Unberührtheit
Unberührtheit bedeutet, dass man von etwas (noch) nicht berührt ist. Es gibt z.B. Unberührtheit in der Natur: Eine Natur, in welcher der Mensch noch nicht eingegriffen hat, gilt als unberührte Natur.
Man spricht auch von einer unberührten Kultur, wenn eine traditionelle Kultur noch nicht mit westlicher Kultur in Berührung gekommen ist. Im engeren Sinn spricht man von Unberührtheit, wenn eine Frau noch keinen Sex mit einem Mann hatte. Unberührtheit kann auch ein innerer Zustand sein: Inmitten des täglichen Lebens ist man sich bewusst, dass das eigene Selbst 'Niranjana' ist - unberührt von allem Relativen.
Körper und Geist sind Bestandteil der Maya, der Welt der Illusion. Aber das wahre Selbst ist unberührt von all' dem. So ist das Selbst charakterisiert durch Niranja - Ungefärbtheit, Unberührtheit. Was ist Unberührtheit? Woher stammt das Wort? Wozu ist Unberührtheit gut? Was sind Synonyme, was das Gegenteil von Unberührtheit? Umfangreicher Artikel mit Vortragsvideo und Tipps.
Unberührtheit als hilfreiche Tugend
Aus einem Vortrag von Sukadev Bretz
Unberührtheit hat verschiedene Bedeutungen. Prinzipiell bedeutet es, dass man (noch) nicht von etwas berührt wurde. Das hat verschiedene Konsequenzen. Unberührtheit wurde früher oft im Sinne von Sexualität verwendet. Es galt als Ideal, unberührt in die Ehe zu gehen, das heißt, vor der Ehe noch keinen Geschlechtsverkehr, keine Sexualität hatte. Unberührtheit ist auch heute noch in einigen Gesellschaften von hohem Wert. In der westlichen Gesellschaft ist es nur noch selten so, die wenigsten gehen als Jungfrau oder 'Jungmann' in die Ehe.
Unberührtheit ist z.B. im alten Griechenland eine wichtige Eigenschaft für die Vestalinnen gewesen und für bestimmte Priesterinnen. Und aufgrund bestimmte kultischer Hintergründe galt Unberührtheit, im Sinne von sexueller Unberührtheit, als besonders wichtig und notwendig, um der Gottheit zu gefallen.
Da war zwar Geschlechtsverkehr nichts Unreines, aber für die Priesterinnen und manche Priester galt Unberührtheit als ein besonderes Ziel. Und auch für katholische Priester, da gibt es zwar das Zölibat, aber sie müssen nicht unbedingt Unberührtheit haben, um Priester werden zu können, genauso wenig wie katholische Nonnen oder auch Mönche.
Trotzdem ist Unberührtheit auf einer anderen Ebene wichtig. Man spricht jetzt heute auch von der unberührten Natur, die es kaum noch gibt. Wenn du z.B. in Deutschland durch Wälder gehst und sagst, "Oh, was für eine wunderschöne unberührte Natur", dann stimmt das so nicht. Selbst die deutschen Nationalparks wurden z.T. anlegt, so dass sie in dem Sinne nicht völlig unberüht sind.
Unberührtheit geht auch z.T. von dem Ideal aus, dass -wenn der Mensch nicht bewusst in die Natur eingreift- sich die Dinge dann gut entwickeln und in vielerlei Hinsicht bzw. in den meisten Fällen ist das auch richtig so. Wenn man z.B. einen Park anlegen will, dann könnte man den Park stark modifizieren, d.h. zurechtschneiden zum Beispiel oder man setzt die Rahmenbedingungen lediglich und überlässt die Natur sich selbst.
Dann ist zwar die Natur nicht unberührt, aber sie entwickelt sich so, wie es für den Standort passend und ökologisch sinnvoll ist. Unberührtheit bedeutet somit auch ein gewisses Vertrauen, dass Dinge schon richtig verlaufen, wenn man sie lässt. Unberührtheit kann auch eine innere Eigenschaft sein. Unberührtheit kann auch als Unschuld verstanden werden; das heißt, man weiß noch nicht so viel über etwas. Man ist noch nicht zu sehr gedanklich und inhaltlich involviert - noch nicht zu sehr vorgeprägt.
