Sanskrit Kurs Lektion 106: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 29. Juli 2024, 09:56 Uhr
Dieser Sanskrit Kurs führt anhand einfacher Beispielsätze und -verse in die Grammatik des Sanskrit ein. Einen ausführlichen Überblick über das Sanskrit findest Du im Artikel Sanskrit. Hinweise zur indischen Schrift, der wissenschaftlichen Umschrift (Transliteration) sowie der korrekten Aussprache gibt der Artikel Devanagari. Stichwörter, nach denen Du in der Yoga Vidya Wiki suchen kannst, sind in vereinfachter Schreibweise (Transkription) wiedergegeben.
Die Wohllautregeln des Sandhi (6): Visarga
In der Lektion 101 haben wir begonnen, die Regeln des Sandhi etwas systematischer zu betrachten. Diese behandeln alle lautlichen Veränderungen, die beim Aufeinandertreffen von Wörtern (Shabda) oder Wortbestandteilen mit den beteiligten Lauten (Varna) nach genau beschriebenen Gesetzmäßigkeiten vor sich gehen. In dieser Lektion betrachten wir die Regeln für die verschiedenen Realisierungen von Visarga in Schrift und Aussprache. Dann gibt es die Auflösung des Formen-Rätsels aus Lektion 105 sowie ein neues Formen-Rätsel.
Überblick
Beim Aufeinandertreffen von Wörtern oder Wortbestandteilen gibt es grundsätzlich vier mögliche Fälle. Es treffen aufeinander:
- ein Vokal (Selbstlaut, Svara) und ein Konsonant (Mitlaut, Vyanjana) (V + K, s. Lektion 101)
- ein Konsonant und ein Vokal (K + V, s. Lektion 101)
- zwei Vokale (V + V, s. Lektion 102)
- zwei Konsonanten (K + K, s. Lektion 103) einschließl. Anusvara (s. Lektion 104-105) und Visarga
Visarga
Visarga bezeichnet den in der Devanagarischrift durch einen Doppelpunkt ( : ) dargestellten, in der Transliteration durch ḥ gekennzeichneten Hauchlaut, der im Alphabet als अः aḥ wiedergegeben wird.
Visarga (ḥ) darf nicht mit dem Konsonanten ha (Devanagari: ह) - dem letzten Buchstaben des Sanskrit Alphabets - verwechselt werden, der dem deutschen Laut h entspricht.
Visarga steht nur am Wort- bzw. Satzende und in einigen zusammengesetzten Substantiven (Kompositum, Samasa). Die Aussprache von Visarga richtet sich, ähnlich wie die Aussprache von Anusvara, nach der jeweiligen lautlichen Umgebung. Grundsätzlich kann vor Visarga immer nur ein Vokal stehen. Nach Visarga kommt entweder nichts (bzw. eine Pause), ein Konsonant oder ein Vokal. Visarga steht somit entweder:
- im absoluten Auslaut
- vor einem Konsonanten
- vor einem Vokal
Visarga im absoluten Auslaut
Steht Visarga am Satzende, am Ende eines (Halb)Verses oder nach einem einzeln stehenden Wort - d.h. im absoluten Auslaut - wird er als ein Hauchlaut ausgesprochen, der den vorangehenden Vokal (Selbstlaut, Svara) wie ein schwaches Echo wiederholt, z. B.:
- नमः namaḥ sprich /namaha/ "die Verehrung" (Namas, Nom. Sg. n.)
- कन्याः kanyāḥ sprich /kanyāha/ "die Mädchen" (Kanya, Nom. Pl. f.)
- कृतिः kṛtiḥ sprich /kritihi/ "das Werk" (Kriti, Nom. Sg. f.)
- धीः dhīḥ sprich /dhīhi/ "die Idee" (Dhi, Nom. Sg. f.)
- गुरुः guruḥ sprich /guruhu/ "der Lehrer" (Guru, Nom. Sg. m.)
- भूः bhūḥ sprich /bhūhu/ "die Erde" (Bhu, Nom. Sg. f.)
- कवेः kaveḥ sprich /kavehe/ "des Dichters" (Kavi, Gen. Sg. m.)
- बन्धोः bandhoḥ sprich /bandhoho/ "des Freundes" (Bandhu, Gen. Sg. m.)
Nach den beiden Diphthongen ai (ā-i) und au (ā-u) wird jedoch nur der zweite Teil des zusammengesetzten Lautes wiederholt:
- अश्वैः aśvaiḥ sprich /aśvaihi/ "mit Pferden" (Ashva, Instr. Pl. m.)
