Wintersonnenwende
Die Wintersonnenwende ist die Zeit, in der die Tage am kürzesten und die Nächte am längsten sind. Die Wintersonnenwende ist meist die Zeit zwischen dem 21.12. und dem 25.12. Manchmal wird auch nur der 21.12., der Tag des Winteranfangs, als Wintersonnenwende bezeichnet.
Wintersonnenwende, Jesus, Weihnachten, Christentum und Yoga
Artikel von Sukadev Volker Bretz, der im Dezember 2009 in der Zeitschrift "Yoga Aktuell" zum Thema "Wintersonnenwende, Jesus, Weihnachten, Christentum und Yoga " erschienen ist. Dieser Artikel ist entstanden aus einer Mischung von Interviewfragen aus der Redaktion von Yoga Aktuell und einem Artikel von Sukadev, der im Yoga Vidya Newsletter erschienen ist.
Dezember ist der dunkelste Monat im Jahr – und gleichzeitig der glitzerndste: Die Einkaufsstraßen in den Städten sind hell erleuchtet, überall locken Weihnachtsmärkte mit Düften, allerlei Köstlichkeiten für Zunge, Ohren, Augen und Nase.
Manche Yoga Übende lassen sich ein auf dieses Getümmel, lassen sich von den Weihnachtsliedern und der ganzen Stimmung anstecken. Manche Yoga Übende sehen das ganze Getümmel als ein Zeichen des Verfalls der Zeit, für den Materialismus der Gegenwart.
Weihnachten steht in Verbindung mit menschlichen Emotionen und Sehnsüchten, mit dem Wunsch nach Liebe, Harmonie, Frieden. Für manche ist die Advents- und Weihnachtszeit die schönste Zeit im Jahr. Für andere kommen gerade vor Weihnachten diverse Konflikte zum Vorschein, frühere leidhafte Erfahrungen zurück ins Bewusstsein.
Ich möchte in diesem Artikel einige Gedanken zur Wintersonnenwende darlegen und vielleicht einen Beitrag zu einer tieferen Betrachtungsweise leisten. Dieser Beitrag steht unter dem Motto „Einheit in Verschiedenheit“, welches ja das Motto vieler indischer Yoga Meister (z.B. Swami Sivananda) und auch vieler deutscher Yoga Kongresse (z.B. Potsdam 2009) war und ist.
Wintersonnenwende in verschiedenen Kulturen
Die Zeit um die Wintersonnenwende galt zu allen Zeiten in den meisten Kulturen, am meisten natürlich in den nördlichen Regionen, als besonders heilige Zeit. Versetzen wir uns in eine Zeit ohne Zentralheizung, ohne künstliches Licht. Und vergegenwärtigen wir uns, dass es damals weniger gute Kleidung und unzureichende Vorratshaltung gab, und dass kleine Klimaschwankungen im Winter Hunger bedeuten konnten – dann verstehen wir, dass die Menschen sich darüber freuten, wenn die Tage wieder länger wurden, es absehbar wurde, dass es wieder wärmer werden würde. Die kürzesten Tage im Jahr waren so etwas ganz Besonderes. Auch heute können wir uns daran erinnern: Wenn es am dunkelsten ist, kommt bald wieder Licht. Leben ist Rhythmus. Auf Zeiten der Dunkelheit und der Verluste folgen Zeiten des Lichtes und der Freude. Es gibt Zeiten, um nach außen zu gehen, aktiv zu werden. Und es gibt Zeiten, nach innen zu gehen und von innen neue Kraft zu bekommen.
So feiert man in den meisten Kulturen auf der nördlichen Erdhalbkugel besondere Feste. Ich möchte diese Feste hier kurz nennen - zusammen mit einer möglichen Bedeutung vom Yoga Standpunkt aus:
Saturnalienfeste bei den Römern
Bei den alten Römern fanden um die Wintersonnenwerde die Saturnalien statt. Es war - der Jahreszeit entsprechend - ein Opferfest des Heroskönigs, der in die Unterwelt gesandt wurde, um dort mit seinem göttlichen Ebenbild eins zu werden. Yoga Deutung: Dies steht für das tiefe Eintauchen mittels der Meditation in unseren Geist, um jenseits aller unterbewussten Eindrücke unser wahres göttliches Selbst zu erkennen und mit diesem Göttlichen Kern zu verschmelzen.
Der Saturn gilt in der griechischen Mythologie und auch in der westlichen und indischen Astrologie als der Hüter der Schwelle. Er ist der Einschränkende. Vor der Erleuchtung kommen oft Schicksalsschläge, manchmal ist Entsagung notwendig. Beides steht unter dem Saturn-Prinzip, auf Sanskrit auch Shani (Saturn) genannt.