So ist es manchmal gut, wenn man ein wichtiges Projekt hat, dass man auch Menschen in das Projekt aufnimmt (oder zeitweise hinzuzieht), die bisher noch wenig Kenntnisse diesbezüglich haben. Oder auch wenn in einer Arbeitssituation ein zwischenmenschlicher Konflikt ausgebrochen ist, dann braucht es manchmal den Blick von außen. Jemand, der bisher noch nichts mit der Angelegenheit zu tun hatte, der eine gewisse Unberührtheit diesbezüglich aufweist - auch eine Interessenlosigkeit.
Das heißt, er hat kein eigenes Interesse, dass er mit der Angelegenheit verfolgt. Somit kann er vielleicht bessere Ratschläge geben, wie man gewissen Dinge (besser) umsetzen kann. Unberührtheit ist manchmal auch eine Form von Überparteilichkeit, das heißt, es ist für einen selbst jetzt nicht wichtig, wie es ausgeht. Im besten Fall liegt dann das Hauptinteresse darin, dass die Konfliktparteien einen Konsens oder zumindest einen gemeinsam geteilten Kompromiss finden.
Unberührtheit ist auch eine Eigenschaft des Selbst. Ich bin ja Yogalehrer, Meditationslehrer, spiritueller Lehrer bei Yoga Vidya, die in der philosophischen Tradition von Vedanta steht. Daher würden wir sagen, das Selbst ist Nirmala und Niranjana. Das heißt, es ist makellos und unberührt.
Was heißt das: Unberührt sein auf Ebene des Selbst? Unberührtheit auf der Ebene des Selbst heißt, dein wahres Bewusstsein ist jenseits von Denken und Fühlen, dein wahres Bewusstsein ist jenseits von allen körperlichen, emotionalen, energetischen und psychischen Veränderungen. Tief in deinem Inneren ist etwas, das unberührt bleibt.
Wenn du gehst, sprichst, redest - dann bewegt sich der Körper und die Psyche ist beteiligt. Aber es gibt einen Beobachter, den so genannten Sakshi, der auch der 'innere Beobachter' genannt wird. Und dieser innere Beobachter oder diese innere Beobachterin bleibt immer gleich - egal, was du tust oder auch nicht tust. Er oder sie bleiben stets gleich. Und du kannst ihn oder sie erfahren, wobei eigentlich nicht DU ihn erfährst, sondern ER oder SIE erfährt dich und alles. Und du kannst zu diesem inneren Beobachter bzw. zu dieser inneren Beobachterin hingehen und du kannst dir bewusst sein: "Ich bin das Bewusstsein."
Du weißt somit: "Egal, was äußerlich geschieht, in mir ist etwas, das bleibt unberührt von Allem." Daraus erfährst du Trost, daraus erlangst du Mut. Dies ist auch eine gute Quelle für Gelassenheit, auch für engagiertes Handeln und Furchtlosigkeit.
Wie erfährst du diesen inneren Beobachter, der unberührt ist von allem? Du erfährst ihn durch Meditation, insbesondere durch Achtsamkeitsmeditation, die Sakshi Bhav Meditation. Sie dient dazu, dich selbst als unberührten Beobachter zu erfahren und verhilft dir zu tiefer Einsicht. Sie verhilft dir auch zu Mut, Vertrauen und Gelassenheit.
So ist also Unberührtheit etwas, das auf vielerlei Ebenen wichtig ist. In früheren Zeiten war dies vor allem auf sexueller Ebene der Fall, und zwar als Ideal, unberührt in die Ehe zu gehen.
Unberührtheit gibt es zudem als Ideal in Hinblick auf die Natur: Natur -so die Maxime- sollte sich selbst überlassen werden. Und Unberührtheit existiert auch als neutrale Verhaltensform eines Menschen, der versucht, Konflikte zu schlichten, ohne vorab involviert gewesen zu sein.
Aber vor allen Dingen gibt es die spirituelle Unberührtheit als Eigenschaft deines wahren Selbsts, deines reinen Bewusstseins. Dies ist ein wichtiger Aspekt, um den inneren Beobachter bzw. die innere Beobachterin in dir zu entwickeln und erfahren.
