Gesundheitserziehung durch Yoga: Unterschied zwischen den Versionen

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:4. Passivierte Bewusstseinseinstellung, z. B. sich selbst beobachten, bildet die psychologische Basis für gedankliche Konzentration. Diese Form der Passivität unterscheidet sich von aktiver Konzentration und entspricht vielmehr einer psychologischen Haltung.
:4. Passivierte Bewusstseinseinstellung, z. B. sich selbst beobachten, bildet die psychologische Basis für gedankliche Konzentration. Diese Form der Passivität unterscheidet sich von aktiver Konzentration und entspricht vielmehr einer psychologischen Haltung.


===Der achtgliedrige Yoga-Weg===


4.4.1. Der achtgliedrige Yoga-Weg
Yoga wird mittlerweile in vielen verschiedenen Formen angeboten, wie z. B. Power-Yoga oder [[Lachyoga]]. Traditionell ist jedoch der achtgliedrige Yoga-Weg, auch [[Ashtanga Yoga]] genannt, das Kernstück und bildet das methodische Grundgerüst. Er wird auch heute noch in dieser Form gelehrt. Die ersten fünf Glieder werden auch als Kriya-Yoga bezeichnet, die letzten drei als Raja-Yoga im engeren Sinne. Der klassische achtgliedrige Yoga-Weg wurde in den Sutren (Verse, Merksprüche) des PATANJALI um die Jahrtausendwende formuliert (vgl. ebd., S. 14 ff. und TÄUBE 1987, S. 132):


:1. [[Yama]]: Zucht, Gebot, moralisches Verhalten. Dazu zählen Aufrichtigkeit, Nicht-Töten bzw. Gewaltlosigkeit, Nicht-Stehlen, Enthaltsamkeit und Begierdelosigkeit.


Yoga wird mittlerweile in vielen verschiedenen Formen angeboten, wie z. B. Power-Yoga oder Lach-Yoga. Traditionell ist jedoch der achtgliedrige Yoga-Weg, auch Ashtanga-Yoga genannt, das Kernstück und bildet das methodische Grundgerüst. Er wird auch heute noch in dieser Form gelehrt. Die ersten fünf Glieder werden auch als Kriya-Yoga bezeichnet, die letzten drei als Raja-Yoga im engeren Sinne. Der klassische achtgliedrige Yoga-Weg wurde in den Sutren (Verse, Merksprüche) des PATANJALI um die Jahrtausendwende formuliert (vgl. ebd., S. 14 ff. und TÄUBE 1987, S. 132):
:2. [[Niyama]]: Selbstzucht bzw. Eifer, asketisches Verhalten. Dazu gehört die innere und äußere Reinigung des Körpers mit bestimmten Techniken ([[Shatkriyas]]), [[Zufriedenheit]], Gottesdienst und Studium der heiligen Yoga-Quellen


:3. [[Asana]]: Haltung, Körper-Übung, ruhiges Verweilen


1. Yama: Zucht, Gebot, moralisches Verhalten. Dazu zählen Aufrichtigkeit, Nicht-Töten bzw. Gewaltlosigkeit, Nicht-Stehlen, Enthaltsamkeit und Begierdelosigkeit.
:4. [[Pranayama]]: Lenkung der Lebensenergie ([[prana]], dt. in etwa: Atem), Beherrschung des Atems bzw. Atemtechnik


:5. [[Pratyahara]]: Zurückziehen der [[Sinne]] und Beherrschen der Sinnesorgane


2. Niyama: Selbstzucht bzw. Eifer, asketisches Verhalten. Dazu gehört die innere und äuße- re Reinigung des Körpers mit bestimmten Techniken (Shatkriyas), Zufriedenheit, Gottes- dienst und Studium der heiligen Yoga-Quellen
:6. [[Dharana]]: Konzentration


3. Asana: Haltung, Körper-Übung, ruhiges Verweilen
:7. [[Dhyana]]: Meditation


:8. [[Samadhi]]: Einswerden, Erleuchtung, mystische [[Erfahrung]]. Diese Stufe ist das höchste [[Ziel]] des Yoga.


4. Pranayama: Lenkung der Lebensenergie (prana, dt. in etwa: Atem), Beherrschung des
Einzelne Stufen dieses Weges wurden verfeinert und die besonders intensive Verfeinerung der Stufen drei und vier führten zur Entwicklung des Hatha-Yoga durch GORAKSHANATH ca. 500 Jahre später (vgl. EBERT 1988, S. 14 und S. 26).
 
Atems bzw. Atemtechnik
 
 
5. Pratyahara: Zurückziehen der Sinne und Beherrschen der Sinnesorgane
 
 
6. Dharana: Konzentration
 
 
7. Dhyana: Meditation
 
 
8. Samadhi: Einswerden, Erleuchtung, mystische Erfahrung. Diese Stufe ist das höchste Ziel des Yoga.
 
 
Einzelne Stufen dieses Weges wurden verfeinert und die besonders intensive Verfeinerung der
 
Stufen drei und vier führten zur Entwicklung des Hatha-Yoga durch GORAKSHANATH ca. 500
 
Jahre später (vgl. EBERT 1988, S. 14 und S. 26).
 
 
 
4.4.2. Hatha-Yoga


====Hatha-Yoga====


In Europa hat wohl die meiste Verbreitung der Hatha-Yoga gefunden. Wörtlich heißt es „Sonne- Mond-Yoga” und genauer „Verbindung von Sonne- und Mond-Atem”. Der Kopfstand (shir- shasana) ist wohl die bekannteste Übung und bedeutet u. a. „eine Verpolung des Körpers im Spannungsfeld zwischen Sonne und Mond” (s. ebd., S. 27). Er wird oft mit „Yoga der Kör- perbeherrschung” übersetzt, obwohl neben den körperlichen Übungen auch geistige Übungen dazugehören (vgl. ebd., S. 13). Im allgemeinen wird Hatha-Yoga hierzulande mit dem Begriff
In Europa hat wohl die meiste Verbreitung der Hatha-Yoga gefunden. Wörtlich heißt es „Sonne- Mond-Yoga” und genauer „Verbindung von Sonne- und Mond-Atem”. Der Kopfstand (shir- shasana) ist wohl die bekannteste Übung und bedeutet u. a. „eine Verpolung des Körpers im Spannungsfeld zwischen Sonne und Mond” (s. ebd., S. 27). Er wird oft mit „Yoga der Kör- perbeherrschung” übersetzt, obwohl neben den körperlichen Übungen auch geistige Übungen dazugehören (vgl. ebd., S. 13). Im allgemeinen wird Hatha-Yoga hierzulande mit dem Begriff

Version vom 7. Juli 2014, 15:25 Uhr

Eine Untersuchung gegenwärtiger Konzepte von Yoga mit Kindern und deren Beitrag zur Gesundheitserziehung

Diplomarbeit der Erziehungswissenschaft, Universität Bielefeld, Fakultät für Pädagogik

1. Gutachter: Dr. Holger Grabbe
2. Gutachter: Claus-Peter Mosner

vorgelegt von Sabine Martin, Beckum

Noemie Jeremie Halbmond1-kl.jpg

Datum: 15.08.2007

Mit freundlicher Genehmigung von Sabine Martin

Einleitung

Gesundheitszustand von Kindern

Der Gesundheitszustand von Kindern und Jugendlichen in Deutschland ist unzureichend, so das erste Fazit der bundesweit durchgeführten und repräsentativen Studie zur Kinder- und Jugendgesundheit KiGGS. Depressionen sind ein typisches Krankheitsbild schon bei Minderjährigen und Suizid liegt bei den ab 15-jährigen je nach Literatur an zweiter oder dritter Stelle der Todesursachen (vgl. BZGA 2006, S. 29; BIENER 2005, S. 17). Platz eins der Todesursachen bei Kindern belegen früher wie heute Unfälle. Bereits jetzt sind 15 bis 20 % aller Schulanfänger übergewichtig. Bewegungsmangelerkrankungen und damit verbundene Störungen in der Informationsverarbeitung führen zu vielfältigen Verhaltensauffälligkeiten wie kommunikativen Störungen, Ängsten, Aggressivität, mangelnder Konzentrationsfähigkeit oder Hyperaktivität und treten immer häufiger auf. Diese Symptome sind wiederum eng verbunden mit der heutigen Lebenswelt von Kindern (vgl. ZIMMER 2004, S. 59). Sie ist zunehmend mediatisiert, findet so zunehmend in Innenräumen statt und nimmt Kindern die Möglichkeit zur Eigenaktivität und Selbsterfahrung (vgl. Kap. 3.4). Luftverschmutzung, Schadstoffe in der Lebenswelt, erbliche Veranlagung, Bewegungsmangel und Stress sind weitere Risikofaktoren für Kinder und bilden die Grundlage der Zivilisationskrankheiten. Die Zivilisationskrankheiten sind mittlerweile auf Platz eins der Todesursachen der Menschen in Deutschland und dies in einer bedenklichen Höhe von 80 % (s. Kap. 3.3).

Betrachtet man die engen Zusammenhänge zwischen mangelnder motorischer Entwicklung, unausgewogenen Umweltreizen und kognitiver Entwicklung, zeichnet sich so für eine ganze Reihe von Kindern ein prekäres Bild für deren Zukunft. Dies betrifft vor allem Migrantenkinder und Kinder aus sozial schwachen und benachteiligten Herkunftsfamilien (vgl. KiGGS-Studie; GRAF 1995, S. 41; ZIMMER 2005, S. 9 und 160 f.). In der Verantwortlichkeit für unsere Zukunft und die der Kinder müssen Maßnahmen ergriffen werden, um die Perspektive dieser „Risikokinder” nachhaltig zu verbessern.

Um den Gesundheitszustand der Deutschen nachhaltig zu verbessern, ist es nach GRAF sinnvoll, entsprechende Maßnahmen schon bei Vorschulkindern anzuwenden, um zum einen Gesundheit zu erzielen (vgl. 1995, S. 33), aber zum andern auch um gesunde Arbeitnehmer zu schaffen und die Behandlungskosten auf ein wirtschaftlich zu verkraftendes Maß zu senken (s. Kap. 3.3). Da die gesetzlichen Krankenkassen das Gros der Gesundheitsausgaben tragen, ist es nicht verwunderlich, dass sie gesundheitspräventive Maßnahmen anbieten bzw. finanziell fördern. Die ARBEITSGEMEINSCHAFT DER SPITZENVERBÄNDE DER KRANKENKASSEN hat gemeinsame und einheitliche Handlungsfelder und Kriterien zur Umsetzung der 2000 in Kraft getretenen Gesundheitsreform, die den Krankenkassen „wieder einen erweiterten Handlungsspielraum in der Gesundheitsprävention und der betrieblichen Gesundheitsförderung” (2006, S. 5) ermöglicht haben, erarbeitet. Im Bereich der Entspannungsverfahren werden z. B. Kurse für die Versicherten in Hatha Yoga, Autogenem Training, Chi Gong und Tai Chi finanziell gefördert (vgl. ebd., S. 40).

Diese Arbeit beschäftigt sich ausschließlich mit dem System „Yoga”. Zum einen resultiert dies aus persönlicher Erfahrung und zum anderen aus Respekt vor einer positiven Lebensbewältigungsstrategie, deren Wurzeln Jahrtausende alt sind und die bis heute in ihrer ursprünglichen Form überlebt hat. Yoga scheint es wert zu sein, im Hinblick auf Gesundheitsauswirkungen nicht nur auf Erwachsene, sondern auch auf Kinder genauer betrachtet zu werden.

Yoga als System

Yoga war immer wieder und ist derzeit in aller Munde. Madonna macht Yoga, Britney Spears, Sting, Sabrina Setlur, Yvonne Catterfeld, Nina Hagen, um nur einige zu nennen (vgl. PRISMA 42/2006). Auch der Violinvirtuose Yehudi Menuhin hat sich schon dazu bekannt[1]. Erfahrungsberichte über und Tuchfühlungen mit Yoga häufen sich, so z. B. in der Wochenzeitung „Die Zeit”, in der Heike FALLER von ihrer ersten Yoga-Übungsstunde erzählt: „Warum ich vor ein paar Monaten zum ersten Mal im Lotussitz auf einer Yogamatte saß, Ommmmm summte, meine Hände faltete und mich vor der Lehrerin, oder vielleicht sogar einem anderen höheren Wesen,verbeugte? Die kurze Antwort ist: Rücken. [...] So sieht Yoga von außen aus [Abbildung]. Von innen passiert etwas anderes, etwas, was vertraut und trotzdem sensationell ist. Yoga versetzt einen an einen Ort in einem selbst, in einen Bewusstseinszustand, den man wahrscheinlich auch durch dieses oder jenes, durch Drogen oder Gartenarbeit erreichen kann. Auch ich selbst bin in meinem Leben schon oft über diese Lichtung gestolpert, beim Schreiben oder einem Ball hinterherlaufend, aber immer zufällig, absichtslos. Yoga gibt einem das beruhigende Gefühl, dass man diesen Ort mit ein paar einfachen Übungen und etwas Glück jederzeit wiederfinden kann. [...] Probleme werden nicht, wie im westlichen Denkmodell, verdrängt, sondern man lässt sie weiterziehen, als existierten sie außerhalb des eigenen Kopfes, wie lästige Wolken, denen man nachhängen kann oder auch nicht. Am Anfang ist es nicht leicht. Dann, schon in der ersten Stunde, erreicht man die Lichtung, für ein paar Sekunden nur, und das Gefühl ist so überzeugend schön, dass man von nun an bereit ist, alles zu tun, was diese Lehrerin da vorne sagt. Etwa ein Drittel der Yogaschüler, sagt Patricia, kommt nur einmal, ein weiteres Drittel kommt wegen einer akuten Krise, der Rest macht langfristig Yoga. [...] Ich habe mir gar nicht die Mühe gemacht, mich ausführlich mit den spirituellen Hintergründen von Yoga zu beschäftigen, weil mich das kurze Glücksgefühl an sich schon überzeugte. [...] Denn wann immer ich Zweifel an der Wirksamkeit des Yogaweges bekomme, lasse ich diesen Gedanken einfach an mir vorbeiziehen. Ich lenke alle Konzentration auf den Atem und auf das Geräusch, das der Atem macht. Spüren, wie der Boden dich trägt. Dann ganz langsam ausatmen” (2006).

Betrachet man die von FUCHS (1990) beschriebene geschichtliche Entwicklung des Yoga in Deutschland, stellt man fest, dass die Popularität des Yoga hierzulande quasi wellenfömig auf und ab verlief. Derzeit scheint nach FUCHS (2007) wieder ein Hoch zu sein. Die Wellness-Bewegung, Gesundheitsreformen in Zeiten knapper Kassen und massive Stressbelastungen in verschiedensten Lebenssituationen bewegen Menschen dazu, sich wieder stärker selbst in die Verantwortung für ihr eigenes Wohlbefinden zu nehmen.

Haben Menschen bereits Strategien zur Stressbewältigung erfolgreich erprobt, liegt es nahe, dass sie bei Bedarf zukünftig immer wieder darauf zurückgreifen werden. So wird Yoga schon Kindern als Bewältigungsstrategie für ein glückliches Leben vermittelt. Erfahrungsberichte von Kindern über ihre Yogapraxis sind leider nicht zu finden. So kann keine Aussage darüber getroffen werden, ob Kinder mit Yoga genauso glücklich und zufrieden sind, wie z. B. FALLER (2006) es beschrieben hat. Anzunehmen ist, dass Kinder höchst selten von selbst auf die Idee kommen, Yoga zu praktizieren, wenn es ihnen nicht vorgelebt wird. Meist wird es ihnen von Erwachsenen quasi verordnet. Doch auch Erwachsene lassen sich von anderen Menschen zu einer Yogapraxis anregen oder sind wie FALLER durch körperliche Beschwerden gezwungen, geeignete Maßnahmen zu deren Bewältigung zu ergreifen. An dieser Stelle soll nicht die Entscheidungsfreiheit von Erwachsenen mit den Möglichkeiten von Kindern, an Entscheidungen zu partizipieren, gleichgesetzt werden. Jedoch soll darauf hingewiesen werden, dass Menschen jeden Alters äußeren Einflüssen und Zwängen unterliegen, die lediglich in deren Wahrnehmung der Entscheidungsfreiheit differieren.

Yoga ist nicht etwa eine esoterische Disziplin, sondern ein komplexes Übungssystem, das viel Disziplin erfordert, um es zu erlernen. Die Forschungsanstrengungen rund um Yoga sind hoch, zahlreiche internationale Institute wie die Yoga Research and Education Foundation (YREF, Homepage: http://www.yrec.org) oder Research on Yoga in Education (RYE, Homepage: http:// rye.free.fr/pres-al.html) und nationale Institute wie die Gesellschaft für Geisteswissenschaftliche Fortbildung e. V. (GGF, Homepage: http://www.ggfyoga.de) oder das Institut für Yoga-Forschung (Homepage: http://www.yoga-akademie.de/Institut.htm) belegen dies. EBERT konnte 1988 die Wirkung des Yoga auf den menschlichen Körper medizinisch nachweisen und erklären. Desweiteren wurden Effekte auf einzelne psychische Komponenten von Menschen nachgewiesen. Eine Wirkung auf den gesamten Organismus Mensch in den Dimensionen Körper, Geist und Seele zu erforschen, ist westlichen Forschungskulturen fremd. Die Seele eines Menschen zu Forschungszwecken zu operationalisieren, erscheint unmöglich. In unserem Sprachraum wird die Seele mit Psyche oder Geist gleichgesetzt (vgl. PRECHTL & BURKARD 1999, S. 527). Ob diese Gleichsetzung der Dimension der Seele gerecht wird, sei in dieser Arbeit dahingestellt. Die große Verbreitung von Yoga und die stetig wachsende Zahl an persistent Übenden bestätigen jedenfalls die Annahme, dass Yoga bei den Übenden gerade dort wirkt, wo es sich nicht ohne weiteres nachweisen lässt. Yoga lindert laut FEUERABENDT (2005) und EBERT (1988) nicht nur Krankheiten, sondern löst auch emotionale Blockaden und führt zu innerer Stärke. Da dies auch vielen anderen Sportarten - Sport im weitesten Sinn - nachgesagt wird, gilt es nun, das Besondere an Yoga herauszufiltern.

