Bhagatyaga Lakshana
Bhagatyaga Lakshana und Jahadajahallakshana: Interpretation der Mahavakyas. Bhagatyaga-Lakshana ist eine Methode, um Aussagen in den Schriften zu deuten.
Bhagatyaga Lakshana - Wie analysiert man Schriften?
Bhagatyaga-Lakshana – Vedanta-Techniken der Textanalyse. Diese Lektion wird etwas komplizierter, manchmal machen Vedantins alles sehr einfach und manchmal machen sie es auch kompliziert um einfache Sachverhalte zu erklären.
Bhagatyaga-Lakshana ist eine Methode, wie wir Aussagen aus den Schriften interpretieren können und wie wir uns aus einer allzu wörtlichen Betrachtungsweise von den Aussagen aus den Schriften lösen können.
Vorab ein kleiner Exkurs:
Es ist ja immer die Frage, wie sind Schriften zu verstehen, soll man sie wörtlich verstehen oder wie soll man sie verstehen? Es gibt ja manchmal große Grabenkämpfe, manche Menschen nehmen einen Aspekt einer Schrift besonders wörtlich und kämpfen dann mit anderen.
Glücklicherweise hat die höchste Wirklichkeit die Schriften so offenbart, dass sie sich an ausreichend Stellen widersprechen. Somit ist klar, dass man die Schriften nicht rein wörtlich nehmen darf. Man darf sie nicht wörtlich nehmen, sondern muss überlegen, was eigentlich damit gemeint ist. Für die Inder war das schon seit Jahrhunderten und Jahrtausenden bekannt.
Wie analysiert man Schriften? Vermutlich ist im Hinduismus unter all den Religionen die Anzahl an Schriften also der schriftlichen Zeugnisse, die als autoritativ gelten, am größten. Da gibt es eine Menge:
die für alle als irgendwo verbindlich sind, tausende und abertausende von Seiten. Kaum jemand kann die alle überblicken. Und je nach Tradition gibt es auch nochmal tausende von Seiten, die noch dazu kommen. Kaum jemand kann es überblicken, aber jeder, der sich damit beschäftigt, stellt fest, dass es sich wörtlich genommen immer wieder widerspricht. Daher muss man überlegen, wie die Aussagen zu verstehen sind, was dort wirklich wichtig ist und welche Bedeutung es für den Einzelnen und sein Leben hat.
Hinter diesem Hintergrund kannst du verstehen, dass das was die Inder schon vor Jahrtausenden geleistet haben, zumindest seit einigen Jahrhunderten, nämlich diese Kommunikationstheorie zum Verstehen von Schriften, schon etwas Besonderes ist. Es könnte vielleicht auch ein Antidot für heute sein um dem Fanatismus etwas entgegen zu setzen.
Ich werde den Erläuterungen von Swami Vishnu-devananda im Buch „Meditation und Mantras“ folgen. Diese ganze Vedanta Meditation im Jnana Yoga Kurs folgt dem Kapitel „Jnana Yoga Meditation“ aus dem Buch „Meditation und Mantras“ von Swami Vishnu Devananda. Ich habe das große Glück gehabt, bei einer fortgeschrittenen Yogalehrer-Ausbildung von Swami Vishnu-devananda dabei gewesen zu sein, wo er vier Wochen eigentlich hauptsächlich über dieses relativ kleine Kapitel von ca. 40 Seiten gesprochen hat, dies aber sehr detailliert. Daraus ist dann dieser Meditationskurs entstanden.
Die folgenden Ausführungen findet man auch auf Seite 153 in dem Buch „Meditation und Mantras“ von Swami Vishnu-devananda.
Erläuterung der Begriffe
Vachyartha:
- Die ursprüngliche, wörtliche Bedeutung, direkt durch das Wort übermittelt. Wenn ich zum Beispiel sage: „Die Farbe der Tafel ist weiß“, dann ist das direkte Bedeutung: Die Tafel hat eine weiße Farbe.
Vyangartha:
Der angedeutete Sinn durch die Wahl von Wortverbindungen, d.h. im übertragenen Sinne verstanden.
- Wenn in einer Schrift steht, dass etwas eine ‚weiße Wand‘ ist, ist da nicht nur gemeint, dass da plötzlich eine weiße Wand ist, sondern da soll es heißen, dass nichts da ist. Manchmal steht die weiße Wand für Brahman.
