Psychotherapie

Aus Yogawiki

Spiritualität und Psychotherapie – Ein Artikel von Arnold Neumann

Aus dem Yoga Vidya Journal Nr. 15, Frühjahr 2006

Begriffserklärung

Psychotherapie

Psyche = Seele, Therapie/Therapeut ist abgeleitet vom griechischen Verb "therapeueuin" = behandeln, pflegen, verehren, begleiten und heilen] Heilverfahren zur Behandlung von psychosozial bedingten psychischen bzw. psychosomatischen Erkrankungen, Verhaltensstörungen bzw. Leidenszuständen (Leidensdruck).Aber auch präventive, emanzipatorische, entwicklungs- und gesundheitsfördernde Maßnahmen gehören dazu. Psychotherapie bedeutet auch die Entwicklung des Klienten im Rahmen seiner Möglichkeiten (Ressourcen, Fähigkeiten, Potentiale, Veranlagungen etc.) zu begleiten.

Die Psychotherapie wurzelt in verschiedenen Wissenschaften (Psychologie, Pädagogik, Medizin, Religionswissenschaften, Kommunikations- und Interaktionsforschung etc.) und hat sich als eine selbständige Disziplin mit eigenständigen Methoden entwickelt. Ein wesentlicher Wirkfaktor der Therapie ist der Therapeut selbst und die Beziehung zwischen ihm und dem Klienten. Und somit ist klar, dass dieser zusätzlich zu seiner fachlichen Ausbildung genügend Selbsterfahrung besitzen sollte!

Psychotherapie bedeutet eine professionelle Beziehung zwischen Therapeut und Klient (bzw. Klientengruppe). Es sollte eine klare Indikation und Zielsetzung geben (im Gegenteil zu einer zum Beispiel reinen Selbsterfahrungsgruppe). Die Behandlung erfolgt nach mehr oder weniger abgesicherten, wissenschaftlichen Methoden. Es ist auch eine professionelle Begleitung des Klienten durch schwierige Lebensabschnitte.

Das Spektrum der angewandten Methoden ist sehr groß und wächst ständig noch weiter. Die Effizienz der Methode sollte ausreichend erforscht und dokumentiert sein ( Psychotherapieforschung). Immer mehr auch nehmen die östlichen, spirituellen Wissenschaften wie Yoga, Tantra, Meditation etc. Einfluss auf die moderne, westliche Psychotherapie (z. B. in der transpersonalen Psychotherapie).

Spiritualität

[Abgeleitet vom lateinischen spiritus = Atem, Lebenshauch, Seele, Geist] Der spirituelle Mensch sucht genau wie der Esoteriker mittels eigener Erfahrungen das Göttliche in sich und allem anderen. Er ist auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, möchte seine wahre Natur erkennen und sich mit dieser verbinden. Ziel aller spirituellen Wege ist Erleuchtung, Samadhi, Nirwana und was es sonst noch für Namen für die vollkommene Befreiung, oder mit anderen Worten, die vollkommene Dekonditionierung des Menschen, gibt.

Genau wie der Esoteriker vertraut der spirituell suchende Mensch nicht dem Glauben allein, sondern er sucht die Erfahrung des Göttlichen.

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Es gibt sehr viele traditionelle, spirituelle Wege wie z. B. Schamanismus, Yoga, Tantra, Sufismus, Buddhismus, Zen, jüdische und christliche Mystiker und einige mehr. All diese Traditionen bieten den Schülern spirituelle Übungen und Anleitungen für diesen Weg der eigenen Erfahrung. Spiritualität ist keine Sache des Ostens, sondern gab und gibt es schon immer auf der gesamten Welt in allen Traditionen der Menschen. Auch gibt es auf allen Wegen Lehrer und Meister, welche den Schülern auf ihren Wegen helfen und begleiten.

Oft ist es gut, einen Begleiter zu haben, der selbst schon auf dem spirituellen Weg bewandert ist. Der Unterschied zur Religion ist hier wie gesagt, dass man sich nicht auf heilige Schriften und Überlieferungen blind verlässt (also fremden Erfahrungen glaubt), sondern selbst die "heilige" Erfahrung des Einsseins mit Allem (oder auch das kosmische Bewusstsein) sucht.

Eine erweiterte Erklärung von Spiritualität und spiritueller Entwicklung, so wie auch ich sie sehe, ist eine allumfassende Entwicklung und Einbeziehung aller Lebensbereiche des Menschen. Dies wird sehr schön von Jack Kornfield beschrieben und befindet sich am Ende des vierten Kapitels.

Psychotherapie und Spiritualität

Als Yoga, Tantra und Selbsterfahrungsgruppenleiter versuche ich das Wissen, welches ich auf den drei Gebieten (Yoga, Tantra und Psychotherapie) lerne und die Erfahrungen, welche ich mache, zu verknüpfen und für mich zu einer Synthese zu bringen. Denn letztendlich geht es überall um das Gleiche, nämlich den Menschen, und auch dieselben Probleme tauchen in allen Bereichen auf, nämlich die menschlichen Probleme. Und natürlich gibt es an der Oberfläche auch genügend Unterschiede in den Techniken und Philosophien der einzelnen Bereiche.

Im Wort Psychotherapie stecken die Wörter Psyche und Therapie. Übersetzen wir die Psyche als Geist oder auch Seele, dann finden wir dies auch in dem Wort Spiritualität, was übersetzt ja soviel wie Atem, Lebenshauch, Seele oder Geist bedeutet. Hier schon ein klarer Hinweis, dass beide Gebiete sich unter anderem um das Gleiche drehen, nämlich um unseren Geist. Spiritualität ist, wie du oben schon lesen konntest, die Befreiung des Menschen von allen Konditionen und ein Weg zum Gefühl des Eins-Sein mit der gesamten Existenz. Was aber bedeutet Befreiung von allen Konditionen anderes als das, was wir in der Psychotherapie unter Heilung (=Therapie) des Geistes/der Seele verstehen? Und was ist das Gefühl des Eins-Sein anderes als das Gefühl, Ganz zu Sein? Und Ganz bedeutet ja auch Alles. Und Alles ist Eins. Heil heißt auf Deutsch nichts anderes als Ganz. Der Vorgang der Heilung der Psyche, also Psychotherapie, heißt also auf Deutsch dann nichts anderes, als ein Ganz-Werden des Geistes/der Seele, man könnte also auch sagen, ein Alles-Werden des Geistes/der Seele, oder aber ein Eins- Werden. Natürlich sind dies nur Wortspiele, aber schon hier ist zu erkennen, wie eng beisammen Spiritualität und Psychotherapie sind.

Spirituelle Wege helfen dem Menschen mit Techniken, Methoden und Lehrern, die Psychotherapie macht nichts anderes, nur dass die Lehrer dort Therapeuten heißen. Und genau wie in der spirituellen Welt, gibt es jetzt natürlich auch in der Psychotherapie sehr, sehr viele unterschiedliche Methoden, Techniken und Lehrer/Therapeuten, welche helfen wollen, in diesen Zustand der „Ganzheit“ zu kommen. Wichtig ist aber hier immer wieder, nicht die Wege mit dem Ziel zu verwechseln. Und die Ziele sind dieselben oder zumindest sehr ähnlich.

Nun gut, wenn wir also zu den Zielen von der Spiritualität und der Psychotherapie schauen, können wir erkennen, dass es um Heilung im Sinne von Ganz-Werden bzw. Eins-Sein geht. Soweit würde, glaube ich, fast jeder spirituelle Lehrer und auch jeder Psychotherapeut mitgehen. Dies ist, glaube ich, auch der Wunsch eines jeden Menschen tief in seinem Innern, ob er sich dessen im Moment bewusst ist oder nicht. Deshalb ist die Spiritualität wohl auch schon so alt wie die Menschheit und auch nicht auf den Osten beschränkt. Psychotherapie könnte man eigentlich als eine weitere große spirituelle Richtung genau wie Yoga, Tantra etc. ansehen.

Problematisch wird es jetzt nur, und zwar sowohl in der Spiritualität wie auch in der Psychotherapie, wenn es um den richtigen Weg zu dieser Heilung, zu diesem Eins-Sein, geht. Hier ist es auf der ganzen Welt wohl so, dass, immer wenn ein Mensch einen guten, gehbaren, erfolgreichen Weg für sich gefunden hat, er diesen Weg verherrlicht und versucht, ihn allen Menschen als "den Weg" zu vermitteln. Und wenn er erfolgreich ist, in der „Vermarktung" seines Weges, dann wird daraus eine Religion, eine Richtung, eine neue Idee.