Yoga für die Kindergesundheit

Die positive Wirkungsweise von Yoga auf die Gesundheit von Erwachsenen ist mitterweile in zahlreichen Studien belegt (vgl. EBERT 1988, FUCHS 2000) und Yoga ist als Maßnahme zur Gesundheitsförderung für Erwachsene ausdrücklich empfohlen worden (vgl. DEUTZMANN 2002). Da Yoga für Erwachsene nicht mit Yoga für Kinder gleichzusetzen ist (vgl. STÜCK 1998, S. 81), bleibt auch offen, ob Yoga für die Gesundheit von Kindern vergleichsweise so nachweislich förderlich ist wie für die der Erwachsenen. Dies ist die zentrale Fragestellung dieser Arbeit. Es soll zudem beantwortet werden, ob Yoga für Kinder nicht nur als Mittel zur Förderung von Kindergesundheit, sondern auch zur Gesundheitserziehung einsetzbar ist.

In dieser Arbeit wird untersucht, welche gemeinsamen Merkmale die gegenwärtigen Konzepte von Yoga mit Kindern aufweisen, ob sich diese an dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand über die Entwicklung von Kindern messen lassen und ob diese Yogakonzepte als auch deren wissenschaftlich fundierte gemeinsame Merkmale sich als Mittel zur Gesundheitserziehung für Kinder eignen.

Herangezogen werden dafür die Yogaprogramme für Kinder und Jugendliche von STÜCK (1998, 2000), AUGENSTEIN (2002, 2003) und GOLDSTEIN (2002, 2003), die aus Forschungsvorhaben entwickelt wurden, das Programm für Gesundheitswochen an Grundschulen von ILG & KNAPPE, in dem Yogaelemente eingesetzt werden, die Inhalte einer der größten indischen Yogaschulen für Kinder und Jugendliche[2] (SATYANANDA 2004), die Ausbildungsinhalte für Kinderyoga-Kursleiter des Yoga Vidya e. V.[3] (BYVG 2006) als einem der großen anerkannten hiesigen Ausbilder sowie die Konzepte der deutschen Autoren für Kinderyoga BANNENBERG (2005), FLOTO & VOGLER (1997), FURLAN (1991), DUNEMANN-GULDE (2005), PILGUJ (2002), PROßOWSKY (1999, 2007), RANK (2003) und der indischen Autoren CHANCHANI & CHANCHANI (2002) und THAPAR & SIINGH (2005). Die Konzepte der Kinderyogabuchautoren werden, um dem Umfang einer Diplomarbeit gerecht zu bleiben, erst in die Zusammenfassung der Merkmale für Kinderyoga eingearbeitet. Die Auswahl der Autoren erfolgte nach Empfehlung von STÜCK, AUGENSTEIN, GOLDSTEIN und BYVG sowie nach eigenen Recherchen zu den Stichworten „Kinderyoga” bzw. „yoga for children”.

Betrachtungsgruppe werden Kinder und Jugendliche bis zu einem Alter von 13 Jahren sein. HURRELMANN & BRÜNDEL legen in ihrer „Einführung in die Kindheitsforschung” Kindheit für den Alterabschnitt 0 bis 11 Jahre fest. Sie unterscheiden zwischen früher Kindheit von 0 bis 5 und später Kindheit von 6 bis 11. Das Jugendalter gilt von 12 bis 25 Jahre und unterscheidet sich in frühes Jugendalter von 12 bis 17 und spätes Jugendalter von 18 bis 25 (vgl. 2003, S. 73). STÜCK untersuchte in seiner Dissertation 12- und 13-jährige Jugendliche, spricht in seinen Arbeiten aber von Kindern statt von Jugendlichen. AUGENSTEIN und GOLDSTEIN untersuchten Kinder im Grundschulalter, ILG & KNAPPE ebenfalls. SATYANANDA unterscheidet Alterstufen nach Entwicklungsstand, zum einen nennt er Vorschulkinder bis 7 Jahre, (Schul-)Kinder von 7 bis 14 Jahren bzw. Beginn der Pubertät und Jugendliche bis zum Abklingen der Pubertät. Der Yoga Vidya e. V. nimmt eine ähnliche Unterscheidung vor, er nennt Vorschulkinder (hierzulande bis maximal 7 Jahre) und Schulkinder (ab 6 Jahren), gibt dann aber Musterübungsstunden für Schulkinder bis 7 Jahre und für Schulkinder bis 10 Jahre. Auch hier werden Entwicklungsstufen als Maßstab für die Unterscheidung zwischen Kindern und Jugendlichen gesetzt. Vermutlich rechnet der Yoga Vidya e. V. ab einem Alter von 10 Jahren mit dem Einsetzen der Pubertät. Tatsächlich setzt nach HURRELMANN & BRÜNDEL die Pubertät in westlichen Ländern immer früher ein und verkürzt somit die Kindheitsphase (vgl. 2003, S. 78). Um die Bezeichnungen kurz zu halten, wird in dieser Arbeit statt von „Kindern und Jugendlichen bis 13 Jahren” die Bezeichnung Kind eingesetzt und „Yoga mit Kindern bis 13 Jahre” kurz als „Kinderyoga” bezeichnet.

Die Begriffe „Gesundheitserziehung” und „Gesundheitsbildung” werden z. T. synonym verwendet, die WHO beschreibt sie in ihrem „Glossar Gesundheitsförderung” von 1998 sogar gemeinsam: „Gesundheitserziehung/Gesundheitsbildung umfasst bewusst gestaltete Lernmöglichkeiten, die [...} zur Verbesserung der Gesundheitsalphabetisierung entwickelt wurden; letztere schließt die Entwicklung von Alltagskompetenzen [...] ein, die individueller und kollektiver Gesundheit förderlich sind” (1998, S. 5). Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Begriffen drückt sich nach WALLER jedoch darin aus, dass sich Gesundheitserziehung primär an Kinder und Jugendliche richtet und von Institutionen der Erziehung angeboten wird, während Gesundheitsbildung sich an Erwachsene richtet und von Unternehmen, Krankenkassen und Bildungsinstituten angeboten wird (vgl. 2006, S. 219). In Deutschland hat sich durch den Zweig der Kindheitsforschung das Bild des Kindes als „sozialem Akteur” und „Konstrukteur” seiner eigenen Realität etabliert (vgl. HURRELMANN & BRÜNDEL 2003, S. 44 f.). Dies drückt sich m. E. auch in dem beobachtbaren Paradigmenwechsel von einer Gesundheitserziehung mit dem Schwerpunkt der Verhaltensänderung zu einer Gesundheitsbildung mit dem Schwerpunkt der Kompetenzerweiterung aus (vgl. WULFHORST 2002, S. 26). Somit kann, ähnlich der Beschreibung der WHO, heute statt von Gesundheitserziehung auch von einer Gesundheitsbildung für Kinder und Jugendliche gesprochen werden[4], allerdings mit der Diffenenzierung der Zielgruppe. Um die Begrifflichkeiten kurz und dennoch eindeutig zu halten, wird in dieser Arbeit der Begriff der Gesundheitserziehung dem der Gesundheitsbildung für Kinder und Jugendliche vorgezogen, wohlwissend, dass sich der Paradigmenwechsel darin nicht ablesen lässt.

Vorgehen in dieser Arbeit

In dieser Arbeit mit dem Thema „Gesundheitserziehung durch Yoga. Eine Untersuchung gegenwärtiger Konzepte von Yoga mit Kindern und deren Beitrag zur Gesundheitserziehung” wird untersucht, ob Kinderyoga eine geeignete Maßnahme zur Gesundheitserziehung ist. Zunächst werden dazu die Begriffe Gesundheit, Gesundheitserziehung, Yoga und Kinderyoga geklärt und in ihren wichtigsten Aspekten erläutert, um auf deren Grundlage folgende zentrale Fragestellungen zu beantworten:

  • 1. Welches sind die gemeinsamen Merkmale der gegenwärtigen Konzepte von Kinderyoga? Entsprechen die gemeinsamen Merkmale dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand über die Entwicklung und die Bedürfnisse von Kindern? Lassen sich die gegenwärtigen Konzepte von Kinderyoga als kindgerecht bzw. kindangemessen bezeichnen?
  • 2. Lässt sich yogisches Gesundheitsverständnis mit dem heutigen internationalen Gesundheitsverständnis vergleichen?
  • 3. Entsprechen Ziele und nachgewiesene Effekte von Kinderyoga den Zielen von Gesundheitserziehung?
  • 4. Entsprechen die Prinzipien von Kinderyoga den Prinzipien von Gesundheitserziehung?

Nach dieser Einleitung wird zunächst das Konzept „Gesundheit” näher betrachtet. Nach einer Klärung des Begriffs Gesundheit werden im zweiten Teil die Konzepte und Modelle, die dem dem heutigen Gesundheitsverständnis zugrunde liegen, dargestellt.

Im dritten Teil wird das Thema Gesundheitserziehung näher betrachtet. Nach der Begriffsklärung und der Einordnung von Gesundheitserziehung in Gesundheitsstrategien und -methoden, wird eine Unterscheidung der Begriffe Gesundheitserziehung und Gesundheitsbildung vorgenommen, die - wie bereits angeführt - oft wenig trennscharf verwendet werden. Der Gesundheitszustand von Kindern und Jugendlichen in Deutschland wird anhand der kürzlich veröffentlichten KiGGS-Studie aufgezeigt, um anschließend die Notwendigkeit einer Gesundheitserziehung herauszustellen. Es folgt die Darstellung von Zielen, Konzepten und Themenfeldern einer Gesundheitserziehung und es werden einige der Fachliteratur entnommene Empfehlungen zur Gesundheitserziehung gegeben, um diese an späterer Stelle wieder aufzugreifen.

Das System „Yoga” wird im vierten Teil vorgestellt. Es erfolgt eine Einführung darüber, was Yoga ist, seine geschichtliche Entwicklung und welche Formen von Yoga es gibt. Anschließend werden die recherchierten wissenschaftlichen Studien zur Wirkung von Yoga und Meditation auf Körper, Geist und Seele vorgestellt. Da in unserem Sprachraum die Seele mit Psyche oder Geist gleichgesetzt wird (s. o.), werden die Wirkungsweisen von Yoga in die beiden Aspekte physiologische und psychologische Wirkungen unterschieden.

Im fünften Teil wird Kinderyoga näher betrachtet. Zunächst wird geklärt, was Kinderyoga ist und Modellversuche sowie Studien zu Kinderyoga und Yoga in der Schule werden in ihrer validierten Wirkungsweise vorgestellt. Die bereits genannten Konzepte für Kinderyoga werden inhaltlich darstellt, um deren gemeinsame Merkmale hinsichtlich Didaktik und Methodik herauszustellen. Es folgen Altersempfehlungen der Yogaprogramme über den Beginn mit Kinderyoga und eine Auflistung darüber, welche Yogaelemente mit Kindern möglich sind und welche nicht, um die Ergebnisse im nächsten Teil verwerten zu können.

Teil sechs beschäftigt sich mit der wechselseitigen Beziehung zwischen Kinderyoga und kindlicher Entwicklung. Notwendige kindliche Entwicklungsaspekte in körperlicher, emotionaler und kognitiver Art sowie kindliche Grundbedürfnisse werden skizziert, um daraus Implikationen für Kinderyoga abzuleiten und zu überprüfen, ob Kinderyoga dies erfüllt. Umgekehrt wird untersucht, inwiefern Kinderyoga die Entwicklung der zentralen motorischen Fähigkeiten Bewegung, Koordination, Schnelligkeit, Ausdauer und Kraft fördert, denn diese bilden die Grundlage für Steuerungsprozesse kindlicher Haltung und Bewegung. Hier kann sich das Besondere des Kinderyoga gegenüber anderen körperorientierten Bewegungsformen zeigen.

In Kapitel sieben über Gesundheitserziehung durch Yoga werden das internationale Gesundheitskonzept und das des Yoga miteinander verglichen, um zu überprüfen, ob diese prinzipiell miteinander vereinbar sind. Die nachgewiesenen Wirkungen und Ziele von Kinderyoga werden mit den Zielen von Gesundheitserziehung verglichen sowie die gemeinsamen Ziele und Prinzipien von Kinderyoga mit den Prinzipien von Gesundheitserziehung, um in einem zusammenfassenden Fazit herauszustellen, ob Kinderyoga als Maßnahme zur Gesundheitserziehung geeignet ist.

Abschließend erfolgt ein Ausblick mit einigen Gedanken, die zur Diskussion gestellt werden. Da für diese Arbeit lediglich der europäische Zeichensatz zur Verfügung steht, können die Fachbegriffe des Yoga aus dem Sanskrit, der Fachsprache des Yoga, nicht korrekt dargestellt werden.

Ein Sanskrit-Glossar findet sich bei beispielsweise FUCHS (1990). Um den Lesefluss nicht zu beeinträchtigen, werden Personenbezeichnungen in männlicher Form verwendet.

Gesundheit

Im Folgenden wird das Konzept „Gesundheit” näher betrachtet. Nach einer Klärung des Begriffs Gesundheit werden die Konzepte und Modelle, die dem dem heutigen Gesundheitsverständnis zugrunde liegen dargestellt.

Der Begriff Gesundheit

Bislang gibt es keine allgemein gültige und wissenschaftlich einheitlich anerkannte Begriffsbestimmung von Gesundheit. Die zahlreichen Formulierungsversuche lassen sich in monodisziplinäre Begriffsbestimmungen, interdisziplinäre Begriffsbestimmungen und Laien- bzw. subjektive Begriffsbestimmungen unterscheiden.

Monodisziplinäre Begriffsbestimmungen stammen aus einer wissenschaftlichen Disziplin. Der Psychoanalytiker Sigmund FREUD z. B. bestimmte Gesundheit als "Fähigkeit, lieben und arbeiten zu können" (WALLER 2006, S. 9). Der Soziologe Talcott PARSONS sieht Gesundheit aus einem anderen Blickwinkel, als „der Zustand optimaler Leitungsfähigkeit eines Individuums für die Erfüllung der Rollen und Aufgaben, für die es sozialisiert worden ist” (ebd.).

Interdisziplinäre bzw. ganzheitliche Begriffsbestimmungen berücksichtigen mehrere wissenschaftliche Disziplinen. Die World Health Organisation (WHO)[5] beschreibt Gesundheit multidimensional, in ihrer Verfassung heißt es: „Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity” (DISCHLER 1952, S. 14). Gesundheit ist damit „ein Zustand vollkommen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheiten und Gebrechen" (WALLER 2006, S. 9). Bemerkenswert ist, dass auch Laien Gesundheit multidimensional und ganzheitlich verstehen (vgl. ebd., S. 14 ff.)

Die WHO definiert weiterhin Gesundheit als Grundrecht aller Menschen und verpflichtet ihre Mitgliedsstaaten dazu, dieses auch zu gewähren (vgl. WHO Internetquelle 2007). Die Definition der WHO ist zwar nicht wissenschaftlich anerkannt, aber bindend für Deutschland als Mitgliedsstaat und damit die Arbeitsdefinition für alle bundesdeutschen Projekte, die Gesundheit zum Ziel haben.

Gesundheitsmodell der Salutogenese

In der Fachliteratur sind etliche wissenschaftliche Konzepte von Gesundheit zu finden. Häufig zitiert wird das salutogenetische Modell des Medizinsoziologen Aaron ANTONOVSKY, auch die Bundesregierung zitiert ANTONOVSKY in ihren Veröffentlichungen. Experten haben im Auftrag der BUNDESZENTRALE FÜR GESUNDHEITLICHE AUFKLÄRUNG (BZGA) eine Bewertung des Modells vorgenommen und sehen darin die „erste und am weitesten entwickelte Theorie zur Erklärung von Gesundheit” (BZGA 2001, S. 89). Da es multidimensionale Einflussgrößen miteinbeziehe, habe es einen großen Integrationswert und biete einen Orientierungsrahmen (vgl. ebd.). Deshalb soll hier im Folgenden das Gesundheitsmodell der Salutogenese in seinen Grundzügen vorgestellt werden.

