Sanskrit Kurs Lektion 88: Unterschied zwischen den Versionen

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=== Metrische Analyse des Versmaßes Malini ===
=== Metrische Analyse des Versmaßes Malini ===


Unser Beispielvers hat das [[Chhandas|Versmaß]] [[Malini]], das aus 4 identischen Versvierteln ([[Pada]]) zu je 15 Silben ([[Akshara]]) besteht. Zwischen der 8. und 9. Silbe wird eine Pause bzw. Zäsur (') gemacht:
Unser Beispielvers hat das [[Chhandas|Versmaß]] [[Malini]], das aus 4 identischen Versvierteln ([[Pada]]) zu je 15 Silben ([[Akshara]]) besteht. Anders als beim [[Shloka]] ([[Anushtubh]]) gibt es denmach keine metrischen Unterschiede in den einzelnen Padas. Zwischen der 8. und 9. Silbe wird eine Pause bzw. Zäsur (') gemacht:


*υ bedeutet: prosodisch kurz ([[Hrasva]]) bzw. leicht ([[Laghu]]), auch: ल '''la'''
*υ bedeutet: prosodisch kurz ([[Hrasva]]) bzw. leicht ([[Laghu]]), auch: ल '''la'''

Version vom 19. Oktober 2018, 15:59 Uhr

Dieser Sanskrit Kurs führt anhand einfacher Beispielsätze und -verse in die Grammatik des Sanskrit ein. Einen ausführlichen Überblick über das Sanskrit findest Du im Artikel Sanskrit. Hinweise zur indischen Schrift, der wissenschaftlichen Umschrift (Transliteration) sowie der korrekten Aussprache gibt der Artikel Devanagari. Stichwörter, nach denen Du in der Yoga Vidya Wiki suchen kannst, sind in vereinfachter Schreibweise (Transkription) wiedergegeben.

Die Verben der 1. Klasse bzw. Bhu Klasse (3)

In Lektion 87 haben wir die Beugung (Konjugation) der Verben der 1. Klasse (Bhu Klasse, thematische Konjugation) in der Gegenwart betrachtet. Nun folgt ein Beispielvers aus der Hatha Yoga Pradipika, die Auflösung des Verb-Rätsels aus Lektion 87 sowie ein neues Verb-Rätsel.

Beispielvers aus der Hatha Yoga Pradipika

Die gesamte Hatha Yoga Pradipika besteht aus Versen, deren häufigstes Versmaß (Chhandas) der Shloka (Anushtubh) ist. Hier folgt ein Vers im Metrum Malini aus dem ersten Kapitel (Upadesha) der Hatha Yoga Pradipika, das der Praxis der Asanas gewidmet ist. Der 33. Vers beschreibt die Wirkungen von Mayurasana, dem "Pfau".


हरति सकलरोगानाशु गुल्मोदरादी-
नभिभवति च दोषानासनं श्रीमयूरम् |
बहुकदशनभुक्तं भस्म कुर्यादशेषं
जनयति जठराग्निं जारयेत्कालकूटम् || १.३३ ||


  • wissenschaftliche Transliteration:
harati sakala-rogān āśu gulmodarādīn
abhibhavati ca doṣān āsanaṃ śrī-mayūram |
bahu-kad-aśana-bhuktaṃ bhasma kuryād aśeṣaṃ
janayati jaṭharāgniṃ jārayet kāla-kūṭam || 1.33 ||


  • vereinfachte Transkription:
harati sakala-rogan ashu gulmodaradin
abhibhavati cha doshan asanam shri-mayuram |
bahu-kad-ashana-bhuktam bhasma kuryad ashesham
janayati jatharagnim jarayet kala-kutam || 1.33 ||