Das jüdische Channukkah-Fest
Bei den Juden wird das Chanukkah-Fest gefeiert. Dieses zelebriert den Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem durch die Makkabaeer. Israel stand unter der Fremdherrschaft der Antiochiden. Die Juden haben unter der Führung einer Familie, der Makkabaeer, das Joch der Fremdherrschaft abgeschüttelt. Nach der Befreiung von Jerusalem entzündeten sie das Tempellicht. Dabei geschah ein Wunder, nämlich dass eine kleine Menge Öl 8 Tage lang Licht gab. Yoga Deutung: Manchmal stehen wir unter der Fremdherrschaft von Gier, Süchten, Ego, fühlen uns fremdbestimmt. Da bedarf es einiger Mühen, sich davon zu befreien. Wir können im Inneren unseren Tempel des Herzens immer wieder zum Leuchten bringen. Wenn wir uns darum bemühen, aus unserem Herzen einen Tempel zu machen, wird Gott unser Herz mit Licht füllen. Und manchmal, wenn es unmöglich erscheint, vollbringt Gott ein Wunder in uns.
Das indische Dipavali Fest vor der Wintersonnenwende
In Indien findet Dipavali bzw. Diwali, das Lichterfest, zwar ca. 1-2 Monate vorher statt, hat aber eine ähnliche Bedeutung. Dipavali feiert die Rückkehr der Gottinkarnation Rama in die Hauptstadt Ayodhya nach 14 Jahren Exil. 14 Jahre lang hatten die Bewohner von Ayodhya auf Feuer und Licht verzichtet. Als Rama wieder zurückkehrte, wurden überall Freudenfeuer entzündet. Yoga Deutung: So kann es sein, dass wir Gott, die Liebe, aus unserem Leben verbannt haben. Und auch wenn wir materiell vieles haben, fehlt das Entscheidende im Leben. Wenn so Gott, das göttliche Licht, die Liebe oder wie auch immer wir es ausdrücken wollen, in unser Herz einzieht, können wir wirkliche Freude empfinden.
Das Chinesische Neujahrsfest nach der Wintersonnenwende
In China gibt es 1-2 Monate nach der Wintersonnenwende das chinesische Neujahrsfest. Nach der Legende kam jährlich ein menschenfressendes Monster aus den Bergen, um seinen Hunger nach dem Tiefschlaf zu stillen. Um sich vor dem Jahresmonster zu schützen, machten die Menschen Lärm und Feuer und färbten alles rot. Yoga Deutung: Ego und Gier können wie ein Monster werden – gerade wenn man eine Weile einfach gelebt hat, können diese wieder zum Vorschein kommen. Es gilt die innere Leere zu füllen mit Licht, Liebe und Enthusiasmus. Dann können die inneren „Monster“ transformiert werden.
Weihnachten als christliches Fest der Winntersonnenwende
Weihnachten ist bei uns in Europa sicherlich als christliches Fest am bekanntesten. Es feiert die Geburt von Jesus Christus, des Gottessohnes als Erlöser der Menschheit. Es ist übrigens nicht belegt, dass Jesus tatsächlich am 24.12. geboren wurde. In der Frühkirche waren verschiedene Daten, einige davon im Frühjahr, in Gebrauch. Und bis heute wird in der Ostkirche Jesu Geburt am 6. Januar gefeiert. Aber von der Symbolik her passt es sicherlich am besten, die Geburt des Heilands auf die Mitte der Nacht in die Mitte des Winters sowie auf die Zeit der Saturnalien zu verlegen. Weihnachten gilt als eines der 3 Hauptfeste des Christentums (Weihnachten, Ostern, Pfingsten). Über die eigentliche christliche Bedeutung kannst Du sicherlich in Gottesdiensten, in christlicher Literatur und von anderen Christen am meisten erfahren und erleben. Und wer durch Yoga-Praxis und Meditation seinen Geist und sein Herz geöffnet hat, bekommt manchmal im christlichen Gottesdienst wieder einen neuen Bezug zur christlichen Religion.
