Sanskrit Kurs Lektion 113

Aus Yogawiki

Dieser Sanskrit Kurs führt anhand einfacher Beispielsätze und -verse in die Grammatik des Sanskrit ein. Einen ausführlichen Überblick über das Sanskrit findest Du im Artikel Sanskrit. Hinweise zur indischen Schrift, der wissenschaftlichen Umschrift (Transliteration) sowie der korrekten Aussprache gibt der Artikel Devanagari. Stichwörter, nach denen Du in der Yoga Vidya Wiki suchen kannst, sind in vereinfachter Schreibweise (Transkription) wiedergegeben.


Die Verben der 10. Klasse bzw. Chur Klasse (2)

In Lektion 112 haben wir die Beugung (Konjugation) der Verben der 10. bzw. Chur Klasse der thematischen Konjugation) in der Gegenwart betrachtet. Nun folgt ein Beispielvers aus der Hatha Yoga Pradipika, die Auflösung des Formen-Rätsels aus Lektion 112 sowie ein neues Formen-Rätsel.


Beispielvers aus der Hatha Yoga Pradipika

Die gesamte Hatha Yoga Pradipika besteht aus Versen, deren häufigstes Versmaß (Chhandas) der Shloka (Anushtubh) ist. Hier folgt ein Vers aus dem dritten Kapitel (Upadesha), das der Praxis der Mudras und Bandhas gewidmet ist. Der 47. Vers steht im Kontext von Khechari Mudra.


गोमांसं भक्षयेन्नित्यं पिबेदमरवारुणीम् |
कुलीनं तमहं मन्य इतरे कुलघातकाः || ४७ ||


  • wissenschaftliche Transliteration:
go-māṃsaṃ bhakṣayen nityaṃ pibed amara-vāruṇīm |
kulīnaṃ tam ahaṃ manya itare kula-ghātakāḥ || 3.47 ||


  • vereinfachte Transkription:
go-mamsam bhakshayen nityam pibed amara-varunim |
kulinam tam aham manya itare kula-ghatakah || 3.47 ||


  • Wort-für-Wort-Übersetzung:
go-māṃsam : das Fleisch (Mamsa, Akk. Sg. m.) der Kuh (Go)
bhakṣayet : (wer) verzehrt, isst, verschlingt (bhakṣ)
nityam : täglich ("stets", Nitya, adv.)
pibet : (wer) trinkt (, Verb)
amara-vāruṇīm : den Branntwein (Varuni, Akk. Sg. f.) der Götter (der "Unsterblichen", Amara)
kulīnam : (als) aus edler Familie stammend, edelgebürtig (Kulina, Akk. Sg. m.)
tam : einen solchen, diesen (Yogi, Tad, Akk. Sg. m.)
aham : ich (Aham, Nom. Sg.)
manye : erachte (man, Verb)
itare : die anderen (Itara, Nom. Pl. m.)
kula-ghātakāḥ : (als) Zerstörer, Mörder (Ghataka, Nom. Pl. m.) ihrer Familie (Kula)


  • Übersetzung:
(Wer) täglich Kuhfleisch isst (d.h. seine Zunge "verschluckt", und) den Branntwein der Götter trinkt,
den erachte ich als aus edler Familie stammend. (Alle) anderen sind Zerstörer ihrer Familie.


