Adhyaropa

Aus Yogawiki
Optische Täuschung

Adhyaropa: (Sanskrit: अध्यारोप adhyāropa m.) eine falsche Vorstellung, die die Realität verdeckt; Täuschende Zuschreibung einer Eigenschaft; Eigenschaften des einen werden auf etwas anderes übertragen. Das Beispiel aus der Mandukya Upanishad vom Seil, das fälschlicherweise im Halbdunkel für eine Schlange gehalten wird, beschreibt dies. Shankara verwendet diese Analogie sehr häufig, um zu zeigen, dass die Eigenschaften des Selbst auf den Körper übertragen werden.

Adhyaropa - Die Welt ist eine Illusion

Die Welt ist eine Projektion

- Ein Vortrag von Sukadev Bretz 2019 -

Adhyaropa, ein Gedanke aus dem Jnana Yoga, aus Vedanta, kann man als Projektion übersetzen. Adhyaropa ist ein Konzept, das erklären will, wie die Welt überhaupt entstanden ist, was die Welt überhaupt ist, wie es kommt, dass wir eine Welt wahrnehmen.

Grundlagen im Vedanta sind ja: Die Welt, wie wir sie wahrnehmen, existiert so nicht, es gibt nur Brahman.

Brahma Satyam – Brahman allein ist wirklich.
Jagan Mithya – Die Welt wie wir sie wahrnehmen ist eine Illusion.

Adhyaropa ist nun ein Konzept dazu, wie diese Welt entstanden ist. Adhyaropa kann man übersetzen als Projektion, man kann auch sagen Darüberstülpung. Das heißt, wir stülpen ein Konzept über etwas, ohne dass es existiert. Dafür werden mehrere Nyayas gebraucht, was in diesem Kontext ‚Analogien‘ bedeutet. Nyaya ist in einem anderen Kontext eines der sechs klassischen Philosophiesysteme, das Logiksystem, aber hier bedeutet Nyaya Analogie.

Die Analogie „Schlange und Seil

Die berühmteste der Vedanta-Analogien ist „Schlange und Seil“, sie wird auch als Rajjusarpa Nyaya Analogie bezeichnet. Rajju heißt Seil, Sarpa heißt Schlange. Diese wird nun etwas genauer analysiert, dann kann Adhyaropa verstanden werden und verstanden werden, was diese Welt ist. Adhyaropa, die Welt als Projektion auf Brahman.

Geschichte der Rajjusarpa Analogie

Nur ein Seil!

Dies ist die Geschichte der Rajjusarpa-Analogie: Im alten Indien gab es einen älteren Mann, der durch seinen Garten hindurch ging. Plötzlich sah er dort ein Seil, er sah es zu spät, er trat darauf und sprang zur Seite. Er merkte, dass er gebissen worden ist. Er spürte einen Schmerz an der Ferse, er ging ins Haus hinein, er merkte, dass es blutete, er spürte, dass er seine Lebenskräfte verlor. Er wusste da war eine Giftschlange, die ihn gebissen hat und dass er gleich sterben wird. Der Priester wurde gerufen, die Verwandten wurden gerufen und auch eine alte Frau kam vorbei. Die alte Frau schaute sich das genauer an, sie schaute die Ferse an, sie schaute den Mann an und dachte, dass sie dies genauer untersuchen will. Sie nahm eine Lampe und einen Leuchter und ging damit nach draußen. Was sie dort sah war ein Seil und neben dem Seil einen Dornenbusch. So erkannte sie, dass der alte Mann auf das Seil trat und dass er sich beim Ausweichen an einem Dorn verletzt hat, dass der Dorn die Verletzung und Blutung erzeugt hat und dass es nie eine Schlange gab. Die alte Dame ging ins Haus zurück und erzählte das dem alten Mann, sie sagte: „Steh wieder auf, du stirbst jetzt nicht!“. Zum Priester sagte sie: „Du kannst wieder nach Hause gehen“. Der alte Mann war zunächst verwirrt und als er es ihr zeigen wollte, war da nur ein Seil. Es war nie eine Schlange da gewesen, es war immer nur Seil.