- Ähnlich auch, wenn in den Schriften etwas vom ‚brennenden Urgrund‘ steht, das bezieht sich oft auf die Sushumna Nadi und dass die Kundalini am Erwachen ist.
- Oder wenn von ‚drei Wegen‘ die Rede ist, wird im Kontext von Vyangartha durch Wortsinn angedeutet, dass da drei verschiedene Wege sind.
Lakshyartha
Mit Lakshyartha wird die indirekte Verbindung zwischen Wort und Bedeutung bezeichnet.
Ein Beispiel von Swami Vishnu Devananda: Die Sonne ist heiß‘ ist Vachyartha, die Sonne ist tatsächlich heiß. Wenn man aber sagt ‚Heute ist es heiß‘, dann ist das Lakshyartha, eine indirekte Verbindung zwischen Wort und Bedeutung. Vyangartha ist nicht indirekt, das ist eine interpretierte Bedeutung, das wird durch die Analogien angedeutet.
Lakshyartha bezogen auf ‚Heute ist heiß‘: ‚Heute‘ ist ein Zeitbegriff, ‚heute‘ kann nicht heiß sein. Für einen Zeitbegriff kann man höchstens feststellen ‚Heute hat 24 Stunden‘ oder ‚Heute wird morgen gestern sein‘. Das sind Aussagen, die im Zusammenhang mit Vachyartha Sinn machen, ‚heute ist heiß‘ macht keinen direkten Sinn. Aber Lakshyartha ist die indirekte Bedeutung. ‚Es ist heute heiß‘ bedeutet, das Wetter ist heiß, die Temperatur ist heiß, die Sonne ist besonders sichtbar. Das müsste ergänzt werden.
Lakshyartha kann in drei Kategorien eingeteilt werden:
1. Jahallakshana:
Man verzichtet auf die direkte Bedeutung eines Satzes und nimmt nur die inhaltliche Bedeutung eines Satzes. Beispiel: ‚Rothenburg ob der Tauber‘ - ‘Ob‘ heißt auf, also ‚Rothenburg auf der Tauber‘. Wörtlich verstanden hieße das, es gibt eine ganze Stadt, die ist auf einem Fluss, der sich Tauber nennt. Aber die wörtliche Bedeutung ist logischerweise unsinnig, Rothenburg mag ein paar Brückenhäuser haben, aber nicht ganz Rothenburg liegt oben auf der Tauber drauf. Also muss man die direkte Bedeutung aufgeben und stattdessen eine andere Bedeutung nehmen. Unbewusst nimmt man also die Vorstellung weg, dass es da eine Stadt gibt, die auf der Tauber ist und würde sagen, dass es eine Stadt ist, die links und rechts neben der Tauber ist und es da ein paar Brückenhäuser gibt, wo früher Menschen gewohnt haben, die auf der Tauber waren.
Man nimmt also bei Jahallakshana einen Teil von der Bedeutung weg und ersetzt oder ergänzt ihn durch etwas anderes. Darauf können auch Missverständnisse beruhen, nicht immer gelingt das gut, zum Beispiel wenn jemand sagt „Der Mittelteil deines Vortrags war gut“. Dann könnte der andere denken „Meine Einleitung und mein Ende waren schlecht“. Gesagt wurde „Mittelteil war gut“, diese Bedeutung wird weggenommen und das, was nicht da ist, wird ergänzt und man denkt „Anfang und Ende waren schlecht“.
In diesem Sinne kannst du dich öfters analysieren, wann du dieses Jahallakshana machst und, dass das oft nicht unbedingt stimmt. Es ist eine Form von Adhyaropa, von Projektion, du nimmst einen Teil der Bedeutung weg, ergänzt es durch etwas anderes und regst dich dann über den Anderen auf.
