Rad (Symbol)

Aus Yogawiki
Version vom 29. Juli 2023, 16:11 Uhr von Shankara (Diskussion | Beiträge) (Textersetzung - „/?type=1655882548</rss>“ durch „/rssfeed.xml</rss>“)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

Das Rad des göttlichen Lebens

Artikel von Swami Sivananda

Gruß dem höchsten Guru, dem unsterblichen Selbst, dem gemeinen vereinenden Dasein, das allgegenwärtig ist. Gruß den Fackelläufern göttlichen Wissens. Gruß all den nach Wahrheit Strebenden, die das göttliche Leben leben. Verehrung all der heiligen Bestrebungen. Gesegnet seien all die noblen Bemühungen um Verwirklichung.

Gott3.jpg

Die ewigen Mysterien menschlichen Geistes, das immerzu ruhelose und unbefriedigte emotionale menschliche Wesen, die Unangemessenheit der zeitlichen Existenz, das Scheitern des Intellekts die Probleme des Lebens zufriedenstellend zu lösen, die rätselhafte Kluft, die hohe Ideale von groben Realitäten trennt - all das dient dazu, dass der menschliche Geist sich auf Gott ausrichtet. Göttliches Leben ist der Prozess durch den Fortschritt hin zur Gottesverwirklichung gemacht wird und durch den gleichsam Abhilfe für alle möglichen Unwegsamkeiten des Lebens geschaffen wird.

Der Guru ist der Führer der den Aspiranten auf dem Weg führt und der Aspiant ist der Pilger, der sich um Aufstieg ins Göttliche Leben breüht.

Eine zunehmende Kultivierung des geistigen und moralischen Inventars des Menschen ist das Hauptziel göttlichen Lebens. Es beginnt mit der Verschreibung an einige grundlegende Prinzipien wie der Wahrheit, Reinheit und Bemühung um selbige, Nichtverletzen, deren Praxis unweigerlich den freiwilligen selbstauferlegten Zwang von Selbstdiziplin mit sich bringt sowie einen Reinigungprozess im Sinne einer Läuterung. Die Umsetzung dieser drei grundlegenden Prinzipien in makelloser Art und Weise in den Alltag des Individuums formt aus sich selbst den lebendigen Teil göttlichen Lebens.

Die menschliche Natur hat zwei Seiten, eine negative und eine positive, wobei die eine Seite die jeweils andere zu dominieren sucht. Ausnahmslos sind in jedem Menschen die "Dr. Jekyll und Mr. Hyde" Anteile angelegt. Dominieren die Hyde-Anteile wird derjeweilige zum sozialen Wrack, in dem er über sich selbst und andere die schlechten Konsequenzen grenzenloser Leidenschaft und destruktivem Sadhismus des instinktdominierten menschlichen Bereiches bringt. Doch gibt es Menschen, deren Grad an Jeckyll-Elementen immens ausgeprägt ist, was sie so als große Wohltäter für die Gesellschaft unterscheidet und die auf diese Art und Weise in besserer Lage sind, mit sich selbst und anderen in Frieden zu sein.

Schließlich überwindet das Postive das Negative, jedoch übt für gewöhnlich die negative Kraft eine nahezu unbändige Macht über zahreiche Lebensphasen der meisten Menschen aus. Das verhält sich anders für jene, die damit bewusst begonnen haben, einen nachhaltigen Lebensweg der Einsicht, Besonnenheit des göttlichen Lebens zu leben.

Der zur Diskrimination fähige Teil des Geistes (Mind) versucht über den instiktiv gesteuerten zu bestimmen. Vairagya (Wunschlosigkeit, Verhaftungslosigkeit, Leidenschaftslosigkeit) determiniert deren Motive, und Mumukshuttwa (der intensive Wunsch nach Befreiung) liefert die Inspiration ihrer Bemühungen - wobei sich die jeweilige Stärke und das Licht aus dem spirituellen Wesensteil speist.

Der Pfad der Wahrheit, Reinheit und des Nichtverletzens deutet die höchste Form von Selbstdisziplin an, die darauf hinausläuft, jedwede negative Neigung die den niederen Naturen entspringt, direkt zurückzuweisen.