So ist jetzt die Frage: Wie ist die Schlange entstanden? Für den alten Mann war die Schlange Wirklichkeit gewesen, für den alten Mann war der Schmerz wirklich, die Todesangst war wirklich, die Schlange war wirklich. Ihm sind sogar die Lebensenergien geschwunden. Ob er daran hätte sterben können ist wieder eine andere Frage. Aber er hat zumindest gedacht, er würde daran sterben. Wie kommt das? Da war nur ein Seil, aber er hat gedacht, es ist eine Schlange. Das nennt sich Adhyaropa: Projektion. Der Mann hat die Vorstellung einer Schlange auf das Seil projiziert. Diese Projektion ist dann so machtvoll geworden, dass er Angst, Todesangst bekommen hat, und nicht nur Todesangst, sondern er hat auch gedacht, dass er stirbt.

Die Frage ist: Ist das Seil jemals zur Schlange geworden? – Nein.
Man könnte auch fragen, wann ist das Seil zur Schlange geworden? – Nie.
Gab es für den alten Mann die Schlange? – Ja.
Aber er hat es jemals eine Schlange gegeben?- Nein.
Hat die Schlange aufgehört zu existieren? – Ja und Nein, da sie nie angefangen hat zu existieren kann sie auch nie aufgehört haben, aber die Vorstellung der Schlange hat aufgehört.

Dies ist die Analogie dieser Welt. Es gibt nur Brahman, so wie in der Geschichte nur das Seil wirklich war. Brahman ist niemals zur Welt geworden, nur du stellst dir die Welt vor – Adhyaropa, du projizierst die Vorstellung einer Welt auf Brahman. Du projizierst die ganze Welt der Namen und Formen auf Brahman. Man könnte auch sagen, das machst nicht nur du, das machen andere auch. Letztlich könnte man sagen, dass die ganze Welt, wie wir sie wahrnehmen, eine Projektion von Ishvara auf Brahman ist. Und Ishvara ist letztlich auch nur Brahman, Brahman projiziert die Vorstellung von der Welt auf sich Selbst, Adhyaropa, Projektion, Drüberstülpung.

Die Frage, wann die Welt entstanden ist, lässt sich so beantworten: Genauso wenig wie die Schlange jemals entstanden ist, ist auch die Welt niemals entstanden. Zu fragen wann die Welt entstanden ist, ist unsinnig, die Welt ist nicht entstanden. Die Frage, wann die Schlange entstanden ist, ist unsinnig, die Schlange ist nicht entstanden. Dann könnte man fragen, warum ist Brahman überhaupt zur Welt geworden? Antwort: Brahman ist nicht zur Welt geworden, so wenig, wie das Seil zur Schlange geworden ist. Zu fragen, warum das Seil zur Schlange geworden ist, ist genauso unsinnig wie zu fragen, warum Brahman zur Welt geworden ist. Brahman ist nicht zur Welt geworden. Wann hört die Welt auf? Antwort: Die Welt hat nie bestanden, also kann sie auch nie aufhören. Wann hört die Schlange auf, Schlange zu sein? – Nie, denn die Schlange hat nie angefangen zu existieren. Dann kann man fragen, wann die Vorstellung angefangen hat, dass die Welt existiert? Antwort: Die Vorstellung ist ohne Anfang, so ähnlich wie wenn du in einen Traum hinein rutschst, dann existiert die Traumwelt schon unendlich lange.

Für den alten Mann kann man jetzt nicht sagen, ab wann er das Seil zur Schlange gemacht hat. Für ihn gab es dort nur die Schlange. Auch wenn er sie erst kurz gesehen hat, aber er hat nicht gedacht, dass es zum Beispiel vor einem halben Tag dort ein Seil gab, welches zur Schlange geworden ist, d.h. seit einem halben Tag ist das Seil zur Schlange geworden. Die Vorstellung der Welt ist ohne Anfang. Aber wann hört die Vorstellung auf? – Wenn das Licht des Wissens kommt. So wie die Frau, die dem alten Mann das Licht zeigte und er erkannte, dass da nur ein Seil war; wenn das Licht des Wissens kommt, das Licht der Verwirklichung, verschwindet die Vorstellung, dass es eine separate Welt gab.

