Yoga als Ressource für ein ge-glück-tes Leben: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Yogawiki
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 309: Zeile 309:
''“Ein menschliches Wesen ist Teil eines Ganzen, das wir [[Universum]] nennen, ein in Raum und [[Zeit]] begrenzter Teil. Es erfährt sich selbst, seine [[Gedanke]]n und [[Gefühl]]e als etwas von allem anderen Getrenntes - eine Art optische Täuschung seines [[Bewusstsein]]s. Diese Täuschung ist für uns eine Art Gefängnis, das uns auf unser persönliches Verlangen und unsere Zuneigung für einige wenige uns nahe stehenden Personen beschränkt. Unsere Aufgabe muss es sein, uns aus diesem Gefängnis zu befreien.”'' Albert Einstein
''“Ein menschliches Wesen ist Teil eines Ganzen, das wir [[Universum]] nennen, ein in Raum und [[Zeit]] begrenzter Teil. Es erfährt sich selbst, seine [[Gedanke]]n und [[Gefühl]]e als etwas von allem anderen Getrenntes - eine Art optische Täuschung seines [[Bewusstsein]]s. Diese Täuschung ist für uns eine Art Gefängnis, das uns auf unser persönliches Verlangen und unsere Zuneigung für einige wenige uns nahe stehenden Personen beschränkt. Unsere Aufgabe muss es sein, uns aus diesem Gefängnis zu befreien.”'' Albert Einstein


Dieses Zitat erklärt nicht nur den Irrtum der Dualität der Dinge, sondern stellt in diesem Zusammenhang auch unser Bewusstsein und unsere Wahrnehmung in Frage.<sup>56</sup> Es gibt zwei, sich grundlegend unterscheidende, Weltansichten in Bezug auf die Einheit bzw. die [[Trennung]] von [[Körper]] und [[Geist]], Subjekt und Objekt. Auf der einen Seite steht das kartesianische Paradigma, dessen Entstehung besonders durch die (natur-)wissenschaftlichen [[Fortschritt]]e nach dem Mittelalter begünstigt wurde. Der französische Philosoph René Descartes prägte den legendären Ausspruch [[„Cogito ergo sum”: “Ich denke, also bin ich!“]]. Auf der Suche nach der wahren Natur des Menschen lehnte er jegliche Körperlichkeit und sinnliche Erfahrungswelt ab (Zitat: „Jener Komplex von Gliedern, den man den menschlichen Leib nennt, bin ich nicht.“). Der Mensch sei, nach Descartes, vor allem durch seinen [[Verstand]] definiert. Subjekt und Objekt, Körper und Geist sind komplett voneinander getrennte Angelegenheiten, die in göttlicher [[Ordnung]] so geschaffen wurden.<sup>57</sup> Dieses Ideal des analytischen Denkens prägte auch lange danach die Naturwissenschaften, die mit der Annahme, dass alles in [[Raum]] und [[Zeit]] begrenzt sei und sich nach mechanischen Gesetzen bewege, unzählige Phänomene untersucht und erforscht, indem sie das Problem in seine Bestandteile zerlegt. Diese Denkweise leistete somit einen wichtigen Beitrag zum kritischen und analytischen Denken.
Dieses Zitat erklärt nicht nur den Irrtum der Dualität der Dinge, sondern stellt in diesem Zusammenhang auch unser Bewusstsein und unsere Wahrnehmung in Frage.<sup>56</sup> Es gibt zwei, sich grundlegend unterscheidende, Weltansichten in Bezug auf die Einheit bzw. die [[Trennung]] von [[Körper]] und [[Geist]], Subjekt und Objekt. Auf der einen Seite steht das kartesianische Paradigma, dessen Entstehung besonders durch die (natur-)wissenschaftlichen [[Fortschritt]]e nach dem Mittelalter begünstigt wurde. Der französische Philosoph René Descartes prägte den legendären Ausspruch ''„Cogito ergo sum”: “Ich denke, also bin ich!“''. Auf der Suche nach der wahren Natur des Menschen lehnte er jegliche Körperlichkeit und sinnliche Erfahrungswelt ab (Zitat: „Jener Komplex von Gliedern, den man den menschlichen Leib nennt, bin ich nicht.“). Der Mensch sei, nach Descartes, vor allem durch seinen [[Verstand]] definiert. Subjekt und Objekt, Körper und Geist sind komplett voneinander getrennte Angelegenheiten, die in göttlicher [[Ordnung]] so geschaffen wurden.<sup>57</sup> Dieses Ideal des analytischen Denkens prägte auch lange danach die Naturwissenschaften, die mit der Annahme, dass alles in [[Raum]] und [[Zeit]] begrenzt sei und sich nach mechanischen Gesetzen bewege, unzählige Phänomene untersucht und erforscht, indem sie das Problem in seine Bestandteile zerlegt. Diese Denkweise leistete somit einen wichtigen Beitrag zum kritischen und analytischen Denken.


Obwohl sich gerade in der Physik viele Phänomene mit Hilfe dieses Modells erklären lassen und es für den [[Alltag]] durchaus brauchbar bleibt, stößt es spätestens bei der modernen Atomphysik und der Relativitätstheorie an seine Grenzen. Seit dem 20. Jahrhundert sind einige Grundlagen der Physik revidiert worden:
Obwohl sich gerade in der Physik viele Phänomene mit Hilfe dieses Modells erklären lassen und es für den [[Alltag]] durchaus brauchbar bleibt, stößt es spätestens bei der modernen Atomphysik und der Relativitätstheorie an seine Grenzen. Seit dem 20. Jahrhundert sind einige Grundlagen der Physik revidiert worden:
Zeile 325: Zeile 325:
'''Die Auflösung des starren Körperkonzepts'''
'''Die Auflösung des starren Körperkonzepts'''


Diese quantenphysikalische Sicht der Welt findet sich bereits in Jahrtausend alten tantrischen Tra- ditionen und Hatha-Yoga Schulen59. Genauso wie eine “objektive Welt” als Illusion gilt (da immer alles Projektion des Indiviuums, auch “Ich-Person” genannt, ist), ist die Vorstellung des begrenzten und auf seine Materie (Fleisch, Knochen etc.) reduzierten Körpers ein Klischee. Der Körper erfährt in einem durch Meditation und/oder Entspannung veränderten Bewusstseinszustand eine neue Ener- giedimension und einen neuen, tiefen Raum. Kurz: das übliche begrenzte Körperkonzept wird durch Erfahrungen des Selbst als strömender Prozess, verbunden mit dem großen Ganzen, dem Universum, aufgelöst. Man gewinnt also durch Meditation und /oder Entspannung eine ganz neue Erfahrungsintensität und die Grenzen des Ichs verlieren ihre Starrheit.
Diese quantenphysikalische Sicht der [[Welt]] findet sich bereits in Jahrtausende alten [[Tantra|tantrischen]] Traditionen und [[Hatha Yoga]] Schulen.<sup>59</sup> Genauso wie eine “objektive Welt” als Illusion gilt (da immer alles [[Projektion]] des Indiviuums, auch “Ich-Person” genannt, ist), ist die Vorstellung des begrenzten und auf seine Materie ([[Fleisch]], Knochen etc.) reduzierten Körpers ein Klischee. Der Körper erfährt in einem durch [[Meditation]] und/oder [[Entspannung]] veränderten Bewusstseinszustand eine neue Energiedimension und einen neuen, tiefen Raum. Kurz: Das übliche begrenzte Körperkonzept wird durch [[Erfahrung]]en des [[Selbst]] als strömender Prozess, verbunden mit dem großen Ganzen, dem Universum, aufgelöst. Man gewinnt also durch Meditation und/oder Entspannung eine ganz neue Erfahrungsintensität und die Grenzen des Ichs verlieren ihre Starrheit.
Die moderne Physik sowie auch der Yoga stellen diese dynamische Weltsicht (das Universum mit- einbezogen) und grenzenlose Körperwahrnehmung im Bild des kosmischen Tanzes dar. Im Yoga repräsentiert die Gottheit Shiva (Zerstörer- bzw. Transformatorgott) in der Gestalt des Tänzers (im Sanskrit: Nata-Râja) als Meister über Raum und Zeit dieses Phänomen: er tanzt die Rhythmen des Universums. Fritjof Capra übernimmt diesen Gedanken in seinem Klassiker “Das Tao der Physik”, indem er Bewegung und Rhythmus als wesentliche Eigenschaften der Materie benennt, die wieder- um selbst in jeglicher Erscheinungsform an einem ständigen kosmischen Tanz teilnimmt. Es geht hier also um ein intuitives Wahrnehmen und Verstehen der Natur, die durch bloßes kognitives und analytisches Vorgehen allein nicht vollständig zu begreifen ist. Die dynamische Weltsicht bringt also auch eine völlig neue Haltung gegenüber dem menschlichen Körper und der allgemeinen menschlichen Existenz mit sich.
 
Die moderne Physik sowie auch der Yoga stellen diese dynamische Weltsicht (das Universum miteinbezogen) und grenzenlose Körperwahrnehmung im Bild des kosmischen Tanzes dar. Im Yoga repräsentiert die Gottheit [[Shiva]] (Gott der Zerstörung bzw. der Transformation) in der Gestalt des Tänzers (im [[Sanskrit]]: [[Nataraja]]) als [[Meister]] über Raum und Zeit dieses Phänomen: er tanzt die Rhythmen des Universums. Fritjof Capra übernimmt diesen [[Gedanke]]n in seinem Klassiker “Das [[Tao]] der Physik”, indem er Bewegung und Rhythmus als wesentliche Eigenschaften der [[Materie]] benennt, die wiederum selbst in jeglicher Erscheinungsform an einem ständigen kosmischen Tanz teilnimmt. Es geht hier also um ein intuitives Wahrnehmen und Verstehen der Natur, die durch bloßes kognitives und analytisches Vorgehen allein nicht vollständig zu begreifen ist. Die dynamische Weltsicht bringt also auch eine völlig neue Haltung gegenüber dem menschlichen Körper und der allgemeinen menschlichen Existenz mit sich.