Wahrheit kennzeichnet neben der Sprachzügelung, der gerichteten Wertschätzung, den Mut auch das in die Tat umzusetzen, was als Wahrheit erkannt wurde, wenngleich dies vielleicht nicht immerzu vielversprechend wirkt oder sich gar nachteilig auf die eigene wirtschaftliche Lage auswirken mag. Wahrheit bedeutet auch, durch die Willenstärke aller positiven Grundsätze, einen Gerechtigkeitssinn, einen vorurteilsfreien Geist, und die Fähigkeit die feine, subtile alles durchdringende Essenz allen Lebens zu erkennen zu bewahren.

Reinheit ist der Prüfstein göttlichen Lebens, der die Kraft haben sollte, alles Negative in Positives umzuwandeln. Reinheit zu praktizieren beinhaltet die ganze Spannbreite der Kultivierung von Emotionen und alles was unter den Begriff der Selbstbeherrschung fällt.

Das bedeutet, die Praxis von Shatsampat, de sechs Vollkommenheiten; die sechsfache Tugend: Shama (Gleichmut), Dama (Kontrolle der Sinne), Uparati (das Zurückziehen der Sinne), Titiksha (Duldungskraft), Shraddha (Glaube), Samadhana (geistige Ruhe) die nämlich Geistes- und Sinneskontrolle, Stille, Nachsicht, Vertrauen und Konzentration ist. Reinheit ist physicher und geistiger Natur, da die beiden in ich-bedingender Beziehung stehen. Reinheit der Gedanken führt natürlicherweise zur Reinheit der Handlung wie auch zur Läuterung des sexuellen Verlangens.

Reinheit des Beweggrundes im Leben generell leitet die Praxis von Wahrheit ein. Nichverletzen ist Liebe, die beiden bedingen sich so gegenseitig. Hierbei ist wiederum die Selbstbeherrschung die regulierende Kraft. Die Bedeutung des Nichtvertzens ist nur dann komplett (verstanden) wenn sie von ganzem Herzen Gedanke, Rede und Handlung einschließt. Die Grundsätze von Liebe, Mitgefühl, Gnade, Kameradschaft und Wohlwollen sind alle mit dem Begriff des Nichtverletzens verbunden. Solange diese Prinzipien nicht vollständig praktiziert werden, verbleibt die Wirkung von Nichtverletzen eine gekünstelte.

Während Liebe ein dirketer Ausdruck Nichtverletzens ist, ist ihre logische Erfüllung im Dienen (zu finden). Der so häufig geschmähte Begriff “Liebe”, welcher all zu oft falsch verwendet wird im Sinne sinnlicher Albernheiten, egoistischen (Begehrens), Anhaftung, den Umständen geschuldeter Gefühlsduselei, emotionaler Bindung und überlagertem Selbstmitleid, ist tatsächlich eine seltene Pflanze, die nur im Garten göttichen Lebens gedeiht und die kontinuierlich gepflegt und genährt werden muss, damit sie in ihrer vollen Blüte zum Tragen kommt.

Liebe und Dienen sind voneinander nicht zu trennen. Dasselbe gilt für das Verstehen und Respektieren der Gefühle anderer. Es ist nicht möglich gleichzeitig Liebe für die Menschheit zu empfinden und trotzdem egoistisch und abgestumpft bezüglich des Leidens anderer zu reagieren. Deshalb ist sebstloses Dienen in die Tat umgesetzte Gottesliebe.

Wenn es dir möglich ist, diese drei Grundsätze göttlichen Lebens zu kultivieren und zu praktizieren, welche in Wirklichkeit das komplette Spektrum praktischer Spiritualität durchqueren, dann bist du auf dem Weg zur Selbstverwirlichung, dem Ziel menschlicher Bestrebung. Auf diesem Weg ist sogar ein Erfolg in Ansätzen äußerst hilfreich für den Frieden und das Glück jedes Einzelnen, für die Wertschätzung der Existenz, für die Verbesserung der menschlichen Natur, zum Wohle der Gesellschaft und zum Wohle der Welt als solcher.