- गौः gauḥ sprich /gauhu/ "die Kuh" (Go, Nom. Sg. f.)
Visarga vor einem Konsonanten
Steht Visarga (ḥ) im Zusammenhang mehrerer Wörter (Satz) oder innerhalb eines Kompositums (Samasa), richtet sich seine Aussprache nach der stimmlichen Qualität, also der Stimmlosigkeit oder Stimmhaftigkeit des nachfolgenden Konsonanten (vgl. Übersicht stimmloser und stimmhafter Konsonanten). In all diesen Fällen wird Visarga nicht als Echo des vorangehenden Vokals, sondern als ein Konsonant ausgesprochen (und teilweise auch geschrieben), der in lautlicher Nähe des Folgekonsonanten liegt.
Visarga vor stimmlosem Konsonanten
Folgt auf ursprünglichen Visarga ein stimmloser Palatal (Talavya), Zerebral (Murdhanya), Dental (Dantya) oder ein Sibilant (Zischlaut, Ushman), dann wird Visarga (ḥ) in Schreibung und Lautung in den entsprechenden Sibilanten (Zischlaut, Ushman) umgewandelt (ś, ṣ bzw. s):
- nachfolgender stimmloser Palatal (c bzw. ch): उदितश्चन्द्रः uditaś candraḥ "der aufgegangene (Udita, Nom. Sg. m.) Mond (Chandra, Nom. Sg. m.)" (siehe auch das folgende Beispiel) aus uditaḥ + candraḥ
- nachfolgender stimmloser Zerebral bzw. Retroflex (ṭ bzw. ṭh): कुठारैष्टङ्कैश्च kuṭhāraiṣ ṭaṅkaiś ca "Mit Äxten (Kuthara, Instr. Pl. m.) und (Cha) Brecheisen (Tanka, Instr. Pl. n.)" aus kuṭhāraiḥ + ṭaṅkaiḥ + ca
- nachfolgender stimmloser Dental (t bzw. th): कस्त्वम् kas tvam "wer (Ka, Nom. Sg. m.) bist du (Tvam, Nom. Sg.)?" aus kaḥ + tvam
- nachfolgender Sibilant (Zischlaut, Ushman) (ś, ṣ bzw. s): es wird Visarga geschrieben, dieser in der Aussprache jedoch dem nachfolgenden Zischlaut angeglichen (assimiliert):
- नमः शिवाय namaḥ śivāya "Verehrung (Namas, Nom. Sg. n.) sei Shiva (Dat. Sg. m.)" sprich namaś śivāya, wobei die beiden ś ś zu einem einzigen langen śś zusammengezogen werden.
- तस्याः षष्टिहायनायाः tasyāḥ ṣaṣṭi-hāyanāyāḥ "dieser Tad, Gen. Sg. f.) Sechzigjährigen(Shashti-Hayana, Gen. Sg. f.)" sprich tasyāṣ ṣaṣṭihāyanāyāḥ, wobei die beiden ṣ ṣ zu einem einzigen langen ṣṣ zusammengezogen werden.
- नमः सरस्वत्यै namaḥ sarasvatyai "Verehrung (Namas, Nom. Sg. n.) sei Sarasvati (Dat. Sg. f.)" sprich namas sarasvatyai, wobei die beiden s s zu einem einzigen langen ss zusammengezogen werden.
Jihvamuliya und Upadhmaniya
Jihvamuliya (jihvā-mūlīya) und Upadhmaniya (upa-dhmānīya) stellen zwei Sonderfälle der Aussprache von Visarga da, insonfern sie zwei spezielle Sanskrit-Laute ergeben, die nur in diesen beiden Fällen (d.h. vor k- und p-Lauten) vorkommen.
- nachfolgender stimmloser Guttural (k bzw. kh): प्रातःकाल prātaḥ-kālaḥ "die Morgenzeit, der frühe Morgen" (Pratahkala, Nom. Sg. m.) sprich prātach-kālaha (ḥ-k ähnlich wie in "Dach-Kammer", aber weicher). Diese Aussprachevariante von Visarga heißt Jihvamuliya.
- nachfolgender stimmloser Labial (p bzw. ph): परः परः paraḥ paraḥ "jeder folgende" (Para, Nom. Sg. m.) sprich: parawh-paraha (wobei wie beim Auspusten einer Kerze etwas Luft durch die leicht geöffneten Lippen entlassen, aber kein f-Laut gesprochen wird). Diese Aussprachevariante von Visarga heißt Upadhmaniya.