Weihnachten und Adventszeit in einer Kundalini Yoga Interpretation
Zusätzlich zur historischen und religiösen christlichen Dimension kann man Weihnachten auch als Sinnbild des spirituellen Weges, der Geburt des Christusbewusstseins in uns interpretieren. Interessanterweise haben sich ja in den letzten Jahrhunderten im Westen Weihnachtsbräuche entwickelt, die eigentlich mit den historischen Gegebenheiten vor 2000 Jahren in Israel wenig zu tun haben, dafür aber germanisch-keltische Elemente integrieren, die sehr stark an Kundalini Yoga Symbolik erinnern: In der Adventszeit werden vier Kerzen nacheinander angezündet. Dies kann man sehen als Symbol für die schrittweise Öffnung der ersten 4 Chakras, Bewusstseinszentren:
- Muladhara Chakra, das Erdzentrum, die Verankerung in der Natur
- Swadhisthana Chakra, das Wasserzentrum, der Zugang zur Quelle der Kreativität, die Verbindung mit anderen Menschen
- Manipura Chakra, das Feuerzentrum, der Enthusiasmus, das Gestalten der Lebenswelt.
- Anahata Chakra, das Luftzentrum, ist das Herz-Chakra, der Sitz der Liebe, der Schau Gottes und der Freude.
Wenn das Anahata Chakra, das Herz-Chakra, geöffnet ist, kann das Jesus-Kind, also die Liebe Gottes, das Christus-Bewusstsein, in uns geboren werden.
Wenn dann die Gottesliebe in uns erwacht, wird es schön, hell, warm. Das wird symbolisiert durch den Weihnachtsbaum, der mit vielen Lichtern und reichem Schmuck erstrahlt. Man kann de Weihnachtsbaum sogar als Allegorie für das Nadi-Chakra-System sehen: Der Stamm ist wie die feinstoffliche Wirbelsäule (Sushumna Nadi). Die Stellen, an denen die Äste aus dem Stamm kommen, sind wie die Chakras (Energiezentren). Wenn Gott in uns geboren wird, ist das die Erweckung der Kundalini, welches zu allen möglichen Lichterfahrungen, Wonneerfahrungen, Segenserfahrungen führt, was durch die vielen Lichter und den Schmuck symbolisiert wird.
Das Herzchakra, das mit Weihnachten so viel zu tun hat, steht für Liebe und Freude. Die ganze Symbolik des Schenkens, des Feierns in der Familie, steht so für dieses Anahata Chakra. Auch wenn vieles heutzutage veräußerlicht scheint, kannst du doch hinter allem Materialismus tiefe spirituelle Symbolik erkennen.
Die Umstände der Geburt von Jesus Christus als Symbol für Raja und Jnana Yoga
Jesus wurde inmitten der Nacht geboren. Interessanterweise wurden auch Buddha und Krishna der Legende nach genau um Mitternacht geboren. Jesus wurde darüber hinaus dann geboren, wenn die Tage am kürzesten sind. Und wenn es am dunkelsten ist, dann wird Gott geboren. Jesus wurde in einer Krippe, in einem Viehstall, also in ärmsten Verhältnissen geboren. Um diese Symbolik noch zu verstärken, wurde in früheren Jahrhunderten von den Strenggläubigen während der ganzen Adventszeit gefastet, bzw. mindestens kein Fleisch gegessen. Die Älteren (oder Mittelalten) unter den Lesern werden sich vielleicht erinnern, dass früher außer am Nikolaustag während der Adventszeit keine Plätzchen etc. gegessen wurde, sondern erst nach dem Gottesdienst an Heiligabend. Und für gläubige Christen ist oft der Mitternachtsgottesdienst, die Christmette, eine besondere spirituelle Erfahrung. Die Christmette ist typischerweise von sehr meditativer Stimmung.
Im Jnana Yoga, dem Yoga der Erkenntnis, gibt es die „Sadhana Chatushtaya“, die vier Eigenschaften eines Aspiranten. Die erste ist „Vairagya“, das Loslassen von Verhaftungen und Wünschen. Dies entspricht auch der ersten Seligpreisung Jesu: „Selig sind die da arm sind im Geiste, denn ihren gehört das Himmelsreich“ (Matth. 5,3). Wenn unser Geist sich von Verhaftungen löst, wofür Mitternacht und die dunkelste Zeit im Jahr steht, kann Jesus in uns geboren werden.
Vairagya entsteht manchmal auch durch schwere Schicksalsschläge. Viele Menschen sind durch schwere Krankheit, durch Verluste und persönliche Krisen auf den spirituellen Weg gekommen. Manchmal braucht es „tiefste innere Nacht“, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, um sich auf tiefere Wahrheiten zu besinnen. Wie ein altes Sprichwort sagt: „Immer wenn du meinst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.“
Im Yoga Sutra von Patanjali, der wichtigsten Schrift des Raja Yoga, heißt es: „Yogash Chitta-Vrtti-Nirodha. Tada Drashtu Svarupe ‘vasthnam“ (Yoga Sutra I 2-3): „Yoga ist das zur-Ruhe-Kommen der Gedanken im Geist. Dann ruht der Sehende in seinem wahren Wesen“. Die Mitte der längsten Nacht im Jahr symbolisiert die tiefe Meditation. Wenn der Geist in der Meditation zur Ruhe gekommen ist, erfährt der Meditierende seine wahre Natur. Und die Erfahrung der wahren Natur ist wie die Geburt Gottes im Menschen.