Adhyaropa erster und zweiter Ordnung

Adhyaropa bedeutet Projektion. Jetzt könnte man sagen, es gibt die allgemeine grundsätzliche Projektion, aber du hast auch so viele andere Projektionen: Du siehst einen Menschen, der in Gedanken verloren ist und du projizierst darauf vielleicht, dass er dich nicht mag, dich bewusst ignoriert. Oder du siehst jemanden, der dir ein paar Worte sagt und du denkst, er will dich bedrohen. Es gibt die Projektion erster und zweiter Ordnung:

  • Adhyaropa erster Ordnung ist überhaupt die Vorstellung, dass es eine Welt gibt.
  • Adhyaropa zweiter Ordnung ist, dass du über die Teile der Welt noch einmal etwas drüber stülpst, so wie die Vorstellung, von der Schlange auf das Seil.

Die Analogie von Mann und Pfosten

Diese Analogie hat auch einen schönen Namen, Shuktirajata Nyaya – Mann und Pfosten. Angenommen, du gehst in der Dunkelheit durch den Wald oder durch das Feld. Hier wo ich wohne, in Bad Meinberg, sind Wald und Feld direkt in der Nähe, und es ist schön, gerade jetzt ist es Herbst, nachts mal in den Wald zu gehen, sich hinzusetzen oder hinzustellen und irgendwo fällt es leicht Brahman zu erfahren.

Jetzt kann es aber sein, dass du vielleicht gehört hast, dass es irgendwelche Gestalten gibt, die sich herumtreiben und Menschen bedrohen und dann siehst du plötzlich einen Menschen, und du siehst ihn ganz groß, und er steht dort bewegungslos. Du kriegst es mit der Angst zu tun.

Nun stell dir vor, du begegnest jemandem, den du kennst auf dem Weg, und sagst zu ihm: „Pass auf, da hinten lauert jemand, er hat sich schon seit einer viertel Stunde nicht bewegt. Was macht der, wer ist das?“ Und der andere lacht und sagt: „Das ist doch nur ein Pfosten!“.

Auch hier kann man es so deuten: Der Pfosten entspricht Brahman, er war immer da. Die Vorstellung eines bedrohlichen Mannes ist Adhyaropa, Projektion. Die Welt immer da war als Brahman, die Vorstellung einer Welt projizierst du darüber. So ist die Welt niemals existent geworden. Brahman wird nicht zur Welt, Brahman bleibt immer Brahman, aber du projizierst die Vorstellung einer Welt auf Brahman. Und du kannst aufhören, diese Projektion zu sehen, wenn Jnana Vidya kommt, das höchste Wissen, die höchste Weisheit oder auch Jnana Dipti, das Licht der Erkenntnis. Dann verschwindet die Vorstellung, dass dort ein bedrohlicher Mann ist, es verschwindet die Vorstellung, dass es eine bedrohliche Welt gibt.

Löwe-Stein-Analogie

Nur eine Skulptur: Ein Löwe aus Stein

Es war einmal ein Vagabund, ein Wanderer, der durch die Gegend zog. Er hatte Hunger. Er ging durch ein reiches Villenviertel im alten Indien. Dort war ein Garten und er sah dort wunderschöne Mangos auf Mangobäumen. Sie sahen verführerisch aus und er wollte sich gern eine dieser süßen, goldenen Früchte holen. Er schaute über die Straße, sah niemanden und dachte, dies sei ein guter Moment. Er ging gerade auf den Zaun zu und wollte drüber klettern, da sah er einen großen Löwen, der die Pranke erhoben und das Maul geöffnet hatte. So bekam es der Vagabund mit der Angst zu tun. Er dachte: „Da gehe ich lieber nicht weiter. Er schaut mich schon bedrohlich an, er wird mich bestimmt gleich fressen“. Schnell ging er ein paar Meter zurück. Dann dachte er sich, dass der Löwe nicht lange da bleiben könnte, vielleicht wird er irgendwann rein geholt. Der Vagabund hatte ja Zeit. Er wartete eine halbe Stunde und beobachtete, dass der Löwe sich gar nicht bewegte. Er hatte ständig die Pranke gehoben und das Maul aufgerissen, da könne doch etwas nicht stimmen. Ganz vorsichtig näherte er sich wieder dem Zaun, bei dem Löwen tat sich nichts. Er schaute noch etwas genauer hin und sah, da war gar kein Löwe, da war ein großer Stein, ein Löwe als Steinfigur. Er lachte über sich selbst, kletterte über den Zaun, nahm ein paar Mangos und genoss den weiteren Tag.