Dies ist einfach menschlich und jeder von uns kennt dies mehr oder weniger aus eigener Erfahrung. Hat man etwas als wertvoll, gut und hilfreich erlebt, möchte man es anderen Menschen vermitteln, je nach Charakter mehr oder weniger konsequent, fanatisch, emotional, rational, organisiert, schriftlich, mündlich, vorbildlich, vermarktend etc. etc. etc.

Dies ist zutiefst menschlich… und gleichzeitig Quelle von all den vielen Wegen, Religionen, Philosophien, Ideen etc. Und gleichzeitig natürlich trennt es uns Menschen voneinander ab!!! Die verschiedenen Wege zum Ziel des Berges führen leider oft dazu, dass wir uns vom Ziel entfernen, das Ziel aus den Augen verlieren und uns in irgendwelche Kämpfe untereinander verstricken.

Dies hat dann aber nichts mehr mit Spiritualität oder Psychotherapie zu tun, wenn die Menschen eines Weges anfangen zu denken, sie hätten den alleinigen Weg auf den Berg gefunden. Wenn Yogis denken sie wären besser als Tantriker und umgekehrt, wenn Christen denken, sie wären besser als Muslime und umgekehrt, wenn diese denken, sie wären besser als jene und umgekehrt … und so weiter. Ja, sogar innerhalb der einzelnen Richtungen gibt es dieses Denken und diese Grabenkämpfe… und zwar in jeder Richtung. Dies Denken gibt es auch im Yoga und das erschreckt mich immer wieder.

Aber ich erwische auch mich immer wieder, dass ich kein Deut besser bin und leicht in ein solches Denken verfalle. Es ist einfach ein Spiegel für unsere Welt, dass wir so denken und ein Zeichen dafür, wie nötig wir dieses Gefühl von Eins-Sein mit allen und allem haben.

Spiritualität und Psychotherapie, beides Wege, Richtungen auf dem Weg zur Heilung, können viel von einander lernen, wenn die Menschen dort sich immer wieder diese Vorgänge bewusst machen. Aber nur wenn wir lernen, dass es uns allen um dasselbe geht, nämlich um die Heilung der Menschen, um das Lernen, um das Bewusstmachen, um Befreiung von Konditionen, um die Evolution der Menschheit, um ein Leben mit all dem was existiert, um das Finden unserer inneren Wahrheit und, und, und…

Sowohl in der Psychotherapie als auch in der Spiritualität gibt es nun Menschen, welche sich mehr der Seite der Symptombehandlung verschrieben haben, als auch die andere Seite, wo mehr Ursachenforschung betrieben wird. Ja, man könnte sagen, dies gibt es in allen wissenschaftlichen Zweigen und Richtungen. Wer die Fähigkeit des analogen Denkens gut beherrscht, kann dies überall sehen.

Zum Beispiel in der Physik, der Chemie, der Medizin usw. . Und beide Seiten, sowohl die Symptombehandler wie auch die Ursachenforscher, sind Menschen und unterliegen damit den voran genannten Fallen, nämlich dass sie ganz schnell dabei sind, die andere Seite als schlechter hinzustellen etc. . Dabei könnte man doch beides als richtig, wichtig und notwendig ansehen. Hier einen Auszug aus dem Buch „Du bist Schönheit, Krishnamurti - angewandt im Alltag-“. Geschrieben von dem Schweizer Samuel Widmer. Geb. 1948, Mediziner, Psychiater, Psychotherapeut, Seminarleiter und Buchautor. (J. Krishnamurti ist einer der ganz großen spirituellen Meister (1894 - 1986). Er hatte sein Leben lang abgelehnt, ein Meister zu sein und Schüler zu haben. Zweifellos aber war er einer der großen spirituellen Meister des letzten Jahrtausends.)

Hier nun der Buchauszug:

"… (S.14 ff.) …In dieser Zeit befand ich mich gleichzeitig in der Ausbildung zum Arzt und schließlich dann zum Psychiater und zum Psychotherapeuten. Psychotherapie hatte ich immer als das Beobachten, Aufdecken und Stillsein mit dem, was ist, und als die Wandlung, die dadurch in uns einsetzt, erlebt.

Es irritierte mich deshalb zuerst, zu hören, dass Krishnamurti dem analytischen Vorgehen der Psychoanalyse nichts abgewinnen konnte. Erst allmählich verstand ich, dass es innerhalb der Psychotherapie zwei grundsätzliche verschiedene Bewegungen gibt und dass diejenige, welcher ich mich ganz spontan angeschlossen hatte, die kleinere war.

Die andere, größere, ist diejenige, die tatsächlich Psychotherapie, Psychoanalyse, als gedanklichen, intellektuellen, analytischen Prozess versteht; die mir bekannte kleinere ist diejenige, der das Gedankengut Krishnamurtis nicht fremd ist, obwohl es in dieser Reinheit natürlich kaum irgendwo zu finden ist.

Man kann auch sagen, Analytiker im Sinne von Krishnamurti vermeiden Beziehung, währenddem für die kleinere Gruppe Analyse oder eben Psychotherapie gerade ein Prozess der Beziehung ist. Diese kleinere Bewegung versucht Transformation zuerst in sich selbst, im Analytiker, und dann darüber hinaus im Klienten zu bewirken. In dem Hilfe geleistet wird, sich der inneren Wahrheit zu stellen, die Dinge so zu sehen, wie sie sind, und in diesem Stillsein damit, dann Wandlung zu erfahren.

Die Entdeckung, dass Psychotherapie nicht einfach Psychotherapie ist, nicht immer das darunter verstanden wird, was ich meinte, dass vielmehr mein Verständnis davon einen kleinen Raum innerhalb dieser großen Gesamtbewegung des psychotherapeutischen Denkens einnahm, entfremdete mich natürlich zunehmend von der Zugehörigkeit zu diesem Hintergrund, lange noch bevor ich darin ausgewachsen war.

Gleichzeitig erschloss mir aber dieses Umfeld einen Raum, in dem ich meine Berufung, wie ich sie mehr und mehr erkannte und anerkannte, leben konnte. Und es fiel mir daher leicht, diesen Hintergrund zumindest vorläufig als Rahmen meiner Tätigkeit zu akzeptieren. Meine Berufung erkannte ich darin, zuerst einmal eine völlige Wandlung in meinem Bewusstsein hervorzubringen und diese dann unter die Menschen zu tragen, um mitzuhelfen, eine grundsätzliche - und äußerst notwendige - Mutation im Bewusstsein der Menschheit überhaupt zu bewirken.

Psychotherapie war für mich nie ein Prozess gewesen, der lediglich oberflächliche Symptome heilen soll - dies war höchstens ein wünschenswerter Nebeneffekt. Sondern das Angebot, im Spiegel einer Beziehung oder - im Rahmen der Gruppentherapie, wie ich sie später vor allem zu betreiben begann - im Spiegel von vielen Beziehungen diese grundsätzliche innere Revolution im Bewusstsein hervorzubringen, von der Krishnamurti in so eindrücklicher Weise sprach.

Die Psyche wird im Allgemeinen als ein Teil des Bewusstseins gesehen. Krishnamurti gebrauchte die beiden Begriffe auch synonym. Die Psychologie befasst sich meist nur mit gewissen Spektren des Bewusstseins, vor allem mit Problemen und Bedürfnissen. Lediglich die Transpersonale Psychologie ist wesentlich darüber hinausgegangen in einem umfassenderen Bereich, indem sie sich auch mit Liebe und Gotteserfahrung auseinandersetzt.

Natürlich gibt es auch andere Richtungsunterschiede in der Psychotherapie, wie zum Beispiel die zudeckende oder unterdrückende versus die aufdeckende oder anerkennende Psychotherapie, welche ebenso wie der analytische beziehungsweise Wahrnehmungszugang die Tore für Krishnamurtis Lehre in der Psychotherapie öffnen bzw. schließen. Aber darauf näher einzugehen, fühle ich mich nicht berufen.

Zusammenfassend kann man sagen: Normale Psychotherapie befasst sich mit dem Kranken. Es geht dabei um eine Umkonditionierung oder Neukonditionierung des Gehirns. Diese Art von Psychotherapie, die sehr verbreitet ist, ist dem Denken Krishnamurtis fremd. Meine Psychotherapie fühlt sich verantwortlich für den ganzen Menschen und auch für die Erneuerung der Gesellschaft. Ihr Ziel ist eine völlige Dekonditionierung des menschlichen Gehirns und Geistes, eine radikale Wandlung des Einzelnen und damit der Gesellschaft. Diese Art der Psychotherapie ist die praktische Anwendung der Lehre Krishnamurtis im Alltag…". Soweit das Zitat aus dem Buch.

