Innere Antreiber beruhigen

Aus Yogawiki
Innere Antreiber

Innere Antreiber beruhigen: Wie kannst du deine inneren Antreiber beruhigen, mit Schwarzmalerei besser umgehen, von einem zu hohen Anspruchsniveau herunterkommen? Das sind wichtige Themen, wenn du mehr Gelassenheit und innere Stärke kultivieren willst. Die Stresspsychologie hat gezeigt, dass Menschen mit hoher Resilienz besser mit Stress umgehen können. Wichtig für ein Resilienztraining ist auch die Fähigkeit, die inneren Antreiber zu beruhigen.

Innere Antreiber beruhigen

- Ein Vortrag von Sukadev Bretz 2019 -

Für einen besseren Umgang mit Stress, für bessere Resilienz

Herzlich Willkommen zu einem Vortrag aus der Reihe „Yoga für Stressbewältigung und einen besseren Umgang mit den Herausforderungen des Alltags“. Heute spreche ich über geistige Einstellungen und Stressbewältigung, insbesondere über den Aspekt, was NICHT hilfreich ist, mit Stress besser umzugehen.

In dieser Vortragsreihe habe ich vorher davon gesprochen, welche geistigen Einstellungen hilfreich sind, um mit Stress besser umzugehen, und heute beginne ich eine Reihe zu den nicht hilfreichen Einstellungen.

Diese ganze Vortragsreihe ist ja auch Teil der Vortragsreihe „Yoga für Gesundheit und psychische Stabilität“ - der Beitrag von Yoga zu Heilung und psychischer Gesundheit.

Meine These: Yoga, auch Hatha Yoga, Atemübungen, Asanas, Tiefenentspannung und die ganze Einstellung einer Yogastunde entwickelt innere Eigenschaften, die auch hilfreich sind im Alltag. Und so ist dieser Vortrag auch ein Teil der Reihe „[Wie wirkt Hatha Yoga - Warum Hatha Yoga Warum und wie wirkt Hatha-Yoga?]“

Wenn wir einige Ergebnisse aus der Stressforschung nehmen, dann weiß man, dass Menschen mit starken inneren Antreibern mehr unter Stress leiden als Menschen, die eher sanfte innere Antreiber haben, die insgesamt gelassener mit eigenen Ansprüchen umgehen. Bekannte innere Antreiber sind zum Beispiel:

Das Konzept der inneren Antreiber

Dieses Konzept stammt aus der sog. Transaktionsforschung und sagt, dass viele der menschlichen Handlungen und Einstellungen aus der Kindheit stammen. Insbesondere Eltern und Lehrer haben dem Kind bestimmte Dinge gesagt, und das Kind – welches inzwischen 20, 40 oder 60 Jahre alt ist – hat zum Teil diese Eigenschaften übernommen.

Alle müssen mich mögen

Du darfst du selbst sein

Ein Kind ist ziemlich klein und gefährdet, und es könnte sein, dass irgendjemand Größeres das Überleben des Kindes stören oder bedrohen könnte. Also weiß das Kind: „Alle müssen mich mögen.“ Oft sagen auch die Eltern „Verhalte dich rücksichtsvoll, freundlich, höflich – verhalte dich so, dass alle dich mögen“.

Wenn jetzt Menschen diesen inneren Antreiber haben, dann können sie relativ schnell in Stress kommen. Da runzelt jemand die Stirn, und dann werden unbewusst sofort Überlebensängste wach: Der hat mich komisch angeschaut. Oh, der hat mich irgendwie zurechtgewiesen. Wenn man also diese Einstellung „Alle müssen mich mögen“ hat, dann wird jede Andeutung, dass jemand einen nicht mag, sofort als bedrohlich empfunden und jeder Konflikt führt dazu, dass der Mensch vielleicht nicht mehr schlafen kann, dass Stresshormone übermäßig ausgeschüttet werden und dass stressbedingte Krankheiten sehr viel schneller kommen.