Wenn die Tage am kürzesten sind inmitten der Nacht ("Weih-Nacht"), wenn unser Geist sich zurückzieht von den äußeren Ablenkungen, alles (unsere Sinne und Gedanken) schläft, dann kann das "Hochheilige Paar" Unterscheidungskraft (Joseph) und Intuition (Maria) wachen, und die Geburt des Gottesbewusstseins (Jesuskind) erleben.
Zusammenfassung: Wintersonnenwende, Weihnachten und Yoga
Das waren nur einige Gedanken zu Weihnachten, Advent, Wintersonnenwende, Christentum und Yoga. Die Absicht dieses Artikels ist, einen sicherlich unvollkommenen Beitrag zur Verständigung zwischen Religionen und Kulturen zu leisten, gemäß dem Motto: „Einheit in Verschiedenheit“. Hoffentlich fühlt niemand, dass seine religiösen Gefühle verletzt wurden oder bestimmte christliche oder andere Lehren unvollständig oder unkorrekt dargestellt wurden. Da die Interpretationen von Christentum so unterschiedlich sind, ist es nahezu unmöglich, über christliche Glaubensinhalte und Jesus zu schreiben, ohne dass jemand fühlt, dass etwas ganz falsch geschrieben wurde. Die Absicht dieses Artikels ist keinesfalls, jemanden verletzen oder schlecht über etwas schreiben zu wollen.
Es soll auch darauf hingewiesen werden, dass man Yoga auch praktizieren kann, ohne an einen „persönlichen Gott“ zu glauben. Wer also alles oben Gesagte als zu „religiös“ empfindet, kann die Yoga Praxis mit einem anderen Bezug angehen. Yoga kann als religionsübergreifendes und religionstranszendierendes Übungssystem, das auf Erfahrungswissen beruht und empirischer Forschung zugänglich ist, mit verschiedensten weltanschaulichen, religiösen und nicht theistischen Überzeugungen einhergehen bzw. auch ohne eine konkret feste Überzeugung geübt werden.
Wenn du während der Adventszeit durch die hell strahlenden Einkaufsstraßen gehst, erinnerst du dich vielleicht daran, dass dies symbolhaft für innere Erleuchtung steht. Wenn du siehst, wie die Menschen nach Geschenken rennen, denke vielleicht daran, dass dies Ausdruck von Liebe und Mitgefühl ist. Und vielleicht findest du in der Adventszeit Momente der Besinnung, an denen du über tiefere Fragen nachdenken kannst. Wenn es irgendwie geht, meditiere am 24.12. um Mitternacht. Fühle dich verbunden mit Suchenden auf der ganzen Welt. Schaue, ob das Christusbewusstsein oder wie auch immer du es nenne willst zu dieser Stunde in dir neu geboren wird.
In diesem Sinne kannst du jedes Jahr von Neuem eine Frohe Adventszeit und Gesegnete Weihnachten erfahren.
Siehe auch
- Yoga und Christentum
- Yoga
- Jesus Christus
- Weltreligionen
- Weihnachten
- Diwali
- Spiritueller Kalender
- Raunächte
- Silvester
- Herzensgebet
- Kontemplation
- Meditation
- Innenschau
- Gnade
- Jayanti
- Indische Götter
- Hingabe
- Bhakti
- Karma Yoga
- Bhakti Yoga
- Yoga Vidya
Literatur
- Swami Sivananda: Feste und Fastentage im Hinduismus, Yoga Vidya Verlag
- Götter und Göttinnen im Hinduismus
- Yoga Geschichten nacherzählt von Sukadev Bretz
- Die Yogaweisheit des Patanjali für Menschen von Heute
- Swami Sivananda, Die Kraft der Gedanken (2012)
- Swami Sivananda, Inspirierende Geschichten (2005)
- Swami Sivananda, Göttliche Erkenntnis (2001)
- Swami Sivananda, Hatha-Yoga. Der sichere Weg zu guter Gesundheit, langem Leben und Erweckung der höheren Kräfte (1964)
Weblinks
- Homepage von Yoga Vidya
- Swami Sivananda
- Artikel von Swami Sivananda
- Swami Sivanandas Integraler Yoga
- Der ganzheitliche Yoga in der Tradition von Swami Sivananda
- The Divine Life Society - Swami Sivananda
Seminare
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