Ähnlich wie Samuel Widmer, sehe auch ich 2 verschiedene Richtungen/Seiten in der Psychotherapie. Die eine Seite ist ausgerichtet auf das möglichst schnelle und einfache Beheben von Störungen und Problemen. So wie eine Kopfschmerztablette soll die Psychotherapie ein Problem/Symptom einfach nur beseitigen. Dies führt dann aber oft nur zu einer Symptomverschiebung und der Therapeut hat einen treuen Kunden. Aber dieser Kunde wird irgendwann auch schlauer und sich dann vielleicht der Ursachenforschung stellen. Wer will ihm vorschreiben, dass und wann er dies zu tun hat? Es ist eine Frage der Freiheit und der persönlichen Geschwindigkeit eigener Entwicklung.

Die andere Seite ist eine ganzheitlich denkende Richtung und ist weniger auf die Symptome ausgerichtet; vielmehr wird hier versucht, die Ursachen zu finden und zu beseitigen. Grundsätzlich möchte ich dies allerdings nicht so schwarz/weiß sehen wie Samuel Widmer und möchte beiden Seiten eine Berechtigung zusprechen. Manchmal ist es einfach sinnvoller, eine Kopfschmerztablette zu nehmen, nämlich wenn dies keine regelmäßige Sache ist und ich auch gerade in dem Moment des Kopfschmerzes keine Zeit für eine Ursachenforschung habe.

Ein, zwei Tabletten im Jahr machen mich nicht süchtig und auch nicht krank. Somit kann ich für akute Situationen schon gut mal eine Tablette nehmen. Sobald aber das Einnehmen eines Medikamentes zu einer regelmäßigen Sache wird, sollte man sich doch besser der Ursachenforschung in der eigenen Psyche zuwenden. Auch auf spirituellen Wegen wie dem Yoga sind, analog zur Psychotherapie, 2 grundsätzliche Richtungen auszumachen. Die eine Seite sind die Yogis, welche Yoga betreiben um Rückenschmerzen, Schlafstörungen, Burnout etc. loszuwerden oder sie suchen Ruhe, Kraft und Entspannung. Alles andere interessiert sie wenig.

Die andere Seite der Yogis betreibt Yoga um die Ursache allen Leidens zu finden und zu beseitigen. Also ähnlich gibt es bei der Psychotherapie und der Spiritualität diese beiden Extreme… und alles dazwischen. Wer könnte mich hindern, beides zu wollen? Wer durchblickt, weiß, dass das Abwehren von irgendetwas im Außen meist mit der Abwehr in einem selbst von irgendetwas im Innen zu tun hat. Grundsätzlich fühle ich mich auch mehr zu der Ursachenforschung hingezogen, sowohl in meiner eigenen Entwicklung als auch in dem, was ich lehren möchte. Aber ich möchte mir selbst auch immer wieder das klar machen, was ich hier geschrieben habe. Nämlich dass es uns nichts bringt, andere Richtungen und ihre Wege schlecht zu machen und uns dadurch voneinander zu trennen. Und außerdem genieße ich es, wenn die Ursachenforschung als Nebeneffekt viele Symptome verschwinden lässt. Spiritualität und Psychotherapie, hier treffen zwei Welten aufeinander. Ich hoffe, dass sie sich weiterhin befruchten und damit dazu beitragen, Gräben zwischen dem „Alles ist Eins“ abzubauen.

Transpersonale Psychotherapie

Die transpersonale Psychotherapie entwickelte sich in den 80er und 90er Jahren und bedeutete die Umsetzung der transpersonalen Psychologie.

Der Begriff der transpersonalen Psychologie wurde in den 60er Jahren von den humanistischen Psychologen Maslow und Suitch und von dem Psychiater und Psychoanalytiker Stanislow Grof geprägt. Davor wurde er auch schon manchmal von analytischen Psychologen (Jungianern) und von Assagioli (Psychosynthese) verwendet.

Die transpersonale Psychologie/Psychotherapie verbindet die westliche, moderne Wissenschaft mit dem uralten Weltbild der alten, traditionellen Philosophien der Mystiker aus aller Welt. Dies ist also unabhängig von einzelnen Religionen. Vielmehr sind es die Erfahrungen aller spirituell Suchenden, und diese Erfahrungen sind durch alle Traditionen hin gleich. Denn es ist immer der Mensch, und der ist unabhängig von allen Religionen auf der ganzen Welt gleich gestrickt und macht die gleichen Erfahrungen, wenn er in die Tiefe geht. Nur die Wahrnehmung und Darstellung dieser Erfahrungen sind individuell.

Man könnte sagen, dass die transpersonale Psychotherapie einfach nur einen Schritt weiter geht, als sonstige, personale Psychotherapie. Das Ziel der „normalen“, personalen Psychotherapie ist ein Mensch, welcher gesund und munter seinen Erwachsenen in unserer Gesellschaft steht und den Anforderungen seines Lebens und unserer Gesellschaft gewachsen ist. Hierzu werden zum Beispiel Kindheitstraumen des Klienten, Elternprojektionen, Verhaltensmuster, Glaubenssätze und vieles mehr, bewusst gemacht und möglichst aufgelöst. Der Mensch wird in seiner Entwicklung zu einer reifen, autonomen Persönlichkeit begleitet, sein Selbstbewusstsein gefestigt/gestärkt usw. (siehe oben).

Die transpersonale Psychotherapie geht genauso vor und es ist wichtig, dies zu betonen. All die Schritte, welche in der „normalen“ Psychotherapie für richtig und wichtig erkannt worden sind, sind dies auch in der transpersonalen Psychotherapie. Dann aber geht die transpersonale Psychotherapie einen Schritt weiter, nämlich den Schritt des Mystikers. Gemeint ist das Aufgehen in einen größeren Zusammenhang, die Entwicklung des Gewahrseins der Einheit allen Seins. Das Ego, das Ich, verliert dadurch nicht seine Bedeutung, wohl aber seine Wichtigkeit. Es ordnet sich ein in ein Größeres, der Mensch als Bestandteil des gesamten Universums. Es ist also ein weiterer Entwicklungsschritt, welcher hier den Menschen angeboten wird. Es ist die spirituelle Entwicklung, welche demjenigen angeboten wird, der die normale Psychotherapieentwicklung durchlaufen hat.

Klar ist glaube ich an diesem Punkt jedem, dass der Therapeut fundierte Ausbildung und Selbsterfahrung in beiden Bereichen braucht, um den Klienten auf diesem Weg kompetent begleiten zu können. Erleuchtung ist ein Prozess und die transpersonale Psychotherapie bietet hierzu einen modernen Weg mit Mitteln der Psychotherapie und der Spiritualität an.

Wer viel in der „spirituellen Welt“ unterwegs ist, kann oft Menschen kennen lernen, denen dieses Wissen fehlt und die versuchen, direkt den spirituellen, überbewussten, transpersonalen Weg zu gehen, ohne jemals die entsprechende Vorarbeit geleistet zu haben. Diesen Menschen würde es gut tun, zwei Gänge zurück zu schalten.

Hier stimme ich absolut mit Ken Wilber überein, welcher diesen Weg „Atman Projekt" genannt hat und den menschlichen Entwicklungszyklus in drei Schritte einteilt. Vom Unbewussten („präpersonal", Kindheitsentwicklung) hin zum Selbstbewussten (personal, Entwicklung eines reifen Ichs) und weiter zum Überbewussten (transpersonal, Entwicklung zum Einheitsgefühl).

Dies ist eine Entwicklung, welche von spirituellen Schülern, Lehrern und Meistern oft nicht gesehen wird, aus welchen persönlichen Gründen auch immer. Dies aber führt immer zu einer Schieflage in der Gesamtentwicklung eines Menschen. Und die natürliche, gesunde Gesamtentwicklung der Menschen sollte sowohl den Psychotherapeuten wie auch den spirituellen Lehrern am Herzen liegen. Alles andere ist eine Flucht vor einem oder zwei der 3 Schritte/Gebiete im menschlichen Entwicklungszyklus.