Du könntest dir jetzt überlegen, ob du diesen inneren Antreiber hast. Wie gehst du damit um, wenn du das Gefühl hast, dass dich jemand nicht mag? Dass ein Kollege oder dein Chef dich nicht mag. Dass es einen Konflikt mit deiner Schwiegermutter oder deinem Nachbarn gibt. Oder mit Kunden, Lieferanten, mit wem auch immer. Vielleicht hast du gerade diesen inneren Antreiber besonders stark.

Ich muss perfekt sein

Wie gehst du damit um, wenn du feststellst: Es ist Dienstag, bis 10 Uhr sollst du etwas für deinen Chef abgeben und du konntest noch nicht die Rechtschreibprüfung machen, es ist auch noch nicht formatiert und evtl. stimmt das eine oder andere auch nicht.

  • Selbst wenn der Chef gesagt hat „Geben sie es so ab“ - wie fühlst du dich dabei?
  • Wie gehst du damit um, wenn du in deiner Wohnung etwas nicht perfekt gemacht hast?
  • Wenn du in die Yogastunde gehst – hast du Angst, dass du etwa in der Vorwärtsbeuge die Zehen falsch hältst und dein Yogalehrer dich vielleicht dafür kritisiert?

„Ich muss perfekt sein“ ist also auch einer der inneren Antreiber.

Ich muss schnell sein

Du darfst es in deinem Tempo machen

Manche Menschen haben den inneren Antreiber, dass sie schnell sein müssen, also etwas nicht nur erledigen, sondern schnell erledigen. Es macht ihnen immer Angst, dass sie etwas zu langsam machen – andere machen es vielleicht schneller.

Ich muss stark sein

Also darf ich keine Schwächen zugeben. Wenn Menschen einem sagen, dass du etwas nicht richtig gemacht hast – Menschen mit dem inneren Antreiber „Ich muss stark sein“ verteidigen sich dann immer und sagen „Nein, nein, ich hab das schon richtig gemacht“. Jemand, der diesen inneren Antreiber nicht hat, wird einfach sagen „Ja, stimmt, das hab ich falsch gemacht, da hab ich einen Fehler gemacht, tut mir Leid, ich bitte um Entschuldigung“. Jemand, der das Gefühl hat, nicht stark sein zu müssen, hat auch kein Problem, seine Schwächen zuzugeben und kritisiert zu werden. Aber es gibt Menschen, die können das eben nicht zeigen und sie müssen immer stark sein. Sie können nicht einmal sagen, dass sie eine kleine Erkältung haben, gerade schwach oder müde sind usw.

Dieser innere Antreiber „Ich muss stark sein“ führt dann zu dieser inneren Angst, als schwach wahrgenommen zu werden. Und wenn du das Gefühl hast, als schwach wahrgenommen zu werden, während du denkst du musst stark sein, dann hast du natürlich gleich wieder Angst. Vielleicht steckt da auch so eine (evtl. sogar vormenschliche) Urangst dahinter „Die Schwachen werden totgebissen“. Wenn du so ein Gefühl hast dann erhöht das natürlich das Stresspotential.

Die Wirkung von Hatha-Yoga auf die inneren Antreiber

Dies ist jetzt natürlich keine psychologische Sendung, wo es in Tiefenpsychologie hineingeht, sondern es geht hauptsächlich darum, warum Hatha Yoga wirkt. Meine These ist, dass Hatha-Yoga einen lehrt, sich zum Beispiel von diesen inneren Antreibern zu lösen.

Ich muss perfekt sein

Mach es so gut wie du es jetzt kannst

Viele Menschen, die zum Beispiel Sport treiben, wollen natürlich das, was sie machen, richtig machen. Sie wollen perfekt sein und von anderen als perfekt wahrgenommen werden und stehen dann unter Stress. Im Yoga - zumindest im Yoga Vidya Stil - lernst du von Anfang an: Schließe deine Augen – Spüre in deinen Körper hinein – Atme tief ein und aus.