In einem Forschungsprojekt konnte ANTONOVSKY 1970 beobachten, dass sich etliche weibliche Überlebende von Konzentrationslagern in einer relativ guten psychischen Gesundheit befanden. ANTONOVSKY orientierte sich als Stressforscher seitdem an dem Phänomen, dass Menschen trotz Konfrontation mit einer Vielzahl an Gesundheitsrisiken gesund bleiben (vgl. 1997, S. 15 f.). Im Gegensatz zum damals vorherrschenden medizinischen Verständnis von Gesundheit als Abwesenheit von Krankheit mit pathogenem (griech. pathos: Leid, Krankheit; gennan: (er)zeugen) Schwerpunkt stellte sich ANTONOVSKY die Frage „Was hält Menschen gesund?” und setzte seinen Untersuchungsschwerpunkt auf salutogene Faktoren für Gesundheit (vgl. WALLER 2006, S. 19 f.). Die wichtigsten Unterschiede zwischen dem pathogenen Modell und dem salutogenen Modell sind in der folgenden Grafik dargestellt (Abb. NOACK 1997 in BZGA 2001, S. 35):

(Abbildung)

Im pathogenen Modell werden Gesundheit und Krankheit als voneinander getrennte, gegensätzliche (dichotome) Phänomene betrachtet. ANTONOVSKYS Modell sieht Gesundheit und Krankheit in einem „Gesundheits-Krankheits-Kontinuum” miteinander verbunden. Man kann sich dieses Kontinuum vereinfacht als Waage vorstellen, auf der der jeweilige Gesundheitsstatus einer Person vom Verhältnis von krankmachenden und gesunderhaltenden Faktoren abgebildet wird (Abb. nach WALLER 2006, S. 23):

(Abbildung)

Die Selbstregulierung von Menschen geschieht dabei nicht mit dem Ziel eines homöostatischen Gleichgewichts, sondern aus dem Bestreben der Überwindung eines Ungleichgewichts im Sinne einer Stressbewältigung. ANTONOVSKY betrachtet den ganzen Menschen in seiner Leidensgeschichte, statt sympomatisch nach Ursachen für die Entstehung einer Krankheit zu suchen. Bei der Entstehung von Krankheit oder Gesundheit spielen für ANTONOVSKY weniger Risikofaktoren oder negative Stressoren eine Rolle, sondern vielmehr heilsame Ressourcen bzw. der „Kohärenzsinn” eines Menschen. ANTONOVSKY entwickelte das Konzept des Kohärenzsinns (lat. cohaerere: zusammenhängen) als zentrale Widerstandsressource eines Menschen (vgl. 1997, S. 16). Der Kohärenzsinn beschreibt eine Grundorientierung mit Vertrauen darauf, dass

  • 1. äußere oder innere Stimuli als kognitiv sinnhaft und nicht als zufällig oder unerklärlich wahrgenommen werden,
  • 2. geeignete Ressourcen verfügbar sind, um den durch die inneren oder äußeren Stimuli gestellten Anforderungen zu begegnen, und
  • 3. diese Anforderungen Herausforderungen sind, die ein inneres und äußeres Engagement lohnen - im Sinne einer Motivation.

Diese drei Komponenten nennt er auch 1. Verstehbarkeit, 2. Handhabbarkeit und 3. Bedeutsamkeit. Zentral ist also, dass Reize bzw. Situationen als Informationen verstanden werden, Anforderungen als bewältigbar wahrgenommen werden und diese Bewältigung als sinnvoll und lohnend empfunden werden (vgl. ANTONOVSKY 1997, S.34 f.; WALLER 2006, S. 22). Negative Stressoren können damit nicht nur potentiell krank machen, sondern nach erfolgreicher Bewältigung auch stärkend und gesund. Um also bewusst auf Krankheit einzuwirken, bedarf es weit mehr als bestimmter Heilmittel oder Medikamente, denn es muss eine aktive Anpassung der Person an die jeweiligen Lebensumstände erfolgen. Dazu gehören neben der Verminderung von Risiken die Entwicklung von Ressourcen.

ANTONOVSKYS salutogenes Modell geht insgesamt zwar primär von der Dominanz der körperlichen Dimension von Gesundheit aus, aber es lassen sich ebenso die seelische und geistige Dimension integrieren (vgl. WALLER 2006, S. 19 - 24). Es ist anzunehmen, dass diese Flexibilität die Popularität des salutogenetischen Modells ausmacht.

Nach ANTONOVSKY kann Gesundheit somit als

  • positiv ausgerichtet,
  • prozesshaft,
  • subjektiv in der Wahrnehmung,
  • kontinuierlich: im Verbund von Gesundheit und Krankheit im Gesundheits-Krankheits-Kontinuum,
  • und integrativ - weil die Dimensionen von Körper, Geist und Seele einschließend betrachtet werden.

Konzept der Lebensweisen

Die Lebensweise von Individuen richtet sich nach deren subjektiver Perspektive und soziokulturellen Möglichkeiten - kurz: nach dem Setting. Die WHO hat auf dieser Grundlage einzelne Ressourcen als Voraussetzung für Gesundheit formuliert. Anhand der Grafik von DAHLGREN & WHITEHEAD ist gut erkennbar, welche die einzelnen Ressourcen sind und wie sie miteinander zusammenhängen (Abb. in WALLER 2006, S. 36):

((Abbildung)

Die Lebensweise von Menschen (3) und persönliche Faktoren wie Alter, Geschlecht sowie erbliche Faktoren (4) beeinflussen direkt den Umgang mit den äußeren Faktoren ihrer Umwelt (1, 2). Genannt werden hier zumutbare Wohnverhältnisse, ausreichendes Nahrungsangebot, Bildungsmöglichkeiten, zumutbare Arbeitsverhältnisse und der Umgang mit Arbeitslosigkeit, ausreichende Wasserversorgung und hygienische Verhältnisse sowie ein organisiertes Gesundheitswesen (2). Diese sind eingebettet in die allgemeinen sozioökonomischen und umweltbedingten Verhältnisse wie z. B. Frieden und soziale Gerechtigkeit (1). Umgekehrt entwickeln sich Menschen gemäß ihrer Möglichkeiten, sodass hier ein Kreislauf entsteht. Diese systemische Denkweise bildet so ein ökologisches Modell der Gesundheitsressourcen heraus.

Ein optimales Gesundheitsverhalten schließt sich dem Setting-Ansatz an. Idealerweise ist es mehrdimensional bzw. ökologisch dimensioniert, umfasst alle Lebensbereiche eines Menschen und integriert sich in die Lebensweise des Einzelnen. Neben dem Umgang mit den bereits genannten äußeren Umweltfaktoren (2) gehören auch die psychische und soziale Ebene dazu, ebenso wie Handlungsschwerpunkte in verschiedenen Bereichen wie Ernährung, Bewegung oder Umgang mit Beschwerden (vgl. ebd., S. 48 f.).

Das Setting ist Gestaltungsaufgabe der sozialen Gruppe. Diese entwickelt Aktionsformen und handlungsleitende Orientierungen, um ihrer erwünschten Lebensweise nachzukommen, aus denen die Individuen dieser Gruppe Handlungsformen sowie ihre persönliche und soziale Identität schöpfen. Das Konzept der Lebensweisen bedeutet somit eine Abkehr von Individualisierung und Schuldzuweisung. Es betrachtet das Gesundheitsverhalten einer sozialen Gruppe statt des Einzelnen, da der Einzelne nicht ohne Kontext bzw. Setting betrachtet werden kann (vgl. ebd., S. 49 f. u. 160).

Aus dem Settingansatz heraus hat die WHO 1986 vier Projekte zur Umsetzung von Gesundheitsförderung entwickelt[6]: Gesunde-Städte-Projekt, Projekt Gesundheitsfördernde Schule, Projekt Gesundheitsförderung im Betrieb und Projekt Gesundheitsförderndes Krankenhaus (vgl. WALLER 2006, S. 169 f.). Als Erweiterung der Gesundheitsförderung für Kinder und Jugendliche wurde hierzulande das Konzept der „Gesundheitsförderung im Kindergarten” entwickelt, da die meisten Kinder einen guten Teil ihrer Zeit im Lebensraum Kindergarten oder Kindertagesstätte verbringen (vgl. BZGA 2002, S. 3).

Gesundheitserziehung

Der Begriff Gesundheitserziehung

Grob kann Gesundheitserziehung als Aktivität von Personen und Instanzen bezeichnet werden, „die auf Verhütung von Krankheit und Förderung von Gesundheit ausgerichtet” (WULFHORST 2002, S. 25) ist. Genauer werden nach HURRELMANN, LAASER & WOLTERS unter Gesundheitserziehung Aktivitäten verstanden, „die vor allem in Familien und in Erziehungseinrichtungen [ablaufen], um über Wissensvermittlung und pädagogische Kontakte Einstellungen, Kompetenzen und Fertigkeiten zu vermitteln, die der Selbstentfaltung [dienen] und das gesundheitsbewusste Verhalten eines Menschen [fördern]” (WULFHORST 2002, S. 25 f.) (vgl. ebd.; POPP 2006, S. 25). Gesundheitserziehung ist als pädagogisches Handlungs-, Arbeits- und Praxisfeld charakterisiert, jedoch fehlt eine erziehungswissenschaftliche Entsprechung des Handlungsfeldes „Gesundheit” (vgl. WULFHORST 2006, S. 820).

Wie einleitend bereits erwähnt wird der Begriff der Gesundheitserziehung auch synonym zum Begriff der Gesundheitsbildung verwendet. In ihrem „Glossar Gesundheitsförderung” von 1998 definiert die WHO die beiden Begriffe ohne Unterscheidung: „Gesundheitserziehung/Gesundheitsbildung umfasst bewusst gestaltete Lernmöglichkeiten, die [...} zur Verbesserung der Gesundheitsalphabetisierung entwickelt wurden; letztere schließt die Entwicklung von Alltagskompetenzen [...] ein, die individueller und kollektiver Gesundheit förderlich sind” (1998, S.5). WALLER sieht den wesentlichen Unterschied zwischen Gesundheitserziehung und Gesundheitsbildung darin, dass sich Gesundheitserziehung primär an Kinder und Jugendliche richtet und von Institutionen der Erziehung angeboten wird, während Gesundheitsbildung sich an Erwachsene richtet und von Unternehmen, Krankenkassen und Bildungsinstituten angeboten wird (vgl. 2006, S. 219). In Deutschland hat sich durch den Zweig der Kindheitsforschung das Bild des Kindes als „sozialem Akteur” und „Konstrukteur” seiner eigenen Realität etabliert (vgl. HURRELMANN & BRÜNDEL 2003, S. 44 f.). Dies drückt sich m. E. auch in dem nach BLÄTTNER beobachtbaren Paradigmenwechsel von Gesundheitserziehung mit den Schwerpunkt der Verhaltensänderung zur Gesundheitsbildung mit dem Schwerpunkt der Kompetenzerweiterung aus (vgl. WULFHORST 2002, S. 26). Somit kann, ähnlich der WHO, heute statt von Gesundheitserziehung auch von einer Gesundheitsbildung für Kinder und Jugendliche gesprochen werden[7], mit der Diffenzierung der Zielgruppe. Den wesentlichen Unterschied zwischen Gesundheitserziehung und Gesundheitsbildung sieht HURRELMANN im Grad der Freiwilligkeit, auch wenn die Ziele im wesentlichen dieselben sind. Während Gesundheitsbildung auf freiwilliger Basis stattfindet, ist die Teilname an Programmen zur Gesundheitserziehung gesetzlich geregelt (vgl. 2006, S. 200). Somit wird, trotz des Paradigmenwechsels in den Lerntheorien, in dieser Arbeit der Begriff der Gesundheitserziehung dem der Gesundheitsbildung für Kinder und Jugendliche vorgezogen.

Instanzen für eine Gesundheitserziehung sind umfassend alle Menschen und Organisationen, die mit Kindern zu tun haben, deren Verhalten und damit auch deren gesundheitsbezogenes Verhalten beeinflussen. In der ersten Lebensjahren sind dies vor allem Eltern und Erziehungsberechtigte, später dann Kindergarten oder Kindertagesstätte und Schule. Ärzte untersuchen den gesundheitlichen Zustand von Geburt an. Auch die Peergroup Heranwachsender beeinflusst nicht nur gesundheitsbezogene Einstellungen und Verhaltensweisen. Staatliche Behörden, allen voran die BUNDESZENTRALE FÜR GESUNDHEITLICHE AUFKLÄRUNG (BZGA), sind weitere wesentliche Instanzen. Die BZGA veröffentlicht zahlreiche theoretische und praktische Schriften zu Gesundheitserziehung und Gesundheit für alle Altersgruppen und Lebenslagen und gibt entprechende Broschüren zur Planung von gesundheitsbezogenen Projekten für Kindergärten bzw. Kindertagsstätten und Schulen heraus. Im Sinne eines Settingansatzes (s. Kap. 2.3) entstehen Bestrebungen, alle Instanzen miteinander zu verknüpfen. Vor allem die Schule als Instanz, die alle Kinder erreicht, erfährt hierbei die koordinative Aufgabe, entsprechende Kooperationen durchzuführen (vgl. POPP 2006, S. 50 - 55).

Einordnung der Gesundheitserziehung

Um einen besseren Überblick über den Begriff Gesundheitserziehung zu bekommen, wird Gesundheitserziehung zum einen auf der theoretischen Ebene der Gesundheitswissenschaften und zum anderen auf der praktischen Ebene der Versorgungsbereiche des Gesundheitssystems eingeordnet.

Theoretische Einordnung der Gesundheitserziehung in die Gesundheitswissenschaften

Gesundheitserziehung ist Teil der Gesundheitspädagogik, die wiederum Teil der Gesundheitswissenschaften ist. Die Gesundheitswissenschaften werden analog zum englischen Fachbegriff der „public health” als „die Wissenschaft und Praxis der Gesundheitsförderung und der Systemgestaltung des Gesundheitswesens” (HURRELMANN et al. 2006, S. 11) beschrieben. Dennoch unterscheidet sich der deutschsprachige Begriff grundlegend vom angelsächsischen. Während Public Health die „öffentliche Gesundheit” im Sinne einer politischen Ausrichtung betont, stehen bei den Gesundheitswissenschaften die Begriffe „Gesundheit” für das Kernthema und „Wissenschaften” für die interdisziplinäre Ausrichtung dieses Faches an zentraler Stelle. Der Begriff der „Gesundheitswissenschaften” ist vielmehr analog zu den „Health Sciences”, der angewandten Gesundheitsforschung und Gesundheitssystemforschung (vgl. ebd., S. 27 f.) mit einer Orientierung am salutogenen Paradigma (vgl. ebd., S. 35). Arbeitsfelder der Gesundheitswissenschaften sind (vgl. ebd., S. 36):

1. Gesundheitsforschung:
a) Analyse der körperlichen, seelischen und sozialen Bedingungen und Kontexte der Gesundheits-Krankheits-Balance
b) Feststellung des Gesundheits- / Krankheitsstatus der Bevölkerung und Ableitung des Versorgungsbedarfs
2. Gesundheitssystemforschung:
a) Analyse der Versorgungsbereiche des Gesundheitssystems: Gesundheitsförderung, Prävention, Therapie, Rehabilitation und Pflege sowie ihrer Verzahnung
b) Ableitung von Modellen der Steuerung und Finanzierung des Gesundheitssystems, Beratung der Gesundheitspolitik

Die Gesundheitspädagogik hat beim Aufbau der Gesundheitswissenschaften wenig Beachtung gefunden, erst seit 2003 sehen HURRELMANN & LAASER sie in gleichberechtigter Position zu den Fachdisziplinen der Gesundheitswissenschaften Medizin, Biologie, Ökonomie, Soziologie und Psychologie. Sie gruppiert sich zu den zentralen fachlichen Einzeldisziplinen der Gesundheitswissenschaften wie folgt (Abb. in HURRELMANN et al. 2006, S. 29):

(Abbildung)

Die Gesundheitspädagogik ist nach HURRELMANN et al. in das sozialwissenschaftliche Paradigma der Gesundheitswissenschaften eingebettet und hat als methodischen Kern die empirische Sozialforschung, die als zentrales Fachgebiet die Ursachen und Wirkungen von Gesundheit und gesundheitsspezifischen Massnahmen analysiert und entsprechende systematische Instrumente und Verfahren bereitstellt (vgl. ebd., S. 29 f.). Gesundheitspädagogik beschäftigt sich mit der Praxis gesundheitsbezogener Massnahmen, aber auch mit deren erziehungswissenschaftlicher Reflexion. In der Fachliteratur wird der Begriff eher selten gebraucht, viel häufiger finden die Begriffe Gesundheitserziehung oder Gesundheitsbildung mit ihrer programmatisch-pragmatischen und weniger theoretisch-reflexiven Ausrichtung Anwendung (vgl. WULFHORST 2006, S. 819 f.).

Praktische Einordnung der Gesundheitserziehung in die Versorgungsbereiche des Gesundheitssystems

Gesundheitserziehung ordnet sich neben Gesundheitsbildung in eine Reihe weiterer Methoden zum Erzielen von Gesundheit ein, sie sind die einzigen primär pädagogischen Arbeitsfelder (Abb. erweitert n. WALLER 2006, S. 161):

(Abbildung)

Die beiden großen dargestellten Versorgungsbereiche bzw. Interventionen oder Strategien des Gesundheitssystems (s. Kap. 3.2.1) sind hier Gesundheitsförderung und Prävention, die jeweils einen ganz unterschiedlichen Schwerpunkt haben. Prävention, auch Krankheitsprävention ge- nannt (vgl. HURRELMANN & LAASER 2006, S. 749), beschäftigt sich vorwiegend mit den Gesundheitsrisiken und deren Minimierung, Gesundheitsförderung mit den Gesundheitsressourcen und deren Maximierung. Die Idee der Gesundheitsförderung ist im Vergleich zur Idee der Prävention des 19. Jahrhunderts sehr jung und ist im wesentlichen durch die Ottawa-Charta der WHO 1986 (s. Kap. 2.3) und ANTONOVSKYS Modell der Salutogenese (s. Kap. 2.2) entwickelt worden (vgl. WALLER 2006, S. 156). Dennoch lassen sich Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention als sich ergänzende Interventionsformen mit gleichem Ziel betrachten. Eine Verbesserung der individuellen und kollektiven Fähigkeiten der Lebensbewältigung mit Kenntnis über Entstehung und Aufrechterhalten von Gesundheit kann nur erfolgen, wenn gleichzeitig eine Kenntnis über Entwicklung und Verlauf individuellen und kollektiven Krankheitsgeschehens vorhanden ist und es möglich ist, Krankheiten zu verhindern und Risiken für Krankheiten abzuwenden (vgl. HURRELMAN N & LAASER 2006, S. 749 - 753).