Flucht aus Angst vor dem, was da alles passiert in der jeweiligen Entwicklung des jeweiligen Gebietes. Man kann sich aus Angst vor den anderen Gebieten ganz gut in einem Gebiet verschanzen und dort dann auch sehr weit kommen und sehr gut und bewandert werden. Man kann Meister auf einem der 3 Entwicklungsgebiete werden und andere Menschen durch sein Können begeistern und mitziehen. Man kann dadurch berühmt und populär werden… und vieles mehr erreichen. All das aber ändert nichts an der Tatsache, dass man sich dem Rest der menschlichen Entwicklung verweigert und deshalb in einer Schieflage lebt.

So kann man zum Beispiel einen Menschen kennen lernen, welcher sich auf dem transpersonalen Gebiet so weit entwickelt hat, dass er ein riesiges Wissen und eine sehr große meditative Erfahrung hat. Dies kann zu sehr bemerkenswerten Fähigkeiten führen und dieser Mensch kann zu hohem Ansehen kommen oder große Anhängerschaft finden. Es ist diesem Menschen möglich, sich tief in das Gefühl des Eins-Seins mit allen und allem zu versenken, er hat dies gelernt und jahrelang geübt. Er ist ein Fachmann auf diesem Gebiet und dort auch ein guter Lehrer/Meister.

Lernt man diesen Menschen nun näher, persönlich kennen, also kommt man in eine menschliche Beziehung mit ihm, merkt man nun aber recht schnell, wo die Schieflage sich bemerkbar macht. So sind viele große spirituelle Meister, welche eine Frau haben/hatten, nicht in der Lage, diese Beziehung so zu leben, dass sie auf der menschlichen Ebene befriedigend ist/gewesen wäre.

Dies ist ein guter Weg, herauszufinden, in wie weit ein spiritueller Meister nur Meister auf seinem Gebiet ist oder auch auf den anderen beiden Gebieten. Man fragt einfach seine Frau, ob sie glücklich mit ihm ist, man schaut, ob seine Kinder glücklich sind, man schaut, ob er mit beiden Beinen auf der Erde steht.

Sieht man nämlich alle drei Gebiete als ganzheitliche, spirituelle Entwicklung, dann sind sehr viele spirituelle Lehrer/Meister nur „Fachidioten“, welche aus Angst, aus den anderen beiden Entwicklungsgebieten geflohen sind und die Not der Flucht zur Tugend der meisterhaften Entwicklung auf ihrem Gebiet gemacht haben. Sobald sie Kontakt bekommen und sich in die anderen Gebiete verstricken, bemerken sie und andere ihre Defizite dort. Dies führt entweder dazu, dass sie sich nicht mehr raus wagen in die gesamte Welt, oder dazu, dass sie anerkennen, dass da noch viel auf den anderen Gebieten zu lernen und zu erfahren ist und sie sich dem dann stellen.

Dies ist oft der Grund, warum sich viele so genannte spirituelle Lehrer/Meister aus zwischenmenschlichen, intimen, persönlichen, sexuellen, weltlichen, finanziellen, materiellen Dingen raushalten, nämlich weil sie schlicht und einfach dort keine Ahnung und Erfahrung haben. Dann haben sie natürlich Angst davor oder Angst, dass jemand bemerken könnte, dass sie wenig Ahnung/Erfahrung dort haben. Sie versteifen sich immer mehr auf ihr Fachgebiet und trennen sich immer mehr vom Rest. Um dies noch besser zu kaschieren, kommen viele von ihnen dann irgendwann auch noch auf die Idee, die anderen Gebiete als niedere, unwichtige, hinderliche, sündige oder sonst wie schädliche Gebiete abzustempeln.

Ein gutes Beispiel dafür, dass dies nicht so sein muss, ist Jack Kornfield, ein Mann der ganzheitlichen, spirituellen und psychotherapeutischen Richtung.

Ein Buddhist namens Jack Kornfield

Jack Kornfield ist ein Buddhist, welcher sich in seinem Buch "Frag den Buddha und geh den Weg des Herzens" ausführlich mit diesen Problematiken beschäftigt hat. Er ist für mich einer der ganz großen lebenden Buchautoren, persönlich habe ich ihn leider noch nicht kennen gelernt.

Jack Kornfield ist promovierter Psychologe und Psychotherapeut. Er war Mönch in Thailand, Burma und Indien und lehrt seit 1974 weltweit Meditation. Er zählt zu den ganz großen und anerkanntesten Vermittlern von buddhistischem Gedankengut für den westlichen Alltag.

Er selbst musste im eigenen Leben erfahren, dass man zwar gut in den oberen Chakren entwickelt sein kann, also die überbewusste, transpersonale Entwicklung mit enormem Erfolg betreiben kann, dies einem aber, zurück im normalen westlichen Alltag, dort nichts bringt. Dort nämlich sind sofort alle alten Probleme, welche man ungelöst zurückgelassen hat, wieder da. Sein persönlicher Entwicklungsweg ging von oben nach unten und zeigt, dass natürlich auch dies geht. Es ist vielleicht nicht gerade empfehlenswert, ein Buch von hinten nach vorne zu lesen, möglich aber ist alles.

Hier nun der Buchauszug:

"…Als ich ins Kloster ging, hatte ich gehofft, den Qualen meines Familienlebens und den Schwierigkeiten der Welt zu entkommen, aber natürlich folgten sie mir, wohin ich auch ging. Es dauerte viele Jahre, bis mir klar wurde, dass diese Schwierigkeiten…

…Seit ich lehre, habe ich oft gesehen, wie viele meiner Meditations-Schüler die spirituelle Praxis missverstanden, und wie sie hofften, sie als Mittel zur Flucht vor ihrem eigenen Leben benützen zu können; ich sah, wie sie die Ideale und Sprache ihres spirituellen Lebens benützen, um dem Leiden und den Schwierigkeiten der menschlichen Existenz auszuweichen - nicht anders, als ich selbst es versucht hatte -, und wie sie in Tempeln, Klöstern und Kirchen auf die Suche nach den "special effects" gingen.

Meine eigene Praxis war eine Reise abwärts, verlief also gegensätzlich zu der Richtung, in der nach weit verbreiteter Meinung die spirituellen Erfahrungen verlaufen sollten. Während dieser Jahre konnte ich mich dabei beobachten, wie ich mich von Chakra zu Chakra (spirituelle Energiezentren des Körpers) von oben nach unten arbeitete, anstatt von unten nach oben.

Meine ersten zehn Jahre systematischer spiritueller Praxis verliefen hauptsächlich unter der Kontrolle des Verstandes. Ich studierte, las und meditierte und führte das Leben eines Mönchs; dabei entwickelte ich ständig die Kraft meines Denkens, um alles zu verstehen. Ich entwickelte Konzentration und Samadhi (tiefe Stadien mentaler Versunkenheit) und hatte alle möglichen Erkenntnisse. Ich erlebte Visionen, Offenbarungen und eine Reihe von tiefen Zuständen des inneren Erwachens. Im Verlauf der Entwicklung meiner Praxis wurde mein gesamtes Verständnis meiner Existenz auf den Kopf gestellt, und allmählich lernte ich die Dinge auf eine neue und klare Weise zu sehen. Ich dachte, diese Erkenntnisse seien der Clou der Praxis, das, worauf es ankäme, und war sehr zufrieden mit meiner neuen Art des Weltverständnisses.

Doch nachdem ich als Mönch in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt war, brach alles in Stücke. In den Wochen nach meiner Rückkehr legte ich die Robe ab, schrieb mich an einer Hochschule ein, suchte einen Job als Taxifahrer und arbeitete nachts in einem Nervenkrankenhaus in Boston. Und ich ging eine intime Beziehung ein.

Obwohl ich von meinem Kloster so klar, weiträumig und high zurückgekehrt war, entdeckte ich bald - in meiner Liebesbeziehung, in meiner Wohngemeinschaft, und bei meinem Krankenhauspraktikum für die Hochschule -, dass mir die Meditation recht wenig für meine menschlichen Beziehungen gebracht hatte.

Noch immer war ich emotional unreif und agierte die qualvollen Muster von Schuld und Angst, Anziehung und Ablehnung aus, von denen ich vor meiner buddhistischen Schulung gefangen gewesen war; nur dass nun noch der Horror dazu kam, diese Muster weitaus klarer zu sehen. Ich konnte die Meditation der Herzenswärme für tausend Wesen irgendwo auf der Welt praktizieren, aber ich bekam fürchterliche Probleme damit, mich ganz auf einen Menschen hier und jetzt einzulassen.