Ein gemeinschafliches Bewusstsein für die Wichtigkeit götlichen Lebens mit all ihren pragmatischen Werten und Belangen, kann sicherlich äußerst viel zur Verbeitung des Weltfriedens, für Solidarität und für eine wirkliche Kameradschaft beitragen. Brahmavidya (das aus dem Sanskrit kommt und sich aus den beiden Begriffen "Brahma" und "Vidya", also das Wissen um Brahma (einen der drei Hochgötter im Hinduismus)), in anderen Worten das Wissen um göttliches Leben, ist das zentrale Leitbild aller Aspiranten auf dem spirituellen Weg. Allein darin liegt die Erlösung der Menschheit. Möge der Segen aller göttlichen Gurus mit allen sein.


Der nachfolgende Text ist dem Buch "Indische Mythen und Symbole - Schlüssel zur Formenwelt des Göttlichen" des Indologen Heinrich Zimmer entnommen (Originaltitel "Myths and Symbols in Indian Art and Civilization", Bollingen Foundation Inc., New York). Übersetzung aus dem Englischen von Ernst Wilhelm Eschmann, Eugen Diederichs Verlag, München 1981, 5. Aufl. 1993)

Brahma entsteigt dem Lotos, der aus Vishnus Nabel sprießt

Indische Mythen und Symbole - Kapitel 1: Ewigkeit und Zeit

Teil 2: Das Rad der Wiedergeburten

Indiens Schatz von Mythen und Sinnbildern ist unermeßlich. In den zahllos wimmelnden Texten und den massenhaft vorhandenen Architekturmonumenten überquellen so viel inhaltsreiche Einzelheiten, daß trotz aller Herausgabe-, Übersetzungs- und Deutungsarbeit der Gelehrten seit dem 18. Jahrhundert es keineswegs eine seltene Erfahrung ist, bisher unbemerkten oder unbekannten Erzählungen, unentzifferten Gleichnissen und ausdrucksvollen, noch nicht verstandenen Charakterzügen zu begegnen, oder auch ästhetischen und philosophischen Werten, um die sich noch kein Verständnis bemühte. Vom zweiten Jahrtausend v. Chr. gehen die indischen Überlieferungen in ungebrochener Folge fort. Da die Weitergabe vorwiegend mündlich geschah, ist uns nur ein unvollständiger Bericht der langen und reichen Entwicklung geblieben: bestimmte langdauernde und produktive Perioden haben kaum Zeugnisse hinterlassen, und vieles ist unwiederbringbar verloren gegangen. Dennoch sind, obgleich Zehntausende von Handschriftseiten noch auf Herausgabe warten, die großen bereits im Westen und in Indien gedruckt vorliegenden Werke so zahlreich, daß kein einzelner hoffen kann, sie im Laufe eines Lebens zu bewältigen.

Diese Erbschaft ist sowohl übermächtig wie bruchstückhaft und dennoch so einheitlich, daß es möglich ist, ihre Hauptzüge in einem einfachen zusammenhängenden Umriß wiederzugeben. Wir glauben in dem vorliegenden Band imstande zu sein, die Hauptgebiete und -probleme, die herrschenden Sinnbilder und bezeichnendsten Züge der reichen Mythenwelt des Hinduismus nicht nur zu überblicken, sondern auch in einem gewissen Grade zu erforschen.

Fragen der Methodologie und Interpretation, die unvermeidlich auftauchen, werden wir an ihrer Stelle behandeln. Dies kann aber nicht außerhalb, am Anfang, geschehen. Sind wir doch jetzt noch nicht mit den Personen, dem Stil, den Ereignisfolgen, den grundlegenden Vorstellungen und Wertmaßstäben dieser von der unsrigen so ganz verschiedenen Überlieferung vertraut. Es wäre nicht angängig, die Begriffe des Ostens in die dem Westen gewohnten, beschränkenden Rahmen zu zwängen. Wir müssen ihrer tiefen Fremdheit erlauben, uns die unbewußten Beschränkungen zu zeigen, denen unsere eigene Annäherung an die Rätsel von Mensch und Sein unterliegt.