2. Ajahallakshana
Ajahallakshana bedeutet, man ergänzt etwas. Zur Erläuterung eine klassische Analogie aus dem Vedanta: Menschen schauen ein Pferderennen an und die Pferde haben verschieden Farben, auch damit man sie unterscheiden kann, es gibt ein schwarzes, ein braunes und ein weißes Pferd. Es gibt mehrere Zuschauer und einer sieht besser als der andere. Derjenige, der nicht so gut sieht, fragt den, der gut sieht: „Wer führt?“ und der andere antwortet: „Weiß führt“. Was heißt das ‚Weiß führt‘? Die Farbe Weiß führt? Wen führt sie? Wohin führt sie? Was hat das mit einem Pferderennen zu tun? Die Frage war darauf ausgerichtet, welches Pferd führt, warum ist die Antwort bezogen auf die Farbe Weiß?
Hier spielt Ajahallakshana eine Rolle: Man ergänzt das Fehlende in seinem eigenen Geist. Wenn jemand auf die Frage „Wer führt?“ antwortet „Weiß führt“, dann ergänzt der Zuhörer, dass das weiße Pferd führt. Oder man könnte auch sagen die Reiter-Jockey-Kombination, wo das Pferd weiß ist, ist schneller als die anderen. Ajahallakshana – man ergänzt also etwas was nicht gesagt wurde.
Man ergänzt etwas, das ursprünglich nicht dabei war, und das kann richtig oder falsch sein, zum Beispiel kann jemand sagen „Peter war heute gut“, das ergänzt du dann vielleicht zu „seine Präsentation während der Besprechung war gut“ oder „die Art und Weise, wie er heute mit dem anderen gesprochen hat, war gut“. Du ergänzt dort etwas. Das kann das sein, was der andere gemeint hat, oder auch nicht.
Sei dir bewusst, wie häufig du in der Alltags- Kommunikation Dinge ergänzt, die der andere nicht gesagt hat und die stimmen können oder auch nicht.
3. Jahadajahallakshana
Jahadajahallakshana ist in der Vedanta-Theorie am wichtigsten. In Jahadajahallakshana eliminiert man so viel von der wörtlichen Bedeutung, bis man zur eigentlichen Bedeutung hinkommt.
Ein klassisches Vedanta-Beispiel, welches auch als Bhagatyaga-Lakshana bezeichnet wird, auf die heutigen Lebensverhältnisse angepasst:
Angenommen, du gehst in Frankfurt am Mainufer entlang und siehst unter der Brücke einige große Pappkartons. Es ist morgens früh. Aus einem dieser Pappkartons räkelt sich ein Mensch und setzt sich auf und du hörst dich plötzlich sagen: „Das ist ja mein Zahnarzt Dr. Schmidt“. Wie ist diese Aussage zu bewerten? Wenn man es länger analysiert war der Mensch tatsächlich der Zahnarzt gewesen, vor 5 Jahren war er gut situiert, er hatte eine Zahnarztpraxis. Aber vielleicht hat er zu viel Alkohol getrunken, deshalb hat seine Frau ihn verlassen; oder vielleicht hat erst seine Frau ihn verlassen und dann hat er begonnen zu viel Alkohol zu trinken, sein Kind verloren, darüber verzweifelt, hat er seine Praxis verloren, alles verlassen und ist zum Alkoholiker und Obdachlosen geworden, der jetzt unter der Mainbrücke in Frankfurt nachts in einem Pappkarton nächtigt.
Solche Lebenssituationen gibt es. Und jetzt sagst du: „Das ist Dr. Schmidt“. Normalerweise würdest du vielleicht vorbeigehen. Die meisten Menschen schauen lieber woanders hin, gehen weiter, wenn sie Obdachlose sehen. Sie wollen nicht daran erinnert werden, dass es menschliches Leid gibt und erst recht nicht etwas tun, denn man hat ja soviel anderes zu tun. Aber angenommen, dir rutscht es raus, du wartest einen Moment, vielleicht hast du gerade etwas Zeit und fragst ihn: „Sind Sie nicht Dr. Schmidt?“ und er schaut verschlafen aus den Augen, lächelt müde und sagt: „Ja, so wurde ich mal genannt“. Ist er jetzt Dr. Schmidt, ja oder nein? Ist er Zahnarzt Dr. Schmidt, ja oder nein? Du musst jetzt eine ganze Menge abstrahieren: Nein, er ist kein Zahnarzt mehr. Er nennt sich auch nicht mehr Dr. Schmidt. Er ist jetzt nur noch der Kalle, er praktiziert jetzt auch nicht mehr als Doktor und ist auch nicht mehr dieser gut situierte, gut bürgerliche, wohlhabende Mensch, er ist ein Obdachloser, der jede Nacht in seinen Karton schlüpft.