==Siehe auch==
==Siehe auch==

Version vom 11. Februar 2014, 17:45 Uhr

Shakti-Ebene offen.jpg

Bei der nachfolgenden Arbeit des Bereichs "Allgemeine Pädagogik" handelt es sich um die Diplomarbeit von Helena Feldmeier-Vogel, vorgelegt im WS 2009/2010 an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg; betreuende Dozenten: Prof. Dr. Wolfgang Knörzer und Dr. Helmut Wehr.


Yoga als Ressource für ein ge-glück-tes Leben

Körpererfahrung und mentales Training zur ganzheitlichen Persönlichkeitsförderung und zum individuellen Wohlbefinden

“Lokah Samastah Sukhino Bhavanthu1

Übersetzung: Mögen alle Wesen Glück und Harmonie erreichen / erfahren.


Vorwort

Die Idee zu dieser Arbeit reifte gemeinsam mit Prof. Dr. Wolfgang Knörzer, der sich selbst seit vielen Jahren mit dem Thema Körpererfahrung und Selbstmanagement beschäftigt. An dieser Stelle möchte ich den beiden betreuenden Dozenten, Wolfgang Knörzer und Helmut Wehr, danken, dass sie mich vor allem bei der bürokratischen Durchsetzung des Themas und der Frage der Betreuungszuständigkeit unterstützt haben. Die Diplomarbeit wäre sonst in dieser Form nicht möglich gewesen.

Die vorliegende Arbeit profitiert von meiner eigenen Yogapraxis und meiner Erfahrung als Yogalehrerin. Alle beschriebenen Phänomene und Methoden im Zusammenhang mit Yoga habe ich selbst erlebt und bereits an viele Schüler weitergeben können. Aufgrund meiner Wahrnehmungen und Beobachtungen bin ich nach wie vor überwältigt vom Potential des Yoga in Bezug auf Wohlbefinden, psychische und physische Gesundheit, Glück, Freude, Fähigkeiten zur Selbstregulation, Harmonie- und Balancefähigkeit. Yoga bietet auch für Menschen in der heutigen Gesellschaft alles, was sie brauchten, um sich körperlich und geistig wohl zu fühlen und das Leben selbstbestimmt genießen zu können.

So ganzheitlich wie ich selbst Yoga erlebe und lehre, soll auch diese Arbeit sein. Yoga ist für mich nicht auf Stressmanagement, Fitnessaspekte oder Bewusstseinsschulung zu reduzieren. Körpererfahrungen in Form von Yoga-Asanas und Atemübungen (Pranayama), sowie auch mentales Training durch Meditation, positives Denken und Affirmationen können den Menschen ganzheitlich ansprechen und dazu beitragen, seine Grundbedürfnisse1a zu befriedigen. Der Körper und die mentale Achtsamkeit sind Ressourcen2, die jedem Menschen zugängig sind und die die Lebensqualität und Lebensfreude erheblich steigern können.


Einleitung

Körpererfahrung und mentales Training für ein ge-glück-tes Leben!

Problemstellung

Die Annahme, dass der Mensch einen Verstand hat, der ihn wie ein Autopilot steuert und der sein Wesen grundlegend definiert, ist mittlerweile überholt. Die Vorstellung von einer tiefen und untrennbar verwobenen Einheit von Körper, Geist und Seele ist jedoch keineswegs eine Erfindung unserer Zeit, denn es gab sie bereits vor Jahrtausenden in den Anfängen und Wurzeln des Yoga und in vielen anderen östlichen Lehren und Traditionen (z.B.: im Buddhismus und im Daoismus). Das Zusammenspiel und die Wechselwirkung der Einheit von Körper und Geist hat einen großen Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen. Selbst an vermeintlich rein kognitiven Prozessen, wie Entscheidungsfindung, ist der Körper beteiligt3. Trotzdem wurde in der Wissenschaft bisher meist der Intellekt und der Geist, also kognitive Prozesse, berücksichtigt und der Körper wurde oft vernachlässigt oder manchmal sogar als unsittlich abgewertet4. Dabei haben bewusste, achtsame Körpererfahrungen großen Einfluss auf unsere geistige und körperliche Gesundheit und unser Wohlbefinden. Sie vermitteln uns unter anderem eine gesteigerte Sensibilität der eigenen Befindlichkeit bzw. Bedürfnisse bis hin zu einem allgemein gesünderen Lebensstil. Wer sich in Einheit mit sich und seiner Umwelt fühlt, ist nicht nur gesünder, sondern auch glücklicher. Glück hat also durchaus körperliche Aspekte: wir können es als Körpergefühl spüren und unser Körper kann uns Glücksmomente bescheren.

Die Forschungsergebnisse der Embodiment-Theorie5, der Yoga Tradition und der Neurobiologie definieren Körper und Geist als eine unzertrennliche Einheit, die so miteinander verwoben sind, dass jeder Prozess im Menschen von beiden Teilen beeinflusst wird. Der Mensch ist also weder nur sein Körper, noch reiner Geist. Forschungen und Studien der Neurowissenschaften belegen diese These: das Denken, der Verstand alleine, ist kein geeignetes Instrument, um sich damit in der Welt zurecht zu finden, denn er versagt oft, wenn es darum geht, komplexe Zusammenhänge zu erkennen oder sinnvolle Entscheidungen zu treffen, die das alltägliche (Über-)Leben ermöglichen. Im alltäglichen Sprachgebrauch nennt man diese Intuition auch Bauchgefühl. Empfindungen und körperliche Erfahrungen sind sogar unbedingt notwendig, damit der Mensch nicht (psychisch) krank wird und ein zufriedenes, glückliches Leben führen kann6.

Es gibt bereits viele verschiedene Studien7, die nachweisen, inwiefern Yoga die Heilung oder Besserung gesundheitlicher Beschwerden im physischen und psychischen Bereich unterstützt. Yoga wirkt aber auch präventiv - unabhängig davon, ob es sich um Korrekturen von Fehlstellungen des menschlichen Körpers, die Verbesserung der emotionalen Grundverfassung oder um Stressbewältigung handelt. Nicht nur in Bezug auf die genannten Wirkungen kann Yoga unsere Lebensqualität entscheidend verbessern. Yoga kann uns dazu veranlassen, unsere Lebensgewohnheiten grundlegend zu verändern: aufgrund einer verbesserten (Selbst-)Wahrnehmung durch die bewussten Körperübungen (Asanas), die Atemübungen (Pranayama) und die Bewusstseinsschulung in der Meditation kann man besser spüren und erkennen: "Was tut mir gut oder was schadet mir?!" Jede Form der Befindlichkeitsstörung frühzeitig wahrzunehmen und mit einer entsprechenden Veränderung der Lebensweise entgegen zusteuern ist zudem ein entscheidendes Kriterium nachhaltiger Gesundheitsbildung und -förderung8! In der sensibilisierten (Selbst-)Wahrnehmung gründen auch Harmonie- und Balancefähigkeit, eine grundlegend positivere Einstellung zu sich selbst und das Vermögen, selbst sein eigener Lehrer sein zu können. Das alles sind weitere wichtige Faktoren, die zu einem ge-glück-ten Leben beitragen.


Zielsetzung

Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, einen Beitrag zur ganzheitlichen9 Persönlichkeitsförderung und -entfaltung zu leisten und den möglichen Einfluß von Yoga zu beschreiben, zu begründen und mit Hilfe von Fragebögen zu dokumentieren. Dafür werde ich Methoden auf körperlicher und geistiger Ebene aus dem Yoga und anderen Übungskonzepten vorstellen, die Menschen dazu befähigen, ihr Wohlbefinden10 positiv zu beeinflussen bzw. herzustellen und ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten.

Gesundheit, Erfüllung und Lebensfreude können durch achtsame Körperarbeit und mentales Training aktiv mitgestaltet und beeinflusst werden. Yoga vereint Körpererfahrung und mentales Training in Form von Meditation, wodurch man nicht nur den Alltag besser und gelassener bewältigen, sondern sich selbst auch besser kennen und lieben lernen kann. Das hat auch positive Folgen für die (Selbst-)Wahrnehmung, die Lebensgewohnheiten und den Umgang mit den Mitmenschen. Yoga hilft, mit den eigenen Emotionen und denen anderer umzugehen.Yoga kann außerdem an sich eine sehr freudvolle, erfüllende Erfahrung im Sinne des "Flow"-Erlebens darstellen.

Ein gewisses Hintergrundwissen in Bezug auf Körpererfahrung und -wahrnehmung (siehe 2.3), die Einheit von Körper und Geist (siehe 1.5.) und mentalem Training (siehe 3.) ist notwendig, um zu verstehen, warum gerade Yoga ein besonders geeigneter Übungsweg zu einem physisch und psychisch gesunden, zufriedenen und ausgeglichenen Leben ist, das viele unserer psychischen Grundbedürfnisse (siehe 1.3) befriedigt.

Ich möchte darlegen, inwiefern Yoga durch Körpererfahrung (dazu gehören Körperübungen, die sogenannten Asanas und Atemübungen, das Pranayama) und Meditation einen Beitrag dazu leisten kann, die Lebensqualität und Lebensfreude zu steigern. Der Fokus liegt dabei auf der Verbesserung bzw. Herstellung der nachfolgenden Kriterien, die jeweils in den entsprechenden Kapiteln der Arbeit noch genauer definiert werden.

  • Sensibilisierung/Achtsamkeit: die Körperwahrnehmung, und gesteigertes Körperbewusstsein (siehe 2.3.)
  • Harmonie- und Balancefähigkeit11 (siehe 2.3)
  • das Selbstkonzept (siehe 1.3.: Das Selbstwertgefühl und das Schulfach Glück)
  • veränderte Lebensgewohnheiten/ ein positiverer Lebensstil (siehe 2.3)
  • freudvolle Erfahrungen (Flow-Erlebnisse) beim Yoga (siehe 2.4.)

Mit Hilfe anthropologischer (siehe 1.5.), psychologischer (siehe 1.2.-1.3.) und therapeutischer bzw. praktischer (siehe 2.4.- 5. und 3.3.- 4.) Modelle versuche ich darüber hinaus diese bekannten Vorzüge von Yoga wissenschaftlich zu untermauern.


Aufbau der Arbeit

Zunächst möchte ich an dieser Stelle einen groben Überblick über die einzelnen Kapitel und deren Inhalte geben.