Yoga ist kein Wettbewerb. Es geht nicht darum, irgendeine Haltung nachzuahmen, etwas Vollkommenes zu machen. Gerade im Yoga Vidya Stil geht es auch nicht darum, irgendeine äußere Figur nachzuahmen. Wir sagen sogar, dass es die perfekte Asana nicht gibt. Auch ein Yogalehrer kann dir nicht sagen, ob du deine Asana richtig machst oder nicht. Dies ist ja auch der Grund, weshalb ich mich immer dagegen verwahre, dass wir 100%ige Adjustments und Hilfestellung machen müssen und zu sagen, genau so muss eine Asana aussehen. Ein Yogalehrer, eine Yogalehrerin sollte nicht den Teilnehmern sagen „Du machst die Asana falsch“, sondern „Spüre in dich hinein". In der Vorwärtsbeuge sollte die Rückseite der Beine gedehnt sein und die Wirbelsäule und der Rücken sollten sich angenehm anfühlen. Spüre in dich hinein, ob es sich richtig anfühlt“. Es geht nicht um äußere Vollkommenheit.

Ich kenne Menschen, die gerade aus dem Vollkommenheitsanspruch eine Alles-oder-Nichts-Philosophie machen. Angenommen, sie fühlen sich morgens nicht so gut und sind ein bisschen müde – dann machen sie gar kein Yoga. Statt dessen könnten sie, wenn sie zu müde für den Sonnengruß sind, diesen überspringen und mit dem unterstützten Schulterstand anfangen. Oder wenn ich abends antriebslos bin, dann mache ich eben als erstes die Tiefenentspannung und beginne erst danach mit dem Pranayama. Es geht also nicht darum, eine äußere Vollkommenheit zu haben, sondern es geht darum, zu spüren und zu fühlen und das zu machen, was geht. Du musst weder deinem Yogalehrer noch den anderen Yogateilnehmern zeigen, dass du gut oder vollkommen bist, sondern mache es so gut, wie du es jetzt kannst.

Meine These ist wiederum: Wenn du in der Yogastunde gelernt hast, Yogaübungen so zu machen wie du sie machen kannst, und dich dabei gut fühlst und merkst, ein großartiges Gefühl von Energie, Freude und Entspannung kommt gerade dann, wenn du nicht versuchst, vollkommen zu sein – dann überträgt sich diese Einstellung auch auf den Tag. Und du kannst auch feststellen: Auch in der Arbeit kann ich Dinge ruhig mal nur zu 80% machen, ich muss nicht alles vollkommen machen. Es macht nichts, wenn andere sehen, dass ich etwas mal nicht so richtig gemacht habe.

Du kannst jetzt einen Moment überlegen, ob du diesen inneren Antreiber „Ich muss perfekt, vollkommen sein“ hast und überlegen, ob du vielleicht im Yoga selbst noch mehr einfach auf dich hören und entspannt sein kannst. Ich habe sogar schon Teilnehmerinnen geraten, die diesen inneren Antreiber sehr stark hatten, sie sollen ihre Übungen mal bewusst etwas falsch machen. Im Schulterstand die Fersen ein bisschen auseinander statt zusammen, um die Beine irgendwie zu entspannen. In der Entspannungslage statt der Handflächen nach oben eine Handfläche nach unten, oder ruhig mal den Kopf leicht nach rechts. Nicht so, dass es gefährlich ist (es gibt ja auch bestimmte Tipps, die Verspannungen vermeiden), sondern einfach mal lernen „Ich muss nicht vollkommen sein, ich mache es mal einfach so und bleibe dabei entspannt und dann ist es gut“.

Alle müssen mich mögen

Es gibt viele Menschen, die – sowie sie mit anderen Menschen zusammen sind – immer überlegen: „Was denken die anderen Menschen über mich? Mögen sie mich? Sind sie kritisch zu mir?“ usw.