  • Wort-für-Wort-Übersetzung:
harati : verscheucht, überwältigt (hṛ, Verb‏‎)
sakala-rogān : alle, sämtliche (Sakala) Krankheiten (Roga, Akk. Pl. m.)
āśu : schnell, geschwind (Ashu, adv.)
gulmodarādīn : (wie z.B.) Unterleibsgeschwulst, vergrößerte Milz (Gulma), (Anschwellung des) Bauch(es, Wasserbauch Udara) usw., und andere ("angefangen mit", Adi, Akk. Pl. m.)
abhibhavati : besiegt, überwältigt (adhi + bhū, Verb‏‎)
ca : und (Cha, Partikel)
doṣān : (gestörte) Doshas ("Schaden, Fehler, Gebrechen", ein Übermaß an Vata, Pitta oder Kapha, Akk. Pl. m.)
āsanam : die Körperstellung (Asana, Akk. Sg. n.)
śrī-mayūram : ehrwürdiger (Shri) Pfau (Mayura, Akk. Sg. n.)
bahu-kad-aśana-bhuktam : Nahrung ("Gegessenes" bestehend in, Bhukta) (zu) viel (Bahu) (oder) abgestandene (oder überlagerte "schlechte") Speise(n, Ashana)
bhasma : (zu) Asche (Bhasman, Akk. Sg. n.)
kuryāt : macht, verwandelt (kṛ, Verb‏‎)
aśeṣam : vollständig, restlos (Ashesha, adv.)
janayati : bringt hervor, erzeugt (jan, Verb‏‎)
jaṭharāgnim : das Verdauungsfeuer ("Feuer des Bauches", Jatharagni, Akk. Sg. m.)
jārayet : verdaut (jṛ, Verb‏‎)
kāla-kūṭam : (das Gift) Kalakuta ("Fallstrick des Todes", Akk. Sg. m.)


  • Übersetzung:
Mayurasana, die Pfauenstellung, verscheucht schnell sämtliche Krankheiten wie solche der Milz, des Bauches usw. und besänftigt die gestörten Doshas.
Sie verdaut restlos überreichliche oder abgestandene Nahrung, fördert das Verdauungsfeuer und verdaut sogar das Gift Kalakuta.