Erläuterungen

  • Syntax: Dieser Vers besteht aus vier kurzen Sätzen (Vakya), die sich jeweils über ein Versviertel (Pada) erstrecken. Im ersten Halbvers (Pada 1. und 2) ist ein Relativpronomen yaḥ ("welcher, wer" Yad) zu ergänzen, welches sich als Korrelativpronomen syntaktisch auf das Demonstrativpronomen tam ("den, diesen" Tad) im 3. Pada bezieht. Der vierte Satz (Pada 4) ist ein Nominalsatz, d.h. er besteht nur aus Nomen.
  • Der Akkusativ (Dvitiya) go-māṃsam "Kuh-Fleisch" ist ein Kompositum (Samasa) des Typs Tatpurusha und das logische Objekt (Karman) der Verbalhandlung bhakṣayet.
  • Das Adverb nityam "stets, immer" bezieht sich auf die beiden Optative bhakṣayet und pibet.
  • Der Akkusativ amara-vāruṇīm "Götter-Branntwein" ist ebenfalls ein Tatpurusha-Kompositum und das logische Objekt (Karman) der Verbalhandlung pibet.
  • Der Akkusativ kulīnam ist ein Adjektiv und das zweite bzw. indirekte logische Objekt (Karman) der Verbalhandlung manye. Das Substantiv kulīna bezeichnet auch einen Verehrer der Shakti nach dem tantrischen Ritual der "linken Hand" (Vamamarga).
  • Der Akkusativ tam ist das erste bzw. direkte logische Objekt (Karman) der Verbalhandlung manye. Es handelt sich um das Demonstrativpronomen tad ("der, dieser"), welches sich auf kulīnam bezieht und daher ebenfalls im Akkusativ Singular Maskulinum steht.
  • Das Personalpronomen aham "ich" ist der Nominativ des Pronominalstammes Mad, von dem die Kasusformen der 1. Person Singular gebildet werden. Das Personalpronomen muss im Sanskrit nicht explizit ausgedrückt werden, da die Personalendung der Verbform manye bereits eindeutig die 1. Person Singular bezeichnet (vgl. lat. amo "ich liebe").
  • Die Verbform manye ("ich halte für, erachte als") ist die 1. Person Singular Indikativ (Präsens Medium bzw. Atmanepada) der Verbalwurzel man "denken, meinen, halten für" (4. bzw. Div Klasse). Das Verb manye ist hier doppelt transitiv (Dvikarmaka), d.h. es hat ein direktes Objekt (Mukhyakarman) hier: wen der Autor als etwas "erachtet" (tam "den"), und ein indirektes Objekt (Gunakarman) hier: als was er diesen "erachtet", nämlich als kulīnam "aus edler Familie stammend".
  • Der Nominativ (Prathama) itare "die anderen" ist das logische Subjekt (Agens, Kartri) des Nominalsatzes in Pada 4. Die Verbform santi "sind" (3. Person Plural der Verbalwurzel as "sein", 2. bzw. Ad Klasse) wird dem Kontext gemäß mitgedacht.
  • Das Tatpurusha-Kompositum kula-ghātakāḥ "Familien-Zerstörer" bezieht sich innerhalb des Nominalsatzes als ein Attribut (Visheshana) auf das Adjektiv itare, weshalb es ebenfalls im Nominativ Plural Maskulinum steht.
  • Sandhi: Die Endung m von go-māṃsam, nityam, kulīnam und aham geht vor folgendem Konsonanten (Vyanjana) in Anusvara () über, der vereinfacht wie m auszusprechen ist. Das auslautende stimmlose t von bhakṣayet wird vor n ebenfalls zu n assimiliert. Das auslautende stimmlose t von pibet wird vor anlautenden Vokalen (hier: a) zu stimmhaftem d. Das auslautende e von manye wird vor anlautenden Vokalen (hier: i) zu a: manya itare.


Metrische Analyse des 3. und 4. Pada

Betrachten wir das dritte (Tritiya) und vierte (Chaturtha) Versviertel (Pada) dieses Shloka noch einmal hinsichtlich der Längen (Dirgha) und Kürzen (Hrasva) der einzelnen Silben (Akshara). Lange Silben enden auf langen Vokal, oder auf einen kurzen Vokal (Svara), der von zwei Konsonanten (Vyanjana) gefolgt wird (inklusive Anusvara und Visarga). Dies nennt man Positionslänge*. Kurze Silben enden auf kurzen Vokal:


Silbe 1 2 3 4 5 6 7 8 1 2 3 4 5 6 7 8
Devanagari कु ली नं हं न्य रे कु घा काः
Transliteration ku naṃ ta ma haṃ ma nya i ta re ku la ghā ta kāḥ
Silbenlänge kurz lang lang* kurz kurz lang* lang* lang! kurz kurz lang kurz kurz lang kurz lang
Symbol υ υ υ × υ υ υ υ υ


Erläuterungen: Alle acht Silben jedes Pada werden in einem Zuge, also ohne Pause, ausgesprochen. Zwischen den Versvierteln wird eine kurze Pause (Yati) eingehalten, so dass die letzte Silbe eines Pada stets als lang gilt, unabhängig von ihrer tatsächlichen Kürze oder Länge (× "Anceps"). Dies betrifft hier insbesondere ra - die 8. Silbe des dritten Pada - die für sich genommen kurz wäre. Die Positionslänge der 7. Silbe (Pada 3) ergibt sich durch die Aufteilung in man-ya. Anusvara) führt stets zur Längung einer Silbe, hier bei naṃ und haṃ, der 3. und 6. Silbe im dritten Pada.

An der Grenze vom 3. zum 4. Pada ergibt sich zwischen nya und i ein sogenannter Hiatus (Vivritti), d.h. das unverbundene Aussprechen zweier Vokale an der Grenze zweier Silben.


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