In der Yogastunde lernst du, einfach für dich zu sein. Du bist mit anderen Menschen zusammen, aber du überlegst nicht, was sie über dich denken. Denken sie, dass du zu gut, zu schlecht, zu dick, zu dünn, zu groß oder zu klein bist, zu liebenswürdig oder zu unliebenswürdig, zu schön, zu attraktiv, zu wenig schön, zu wenig attraktiv? Du überlegst auch nicht, ob du dem Yogalehrer gefällst usw. In einer Yogastunde legst du dich hin, du bist mit anderen Menschen zusammen, und dann bist du, du selbst. Natürlich willst du jetzt auch nicht andere stören, indem du plötzlich aufspringst und tanzt und hüpfst, wenn gerade die Tiefenentspannung ist, natürlich gilt auch in einer Yogastunde das Prinzip der Rücksicht – du bist also nicht ganz für dich, aber trotzdem überlegst du nicht bei dem, was du in den Asanas machst, was andere dabei denken, wenn du das so und so machst. Du lernst, in deinen Körper zu spüren, du spürst deine Atmung, du fühlst was zu tun ist, und obgleich du mit Menschen zusammen bist überlegst du nicht, wie du auf andere wirkst. Oder ob das, was ich mache, meinem Yogalehrer gefällt oder auch nicht.

Wenn du Yogalehrende bist oder wirst, dann ist es auch immer wichtig, dass du so unterrichtest, dass deine Teilnehmer und Teilnehmerinnen nicht das Gefühl haben, sie müssen dir in der Yogastunde gefallen und sie müssen Asanas so ausführen, weil du es so willst, sondern du willst Teilnehmende dazu befähigen und sie in die Lage versetzen, auf sich selbst zu hören, entspannt mit anderen zusammen in der Yogastunde zu sein, ohne dabei zu überlegen „Gefalle ich den anderen?“

Wenn ein Mensch merkt, wie schön es ist, mit anderen zusammen zu sein, ohne ständig zu überlegen, was sie über mich denken – da ist dann wieder meine These: Das hat einen Transfer auch in den Alltag.

Ich muss schnell sein

Im Yoga lernt man ja gerade „Ich muss nicht schnell sein“. Es geht hier nicht darum, schneller als andere den Sonnengruß zu machen. Der Sonnengruß ist ja nicht die allerlangsamste Übung, aber auch nicht die schnellste. Wir kommen auch nicht besonders schnell in den Kopfstand, sondern wir gehen ruhig und bewusst in den Kopfstand. Wir lernen, es ist etwas sehr Schönes:

  • langsam in die Stellungen zu gehen
  • sie ruhig zu halten
  • tief und bewusst zu atmen

Das heißt nicht, dass du auch einmal schnell sein kannst. Es gibt ja auch schnelle Sonnengrüße, und es gibt auch Sonnengrüße mit Sprungvariationen, wie wir sogar auch bei Yoga Vidya haben. Es gibt natürlich auch im Alltag manchmal die Notwendigkeit, schnell zu sein. Aber es sollte kein Zwang sein, schnell zu sein. Manchmal ist es schön, langsam zu sein. Und indem Menschen lernen, wie schön es ist, langsame Bewegungen zu machen, ruhig in einer Yogastellung zu sein und einen großen Nutzen zu haben gerade indem man langsam ist, lernen sie auch, dass man auch am Tag langsam sein kann.

Der innere Antreiber „Ich muss schnell sein“ ist ja letztlich auch eine Art Fluchtmechanismus. Wenn Pferde nicht schnell genug sind, wenn der Tiger kommt, dann werden sie gefressen. Und so ist es auch eine Urangst, dass – wenn ich nicht schnell genug bin – ich gefressen werde. Manche Menschen haben diesen inneren Antreiber „Ich muss schnell sein“, und das ist verbunden mit Überlebensängsten. Wenn sie das Gefühl haben, sie hätten etwas nicht schnell genug gemacht, geraten sie überproportional in Stress.

In einer Yogastunde lernst du „Ich kann langsam sein“.