Unberührtheit in Beziehung zu anderen Eigenschaften
In diesem Yoga Wiki werden über 1000 Tugenden und Persönlichkeitsmerkmale beschrieben. Hier einige Erläuterungen, wie man die Eigenschaft der Unberührtheit in Beziehung zu anderen Fähigkeiten und Verhaltensweisen sowie in Bezug auf Laster sehen kann:
Ähnliche Eigenschaften wie Unberührtheit
Ähnliche Eigenschaften wie Unberührtheit, also Synonyme zu Unberührtheit sind z.B. Unschuld, Reinheit, Virginität, Jungfräulichkeit, Keuschheit, Lauterkeit, Untadeligkeit, Ursprünglichkeit, Natürlichkeit, Unbeflecktheit, Unbefangenheit.
Ausgleichende Eigenschaften
Jede Eigenschaft, jede Tugend, die übertrieben wird, wird zu einer Untugend, zu einem Laster, einer nicht hilfreichen Eigenschaft. Unberührtheit übertrieben kann ausarten z.B. in Naivität, Ahnungslosigkeit, Einfalt, Gutgläubigkeit, Dummheit, Ignoranz, Unwissenheit, Kritiklosigkeit, Leichtgläubigkeit, Leutseligkeit, Torheit, Simplizität. Daher braucht Unberührtheit als Gegenpol die Kultivierung von Erfahrung, Weisheit, Lebenserfahrung, Menschenkenntnis, Weitblick, Bildung, Gelehrtheit, Scharfsinn, Schlauheit.
Gegenteil von Unberührtheit
Zu jeder Eigenschaft gibt es ein Gegenteil. Hier Möglichkeiten für Gegenteil von Unberührtheit, Antonyme zu Unberührtheit :
- Positive Gegenteile von Unberührtheit, man könnte diese auch als Gegenpole bezeichnen: Erfahrung, Weisheit, Lebenserfahrung, Menschenkenntnis, Weitblick, Bildung, Gelehrtheit, Scharfsinn, Schlauheit
- Negative Gegenteile von Unberührtheit, also Laster, negative Eigenschaften, sind z.B. Verderbtheit, Verkommenheit, Unsittlichkeit, Disziplinlosigkeit, Lasterhaftigkeit, Unmoral, Unzüchtigkeit, Verworfenheit, Liederlichkeit, Verruchtheit, Zuchtlosigkeit, Sittenlosigkeit
Unberührtheit im Kontext von Tugendengruppen, Persönlichkeitsfaktoren und Temperamenten
- Unberührtheit gehört zur Tugendgruppe 7 Gottesliebe, Naturliebe. Die wichtigsten Tugenden dieser Tugendgruppe sind [[Gottesliebe], Hoffnung] und Vertrauen
- Im Kontext des Persönlickeitsmodell der Big Five gehört Unberührtheit zum Persönlichkeitsfaktor O1 Offenheit hoch: neugierig, erfinderisch, experimentierfreudig
- Im Persönlichkeitsmodell DISG gehört Unberührtheit zur Grundverhaltenstendenz G - Gewissenhaftigkeit
- Im Ayurveda zählt man Unberührtheit zum Vata Temperament bzw. Dosha.
Entwicklung von Unberührtheit
Unberührtheit kann man sehen als Tugend, als eine positive Eigenschaft. Vielleicht willst du ja Unberührtheit in dir stärker werden lassen. Hierzu einige Tipps:
- Nimm dir vor, eine Woche lang diese Eigenschaft der Unberührtheit zu kultivieren. Vielleicht kannst du nicht alle guten Eigenschaften auf einmal kultivieren. Aber es ist möglich, innerhalb einer Woche oder innerhalb eines Monats eine Tugend, eine Eigenschaft, stark werden zu lassen.
- Triff den Entschluss: "Während der nächsten Woche will ich die Tugend, die Eigenschaft, Unberührtheit kultivieren, wachsen lassen, stärker werden lassen. Ich freue mich darauf, in einer Woche ein unberührterer Mensch zu sein."
- Nimm dir vor, jeden Tag mindestens eine Handlung auszuführen, die Unberührtheit ausdrückt. Mache jeden Tag etwas, was du sonst nicht tun würdest, was aber diese Tugend zum Ausdruck bringt
- Wenn du morgens aufwachst, dann sage eine Affirmation, z.B.: "Ich entwickle Unberührtheit ".
- Am Tag wiederhole immer wieder eine Autosuggestion, Affirmation wie z.B.: Ich bin unberührt ".