Im ersten Kapitel möchte ich die Grundlagen dieser Arbeit mit Hilfe theoretischer Modelle darlegen. Dazu gehören neben der Yoga Tradition und den anthropologischen Grundlagen (die ganz- heitliche Weltsicht und das Zusammenspiel von Körper und Geist) philosophische und psycholo- gische (die psychischen Grundbedürfnisse des Menschen und der Ressourcenbegriff) Erkenntnisse und Modelle, die ebenso den Begriff Glück genauer beleuchten.

Das zweite Kapitel stellt nicht nur den Bezug zwischen Körpererfahrung und Glück her, sondern vermittelt zudem wichtige Grundannahmen, in Bezug auf einen ganzheitlichen Gesundheitsbegriff und den Zusammenhang zwischen Gesundheit bzw. Wohlbefinden und Glück. Darüber hinaus möchte ich die psychologischen Aspekte von Körpererfahrung und die Rolle des Körpers in selbstregulativen Prozessen12 in Beziehung zu einem glücklichen und zufriedenen Leben setzen.

Im dritten Kapitel geht es um die Glücksmöglichkeiten, die mentales Training bzw. Meditation bie ten. Desweiteren stelle ich ein aktuelles Praxismodell zur Steuerung mentaler Prozesse vor und verdeutliche anschließend dessen Parallelen zum Yoga. Abgerundet wird das Kapitel durch die aktuellsten Erkenntnisse zum mentalen Selbstmanagement aus der Psychologie.

Das vierte Kapitel beinhaltet eine kleine Studie in Form einer Befragung 39 Yogis13 zur Verfizierung der Wirksamkeit des Yoga in Bezug auf ein glückliches, zufriedenes und selbstbestimmtes Leben. Die Hypothesen und der verwendete Fragebogen sind dazu in drei Sinnabschnitte (Gesundheit/ Wohlbefinden, Glück und Selbstmanagement) gegliedert und laufen in der Frage nach der generellen Verbesserung der Lebensqualität durch Yoga zusammen. Das Fazit der Studienergebnisse wird durch eine kritische Perspektive ergänzt und mit einem Ausblick abgeschlossen.

Grundlagen

Die Yoga Tradition

Definition

Yoga ist ein uraltes, ganzheitliches Übungssystem aus Indien, das sich über die Jahrtausende immer weiter entwickelt hat und sich den Bedürfnissen der Menschen angepasst hat. Yoga ist in seiner reinen und klassischen Form nicht religiös, sondern beschäftigt sich mit universaler Spiritualität. Man könnte es genauso wie die Psychologie als neutrale Wissenschaft zur Ergründung des Geistes und der Psyche verstehen. Ursprünglich war Yoga ein rein spiritueller Weg, der durch Meditation die Erleuchtung und Befreiung versprach. Die körperliche Seite des Yoga, die in der westlichen Welt besonders betont wird, entwickelte sich jedoch erst später mit der Entstehung des Hatha Yoga. In den ältesten yogischen Schriften, den Veden, wird Yoga als Praxis disziplinierter Innenschau oder meditativer Konzentration, die mit Opferritualen verbunden waren, dargestellt. Heute umfasst Yoga eine Reihe geistiger (Meditation und Konzentrationstechniken, Verhaltensregeln) und körperlicher Übungen (Körperübungen: Asanas, Atemübungen: Pranayama), die Körper, Geist und Seele harmonisieren.

Yoga lässt sich jedoch nicht als homogenes System darstellen, denn es gibt eine Vielzahl yogischer Pfade und Orientierungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten und theoretischen Bezugsrahmen. Alle Richtungen haben jedoch eines gemeinsam: sie beschäftigen sich mit einem Seins- bzw. Bewusstseinszustand jenseits des alltäglichen Zustandes und verstehen sich als Weg zur Transzendenz oder Transformation des Ich. Es geht darum, eine innere Freiheit zu erlangen und unabhängig von äußeren Einflüssen zu werden14. Anna Trökes formuliert es in ihrem Standardwerk zum Yoga besonders treffend: „Yoga will die Menschen in einen Zustand führen, der sie unabhängig, handlungsfähig und so frei wie möglich macht. Ein Anliegen, das nie an Aktualität eingebüßt hat15.“

Im engeren Sinn steht der Begriff Yoga für das System des klassischen Yoga nach Patanjali, der Theorien und Praktiken in seinen Yoga Sutras16 beschreibt, welches heute noch als essentielles Grundlagenwerk praktizierender Yogis gilt. Auch Patanjali definiert in einigen Sutren den Begriff Yoga:

“yogas chitta vritti nirodha. Thada dratsu swarupe vastham.” (Yoga Sutras 1.2. und 1.3.) Übersetzt bedeutet dies: “Yoga ist das zur Ruhe bringen der Bewegungen des Geistes. Dann ruht der Wahrnehmende in seiner wahren Natur.”

Der Begriff Yoga kommt von der Wortwurzel yuja im Sinne von Konzentration17. Die indogermanische Wortwurzel yuj bedeutet “anschirren, zusammenführen oder vereinigen von Pferden vor einem Wagen”. Im Yoga werden die Sinne wie wilde Pferde gezügelt und vor einen Wagen gespannt, der als Sinnbild für den menschlichen Körper dient. Der Wagenlenker ist unser Geist, der bestimmt, wohin Körper und Seele fahren. Moderne Indologen verwenden deshalb gerne die Übersetzung „Gespann“ für den Begriff Yoga18.


Geschichte

Zu den wichtigsten Schriften des Yoga gehören die Veden, deren ältester Teil der Rig Veda ist; sie sind etwa im 3. Jahrtausend v. Chr. entstanden. Einige Teile wurden vermutlich schon im 4. und 5. Jahrtausend v. Chr. verfasst. Zu dieser Zeit siedelten entlang der Flüsse Sarasvati und Indus Sanskrit sprechende Arier19, die später weiter nach Osten Richtung Ganges zogen. Entgegen vieler früherer Vermutungen wurde der Yoga also nicht von fremden Invasoren in die Region des heutigen Indiens gebracht20.

Die früheren Praktiken des Yoga, so weiß man es aus den Veden, beinhalteten viele aufwendige Rituale und Opferhandlungen, die später durch symbolische Opfer ersetzt wurden. Brachte man früher Tiere, Reis oder Blumen dar, geht es heute eher um Verzicht oder um Stille im Geist. Unterstützt wird diese These durch Reflexionen in den Upanishaden (altindische, philosophische und religiöse Texte, etwa 800 v. Chr. verfasst), die in Gesprächen zwischen Meister und Schüler über existentielle Fragen der Menschheit nachdenken. Die Weisheiten des Yoga wurden früher mündlich von Lehrer zu Schüler weitergegeben. Nach den Upanishaden sind Gott und die Schöpfung identisch, wodurch Opfer und Rituale überflüssig werden, denn Alles ist Eins! Der Fokus liegt mehr darauf, Selbsterkenntnis zu erlangen, indem man das unsterbliche Selbst (Atman) in sich entdeckt. Eine Besonderheit des Yoga war damals die freie Zugänglichkeit für jeden. Jeder der Yoga praktizieren wollte, konnte dies ohne fremde Hilfe selbstständig tun, denn die Menschen waren für ihre Yogapraxis nicht mehr auf Priester angewiesen, die ihnen religiöses Wissen vermittelten oder Rituale zugänglich machten. Das Weltbild des Yoga unterstützt ebenfalls die Selbstständigkeit und Eigenverantwortung des Einzelnen: Jeder kann Gott in seinem Inneren finden und somit sein Leben selbst in die Hand nehmen.

In der vorklassischen Periode (1000 -100 v. Chr.) entstand das philosophische Heldenepos „Mahabharata“, das in einem Teil das früheste komplette Werk über den Yoga enthält. In einem Dialog zwischen Gott Krishna (Meister) und Krieger Arjuna (Schüler) werden drei Yogawege erklärt, die den Menschen mit ihren individuellen Charakteren in ihren unterschiedlichen Lebenssituationen helfen, ihren Umständen gerecht zu werden und das Beste aus ihrem Leben zu machen. Dabei geht es darum, seine Lebenssituation anzunehmen und bestmöglich zu handeln, was auch als „Geschicklichkeit im Handeln“ bezeichnet wird. Die drei Yogawege gliedern sich in einen Weg des aktiven Handelns (Karma Yoga), in einen Weg der Erkenntnis über den Intellekt (Jnana Yoga) und in die Hingabe und Liebe (Bhakti Yoga)21.

Der nachfolgenden Zeit, der Klassischen Periode (100 v. Chr. -500 n. Chr.), entstammt eines der bedeutendsten Werke des Yoga: die Yoga Sutras des Patanjali. Mit diesem Werk begründet der Weise Patanjali, über dessen Existenz es keine gesicherten Nachweise gibt, systematisch die Wissenschaft des Yoga, welche bis heute gültig ist. Patanjali beschreibt einen achtgliedrigen Pfad, der nach wie vor die Basis des Raja Yoga (Königsyoga) bildet.

Unter dem Einfluss der Tantriker ab 500 n. Chr., die alles als Ausdruck des Göttlichen sahen, änderte sich die Wertschätzung des menschlichen Körpers entscheidend. Der Körper, der früher als hinderlich und zu bezwingendes Übel betrachtet wurde und der Kommandozentrale Geist unterstand bekam plötzlich eine neue Bedeutung. Im 8. Jahrhundert n. Chr. entwickelte sich dann auf der Grundlage des Tantrismus der körperorientierte Hatha Yoga22.

Ab dem 15. Jahrhundert n. Chr. verliert der Yoga immer mehr an Bedeutung, bis er im 20. Jahrhundert eine ungeahnte Wiederbelebung erfährt: Die kolonialisierten Inder besinnen sich zurück auf ihre eigenen kulturellen Wurzeln und mit Hilfe einiger Indologen und Religionswissenschaftler werden wichtige Grundlagenwerke des Yoga an die Öffentlichkeit gebracht.