Die wunderbare Geschichte von der Parade der Ameisen öffnet uns ein fremdartiges Schauspiel; der Pulsschlag eines anderen Raum- und Zeitgefühls lebt in ihr. Im Gesamtgefüge einer gegebenen Überlieferung und Kultur werden die Anschauungen von Raum und Zeit gewöhnlich fast selbstverständlich genommen. Ihre Gültigkeit wird selten erörtert oder in Frage gestellt, selbst nicht von Leuten, die sich in Bezug auf soziale, politische und moralische Probleme scharf absondern. Sie scheinen unvermeidlich, farblos und auch unwichtig zu sein; bewegen wir uns doch durch sie hindurch und werden von ihnen getragen wie der Fisch im Wasser. Wir sind in ihnen enthalten und werden von ihnen eingefangen in Unkenntnis ihrer besonderen Beschaffenheit, weil unser Wissen nicht über sie hinaus reicht. So werden uns die indischen Auffassungen von Zeit und Raum zuerst krankhaft und bizarr erscheinen, denn die Grundlagen der westlichen Anschauungen sind unseren Augen so nah, daß sie unserer Prüfung entgehen. Sie sind aus dem Stoff, aus dem unsere Erfahrung und unsere Antworten darauf gewebt sind. Daher neigen wir dazu, sie problemlos als Grundlagen menschlicher Erkenntnis im allgemeinen und als integrierende Teile der Realität hinzunehmen.

Die erstaunliche Erzählung von der »Reeducation« des triumphierenden und erfolgsstolzen Indra spielt mit Visionen kosmischer Zyklen — Äonen, die einander ebenso in der Endlosigkeit der Zeiten folgen wie sie gleichzeitig nebeneinander in den Unbegrenztheiten der Räume stehen — wie sie wohl schwerlich in dem soziologischen und psychologischen Denken des Westens einen Platz finden können. Im »zeitlosen« Indien bestimmen diese weiten Ein-und Ausatmungen den Lebensrhythmus alles Denkens. Das Rad von Geburt und Tod, der Kreislauf von Hervorbringung, Reife, Auflösung und Wiederhervorbringung ist ebenso ein Gemeinplatz volkstümlicher Sprache wie ein grundlegendes Thema für Philosophie, Mythos und Sinnbild, für Religion, Politik und Kunst, und dies nicht nur auf das Leben des einzelnen bezogen, sondern auf die Geschichte der sozialen Gebilde und den Ablauf des Kosmos. Jeder Augenblick des Lebens wird vor dem Hintergrund dieser göttlichen Fülle, dieses Pleromas, gemessen und beurteilt.

Im Kali Yuga richten sich auch die Mitglieder einer Familie gegeneinander - "Le gioie di casa" von Pietro Saltini (1839-1908)

Nach den Mythologien des Hinduismus zerfällt jeder Weltzyklus in vier Yugas oder Weltalter. Diese lassen sich mit den vier Weltaltern der griechisch-römischen Überlieferung vergleichen. Gleich diesen sinken sie in ihrer moralischen Qualität je weiter der Ablauf vorschreitet. Die klassische Antike benannte sie nach den Metallen Gold, Silber, Erz und Eisen, der Hindu nach den vier Würfen des indischen Würfelspieles: Krita, Treta, Dvapara und Kali. In beiden Fällen erinnern die Benennungen an die jeweilige Beschaffenheit der einzelnen Perioden,wie sie einander in langsamer, unumkehrbarer Folge ablösen.