Ich hatte die Kraft meines Denkens in der Meditation eingesetzt, um schmerzhafte Gefühle zu unterdrücken, und allzu oft bemerkte ich nicht einmal, dass ich wütend, traurig, voller Sorgen oder frustriert war; es fiel mir erst viel später auf. Die Wurzeln meines Scheiterns in Beziehungen hatte ich noch gar nicht erforscht. Ich verhielt mich alles andere als geschickt im Umgang mit meinen Gefühlen, mit Beziehungen auf emotionalen Ebenen und überhaupt darin, mit meinen Freunden und Lieben in einer angemessenen Art zu leben.

Ich war gezwungen, meine gesamte Praxis tiefer nach unten zu verlagern, vom Verstand zum Herzen. Nun begann ein langer und mühsamer Prozess, in dem ich mich meinen Gefühlen wieder zuwandte, meine Aufmerksamkeit auf meine Beziehungsmuster richtete und lernte, meine Gefühle zu erleben und mit den gewaltigen Kräften menschlicher Beziehung umzugehen.

Die Mittel dazu waren Gruppen- und Einzeltherapie, herzzentrierte Meditationsmethoden, transpersonale Psychologie und eine Reihe von teils guten, teils katastrophalen Beziehungen. Ich untersuchte die Herkunft und Geschichte meiner Familie und wandte dieses Wissen und diese Erkenntnisse auf meine aktuellen Beziehungen an. Schließlich führte dies zu einer anfänglich recht schwierigen Liebesbeziehung, die sich zu einer glücklichen Ehe mit meiner Frau Liana entwickelte und mich mit einer wunderschönen Tochter, Caroline, beglückte. Nach und nach habe ich diese Arbeit des Herzens als einen völlig integralen Teil meiner spirituellen Praxis verstehen gelernt. …

…In dem Maße, in dem sich meine Praxis die Chakren abwärts bewegte, wurde sie intimer und persönlicher. Sie erforderte bei jedem Schritt auf dem Weg mehr Aufrichtigkeit. Und sie gewann einen ganzheitlichen Charakter. Denn wie ich mit meinem Körper umgehe, ist nicht mehr davon zu trennen wie ich mit meiner Familie umgehe oder mit meiner Verpflichtung gegenüber dem Frieden auf unserer Erde. So erweiterte sich auf diesem Weg abwärts die Vorstellung von meiner Praxis, bis sie schließlich nicht nur meinen eigenen Körper und mein eigenes Herz, sondern das gesamte Leben ermöglicht.

Während dieses Prozesses der Vertiefung und Erweiterung meiner inneren Verpflichtung für das spirituelle Leben erlebte ich, wie sich sowohl mein Einsatz an Anstrengung als auch meine Motivation gewaltig veränderten. Zu Beginn meiner Praxis und meines Lehrens hatte ich den spirituellen Pfad nur als etwas gesehen, wofür man sich anstrengen und worum man ringen musste. Ich wandte große Mühe auf, um meinen Körper stillzuhalten, mich zu konzentrieren, in der Meditation meinen Geist zu disziplinieren und Schmerzen, Gefühle und Ablenkungen zu überwinden.

Ich benützte die spirituelle Praxis, um Zustände der Klarheit und des Lichts, Erkenntnisse und eine veränderte Weltsicht zu gewinnen, und am Anfang war dies auch der Inhalt dessen, was ich lehrte. Nach und nach wurde mir klar, dass bei den meisten von uns gerade dieser Kampf die Probleme noch verstärkt.

Wenn wir zu Urteilen neigen, urteilen wir noch vehementer über uns selbst und unsere spirituelle Praxis. Wenn wir von uns selbst abgeschnitten sind und unsere Gefühle, unseren Körper und unser Menschsein leugnen, werden dieses Getrenntsein und der Kampf um die Erleuchtung oder um irgendein spirituelles Ziel noch verstärkt.

Wann immer ein Gefühl der Wertlosigkeit und des Selbsthasses Fuß fassen kann - in der Angst vor unseren Gefühlen oder in der Beurteilung unserer Gedanken -, wird es durch das spirituelle Ringen noch intensiviert. Und doch wusste ich, dass es keine spirituelle Praxis geben kann ohne sehr viel Hingabe, Einsatz von Energie und innere Verpflichtung. Wenn die Anstrengungen und der Idealismus nicht weiterhalfen - wo sollte ich diese nötige Fähigkeit dann hernehmen?

Was ich jedoch entdeckte, waren wunderbare Neuigkeiten für mich. Um uns zutiefst zu öffnen, wie es ein echtes spirituelles Leben erfordert, brauchen wir ungeheuer viel Kraft und Mut - eine Art Kampfgeist. Doch der Ort, wo sich diese Kraft des Kriegers entfaltet, ist das Herz. Die Energie, die innere Verpflichtung und den Mut brauchen wir nicht dazu, um vor unserem Leben davon zu laufen, und auch nicht, um es mit irgendeiner Philosophie zuzudecken, sei es materialistisch oder spirituell.

Wir brauchen das Herz eines Kriegers, damit wir uns unserem Leben unmittelbar stellen und uns direkt mit unseren Schmerzen und Grenzen, unseren Freuden und Möglichkeiten befassen können. Dieser Mut macht es uns möglich, jeden Aspekt des Lebens in unsere spirituelle Praxis mit ein zu beziehen: unseren Körper, unsere Familie, unsere Gesellschaft, die Politik, die Ökologie der Erde, Kunst, Erziehung und Ausbildung. Nur so können wir Spiritualität wirklich in unser Leben integrieren.…"

Soweit aus dem genialen Buch "Frag den Buddha und geh den Weg des Herzens" von Jack Kornfield.

Wesentlich ist also, dass zwischen der transpersonalen Psychotherapie und einer ganzheitlichen Spiritualität kein Unterschied besteht. Es geht beiden um die vollständige Entwicklung des Menschen auf allen menschlichen Gebieten und in all seinen menschlichen Phasen zwischen Geburt und Tod und darüber hinaus um ein Erkennen der göttlichen Natur im Menschen.

Jegliche Einschränkung ist zurück zu führen auf denjenigen, der sie aus persönlichen Gründen einschränkt. Wo auch immer diese Einschränkung liegt, so liegt dort ein Entwicklungsbedarf des Einschränkenden oder der Gruppe der Einschränkenden.

Sowohl die Einschränkung der "normalen" Psychotherapie auf nur den präpersonalen und personalen Teil als auch die Einschränkung der Spiritualität auf nur den transpersonalen Teil sind Zeichen von Menschen, welche Angst vor dem anderen Teil der menschlichen Entwicklung haben und ihn deshalb unterdrücken.

Letztendlich hoffe ich, dass dies auf beiden Seiten immer mehr erkannt wird, beide Welten immer mehr zusammenwachsen und gemeinsam für das Wohlergehen der Menschen arbeiten. Und wenn dies geschieht, wird sich das Wissen und die Erfahrung, dass alles eins ist, immer mehr verbreiten. Und damit werden wir Menschen immer mehr verstehen, dass es nicht nur um die Menschen geht, sondern um alles was existiert. Alles was existiert ist eins. Und dass wenn ich mich um irgendwas kümmere (oder nicht kümmere), sei es nun um mich selbst oder um meinen Mitmenschen neben mir, um Tiere oder Pflanzen, ganz egal um was, ich kümmere mich immer um das Ganze, um Alles, um Eins. Und damit auch um mich.

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Psychotherapie: Die Menschen sind sehr unterschiedlich und oft helfen passende, maßvolle Arbeit und sich möglichst viel im Grünen bei Tageslicht zu bewegen beispielsweise gegen Depression oder Tamas. Yogastunden unterstützen vielleicht noch mehr als eine Zeit in der Sonne; beides zusammen im Park kann auch gelingen...

Zitate (Bitte gib deine Quelle an):

"Schließlich sucht John Cage Hilfe bei einem Psychoanalytiker, der ihm freudig verheißt, dass er nach seiner Behandlung ganze Tonnen von Musik würde schreiben können. Um Gottes Willen, denkt sich Cage, er schreibe ja jetzt schon zuviel und verlässt die Praxis stehenden Fußes."