Ich muss stark sein

Geliebt wirst du für deine Schwächen

Dieser ist ein wenig ähnlich zu „Ich muss perfekt sein“. Hintergrund ist natürlich in der Natur: Schwache Lebewesen werden schnell gefressen. Oder in einer Horde von Menschen bekommt der Schwache am wenigsten zu essen, findet keine Partnerin, oder aber er wird eben vom Tiger gefressen. Die Angst, schwach zu sein, ist evolutionsbiologische also eine durchaus sinnvolle Angst.

Aber in der heutigen Zeit kann man sehr wohl schwach sein, und in der Yogastunde zeigst du dich eben auch als schwach. Es ist durchaus etwas Ähnliches wie „Ich muss vollkommen sein“. Du musst eben nicht vollkommen sein, und du musst auch nicht stark sein. Du kannst dir heute mal sagen, dass du die volle Heuschrecke heute nicht hin bekommst und du hebst nur ein Bein hoch. Und wenn ich zu müde bin, dann lass ich halt eine Yogastellung aus und mache statt dessen die Entspannung. Oder wenn ich heute Nackenprobleme habe, dann probiere ich eben nicht den Kopfstand, sondern mache statt dessen die Stellung des Kindes, oder vielleicht den Hund oder eine andere Stellung.

Ich kann schwach sein, ich kann meine Schwäche zeigen, und ich kann auch der Yogalehrerin sagen, dass ich vor Kurzem eine Erkältung hatte und deshalb heute einiges nicht machen kann. Leider kenne ich Menschen, die – wenn sie eine Verletzung hatten – wochenlang nicht in den Yogaunterricht gehen, weil sie sich eben nicht in ihrer Schwäche zeigen können. Du kannst auch mit einem gezerrten Knöchel Yoga machen, wenn du umgeknickt bist. Du wirst vielleicht den Sonnengruß nicht normal machen können oder manche Stehhaltungen nicht „richtig“ machen können, aber du kannst trotzdem 80% oder 90% machen. Und du wirst feststellen: Du zeigst dich in deiner Schwäche, du machst nicht alle Yogaübungen gut, andere sehen vielleicht sogar deine Verletzungen – und nichts Schlimmes passiert. Im Gegenteil, du bekommst Mitgefühl und du fühlst dich gut. In der Yogastunde zeigst du dich in deiner Schwäche, und du erfährst: Es ist etwas Schönes. Das wiederum hilft dir, dass du dich von diesem inneren Antreiber „Ich muss stark sein“ oder mindestens „Ich muss mich stark zeigen“ etwas löst.

Deshalb meine ich, dass die Übung von Hatha-Yoga etwas ist, was dir hilft, nicht so schnell von Stress beeinflusst zu werden und eine innere Resilienz aufzubauen.

Im Hatha-Yoga lernst du:

  • Du musst nicht vollkommen sein – du kannst etwas unvollkommen machen.
  • Du musst nicht so üben, dass es anderen gefällt – du kannst auf dich selbst hören.
  • Du musst nicht schnell sein, auch nicht schneller als die anderen – du kannst auch langsam sein und selbst in deiner Übungspraxis weniger üben als andere und langsamere Fortschritte machen.
  • Du musst auch nicht stark erscheinen, sondern du kannst dich auch in deiner Schwäche zeigen.

All das hilft dir, besser mit dir im Alltag umzugehen und dich von diesen inneren Antreibern zu lösen.

Jetzt habe ich natürlich erst einmal über Hatha-Yoga gesprochen. Die ganze Themenreihe geht ja darum, warum Yoga wirkt. Es gibt so viele Yoga-Studien, die zeigen, dass Menschen, die Yoga üben, gesünder und psychisch stabiler sind als andere, dass sie mit schlimmen Lebensereignissen besser umgehen – da stellt sich die Frage, warum das so ist.

Hatha Yoga verändert deine Einstellungen

These 1: Yoga selbst ist Entspannungstechnik. These 2: Yoga stärkt Einstellungen, die helfen, mit Stress besser umzugehen.

Mit anderen Worten: Die Übung von Hatha-Yoga hilft der Resilienz, weil sie einen Transfer auf die gesamte Einstellung zu sich selbst, zu den Mitmenschen und zum Leben hat.