Ist er dieser Dr. Schmidt? Ja und Nein. Wörtlich gesehen: Nein, er ist kein Zahnarzt mehr, aber Jahadajahallakshana: Ja, man muss alles abstrahieren, man muss den gut aussehenden Mann abstrahieren, der immer gut rasiert war, eine schöne vornehme Frisur hatte, gepflegte Fingernägel und ein gepflegtes Aussehen, gute Hosen und Schuhe trug. All das ist nicht mehr da, muss alles weggenommen werden. Wir müssen den Beruf wegnehmen, er ist kein Zahnarzt mehr. Er ist auch nicht mehr jung, in den fünf Jahren als Alkoholiker ist er zehn bis fünfzehn Jahre gealtert, sieht inzwischen alt aus. All das ist er nicht, aber etwas ist trotzdem gleich geblieben: Egal ob der Körper alt geworden ist, Falten bekommen hat, rot aussieht wegen Alkoholmissbrauch, egal was mit der Leber passiert ist, egal, was sonst passiert ist, es ist immer noch der gleiche Mensch.
Wenn man also alles abstrahiert, und das ist Jahadajahallakshana, das ist Bhagatyaga-Lakshana, ist das, was dann übrig bleibt, die Essenz. Und dieser Mensch ist weiter der gleiche wie Dr. Schmidt.
Interpretation der Mahavakyas
So ist das auch im Vedanta zu verstehen, wenn gesagt wird: Tat Twam Asi – Das bist du, dann bedeutet das nicht, dass du dieser Körper bist, diese Psyche, diese Persönlichkeit, diese astrologische Konstellation, du bist auch nicht Vata, Pitta oder was auch immer; sondern Tat Twam Asi, alles abstrahieren, was man abstrahieren kann. Die Vorstellung von Körper ändert sich ständig, die Vorstellung von Persönlichkeit – auch die ändert sich in ihren Ausdrucksformen, die Vorstellung von Beruf, Geschlecht, Religion, Nationalität, Hautfarbe, Haarfarbe, Hemdfarbe, all das mag sich ändern. Wenn man alles abstrahiert, was dann übrig bleibt, was dann gleicht bleibt, Tat Twam Asi – das bist du. Aham Brahmasmi – das bin ich, ich bin dieses Brahman, jenseits von allem Anderen.
Ich bin Sukadev und da kannst du wieder Bhagatyaga-Lakshana üben: Wer ist Sukadev? – Nicht der Körper, nicht der Name, nicht die Psyche usw. Im tiefsten Sinne: Aham Brahmasmi – Ich bin Brahman. Tat Twam Asi – Du bist das. Wir sind Eins.
Zusammenfassung, Tipps und Hinweise
Ich möchte dich ermutigen, während der nächsten Tage bis zur nächsten Meditation darüber etwas nachzudenken und ganz praktisch im Alltag zu schauen, wie häufig Sprachmissverständnisse auftreten.
- Manchmal nimmst du etwas zu wörtlich – Vachyartha;
- manchmal nimmst du etwas zu übertragen – Vyangartha;
- manchmal ergänzt du etwas - Ajahallakshana,
- manchmal lässt du etwas weg – Jahadajahallakshana.
Sei dir bewusst, dass du oft Dinge nicht richtig verstehst, sei dir bewusst, dass andere Dinge manchmal nicht richtig verstehen.
Aber besonders wichtig ist: Löse dich immer wieder von allem Begrenzten. Bhagatyaga-Lakshana im höchsten heißt: Alles loslassen, was sich verändert, alles loslassen, was nicht die höchste Wahrheit ist. Was dann übrig bleibt, das ist Brahman. Was dann übrig bleibt, ist deine wahre Natur.
Denke darüber nach, mache das zu einem wichtigen Grundprinzip der nächsten Tage. Denn dieser Kurs soll ja nicht nur Theorie sein, du sollst damit dein Leben von einer anderen Warte aus sehen, jeden Tag, nimm dir das vor. Überlege jeden Abend inwieweit es dir gelungen ist. Und löse dich spätestens am Abend wieder von allem. Und meditiere jeden Tag, zum Beispiel mit dieser Meditation über Ayam Atma Brahma.