Ein ausführliches Buch: "Buddhistische Psychotherapie" [1], Leseprobe, hier: [2], ab S. 9:

"..die außerordentlich große Menge an Literatur aus den westlichen Traditionen zur klinischen Psychologie, Psychotherapie und Psychiatrie (...) konzentriert sich fast ausschließlich a. die Pathologie, das Kranke, die Defizite, die Störungen etc. Dementsprechend gibt es auch viele Forschungen zu solchen Themen wie Gewalt, Stress, Aggression, Vorurteile etc., während westliche Forscher erst seit relativ kurzer Zeit beginnen, sich auch mit Themen wie Güte, Mitgefühl, Liebe oder Glück zu befassen.

Auch Elemente aus der humanistischen und anthroposophischen Philosophie finden wir im klinischen Behandlungskontext eher selten. Die Vorstellungen von Heilung basieren zumeist auf dem Wunsch, Symptome zu lindern oder möglichst ganz zu beseitigen. Heilung wäre demzufolge eine Angleichung an die „Normalität“. Das Ziel einer derart „normalen“ Psychotherapie könnte zum Beispiel darin bestehen, eine Panikstörung nach Möglichkeit zu beseitigen. Danach wäre die Behandlung erfolgreich abgeschlossen. Nur wenige westliche klinische Modelle beziehen jedoch auch die positiven menschlichen Potenziale mit ein.

Die buddhistische Psychotherapie achtet dagegen nicht nur darauf, was wir lindern oder auflösen wollen, sondern fokussiert und benennt sehr klar, was wir erreichen können. (...) Grundsätzlich geht die buddhistische Philosophie davon aus, dass nicht nur ein kleiner Prozentsatz der Bevölkerung erkrankt ist, sondern dass jeder Mensch immer wieder Leiden erfährt. Davon ist vieles unvermeidbar, doch es gibt auch einen sehr großen Anteil an vermeidbarem Leiden. Es ist unvermeidbar, dass wir altern, manchmal erkranken und sicher sterben werden. Ebenso ist es unvermeidbar, dass Menschen, die wir lieben, sich von uns trennen oder ebenfalls erkranken, uns verlassen und sterben. Hinzu kommen unendlich viele alltägliche, kleine und große unvermeidbare Probleme. Es gibt jedoch auch Leidensformen, die wir eigentlich vermeiden könnten, nämlich unsere unheilsamen Reaktionen auf das unvermeidbare Leiden, so wie Ärger, Hass, Wut, Hadern, Grübeln, Selbstzweifel, Selbstvorwürfe, Selbstmitleid etc.. Diese sekundären emotionalen Reaktionen, die sich vor allem auf uns selbst, aber auch auf andere..."

Vgl. auch Josef Ratzinger: über den Heiligen Geist, S. 30, 20, 89:

"Mensch, der als Maßloser belanglos geworden ist, kann sich nur selbst verachten und all die Flucht, die wir heute kennen: Droge, Alkohol, Selbstmord kommt letztlich aus der Selbstverachtung. (...) attakiert sich als nackten Affen, Störenfried der Natur, bespuckt und schämt sich seiner selbst in die Lüge hinein... besser: den Mut zum Ungetanen, Demut des Wartens neu lernen. etc. sonst: Geistige Umweltverschmutzung, viel unthematisierter... dabei sind die Vergiftungen des Herzens und des Geistes, die durch solche seelische Umweltvergiftung entstehen, weit alarmierender... Je mehr man sein Leben für das Gute, für die anderen hin gibt, desto voller strömt der Fluß ..." (vgl. Burnout

weiter zu kürzen:

Der Buddhismus und die buddhistische Psychotherapie vermitteln konkrete Erkenntnisse und Techniken zum Umgang mit und zur Beendigung von vermeidbarem und zur besseren Bewältigung von unvermeidbarem Leiden.