Der spirituelle Einfluss des Yoga auf die inneren Antreiber

Wenn wir jetzt auch spirituelle Aspekte des Yoga mit einbeziehen, dann ist es natürlich noch mehr gültig, dass diese inneren Antreiber überwunden werden. Vom Yoga her sagen wir ja: „Ich bin das unsterbliche Selbst, ich bin Atman – und das ist das einzig Vollkommene“.

Ich muss nicht perfekt sein

In der relativen Welt ist alles unvollkommen. Zu versuchen, auf einer relativen Ebene vollkommen zu sein, ist sowieso eher lächerlich. Insofern akzeptieren wir uns selbst auf einer physischen, emotionalen und psychischen Ebene als unvollkommen und wissen zugleich: im Tiefsten sind wir vollkommen. Wir müssen uns nicht die Vollkommenheit erarbeiten – wir sind jetzt schon vollkommen. Wir sind in der Entwicklung begriffen, und wir arbeiten an uns selbst (körperlich, psychisch, emotional, geistig, spirituell), aber wir wissen, dass die relative Welt nicht vollkommen ist, und das können wir entspannt annehmen.

Ich muss nicht von allen Menschen gemocht werden

Auf einer relativen Ebene ist es auch nicht nötig, dass uns alle Menschen mögen. Im Tiefsten sind wir Eins mit allen Wesen, deshalb können wir bedingungslose Liebe zu allen Wesen spüren, und wir können diese Verbundenheit spüren, unabhängig davon ob Menschen einen mögen oder nicht. Das spielt nicht die große Rolle – wir fühlen uns trotzdem verbunden. Deshalb fällt es aus einer spirituellen Einstellung heraus natürlich leichter, sich davon zu lösen, dass alle einen mögen müssen.

Ich muss nicht schnell sein

Auch einmal bewusst Langsamkeit üben

Natürlich müssen wir auch nicht schnell sein. Es ist zwar schön, sich schnell zu entwickeln, und es ist auch schön, effektiv zu sein, aber wir müssen es nicht. Manchmal ist es eben eine gute Übung, langsam zu sein. Gerade in den spirituellen Traditionen und auch im Yoga gibt es die bewusste Übung der Langsamkeit. Nicht nur bei den Asanas – es gibt meditativ gehen, meditativ essen und vieles andere, was man bewusst auch als Training der Langsamkeit macht. Aber das heißt nicht, dass wir immer langsam sind, und wir auch nicht den Zwang haben „Du musst langsam sein“. Manchmal ist es gut, schnell zu sein, und manchmal ist es gut, langsam zu sein.

Ich muss nicht stark sein

Erst recht nicht müssen wir stark sein. Im tiefsten Wesen sind wir eins mit dem Göttlichen, deshalb wissen wir: im Tiefsten sind wir unendliche Stärke.

Auf einer physischen, energetischen und psychischen Ebene sind wir unvollkommen und müssen deshalb auch nicht stark sein. Es heißt ja auch so schön: „Man wird vielleicht geschätzt für seine Stärken, aber man wird geliebt für seine Schwächen“. Und so ist es geradezu auch schön, manchmal seine Schwächen zu zeigen, und so kann man auf einer menschlichen Ebene Liebe spüren.

Sind die inneren Antreiber schlecht?

Nein, sie sind nicht schlecht. Sie haben erst einmal ihren ursprünglichen Sinn zum überleben, und zweitens sind sie natürlich auch gewisse Antreiber, die einem helfen sich zu entwickeln.