Auch dies ist eine Analogie für das Leben. Wir haben öfters Angst und denken „Wie schlimm, was könnte da sein?“ und haben alle möglichen Ängste und Nöte, aber in Wahrheit gibt es nur Brahman – Sein, Wissen, Glückseligkeit. Wir brauchen vor nichts Angst zu haben. Wovor wir auch immer Angst haben, es ist nur eine Projektion. Es gibt nur Brahman.

Und so wie unser Vagabund dann die Mangos genießen kann, so können wir auch unsere wahre Natur als Sein, Wissen, Glückseligkeit genießen. Wir wissen „Aham Brahmasmi – Ich bin Brahman“. Brahma Satyam – es gibt nur Brahman. Die Vorstellung, dass es irgendetwas Bedrohliches in dieser Welt gibt, ist Mithya, nur Einbildung.

Zusammenfassung

In diesem Sinne sei dir immer wieder bewusst welche Adhyaropas du hast. Es gibt die große Projektion, dass es überhaupt eine Welt gibt. Es gibt Projektionen, was du denkst, was andere Menschen denken und tun sollten. Es gibt Projektionen, was welche Bedeutung hat. Und du hast vor so vielem Angst oder machst dir so viele Hoffnungen und Befürchtungen, die alle irgendwo in deinem Geist ablaufen, Projektionen sind. Tritt öfters zurück, schau dir das ganze amüsiert an und löse dich von diesen Projektionen.

Es gibt nur ein unendliches und ewiges Bewusstsein, nichts anderes. Alles, was du sonst erlebst und erfährst, ist Adhyaropa, Projektion. Sei dir dessen bewusst. Spüre im Alltag immer wieder: Hinter allem ist ein unendliches Bewusstsein – Prajna, und dieses Bewusstsein bist du. ‚Tat Tvam Asi‘ kannst du dir sagen: „Das bist du“. ‚Aham Brahmasmi‘ – ich bin dieses Brahman. Und dann sei dir bewusst, die Vorstellung einer Welt ist Adhyaropa, Projektion, Drüberstülpung.

Und du könntest von Adhyaropa mehrere Grade ansehen.

  • Dass du überhaupt eine Welt siehst, ist nicht deine eigene Projektion, sondern Brahman projiziert die Welt auf sich selbst. Es wird auch gesagt, die Welt ist ein Traum Gottes.
Die meisten Ängste sind eingebildet
  • Und du selbst schaffst nochmal alle möglichen anderen Adhyaropas. Die meisten Ängste sind eingebildete Ängste vor etwas, wovor du keine Angst haben bräuchtest. Die meisten Befürchtungen sind eingebildete Befürchtungen, die meisten Kränkungen sind eingebildete Kränkungen.
  • Die meisten Streitigkeiten kommen, weil du Adhyaropa auf einen anderen Menschen ausübst, du denkst, was der andere von dir denkt, und der denkt noch, was du denkst. So schimpft Adhyaropa mit Adhyaropa und es kommen alle möglichen Konflikte dabei heraus.

Lächle darüber. Prajnanam Brahma – Bewusstsein ist Brahman. Und egal wenn man unterschiedlicher Meinung ist, Prajnanam Brahman – auf der Ebene des Bewusstseins sind wir eins.

So möchte ich dich dazu animieren, dir öfters bewusst zu machen, dass es nur eine unendliche Wirklichkeit gibt und alles was du sonst wahrnimmst, ist Adhyaropa, und so viele Zusatz-Adhyaropas schaffst du dir auch. Nimm sie lächelnd zur Kenntnis und nutze Jnana Dipti, das Licht des Wissens, um dich davon zu lösen.

Mein Name ist Sukadev, hinter der Kamera ist Nanda und all das ist nur eine Projektion. Natürlich siehst du das Ganze als Video, dort wird dir die Projektion besonders klar, ob du das auf einem Fernsehbildschirm, Handy oder Desktop siehst oder irgendwann einmal mit Beamer in 3D projiziert, es ist alles Illusion. Es gibt nur den Bildschirm und die Namen und Formen, die kommen, sind Adhyaropa, Projektion. So ähnlich ist auch alles andere auch Projektion. Und wenn du mal eine besonders schöne Projektion sehen willst, dann komm zu Yoga Vidya in einen der Ashrams. Informationen auf den Yoga Vidya Internetseiten.