Mehr Information über Vedanta, Meditation und wie du zum Beispiel Yoga vom ganzheitlichen Standpunkt aus üben kannst, findest du auf unseren Yoga Vidya Internetseiten.
Und natürlich fällt es am Leichtesten sich mit besonders tiefen Fragen des Lebens zu beschäftigen, wenn man sich für ein paar Tage eine Auszeit nimmt und dieses vielleicht in einer besonders spirituellen Umgebung, zum Beispiel in einen der Yoga Vidya Ashrams, wie zum Beispiel in Bad Meinberg im Teutoburger Wald, an der Nordsee, Allgäu oder Westerwald.
Ein paar Tage weg vom Alltag, ein paar Tage intensiverer Meditation und Yoga hilft dir, dass du noch bereiter bist für Fragen wie:
- Wer bin ich?
- Wohin gehe ich?
- Was ist wirklich?
- Was ist unwirklich?
- Was ist das höchste Ziel des Lebens?
- Und wie kann ich es erfahren? ´
Video - Bhagatyaga Lakshana
Video - Ayam Atma Brahma Meditation
Ayam Atma Brahma Mahavakya Meditation" ist eine Jnana Yoga Meditation, eine upanishadische Meditation
Bhagatyaga Lakshana von Tat Tvam Asi
- Auszug aus dem Buch "Vedanta für Anfänger" von Swami Sivananda -
Zuvor wurde bereits im Zusammenhang mit der “a priori” Methode folgendes erwähnt:
In der Aussage Tat Tvam Asi bezieht sich “Tat“ auf das in Maya reflektierte Bewusstsein, „Tvam“ auf das in Avidya reflektierte Bewusstsein und „Asi“ auf ihre Einheit. Folglich wird das eine Chit (Bewusstsein) in zweifacher Weise reflektiert und erscheint dann als Ishwara und Jiva – jeweils durch die Upadhis (Schleier) Maya oder Avidya begrenzt.
Diese Schlussfolgerung soll nun näher betrachtet werden.
Vachyartha von “Tat”:
„Tat“ bezieht sich auf Isvara mit folgenden Eigenschaften und Assoziierungen:
- 1. Die Aktivitäten von Ishwara spielen sich im Raum der undifferenzierten Maya ab.
- 2. Schöpfung, Erhaltung und Zerstörung (Udhbhava, Sthiti und Samhara) sind die drei Zeitperioden (Kala) von Ishwara.
- 3. Reinheit, Aktivität und Trägheit (Sattwa, Rajas und Tamas) sind Seine Mittel der Schöpfung (Srishti-Samagri).
Anmerkung: Maya und die drei Gunas sind ein und dasselbe. Daher existiert eine Einheit des Raumes für Ishwaras Schöpfung und den Mitteln der Schöpfung. Zu dieser Einheit gehört natürlich auch der Körper von Ishwara selbst. Es verhält sich wie folgt:
Die Erde ist der Raum, in dem der Töpfer seine Arbeit verrichtet. Die Erde ist auch das Material, mit dem der Töpfer arbeitet. Letztlich bildet die Erde selbst – in Form von Knochen und so weiter – den Körper des Töpfers. So besteht also Einheit dieser drei Dinge.
- 4. Virat (physisches Universum), Hiranyagarbha (kosmisches Gemüt) und Avyakrita-Maya (undifferenziert, das heißt nicht manifest) sind die drei Körper von Ishwara.
- 5. Ishwara, der sich mit diesen drei Körpern identifiziert, wird Vaisvanara, Sutratma und Antaryami genannt.
- 6. Beginnend beim „Gedanken“ „Ich”, das nicht-duale Eine möge zu vielen werden“ bis zur Aussage „Er betrat die Form des Jiva“ bildet die Aktivität (Karya) von Ishwara alle Schöpfung.
- 7. Die acht Dharmas (Charakteristika) von Ishwara sind Allmacht, Allwissenheit, Eins-Sein, Freiheit (Svatantrya), Leistungsfähigkeit (Samarthya), Unsichtbarkeit (Parokshattva) und Maya als begrenzendes Attribut.
