/r muss seine/ihre eigene yogische Lebensweise finden. Dies gilt hier wie bei allen Aspekten des Yoga. Man sollte sich auch davor hüten, Sexualität in Bezug auf Spiritualität überzubewerten. Weder kommt man allein durch Enthaltsamkeit zur Selbstverwirklichung noch führen tantrische Sexualpraktiken sofort zur Erleuchtung. Letztlich muss der/die Suchende sich immer wieder fragen: Wie kann ich alle Teile meines Lebens spiritualisieren bzw. so leben, dass sie meiner spirituellen Entwicklung förderlich sind. Durch regelmäßige Übung von asanas, pranayama und Meditation erreicht man dabei einen Zugang zur inneren Intuition, die einen führen wird.

Paramahansa Yoganandas Tipp zur Beherrschung des Zeugungstriebes

Manchmal gibt es Phasen im Leben in denen man der Leidenschaft verfällt und sich bezüglich seines Zeugungstriebes mehr verlustigt anstatt sich dort in balance zu befinden.

Eine Methode zur Beherrschung des Zeugungstriebs kommt von dem verehrten Paramahansa Yogananda: "Abends vor dem Schlafengehen reibt alle Körperöffnungen mit einem kalten, nassen Handtuch ab - ebenfalls die Hände, Füße, Achselhöllen, den Nabel und den Nacken hinter dem verlängerten Mark. Tut dies regelmäßig.

Während körperlicher Erregungszustände atmet 5 bis 15 mal tief ein und aus. Dann begebt euch sofort in die Gesellschaft solcher Menschen, vor denen ihr Achtung habt - Menschen die große Selbstbeherrschung haben." Aus dem Buch: Wissenschaftliche Heilmethoden von Paramahansa Yogananda

Yoga und Sexualität Video

Hier ein Vortrag zum Thema Yoga und Sexualität von und mit Sukadev Bretz aus der Reihe Yoga Vidya Schulung, Vorträge zum ganzheitlichen Yoga. Sexuelle Liebe kann Grundlage einer tiefen Spiritualität sein. Manche verzichten aber bewusst auf Sex und damit auf leidenschaftliche Liebe, um die Gottesliebe besonders tief werden zu lassen.

Siehe auch

Quellen

  • Matthias Beck (2013): „Sexualität und spirituelle Evolution“. Yoga Aktuell Nr. 80, Ausgabe 3/2013, S. 86-89.

Weblinks

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Zusammenfassung

Es gibt im Yoga unterschiedliche Modelle, wie Spiritualität und Sexualität in Beziehung stehen. Letztlich gilt: Wir alle müssen die Bewusstheit entwickeln eine eigene für uns vertretbare Lebensweise finden. Dies gilt bei der Sexualität, wie bei allen Aspekten des Yoga. Man sollte sich auch davor hüten, Sexualität in Bezug auf Spiritualität überbewerten. Weder kommt man allein durch Enthaltsamkeit zur Selbstverwirklichung, noch führen tantrische Sexualpraktiken sofort zur Erleuchtung.

Wir sind vielmehr dazu eingeladen uns immer wieder selber zu fragen, wie wir alles Teile unseres Lebens spiritualisieren bzw. so leben, dass sie unserer spirituellen Entwicklung förderlich sind. Durch regelmäßige Übung von Asana, Pranayama und Meditation erreichen wir den Zugang zur inneren Intuition, die uns führen wird.