Erläuterungen

  • Syntax: Dieser Vers besteht aus fünf Einzelsätzen, die alle Mayurasana (āsanaṃ śrī-mayūram steht im Sinne von śrī-mayūrāsanam) als logisches Subjekt haben. Jeder Satz (Vakya) besteht aus einem Verb (Kriya, das gegebenenfalls durch ein Adverb ergänzt wird), dem logischen Subjekt (Agens, Kartri, das bereits durch die Verbalendung ausgedrückt wird) sowie einem logischen Objekt (Karman). Alle Sätze stehen in aktiver Konstruktion (Kartari Prayoga), d.h. das logische Subjekt steht im Nominativ und das logische Objekt steht im Akkusativ.
  • Der Akkusativ (Dvitiya) Plural (Bahuvachana) sakala-rogān ist das logische Objekt (Karman) der Verbalhandlung harati. Das Kompositum (Samasa) sakala-rogān gehört zum Typ Karmadharaya. Bei diesem Typ stehen nach der Auflösung des Kompositums beide Glieder im selben Kasus: sakala-rogān = sakalān (Akk. Pl. m.) rogān (Akk. Pl. m.) "sämtliche Krankheiten".
  • Das Kompositum gulmodarādīn gehört zum Typ Tatpurusha und ist eine nähere Bestimmung zu sakala-rogān. Es steht daher gleichfalls im Akkusativ Plural Maskulinum.
  • Die Verbindungspartikel ca "und" steht nie am Satzanfang und wird dem Wort, auf das sie sich bezieht, nachgestellt.
  • Der Akkusativ Plural doṣān ist das logische Objekt der Verbalhandlung abhibhavati.
  • Der Nominativ (Prathama) Singular (Ekavachana) āsanam ist das logische Subjekt (Agens, Kartri) der Verbalhandlung abhibhavati sowie aller übrigen Verbformen dieses Verses.
  • Der Nominativ śrī-mayūram bezieht sich als Apposition (Visheshana) auf das Substantiv āsanam und steht daher ebenfalls im Nominativ Singular Neutrum: "die Pfau (śrī-mayūram genannte) Stellung (āsanam)". Gemeint ist mayurāsanam, die Pfauenstellung (Mayurasana).
  • Der Akkusativ Singular bahu-kad-aśana-bhuktam ist das erste logische Objekt der Verbalhandlung kuryāt und ein Kompositum vom Typ Tatpurusha. Es lässt sich in bahu-bhuktam "(zu) viel Nahrung" und kad-aśana-bhuktam "Nahrung (in Form von) schlechten Speisen" zerlegen, d.h. die Wörter bahu und kad-aśana werden jeweils einzeln mit dem Grundwort bhuktam kombiniert. Diese eliptische Ausdrucksweise erinnert an deutsche Komposita vom Typ "Hoch- und Tiefbau", was verkürzend für "Hochbau und Tiefbau" steht. Bhukta ist hier das substantivierte PPP der Wurzel bhuj "essen, genießen, erfahen" (7. bzw. Rudh Klasse).
  • Der Akkusativ Singular bhasma "zu Asche" ist das zweite logische Objekt der Verbalhandlung kuryāt. "Macht zu Asche" heißt im Zusammenhang mit dem Verdauungs-"Feuer" soviel wie "vollständig verdauen".
  • Die Verbform kuryāt ("macht, sollte machen") ist die 3. Person Singular Optativ (Präsens Aktiv bzw. Parasmaipada) der Verbalwurzel kṛ "machen, tun" (8. bzw. Tan Klasse). Der Optativ drückt hier eine Möglichkeit aus, die mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Zukunft eintritt. Das Verb kuryāt ist hier doppelt transitiv (Dvikarmaka), d.h. es hat ein direktes Objekt (Mukhyakarman, hier: was "gemacht" bzw. umgewandelt wird), und ein indirektes Objekt (Gunakarman, hier: wozu es "gemacht" bzw. umgewandelt wird, nämlich zu Asche).
  • Das Adverb aśeṣam "vollständig, restlos" ist eine nähere Bestimmung zum Verb kuryāt. Formal ist die Form aśeṣam der Akkusativ Singular des Substantivs a-śeṣa "kein Rest".
  • Die Verbform janayati ("bringt hervor, erzeugt") ist die 3. Person Singular Indikativ (Präsens Aktiv bzw. Parasmaipada) des Kausativs der Verbalwurzel jan "erzeugt werden, geboren werden" (4. bzw. Div Klasse), die im Kausativ "erzeugen, hervorbringen" bedeutet.
  • Der Akkusativ Singular jaṭharāgnim ist das logische Objekt der Verbalhandlung janayati und ein Kompositum vom Typ Tatpurusha, es bedeutet wörtlich "Bauch-Feuer".
  • Der Akkusativ Singular kāla-kūṭam ist das logische Objekt der Verbalhandlung jārayet und ein Kompositum vom Typ Tatpurusha.
  • Sandhi: Die Endung m von āsanam, °bhuktam, aśeṣam und jaṭharāgnim geht vor folgendem Konsonanten (Vyanjana) in Anusvara () über, welcher vereinfachend wie m ausgesprochen werden kann. Im wortinternen Sandhi verschmelzen in gulmodarādīn a und u zu o (gulma + udara) sowie a und ā zu ā (udara + ādīn), ebenso in jaṭharāgnim a und a zu ā (jaṭhara + agnim ). Das auslautende stimmlose t von kuryāt wird vor anlautenden Vokalen (hier: a) zu stimmhaftem d.