- 8. Das Vachyartha von „Tat“ ist also:
- a. Maya inklusive der acht obigen Charakteristika (siehe 7)
- b. Die Reflektion von Chit (Chidabhasa) in ihnen
- c. Brahman, das zugrundeliegende Substrat
Zusammengefasst ist die primäre Bedeutung von “Tat” das untrennbare Ganze (der drei folgenden Punkte) – vergleichbar mit einer glühenden Eisenkugel – bestehend aus:
- der Maya (inklusive den grobstofflichen, feinstofflichen und kosmischen Körpern)
- aus dem mit Maya assoziierten allwissenden, herrschenden und so weiter Bewusstsein (gemeint sind das Bewusstsein von Ishwara, Hiranyagarbha und Vritti) und
- aus dem reinen ewigen Bewusstsein, das mit keinem der vorangegangenen Dinge verbunden ist.
Lakshyartha von “Tat”:
Die implizite Bedeutung (Laksyhartha) von “Tat” ist das reine und unassoziierte Bewusstsein, welches verbleibt, wenn Maya und ihr Gefolge und Chidabhasa (der Jiva als reflektierte Intelligenz) ausgeklammert werden. Dieses Bewusstsein ist die Basis all dieser Dinge, das heißt die Basis der begrenzenden Eigenschaften und von Ishwara, der von ihnen begrenzt ist.
An dieser Stelle sollte die gegenseitige fälschliche Wahrnehmung (Adhyasa – das heißt etwas kürzlich Beobachtetes wird fälschlich in einem anderen Objekt wiedererkannt) zwischen Brahman und Ishwara angesprochen werden. Diese Paraspara-Adhyasa beruht auf mangelnder Unterscheidung. Die wahre ewige Natur von Brahman wird fälschlich in Ishwara wiedererkannt. Daher erscheint Ishwara als real. Da im Gegenzug die Natur von Ishwara und seines Schöpfertums in Brahman wiedererkannt werden, scheint Brahman die Ursache des Universums zu sein. Somit herrscht Anyonya Adhyasa (gegenseitige Überlagerung) zwischen Brahman und Ishwara. Diese fälschliche Betrachtung kann nur durch wahres Wissen, welches aus Unterscheidung erwächst, aufgelöst werden.
Vachyartha von „Tvam“:
Tvam bezieht sich auf die individuelle Seele mit folgenden Eigenschaften und Verbindungen:
- 1. Auge, Kehle und Herz bilden den Aufenthaltsort (Desa) für die individuelle Seele (Jiva).
- 2. Jagrat, Svapna und Sushupti – Wachzustand, Traumzustand und Tiefschlaf – als die drei Zeiten (Kala) der Seele.
- 3. Sthula, Sukshma und Karana (grobstofflich, feinstofflich und kausal) sind die drei Körper.
- 5. Visva, Taijasa und Prajna sind die drei Bezeichnungen, je nachdem mit welchem Körper sich Jiva gerade identifiziert (je nach Wach-, Traum- oder Tiefschlafzustand).
- 6. Die Aktivität (Karya) des Jiva ist der Kreislauf der Wiedergeburten (Samsara) vom normalen Welt-/ Wachbewusstsein (Jagrat) bis zu Moksha (Befreiung).
- 7. Die acht Dharmas (Charakteristikas) der individuellen Seele sind begrenzte Macht, begrenztes Wissen, räumliche Begrenzung (diese 3 stehen im Gegensatz zu Allmacht, Allwissenheit und Allgegenwart von Ishwara), Vielheit, Untergebenheit (Paratantratva), begrenzte Stärke (Samarthya), Unmittelbarkeit (Aparokshatva) und Unwissenheit (Avidya) als den begrenzenden Faktor.
- 8. Die direkte Bedeutung von Tvam besteht aus diesen drei Dingen:
- a. Avidya und die sieben anderen begrenzenden Eigenschaften aus (7)
- b. Chidabhasa – die Reflektion von Chit in der Unwissenheit
- c. Kutastha (das Höchste, Brahman, der innere Zeuge) – die Grundlage beider
Zusammenfassend gilt: Die primäre Bedeutung von “Tvam” ist – wenn Avidya (inklusive der drei Körper) das Bewusstsein (in den Zuständen von Visva, Taijasa und Prajna), verbunden mit unvollständigem begrenztem Wissen und das reine Bewusstsein, das mit keinem der vorgenannten Attribute verbunden ist, als unentwirrbares Ganzes erscheinen – vergleichbar mit einer glühenden Eisenkugel.