Im Westen gibt es Hatha Yoga seit den 1930er Jahren, wobei er erst seit den 1960er Jahren richtig populär wurde, unterstützt durch einige bekannte Anhänger wie beispielsweise den Schweizer Psychoanalytiker Carl Gustav Jung oder den Dirigent und Violinvirtuosen Yehudi Menuhin. Bis heute wird Yoga im Westen oft aus der körperorientierter Perspektive gesehen und geübt, wobei die spirituelle Entwicklung dabei meist gänzlich in den Hintergrund rückt. Aspekte der Selbstverwirklichung und der Spiritualität setzen sich jedoch seit den späten 1990er Jahren wieder stärker durch. Es gibt mittlerweile neben den klassischen vier Yogawegen unzählige Unterformen, die hauptsächlich dem Hatha Yoga zuzuordnen sind23.


Die vier traditionellen Yogawege auf einen Blick24


Karma Yoga:

Karma Yoga wird als Yoga der Tat bezeichnet und sieht den Sinn des Lebens im selbstlosen Dienen. Indem man seine Lebensumstände annimmt und sein Schicksal als Chance begreift, handelt man im Sinne des Karma Yoga. Die wichtigste Schrift des Karma Yoga ist die Bhagavad Gita, die Hinweise zum richtigen Handeln und Entscheiden im täglichen Leben gibt und dabei hilfreich ist, spirituelle Werte im Alltag zu integrieren und zu leben.

Übersetzt bedeutet das Wort “Karma” Handlung, Produkt, Arbeit oder Wirkung. Im Karma Yoga geht es darum, Freiheit im Handeln zu erlangen und alle egoistischen Motivationen aufzulösen. Ideal ist es, wenn das Handeln nicht mehr durch das Ego getrieben wird und das selbstlos getan wird, was getan werden muss. Wir opfern durch dieses egofreie Handeln unser Ich. Grundannahme des Karma Yoga ist, dass man nicht Nicht-Handeln kann, aber genau deshalb handelt man auch, indem man nicht handelt. Einer der bekanntesten Karma Yogis war der gewaltfreie Widerstandskämpfer Mahatma Gandhi. Er übernahm Verantwortung für sich und ein ganzes Volk und diente selbstlos und ohne Groll, um seine Pflicht zu erfüllen.


Bhakti Yoga:

Bhakti Yoga ist der Yoga der Liebe und Hingabe (zum Göttlichen). Durch verschiedene Praktiken wie Gebete, Mantra Singen, Rituale und das Erzählen von Mythen und Heiligengeschichten soll das Herz geöffnet werden, damit der Übende in Kontakt mit dem Göttlichen gelangen kann. “Bhakti” bedeutet “in Gott sein” und ist höchste selbstlose Liebe zu Gott.


Jnana Yoga:

Jnana Yoga wird als philosophischer Teil des Yogas oder Yoga des Wissens betrachtet. Genau wie die Philosophie stellt er Fragen wie: Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Was ist der Sinn des Lebens? Was ist wirklich? Was ist Glück?

Jnana Yoga gliedert sich als Weg der Erkenntnis in vier Stufen:

  • Die erste Stufe umfasst das Hören bzw. Lesen von Weisheit;
  • die zweite Stufe das Nachdenken darüber (und eventuell diskutieren);
  • der dritte Schritt beinhaltet das Meditieren, um über das intellektuell Erfassbare hinauszugehen und es intuitiv begreifen zu können.
  • Der vierte und letzte Schritt besteht darin, die Wahrheit vollständig zu erkennen und sie zu verwirklichen.

Die meisten Schriften im Jnana Yoga sind in Dialogform, Gespräche zwischen Meister und Schüler, verfasst. Es geht darum, zwischen Realem und Nicht-Realem unterscheiden zu lernen, um so zur Erfahrung des höheren Selbst zu gelangen. Mit Hilfe der nondualistischen25 Vedanta-Philosophie lernt der praktizierende Jnana Yogi, dass Brahman (das Göttliche) die unendliche, ewige und somit höchste Wirklichkeit ist und jedes Individuum eins mit ihm ist. Die Welt ist nichts als trügerischer Schein und nur Brahman ist die Quelle von Weisheit und Glückseligkeit.


Raja Yoga :

Dieser Yogaweg ist der jüngste unter den vier traditionellen Yogawegen und wird seit dem 16. Jahrhundert vermehrt praktiziert. Der Raja Yoga wird auch Königsyoga genannt und befasst sich vor allem mit der Schulung und Konzentration des Geistes und mit dem Ziel der meditativen Selbsterforschung. Dazu gehören Techniken des mentalen Trainings und der Meditation. Übungstechniken des Raja Yoga umfassen Affirmationen (z.B. “Ich bin geduldig”), Visualisierungen (Techniken zur geistigen Vorstellung von gewünschten Zuständen), Achtsamkeit, Selbstbeobachtung und verschiedene Meditationstechniken.

Der Raja Yoga stützt sich auf die Yoga Sutras des Patanjali, der in einem achtgliedrigen Pfad (Ashtanga Marga) die Funktionsweise des Geistes beschreibt, die Ursachen von Leid erklärt und wie man künftiges Leid vermeiden kann. Es ist deshalb so wichtig zu wissen, wie der Geist beschaffen ist, da das gesamte menschliche Handeln durch den Zustand des Geistes bestimmt wird. Nur ein klarer Geist lässt ein erfolgreiches und konzentriertes Handeln zu. Im Alltag beschäftigt sich der Geist jedoch oft mit bereits Vergangenem oder Zukünftigem und ist mit seiner Aufmerksamkeit nicht in der Gegenwart, sondern zerstreut und abgelenkt. Ein weiterer wichtiger Punkt, den Patanjali anspricht, sind die Hindernisse für mehr Klarheit und Ruhe, die sogenannten Kleshas. Dazu gehört die falsche Einschätzung der eigenen Person; das Verlangen, etwas haben zu wollen; Abneigung oder Abwehr (etwas vermeiden wollen); Ängste und falsches Wissen. Die menschliche Wahrnehmung ist nie objektiv, sondern immer von Wünschen, Projektionen, Ängsten etc. geprägt.

Jede der acht Stufen des Yogaweges baut auf der anderen auf. Die ersten beiden Stufen beinhalten Verhaltensregeln, die das tägliche Leben erleichtern sollen. Sie geben Richtlinien, wie man sich anderen gegenüber verhalten soll und welche Werte für jeden Einzelnen gelten sollten. Es muss also mit der ersten Stufe (Yama) begonnen werden, die Vorschläge für das Handeln in der Welt und den Umgang mit anderen Menschen enthält. Man soll gewaltfrei, liebevoll, offen und wahrhaftig gegenüber seinen Mitmenschen sein.

Die zweite Stufe (Niyama) beinhaltet Ratschläge, die man selbst umsetzen muss: dazu gehören Qualitäten wie Zufriedenheit, Selbstreflexion, körperliche und geistige Reinheit, Vertrauen und stetiges Bemühen.

Die dritte und vierte Stufe sind äußerliche Körperübungen, die Körperstellungen (Asanas) und Atemkontrolle (Pranayama). Die Asanas helfen den Menschen, sich zu sammeln und zu zentrieren. Patanjali beschreibt auch genau, welche Qualität eine Asana haben soll: sie soll stabil und gleichzeitig leicht (Anm.: unverkrampft) sein. Die Regulierung des Atems hilft, Zugang zu den eigenen Gefühlen zu bekommen und den Geist zu klären bzw. zu beruhigen. Diese ersten vier Stufen sind für die meisten Menschen gut zugänglich und zudem gut geeignet, um die eigenen Ressourcen zu aktivieren und diese nutzen zu können. Der Beitrag von Asanas und Pranayama liegt hierbei deutlich auf der Hand, denn sie verhelfen direkt zu mehr Klarheit und innerer Zentrierung. (Mehr dazu in den folgenden Kapiteln.)

Die nächsten vier Stufen sind anspruchsvollere geistige Übungen, die damit beginnen, die Sinne in die innere Mitte des Menschen zurückzuziehen (5.Stufe: Pratyahara), langsam die Konzentration zu steigern (6.Stufe: Dharana) bis man völlig selbstvergessen und mühelos in der Meditation (7.Stufe: Dhyana) sitzen kann. Die letzte Stufe des achtgliedrigen Pfades ist Samadhi und beschreibt den Zustand der vollständigen inneren Freiheit. In Samadhi verschmilzt das, was man tut und empfindet und man fühlt die Einheit zwischen sich und der Welt. Dieser letzte Zustand wird auch Befreiung oder Erleuchtung genannt und nur von sehr wenigen Menschen erreicht. Auch wenn man demnach auf dem Yogapfad kaum Aussicht auf diese vollkommene Erlösung hat, lohnt es sich, die innere Sammlung der Stufen 5 bis 7 zur Schulung des Geistes zu üben, um dem Glück ein Stück näher zu kommen. Die mentalen Prozesse im Yoga und deren Auswirkungen auf die Lebensqualität erkläre ich ausführlich im dritten Kapitel.


Hatha Yoga:

Hatha Yoga entwickelte sich im Mittelalter und ist der wohl im Westen bekannteste Yoga, wobei er häufig auf seine körperliche Komponente reduziert wird. Es gibt zwar viele praktische und körperliche Übungen im Hatha Yoga wie Yogastellungen (Asanas), Atemübungen (Pranayama), Tiefenentspannungstechniken, Ratschläge für eine gesunde Lebensführung und Ernährung, die jedoch alle einem höheren, spirituellen Ziel dienen: das Transzendieren des Ich, des Selbst und die Verwirklichung des Göttlichen. Hatha Yoga ist eine Unterform des Raja Yoga und soll den Menschen zum Raja Yoga befähigen und vorbereiten. “Hatha” bedeutet übersetzt soviel wie Anstrengung. Die Silbe “Ha” bedeutet Sonne (wärmende, aktivierende Energie), “Tha” bedeutet Mond (kühlende, aufbauende Energie), was im übertragenen Sinn so gedeutet werden kann, dass Hatha Yoga die Vereinigung und Harmonisierung der beiden Energien darstellt. Der Yogi sorgt für sich und seine Gesundheit verantwortungsvoll. Der Körper ist der Tempel der Seele und wird dementsprechend gepflegt. Der Mensch wird jedoch nicht nur auf den physischen Körper reduziert, sondern als Ganzes betrachtet: als Einheit von Geist, Körper und Seele. Neben den körperorientierten Übungen werden auch positives Denken und intensive Meditation geübt.