Hinweise

Mehr Information über Vedanta, Meditation und wie du zum Beispiel Yoga vom ganzheitlichen Standpunkt aus üben kannst, findest du auf unseren Internetseiten www.yoga-vidya.de . Und natürlich fällt es am Leichtesten sich mit besonders tiefen Fragen des Lebens zu beschäftigen, wenn man sich für ein paar Tage eine Auszeit nimmt und dieses vielleicht in einer besonders spirituellen Umgebung, zum Beispiel in einen der Yoga Vidya Ashrams, beispielsweise in Bad Meinberg im Teutoburger Wald, an der Nordsee, Allgäu oder Westerwald. Ein paar Tage weg vom Alltag, ein paar Tage intensiverer Meditation und Yoga hilft dir, dass du noch bereiter bist für Fragen wie:

Video - Adhyarupa - Die Welt ist eine Illusion

Sukadev über Adhyaropa

Niederschrift eines Vortragsvideos (2014) von Sukadev über Adhyaropa

Adhyaropa heißt Täuschung, heißt Übertragung, Adhyaropa heißt auch Überdeckung, täuschende Zuschreibung einer Eigenschaft. Adhyaropa heißt also Projektion, Übertragung, Überdeckung. Adhyaropa könntest du psychologisch deuten und du kannst immer wieder feststellen im Umgang mit anderen Menschen, hast du Adhyaropas. Du stellst dir etwas vor, was der andere Mensch will oder denkt oder von dir denkt, was er getan hat, und er hat es vielleicht nicht getan. Adhyaropa kann auch heißen, in einer Situation. Du bist in einer Situation und stellst dir alles Mögliche vor. Im Vedanta wird Adhyaropa sogar sehr viel noch allumfassender verwendet, dort wird gesagt, die gesamte Welt ist Adhyaropa über Brahman.

Es gibt nur Brahman, das Allumfassende, das Ewige und das Unendliche. Und der eigene Geist macht Adhyaropa und lässt die ganze Welt erscheinen. Es erscheint so, als ob es hier eine Welt gibt. Du kannst dir vorstellen, wenn ich sage, Blume, dann siehst du Blume. Und diese Blumen sind wunderschön. Aber die Vorstellung einer Blume kommt in deinem eigenen Geist. Da ist jetzt nicht etwas wirklich Physisches da, da sind Schwingungen, da ist vielleicht auch Prana dabei, da ist göttliche Manifestation da, da ist Brahman, dass du da etwas siehst, ist Adhyaropa. Das berühmte Beispiel für Adhyaropa ist die so genannte Naga Suya Nyaya, die Analogie zwischen Schlange und Seil. Jemand sieht eine Schlange und in Wahrheit ist es nur ein Seil. Er hat Angst vor der Schlange, obgleich nur ein Seil da ist. Die Vorstellung einer Schlange ist über das Seil drüber gestülpt oder drüber projiziert. Und diese Übertragung und diese Projektion, die nennt sich eben Adhyaropa. Adhyaropa im Kleinen, Adhyaropa im Großen.

Bei einem spirituellen Aspirant zeichnet sich aus, dass er versucht, über Adhyaropa hinauszugehen, er überlegt manchmal: „Ist das, was ich jetzt gerade denke oder was ich interpretiere, was ich meine, ist das bis zu einem gewissen Grad tatsächlich so oder ist es meine Adhyaropa?“ Und so kannst du damit humorvoll umgehen und dich selbst öfters in Frage stellen und damit immer wieder etwas spielerisch mit der Wahrheit umgehen. Also, Wahrheit im Sinne von deinen Vorstellungen. Denn du weißt, letztlich die ganze Welt ist sowieso Adhyaropa und es gibt die kleinen Adhyaropas und das große Adhyaropa. Und öfters mal sei dir einfach bewusst, hinter alles ist nur Brahman, alles ist eine Manifestation Brahmans, alles ist göttlich, auch du bist göttlich, letztlich dein Charakter ist göttlich, deine Persönlichkeit ist göttlich, überall hinter Adhyaropa ist eben das Eine, das Allumfassende, das Göttliche, die kosmische Liebe, das kosmische Bewusstsein.