Affirmationen zum Thema Unberührtheit
Hier einige Affirmationen für mehr Unberührtheit. Unter dem Stichwort "Affirmation" und "Wunderaffirmationen" erfährst du mehr zu Funktion und Wirkungsweise von Affirmationen.
Klassische Autosuggestion für Unberührtheit
Hier die klassische Autosuggestion:
- Ich bin unberührt
Im Yoga verbindet man das gerne mit einem Mantra. Denn ein Mantra lässt die Affirmation stärker werden:
- Ich bin unberührt. Om Om Om.
- Ich bin ein Unberührter, eine Unberührte OM.
Entwicklungsbezogene Affirmation für Unberührtheit
Manche Menschen fühlen sich als Scheinheiliger oder als Heuchler, wenn sie sagen "Ich bin unberührt " - und sie sind es gar nicht. Dann hilft eine entwicklungsbezogene Affirmation:
- Ich entwickle Unberührtheit
- Ich werde unberührt
- Jeden Tag werde ich unberührter
- Durch die Gnade Gottes entwickle ich jeden Tag mehr Unberührtheit
Dankesaffirmation für Unberührtheit
- Ich danke dafür, dass ich jeden Tag unberührter werde.
Wunderaffirmationen Unberührtheit
Du kannst es auch mit folgenden Affirmationen probieren:
- Bis jetzt bin ich noch nicht sehr unberührt. Und das ist auch ganz verständlich, ich habe gute Gründe dafür. Aber schon bald werde ich Unberührtheit entwickeln. Jeden Tag wird diese Tugend in mir stärker werden.
- Ich freue mich darauf, bald sehr unberührt zu sein.
- Ich bin jemand, der unberührt ist.
Gebet für Unberührtheit
Auch ein Gebet ist ein machtvolles Mittel, um eine Tugend zu kultivieren. Hier ein paar Möglichkeiten für Gebete für mehr Unberührtheit :
- Lieber Gott, bitte gib mir mehr Unberührtheit
- Oh Gott, ich verehre dich. Ich bitte dich darum, dass ich ein unberührter Mensch werde
- Liebe Göttliche Mutter, ich danke dir. Ich danke dir dafür, dass ich jeden Tag die Tugend Unberührtheit mehr und mehr zum Ausdruck bringe
Was müsste ich tun, um Unberührtheit zu entwickeln?
Du kannst dich auch fragen:
- Was müsste ich tun, um Unberührtheit zu entwickeln?
- Wie könnte ich unberührt werden?
- Lieber Gott, bitte zeige mir den Weg zu mehr Unberührtheit
- Angenommen, ich will unberührt sein, wie würde ich das tun?
- Angenommen, ich wäre unberührt, wie würde sich das bemerkbar machen?
- Angenommen, ein Wunder würde geschehen, und ich hätte morgen Unberührtheit kultiviert, was hätte sich geändert? Wie würde ich fühlen? Wie würde ich denken? Wie würde ich handeln? Als unberührter Mensch, wie würde ich reagieren, mit anderen kommunizieren?
Siehe auch
Eigenschaften im Alphabet vor Unberührtheit
Eigenschaften im Alphabet nach Unberührtheit
Vortragsmitschnitt zu Unberührtheit - Audio zum Anhören
Hier kannst du einen Vortrag von Sukadev Bretz, Gründer von Yoga Vidya, anhören. Dieser Vortrag ist die Audio Version eines Videos zu Unberührtheit, Teil des Yoga Vidya Multimedia Lexikons der Tugenden.
Literatur
- Swami Sivananda: Licht, Kraft und Weisheit
- Swami Sivananda: Japa Yoga
- Swami Sivananda: Die Wissenschaft des Pranayama
- Swami Sivananda: Die Überwindung der Furcht
- Swami Sivananda: Vedanta für Anfänger
- Swami Sivananda: Japa Yoga
- Swami Sivananda: Göttliches Elixier
- Sukadev Bretz, Ulrike Schöber: Der Königsweg zur Gelassenheit; 2014
- Sukadev Bretz: Karma und Reinkarnation
- Sukadev Bretz: Die Yogaweisheit des Patanjali für Menschen von Heute
- Sukadev Bretz: Die Yoga-Weisheit der Bhagavad Gita für Menschen von heute / Band 1
Weblinks
- Meditation - Viele Infos und praktische Anleitungen
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