1. Du musst vollkommen sein

Dies könnte man auch umsetzen mit „Mach es besser.“ Man könnte sagen sie sind ein gewisser Stachel im Menschen „Entwickle dich weiter.“ Dieser gewisse Stachel „Entwickle dich weiter“ kommt letztlich auch daher, dass wir im tiefen Inneren wissen, dass nur die Vollkommenheit uns glücklich macht. Das ist aber keine körperliche, berufliche, beziehungsmäßige, charakterliche Vollkommenheit, sondern es ist die Erkenntnis: „Ich bin das unsterbliche Selbst.“

Wenn du diesen inneren Antreiber „Das geht besser, das musst du besser machen“ hast, dann lächle, und du könntest zu deinem inneren Antreiber sprechen: „Ja, danke, dass du mich weiter zur Entwicklung antreibst. Danke – und jetzt will ich entspannen.“

2. Alle müssen dich mögen

Letztlich könnte man zum einen evolutionsbiologisch sagen, dass ein kleines Kind berechtigte Angst hat, von anderen totgebissen zu werden. Erwachsene hatten früher berechtigte Angst, aus der Horde ausgeschlossen zu werden, wenn eine Mehrheit ihn oder sie nicht mag – ein Mensch als Einzelwesen hatte im Dschungel vermutlich kaum Überlebenschancen. Diese Angst, dass andere einen nicht mögen, ist evolutionsbiologisch also durchaus sinnvoll.

Aus der Sicht des Yoga wissen wir: vom Tiefsten des Wesens her sind wir alle eins, und deshalb ist das Streben danach, alle zu lieben und dieses Gefühl der Einheit zu haben, letztlich auch etwas Spirituelles.

Aber wir können auch hier anerkennen: In der Tiefe des Wesens bin ich Eins mit allen, und es ist gut, sich liebevoll gegenüber anderen zu verhalten, und es ist gut, diesen inneren Impuls zu haben, mich liebevoll zu verhalten. Aber wenn wir das Leben selbst von Jesus, Buddha oder Mahatma Gandhi anschauen, dann wissen wir: Selbst die großen Selbstverwirklichten, Gottverwirklichten, ja sogar Gott auf Erden selbst wird nicht von allen geliebt. Daher ist es letztlich lächerlich zu denken, dass wir besser als Jesus, Buddha oder Mahatma Gandhi sein könnten. Lächerlich ist vielleicht etwas übertrieben, aber jedenfalls ist es vermessen. Daher ist es gut, sich zu bemühen freundlich zu sein, und dieses Bemühen, freundlich zu sein, stammt aus dem inneren Antrieb, aus dem Ego herauszukommen, rücksichtsvoll zu sein, sich mit den anderen Eins zu fühlen, und das ist gut - aber wir sollten uns nicht davon beherrschen lassen und daraus keine Angst machen.

3. Ich muss schnell sein

Ja, es ist gut, diesen Antreiber zu haben, denn das ist wie ein innerer Stachel, ein Anfeuerer, nicht zufrieden zu sein und in Selbstzufriedenheit zu versinken. Es ist letztlich ein Antreiber, sich gut zu entwickeln und an sich zu arbeiten. Ja, es ist gut, Dinge nicht ständig zu verschieben oder sich vom inneren Schweinehund beherrschen zu lassen. Ja, es ist gut vorwärts zu schreiten. Aber wir sollten daraus keine Ängste entwickeln, denn tief im Inneren sind wir sowieso schon vollkommen, und letztlich geschieht, was geschehen soll.

Auf der einen Seite können wir uns spielerisch bemühen, zügig voranzuschreiten, auf der anderen Seite können wir ganz entspannt sein, und dann haben wir einen Antreiber, der schön ist, uns aber nicht in Angst und Stress versetzt.

4. Ich muss stark sein

Arbeite an dir selbst, entwickle dich

Dieser letzte innere Antreiber sagt: „Arbeite an dir selbst. Entwickle deine Konzentrationsfähigkeit und deine Geduld. Entwickle die Fähigkeit, dein Karma gut zu gestalten.“ Er hat also auch seine Vorteile – aber du musst dich nicht davon beherrschen lassen.

In diesem Sinne:

  • Das Hatha-Yoga hilft, mit seinen inneren Antreibern besser umzugehen
  • Die spirituelle Lebenseinstellung des Yoga ist sehr förderlich, mit diesen inneren Antreibern gut umzugehen, sie anzuerkennen und wertzuschätzen – aber sich nicht davon beherrschen zu lassen.