Metrische Analyse des Versmaßes Malini

Unser Beispielvers hat das Versmaß Malini, das aus 4 identischen Versvierteln (Pada) zu je 15 Silben (Akshara) besteht. Anders als beim Shloka (Anushtubh) gibt es denmach keine metrischen Unterschiede in den einzelnen Padas. Zwischen der 8. und 9. Silbe wird eine Pause bzw. Zäsur (') gemacht:

  • υ bedeutet: prosodisch kurz (Hrasva) bzw. leicht (Laghu), auch: ल la
  • – bedeutet: prosodisch lang (Dirgha) bzw. schwer (Guru), auch: ग ga
1 2 3 4 5 6 7 8 ' 9 10 11 12 13 14 15
υ υ υ υ υ υ – ' υ υ – (Pada a)
υ υ υ υ υ υ – ' υ υ – (Pada b)
υ υ υ υ υ υ – ' υ υ – (Pada c)
υ υ υ υ υ υ – ' υ υ – (Pada d)

Betrachten wir das erste (Prathama) Versviertel (Pada) dieses Verses noch einmal hinsichtlich der Längen (Dirgha) und Kürzen (Hrasva) der einzelnen Silben (Akshara). Lange Silben enden auf langen Vokal, oder auf einen kurzen Vokal (Svara), der von zwei Konsonanten (Vyanjana) gefolgt wird (inklusive Anusvara und Visarga). Dies nennt man Positionslänge*. Kurze Silben enden auf kurzen Vokal:


Silbe 1 2 3 4 5 6 7 8 ' 9 10 11 12 13 14 15
Devanagari ति रो गा ' ना शु गु ल्मो रा दी (न्)**
Transliteration ha ra ti sa ka la ro gā ' śu gu lmo da dī (n)**
Silbenlänge kurz kurz kurz kurz kurz kurz lang lang ' lang kurz lang* lang kurz lang lang
Symbol υ υ υ υ υ υ – ' υ υ


Hinweise zur Aussprache: Innerhalb der 15 Silben jedes Pada wird zwischen der 8. und 9. Silbe eine kurze, hier durch ' (Apostroph) gekennzeichnete Pause (Yati) eingehalten, die stets im Einklang mit den Wortgrenzen ist (wobei der Endkonsonant des Wortes zur folgenden Silbe gehört, s.u.). Auch zwischen den einzelnen Versvierteln wird eine kurze Pause eingehalten. Die Positionslänge der 11. Silbe ergibt sich durch die Aufteilung in gul-mo.

**Das auslautende n von gulmodarādīn gehört aus metrischer Sicht, die der Silbenschreibweise der Devanagarischrift folgt, bereits zum 2. Pada, der mit der Silbe na beginnt (°दी-न°): gulmodarādī-n abhibhavati. Die Wortgrenze liegt jedoch zwischen gulmodarādīn und abhibhavati.

Verb-Rätsel

Auflösung aus Lektion 87

  • 1. c) गच्छावः gacchāvaḥ - wir beiden gehen: gebildet von der Wurzel gam "gehen"; die Endung der 1. Person Dual -vaḥ tritt an den unregelmäßigen Präsensstamm gaccha-, dessen Auslaut a- zu ā- (gacchā-) verlängert wird.
  • 2. b) du gewinnst - जयसि jayasi: gebildet von der Wurzel ji "siegen, gewinnen"; die Endung der 2. Person Singular -si tritt an den Präsensstamm jaya- (Sandhi: je + a >> jay-a).

Neues Rätsel

Anhand der in der Lektion 87 in Übersicht 2 gegebenen Präsensstämme der Bhu Klasse sowie der Personalendungen in Übersicht 1 ist es möglich, die folgenden beiden Verbformen abzuleiten. Die Personalpronomen "ich, du" usw. müssen im Sanskrit nicht ausdrücklich genannt werden, da die Verbform bereits unzweideutig ist. Viel Spaß beim Rätseln!


1. Sanskrit - Deutsch 2. Deutsch - Sanskrit
नमामि namāmi a) wir verneigen uns sie trinken a) पिबन्ति pibanti
b) wir beiden verneigen uns b) पिबति pibati
c) ich verneige mich c) पिबसि pibasi


Die Auflösung findest Du in Lektion 89.

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