Kundalini Yoga:

Kundalini Yoga ist auch eine Unterform von Raja Yoga und dient der Energieerweckung. Kundalini Yoga ist ein Teil des Tantra und wird deshalb auch oft weißer Tantra genannt. Zum weißen Tantra gehören Praktiken zur Reinigung des Astralkörpers und zur Erweckung der Schlangenenergie (Kundalini). Es gibt fünf Zweige des Kundalini Yoga:

  • Mantra Yoga: Durch Klangenergien in Worten oder Buchstaben werden Energiekanäle (Nadis) und Energiezentren (Chakras) angesprochen.
  • Nada Yoga: Klangenergien in Form von Noten und Musikinstrumenten wirken auf den Menschen.
  • Yantra Yoga: Mit Hilfe von Konzentration auf geometrische Formen und Figuren, Farben und Symbole werden Energien geweckt.
  • Laya Yoga: Im Yoga der Auflösung werden grobstoffliche Energien durch Meditation transformiert und als göttliche Energie wahrgenommen.
  • Hatha Yoga: Praktiken, die den Körper vorbereiten. (siehe Hatha Yoga)


Glück - Philosophische Aspekte und Phänomenologie

Glück hängt sehr eng mit Gesundheit und Wohlbefinden, sowie auch mit Körpererfahrung und Wahrnehmung zusammen. Bevor ich jedoch im Laufe dieser Arbeit die genauen Zusammenhänge und Parallelen zwischen den einzelnen Begriffen verdeutlichen werde, möchte ich einen kleinen Exkurs wagen, um den komplexen Begriff des Glücks näher zu beleuchten.

Das Thema Glück beschäftigt die Menschen seit jeher. Philosophen jeder Epoche sinnierten über das Glück, angefangen von Aristoteles bis zu Kant und Marx. Aristoteles zum Beispiel beschreibt das Glück als höchstes Gut (im Gebiete des Handelns) und als Ziel der Staatskunst26. Somit wird deutlich: Jeder Mensch strebt danach, glücklich zu sein. Dieses Streben nach Glück (the pursuit of happiness) ist sogar als Grundrecht eines jeden Amerikaners in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung verankert.

Die tiefe intrinsische Motivation zur Suche nach dem persönlichen Glück ist das einzige Ziel, das der Mensch um seiner selbst Willen anstrebt. Geld, Macht und Gesundheit sowie viele andere Ziele verfolgen die Menschen lediglich deshalb, weil sie denken, es mache sie glücklich.27 Glücklich sein ist ein Wunsch, der jedoch nicht mit bloßem Willen erreicht werden kann. Nicht umsonst findet man unzählige, unterschiedlichste Literatur zu dem Schlagwort “Glück”.28 Glück scheint außerdem nicht gleich Glück zu sein - es gibt demnach verschiedene Gestalten des Glücks. Gibt es also irgendeinen gemeinsamen Nenner, einen kleinsten gemeinsamen Teiler sozusagen, der in Bezug auf Glück (für alle Menschen) gültig ist?

Um die Komplexität des Begriffes Glück zu verdeutlichen, möchte ich einige Zitate und Definitionen vorstellen:


  • “Als Glückseligkeit gilt ihnen gut leben und sich gut gehaben mit glückselig sein als eins. Was aber die Glückseligkeit sein soll, darüber entzweit man sich und die Menge erklärt sie ganz anders als die Weisen. Die einen erklären sie für etwas Greifbares wie Lust, Reichtum und Ehre, andere für etwas anderes, mitunter auch dieselben Leute bald für dies, bald für das: der Kranke für Gesundheit, der Notleidende für Reichtum...”
(Aristoteles, Nikomachische Ethik, I. Eudämonie)


  • “Glück ist der Grad, in dem ein Mensch die allgemeine Qualität seines gegenwärtigen Lebens insgesamt positiv bewertet. Die Person mag also das Leben, das sie führt.”

(Definition aus der Soziologie)29


  • Mit Glück meinen wir jenen Zustand, in dem uns unmittelbare Freude möglich scheint.”
(André Comte- Sponville)


  • “Glück ist ein tief empfundenes Gefühl - ein Wohlbefinden, beruhend auf innerem Reichtum und Überfluss, entsprungen aus einem gesunden Geist. Dieses Gefühl ist ein nicht zu übertreffender Seinszustand und nicht einfach nur ein flüchtige Emotion. Glück beinhaltet aber auch, die Welt auf eine bestimmte Art und Weise deuten zu können.”
(Matthieu Ricard)30


  • “Glück ist das Gesamtkonstrukt einzelner Glücksbausteine, die nicht isoliert, sondern nur als Einheit ein lust- und freudvolles Leben ermöglichen.”
(Fritz Ernst-Schubert: Schulfach Glück)


Eine Gemeinsamkeit aller Glücksdefinitionen, unabhängig, ob es sich um dauerhaftes Glück oder um kleine Momente der Freude oder des Vergnügens handelt, ist die Abwesenheit von Konflikten. Der Mensch fühlt sich in Momenten des Glücks mit sich und seiner Umwelt im Einklang und kümmert sich um nichts anderes als den gegenwärtigen Augenblick31. Die Stimmigkeit und Harmonie, die wir beim Flow-Erleben durch das Präsentsein im Augenblick erfahren, passt übrigens hervorragend zur sprachlichen Wurzel des Wortes Glück.32 Das Wort “Gelücke” aus dem Mittelhochdeutschen bedeutet ursprünglich, dass ein Topf genau zu seinem zugehörigen Deckel passt. Im übertragenen Sinne sind das zwei Teile, die stimmig und harmonisch ein Ganzes ergeben.33

Aus psychologischer Sicht ist Glück eine zeitlich begrenzte Hochstimmung, die mit enormer Energie verbunden ist. Wir erfahren dieses Glück beispielsweise in besonderen Glücksmomenten wie nach einem Sieg. Ein wichtiger Unterschied ist die Differenzierung von dauerhaftem Glück, das in einer tiefen inneren Zufriedenheit gründet, von kurzen Freuden des Alltags, die vor allem von äußeren Dingen abhängen. Im Englischen ist die Unterscheidung des Glücksbegriffes bereits durch eine sprachliche Differenzierung deutlicher und somit einfacher. Die Vokabel luck bedeutet das zufällige Glück im Sinne von “Glück gehabt”, wogegen happiness “glücklich sein” meint.


Glück ein Geisteszustand?

Einige Glücksforscher behaupten, dass nur das dauerhafte Glück einen Weg zu einem erfüllten Leben eröffnen kann. Sie haben beobachtet, dass Menschen, die dieses dauerhafte Glück in sich verinnerlicht haben, meist eine tiefe Einsicht in die Wirklichkeit und die Natur des Geistes erfahren. Innere Ruhe und Gelassenheit oder auch innerer Frieden lassen sie ihren Mitmenschen mit Güte und Wohlwollen gegenüber treten. Wie man diesen “Geisteszustand” erreichen und kultivieren kann, beschreiben Jahrtausend alte Schriften aus dem Yoga, buddhistische Mönche, aber Ratschläge sind auch in den zahlreichen aktuellen Lebensratgebern zu finden. Die Kontrolle des eigenen Bewusstseins ist ein Schlüssel zum Glück - dies haben bereits viele unterschiedliche Traditionen erkannt (Christliche Mönchsorden, Zen-Buddhismus, Taoismus, Psychoanalyse nach Freud). Durch ständiges Bemühen und eine Schulung des Geistes (z.B. durch Meditation oder das Üben positiver Gedankenkraft) sowie die Entwicklung einer Reihe menschlicher Qualitäten wie Liebe, Ruhe und Achtsamkeit, lässt sich diese tiefe innere Zufriedenheit herstellen, die wir brauchen, um Glück von dauerhafter Qualität zu kultivieren.34

Ein weiterer wichtiger Hinweis, um das persönliche Glück zu finden, ist ebenfalls in fast allen Kulturen zu finden. Er lautet sinngemäß, dass das Glück nur in uns selbst zu finden ist und nicht auf Reisen oder in anderen Menschen. Die Yoga Tradition teilt dieses Verständnis von Glück. Der Yoga erklärt die Theorie, dass nur der Mensch selbst der Urquell seines Glückes sein kann, noch einmal sehr anschaulich. Demnach trägt der Mensch bereits alle Anlagen, die er zum Glücklichsein braucht, in sich selbst. Jeder müsste also aufgrund dieser selbstverständlichen Glücksveranlagung in sich selbst ohne Weiteres glücklich sein können. Die Ursache des Problems der “unglücklichen” Menschen ist, dass sie das Glück, das sie in sich tragen, nicht immer bzw. in gewissen Zeiträumen nicht wahrnehmen können. Indem man Kontrolle über den eigenen Geist erlangt, zum Beispiel durch Meditationsübungen, kann man auch das Glück wieder entdecken. Das bedeutet, dass man seine Wahrnehmung durch Methoden der Geistesschulung soweit schärfen kann, dass das innere Glück, das man vorübergehend nicht mehr wahrnehmen konnte, wieder in voller Präsenz spürbar ist und realisiert werden kann.


Glück als (Körper)Gefühl

Glück(-serleben) kann man auch mit einem bestimmten körperlichen Gefühl, den sogenannten somatischen Markern,35 verbinden, so die Psychologin Maja Storch. Man kann sehr genau beobachten, in welchen Momenten man dieses körperlich spürbare Glücksgefühl in sich wahrnehmen kann. Beispielsweise könnte das ein warmes Gefühl im Bauch sein; es könnte eine bestimmte Farbe oder Form haben oder mit einem Bild (z.B. einem Tier) verbunden sein.36 Diese automatischen Körperempfindungen können als eine Art eigenes Bewertungssystem bezeichnet werden, das nach folgendem Prinzip funktioniert: “Was fühlt sich gut an oder wo empfinde ich Unbehagen?”