Visarga vor stimmhaftem Konsonanten
Vor einem unmittelbar nachfolgenden stimmhaften Konsonanten wird Visarga (ḥ) wiederum verschieden behandelt. Er fällt entweder ganz aus, wird in ein r umgewandelt oder ergibt zusammen mit einem vorausgehenden kurzen a ein o. Wichtig ist hierbei die Qualität des vorangehenden Vokals:
1. Nach langem ā fällt Visarga aus:
2. Nach i, ī, u, ū, e, ai, o und au wird Visarga in ein r umgewandelt:
- मधुर्गन्धः madhur gandhaḥ "ein lieblicher (Madhu, Nom. Sg. m.) Duft (Gandha, Nom. Sg. m.)" aus madhuḥ + gandhaḥ
3. Folgt auf ein solches r (s. 2.) ein weiteres r, so fällt das erste r (bzw. Visarga) aus, und der diesem vorangehende Vokal wird gelängt, wenn er kurz ist:
- नृपती राजति nṛpatī rājati "der König (Nripati, Nom. Sg. m.) herrscht (3. Pers. Sg. Parasmaipada von rāj)" aus nṛpatiḥ + rājati
- गुरू राज्ञः gurū rājñaḥ "der Lehrer (Guru, Nom. Sg. m.) des Königs (Rajan, Gen. Sg. m.)" aus guruḥ + rājñaḥ
- मधो रसः madho rasaḥ "des Honigs (Madhu, Gen. Sg. n.) Geschmack (Rasa, Nom. Sg. m.)" aus madhoḥ + rasaḥ
4. Ein kurzes a wird zusammen mit folgendem Visarga (bzw. ursprünglichem s) zu o:
- पुरुषो गतः puruṣo gataḥ "der Mann (Purusha, Nom. Sg. m.) ist gegangen (Gata, Nom. Sg. m.)" aus puruṣaḥ + gataḥ
- नमो दुर्गायै namo durgāyai "Verehrung (Namas, Nom. Sg. n.) sei Durga (Dat. Sg. f.)" aus namaḥ + durgāyai
Formen-Rätsel
Auflösung aus Lektion 105
In den folgenden kurzen Beispielsätzen, die nur aus einem Verb und einem Substantiv bestehen, wird das auslautende m der Akkusativendung aufgrund eines darauffolgenden Konsonanten in Anusvara ṃ verwandelt. In 8 der 10 Beispiele kann Anusvara alternativ als einer der fünf Klassennasale ṅ, ñ, ṇ, n und m ausgesprochen werden (vgl. Lektion 104).
1. vanaṃ gacchati वनं गच्छति "Er (sie,es) geht (gam, 3. Person Singular Parasmaipada) in den Wald (Vana, Akk. Sg. n.)." - ṃ kann alternativ als ṅ ausgesprochen werden (Klassennasal der velaren Reihe): vanaṅ gacchati
2. rākṣasaṃ jayati राक्षसं जयति "Er (...) besiegt (ji, 3. Pers. Sg. Par.) den Dämon (Rakshasa, Akk. Sg. m.)." - ṃ kann alternativ als ñ ausgesprochen werden (Klassennasal der palatalen Reihe): rākṣasañ jayati
3. kālaṃ vañcayati कालं वञ्चयति "Er überlistet (vanc, 3. Pers. Sg. Par.) den Tod/die Zeit (Kala, Akk. Sg. m.)." - ṃ wird als m ausgesprochen: kālam vañcayati
4. dānaṃ dadāti दानं ददाति "Er gibt (dā, 3. Pers. Sg. Par.) eine Gabe (Dana, Akk. Sg. n.)." - ṃ kann alternativ als n ausgesprochen werden (Klassennasal der dentalen Reihe): dānan dadāti
5. amṛtaṃ pibati अमृतं पिबति "Er trinkt (pā, 3. Pers. Sg. Par.) den Unsterblichkeitsnektar (Amrita, Akk. Sg. n.)." - ṃ wird als m ausgesprochen (Klassennasal der labialen Reihe): amṛtam pibati
6. devīṃ cumbati देवीं चुम्बति "Er küsst (cumb, 3. Pers. Sg. Par.) die Göttin (Devi, Akk. Sg. f.)." - ṃ kann alternativ als ñ ausgesprochen werden (Klassennasal der palatalen Reihe): devīñ cumbati