Gesundheitszustand von Kindern und Jugendlichen - KiGGS-Studie

Störungen bei Kindern und Heranwachsenden im körperlichen und psychosozialen Bereich sind keine Seltenheit mehr. Dazu zählen Erscheinungen wie Allergien, Haltungsschäden, Übergewicht, Aggressionen, psychische Labilität, Gewaltbereitschaft und Suchtverhalten (vgl. POPP 2006, S. 13).

Über 80% aller Todesfälle in Deutschland gehen auf Zivilisationskrankheiten zurück. Bekannt ist, dass die Entstehung dieser Erkrankungen eindeutig durch gesundheitsschädigendes Verhalten begünstigt wird. Die häufigsten Zivilisationskrankheiten sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krankheiten der Atmungsorgane, Krankheiten der Verdauungsorgane und Diabetes mellitus (vgl. GRAF 1995, S. 10 f.).

Sind mehrere Risikofaktoren gleichzeitig vorhanden, ist die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung, die durch diese beinflusst werden, ungleich höher als bei Personen, die diesen schädigenden Einflüssen nicht ausgesetzt sind (Schema nach ebd., S. 11):

(Abbildung)

Von Risikofaktoren wie beispielsweise Luftverschmutzung, erbliche Veranlagung, Stress und Fettleibigkeit sind Kinder und Jugendliche mittlerweile genauso betroffen wie Erwachsene (s. auch KiGGS-Studie). Bei den Schulanfängern wurde Anfang der 90er durch die schulmedizinische Untersuchung der Gesundheitsämter bereits folgendes festgestellt (vgl. NIEDERSÄCHSISCHES KULTUSMINISTERIUM 1991, S. 10):

  • 40% haben Herz-Kreislaufschwächen,
  • 33% haben Haltungsschwächen,
  • 20% sind übergewichtig.

Depressionen und Suizid sind auch bei Heranwachsenden bei weitem keine Seltenheit mehr. Suizid belegt gleich nach den Unfällen Platz zwei bis drei der Todesursachen bei den 15- bis 41-Jährigen (vgl. BZGA 2006, S. 29; BIENER 2005, S. 17).

Interessante Ergebnisse zur Kinder- und Jugendgesundheit liefert die KiGGS-Studie. KiGGS steht für „Kinder- und Jugendgesundheitssurvey” und ist die erste bundesweite, repräsentative Studie zur Erfassung des Gesundheitszustandes von Kindern und Jugendlichen im Alter von 0 bis 17 Jahren in Deutschland. Diese Studie wird im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit und Soziale Sicherung sowie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung seit 2001 vom Robert-Koch-Institut (RKI)[8] durchgeführt. KiGGS soll bundesweit gültige Daten liefern und die Grundlage für gesundheitspolitische Entscheidungen werden. Die Erhebung der Daten fand im Zeitraum von 2003 bis 2006 statt, erste Ergebnisse wurden bereits 2006 im Bundesgesundheitsblatt veröffentlicht (vgl. KURTH 2006). Eine ausführlichere Auswertung der Daten fand sich kürzlich ebenda. Nachfolgend sollen einige Ergebnisse kurz vorgestellt werden[9]:

  • Übergewicht und Adipositas: 15 % der 3- bis 17-jährigen sind min. übergewichtig, insgesamt ist jeder Zwölfte adipös. Der Anteil der min. Übergewichtigen ist mit zunehmendem Alter steigend: rund 9 % im Alter von 3 bis 6, 15 % im Alter von 7 bis 10 und 17 % im Alter von 14 bis 17 Jahren. Ebenso verhält es sich bei Adipositas: 2,9 % im Alter von 3 bis 6, 6,4 % im Alter von 7 bis 10 und 8,5 % im Alter von 14 bis 17 Jahren. Ein höheres Risiko besteht bei Herkunft aus sozial benachteiligten Schichten, bei Migrationshintergrund, bei übergewichtigen Eltern und bei Kindern, deren Mütter ebenfalls übergewichtig sind (vgl. KURTH & SCHAFFRAT H ROSARIO 2007).
  • Essstörungen: Jeder fünfte Jugendliche wurde als auffällig im Essverhalten identifiziert, ins. jedes vierte Mädchen und jeder sechste Junge. Essstörungen nehmen bei Mädchen mit zunehmenden Alter zu: 20 % im Alter von 11 und rund 30 % mit 17 Jahren. Bei Jungen ist die Entwicklung umgekehrt: 20 % im Alter von 11 und knapp 13 % mit 17 Jahren. Esstörungen sind bei niedrigem sozioökonomischem Status und bei Migrationshintergrund min. doppelt so hoch wie bei den anderen Gruppen. Essstörungen zählen zu den häufigsten chronischen Gesundheitsproblemen. Sie gehen einher mit höheren Quoten von psychischen Auffälligkeiten, Neigung zu Depressivität, Unzufriedenheit mit dem Körperbild, stärkerem Tabakkonsum und mehr Erfahrung mit sexueller Belästigung (vgl. HÖLLING & SCHLACK 2007; KURTH 2006).
  • Allergische Erkrankungen: 16,1 % leiden unter allergischen Erkrankungen, ins. rund 17 % aller Jungen und 15 % aller Mädchen. Allergische Krankheiten nehmen mit zunehmendem Alter ebenfalls zu. Ein geringeres Risiko besteht bei Migrationshintergrund, sozial schwacher Herkunftsfamilie, mehreren älteren Geschwistern und frühem, engem Kontakt zu Kindern in Betreuungseinrichtungen. Ein erhöhtes Risiko besteht bei familiärer Vorbelastung. Sind die Eltern allergisch, ist die Gefahr für die Kinder einer allergischen Erkrankung doppelt so hoch. Am weitesten verbreitet sind Heuschnupfen mit knapp 11 % und Asthma mit knapp 5 %. Eine Blutuntersuchung zeigt bei rund 41 % eine Sensibilisierung gegen min. ein getestetes Allergen, davon rund 37 % gegen Stoffe, die eingeatmet werden (Pollen, Tierhaare, Hausstaubmilben) und rund 20 % gegen Nahrungsmittel. Auch hier sind Jungen stärker betroffen als Mädchen. Lediglich für Asthma ist die Gefahr der Erkrankung in Städten höher als in ländlichen Gebieten, bei allen anderen Erscheinungen ergeben sich hierbei keine Unterschiede (vgl. SCHLAUD et al. 2007; KURTH 2006).
  • Körperlich-sportliche Aktivität: Etwa drei Viertel aller Kinder machen regelmäßig min. einmal pro Woche Sport, ein Drittel sogar dreimal und häufiger. Etwa ein Viertel machen unregelmäßig Sport, ein Achtel nie - dabei kommen sie überwiegend aus Familien mit niedrigem Sozialstatus, Migrationshintergrund oder aus den neuen Bundesländern. Über drei Viertel der Jungendlichen sind min. einmal pro Woche körperlich aktiv, über die Hälfte min. dreimal wöchentlich. Täglich aktiv sind gut ein Viertel der Jungen und ein Sechstel der Mädchen. Bei den 17-jährigen sind es nur noch jeder sechste und jede neunte. Die größten Aktivitätsdefizite weisen Mädchen mit niedrigem Sozialstatus sowie Migrationshintergrund auf (vgl. LAMPERT et al. 2007).
  • Motorische Leistungsfähigkeit: Getestet wurden die Dimensionen Kraft, Ausdauer, Koordination und Beweglichkeit. Über ein Drittel aller 3- bis 17-jährigen zeigen Mängel in Koordination und Beweglichkeit: Sie sind nicht in der Lage, 2 oder mehr Schritte auf einem 3 cm breiten Balken rückwärts zu balancieren, oder das Fußsohlenniveau bei der Rumpfbeuge zu erreichen. Hinweise auf Rückgang der Kraftfähigkeit um ins. 14 % konnten ermittelt werden. Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund oder niedrigem sozialem Status zeigen insgesamt eine geringere motorische Leistungsfähigkeit (vgl. STARKER et al. 2007; KURTH 2006).
  • Verhaltensauffälligkeiten: Jedes neunte Mädchen und jeder sechste Junge ist verhaltensauffällig. bzw. genzwertig auffällig. Am häufigsten dabei sind Verhaltensprobleme, emotionale Probleme und Hyperaktivität. Bei Migrationshintergrund treten diese häufiger auf. Je niedriger der soziale Status, desto höher ist die Tendenz zu Hinweisen auf psychische Probleme. Psychische Probleme gehen dabei einher mit massiven Beeinträchtigungen für das Wohlbefinden und allgemeine sowie soziale Funktionsfähigkeit (vgl. HÖLLING et al. 2007).
  • Psychische Gesundheit: Rund 22% aller 7- bis 17-jährigen zeigen Hinweise auf psychische Auffälligkeiten - verbunden mit einer niedrigeren gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Ängste bei 10 %, Störungen des Sozialverhaltens bei 7,6 % und Depressionen bei 5,4 % sind die häufigsten Befunde. Nicht alle befinden sich dabei in entsprechender Behandlung. Risikofaktoren mit dem Faktor 4 sind ein ungünstiges Familienklima mit vielen Konflikten und niedrigem sozioökonomischem Status. Personale, familiäre und soziale Ressourcen schützen vor psychischen Auffälligkeiten (vgl. RAVENS-SIEBERER et al. 2007; KURTH 2006).

Insgesamt zeichnet sich durch die KiGGS-Studie ein gesellschaftlich prekäres Bild. Der Gesundheitszustand von Migrantenkindern und Kindern aus sozial schwachen Herkunftsfamilien ist im Schnitt weitaus schlechter als der der restlichen Kinder - lediglich bei allergischen Erkrankungen sind diese „Risikokinder” im Vorteil.

Notwendigkeit einer Gesundheitserziehung

Neben der ethischen Verantwortung für die Zukunft der Menschen (vgl. BIENER 2005, S. 17 f.) sind weitere Argumente für die Notwendigkeit einer Gesundheitserziehung die veränderte kindliche Lebenswelt, veränderter Gesundheitszustand und Krankheitsbilder von Kindern und Jugendlichen, Zusammenhänge zwischen gesundheitsbezogenem Verhalten und sozialer Schicht sowie der Kostendruck auf die gesetzlichen Krankenkassen. POPP betont, dass längst nicht alle Kinder mit den gleichen Lern- und Entwicklungsvoraussetzungen in die Grundschule kommen, sodass sich hieraus schon der Handlungsbedarf ergibt, die körperliche und seelische Gesundheit von Kindern so zu stärken, dass ihnen gleich welcher sozialen Herkunft ein „gleichermaßen effektives Lernen” (POPP 2006, S. 50) ermöglicht wird (vgl. ebd., S. 49 f.).

Ethische Verantwortung für die Zukunft der Menschen

„Es wird geschätzt, dass über die Hälfte aller gegenwärtigen Leiden hätten verhindert werden können, wenn man vorher Ursachen und Lebensweisen positiv beeinflusst hättte. Wir wissen, dass viele [der Herz- und Kreislauf-]Krankheiten durch Früherkennung oder kluge Lebensweise auszuschalten gewesen wären.” (BIENER 2005, S. 17). Damit wird nicht nur jeder einzelne für sein Schicksal in Verantwortung genommen, sondern auch entsprechende Fachkräfte und Institutionen öffentlichen Interesses, die die Menschen hierin unterstützen können. Vor allem Kinder und Jugendliche müssen somit hinreichend Wege zu gesundheitsförderlichem Verhalten aufgezeigt bekommen.

Veränderte Kindheit

Gesellschaftliche Veränderungen kindlicher Lebenswelten sind aufgetreten, die von den Kindern und Jugendlichen nicht mehr ausreichend alleine gemeistert werden können. Immer mehr Kinder und Jugendliche sind betroffen vor allem von Scheidung der Eltern, Geschwisterlosigkeit und arbeitslosen Eltern bzw. Elternteilen, mit der damit verbundenen finanziellen Armut. Direkten Einfluss auf die Gesundheit von Kindern haben: Verhäuslichung und Verinselung, Mediatisierung der Kindheit und schulischer Leistungsstress.

1. „Verhäuslichung und Verinselung” steht für eine Verlagerung des freien und spontanen Spiels im Freien auf der Straße im Zuge der Verstädterung und Anstieg des Automobilverkehrs nach Drinnen in speziell eingerichtete Kinderzimmer. Kindheit wird in Häuser verlagert und damit findet eine Verinselung von Kindheit statt.
2. Eine „Mediatisierung der Kindheit” geht einher mit der Verhäuslichung und Verinselung. Ein gesteigerter Konsum neuer Medien wie Fernsehen, Computer und Spielkonsolen bei einem Großteil der Kinder und Jugendlichen ist eine typische Entwicklung für die Mediatisierung. Vor allem abends zwischen 18 und 21 Uhr ist der Fernsehkonsum am größten und vor allem ältere Kinder ab 9 Jahren entwickeln dabei Vorlieben für das Erwachsenenprogramm. Entwicklungsbedingt kann hier kein angemessener Umgang mit den Inhalten solchen Programms stattfinden. Generell verschaffen Medien nur sekundäre Erfahrungen und verhindern in dieser Zeit die primäre, direkte Erfahrung der Realität.

3. Schulischer Leistungsstress ist ein weiterer wichtiger Faktor der veränderten Kindheit. Vor allem mit der Zunahme temporärer Unsicherheiten wie Arbeitslosigkeit steigt der Druck in den Elternhäusern auf ihre Kinder. Selektion am Ende der Grundschulzeit und das Selbstverständnis der Gesellschaft als Leistungsgesellschaft üben nach POPP starken Druck auf Kinder aus. Sie kommen so in Leistungsstress und leiden an negativen Emotionen wie Ärger und Angst. Über einen längeren Zeitraum hinweg können negative Stressempfindungen zur Schädigung des gesamten kardiovaskulären Systems (Blutgefäße) beitragen und im Lebensverlauf zu Herzinfarkt führen (vgl. POPP 2006, S. 36 - 39).

Veränderter Gesundheitszustand Noch vor 100 Jahren lebensgefährliche Krankheiten wie Grippe oder Lungenentzündung können heute durch den medizinischen Fortschritt geheilt werden. In allen Altergruppen kann eine Verschiebung des Spektrums der Beschwerden und Krankheiten deutlich verzeichnet werden, sodass mittlerweile Kinder und Jugendliche von Krankheiten betroffen sind, die früher nur bei älteren Menschen auftraten. Aufgrund von Bewegungsmangel weisen sie Haltungsschwächen, motorische Entwicklungsstörungen und Koordinationsstörungen auf. Eindeutige Zusammenhänge zwischen körperlicher und psychischer Gesundheit sind in der Forschung bestätigt worden.

1. Ein verstärktes Auftreten körperlicher Erkrankungen bei Kindern liegt in ihrer veränderten, bewegungsarmen und stressigen Lebenswelt. Immer mehr Menschen leiden unter chronischen Erkrankungen. Chronische Krankheiten entstehen nur dann, wenn Risikofaktoren über einen längeren Zeitraum einwirken, und sind schwer heilbar. Damit entstehen vermehrte Kosten für das Gesundheitssystem. Gerade Kinder leiden stark unter psychosozialen Belastungen wie Missempfindungen und Schmerzen, eingeschränkter schulischer Leistungsfähigkeit, eingeschränkten gleichaltrigen Sozialkontakten und vermindertem Selbstwertgefühl mangels positiver Rückmeldung der sozialen Umwelt. Allergien verbreiten sich zunehmend ebenso wie Diabetes mellitus. Umwelteinflüsse sowie Lebensgewohnheiten der Kinder spielen dabei eine wichtige Rolle. Bei Diabetes können auch Stressreaktionen und falsche Ernährung als Faktoren ausgemacht werden.
2. Psychophysiologische und psychosomatische Gesundheitsbeschwerden wie Asthma, Neurodermitis, Magen- und Darmstörungen oder Adipositas haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Stressfaktoren der Außenwelt und Rückhalt in der eigenen Familie spielen hierbei eine große Rolle. Für die Entstehung von Adipositas werden primär Fehl- und Überernährung, Bewegungsmangel, genetische Faktoren, Essstörungen und Medikamente als Faktoren verantwortlich gemacht.
3. Kinder zeigen sich auch verstärkt psychosozial auffällig, vor allem bei Schwierigkeiten in der Bewältigung bestimmter Entwicklungsaufgaben. Dies äußert sich in Ängsten, Depressionen, aggressivem Verhalten, Psychosen, Leistungsstörungen und ADHS. So kann davon ausgegangen werden, dass sie alleine nicht zurechtkommen und Unterstützung oder Hilfe von anderen benötigen (vgl. ebd., S. 40 - 46).

Soziale Herkunft und Gesundheit

Die KiGGS-Studie zeigt auf, dass vor allem Kinder aus sozial schwachen Schichten und Kinder mit Migrationshintergrund gesundheitlich benachteiligt sind. Kinder sind laut Angaben der BUNDESZENTRALE FÜR GESUNDHEITLICHE AUFKLÄRUNG (BZGA) überdurchschnittlich häufig von Armut betroffen oder gefährdet.

Die BZGA stellt im Gesundheitsbericht 2006 fest, dass die 3 % Sozialhilfeempfangenden in Deutschland und 13,5 % einkommensarmen Menschen bedingt „durch stärkere Arbeitsbelastungen, schlechtere Wohnverhältnisse, vermehrten Zigarettenkonsum, häufigerem Übergewicht und größerem Bewegungsmangel einem teilweise deutlich erhöhten Krankheitsrisiko ausgesetzt” (BZGA 2006, S. 83) sind. Diese Belastungsfaktoren bilden, miteinander vernüpft, keine linear-kausale Verbindung, sondern ein Gefüge aus Ursachen und Folgen (vgl. POPP 2006, S. 48). Die o. g. Menschen „leiden verstärkt unter chronischen Erkrankungen und Depressionen” (ebd.).