Aus meiner persönlichen Yogapraxis und Erfahrung als Yogalehrerin kann ich bestätigen, dass ein blockadefreies und positives Körpergefühl erheblich dazu beiträgt, Glück empfinden zu können. Körpergefühl bedeutet in diesem Fall nicht nur, eine generelle Sensibilität für sich und seinen Körper zu entwickeln. Ein verbessertes Körpergefühl durch Yoga heißt vor allem, dass sich der physische Körper auch wirklich anders, d.h. besser, anfühlt. Er fühlt sich wärmer, länger, blockadefrei(er), gelöster und wohlgespannter (d.h. im richtigen Maß entspannt und aktiv zugleich) an. Das beeinflusst natürlich automatisch den Geist, die Psyche und die gesamte Wahrnehmung positiv. Die Tatsache, dass sich der Körper durch Yoga subjektiv besser anfühlt, kann Glücksgefühle auslösen. Manche Menschen verbinden auch ihr individuelles wohliges, gelöstes Körpergefühl nach dem Yoga mit Glück - es ist sozusagen sein somatischer Marker dafür.

Außerdem wird während der Yogaübungen die Wahrnehmung durch ein notwendiges Maß an Achtsamkeit und Konzentration geschärft. Man ist deshalb auch im Alltag wacher, bewusster bzw. präsenter und kann seine Umwelt durch die sensibilisierten Sinne viel differenzierter und intensiver wahrnehmen. Man kann öfter und bewusster wahrnehmen, was genau einen glücklich macht und was man dabei empfindet.


Kritik am “Glück”

Nicht zu vergessen sind auch die kritischen Stimmen zum Thema Glück. Auch sie haben nicht unrecht, wenn sie behaupten, dass ein dauerhafter Zustand des Hochgefühls nicht erstrebenswert sein kann und unrealistisch ist. Der Mensch sei auf Stabilität ausgerichtet und das Leben sei nun einfach nicht konfliktfrei zu regeln.

Meines Erachtens haben diese Kritiker eine andere Vorstellung von Glück / vom Glücklichsein. Für mich und andere, oft spirituell erfahrene, Menschen bedeutet Glück kein “High- Gefühl” in Form eines aktivierten Ausnahmezustandes, sondern eher ein Gefühl von innerem Frieden und innerer Harmonie - ein Ankommen bei sich selbst. Dabei kann auch mal ein Konflikt oder eine schwierigere Lebensphase ausgestanden werden, ohne dass das Glück dadurch vollständig verschwindet.

Es ist richtig, dass viele äußere Umstände wie Krieg, Hunger, Armut und schwere Krankheiten unser Leben derart prägen bzw. verändern können, dass “glücklich sein” schwierig und zweitrangig wird. Alles, was in irgendeiner Art lebensbedrohlich und nicht steuerbar ist, lässt den Gedanken an das “selbst gemachte Glück” zur Farce werden. Völlig unabhängig von äußeren Umständen ist Glück jedoch nicht. Man darf nicht den Fehler machen, jedes Ereignis und jeden alltäglichen Umstand als Hindernis vorzuschieben, warum man jetzt (noch) nicht glücklich sein kann. Von der eigenen Definition des Glücks hängt es auch ab, ob man kleine Momente im Alltag als Glücksauslöser empfinden kann. Ein Blätterregen im Wald, Kuscheln mit dem Haustier, das freundliche Lachen eines fremden Menschen - diese Beispiele könnten ein “Kleines Glück” sein.

Ein kleiner Erfahrungsbericht zur Absurdität des Glücks:

Die glücklichsten Menschen, die ich in meinem Leben bisher erfahren habe, fand ich in einem der ärmsten Länder der Erde vor. Die Bevölkerung Nepals lacht auffallend viel, die Menschen strahlen eine unheimliche Gelassenheit und Zufriedenheit aus und sie scheinen unglaublich viel Zeit für alles zu haben. Das Leben geht dort viel beschaulicher und langsamer zu und Vieles wird eben einfach improvisiert (Waschen am Dorfbrunnen, Duschen mit einem Eimer) oder geteilt (ein Eis reicht immer für zwei Kinder). Auch wenn nur das Nötigste zum Leben da ist, scheint das dort noch lange kein Kriterium für ein glückliches und zufriedenes Leben zu sein. Die Menschen in den Bergregionen, die fast abgeschnitten sind von der Gesellschaft und nur das zur Verfügung haben, was andere in Rucksäcken bzw. Körben zu Fuß liefern oder was sie selbst anbauen können, wirken schon fast erhaben und glückselig. Zurück in Deutschland bekam ich einen Kulturschock: schon lange nicht mehr so viele mürrische, unzufriedene, gereizte, negative und einfach unerträgliche Menschen erlebt! Die Atmosphäre erschien mir regelrecht vergiftet und den Menschen scheint hier, obwohl sie eigentlich alles haben, das Glück in extrem weite Ferne gerückt zu sein.

Leider haben die Menschen oft unrealistische Vorstellungen von dem, was sie angeblich glücklich macht. Sie haben obendrein noch nicht einmal eine Ahnung von dem, was sie in ihrem Leben bisher wirklich glücklich gemacht hat. Oft werden Glücksvorstellungen anderer oder gesellschaftliche Ideale unreflektiert als die eigenen übernommen. Kein Wunder also, dass so viele Menschen nicht glücklich sind. Nur weil der eine sein Glück in der Familie findet, bedeutet das nicht, dass jeder nach Heirat und Kind automatisch glücklich ist.


Zusammenfassung

Für die einen gründet Glück eher in einem Seinszustand in Form eines emotionalen Gleichgewichtszustandes oder eines stabilen Selbst, als dass es an äußere Umstände und Annehmlichkeiten geknüpft ist.37 Der Nächste lebt und zehrt vom Augenblick des “kleinen Glücks” im Alltag. Es gibt also keinen einheitlichen Glücksbegriff, der alle zufrieden stellt. Jeder Mensch muss Glück individuell für sich definieren.

In einem scheinen sich jedoch alle einig zu sein: Glück ist eine Lebenskunst bzw. Fertigkeit, die wir erlernen können. Wir können aktiv unsere Lebensfreude und unser Glück mitgestalten. Das findet sich auch im deutschen Sprichwort: “Jeder ist seines Glückes Schmied.” wieder. Genauso betont das Grundrecht des Strebens nach Glücks (pursuit of happiness) der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung den Gedanken der Selbstbestimmung und Machbarkeit aus eigenem Antrieb. Der Entdecker des Flow-Erlebnisses, Csikszentmihalyi, bestätigt diese These ebenfalls mit der Feststellung, dass Glück kein zufälliges Phänomen sei, das einen eben trifft oder nicht, sondern dass man aktiv etwas dafür tun kann.

Absolute Konzentration und das uneingeschränkte Richten der Aufmerksamkeit auf einen Gegen- stand sind nicht unerhebliche Voraussetzungen, um Glück zu empfinden. In diesem Punkt sind sich östliche und westliche Wissenschaftler einig - unabhängig ob Flow-Theorie, Yoga-Philosophie oder Buddhismus. Das Glück kommt nicht im Schlaf, ist nicht zufällig oder angeboren, sondern man muss sich ständig aktiv darum bemühen oder wie es die Amerikaner nennen, danach streben.

Die Fähigkeit, das Leben im Augenblick zu genießen, im Einklang mit sich und der (Um-)Welt zu sein, offen und innerlich frei zu sein (z.B. durch die/während der Meditation) - diese Attribute der Lebensfreude bescheren uns einen Zustand innerer Erfüllung und das damit verbundene tiefe Wohlbefinden.


Die psychischen Grundbedürfnisse des Menschen

Nachdem so, in allen notwendigen Bruchstücken über Wesen und Phänomenologie des Glücks auf einer eher philosophischen Ebene referiert wurde, gilt es nun, den Glücksbegriff mit Hilfe psychologischer Modelle darzustellen. Dafür eigenen sich die in den folgenden Punkten beschriebenen Begriffe: Grundbedürfnisse und Ressourcen. Das Flow-Erlebnis ist in diesem Zusammenhang ebenfalls ein adäquates psychologisches Phänomen, welches ich im zweiten Kapitel im Zusammenhang mit Körpererfahrung aufgreifen möchte.

Die vier psychischen Grundbedürfnisse des Menschen

  • 1. Bedürfnis nach Kontrolle und Orientierung
  • 2. Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung und Selbstschutz
  • 3. Bedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung
  • 4. Bedürfnis nach Bindung

Der Psychologe Klaus Grawe konnte mit seinen Therapiemethoden38 zur Aktivierung der personalen Ressourcen (siehe 1.3.) besonders signifikante Erfolge erzielen, was nachweisbar und direkt mit der Befriedigung der vier psychischen Grundbedürfnisse des Menschen zusammenhängt. Sind die psychischen Grundbedürfnisse des Menschen befriedigt, steigert das unmittelbar das biopsychosoziale Wohlbefinden und fördert somit generell die psychische Gesundheit. Die Befriedigung dieser Grundbedürfnisse ist das Bestreben eines jeden Menschen. Sind diese befriedigt, kann eine motivationale Annäherung vollzogen werden und der Mensch ist glücklich und fühlt sich wohl. Außerdem stimmen dann die eigenen Wahrnehmungen und Erwartungen überein und man fühlt sich in Einheit mit der Welt. Werden diese vier wichtigsten Grundbedürfnisse des Menschen jedoch verletzt oder nicht beachtet, können psychische Störungen entstehen (z.B. Vermeidungsverhalten) oder anders ausgedrückt: um gesund zu bleiben, müssen die psychischen Grundbedürfnisse durch eine Nutzung der persönlichen Ressourcen befriedigt werden.39 Die vier Grundbedürfnisse sind jedoch nicht nur durch die Psychologie begründet, sondern drei von ihnen sind auch durch Erkenntnisse der Neurobiologie zu erklären (siehe Tabelle).

(TABELLE EINFÜGEN)


Das Selbstwertgefühl und das Schulfach Glück

“Die größten Kämpfe toben in unserem Inneren und zwar dann, wenn wir unseren Ängsten und unseren Selbstzweifeln ins Auge sehen müssen. Diese inneren Feinde stellen für unser Wohlbefinden eine viel größere Bedrohung dar als die äußeren Schwierigkeiten des täglichen Lebens".42

Das Selbstwertgefühl hat eine Schlüsselrolle in Bezug auf die Lebensfreude und die Befriedigung des menschlichen Grundbedürfnisses nach Anerkennung und Wertschätzung. Der Begriff an sich erscheint zwar zuerst abstrakt, er meint allerdings nichts anderes als die Fragen, wie zufrieden man mit sich selbst als Mensch ist; ob man sich ohne Vorbehalte mag; ob man das Gefühl hat, ein guter Mensch zu sein und ob man glaubt, es verdient haben, Glück, Liebe, Frieden oder Erfolg zu erfahren. Ein gesundes Selbstwertgefühl lässt den Menschen trotz seiner Schwächen und Fehler glauben, liebenswert und wertvoll zu sein. Mangelndes Selbstwertgefühl blockiert den Menschen, wenn es darum geht, positive Erfahrungen zuzulassen, wie beispielsweise Lob und Anerkennung zu erfahren, oder veranlasst unbewusst dazu, Glück und Erfolg zu verhindern.