Krita ist das Partizipium Perfektum des Verbes kri, tun; es bedeutet wörtlich »getan, gemacht, vollbracht, vollendet«. Es ist der Wurf, der den ganzen Einsatz gewinnt, der Wurf des totalen Gewinns. Nach der indischen Anschauung ist die Idee des Totalen oder der Totalität mit der Zahl vier verbunden. »Vier Felder« bedeuten »Totalität«. Alles Vollständige und in sich selbst Ruhende wird als seine vier »Viertel« besitzend vorgestellt (Pada). Es steht fest auf seinen »vier Beinen« (catuh pada). So ist Krita Yuga, das erste der Weltalter, das vollendete oder »vier Viertel enthaltende« Yuga. Dharma, das moralische Gesetz der Welt, welches zwar schon vor ihrem Anfang existiert, aber in den Sphären, Kräften und Wesen der Welt offenbar wird, befindet sich während dieser Periode sicher auf seinen vier Beinen wie eine heilige Kuh; es ist zu hundert Prozent oder vier Vierteln wirksam als alldurchdringendes Bauelement im Organismus des Universums. (Dharma: Lex aeterna, ideale oder absolute Gerechtigkeit oder rechtliche Gesinnung wie bei Plato und Lucas 12, 31: Der entsprechende Teil dieser Gerechtigkeit, der sich auf das Individuum bezieht, ist sein »Selbstgesetz« (Svadharma), die Berufung, soziale Stellung oder Pflicht, wie sie für ihn durch seine eigene Natur gegeben ist. — AKC. Bemerkung des Herausgebers: Dr. Ananda K. Coomaraswamy hat freundlicherweise eine Anzahl von erklärenden Anmerkungen zur Ergänzung des von Professor Zimmer hinterlassenen Materials beigesteuert. Diese stehen in eckigen Klammern und sind mit AKC bezeichnet.) Während dieses Yuga werden Männer und Frauen schon tugendhaft geboren.

Sie widmen ihr Leben der Erfüllung ihrer Pflichten und Aufgaben wie sie vom Dharma göttlich vorbestimmt sind. Die Brahmanen erstrahlen in Heiligkeit, Könige und adelige Stammeshäupter handeln in Übereinstimmung mit den idealen Bahnen königlichen Verhaltens. Bauern und Stadtvolk widmen sich mit ganzer Hingabe der Hauswirtschaft und dem Handwerk. Die niederen dienstbaren Klassen verharren gesetzgebunden in Gehorsam. Selbst Leute niedrigsten Ursprungs befolgen die heilige Ordnung des Seins.

Aber mit der Beschleunigung des Lebensvorganges des Weltorganismus verliert die Ordnung an Boden. Das heilige Dharma verschwindet Viertel nach Viertel, während sein Gegensatz das Feld gewinnt. Darum ist Treta Yuga nach dem Wurf der Drei genannt. Treta ist die Triade oder das Drittel, also drei von den Vierteln. Ethymologisch ist das Wort mit dem lateinischen tres, dem griechischen treis, dem englischen three, dem deutschen drei verwandt.

Während des Treta Yuga wird der Leib des Universums sowohl wie die menschliche Gesellschaft nur durch drei Viertel des Dharma aufrecht erhalten. Die Lebensweisen, die den vier Kasten angemessen sind, beginnen in Verfall zu geraten; Pflichten sind nicht länger die spontanen Gesetze menschlichen Handelns, sondern müssen erlernt werden.

Dvapara Yuga ist das Zeitalter des gefährlichen Gleichgewichtes zwischen Unvollkommenheit und Vollkommenheit, Finsternis und Licht. Sein Name ist abgeleitet von dvi, dvâ, dvau, »zwei« (vergleiche eben dieses deutsche Wort, das lateinische duo, das französische deux, das englische deuce, das griechische duo, das russische dva). Es ist der Wurf der Duade. Während des Dvapara Yuga sind nur noch zwei von den vier Vierteln des Dharma in der manifestierten Welt wirksam; die andern sind unwiderruflich verloren. Die Kuh der ethischen Ordnung steht nicht mehr fest auf vier Beinen oder ruht einigermaßen sicher auf drei, sondern balanciert auf zwei. Der ideale halbgöttliche Zustand des Sozialen ist zerstört, und das Wissen um die offenbarte Rangordnung der Welten verloren. Die Vollkommenheit der spirituellen Ordnung gibt dem Dasein des Menschen und des Universums keine Kraft mehr. Alle menschlichen Wesen, Brahmanen und Könige sowohl wie Handelsvolk und Diener werden, geblendet durch Leidenschaften und nach irdischem Besitztum süchtig, gemein und erwerbsgierig. Sie wenden sich von der Erfüllung auch der geheiligtsten Pflichten ab, wenn sie Selbstverleugnung erfordern. Die wahre Heiligkeit, nur durch gläubige Hingabe erreichbar, durch Gelübde, Fasten und asketisches Tun erlangbar, erlischt.