Die Säuglingsterblichkeit ist aufgrund von Zigarettenkonsum in der Schwangerschaft bei sozial schwachen Schichten und Migrantenfamilien deutlich höher. Karies tritt überproportional häufig bei den unteren sozialen Schichten auf. Verletzungen, Vergiftungen und Verbrennungen sind im Kindesalter bei nichtdeutschen Kindern erhöht, verbunden mit einem schlechteren Gesundheitszustand und höherer Mortalität im Erwachsenenalter (vgl. BZGA 2002, S. 49 und 103). „Je höher der Anteil von Sozialhilfeempfängern in einem Stadtviertel [...], desto häufiger wurden 1996 bei den Schuleingangsuntersuchungen Adipositas, grobmotorische Koordinationsstörungen, Beeinträchtigungen der fein- und grobmotorischen Fertigkeiten, Sprach- und Verhaltensauffälligkeiten festgestellt” (ebd.; POPP 2006, S. 47). Wichtige Faktoren sind hierbei, die Unerwünschtheit des Kindes, Vernachlässigung, wenig oder einseitige Anregung, psychische Erkrankung der Bezugsperson, Gewalt in der Familie und Überforderung des Kindes (vgl. BZ- GA 2002, S. 101).

Kosten für das Gesundheitswesen

In der Auflistung der Gründe für Gesundheitserziehung nicht zu vergessen sind die Kosten, die durch ungesunde Lebensweise für das Gesundheitssystem entstehen. Die Ausgaben für Gesundheit sind gegenüber 1993 um 43 % gestiegen und schneller gewachsen als die übrigen Wirtschaftsbereiche, u. a. auch bedingt durch eine altersdemographische Entwicklung. Finanziert werden die Ausgaben zum größten Teil von Arbeitgebern, Privathaushalten und Privatorganisationen wie Kirchen oder Gewerkschaften (vgl. BZGA 2006, S. 185 ff. und 193). Beispielsweise sind die „Schäden durch den Genussmittelmissbrauch [...] weitaus teurer als die Steuereinnahmen der Behörden aus diesen Genussmitteln” (BIENER 2005, S. 17). Muskel- und Skeletterkrankungen gehören zu den häufigsten Erkrankungen in Bundesdeutschland, sie sind auch die teuersten, wobei sie bei den reinen Behandlungskosten auf Platz drei liegen. Vor allem „Rückenschmerzen sind teuer für die Volkswirtschaft” (BZGA 2006, S. 35), mit den damit verbundenen Folgekosten. 85% der Kosten kommen indirekt durch Arbeitsausfälle und nur 15 % direkt durch Therapiekosten zustande (vgl. ebd.). Platz eins der Behandlungskosten belegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, gefolgt von Krankheiten des Verdauungssystems (vgl. ebd., S. 185).

Der immer weiter steigende Kostendruck im Angesicht einer alternden Bevölkerung (s. Alterspyramide, Abb. aus WHO Internetquelle 2007b) ist wohl einer der Hauptargumente für eine Gesundheitserziehung, frei nach dem Motto „Früh übt sich, wer ein Meister werden soll”.

(Abbildung Alterspyramide)

Ziele einer Gesundheitserziehung

Ziele von Gesundheitserziehung nach SOMMER (1994, S. 43 f.), WULFHORST (2002, S. 25) und POPP (2006, S. 79 f.) sind:

1. Bereitschaft zum Gesundheitshandeln wecken durch Motivation, Aufklärung, Vermittlung von Wissen und Handlungskompetenzen, Bewusstmachen der Eigenverantwortung
2. Gesundheitsrisiken minimieren
3. Gesundheitsressourcen entwickeln
4. Entfaltung aller menschlichen Dimensionen als oberstes Bildungsziel mit der Förderung der Entwicklung von Selbstkompetenz, Sachkompetenz sowie Sozialkompetenz

Zu bemerken ist an dieser Stelle, dass auch ein Verhaltenstraining vom begrenztem Erfolg bleibt, wenn es sich bei dem Fehlverhalten, wie z. B. Rauchen oder Alkoholkonsum, um Ersatzbefriedigungen zur psychischen Stabilisierung der Persönlichkeit handelt. Daher kann eine Gesundheitserziehung nur dann effektiv wirksam werden, wenn die gesamte Persönlichkeit eines Menschen gestärkt wird. Umgekehrt lässt sich nach GRAF formulieren, dass eine Erziehung die Persönlichkeitsbildung auf positiven Werten wie Selbstverwirklichung, Selbstwertgefühl, Lebensfreude und Leistungsfähigkeit aufbaut, gesundheitsschädigendes Verhalten vorbeugt und damit quasi automatisch Gesundheitserziehung ist, auch wenn sie nicht auf Krankheitsvorbeugung ausgerichtet ist. Somit muss Bildung als Ziel von Erziehung das vorrangige Ziel auch für Gesundheitserziehung sein (vgl. GRAF 1995, S. 33).

Konzepte von Gesundheitserziehung

Analog zu den Strategien Gesundheitsförderung und Prävention (s. Kap. 3.2.1) lassen sich zwei pädagogische Konzepte unterscheiden. Das autoritative Konzept der Verhaltenskorrektur mit dem moralischen Zeigefinger, entwickelt um 1920 mit den ersten Ansätzen von Gesundheitserziehung in Deutschland, und das partizipative Konzept der Kompetenzförderung, eine Entwicklung seit ca. 1980 (vgl. WALLER 2006, S. 219 f; Tabelle HURRELMANN 2006, S. 209):

(Abbildung)

Die „Zeigefingermethode” des autoritativen Konzeptes hat sich als unwirksam erwiesen, da sie die Abwehrhaltung fördert und damit nicht mehr zur erwünschten Verhaltensänderung führt (vgl. GRAF 1995, S. 33). Leider ist dieses Konzept in seiner Anwendung immer noch weit verbreitet (vgl. POPP 2006, S. 82). Über die Effektivität des partizipativen Konzeptes zur Förderung der Gesundheitskompetenz besteht nach heutiger Forschungslage Konsens (vgl. POPP 2006, S. 84), dennoch bleiben die Forschungsbemühungen hoch (s. BIENER 2005).

Ein Konzept erfolgreicher Gesundheitserziehung sollte folgende Merkmale aufweisen (vgl. POPP 2006, S. 84 f.):

  • setting-bezogen und dynamisch: Gesundheitserziehung muss sich an den Lebenswelten der Kinder ausrichten und den darin ablaufenden Veränderungen anpassen
  • lebensbegleitend: Gesundheitserziehung soll den Menschen in seiner Entwicklung im Lebensverlauf unterstützen und in den verschiedenen pädagogischen Einrichtungen verankert sein. Dafür ist eine Kooperation der Institutionen unabdinglich.
  • positiv und salutogenetisch ausgerichtet: Es hat sich gezeigt, dass positive Beweggründe - wie z. B. Walken zur Steigerung des Wohlbefindens - größere Anreize schaffen als negative Beweggründe - wie z. B. Walken zur Gewichtsreduktion.
  • aufklärend: Information als Basis von Handeln ist elementar, sie ist aber kindgerecht aufzubereiten. Ziel ist nicht die Wissensvermittlung, sondern das Verstehen und die Verinnerlichung im Sinne einer Aufklärung.
  • handlungsorientiert: Durch die Beteiligung verschiedener Sinnesorgane können die Informationseinheiten auf mehreren Kanälen kodiert werden und so im Gehirn besser und dauerhafter gespeichert werden.
  • ganzheitlich: Der Mensch muss als „Ganzheit” betrachtet werden und demnach muss Gesundheitserziehung affektive, pragmatische, soziale und kognitive Aspekte miteinbeziehen.

Themenfelder von Gesundheitserziehung

Themen von Gesundheitserziehung sind Individual-, Umwelt- und Sozialhygiene, Ernährung, Bewegung, Stress und Entspannung, Umgang mit Körper und Sexualität, Kleidung, Sucht- und Drogenprävention, chronische Krankheiten und Schmerzbewältigung, Gesundheitsuntersuchungen, Krankheitsfrüherkennungsmaßnahmen, Gesundheitspolitik und -wirtschaft. Sie sind multidimensional und orientieren sich am Setting der Kinder (s. Kap. 2.3). Für Kinder bis 6 Jahre und Kinder ab 6 Jahre ergeben sich somit altergemäße Anpassungen der Themen an deren unterschiedlichem Setting bzw. Lebenswelt (vgl. GRAF 1995, S. 34; WALLER 2006, S. 219 ff.).

Kindergarten und Kindertagesstätte

Für Kindergärten und Kindertagesstätten gelten folgende Themenschwerpunkte (vgl. BZGA 2002, S. 12 u. 24; GRAF 1995, S. 34 f.):

  • Entwicklungsförderung
  • Unfallverhütung und Gewaltprävention
  • Körperliche Aktivität im Spiel, Bewegungsförderung
  • Vermittlung eines Organ- und Körperbewusstseins, Sexualaufklärung
  • Zahngesundheitserziehung, hygienische Fertigkeiten und Gewohnheiten
  • Gesunde Ernährung, Ernährungsverhalten
  • Suchtprävention
  • Stressbewältigung und psychosoziale Gesundheit
  • Umwelterziehung
  • Institutionen zur Erhaltung der Gesundheit: Arzt, Zahnarzt, Krankenhaus
  • Vermittlung positiver Werte wie Lebensfreude, Selbstverwirklichung, Leistungsfähigkeit
  • Elternarbeit zu Themen wie Rauchen, Alkohol, Ernährung, Zahngesundheit, Hygiene
  • Förderung der Wahrnehmung von Früherkennungsuntersuchungen und der Impfbereitschaft

Im Bereich der Kindertagesstätten und Kindergärten ist ein situativer Ansatz geboten. Die Erzieher sollen Gelegenheiten ergreifen und bereitstellen, wenn ein Kind Interesse zeigt, aber sich nicht aufdrängen. Vorsichtig strukturieres Material soll bei Bedarf hinzugezogen werden. Eine Zusammenarbeit mit den Eltern ist eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg von Gesundheitserziehung. Die Themenbereiche sind einfach in den Betreuungsalltag zu integrieren, da diese Institutionen bereits Lebensumfelder der Kinder sind (vgl. GRAF 1995, S. 34) und daher als Setting analog zu Schule (vgl. Kap. 2.3) betrachtet werden können.

Schule

Für Schulen gelten folgende Themenschwerpunkte, wobei auch hier wieder die unterschiedlichen Altersstufen in der Art der Vermittlung zu beachten sind (vgl. GRAF 1995, S. 34 f.; POPP 2006, S. 56):

  • Zusammenhänge zwischen gesundheitlichem Fehlverhalten und Krankheit
  • Konsumverhalten, Verdeutlichung eigener Verantwortung für die Gesundheit
  • Bedeutung der Werbung, Anleiten zur kritischen Betrachtung
  • Grundlagen gesunder Ernährung, ernährungsabhängiger Krankheiten, Ernährungsverhalten, Ernährungserziehung
  • Alkohol- und Drogenmissbrauch, Rauchen
  • Umweltverschmutzung und Umwelterziehung
  • Grundlagen der Unfallverhütung und der Ersten Hilfe
  • Zusammenhänge zwischen körperlicher Leistungsfähigkeit und Gesundheit
  • Persönliche Hygiene und Zahngesundheitserziehung
  • Lebensfreude und Emotionen
  • Wohlfühlen in der Schule und Gestaltung von Lebenswelten
  • Elternberatung
  • Fernsehen
  • Stress

Eine Integration der Themenbereiche in den schulischen Alltag gestaltet sich schwierig, da die Schule primär eine Lerninstitution und kein Lebensraum ist. Dennoch muss auch hier Gesundheit erfahrbar sein. Dies kann mit Projekten wie Klassenfrühstück, Besuch auf dem Wochenmarkt, aktive Pause, Schulgarten, Einrichten einer Zahnputzzeile etc. erreicht werden (vgl. genannte Projekte in NIEDERSÄCHSISCHES KULTUSMINISTERIUM 1991). Die persönliche Betroffenheit, Wahrnehmung von Verhalten, Handlungsmotiven, Gewohnheiten und Alternativen zur Handlungsregulation können z. B. im Theaterspiel erlebt werden (vgl. GRAF 1995, S. 33). Gerade die Ganztagsschule bietet hierbei neue zeitliche und organisatorische (z. B. Schulküche) Rahmenbedingungen.

Empfehlungen für eine Gesundheitserziehung

Abschließend lassen sich nach Durchsicht der Fachliteratur einige Empfehlungen für die Schnittmenge Gesundheit und Erziehung geben:

  • Gesundheitserziehung muss Freude machen, um das Prinzip der positiven Veränderung erfahrbar zu machen, und die Freude am Leben wecken und fördern, um Wirkungen zu erzielen. Moralisieren fördert die Abwehrhaltung und hat sich als unwirksam erwiesen, es ist als Methode für Gesundheitserziehung daher zu vermeiden (vgl. GRAF 1995, S. 33; SOMMER 1994, S. 45; WALLER 2006, S. 223).
  • Gesundheitserziehung soll alle Lebensbereiche erreichen: denn Gesundheit ist multidimensional und daher mit Körper, Seele und Geist gleichzeitig verbunden (vgl. Kap. 2.1 und 2.3). Eine Gesundheitserziehung lässt sich daher in alle Lebensbereiche von Kindern und Jugendlichen einbinden (vgl. SOMMER 1994, S. 45; WALLER 2006, S. 224).
  • Gesundheitserziehung soll in die allgemeine Erziehung eingebettet sein und darf keine Bindestrich-Disziplin (Gesundheits-Erziehung) sein: Gesundheit ist der Erziehung untergeordnet. Erziehung als Feld der Pädagogik muss kritisch gegenüber medizinischen Gesundheitsempfehlungen und -strategien bleiben und deren Ziele erziehungswissenschaftlich reflektieren. Oberstes Ziel ist immer noch Erziehung mit einer Ausrichtung auf Bildung. Eine Erziehung, die auf kompetente Menschen baut, Lebensfreude, Selbstwertgefühl und Leistungsfähigkeit fördert, ist in sich schon gesundheitsfördernd, da sie gesundheitsschädigendem Verhalten vorbeugt (vgl. GRAF 1995, S. 33; HÖRMANN 2002, S. 95 ff.; SOMMER 1994, S. 33 u. 37).
  • Vorbildfunktion der pädagogischen Fachkräfte: Nur wer selbst entsprechend gesund lebt und handelt, kann gesundheitsbezogene Werte und Inhalte glaubhaft vermitteln (vgl. GRAF 1995, S. 34; BZGA 2002, S. 192).
  • Die Methode muss dem Ziel entsprechen: Wer gesund leben soll und möchte, muss dies praxisbezogen erlernen und einüben. Partizipation statt Belehrung muss hier das Lernprinzip sein (vgl. BIENER 2005, S. 18; SOMMER 1994, S. 45; POPP 2006, S. 85; WALLER 2006, S. 221).

Yoga

Der folgende Abschnitt stellt das System „Yoga” vor. Zunächst erfolgt eine Einführung darüber, was Yoga ist, welche geschichtliche Wurzeln es hat und seine geschichtliche Entwicklung in Deutschland, um die Grundlage für das Verständnis von Kinderyoga in Teil fünf zu legen. Hierzu ist es auch notwendig die verschiedenen Formen von Yoga darzustellen. Anschließend werden die recherchierten wissenschaftlichen Studien zur Wirkung von Yoga und Meditation auf Körper, Geist und Seele vorgestellt. Da in unserem Sprachraum Seele mit Psyche oder Geist gleichgesetzt wird (vgl. PRECHTL & BURKARD 1999, S. 527), werden die Wirkungsweisen von Yoga in die beiden Aspekte physiologische und psychologische Wirkungen unterschieden.

Was ist Yoga?

Yoga ist eine indische Erlösungslehre mit dem Ziel, die Vereinigung mit dem Göttlichen (Zustand des Samadhi, s. Kap. 4.4.1) zu erreichen, dazu dienen eine Reihe körperlicher und geistiger Übungen (vgl. EBERT 1988, S. 11 - 16).

Das Wort „yoga” als Nomen des Sanskrit, einer alten indogermanischen Sprache und Fachsprache des Yoga (vgl. DEUTZMANN 2001, S. 45), bedeutet ursprünglich „Einspannen” bzw. „Anschirren” von Zugtieren vor einen Wagen. Da dies in der alltäglichen Handlung mit dem Instrument des „Jochs” geschah, entwickelte sich „Joch” später ebenfalls zu einer Bedeutung von ”yoga”. Die wesentlichen Bedeutungsvarianten dabei sind (vgl. FUCHS 1990, S. 11 f.):

  • Yoga als Vereinigung, denn unter einem Joch werden mehrere Zugtiere zu einer Zugkraft vereinigt und
  • Yoga als Beherrschung, denn durch das Joch werden die Zugtiere beherrscht.