Das Selbstwertgefühl entsteht durch Erfahrungen in unserer Kindheit und manifestiert sich im Unterbewusstsein. Das bedeutet, es kann menschliche Handlungen steuern, ohne dass man es bewusst bemerkt oder beeinflussen kann. Sind frühkindliche Erfahrungen von Aufmerksamkeit und Liebe geprägt, werden sich Selbstbild und Selbstvertrauen positiv entwickeln können. Erfährt man jedoch Ablehnung oder Kritik, neigt man dazu, zu denken, man sei nicht in Ordnung. Das Selbstbild entscheidet über das Selbstwertgefühl und hat nichts mit äußeren, messbaren Kriterien wie einer erfolgreichen beruflichen Laufbahn zu tun.

Das Gefühl, nichts wert zu sein oder sogar sich selbst zu hassen, ist ein sehr schlimmer Zustand für die Psyche.43 Das Gefühl, nichts wert zu sein, ist sogar Ausgangspunkt und Kern von Depressionen und stellt maximalen Stress für den Menschen dar. Das bedeutet, dass die verborgenen Ursachen von Depressionen oft in zwischenmenschlichen Beziehungen und Erfahrungen gründen. Hat das mangelnde Selbstwertgefühl sich erst einmal in einer Depression verfestigt, besteht auch hier eine nicht zu übersehende Verbindung zum Körper. Stresshormone werden aktiviert, körperliche Reaktionen (Müdigkeit, Schlaflosigkeit) werden zur Begleiterscheinung und zuletzt verändert eine Depression das Nervenzellennetz im Gehirn (biologische Konditionierung).44 Viele Menschen machen sich in gedanklichen Monologen ständig klein und kommunizieren auf sehr negative Art und Weise mit sich selbst (z.B.: “Jetzt habe ich das schon wieder nicht geschafft. Ich versage ständig.”).

Ein positives Selbstwertgefühl beeinflusst auch den Umgang mit den Mitmenschen. Man nimmt Kritik oder Kränkungen anderer weniger persönlich und ist weniger von Urteilen anderer Menschen abhängig.45 Je zufriedener man mit sich selbst ist, desto mehr mag man auch seine Mitmenschen. “Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst.” Das bekannte Zitat aus der Bibel passt also sehr gut, um die Bedeutung eines positiven Selbstbildes zu untermauern. Liebt man sich selbst bedingungslos und hat ein gesundes Selbstvertrauen, kann man seine eigene Gesellschaft genießen und braucht weniger Ablenkung von außen.

Das Unbewusste lässt sich in Bezug auf das Selbstwertgefühl durch neue, positive Erfahrungen und Liebe und Vergebung umprogrammieren. Man kann beispielsweise üben, seine inneren Monologe oder auch Selbstgespräche zu beobachten und versuchen, in Zukunft zu vermeiden, schlecht über sich selbst zu denken oder zu reden. Dabei helfen auch Techniken der Meditation, die Gedanken beruhigen bzw. unterbrechen und somit auch das ständige Kreisen negativer Gedankenströme um sich selbst auflösen können. Lernt man in der Meditation das Denken zu befreien und zu klären, beeinflusst das auch die eigenen Werturteile, denn das Denken und das innere Urteil sind für die Wahrnehmungen und Gefühle verantwortlich.

Ein weiterer Schritt ist, die eigenen Fehler und die eigene Unvollkommenheit zu akzeptieren. Man muss sich bewusst werden, dass man dessen ungeachtet ein liebenswerter und wertvoller Mensch ist. Das ständige Praktizieren bedingungslosen Annehmens und Loslassens in meditativen Übungen birgt ein enormes Potential, sich auch in diesem Sinne dabei zu helfen, sich selbst so zu akzeptieren, wie man ist und negative Einstellungen bzw. Verhaltensmuster sich selbst gegenüber zu verändern.

Deshalb ist auch die aktuelle Entwicklung und Durchführung des Schulfaches “Glück” kein zu belächelnder Scherz, sondern eine wissenschaftlich fundierte Angelegenheit. Ziel des Unterrichts ist es, den Schülern Quellen für ein glückliches, freud- und lustvolles Leben zu vermitteln. Durch das positive Selbstbild, das den Schülern vermittelt wird und die Unterstützung bei der individuellen Identitätsfindung sowie der Akzeptanz des eigenen Selbst wird die Lebensfreude der Schüler erhöht).46

Das wird durch folgende neurobiologische Reaktion im Gehirn unterstützt: In Situationen der Wahrnehmung von Wertschätzung gegenüber der eigenen Person, wie beispielsweise positives Feedback und spielerische Übungen zur Eigen- und Fremdwahrnehmung, werden in einer neurobiologischen Reaktion im Gehirn Botenstoffe ausgeschüttet, die Glücksgefühle auslösen. Dieses Unterrichtskonzept trägt einem primären menschlichen Bedürfnis Rechnung: dem Bedürfnis nach Anerkennung, Wertschätzung und Zuwendung.

Auch Yoga kann einen Beitrag zu einem positiven Selbstwertgefühl leisten. So schrieb der Dirigent Yehudi Menuhin 1964 im Vorwort zu B.K.S. Iyengars berühmtem Standardwerk des modernen Hatha Yoga “Licht auf Yoga”, dass Yoga einen unvermeidlichen Sinn der Selbstsicherheit und des Selbstvertrauens entwickelt.47


Der Ressourcenbegriff und seine Anwendung in der Praxis

In Kapitel 1.2. erwähnte ich bereits im Zusammenhang mit der ressourcenorientierten Psychotherapie nach Klaus Grawe,48 wie wichtig die Aktivierung der personalen Ressourcen ist, um ein glückliches und zufriedenes Leben führen zu können. Im folgenden Abschnitt möchte ich kurz den Begriff Ressource erklären und ihn mit der Yoga Tradition verknüpfen.

Häufig verwendete Synonyme für Ressourcen sind Kraftquellen, Rohstoffquellen, Stärken und Potentiale. Ressource wird in etymologischen Wörterbüchern als Hilfsmittel oder Erwerbsquelle bezeichnet, die sich neben Personen auch auf materielle Bereiche (z.B. Wirtschaft) beziehen können. In der Psychologie versteht man darunter Hilfsmittel, Kräfte, Energien, Reserven und Schätze einer Person oder ihres Umfeldes. Man könnte unter dem Begriff Ressource auch alle Möglichkeiten subsumieren, die einem Menschen zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse zur Verfügung stehen.49 Genauso konzentriert sich das Konzept der Salutogenese (Antonovsky: Was erhält den Menschen gesund?) darauf, Ressourcen im Leben eines Menschen zu finden, die seine Gesundheit fördern, bzw. darauf, herauszufinden, welche Eigenschaften und Fähigkeiten dazu beitragen, trotz erhöhter Belastung gesund zu bleiben.50

Genauso wie andere ressourcenorientierte Arbeitssysteme in der Praxis, z.B. die systemische Beratung, kann Yoga durch Körpererfahrung und Meditation die personalen Ressourcen (Gesundheit, Vitalität, Intelligenz, Bildung, Willenskraft und persönliche Souveränität) des Menschen auf unterschiedliche Art und Weise sichtbar machen und direkt stärken. Durch die Verbesserung bzw. Förderung der personalen Ressourcen verbessert Yoga indirekt auch die sozialen Ressourcen eines Menschen, d.h. die Beziehungen zu den Mitmenschen (z.B. Freunde, Familie, Kollegen). Ein Beispiel zur Ressource Geist: Durch regelmäßige Meditation kann man innere Ruhe, Gelassenheit und eine erhöhte Distanz zu Problemen bzw. Schwierigkeiten (kühlen Kopf bewahren) trainieren. Hat man diese personalen Ressourcen verinnerlicht, werden sie direkt das Verhalten in zukünftigen Interaktionen mit den Mitmenschen auf positive Weise verändern und so indirekt die Beziehung zu diesen verbessern.

Man spricht in der systemischen Beratung und im Salutogenesekonzept von Ressourcenorientierung, Ressourcenperspektive oder von einem lösungsorientierten Modell, um zu betonen, dass es nicht um die bisher dominante Problemperspektive mit Fokus auf die Ursachen, Fehler und Defizite geht, sondern um einen positiven Möglichkeitsraum, der eine Lösung zur Besserung fokussiert.51 Die Aufgabe des Beraters oder Therapeuten ist, dem Klient die richtigen Fragen in Bezug auf sein Anliegen/Problem zu stellen, so dass dieser selbstständig erkennt, welches Potential in Form von Ressourcen zur Problembewältigung in ihm selbst liegt. Auch im Yoga geht es darum, dem Menschen Perspektiven aufzuzeigen, wie er durch Übung oder Schulung seines Geistes und seines Körpers sein Leben selbstbestimmt in die Hand nehmen und positiv beeinflussen kann. Körper und Geist sind in diesem Sinn personale Ressourcen, die jedem Menschen zur Verfügung stehen. Der Körper ist eine Ressource, die zu Lust und Freude verhelfen kann, d.h. über ihn ist man in der Lage, Gesundheit und Wohlbefinden zu erfahren.

Eine weitere Parallele vom Yoga zur lösungsorientierten Arbeitsweise der systemischen Beratung finden wir im konstruktivistisch geprägten Weltbild und der damit verbundenen Notwendigkeit zum Perspektivenwechsel. Für jegliches (Er-)Leben und Erfahren bedeutet das, dass keine einzig wahre Realität existiert und deshalb die Wahrnehmung immer subjektiv geprägt ist. Ein Perspektivenwechsel oder sich in andere Menschen hinein zu versetzen ist die logische Konsequenz aus einem Weltbild, das alles vermeintlich objektiv Wahrgenommene als Produktion der eigenen Fantasie entlarvt. Die Ausführliche Darstellung des Zusammenhangs von Wahrnehmung, Wirklichkeit und Individuum aus der Sicht des Yoga ist im Kapitel 3.1 zu finden.