(Hare Krishna Mantra für Freude und Liebe im Kali Yuga, dem dunklen Zeitalter)

Kali Yuga endlich, das finstere Weltalter, hält sich lediglich auf fünfundzwanzig Prozent der vollen Kraft des Dharma. Nun triumphieren egoistische, verschlingende, blinde, ruchlose Kräfte und beherrschen die Gegenwart. Kali bedeutet das schlimmste von allem; auch »Streit, Zank, Spaltung, Krieg, Schlacht« (verwandt mit kal-aha, »streiten, zanken«). Im Würfelspiel ist Kali der Verliererwurf. Während des Kali Yuga sind der Mensch und seine Welt in ihrem schlimmsten Zustand angelangt. Der moralische und soziale Niedergang wird an einer Stelle der Vishnu Purana (eine klassische Quelle für Hindu-Mythologie und -Überlieferung vom 1. Jahrtausend unserer Zeitrechnung. Übersetzt durch H. H. Wilson, London, 1840. Der oben stehende Text ist eine Zusammenziehung einer langen beschreibenden Stelle in Buch IV, Kapitel 24) wiedergegeben: »Wenn die Gesellschaft in einen Zustand gerät, wo Reichtum Rang verleiht, Besitz die einzige Quelle der Tugend wird, Leidenschaft das einzige Band zwischen Mann und Weib, Betrug die Grundlage des Erfolges im Leben, geschlechtliche Liebe der einzige Weg zur Freude und äußere Verwirrungen mit innerlichem Glauben zusammengeworfen werden ...« — dann sind wir im Kali Yuga, der Welt von heute. Der Anfang dieses Weltalters wird für Freitag, den 18. Februar 3102 v. Chr. angenommen.

Das Fehlen des Dharma erklärt die kurze Dauer des Kali Yuga, die nur 432 000 Jahre beträgt. Das vorhergehende Treta Yuga, stärker durch den doppelten Betrag an moralischer Substanz, wird als zweimal so lang, 864 000 Jahre, angegeben. Entsprechend ist das Dvapara Yuga mit drei von den vier Vierteln des Dharma ausgestattet drei Kali-Einheiten, 1 296 000 Jahre lang; und Krita Yuga, die Periode des Dharma in voller Vierheit, 1 728 000 Jahre. Die Gesamtsumme ist so 4 320 000 Jahre, zehnmal die Dauer eines Kali Yuga. Dieser vollständige Zyklus heißt Maha Yuga, »Der Große Yuga«.

Tausend Mahayuga — 4 320 000 000 Jahre nach menschlicher Rechnung — stellen einen einzigen Tag Brahmas dar, ein Kalpa. In der Rechnung der Götter, die unter Brahma, aber über den Menschen stehen, umfaßt diese Periode zwölftausend himmlische Jahre. Ein solcher Brahmatag beginnt mit der Schöpfung oder Entfaltung (Sristi), der Entsendung eines Weltalls aus der göttlichen, jenseitigen, unoffenbarten Substanz und endet mit Auflösung und Wiedereinschlingung (Pralaya), mit dem Wiedereinschmelzen in das Absolute zurück. Alle Sphären der Welt mit all den Wesen, die sie enthalten, verschwinden am Ende des Brahmatages und dauern während der darauf folgenden Nacht nur als der verborgene Keim der Notwendigkeit für eine Wiedermanifestierung fort. Eine Nacht Brahmas ist ebenso lang als sein Tag.