7. tailaṃ harati तैलं हरति "Er raubt (hṛ, 3. Pers. Sg. Par.) das Sesamöl (Taila, Akk. Sg. n.)." - ṃ wird als m ausgesprochen: tailam harati
8. prāṇaṃ kumbhayati प्राणं कुम्भयति "Er hält (kumbh, 3. Pers. Sg. Par.) den Atem (Prana, Akk. Sg. m.) an." - ṃ kann alternativ als ṅ ausgesprochen werden (Klassennasal der velaren Reihe): prāṇaṅ kumbhayati
9. nagaraṃ tyajati नगरं त्यजति "Er verlässt (tyaj, 3. Pers. Sg. Par.) die Stadt (Nagara, Akk. Sg. n.)." - ṃ kann alternativ als n ausgesprochen werden (Klassennasal der dentalen Reihe): nagaran tyajati
10. bhikṣuṃ bodhayati भिक्षुं बोधयति "Er belehrt (budh, 3. Pers. Sg. Par.) den Bettelmönch (Bhikshu, Akk. Sg. m.)." - ṃ wird als m ausgesprochen (Klassennasal der labialen Reihe): bhikṣum bodhayati
Neues Rätsel
Nun werden diese kurzen Beispielsätze aus Lektion 105, die nur aus einem Verb im Aktiv und einem Substantiv bzw. logischen Objekt (Karman) bestehen, noch um das logische Subjekt (Agens, Kartri) erweitert, d.h. es wird zusätzlich die Person (Purusha) genannt, die die jeweilige Handlung ausführt. Diese steht in aktiver Konstruktion (Kartari Prayoga) im Nominativ (Prathama).
Bei den männlichen Substantiven (Maskulina), deren Stamm- bzw. Wörterbuchform (Pratipadika) auf -a, -i oder -u auslautet, wird der Nominativ Singular durch Anhängen der Endung -s gebildet, das im absoluten Auslaut (s.o.) als Visarga (ḥ) erscheint. Folgen weitere Wörter im Satz, unterliegt Visarga den oben beschriebenen Veränderungen des Sandhi.
Welche der in dieser Lektion erläuterten Sandhi-Regeln liegen den folgenden Lautveränderungen von Visarga jeweils zugrunde? Viel Spaß beim Rätseln!
1. brāhmaṇo vanaṃ gacchati ब्राह्मणो वनं गच्छति | "Der Brahmane (Brahmana) geht (gam) in den Wald (Vana).
2. devo rākṣasaṃ jayati देवो राक्षसं जयति | "Der Gott (Deva) besiegt (ji) den Dämon (Rakshasa)."
3. muniḥ kālaṃ vañcayati मुनिः कालं वञ्चयति | "Der Weise (Muni) überlistet (vanc) den Tod/die Zeit (Kala)."
4. bhūpatir dānaṃ dadāti भूपतिर्दानं ददाति | "Der König (Bhupati) gibt (dā) eine Gabe (Dana)."
5. tāntriko 'mṛtaṃ pibati तान्त्रिकोऽमृतं पिबति | "Der Tantriker (Tantrika) trinkt (pā) den Unsterblichkeitsnektar (Amrita)."
6. śivo devīṃ cumbati शिवो देवीं चुम्बति | "Shiva küsst (cumb) Devi."
7. coraś candanaṃ harati चोरश्चन्दनं हरति "Der Dieb (Chora) raubt (hṛ) das Sandelholz (Chandana)."
8. sādhakaḥ prāṇaṃ kumbhayati साधकः प्राणं कुम्भयति | "Der Praktizierende (Sadhaka) hält (kumbh) den Atem (Prana) an."
9. sādhur nagaraṃ tyajati साधुर्नगरं त्यजति | "Der Heilige (Sadhu) verlässt (tyaj) die Stadt (Nagara)."
10. buddho bhikṣuṃ bodhayati बुद्धो भिक्षुं बोधयति | "Der Buddha belehrt (budh) den Bettelmönch (Bhikshu)."
Die Auflösung findest Du in Lektion 107.
Fragen und Feedback
Für Fragen und Feedback zum Sanskrit Kurs wendet Euch gerne an Dr. phil. Oliver Hahn. Er ist Indologe und Autor für Yoga Wiki, Seminarleiter, Yogalehrer, Übersetzer und Lektor.
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