Haben Menschen ihre personalen Ressourcen gefunden und gelernt, sie zu nutzen, werden sie Probleme als lösbar, Aufgaben und Anforderungen als erklärbar bzw. verstehbar und das Leben als sinnvoll empfinden. Je zusammenhängender und sinnvoller ein Mensch die Welt und sein Leben empfindet, desto gesünder wird er sein.52 Diese Grundhaltung gegenüber dem eigenen Leben bezeichnet der israelisch-amerikanische Medizinsoziologe Aaron Antonovsky als Kohärenzsinn (sense of coherence, kurz: SOC), der sich aus den drei Komponenten Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit zusammensetzt.53 Hat ein Mensch ein gut ausgeprägtes Kohärenzgefühl, kann er flexibel auf seine Anforderungen reagieren und die nötigen Ressourcen zur Problemlösung aktivieren. Ist kaum oder kein Kohärenzgefühl vorhanden, fühlt sich die Person hilflos und kann wenig bis keine Ressourcen zur Bewältigung wahrnehmen.54 Es muss daher Aufgabe von gesundheitsfördernden Maßnahmen oder Programmen sein, das Kohärenzgefühl von Menschen zu stärken und ihnen behilflich zu sein, ihre persönlichen Ressourcen zu finden und zu nutzen, um die Entwicklung gesunder, zufriedener und handlungsfähiger Menschen zu fördern.


Anthropologische Grundlagen der Einheit von Körper und Geist

Paradigmenwechsel zur ganzheitlichen Weltsicht55 und der Auflösung eines starren Körperkonzeptes

“Ein menschliches Wesen ist Teil eines Ganzen, das wir Universum nennen, ein in Raum und Zeit begrenzter Teil. Es erfährt sich selbst, seine Gedanken und Gefühle als etwas von allem anderen Getrenntes - eine Art optische Täuschung seines Bewusstseins. Diese Täuschung ist für uns eine Art Gefängnis, das uns auf unser persönliches Verlangen und unsere Zuneigung für einige wenige uns nahe stehenden Personen beschränkt. Unsere Aufgabe muss es sein, uns aus diesem Gefängnis zu befreien.” Albert Einstein

Dieses Zitat erklärt nicht nur den Irrtum der Dualität der Dinge, sondern stellt in diesem Zusammenhang auch unser Bewusstsein und unsere Wahrnehmung in Frage.56 Es gibt zwei, sich grundlegend unterscheidende, Weltansichten in Bezug auf die Einheit bzw. die Trennung von Körper und Geist, Subjekt und Objekt. Auf der einen Seite steht das kartesianische Paradigma, dessen Entstehung besonders durch die (natur-)wissenschaftlichen Fortschritte nach dem Mittelalter begünstigt wurde. Der französische Philosoph René Descartes prägte den legendären Ausspruch „Cogito ergo sum”: “Ich denke, also bin ich!“. Auf der Suche nach der wahren Natur des Menschen lehnte er jegliche Körperlichkeit und sinnliche Erfahrungswelt ab (Zitat: „Jener Komplex von Gliedern, den man den menschlichen Leib nennt, bin ich nicht.“). Der Mensch sei, nach Descartes, vor allem durch seinen Verstand definiert. Subjekt und Objekt, Körper und Geist sind komplett voneinander getrennte Angelegenheiten, die in göttlicher Ordnung so geschaffen wurden.57 Dieses Ideal des analytischen Denkens prägte auch lange danach die Naturwissenschaften, die mit der Annahme, dass alles in Raum und Zeit begrenzt sei und sich nach mechanischen Gesetzen bewege, unzählige Phänomene untersucht und erforscht, indem sie das Problem in seine Bestandteile zerlegt. Diese Denkweise leistete somit einen wichtigen Beitrag zum kritischen und analytischen Denken.

Obwohl sich gerade in der Physik viele Phänomene mit Hilfe dieses Modells erklären lassen und es für den Alltag durchaus brauchbar bleibt, stößt es spätestens bei der modernen Atomphysik und der Relativitätstheorie an seine Grenzen. Seit dem 20. Jahrhundert sind einige Grundlagen der Physik revidiert worden:

  • 1. Zeit und Raum (und Masse / Materie) sind nicht mehr nur als voneinander unabhängige Größen bekannt.
  • 2. Die Vorstellung fester atomarer Teilchen ist überholt.
  • 3. Die Existenz des unbeteiligten, objektiven Beobachters ist widerlegt.

Nach den Erkenntnissen der Relativitätstheorie Einsteins, lassen sich die Begriffe Raum und Zeit nur in wechselseitiger Abhängigkeit voneinander wahrnehmen und auch die Materie bzw. Masse im Raum hat Einfluss auf die Zeit. Einstein stellt den Raum gekrümmt und abhängig von den Gravitationsfeldern der Körpermasse in ihm dar. Das bedeutet, dass der Grad der Krümmung des Raumes von der Stärke der Masse des Körpers abhängt. Die Materie beeinflusst nun auch die Zeit, insofern, als Raum und Zeit nicht getrennt voneinander zu betrachten sind und deshalb der Ablauf der Zeit durch die Präsenz der Materie in verschiedenen Teilen des Universums unterschiedlich abläuft. Die Begriffe der absoluten Zeit und des absoluten Raumes müssen also aufgegeben werden und sind somit nicht mehr als unabhängige Größen zu betrachten. Ebenso gehört die Vorstellung linearer Bewegungen im Raum nicht mehr zu den unumstößlichen Gesetzmäßigkeiten. Die Struktur von Atomen besteht, wie man bereits seit Beginn ihrer Erforschung weiß, nicht aus festen oder gar harten Teilen. Die Atomphysiker kamen zur Erkenntnis, es mit einem weiten Raum mit extrem kleinen, sich um einen Kern bewegenden Teilchen zu tun zu haben. Die Quantenphysik ergänzt diese Annahme um ein weiteres wichtiges Detail: Atome können auch als Welle auftreten und müssen nicht zwangsweise eine materielle äußere Erscheinungsform haben. Es kann allerdings auch eine Umwandlung der beiden Zustände erfolgen. Dieser so genannte Doppelaspekt der Materie hängt von der Situation bzw. vom Betrachter ab.

Fritjof Capra beschreibt, wie man sich atomare Strukturen vorstellen kann und damit gleichzeitig den Ansatz vieler Ost-Asiatischer Übungssysteme bzw. Weltanschauungen. Sie gehen davon aus, dass alles im Universum miteinander in Verbindung steht und eine Einheit bildet. “Beim Eindringen in die Materie finden wir keine isolierten Grundbausteine, sondern vielmehr ein kompliziertes Gewebe von Beziehungen zwischen den verschiedenen Teilen eines einheitlichen Ganzen.”58


Die Auflösung des starren Körperkonzepts

Diese quantenphysikalische Sicht der Welt findet sich bereits in Jahrtausende alten tantrischen Traditionen und Hatha Yoga Schulen.59 Genauso wie eine “objektive Welt” als Illusion gilt (da immer alles Projektion des Indiviuums, auch “Ich-Person” genannt, ist), ist die Vorstellung des begrenzten und auf seine Materie (Fleisch, Knochen etc.) reduzierten Körpers ein Klischee. Der Körper erfährt in einem durch Meditation und/oder Entspannung veränderten Bewusstseinszustand eine neue Energiedimension und einen neuen, tiefen Raum. Kurz: Das übliche begrenzte Körperkonzept wird durch Erfahrungen des Selbst als strömender Prozess, verbunden mit dem großen Ganzen, dem Universum, aufgelöst. Man gewinnt also durch Meditation und/oder Entspannung eine ganz neue Erfahrungsintensität und die Grenzen des Ichs verlieren ihre Starrheit.

Die moderne Physik sowie auch der Yoga stellen diese dynamische Weltsicht (das Universum miteinbezogen) und grenzenlose Körperwahrnehmung im Bild des kosmischen Tanzes dar. Im Yoga repräsentiert die Gottheit Shiva (Gott der Zerstörung bzw. der Transformation) in der Gestalt des Tänzers (im Sanskrit: Nataraja) als Meister über Raum und Zeit dieses Phänomen: er tanzt die Rhythmen des Universums. Fritjof Capra übernimmt diesen Gedanken in seinem Klassiker “Das Tao der Physik”, indem er Bewegung und Rhythmus als wesentliche Eigenschaften der Materie benennt, die wiederum selbst in jeglicher Erscheinungsform an einem ständigen kosmischen Tanz teilnimmt. Es geht hier also um ein intuitives Wahrnehmen und Verstehen der Natur, die durch bloßes kognitives und analytisches Vorgehen allein nicht vollständig zu begreifen ist. Die dynamische Weltsicht bringt also auch eine völlig neue Haltung gegenüber dem menschlichen Körper und der allgemeinen menschlichen Existenz mit sich.

Siehe auch

Weblinks

Wissenschaftliche Studien zur Wirkung von Yoga:

Seminare

Yogalehrer Ausbildung

Der RSS-Feed von https://www.yoga-vidya.de/seminare/interessengebiet/yogalehrer-ausbildung/?type=2365 konnte nicht geladen werden: Fehler beim Parsen von XML für RSS

Yogalehrer Weiterbildung: Yoga für Menschen mit besonderen Beschwerden

Der RSS-Feed von https://www.yoga-vidya.de/seminare/stichwortsuche/dfu/0/dtu/0/ex/0/fu/besondere%2BBeschwerden/ro/s/?type=2365 konnte nicht geladen werden: Fehler beim Parsen von XML für RSS

Yoga für den Rücken

Der RSS-Feed von https://www.yoga-vidya.de/seminare/interessengebiet/yoga-fuer-den-ruecken/?type=2365 konnte nicht geladen werden: Fehler beim Parsen von XML für RSS

Yogatherapie

Der RSS-Feed von https://www.yoga-vidya.de/seminare/interessengebiet/yogatherapie/?type=2365 konnte nicht geladen werden: Fehler beim Parsen von XML für RSS