Du kannst vielleicht gleich einen Moment innehalten und nicht gleich den nächsten podcast oder Video anzuschauen, sondern überlege:

  • Welche innere Antreiber habe ich, wie manifestieren sie sich, wie gehe ich damit um?
  • Lasse ich diese inneren Antreiber vielleicht doch meine Yogapraxis behindern – sei es, dass ich mir Stress dadurch mache, sei es dass ich gar nicht erst übe, weil ich denke „Ich übe nicht gut genug oder schlechter als andere? Ich bin zu steif - auch das gibt es - und meide deshalb vielleicht sogar Yogastunden?
  • Machen die inneren Antreiber etwas, was meine Beziehungen zu anderen Menschen behindert, mich vielleicht mehr stresst?
  • Wie könnte ich Hatha Yoga noch mehr so gestalten, dass es nicht die inneren Antreiber stärkt?
  • Wie könnte ich eine spirituelle Lebenseinstellung noch vertiefen, die mich meine inneren Antreiber wertschätzen lässt, aber sie mich nicht stressen lässt?

Wenn du Yogalehrende oder Yogalehrender bist, dann überlege auch:

Hinterfrage immer wieder deinen Unterrichtsstil
  • Ist deine Yogastunde so, dass Menschen eben nicht plötzlich ihre inneren Antreiber aktiviert bekommen?
  • Überlege - mit dem inneren Antreiber „Du musst vollkommen sein“ im Gewahrsein: Haben Menschen in deiner Stunde vielleicht Angst, dass sie nicht gut genug sind? Bist du vielleicht jemand, der den Menschen sagt „Das ist richtig – das ist falsch“, so dass Menschen ständig überlegen, dass sie es nicht richtig machen.
  • Bist du jemand, der will, dass die Leute alles sehr schnell machen und vielleicht deshalb diesen inneren Antreiber haben?
  • Haben deine Teilnehmer vielleicht sogar Angst davor, dass du sie nicht magst?

In diesem Sinne – auch ein Yogalehrender, eine Yogalehrende sollte ihren Unterrichtsstil immer wieder hinterfragen und überlegen.

Jetzt solltest du nicht gleich sagen „Ja, stimmt, mein Yogalehrer macht es nicht richtig.“ Diese Vortragsreihe ist nicht dazu gedacht, dass du jetzt neue Verurteilungsgrundlagen bekommst für andere, sondern dass du selbst reflektiert mit dir selbst umgehen kannst und vielleicht den einen oder anderen kleinen Schritt machen kannst für ein zwar engagierteres, aber entspannteres Leben.

Zum Abschluss will ich dreimal Om singen und ein Mantra wiederholen, so wie wir es hier bei Yoga Vidya meist am Anfang und am Ende einer Stunde machen. Und dann reflektiere einen Moment, ob irgendetwas von dem, was ich heute gesagt habe, für dich besonders wichtig sein kann.

Om Om Om
Om Sarva Mangala Mangalye
Shive Sarvartha Sadhike
Sharanye Triyambake Gauri
Narayani Namostute
Om Shanti, Shanti, Shanti
Om Frieden, Frieden, Frieden
Om Bolo Sadguru Sivananda Maharaj Ji Ki Jaya
Om Bolo Shri Guru Vishnu-devananda Maharaj Ji Ki Jaya

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Dies war ein Vortrag aus der Reihe „Wirkungen des Yoga – Umgang mit Stress – Erhöhung von Resilienz durch die Praxis von Yoga“

Om Shanti

Videos mit Tipps, innere Antreiber zu beruhigen

Hier ein Vortrag zum Thema Innere Antreiber beruhigen von und mit Sukadev Bretz aus der Reihe Yoga Vidya Schulung, Vorträge zum ganzheitlichen Yoga.

Umgang mit Schwarzmalerei

Umgang mit zu hohem Anspruchsniveau für psychische Resilienz

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