Jedes Kalpa ist in vierzehn Manvantaras oder Manu-Abschnitte (im Sanskrit wird u vor einem Vokal zu v; darum wird Manu antara, "Manuabschnitt", zu Manvantara) eingeteilt, von denen jeder einundsiebzig und einen Bruchteil Mahayugas enthält und mit einer Sintflut endet. Die einzelnen Abschnitte tragen ihren Namen von Manu, dem Hindu-Gegenstück zu Noah, dem Heros, welcher der Flut entgeht. Die gegenwärtige Zeitperiode heißt nach Manu Vaivasvata, »Manu, dem Sohn des Strahlenden«, »Manu, dem Sohn des Sonnengottes Vivasvant« (jedes Manvantara ist nach seiner besonderen Manifestierung des "Heros der Flut" benannt. Vaivasvata Manu, der Erzeuger der gegenwärtigen Menschheit wurde durch die Inkarnation des Gottes Vishnu als Fisch aus der Sintflut gerettet. Sein Vater war der Sonnengott Vivasvant. Vivasvant ist ein vedischer Name des Sonnengottes. In der zarathustrischen Überlieferung Persiens erscheint derselbe Name als Vatersname des ersten Sterblichen Yima, der im Sanskrit Yama genannt wird. (Im Altnordischen heißt der Urriese, aus dessen Zerstückelung die Welt entsteht, »Ymir«. Anm. d. Übers.) Der Heros der Flut und der erste Sterbliche sind im Grunde zwei Erscheinungsformen desselben uranfänglichen Wesens). Es ist das siebente Manvantara des augenblicklichen Brahmatages; noch sieben sind zu erwarten bevor dieser Tag endet. Seinerseits nennt er sich Varaha Kalpa, (»Eber-Kalpa«); denn während dieses Brahmatages inkarniert sich Vishnu in Gestalt eines Ebers. Andererseits stellt es den ersten Tag des einundfünfzigsten Lebensjahres »unseres« Brahma dar, der nach weiteren sieben Sintfluten mit der nächsten Weltauflösung enden wird.

Aufstieg und Niedergang jedes Kalpa wird von mythologischen Ereignissen bezeichnet, die in gleicher Gestalt wiederkehren, immer und immer wieder in langsam und unaufhaltsam kreisenden Zyklen. Die Siege der Götter, durch die sie in der Herrschaft über ihre Sphären des Universums bekräftigt werden; die Zwischenspiele von Niederlage, Niedergang und Verwüstung, wenn sie durch die Titanen oder Gegengötter überwältigt werden, die ihre Stiefbrüder sind und immer auf dem Sprung, sie zu stürzen; die Avatars oder Inkarnationen Vishnus, des höchsten Wesens, wenn er menschliche oder tierische Form annimmt, um in der Welt als ihr Retter zu erscheinen und die Götter zu befreien: all diese Wunder, einzigartig und atemberaubend wie sie erscheinen müssen, wenn sie sich ereignen, sind doch nur die ewig gleichen Glieder einer dauernd in Bewegung befindlichen Kette. Das Standardschema eines Brahmatages bildend, sind sie typische Stufen eines unveränderlichen Vorgangs, und dieser Vorgang ist nichts anderes als die fortlaufende Geschichte des Weltorganismus.

Am Morgen jedes Kalpa erhebt sich Brahma, wieder aus einem Lotos, der aus dem Nabel Vishnus hervorsprossend aufblühte. Während des ersten Manu-Abschnittes des gegenwärtigen Varaha-Kalpa stieg Vishnu als Eber herab, um die frisch geschaffene Erde vom Grund des Meeres zu retten, wohin sie durch einen Dämon des Abgrundes hinabgerissen wurde. Im vierten Abschnitt oder Manvantara befreite er einen mächtigen Elefantenkönig von einem Seeungeheuer. Im sechsten geschah das als Quirlung des Milchmeers bekannte kosmische Ereignis: Götter und Titanen im Kampf um die Weltherrschaft begriffen, schlossen einen zeitweiligen Waffenstillstand, um aus dem Allmeer das Elixier der Unsterblichkeit zu gewinnen. Während des gegenwärtigen Maha Yuga des siebten Manvantaras sollen die in den beiden großen indischen Epen beschriebenen Ereignisse stattgefunden haben. Und zwar werden die des Ramayana der Tretaperiode des gegenwärtigen Zyklus, die des Mahabharata der Dvaparaperiode zugeschrieben.