Die westlichen geisteswissenschaftlichen Traditionen, wie die Psychologie, Theologie, Philosophie und Soziologie, haben außerordentlich große Qualitäten entwickelt. Gleichzeitig zeigen sie aber auch eine sehr klare Konzentration auf die theoretischen Aspekte und sind im Wesentlichen kaum als erfahrungsbezogen zu bezeichnen. Diese Eigenart wird von vielen Menschen als Defizit empfunden. Die stärkere Ausgewogenheit zwischen Theorie und Praxis scheint wohl eine der Facetten zu sein, die den Buddhismus für viele Menschen heute so attraktiv machen. Gleich zu Beginn sei angemerkt, dass der Buddhismus bekanntlich zu den nicht-theistischen Weltreligionen zählt, also eine Religion ohne den Glauben an ein göttliches Wesen ist. Trotzdem dürfte er von vielen Menschen aus dem westlichen Kulturkreis immer noch mit einer exotischen fernöstlichen Religion assoziiert werden. Der Buddhismus schließt zwar eine Vielzahl von religionstypischen Aspekten ein, wie beispielsweise die Heiligenverehrung, Feiertage, Rituale und Zeremonien, Gebetsrezitationen und Gesänge. Das Besondere am Buddhismus ist aber, dass er sich damit nicht erschöpfend defi niert. Wichtige buddhistische Repräsentanten aus Ost und West, wie zum Beispiel der Dalai Lama, Yongey Mingyur Rinpoche oder Jack Kornfi eld erklären, dass der Buddhismus von seiner Entstehung bis zur heutigen Praxis weniger eine Religion als vielmehr eine Wissenschaft des Geistes ist: eine Wissenschaft, die im Laufe vieler Jahrhunderte erprobt wurde und sowohl detaillierte und überprüfbare Erklärungen und Beschreibungen für menschliches Empfi nden und Verhalten liefert als auch konkrete Übungen und Techniken zur Überwindung vieler menschlicher Konfl ikte und Sorgen bietet. Damit überbrückt der Buddhismus die oft als schmerzlich empfundene Kluft zwischen Wissenschaft und Religion, zwischen Innovation und alter Tradition und Überlieferung. In diesem Zusammenhang bemerkte Albert Einstein einmal, dass es, wenn es irgendeine Religion gebe, die sich mit den Erfordernissen der modernen Wissenschaft vereinbaren lasse, der Buddhismus sei, der dies vermöge. Carl Friedrich von Weizsäcker stellte sich den Zukunftsmenschen als ein Individuum vor, in dem christliche Ethik, wissenschaftliches Denken und die buddhistischen Stärken integriert sind. 12 EINLEITUNG In diesem Buch werden in erster Linie Inhalte und Techniken des Buddhismus und der buddhistischen Psychotherapie beschrieben, doch die BPT versteht sich als Integrationsprojekt mit dem Wunsch, möglichst viele Ressourcen auch aus sehr unterschiedlichen Quellen zu nutzen. Nur zum leichteren Verständnis wird hier von dem Buddhismus gesprochen, obwohl es viele verschiedene buddhistische Traditionen gibt. Der Buddhismus hat sich in den 2500 Jahren seiner Existenz anfangs über Asien, in der Neuzeit weitgehend über den ganzen Globus ausgebreitet. Jedes Land, in dem Buddhisten leben, entwickelt auf der Basis seiner eigenen Kultur seine eigenen buddhistischen Schwerpunkte. Dementsprechend gibt es zum Beispiel den japanischen, vietnamesischen, tibetischen, chinesischen, indischen und heute auch den amerikanischen und europäischen Buddhismus. Vielleicht benötigen die westlichen Kulturen aber noch etwas Zeit, um ihre eigene buddhistische Form zu fi nden. Auf diese Weise entstand im Laufe der Jahrhunderte eine vielschichtige, in jeweils verschiedenen Aspekten ausgereifte und alltagstaugliche Lehre und Praxis. Die besondere Leistung des Buddhismus ist die erhebliche Integrationsfähigkeit der Lehre und ihrer Meister und Schüler. Diese Fähigkeit zeigt sich zum Beispiel darin, dass die Lehre trotz aller Unterschiede zwischen den einzelnen Schulen und auch ohne eine übergeordnete Instanz wie beispielsweise den Vatikan im Laufe der Zeit unter Beibehaltung der buddhistischen Grundsätze immer vielfältiger wurde und dabei doch ihre Kohärenz bewahrte. Die buddhistische Psychotherapie nutzt die Gemeinsamkeiten innerhalb der verschiedenen buddhistischen Richtungen mit anderen Kulturen und mit der Wissenschaft und fügt sie konstruktiv zusammen. Die hierbei oft herangezogene Gegenüberstellung von östlicher und westlicher Tradition dient lediglich der Veranschaulichung. Wie bereits erwähnt, versteht sich die BPT als Integrationsmodell, um verschiedene Ansätze für uns nutzbar zu machen. Dementsprechend werden hier nicht nur buddhistische, sondern auch psychologische, medizinische und psychosomatische Erkenntnisse anderer Kulturen integriert. Von vielen Menschen werden die in der Neuzeit entstandenen Aufspaltungen und Polarisierungen von wichtigen Lebensbereichen als schmerzlich empfunden: Arbeitswelt und Kreativität; Schulbildung und 13 EINLEITUNG Charakterbildung; bürokratische Verwaltung und Menschlichkeit; Religion und lebensnahe Bedürfnisse; konsumorientierte Wirtschaft und eigentliche Grundbedürfnisse des Menschen etc. Die buddhistische Psychotherapie wird in diesem Buch als ein sehr umfassendes integratives Modell dargestellt, das – je nach individueller Notwendigkeit – sowohl in der Breite, d. h. auf einer praktischen und alltagstauglichen Ebene, als auch in der Tiefe, d. h. auch bei einer eher spirituellen Sinn- oder Verständnissuche, wichtige Inspirationen und Hilfestellungen zu geben vermag. Sie entspricht damit einem Modell, das dabei helfen kann, wichtige Lebensbereiche wieder zusammenzubringen und miteinander zu versöhnen. Die BPT integriert sowohl individuell-persönliche als auch universelle Bezüge. Das bedeutet, dass jeder Mensch in seiner Individualität gesehen wird, ebenso aber auch als Mitglied größer Systeme: von der Familie angefangen über unterschiedliche Gruppenzugehörigkeiten und die Gesellschaft bis hin zur Naturverbundenheit und darüber hinaus. Das ist sowohl für die Behandler als auch für die Hilfesuchenden eine sehr förderliche und konstruktive Erweiterung des Bezugsrahmens. Die BPT hat eine deutlich spirituelle Ebene, doch der Schwerpunkt liegt – nicht anders als im gesamten Buddhismus – in der Verknüpfung zwischen den geistig-spirituellen Aspekten der Existenz und den praktischen Aspekten unseres Alltagslebens. Von daher geht es im Buddhismus auch nicht um Weltfl ucht, sondern in seinen Lehren wird eher die Kunst vermittelt, ganz in der Welt zu sein, doch ohne sich darin zu verstricken. Buddha könnte dazu anmerken: Meditiere, aber binde deinen Elefanten an. Oder anders ausgedrückt: Bete oder meditiere, aber achte auf die alltäglichen Notwendigkeiten. Buddha legte großen Wert darauf, dass jeder persönliche Fortschritt des Einzelnen so umgesetzt wird, dass er allen Wesen zugutekommen kann. Wenn wir zu den Ursprüngen des Buddhismus zurückschauen, sollten wir uns bewusst machen, dass der historische Buddha ein Mensch war. Bis zu seiner Erleuchtung oder Befreiung hieß er Siddhartha Gautama. Buddha, ein Begriff aus dem Sanskrit und dem Pali, bedeutet „Erwachter“. Oft ist auch die Rede von Buddha Shakyamuni, was sich auf die Herkunft von Siddhartha aus dem nordindisch-nepalesischen Adelsgeschlecht der Shakyas bezieht. Der Buddhismus hat keinen religiösen Ursprung. 14 EINLEITUNG Siddhartha war ein Mann Ende 20, der sich nicht auf die Suche nach Gott begab, sondern für sich und seine Mitmenschen einen Weg fi nden wollte, um das menschliche Leiden zu beenden. Nachdem er im Alter von 35 Jahren diesen Weg entdeckte und damit erwachte, fand er eine große Gefolgschaft und konnte sowohl durch seine Lehrreden als vor allem auch durch die vermittelten Übungstechniken sichere Übertragungslinien auf seine Schüler und von diesen auf deren Schüler und deren spätere Schüler sichern. Erst ungefähr 500 Jahre nach Buddhas Tod wurden seine Lehrreden, die Sutras, niedergeschrieben. Davor existierte nur eine mündliche Weitergabe jeweils von Lehrer auf Schüler. Wahrscheinlich aus Gründen der besseren Erinnerung werden die beachtenswerten Fakten in den Buddhareden numerisch aufgezählt, wie zum Beispiel die Vier Edlen Wahrheiten und der Edle Achtfache Weg, die Vier Grenzenlosen Geisteszustände, die Sieben Faktoren des Erwachens, die Drei Juwelen etc. Dieses Buch wird auch versuchen, die buddhistische Wissenschaft des Geistes als eine nach heutigen wissenschaftlichen Maßstäben sehr detaillierte und exakte Betrachtung und Beschreibung menschlichen Funktionierens darzulegen. Des Weiteren wird der Buddhismus als eine Wurzel der modernen psychotherapeutischen Methoden dargestellt, die in ihrer Tiefe und der jahrhundertealten Praxis nichts an Aktualität, Relevanz, Anwendbarkeit und Eff ektivität verloren hat. Im Gegenteil, der Buddhismus liefert ein umfassendes und integratives heilsames Verständnis menschlicher Probleme sowie auch die notwendigen Methoden und eine Vielzahl von konkreten zeitgemäßen Techniken zur Linderung beziehungsweise zur Überwindung unserer unterschiedlichsten Schwierigkeiten. Er kann als eine der ältesten und am intensivsten erprobten psychotherapeutischen Behandlungsmethoden angesehen werden. Im Vergleich dazu scheint die westliche Psychologie, die mit William James vor etwa 100 Jahren ihre ersten Schritte versuchte, noch in den Kinderschuhen zu stecken und ist zudem ohne die älteren geisteswissenschaftlichen Quellen kaum denkbar. Ebenso wie die psychoanalytische und die tiefenpsychologische Methode beinhaltet auch der Buddhismus Persönlichkeits- und Charaktertypologien, formuliert die Probleme im Zusammenhang mit dem menschlichen Unbewussten und hat schon vor über 2500 Jahren 15 EINLEITUNG die Relevanz von Träumen erkannt. Er liefert eine ausgefeilte strukturierte Darstellung menschlicher Bewusstseins-, Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeiten. Das