Yoga ist einer der vielschichtigsten Begriffe der indischen Literatur und taucht als Begriff mindestens in den vier folgenden Zusammenhängen auf (vgl. ebd., S. 12 f.):

1. als allgemeiner Ausdruck für „Fähigkeit” oder „Zusammenfügung”;
2. als Ober- oder Unterbegriff für eine Reihe praktischer Heilswege: Die frühen Sanskrit-Texte der Upanishaden setzen die menschlichen Sinne mit den Zugtieren gleich. Somit wurde es aus religiöser Sicht erforderlich, die eigenen Sinne zu zügeln und unter Kontrolle zu bringen, ebenso wie ein Bauer es bei seinen Zugtieren tut. Yoga wurde zum Synonym für das Anjochen der Sinne und des Geistes und zum Oberbegriff für eine Reihe praxisorientierter Heilswege, die mit psycho-physischen Methoden das Individuum aus dem leidvollen Kreislauf der Wiedergeburten befreien möchten;
3. als Name für eines von sechs klassischen Systemen der indischen Philosophie: Wesent- lich für die indische Philosohie sind die Yogasutras des Patanjali mit den dazugehörigen Kommentaren und Subkommentaren. Sie sind in Sanskrit verfasst und zeigen ein dualisti- sches Welt- und Menschenbild. Im zweiten Kapitel der Yogasutras wird der „achtgliedrige Yoga” gelehrt, der synonym ist mit der Bezeichnung „Raja-Yoga”.
4. als Oberbegriff für die Vielzahl körperbezogener Übungstechniken: Diese gehen aus dem System des indischen „Hatha Yoga” hervor. Hatha-Yoga selbst ging aus dem Tantrismus hervor und hatte den Schwerpunkt auf die Herstellung und Erhaltung körperlicher und geistiger Gesundheit. Dazu wurde eine strenge Systematik aus Körperübungen (asanas) und Atemtechniken (pranayama) entwickelt, die aber religiös geprägt blieb und den Übenden auf die „höheren” (mentalen und geistigen) Stufen des Raja Yoga vorbereiten soll. Der indische Hatha-Yoga löste sich mit der Zeit immer mehr von seinen philosophischen und religiösen Inhalten ab und beinhaltet heute, vor allem in den westlichen Ländern, nur noch die körperlichen Aspekte.

Das höchste Ziel von Yoga ist das „Einswerden” (vgl. TÄUBE 1987, S. 29), nicht nur mit sich selbst als Einheit von Körper, Geist und Seele, sondern auch mit der gesamten sichtbaren und nicht sichtbaren Schöpfung, um sich von jeder Form von (irdischem) Leiden zu befreien[10]. Techniken für das Erreichen dieses Zustands sind im wesentlichen Konzentration und Meditation. Um diese besser ausführen zu können, ist die Beherrschung des Körpers und die Zügelung des Atems mit der daraus resultierenden Beruhigung des Geistes notwendig (vgl. ELIADE 2004, S. 11 - 23 und 56 - 109).

Aus naturwissenschaftlicher Sicht ist Yoga eine Methode der Selbstdisziplinierung. Unter physiologischem Aspekt ist Yoga ein methodisches System zur Erlernung der bewussten Steuerung und Regelung motorischer, sensomotrischer, vegetativer und psychischer Funktionen. Es geht einher mit einer bewussten Selbsterfahrung, einem Erleben der o. g. Funktionen und kann damit als individuell praktizierte, subjektive erlebte „Physiologie” bezeichnet werden (vgl. EBERT 1988, S. 18).

Yoga findet sich in der Erwachsenenbildung, im Umfeld des Sport- und Gesundheitsbereichs, wird als Therapie angewendet und für bestimmte Zielgruppen wie Kinder und Jugendliche, ältere Menschen und Behinderte, im Strafvollzug oder in der Arbeitswelt angeboten (vgl. FUCHS 1990, S. 6). Gelehrt wird Yoga in Deutschland in der Regel von ausgebildeten Yogalehrenden, Yoga-Schulen und Yoga-Verbänden wie z. B. Deutsche Yogagesellschaft e.V. (DYG) oder Berufsverband der Yogalehrenden in Deutschland e.V. (BDY).

Historische Wurzeln des Yoga

Die Wurzeln des Yoga sind Jahrtausende alt. Erste bildliche Darstellungen sind in der indischen Industalkultur (Blütezeit um 2500 - 1800 v. Chr.) zu finden (vgl. EBERT 1988, S. 11). Die indische Philosophie wurzelt in den frühen Vedischen Texten[11] (1500 - 900 v. Chr.), den Upanishaden (philosophische Kommentare zu den Veden, ca. 900 - 200 v. Chr.) und Bhagavad Gita[12] (ca. 500 v. Chr.). In den Veden finden sich einige Konzepte wie z. B. das Konzept der Lebensenergie (prana, s. auch Kap. 4.4.1), die im Yoga später ein große Rolle spielen werden (vgl. WAHSNER 2002, S. 34 und DEUTZMANN 2001, S. 55).

In den Upanishaden ist dann die wirkliche Basis des Yoga zu finden. Es werden hierin die Konzepte von Prana und Pratyahara (s. Kap. 4.4.2) sowie Atemübungen, Konzentrationstechniken, körperliche Übungen und deren Auswirkungen auf Psyche und Körper dargelegt. Yoga wird in den Upanishaden erstmals zu dem prädestinierten Mittel der Beherrschung von Sinnen und Gedanken erklärt (vgl. DEUTZMANN 2001, S. 56 ff.). Im weiteren Verlauf entwickelt sich aus den Veden und Upanishaden das Yoga als brahmanisches philosophisches System[13]. Im indischen Verständnis von Philosophie ist neben dem theoretischen Betrachten der Welt auch die Art der Lebensführung mit eingeschlossen. Die Yoga-Philosophie bildet dabei ein Selbsterfahrungssystem, das eine rechte Erkenntnis der Zusammenhänge und einen rechten Lebenswandel ermöglicht. Grundlage ist eine typisch brahmanische Weltordnung, bei der jedes Handeln (karma) neben der unmittelbaren Wirkung auch Auswirkungen jenseits Raum und Zeit haben und auch erst im nächsten Leben eines Menschen (nach der Wiedergeburt) Wirkung zeigen können. Yoga versteht sich als ein Weg zur Befreiung aus der Unwissenheit über das Wesen allen Seins und führt zur Erkenntnis, dem Status der Erleuchtung. Die leidauslösende Wirkung des Karma wird gelöscht, die Seele wird aus dem Rad der Wiedergeburten befreit und damit ist der Mensch vom irdischen Leiden erlöst (vgl. EBERT 1988, S. 11 f.).

Die Yoga-Sutren (Verse, Merksprüche) des PATANJALI (ca. 200 v. Chr.) bilden das Konzentrat der Yoga-Lehre, hier wird ein achtgliedriger Yogapfad gelehrt (s. Kap. 4.4.1). Diese Sutren galten im alten Indien als Geheimwissen, da sich der Sinn der Merksprüche nicht ohne Kommentar erschließt. Oft wurden die dazu notwendigen Informationen mündlich überliefert. Später wurden Kommentare zu den Yoga-Sutren niedergeschrieben (vgl. EBERT 1988, S. 12 f.).

Seitdem entwickelten sich etliche Unterarten und Varianten des Yoga, die sich in den Techniken der Übungen oder im Gegenstand der Konzentration (s. Kap. 4.4) unterscheiden. Die verbreiteste Form, der Hatha-Yoga (Weg des Körpers), entwickelte sich Ende des ersten Jahrtausends n. Chr. und enthält ein System psycho-physischer Techniken, die zur Erleuchtung führen sollen (mehr s. Kap. 4.4.2) (vgl. DEUTZMANN 2001, S. 72 f.).

Geschichte des Yoga in Deutschland

Seit dem ausgehenden 19. Jh. ist eine erstmals organisierte und systematische Rezeption von Yoga in Deutschland nachweisbar. Zunächst in der theosophischen Szene[14] und der frühen Antroposophie verhaftet, lassen sich Hinweise auf eine erste theoretische Erschließung und praktische Umsetzung von Yoga finden, auch wenn die meisten von ihnen dazu tendierten, Yoga-Lehren als Geheimwissen nur Eingeweihten mitzuteilen (vgl. FUCHS 1990, S. 31-54). Nach der Jahrhundertwende erschienen eine Reihe praktischer Lehrbücher, die sowohl theoretisches Wissen vermitteln als auch praktische Anleitung geben wollten, z. T. mit Nähe zum Okkultismus, Esoterik oder Mystik, aber auch mit pragmatischen Ansätzen. Der Yoga wurde dort weitgehend von mystischen und magischen Zielen entkoppelt und der körperlich-funktionelle Aspekt rückte in den Vordergrund. Damit konnte der erste gesundheitsbezogene (Hatha-)Yoga-Unterricht auf den Weg gebracht werden (vgl. FUCHS 1990, S. 55 - 65).

In den ersten Nachkriegsjahren des Ersten Weltkriegs wurde das Interesse an östlicher Kultur und Yoga intensiver und populärer[15]. In der Yoga-Forschung wurden nun auch psychologische Aspekte untersucht und in den 30er Jahren begann ein eigenständiger Yoga-Unterricht in der Öffentlichkeit. Psychologen und Psychoanalytiker versuchten die Wirkungsweise des Yoga durch die ihnen bekannten Methoden zu erklären und das Autogene Training gewann sogar einige seiner praktischen Elemente aus dem Yoga[16](vgl. FUCHS 1990, S. 66 - 78).

Yoga konnte bis zum Ersten Weltkrieg neben der esoterischen Unterweisung in geschlossenen Organisationen wie der Theosophie nur mit Hilfe eines schriftlichen anonymen Kurses erlernt werden. Etwa in den 30er Jahren gründete Boris SACHAROW die erste Yoga-Schule moderner Prägung[17], die „Erste Deutsche Yogaschule”. Dieser neue Unterrichtsstil, der die gesundheitsfördernde praktische Anwendung der Yoga-Übungen in den Vordergrund stellte, gewann zunehmend an Popularität und weitere solcher modernen (Hatha-)Yoga-Schulen wurden gegründet (vgl. ebd., S.83 - 88).

In der Zeit des Nationalsozialismus blieb auch die Rezeption von Yoga nicht frei von rassenideologischen Merkmalen[18](vgl. FUCHS 1990, S.89 ff.).

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde für weitere Entwicklung von Yoga in der BRD die Säkularisierung - die Trennung des körperorientierten vom spirituellen Yoga - richtungsweisend, und der Hatha-Yoga erhielt neuen Aufschwung (vgl. ebd., S. 91 ff.). Es beginnt damit die eigentliche Verbreitung von Yoga, die sich chronologisch in mehrere Phasen unterteilen lässt. Yoga-Institute mit Forschungsbestrebungen und Organisationen wie der BDY oder DYG mit dem Bestreben nach Professionalisierung im Yoga wurden gegründet. Gerade die beiden großen Yoga-Verbände DYG und BDY, aber auch andere Institutionen bemühen sich seit 1979 stark um eine Standardisierung und Qualitätssicherung der Yogalehrer-Ausbildung, um verbindliche Mindestanforderungen durchzusetzen und um eine staatliche Anerkennung und eine Übernahme der Kosten durch Krankenkassen zu erreichen. Die Weiterbildung von Yogalehrern wird hauptsächlich von professionellen Pädagogen durchgeführt. Traditionelle Unterrichtsmethoden werden am aktuellen Kenntnisstand der Pädagogik gemessen und überprüft. Fachdokumentationen und eine stärkere Vernetzung der Yoga-Forschung und der Yoga-Praxis dienen der Steigerung von Seriosität und Solidität des Yoga sowie der Organisationen bzw. Forschungsinstitute. Seitdem ist eine allgemeine Anhebung des Niveaus in Yoga-Unterricht und Yogalehrer-Ausbildung festzustellen (vgl. ebd., S. 92 - 122 und FUCHS 2007).

In der DDR wurde Yoga in erster Linie missbilligend als religiöse Praxis verstanden und stand damit der sozialistischen Ideologie entgegen. Der „Deutsche Turn- und Sportbund” der DDR erteilte in den 50ern ein Yoga-Verbot für alle von ihm organisierten Veranstaltungen. So lässt sich daraus schließen, dass einzelne Aktivitäten existiert haben müssen, obwohl es bis in die 70er hinein keine nennenswerte Yoga-Szene gab. Mit der politischen Klimaerwärmung zwischen DDR und BRD sowie politischer und gesellschaftlicher Reformen in der DDR erhielt auch eine eigene Yoga-Szene Antrieb und der „Arbeitskreis für Yoga und altindische Medizin” wurde in Leipzig gegründet mit dem Ziel der interdisziplinären, wissenschaftlichen Erforschung des Yoga. Mitglied und Mitbegründer dieses Arbeitskreises war u. a. der Mediziner Dietrich EBERT, der mit seiner Forschungstätigkeit über „Physiologische Aspekte des Yoga und der Meditation” maßgeblich zur gesellschaftlich Akzeptanz und öffentlichen Anerkennung von Yoga beitrug (vgl. FUCHS 2007).

Seit 1990 werden neuzeitliche, aus den USA stammende Yoga-Formen wie „Power Yoga”, „Fitness-Yoga” oder „Yoga-Gymnastik” auch im gesamtdeutschen Raum immer beliebter. Vor allem Printmedien wie Gesundheits- und Lifestyle-Magazine tragen hierzu bei. Es ist zu beobachten, dass die Deutschen an der Stärkung ihrer physischen und psychischen Leistungsfähigkeit interessiert sind und spirituelle Dimensionen ausblenden. Man kann dabei im religiösen Sinne von einer Säkularisierung bzw. Verweltlichung des Yoga sprechen. Beobachtungen zeigen aber auch, dass Menschen ab drei Jahren Yogapraxis stärkeren Fokus auf die spirituelle Ebene des Yoga setzen. Die aktuelle deutsche Yoga-Szene ist vielschichtig und widersprüchlich. Populäre Tendenzen einer radikalen Verweltlichung des Yoga stehen ernstzunehmenden Versuchen gegenüber, Yoga als bewährtes Mittel der Selbst- und Seinsfindung sowie als spirituellen Weg einzusetzen. Somit ist die Richtung der weiteren Entwicklung des Yoga in Deutschland ungewiss, so FUCHS (vgl. 2007).

Formen von Yoga

Einige bekannte Yogaformen sind (vgl. EBERT 1988, S. 13 und FUCHS 1990, S. 13):

Yogaform, Gegenstand der konzentrativen Übung
Hatha Yoga, Körperfunktionen, Atem
Mantra Yoga, Klang von Silben und Worten
Karma Yoga, Handeln und selbstloses Tätigsein
Kriya Yoga, körperliche und geistige Reinigung
Jnana Yoga, Willen, Erkenntnis
Bhakti Yoga, göttliche Liebe, Hingabe
Raja Yoga (Königsyoga), achtgliedriger Yogaweg

Allen Yoga-Arten gemeinsam sind folgende grundsätzliche Elemente (vgl. EBERT 1988, S.14):

1. Systeme von Verhaltensweisen regeln die Beziehung zu sich selbst und zur sozialen Umwelt.
2. Bewusster Vollzug von körperlichen und psychischen Übungen ist bindend. Die Übungen sollen regelmäßig ausgeführt werden.
3. Gedankliche Konzentration ist Voraussetzung für das Durchführen aller Übungselemente.
4. Passivierte Bewusstseinseinstellung, z. B. sich selbst beobachten, bildet die psychologische Basis für gedankliche Konzentration. Diese Form der Passivität unterscheidet sich von aktiver Konzentration und entspricht vielmehr einer psychologischen Haltung.

Der achtgliedrige Yoga-Weg

Yoga wird mittlerweile in vielen verschiedenen Formen angeboten, wie z. B. Power-Yoga oder Lachyoga. Traditionell ist jedoch der achtgliedrige Yoga-Weg, auch Ashtanga Yoga genannt, das Kernstück und bildet das methodische Grundgerüst. Er wird auch heute noch in dieser Form gelehrt. Die ersten fünf Glieder werden auch als Kriya-Yoga bezeichnet, die letzten drei als Raja-Yoga im engeren Sinne. Der klassische achtgliedrige Yoga-Weg wurde in den Sutren (Verse, Merksprüche) des PATANJALI um die Jahrtausendwende formuliert (vgl. ebd., S. 14 ff. und TÄUBE 1987, S. 132):

1. Yama: Zucht, Gebot, moralisches Verhalten. Dazu zählen Aufrichtigkeit, Nicht-Töten bzw. Gewaltlosigkeit, Nicht-Stehlen, Enthaltsamkeit und Begierdelosigkeit.
2. Niyama: Selbstzucht bzw. Eifer, asketisches Verhalten. Dazu gehört die innere und äußere Reinigung des Körpers mit bestimmten Techniken (Shatkriyas), Zufriedenheit, Gottesdienst und Studium der heiligen Yoga-Quellen
3. Asana: Haltung, Körper-Übung, ruhiges Verweilen
4. Pranayama: Lenkung der Lebensenergie (prana, dt. in etwa: Atem), Beherrschung des Atems bzw. Atemtechnik
5. Pratyahara: Zurückziehen der Sinne und Beherrschen der Sinnesorgane
6. Dharana: Konzentration
7. Dhyana: Meditation
8. Samadhi: Einswerden, Erleuchtung, mystische Erfahrung. Diese Stufe ist das höchste Ziel des Yoga.

Einzelne Stufen dieses Weges wurden verfeinert und die besonders intensive Verfeinerung der Stufen drei und vier führten zur Entwicklung des Hatha-Yoga durch GORAKSHANATH ca. 500 Jahre später (vgl. EBERT 1988, S. 14 und S. 26).

Hatha-Yoga

In Europa hat wohl die meiste Verbreitung der Hatha-Yoga gefunden. Wörtlich heißt es „Sonne- Mond-Yoga” und genauer „Verbindung von Sonne- und Mond-Atem”. Der Kopfstand (shir- shasana) ist wohl die bekannteste Übung und bedeutet u. a. „eine Verpolung des Körpers im Spannungsfeld zwischen Sonne und Mond” (s. ebd., S. 27). Er wird oft mit „Yoga der Kör- perbeherrschung” übersetzt, obwohl neben den körperlichen Übungen auch geistige Übungen dazugehören (vgl. ebd., S. 13). Im allgemeinen wird Hatha-Yoga hierzulande mit dem Begriff „Yoga” gleichgesetzt (vgl. TÄUBE 1987, S. 23).