Lakshyartha von “Tvam”:
Kutastha ist letztlich Laksyhartha von “Tvam”. Kutastha ist der Zeuge im Jiva, das Substrat der drei Körper und so weiter und ist das, was übrig bleibt, wenn man Chidabhasa (das in Avidya reflektierte Bewusstsein) und Avidya von der direkten Bedeutung von „Tvam“ weglässt.
So wie zwischen Brahman und Ishwara gibt es auch Adhyasa (irrtümliche Wiedererkennung) zwischen Kutastha und Jiva. Die Natur von Kutastha wird im Jiva wiedererkannt, so dass Jiva real zu sein scheint. Umgekehrt werden die Eigenschaften von Jiva (und seiner Dharmas) im Zeugen (Kutastha) fälschlicherweise wiedererkannt. Dieser ist nicht-verhaftet, nicht handelnd, nicht genießend und allzeit frei. So erscheint Kutastha gegensätzlich zu seiner wahren Natur. Durch Viveka-Jnana (Unterscheidung) kann diese falsche Anschauung aufgelöst werden.
Die Nicht-Anwendbarkeit von Jahallakshana und Ajahallakshana:
In Jahallakshana vermeidet man alle Aussagen aus Vachyartha, also die wörtliche, direkte Bedeutung. Dadurch würden sich bezogen auf „Tat“ und „Tvam“ bei Anwendung von Jahallakshana folgende Absurditäten ergeben:
- 1. Das transzendente Brahman, das reine Bewusstsein, das ein Teil von Vachyartha in “Tat“ ist, würde ausgeklammert.
. 2. Als Folge müssten wir ein unbewusstes Universum annehmen oder – wenn wir zusammen mit dem reinen Bewusstsein das ganze Universum weglassen – reine Leere (Sunyata).
Beides wäre fatal und Moksha könnte nicht erreicht werden.
In Ajahallakshana ignoriert man keine direkte Bedeutung, sondern nimmt die gesamte Bedeutung (inklusive Lakshyartha). Tun wir dies und erhalten alle Bedeutungen aus Vachyartha aufrecht, so müssen wir für Lakshyartha wieder nur Leere (Sunjata) annehmen. Dieser Ansatz bringt uns nicht weiter. Daher sind weder Jahallakshana noch Ajahallakshana anwendbar, um „Tat Tvam Asi“ zu begreifen.
Durch Bhagatyaga-Lakshana vermeiden wir widersprüchliche Anteile und halten nur die nicht-widersprüchlichen Anteile aufrecht. Angewendet auf „Tat“ und „Tvam“ bedeutet dies:
- 1. wir lassen die sich widersprechenden Maya und Avidya aus der jeweiligen direkten Bedeutung weg
- 2. und behalten das reine Bewusstsein übrig, das nicht widersprüchlich ist (da in beiden enthalten, in der direkten und der übertragenen Bedeutung).
Folglich existiert doch ein Mittel, um das Ziel zu erreichen.
Nur Bhagatyaga-Lakshana ist ein im Falle des Mahavakyas „Tat Tvam Asi“ zulässiges Instrument der Interpretation.
Siehe auch
Links
Literatur
- Swami Sivananda: Vedanta für Anfänger
- Swami Vishnu Devananda: Meditation und Mantras
- James Swartz: Die Wirklichkeit verstehen
- James Swartz: Yoga der Liebe
- Sri Shankaracharya: Das Kronjuwel der Unterscheidung
- Sri Shankaracharya: Atma Bodha und Aparoksha Anubhuti auch als eBook
- Swami Vivekananda: Vedanta - Der Ozean der Weisheit
- Sukadev Bretz: Die Yoga Weisheit des Patanjali für Menschen von heute
- Sukadev Bretz: Die Bhagavad Gita für Menschen von heute
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- 19.12.2024 - 19.12.2024 Wettbewerbsdenken aus Vedantasicht - Online Workshop
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