Swami Sivananda über Adhyaropa

Aus: Swami Sivananda [1]: Vedanta für Anfänger

Adhyaropa bedeutet Überlagerung oder Projektion! Dies ist eines der wichtigsten Prinzipien des Vedanta. Man kann das Studium des Vedanta nicht fortführen, ohne Adhyaropa zu begreifen. In Wahrheit wurde diese Welt niemals erschaffen. Sie ist eine Projektion von Brahman bzw. auf Brahman überlagert. Sie ist nur eine Vorstellung, während Brahman das einzig Existierende ist. Dies ist mit Adhyaropa gemeint. Die fälschliche Projektion wird durch Apavada Yukti (Technik der Verneinung) zurückgenommen.

Du möchtest deinen Freund treffen, aber als du sein Haus erreichst, findest du ihn dort nicht vor. Von den Nachbarn erfährst du, dass er noch beim Einkaufen ist. Also wartest du an seiner Tür auf seine Rückkehr. Dann erblickst du plötzlich jemanden in der Ferne, der deinem Freund ähnelt. Der Geist denkt, dies sei dein Freund. Aber wenn er näher kommt, siehst du, dass es sich doch nicht um deinen Freund handelt. Das ist Adhyaropa.

Selbst wenn es dein Freund gewesen wäre, so hättest du andersherum denken können, dass er nur jemand sein könnte, der ihm ähnelt, weil du dich in der Vergangenheit bereits öfter geirrt hast. Das ist negative Projektion. Ersteres Beispiel war positive Projektion. Beide Fälle haben eine falsche Auffassung über die Gleichheit zweier Dinge gemeinsam. Das ist Projektion bzw. Überlagerung, Adhyaropa.

Adhyaropa resultiert aus der Unwissenheit um die wahre Natur der Dinge. Zum Beispiel verwechseln Menschen ein Seil mit einer Schlange, einen Pfosten mit einem Menschen, Perlmutt mit Silber, Fata Morgana mit Wasser etc. Im dämmrigen Abendlicht verwechselst du das Seil mit der Schlange. Du fürchtest dich. Aber ein Freund kommt mit einer Lichtquelle des Weges und zeigt dir, dass es nur ein Seil ist. Nun schaust du dir die angebliche Schlange nochmals genau an und siehst, dass sie sich nicht bewegt und es sich wirklich um ein Seil handelt. Adhyaropa verschwindet. In diesem Beispiel hat es nie eine Schlange gegeben. Da war immer nur ein Seil. Die Schlange existierte nie, existiert jetzt nicht und wird nie dort sein. Das heißt, weder bevor du die vermeintliche Schlange erblickt hast, noch als du galubtest, sie zu sehen, noch als dein Freund dir mit dem Licht zeigen konnte, dass es ein Seil ist, hat es eine Schlange gegeben.

Warum aber dachtest du, eine Schlange zu sehen, obwohl dort nur ein Seil war? Die Antwort ist jenseits deiner Vorstellungskraft! Du würdest einfach sagen, dass dir das Seil wie eine Schlange vorkam. Genauso sind alle Objekte, die du in dieser Welt erblicken kannst, nur Brahman. Sie waren immer Brahman und werden immer Brahman bleiben. Für einen Jnani existiert die Welt überhaupt nicht. Sie existiert nur für einen Ajnani. Bis die Wahrheit in dir aufsteigt, unterliegst du dem Bann der Unwissenheit. Man sieht verschiedene Objekte. Sie führen zum Gefühl von Schmerz und Freude. Man erlebt Leid und Trübsal. Man ist Vorlieben und Abneigungen unterworfen. Die fünf Sinnesorgane und fünf Tätigkeitsorgane arbeiten permanent und du erkennst verschiedenste Objekte wie Hügel, Berge, Flüsse, Menschen, Tiere und alles andere. Aber wenn du durch die Gnade des Guru und durch unermüdliches Sadhana bis zur inneren Reinigung durch Zuhören, Nachdenken und Meditation die Wahrheit erkennst, dann wird dir die Welt nicht mehr als real erscheinen. Überall wo du hinschaust, wirst du nur Brahman sehen. Dann kannst du niemanden mehr hassen oder nicht mögen, weil du dein eigenes Selbst bzw. Brahman in allen Dingen erkennst. Könntest du dich selbst jemals nicht mögen? Du könntest alles an dir und um dich herum ablehnen, aber nicht dich selbst. Wenn du in allen Dingen dein Selbst erblickst, wen könntest du dann noch hassen? Du wirst eine Verkörperung reiner kosmischer Liebe.