Weltverständnis des Buddhismus ist zutiefst systemisch und zudem auf das Hier und Jetzt konzentriert. Auf genau diese Schwerpunkte fokussieren auch die modernen System- und Verhaltenstherapeuten. Die Verhaltenstherapie (VT), neben der Psychoanalyse und der Tiefenpsychologie eine der zentralen westlichen Th erapieformen, verändert sich stetig. Die Verhaltenstherapeuten sprechen von „Wellen“ der Entwicklung: In der ersten Welle, zu Beginn der VT-Entwicklung, konzentrierte sich die VT noch völlig auf das Verhalten. Der Fokus lag dementsprechend auf der Verhaltensebene. Hier sollten Trainingsprogramme neues Verhalten fördern. Im weiteren Verlauf kam es zu einer zweiten Welle: Jetzt wurden die Kognitionen (Gedanken) in den Mittelpunkt gestellt. Die VT nannte sich nun Kognitive Verhaltenstherapie (KVT), ihr Schwerpunkt lag bei den Bewertungen und Erwartungen eines Menschen. Aktuell entwickelt sich gerade die dritte Welle: Die KVT entdeckt für sich die Achtsamkeit und damit einen der zentralen Eckpfeiler buddhistischer Praxis, die nun auch in der westlichen Behandlungswelt ankommt. Dem Th ema Achtsamkeit werden wir in diesem Buch noch häufi g begegnen. Die hier gewählte Darstellungsform der BPT umfasst grob gesehen zwei Bereiche: Zunächst werden die für die Psychotherapie relevanten Aspekte, insbesondere die wichtigsten buddhistischen Lehren, dargelegt. Danach werden konkrete buddhistisch-psychotherapeutische Techniken beschrieben und anhand von Beispielen nachvollziehbar gemacht. Neben psychotherapeutischen und buddhistischen Übungen, die verschiedene Meditationsformen beinhalten, werden auch sehr alte, teilweise bislang weitgehend unbekannte buddhistische Befreiungswege und Heilungsverfahren in die BPT integriert und anhand von Beispielen aus der Praxis anschaulich dargestellt. Es gibt eine fast verwirrende Vielzahl ganz unterschiedlicher Behandler, wie Ärzte, Psychologen, Psychotherapeuten der verschiedensten Schulen, Heilpraktiker, Berater jeder Art, Neurologen, Psychiater etc., und noch mehr psychotherapeutische Methoden, etwa die Psychoanalyse, die Tiefenpsychologie, die systemische Th erapie, die Verhaltens-, Gesprächs-, 16 EINLEITUNG Gestalt-, Hypnosetherapie und vieles mehr. Neben den sich daraus ergebenden unterschiedlichen Techniken liefern die verschiedenen Schulen auch sehr unterschiedliche Erklärungsmodelle für das Entstehen von Krankheiten. Eine große Mehrheit der Behandler muss – scheinbar in Ermangelung von konkurrenzfähigen Alternativen – immer noch auf psychoanalytische Krankheitsmodelle zurückgreifen. Die Ursachen für aktuelle Konfl ikte und Symptome werden von ihnen vorzugsweise in der Kindheit gesucht. Andere forschen in den Stoff wechselprozessen des Gehirns, wieder andere konzentrieren sich eher auf problematische systemische Interaktionsprozesse oder auf die individuellen Aspekte der Gesellschaftsschicht oder der Geschlechtszugehörigkeit des Klienten. Wieder andere Behandler vermeiden derartige Überlegungen ganz und gehen davon aus, dass wir sozusagen als leere Wesen, also als unbeschriebenes Blatt diese Welt betreten und das gesamte Emotionsspektrum sowie auch das Verhalten an- oder abtrainierbar sind. Die Vorstellungen und die Erklärungs- beziehungsweise Krankheitsmodelle des Behandlers sind von entscheidender Bedeutung für die Behandlung. Für Hilfesuchende ist dieser Aspekt oft nicht klar erkennbar, aber trotzdem von größter Relevanz, denn alle Aspekte der bei ihnen durchgeführten therapeutischen Maßnahmen, angefangen von der Suche nach den Ursachen bis hin zu den Behandlungsmethoden, sind abhängig von dem ihnen zugrunde liegenden Verständnis der Behandler. In der Regel sind viele Behandlungsmodelle nur auf die Beseitigung der Symptome konzentriert und übersehen leider oftmals das menschliche Potenzial. Wir Menschen wollen jedoch nicht nur nicht leiden, sondern auch glücklich sein. Wir brauchen daher dringend Arbeitsmodelle, deren Zielsetzung die aktive und konkrete Förderung von positiven Geisteszuständen wie Güte, Zufriedenheit, Mitgefühl, Freude etc. ist. Der Begriff „Gesundheit“ wurde bereits 1948 in der Konstitution der Weltgesundheitsorganisation (WHO) beschrieben als „ein Zustand vollständigen physischen, geistigen und sozialen Wohlbefi ndens, der sich nicht nur durch die Abwesenheit von Krankheit oder Behinderung auszeichnet“. Mehr als 60 Jahre nach dieser Forderung der WHO können viele Th erapiemethoden heute immer noch keine Konzepte vorlegen, die 17 EINLEITUNG über eine bloße Beseitigung von Symptomen hinausgehen. Damit wird der Mensch in seinen Bedürfnissen und auch Potenzialen nicht ausreichend gewürdigt. Die buddhistische Psychotherapie erfüllt die von der WHO aufgestellte Forderung nach einer Erweiterung des Begriff s Gesundheit, denn sie behandelt nicht nur Krankheiten, sondern fördert gleichzeitig die in allen Menschen angelegten positiven Möglichkeiten. Ein zentraler Aspekt der buddhistischen Psychotherapie ist die Besonderheit, dass die detaillierte Vermittlung des ihr zugrunde liegenden Konzepts, das in den 22 Grundlagen der BPT dargelegt wird, ein wesentlicher Bestandteil der Behandlung ist. Um vorab einen Überblick über den Inhalt dieses Buches zu geben, sei erwähnt, dass die buddhistische Psychotherapie hier sehr strukturiert in 22 Grundsätzen dargestellt ist. In diesem Rahmen werden ganz unterschiedliche Aspekte der buddhistischen Psychotherapie dargestellt und sowohl die Form, der Ablauf, der Inhalt als auch deren mögliche Ziele im Hinblick auf die Lehre und Praxis beschrieben. Die 1. Grundlage möchte die Essenz des gesamten Buddhismus und der buddhistischen Psychotherapie prägnant darstellen. Die 2. bis 4. Grundlage beschreibt relevante Details für Hilfesuchende und Th erapeuten und Aspekte des Behandlungsablaufs. Die 5. bis 7. Grundlage vermittelt das notwendige Basiswissen über unsere körperlichen, geistigen und emotionalen Belange. Die 8. bis 18. Grundlage vermittelt die notwendigen buddhistischen Lehren und Anleitungen zur Übungspraxis. Die 19. Grundlage umfasst die konkreten buddhistisch-psychotherapeutischen Übungen, Maßnahmen, Interventionen und Techniken. Es werden Beispiele aus der Praxis beschrieben (da es in der BPT nur Menschen und keine Fälle gibt, bezeichnen wir die Beispiele auch nicht als Fallbeispiele). Einige der dargestellten Techniken sind weit über 2500 Jahre alt, andere über 1000 Jahre lang erprobt und erst seit kurzer Zeit auch westlichen Hilfesuchenden zugänglich. Bevor wir uns aber mit dieser 19. Grundlage beschäftigen, bevor wir also zu den praktischen Übungen kommen, müssen die vorausgegangenen Grundlagen 1 bis 18 der buddhistischen Lehre erkannt, verstanden und verinnerlicht werden. Wir 18 EINLEITUNG müssen erst einen ungefähren Kurs festlegen und die Grundlagen, das Fundament erst sichern, bevor wir uns auf den Weg machen und in das aktive Training einsteigen können. Die 20. Grundlage der BPT konzentriert sich auf die konkrete Umsetzung der buddhistischen Maßnahmen, unserer Erkenntnisse und Fortschritte im Alltag. Abschließend wird in der 21. Grundlage ein Ausblick sowie auch eine Relativierung angeboten. Die 22. Grundlage bietet eine Auswahl an Literatur an, deren Studium für die BPT hilfreich sein könnte. Die hier dargestellten Grundlagen der BPT haben sich im Laufe vieler Jahre der Anwendung in Einzel- und Gruppenarbeit im Klinikkontext von verschiedenen psychosomatischen Einrichtungen und in privater Praxis bewährt. Aufgrund von Erfahrungswerten werden die 22 Grundlagen der BPT in dieser Reihenfolge vorgestellt. Diese Abfolge ist zwar gut erprobt, aber dennoch sollte jeder Th erapeut seine Schwerpunkte nach eigenen Gesichtspunkten oder den Bedürfnissen der Hilfesuchenden auswählen. Falls es in diesem Buch Bereiche geben sollte, von denen sich die Leserinnen oder Leser nicht so angesprochen fühlen, ist es kein Problem, sich seine eigenen Schwerpunkte zu wählen. Das buddhistische Lehr- und Praxisgebäude funktioniert holistisch. Das bedeutet, dass in jedem kleineren Fragment bereits der ganze Geist und Sinn enthalten ist. Wir können uns also ein einzelnes, uns besonders ansprechendes Th ema herausgreifen und dieses intensiv vertiefen, sodass wir auch über diesen Zugang sehr profi tieren können. Grundsätzlich sollten aber stets vor den jeweiligen praktischen Übungen klare Unterweisungen erfolgen, die das notwendige Wissen um die Hintergründe und das angestrebte Ziel vermitteln. Ohne eine solche Kursbestimmung verlieren wir schnell das Ziel aus den Augen und laufen Gefahr, uns zu ver(w)irren. Die gute Nachricht lautet, dass Buddha ein sehr wertvoller Wegbereiter war und auch immer noch ist, der exakte theoretische und praktische Anweisungen hinterließ, die uns eine gute Chance geben, ihm zu folgen. 19 EINLEITUNG Seiner Spur zu folgen und an seinem Weg teilhaben zu können macht Hoff nung. Die vielleicht weniger gute Nachricht lautet, dass der Weg – oder genauer: die Wege – zwar markiert wurden und durch viele, die sie vor uns beschritten haben, immer deutlicher wurden, doch für jeden einzelnen Menschen, der sich aufmacht, ist es immer noch ein spannendes und zum Teil auch anstrengendes Abenteuer. Es braucht Mut, sich den Tücken und Abgründen, den Verlockungen und Ablenkungen dieser Reise zu stellen. Doch vielleicht ahnen die Leserinnen und Leser ja schon: Der Weg lohnt sich! Sich einem Buch zu widmen ist immer kostbare Lebenszeit. Matthias Ennenbach

Weitere Beispiele: "Es scheint besser zu sein, einmal mehr zu unterstützen und zu fördern, als vorschnell zu konfrontieren" (S.55).

Siehe auch