Der Hatha-Yoga dient im yogischen Verständnis als Vorstufe bzw. Hilfestellung für den Raja- Yoga, der auch Königs-Yoga genannt wird (vgl. ebd., S. 132), und entspricht den Stufen drei und vier des achtgliedrigen Yoga-Weges (vgl. EBERT 1988, S. 14). Manche Yoga-Autoren nennen bis zu 88 Asanas. Auf den historischen bildlichen Darstellungen des Yoga wird immer der Lotossitz gezeigt, so kann vermutet werden, dass dies die ursprüng- lichste und einzige Haltung zur Zeit PATANJALIs ist. Nach der Haltung des Rumpfes im Raum kann man heute sieben Typen von Asanas unterscheiden (vgl. ebd., S. 26 f.):


1. Entspannungshaltung im Liegen, ohne jede Muskelanspannung (shavasana)


2. Sitzhaltungen


3. Umkehrhaltungen, d. h. der Kopf befindet sich unterhalb des Rumpfes wie z. B. beim

Kopfstand


4. Rumpftorsionen


5. Rumpfbiegen nach vorne


6. Rumpfbiegen nach hinten


7. ausgeprägte Balanceübungen


Nach der physiotherapeutischen Faustregel, dass jeder Dehnung eine Anspannung der zuvor gedehnten Muskelgruppe erfolgen soll, stellte VAN LYSEBETH 1975 hierzulande die sog. Ri- shikesh-Reihe (s. Anhang) mit neun Asanas vor, die diesem Prinzip entsprechen und aus jeder Grundform mindestens eine Haltung enthält. Ebenso könnte man eine Einteilung nach zweck- gerichteten Unterscheidungen treffen. Für therapeutische oder medizinische Unterscheidungen allerdings sind genauere systematische Analysen der Wirkungen der vielen unterschiedlichen Asanas notwendig. Die häufigsten untersuchten und zitierten Asanas sind im Anhang zu fin- den. Für das Ausführen der Asanas ist die richtige Ernährung in Form einer gemäßigten Diät (mitahara) notwendig (vgl. GHAROTE 2001, S. 56 ff.). Das Herbeiführen und das Erleben der gegensätzlichen körperlichen Zustände bildet im Grunde das Wesen der Asanas, ähnlich dem Räkeln und Recken. Vorübergehendes Dehnen, Strecken und Spannen führen dann zum tieferen Entspannen. Man könnte in diesem Sinne die Asanas als Kultivierung und Systematisierung des menschlichen Selbstentspannungsverhaltens verstehen (vgl. TÄUBE 1987, S. 133) . Neben den Asanas werden auch Bandhas zum Hatha-Yoga gezählt. Sie gehören zu den Rei- nigungsübungen und stellen Verschlüsse dar, die nach traditionellen Vorstellungen die Pforten zum Körper verschließen, um eine Verteilung von Prana anzuregen. Die bekanntesten sind der Kinn-Verschluss, Zwerchfell-Verschluss und Becken-Verschluss. Die Verschlüsse werden durch starke Muskelkontraktion in den entsprechenden Körperbereichen ausgeführt (vgl. EBERT 1988, S. 28). 1> Indikationen und Kontraindikationen

Für die Ausführung aller Asanas gilt (vgl. EBERT 1988, S. 26):


• Asanas so langsam wie möglich einnehmen


• wesentlich ist ein langes, ruhiges Verharren in der Stellung


• jegliche dynamische Kraftentfaltung vermeiden


• beim Verharren die Aufmerksamkeit auf der größtmöglichen muskulären Entspannng der nicht unmittelbar für die Stellung benötigten Muskeln ruhen lassen

• ruhige und entspannte Atmung


• Zielgröße ist Entspannung


• konzentrierte Ausführung


Folgende Kontraindikation gelten für das Üben von Hatha-Yoga (vgl. STÜCK 1998, S. 79 f.):


• Yoga sollte nicht von schwer psychisch gestörten Menschen ausgeübt werden.


• Das autodidaktische Erarbeiten der Yoga-Grundlagen aus der Sekundärliteratur ist nicht empfehlenswert.

• Die Konstitution der Wirbelsäule muss beachtet werden, um Bandscheibenvorfälle und

Abklemmungen der Arterie vertebralis zu vermeiden.


• Bei Osteoporose kann es zu Knochenbrüchen durch Belastung kommen.


• Hypertoniker sollten keine blutdrucksteigernden Asanas wie die Umkehrstellungen durch- führen

• Bei Problemen mit der Schilddrüse sollten Haltungen, bei denen es zum Druck auf die

Schilddrüse kommt wie beim Schulterstand, vermieden werden.


• Nur bei gesunder Stoffwechsellage sollte Pranayama geübt werden.


• Bei Netzhautablösungen Asanas vermeiden, die zu einem erhöhten Augeninnendruck führen, wie z. B. Umkehrhaltungen und Atemanhalten.


4.5. Wirkung von Yoga


EBERT bezeichnet den Yoga-Übungsvorgang als „psychosomatische Funktionsaktualisierung” (s. EBERT 1988, S. 136). Die Aufmerksamkeit des Übenden ist auf die Gegenwart gerichtet, gerade ablaufene Prozesse finden in Konzentration statt. Vorgänge wie z. B. Atmung und Hal- tung, die oft unbewusst ablaufen, werden bewusst „entautomatisiert” (ebd.). So wird systema- tisch eine „psychosomatische Integration” (ebd.) geübt, die Voraussetzung ist für die bewusste Steuerung der autonomen Funktionen wie z. B. Herztätigkeit, Kreislauf und eine verbesserte Wahrnehmung der eigenen Körperfunktionen. Es zeigt sich langfristig ein optimaler Homöo- stasezustand und eine geringere Anfälligkeit gegenüber Störungen aller Arten. Für die Medizin ergibt sich hieraus nach EBERT der Effekt der Physiohygiene und Psychohygiene. Dabei ist ungeklärt, ob der Zustand der Homöstase ein neu erworbener Zustand ist oder der Effekt eines von Belastung und Stress freien Menschen. Mittels Yoga lassen sich auf psychologischer Ebene Funktionen üben, die von einer durch äußere Zwänge bestimmten, unkonzentrierten und hek- tischen Persönlichkeit wegführen und hin zu einer mehr von äußeren Zwängen unabhängigen, konzentrierten, kontrollierten und stetigen Persönlichkeit. Mittels Meditation kann eine „Rei- nigung” der Wahrnehmung, desautomatisiertes Bewusstsein und damit eine „Reinigung” des Denkens erreicht werden. Vielen Übungselementen des Yoga kommt aus medizinischer Sicht therapeutische Wirkung zu, vor allem sprechen psychosomatische Krankheiten gut auf Yoga- Therapie an (vgl. ebd. und S. 132 f.). Aus Sicht der Physiologie kann eine Yoga-Praxis als Ver- fahren für Physiohygiene und Psychohygiene empfohlen werden. EBERT spricht sich an dieser Stelle für „eine gründlichere Erforschung der physiologischen Zusammenhänge” (ebd., S. 137) aus, um „wissenschaftlich gesicherte Empfehlungen für Indikationen und Kontraindikationen” (ebd.) geben zu können (vgl. ebd.). Menschen mit Bluthochdruck z. B. müssen blutdruckstei- gernde Asanas wie z.B. Umkehrhaltungen vermeiden. Pranayama darf nur bei normaler und gesunder Stoffwechsellage geübt werden und auch die Meditation ist in ihrer Wirkung nicht zu unterschätzen. Die Konfrontation mit bisher unbewussten Erlebnisinhalten kann zur Desintegra- tion der Persönlichkeit mit aufbrechenden Psychosen oder Suizidtendenzen führen. Meditation sollte daher nur unter Anleitung und von psychisch gesunden Menschen durchgeführt werden (vgl. ebd., S. 135).


4.5.1. Physiologische Ebene


Im folgenden werden die wesentlichen physiologisch nachweisbaren Wirkungen einzelner Prak- tiken des achtgliedrigen Yoga-Weges auflistet. Eine detaillierte Beschreibung ist bei EBERT zu


finden.

Yama und Niyama


• Vorschriften (vgl. EBERT 1988, S. 19 ff.): Selbstdisziplinierung, Ausgeglichenheit durch Üben von mentaler Zufriedenheit, Zurückdrängen von Gedanken, die für eine Yoga- Praxis hinderlich sind (Töten, Lügen, Geiz, Zorn, Unwissen, Diebstahl, sexuelle und ma- terielle Begierde), durch entgegengesetzte Gedanken.

• Reinigungsprozeduren (vgl. ebd., S. 21 ff.): Reinigung aller zugänglichen Körperteile,

„Reinigung” der Wahrnehmung durch starre Blickfixation, Belebung des vegetativen Ner- vensystems19, Senkung der Empfindlichkeit gegenüber Noxen20 sowie eine Abhärtung der Schleimhäute durch entsprechende Maßnahmen.

• Yoga-Diät (vgl. ebd., S. 23ff.): Verhinderung von Überernährung und der Folgen durch fleischlose, vollwertige Kost. Entzündungshemmende Wirkung der Nahrung durch Ent- wässerung und hohe Vitaminzufuhr. Gesteigerte psychische und psychophysische Leis- tungsfähigkeit (z. B. verbessertes Sehvermögen, Senkung der Hörschwelle) nach Fasten- kuren sowie psychophysische Leistungssteigerungen.

Asanas


• Muskuläre Entspannung und Spannung mit ökonomischem Einsatz der Muskulatur,


• Stimulierung der Magen-Darm-Motorik und des Kreislauf, u. a. Lösen von Obstipationen

(Stuhlverstopfung) und Beseitigung von Stasen (Stauungen),


• Steigerung der Erythrozyten21- und Leukozytenzahl22,

19 Das vegetative Nervensystem kontrolliert lebenswichtige, unbewusst ablaufende Funktionen wie Atmung, Blut- druck, Herzschlag, Stoffwechsel und Verdauung, es wird unterteilt in Sympathikus, Parasympathikus und Darm- wandnervensystem. Ein Gleichgewicht zwischen Sympathikus (Funktion der Leistungssteigerung) und Para- sympathikus (Funktion der Regeneration) ist Voraussetzung für optimale Organfunktion. Das Darmwandner- vensystem wirkt eigenständig, wird aber von Sympathikus und Parasympathikus beeinflusst. Auch andere Or- gane bzw. Organsysteme wie Sexualorgane, die inneren Augenmuskeln, das Blutgefäßsystem sowie endokrines System, werden vom vegetativen Nervensystem beeinflusst (vgl. FAL L E R / SCHÜNKE 2004, S. 676 - 691). Das endokrine System sind alle Organe und Gewebe, die Hormone (u. a. Östrogen, Testosteron, Insulin) produzie- ren. Die Hormone werden in die Blutbahn ausgeschüttet und wirken auf Wachstum, Entwicklung, verschiedene Organfunktionen und die Koordination von Stoffwechselvorgängen (vgl. FAL L E R / SCHÜNKE 2004, S. 363 - 368). 20 Unter Noxen werden schädigende Stoffe oder Umstände mit krankheitserregender Wirkung auf den Organismus verstanden. Zu den Noxen können schädigende chemische Substanzen, physikalische Ereignisse, psychosozia- le Bedingungen oder belebte Noxen (u.a. Bakterien, Pilze, Parasiten, Viren) gehören (vgl. WIKIPE DIA URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Noxe; http://www.lsm-verlag.de/wort/1716.htm [Stand: 21.05.2007]). 21 Erythrozyten sind rote Blutkörperchen. Sie sind für den Transport von Sauerstoff und Kohlendioxid im Blut zuständig (vgl. FAL L E R / SCHÜNKE 2004, S. 286). 22 Leukozyten sind weiße Blutkörperchen. Sie wehren Krankheitserreger und Fremdstoffe ab (vgl. FAL L E R / SCHÜNKE 2004, S. 287).


• Steigerung von Ausdauer, Konzentration, Koordination, Kraft, Flexibilität, subtilerem

Körperschema,


• Wahrnehmung von Organempfindungen,


• Stimulation reflexogener Zonen im Sinne der Reflexzonenmassage23 (vgl. ebd., S. 26 -

58).


Pranayama


• Phase der Inspiration: Gefühl der allgemeinen Spannungssteigerung mit Anspannung der Atemmuskeln, Erhöhung des Sympathikotonus24, höhere Aufmerksamkeit und Reakti- onszeitverkürzung,

• Phase der Exspiration: Gefühl des Loslassens mit motorischer und vegetativer Entspan- nung (vgl. ebd., S. 59 - 85).


Meditation


• Globale motorische Relaxion, Senkung des Ruhe-Energieumsatzes, stärkere periphere

Durchblutung, Senkung des Atemminutenvolumens,


• Unterdrückung der sinnlichen Wahrnehmung zur Wahrnehmung der durch sinnliche Wahr- nehmung nicht erfassbaren Welt, Unterdrückung des aktiven Denkens, Abbau der links- hemisphärischen Dominanz der Großhirnrinde25(Entautomatisierung des Bewusstseins, Reinigung der Wahrnehmung, Reinigung des Denkens) bis hin zur Dominanz der rechten Hemisphäre26 (EBERT vermutet hierin den „erleuchteten” Zustand des Samadhi), 23 Wirkungsweisen sind die Verbesserung der Durchblutung, Förderung des peripheren Lymphabflusses, Lösen von Muskelverspannungen, Verbesserung der Schlafqualität und Stabilisierung der psychischen Verfassung (vgl. HE ISE L 2004, S. 108). Lymphe ist eine extrazelluläre Flüssigkeit im Gewebe, das verlorengegangene Proteine des Blutplasma wieder in den Blutkreislauf zurückführt (vgl. TORTORA / DE RRICKSON 2006, S. 937 f.). Pro- teine des Blutplasmas sind u. a. für den Transport einiger Hormone und Vitamine zuständig und spielen bei Immunabwehr eine wichtige Rolle (vgl. FAL L E R / SCHÜNKE 2004, S. 334). 24 Spannungszustand des vegetativen Nervensystems. Ein erhöhter Sympathikotonus äußert sich in Erscheinungen wie Erröten, Schwitzen, Pulsbeschleunugung und Pupillenerweiterung (vgl. FAL L E R / SCHÜNKE 2004, S. 689 f.). 25 Die linke Gehirnhemisphäre ist für kognitive Prozesse und verbal-anlaytisches Denken zuständig und generiert zeitliche geordnetes und folgerichtiges Verhalten. Die rechte Hemisphäre dagegen steuert vorwiegend unwill- kürliche, spontane Bewegungen und Verhaltensabläufe. Sie erfasst ganzheitlich sensorisches Eingangsmaterial und reagiert darauf. In ihr findet u. a. die Erkennung komplexer Muster, Traumerleben und Denken in Bildern statt. Mit zunehmender verbal-anlytischer Kompetenz im Prozess des Spracherwerbs wird die Wahrnehmung durch vorgefertigte begriffliche Kategorien gefiltert und die linke Hemisphäre gewinnt an Dominanz (vgl. Ebert 1988, S. 114 f.). 26 Dabei bringt die rechte Hemisphäre alle Begriffe und Kategorien der linken Hemisphäre in einen ganzheitlichen Zusammenhang. Man kann dabei von einer „Einheitserfahrung” sprechen (vgl. EBE RT 1988, S. 118).


• funktionelle Deafferentierung (Ausfall sensitiver Informationen bzw. Afferenzen die von der Peripherie kommen)

• Senkung des Blutlaktatspiegels27 (Senkung des Angstniveaus), Senkung des Cortisolspie- gels28(Antistresswirkung),

• gesteigerter und stabiler Alpha-Rhythmus29 (Korrelationen zu psychologischen Phäno- mene wie Kreativität, Ideenfluss), Unterdrückung der Alpha-Blockade-Reaktion30 (vgl. ebd., S. 86 - 118).

Langfristige Folgen bei regelmäßigem Üben


• Realisierung der oben beschriebenen Wirkungen (vgl. EBERT 1988, S. 119).


• Sensomotorisches System31 (vgl. ebd., S. 120 - 124): Präventive und korrigierende Ü- bungs- und Heilwirkungen von Knochen und Knochengewebe v.a. der Wirbelsäule und Bandscheiben, Hinweise auf den Rückgang arthrotischer Wucherungen an der Wirbelsäu- le, gesteigerte Beweglichkeit in fast allen Gelenken - auch schon nach einem zehnwöchi- gen Übungsprogramm, gesteigerte Dehnbarkeit der Muskeln, bevorzugte Entwicklung der Halte-Muskelfasern (Kennzeichen sind eine geringe Ermüdung) mit zunehmender Ausdauerfähigkeit und verstärkter Durchblutung.