Du suchst ein Seil. Du findest es. Aber im Dunkeln hältst du es für eine Schlange. Du rennst vor ihr weg. Überall sonst im Haus findest du kein Seil. Dein Bruder bringt ein Licht und zeigt dir, dass die Schlange nur ein Seil ist. Jetzt siehst du das Seil. So wie du das Seil in der Schlange selbst erkannt hast, so wirst du Brahman in allen Dingen der Welt erblicken. Du kannst Brahman nicht finden, indem du dich in Berghöhlen zurückziehst. Du musst stattdessen üben, Gott bzw. Brahman in jedem Objekt um dich herum zu erkennen. Wenn du dann in der Lage bist, die den Dingen zugrundeliegende Wahrheit zu erkennen, wirst du nicht mehr irregeleitet sein.

Der höchst erhabene Brahmanishtha Guru, für den es keine Welt gibt, kommt aus seinem höchsten Bewusstseinszustand herab, um den Schüler zu unterweisen. Selbst dann ist er sich seiner wahren Identität als Brahman voll bewusst. Er weiß, dass er selbst und sein Schüler Brahman sind. Durch sein Mitgefühl und seine Liebe schüttet er seine Gnade über den geeigneten Schüler aus, indem er ihm das Wissen um Brahman vermittelt.

Adhyaropa muss gut verstanden sein. Wenn du dieses Prinzip nachvollziehen kannst, wirst du den Vedanta leicht verstehen können. Wenn sich dir die simple Wahrheit erschließt, dass die ganze Welt eine Projektion Brahmans ist, wenn du darüber meditieren kannst „Dieser Körper ist ein Tempel aus fünf Elementen, so wie jedes Haus aus Steinen, Zement, Holz und Eisen besteht; das Selbst in mir ist das Selbst in allen anderen Wesen; der umherirrende Geist ist die Ursache für alles Leid und Unglück“, so wirst du für alle Zeit in Freude, Frieden und ewiger Glückseligkeit verbleiben.

Mögest du auf ewig glücklich in dieser Erkenntnis leben, inmitten von Veränderungen, Freud und Leid dieses geschäftigen weltlichen Lebens. Mögest du in Brahman fest verankert sein – die Grundsubstanz von Körper, Geist und Seele, Jiva (Individuum) und Jagat (Welt), Maya (Illusion) und Ishvara (persönlicher Gott), Ursache und Wirkung!

Copyright Divine Life Society

Adhyaropa अध्यारोप adhyāropa Aussprache

Hier kannst du hören, wie das Sanskritwort Adhyaropa, अध्यारोप, adhyāropa ausgesprochen wird:

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Siehe auch

Literatur

Weblinks

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Swami Tattvarupananda

Capeller Sanskritwörterbuch über das Sanskritwort Adhyaropa

Adhyaropa , Sanskrit अध्यारोप adhyāropa, falsche Übertragung, (ph).  Adhyaropa ist ein Sanskritwort und bedeutet  falsche Übertragung, (ph). 
Swami Sivananda - Liebe ausstrahlend


Verschiedene Schreibweisen für Adhyaropa

Sanskrit Wörter werden in Indien auf Devanagari geschrieben. Damit Europäer das lesen können, wird Devanagari transkribiert in die Römische Schrift. Es gibt verschiedene Konventionen, wie Devanagari in römische Schrift transkribiert werden kann Adhyaropa auf Devanagari wird geschrieben " अध्यारोप ", in IAST wissenschaftliche Transkription mit diakritischen Zeichen " adhyāropa ", in der Harvard-Kyoto Umschrift " adhyAropa ", in der Velthuis Transkription " adhyaaropa ", in der modernen Internet Itrans Transkription " adhyAropa ".

Zusammenfassung Deutsch Sanskrit - Sanskrit Deutsch

Sanskrit Adhyaropa - Deutsch falsche Übertragung, (ph)
Deutsch falsche Übertragung, (ph) Sanskrit Adhyaropa