Zu beachten ist, daß die überlieferten Texte nur sehr selten auf die Tatsache anspielen, daß die mythologischen Ereignisse, die sie beschreiben und preisen, immer wieder geschehen und sich alle vier Milliarden dreihundertundzwanzig Jahre (sic), das heißt in jedem Kalpa, wiederholen. Dies geschieht, weil vom Standpunkt des kurzlebigen menschlichen Individuums aus ein so überwältigender Tatbestand vorübergehend beiseite gelassen werden mag. Aber dies kann nicht völlig und dauernd geschehen, denn dieses kurzlebige Individuum bleibt doch im Kreislauf seiner jenseitigen Wanderungen irgendwie und irgendwo unter der einen oder anderen Maske durch die ganze Dauer der ungeheuren Zeitspanne hindurch mit einbezogen. In einer der Erzählungen der Puranas von Vishnus Taten in seiner Inkarnation oder seinem Hinabstieg als Eber erscheint gelegentlich ein Hinweis auf die zyklische Wiederkehr der Höhepunkte des Mythos. Als der Eber die Göttin Erde auf seinen Armen trägt, die er aus der Tiefe des Meeres zu retten im Begriffe steht, bemerkt er nebenhin zu ihr:

»Immer wenn ich diesen Weg Dich trage ...«

Für den Westen, der an einzige, epochemachende, geschichtliche Ereignisse glaubt (wie z. B. die Erscheinung Christi oder die Entstehung gewisser entscheidender Gruppen von Idealen, oder die langsame Entwicklung der Erfindungen während des menschlichen Aufstiegs zur Bemeisterung der Natur) hat diese beiläufige Bemerkung des alterslosen Gottes einen sanft nihilistischen Zug. Wertbegriffe, die mit unserer Einschätzung des Menschen, seines Lebens, seiner Bestimmung und Aufgabe untrennbar verbunden sind, werden dadurch verneint.

Vom menschlichen Standpunkt aus scheint die Lebenszeit eines Brahma sehr lang ausgedehnt zu sein; dennoch ist sie beschränkt. Sie dauert lediglich hundert Brahmajahre aus Brahmatagen und -nächten und schließt mit einer allgemeinen Auflösung. In ihr verschwinden nicht nur die sichtbaren Sphären der drei Welten (Erde, Himmel und der Raum dazwischen), sondern alle Sphären des Seins, wo immer auch, selbst die der höchsten Welten. Alle lösen sich in der göttlichen ursprünglichen Substanz auf. Ein Zustand vollständiger Eingeschmolzenheit regiert dann für ein anderes Brahmajahrhundert, nach dem der gesamte Zyklus von 311 040 000 000 000 menschlichen Jahren aufs neue beginnt.

Siehe auch

Weiterlesen im Buch von Heinrich Zimmer?

  • Heinrich Zimmer, "Indische Mythen und Symbole - Schlüssel zur Formenwelt des Göttlichen"
Kapitel 1: Ewigkeit und Zeit
1.1 Die Parade der Ameisen
1.2 Das Rad der Wiedergeburten
1.3 Die Weisheit des Lebens
Kapitel 2: Die Mythologie Vishnus
2.1 Vishnus Maya
2.2 Die Wasser des Daseins
2.3 Die Wasser des Nichtseins
2.4 Maya in der indischen Kunst
Kapitel 3: Die Wächter des Lebens
3.1 Die Schlange, Trägerin Vishnus und des Buddha
3.2 Gottheiten und ihre Träger
3.3 Schlange und Vogel
3.4 Vishnu als Besieger der Schlange
3.5 Der Lotos
3.6 Der Elefant
3.7 Heilige Flüsse
Kapitel 4: Shivas kosmisches Entzücken
4.1 Fundamentale Gestalt und spielende Manifestationen
4.2 Das Phänomen der expandierenden Gestalt
4.3 Shiva-Shakti
4.4 Der große Oberherr
4.5 Shivas Tanz
4.6 Das Antlitz der Glorie
4.7 Der Zerstörer der drei Städte
Kapitel 5: Die Göttin
5.1 Die Entstehung der Göttin
5.2 Die Juweleninsel

Literatur

Weblinks

Seminar

Der RSS-Feed von https://www.yoga-vidya.de/seminare/interessengebiet/indische-schriften/rssfeed.xml konnte nicht geladen werden: Fehler beim Parsen von XML für RSS Der RSS-Feed von https://www.yoga-vidya.de/seminare/interessengebiet/spiritualitaet/rssfeed.xml konnte nicht geladen werden: Fehler beim Parsen von XML für RSS