• Vegetatives System32(vgl. ebd., S. 125 - 128): Erhöhung der Erregbarkeit des vegetati-

27 Laktat bzw. Milchsäure wird vom Körper gebildet, wenn nicht genügend Sauerstoff im Gewebe, z. B. nach Aktivität, zur Verfügung steht. Die Anhäufung von Laktat ist einer der Gründe für die Muskelermüdung (vgl. TORTORA / DE RRICKSON 2006, S. 1111). 28 Cortisol ist ein Hormon der Nebennierenrinde und wird zu den Stresshormonen gezählt. Bei Stress steigt der Spiegel im Blut (vgl. TORTORA / DE RRICKSON 2006, S. 746 - 749). 29 Hirnstrommessungen (EEGs) dienen zur Untersuchung der Hirnaktivität. Es werden vier physiologische Fre- quenzbereiche unterschieden: Beta-Rhythmus (Wachzustand, geistige Tätigkeit), Alpha-Rhytmus (entspann- ter Wachzustand bei geschlossenen Augen), Theta-Rhythmus (Schlaf) und Delta-Rhythmus (Tiefschlaf). Ge- sunde Menschen haben im entspannten Wachzustand einen vom Stoffwechsel beeinflussten dominierenden Alpha-Rhytmus mit Beimischungen von Beta-Rhythmen. Je geringer der Stoffwechsel ist, desto höher ist der Alpha-Anteil. EBE RT gibt an, dass 15% der mitteleuropäischen Bevölkerung keinen Alpha-Rhytmus haben (vgl. EBE RT 1988, S. 98). 30 Das Unterbrechen des Alpha-Rhythmus bei gesunden wachen Menschen (z.B. beim Öffnen der Augen oder durch Temperatur- oder Schmerzreize hervorgerufen) durch einen unmittelbar einsetzenden Beta-Rhythmus wird Alpha-Blockade-Reaktion genannt. In der Meditation kann die Alpha-Blockade-Reaktion nicht mehr aus- gelöst werden, dies z. T. auch bei geöffneten Augen (vgl. ebd., S. 98 u. 103). 31 Das sensomotorische System dient der Fortbewegung, Haltung, mechanischer Tätigkeit, Wahrnehmung und Kommunikation. Es besteht aus dem passiven Bewegungsapparat wie Knochen, Bänder und Sehnen, dem ak- tiven Bewegungsapparat wie Muskeln, efferente (der Muskulatur impulsgebende) Nerven und Bahnen, dem Messapparat wie afferente (von der Peripherie empfangende und zum zentralen Nervensystem weiterleitende) Nerven und Bahnen und dem zentralen Nervensystem (vgl. EBE RT 1988, S. 120). Efferente und afferente Bau- steine sind über das zentrale Nervensystem miteinander verknüpft (vgl. FAL L E R / SCHÜNKE 2004, S. 689). 32 Das vegetative System dient u. a. der Energieversorgung des Organismus. Kreislauf, Atmung, Stoffwechsel sind einige dieser Systeme. Von ihrer ungestörten Funktionsweise hängt auch die ungestörte Funktionsweise der Motorik ab (vgl. EBE RT 1988, S. 125).


ven Ruhetonus33 als Adaption auf sportliche Betätigung im allgemeinen, Steigerung der vegetativen Effizienz, Steigerung der Vitalkapazität, Verlängerung der Atemanhaltezeit (Erhöhung der Willenskraft).

• Besondere physiologische Fähigkeiten (vgl. ebd., S. 129 - 132): subtile Muskulaturbe- herrschung, außerordentliche Kraftaufbringung, gezielte Kontrolle der Durchblutungs- verhältnisse (z. B. Unterdrückung von Temperaturregulierung des Körpers oder Anheben / Absenken der Körpertemperatur), Kontrolle der Herztätigkeit (z. B. Unterdrückung der

Herztöne und Herzfrequenzsenkungen).


Weitere Modellversuche und Studien

FUCHS (2000) und LEITNER (1997) nennen einige weitere Studien, die die physiologische

Wirkungsweise von Yoga bei nachfolgenden Krankheitsbildern untersucht haben:


• Signifikantes Absinken des Blutzuckerspiegels, Verbesserung des Harnzuckergehaltes und Gewichtsreduktion bei Patienten mit Diabetes mellitus (SHEMBE KA R & KATE 1980 in FUCHS 2000, S. 16 f.)

• Blutdrucksenkungen bei Hypertonie, Schmerzverringerungen bis zur Beschwerdefreiheit bei chronischem Lumbalsyndrom (Rückenschmerzen) sowie chronischem Kopfschmerz- syndrom und Verbesserungen von Schlafstörungen (n = 250; BLEY 1995 in FUCHS 2000, S. 11, und LEITNER 1997)

• Verbesserung des Blutdrucks bei Hypertonie und des Schmerzempfindens bei Kreuz- schmerzen (n = 52; KÜHN 1996 in FUCHS 2000, S. 11 - 14)

• Eindeutiger therapeutischer Effekt bei Asthma bronciale (GRUBER & EBER 1997 in

Fuchs 2000, S. 15 f.)


• Signifikante Verbesserung der arterillen Sauerstoffversorgung und der Ventilation der Lungenbläschen bei Herzinsuffizienz (Herzversagen, Herzschwäche), weniger Atemnot und weniger rasche Ermüdung unter Belastung durch Atemübungen bei stabilisierten Pa- tienten (n = 50; FREY 1998 in Fuchs 2000, S. 14 f.)

• Deutliche Schmerzreduzierung und signifikante Steigerung der Kraft in der betroffenen Hand bei Karpaltunnelsyndrom (Erkrankung des Nervs an der Innenseite des Handge- lenks; n = 42; GARFINKEL et al. 1998 in Fuchs 2000; S. 17) 33 Kennzeichen sind z. B. Erniedrigung des Blutdrucks und Herzfrequenz (vgl. FAL L E R / SCHÜNKE 2004, S. 690).


4.5.2. Psychologische Ebene


EBERT benennt stichpunktartig einige psychische Auswirkungen von Yoga-Praxis: Entspan- nung, Ruhe, Gelassenheit, Wachheit, harmonische Stimmung, gesteigerte Selbstwahrnehmung, Stressresistenz, Angstverminderung (vgl. EBERT 1988, S. 129) oder Erhöhung der Willens- kraft (vgl. ebd., S. 128). Eine systematische Untersuchung wie EBERT sie für physiologische Effekte von Yoga verfasst hat, ist für psychologische Effekte nicht zu finden. Einige wenige Einzelstudien, Diplomarbeiten und Dissertationen geben Hinweise auf weitere psychologische Auswirkungen einer Yoga-Praxis:

• Verbesserung des Allgemeinbefindens, der Lebenszufriedenheit, emotionaler Stabilität und Selbstvertrauen, Verminderung von Angst, (BLEY 1995 in FUCHS 2000, S. 11, und LEITNER 1997).

• Verbesserung des Allgemeinbefindens (SHEMBE KA R & KATE 1980 in FUCHS 2000, S.

16 f.; FREY 1998 in Fuchs 2000, S. 14 f.) bei den Probanden.


• Verbesserung des Selbstkonzeptes, seelischer Ausgeglichenheit und subjektives Wohlbe- findens (DÖBBEL 2004).

• Höherer Grad an Lebenszufriedenheit und gehobener Stimmung, niedriger Grad an Erreg- barkeit, Aggressivität, Emotionalität und Empfindlichkeit (SCHELL 1995 in WAHSNER 2002, S. 132 f.).


• Förderlich bei Drogenentzug und Auflösen von Drogenabhängigkeit, Verringerung von Phobien und Ängsten, Abbau von Psychoneurosen und psychosomatischen Beschwer- den, Verbesserung des allgemeinen Selbstwertgefühls, Gefühl von Getragensein und Ge- borgenheit (ENGEL 1995 in FUCHS 2000, S. 21; WAHSNER 2002, S. 143 ff.).


4.5.3. Yoga als Therapie


Die Yoga-Therapie ist ca. 100 jahre alt und basiert auf dem Gedanken, dass der Mensch in einem Zustand der Homöostase unempfindlicher gegenüber Störungen aller Art wird, da in diesem Zustand alle für das physiologische Gleichgewicht zuständigen Mechanismen fehlerlos funk- tionieren (vgl. EBERT 1988, S. 132). Bestimmte Kombinationen von Übungen aus dem Yoga haben sich dabei als wirksam für bestimmte Krankheiten erwiesen. Besonders psychosomati- sche Leiden sprechen gut auf die Yoga-Therapie an. Erfolgreiche Therapieschemata werden zu- sammen mit einer sparsamen Yoga-Diät und Reinigungstechniken auf folgende Erkrankungen


angewendet: Übersäuerung des Magens, Arthritis, Asthma bronchiale, Diabetes mellitus, Ver- stopfung, Diarrhoe (Durchfall), Hämorrhoiden, Kopfschmerzen, Hypertonie (Bluthochdruck), Hypotonie (Blutdruckerniedrigung), Rheumtismus, Sinusitis (Entzündung der Nasennebenhöh- len), Tuberkulose, Magengeschwür, Variskosis (Venenleiden), Angstsyndome, depressive Zu- stände und Nervosität34. Auch Meditation wird als Therapieform genutzt und wirkt erfolgreich bei Hypertonie, Sucht, Ängsten und Phobien, Angina pectoris, verminderter Stresstoleranz und Schlaflosigkeit (vgl. ebd., S. 132 ff.).


1> Yoga als Therapie im Vergleich zu Autogenem Training: Yoga-Meditation als Thera- pie ist in der Wirksamkeit dem Autogenen Training überlegen, wiesen GRAWE, DONATI und BERNAUER 1994 in einer Meta-Studie über 15 Studien mit knapp 600 Patienten nach. Dies ist deshalb so bedeutsam, da das Autogene Training als Verfahren mit mustergültigem Wirkungs- nachweis gilt (vgl. FUCHS 2000, S. 19 f.).


1> Yoga als Therapie im Vergleich zu Progressiver Muskelentspannung: Der Assistenz- arzt einer Rehabilitationsklinik MOBASSERI stellte in seiner Disseration 2006 fest, dass Sahaja- Yoga (Form der Yoga-Meditation) im Vergleich zu Progressiver Muskelrelaxion nach Jakobsen gleich gute Ergebnisse zeigt. Er untersuchte 37 Krebspatienten während ihres 3-wöchigen Auf- enthaltes in der Rehabilitationsklinik auf aktuelle Befindlichkeit, Angst und Depression (vgl. 2006, S. 4, 36 und 102).















34 Eine genaue Auflistung der Übungskominationen findet sich bei EBE RT (s. 1988, S. 133).

Fußnoten

  1. Menuhin schrieb z. B. das Vorwort zum Yogabuch seines Lehrers IYENGAR (1969).
  2. In Indien ist die Entwicklung bezüglich Kinderyoga am weitesten fortgeschritten (vgl. AUGENSTEIN 2003, S. 44), so dass die Einbeziehung von indischen Yogaprogrammen für die Zielstellung dieser Arbeit sinnvoll ist.
  3. Verwendet wird hierfür die Mappe „Kinderyoga Übungsleiter-Ausbildung” vom BUND DER YOGA VIDYA GESUNDHEITSBERATER (BYVG), das ich für Studienzwecke im Oktober 2006 im Haus Yoga Vidya in Bad Meinberg von Narendra Hübner, einem der Kinder-Yoga Ausbilder im Hause, erhalten habe. Das Haus Yoga Vidya ist eines der Haupthäuser des Yoga Vidya e.V. Der Yoga Vidya e. V. ist Mitglied beim Berufsverband der Yogalehrenden in Deutschland e. V. (BDY), die Ausbildung ist anerkannt vom Bund der Yoga Vidya Lehrer e. V. (BYV), dem Berufsverband der Yoga und Ayurveda Therapeuten e. V. (BYAT) und dem Berufsverband der Yoga Vidya Gesundheitsberater, Kursleiter und Therapeuten e.V. (BYVG).
  4. Eine Darstellung der Problematik des Verhältnisses der Begriffe „Erziehung” und „Bildung” kann in dieser Arbeit nicht in angemessenem Umfang erfolgen. Beide Begriffe sind von den jeweils aktuell vorherrschenden Wertvorstellungen geprägt, sodass sie einem ständigen Wandel unterliegen (s. KAISER & KAISER 2001, HÖRSTER 2002, WINKLER 2002, SCHAUB & ZENKE 2004).
  5. Die WHO wurde 1948 gegründet mit dem Ziel, allen Völkern der Erde zu Gesundheit zu verhelfen. Heute hat sie 193 Mitgliedsstaaten (vgl. WHO URL: http://www.who.int/about/en/ [Stand: 20.04.2007]) und wird durch deren Mitgliedsbeiträge zu 28% und freiwillige Beiträge zu 72% finanziert (vgl. WHO URL: http://www.who.int/about/finance/en/index2.html [Stand: 20.04.2007]). Sie setzt gesundheitsbezogene Normen und Standards und fördert und überwacht deren Umsetzung (vgl. WHO URL: http://www.who.int/about/finance/en/index.html [Stand: 20.04.2007]).
  6. Die WHO rief am 21. November 1986 zur ersten Internationalen Konferenz zur Gesundheitsförderung in Ottawa auf. Dort wurde die sog. „Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung” verabschiedet. Es wird darin zu einem aktiven Handeln für das Ziel „Gesundheit für alle” bis zum Jahr 2000 und darüber hinaus aufgerufen. „Die Konferenz verstand sich in erster Linie als eine Antwort auf die wachsenden Erwartungen an eine neue öffentliche Gesundheitsbewegung. Die Diskussion befaßte sich vorrangig mit Erfordernissen in Industrieländern, es wurden aber auch Probleme aller anderen Regionen erörtert. Ausgangspunkt waren die [...] über gesundheitliche Grundbetreuung erzielten Fortschritte, das WHO-Dokument „Gesundheit für alle” sowie die während der letzten Weltgesundheitsversammlung geführte Diskussion zum intersektoriellen Zusammenwirken für die Gesundheit” (WHO URL:http://www.euro.who.int/AboutWHO/Policy/20010827_2?language=German [Stand: 27.04.2007]). Die WHO sieht die Verantwortung für Gesundheitsförderung nicht nur bei dem Gesundheitssektor mit dem Ziel der Entwicklung gesünderer Lebensweisen, sondern bei allen Politikbereichen mit dem Ziel der Förderung von umfassendem Wohlbefinden (vgl. ebd.).
  7. Eine Darstellung der Problematik des Verhältnisses der Begriffe „Erziehung” und „Bildung” kann in dieser Arbeit nicht in angemessenem Umfang erfolgen. Wi einleitend erwähnt sind beide Begriffe von den jeweils aktuell vorherrschenden Wertvorstellungen geprägt, sodass sie einem ständigen Wandel unterliegen (s. KAISER & KAISER 2001, HÖRSTER 2002, WINKLER 2002, SCHAUB & ZENKE 2004).
  8. Das RKI ist für die Koordinierung und die inhaltliche Durchführung der Gesundheitsberichterstattung (GBE) des Bundes verantwortlich. Das RKI ist verantwortlich beteiligt an der Konzeption und Durchführung epidemiologischer Erhebungen, insbesondere von Survey- und Sentinel-Erhebungen. Es ist auf Bundesebene für die Haltung und Pflege von Registern und anderen epidemiologisch aufbereiteten Daten zuständig - in Zusammenarbeit mit dem Statistischen Bundesamt und anderen Bundesoberbehörden. (vgl. KIGGS URL: http://www.kiggs.de/studie/durchfuehrung/index.html [Stand: 12.05.2007]).
  9. Kindesalter wird hierbei für die Altersspanne von 3 bis 10 Jahren, Jugendalter von 11 bis 17 Jahren festgelegt.
  10. Eine Nähe zum christlichen Gedankengut und Erlösungsgedanken wird hierbei offensichtlich. Allerdings wird im Christentum im Unterschied zum Yoga explizit ein ritueller Umgang mit einem personifizierten Gott gepflegt (vgl. EBE RT 1988, S. 12)
  11. Die Veden stellen die ältesten Textdokumente der indoeuropäischen Sprachen dar, die überliefert sind, und gelten als göttliches Wissen oder Wahrheit. Sie gelten als direkt vom Schöpfergott Brahma verfasst und Indologen schätzen sie auf die Zeit von 5000 bis 1000 v. Chr. verfasst (vgl. DEUTZMANN 2001, S. 51).
  12. Hier werden die Lehren der Veden und Upanishaden zusammengefasst und zusammengebracht, um sie den Menschen der damaligen Zeit nahe zu bringen. Sie empfiehlt z. B. selbstloses Handeln statt Askese. Es werden hier drei Yoga-Wege vorgestellt: Karma Yoga als Weg des absichtslosen und selbstlosen Handelns, Bhakti Yoga als Weg der verehrenden Hingabe an Gott und Jnana Yoga als Weg der Erkenntnis durch Studium der heiligen Schriften und Meditation (vgl. DEUTZMANN 2001, S. 64 f.).
  13. Insgesamt entwickelten sich aus den Veden und Upanishaden sechs brahmanische philosophische Systeme. Diese sind neben Yoga Mimamsa, Vedanta, Samkhya, Vaisheshika und Nyaya (vgl. Ebert 1988, S. 11).
  14. Die Theosophie ist eine religiöse Weltanschauung, mit dem Ziel eine höhere Wahrheit, eine Vollendung des menschlichen Seins zu erreichen (vgl. WIKIPEDIA URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Theosophie [Stand: 12.05.2007]).
  15. Als Indikator für das gestiegene Interesse steht der Erfolg der 1922 erschienenen indischen Dichtung „Siddhartha” von Herrmann HESSE.
  16. J.H. SCHULZ, Vater des Autogenen Trainings (AT), betonte die Verbindung seiner Technik mit dem Yoga als wesentlich für die praktische Arbeit. Er selbst spricht dabei aber nicht von einer Entlehung des AT aus dem Yoga, sondern von Entsprechungen von AT und Yoga.
  17. Sie war der praktischen Unterweisung verpflichtet und SACHAROW vermittelte vor allem Körper- und Atemübungen mit Ansätzen zu Konzentrationaufgaben in seinem Unterricht. In der Zeit des Nationalsozialismus musste er zwar Tarnbezeichnungen für seine Yoga-Kurse erfinden, konnte den Unterricht aber ohne ideologische Einflüsse durchführen. Die „Erste Deutsche Yogaschule” (EDY) wurde nach dem Tod von SACHAROW 1959 durch den Schüler Sigmund FEUERABENDT übernommen.
  18. Der Autor Ernst ISSBERNERHAL DANE betont in seinem Yoga-Buch die körperlichen Formen und Ausdrucksmerkmale, die jemand besitzen muss, dem man höheres Wissen anvertrauen darf und erläutert daraufhin sein gotisches, germanisches, ario-christliches Yoga, das sich grundlegend durch seine Tiefe vom indischen Yoga unterscheidet.

Siehe auch

Weblinks

Seminare

Yoga für Kinder

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Yoga für Jugendliche

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Yogalehrerweiterbildung: Yoga mit Kindern

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