Sanskrit Kurs Lektion 78

Aus Yogawiki

Dieser Sanskrit Kurs führt anhand einfacher Beispielsätze und -verse in die Grammatik des Sanskrit ein. Einen ausführlichen Überblick über das Sanskrit findest Du im Artikel Sanskrit. Hinweise zur indischen Schrift, der wissenschaftlichen Umschrift (Transliteration) sowie der korrekten Aussprache gibt der Artikel Devanagari. Stichwörter, nach denen Du in der Yoga Vidya Wiki suchen kannst, sind in vereinfachter Schreibweise (Transkription) wiedergegeben.

Vokalische Nominalstämme (7)

In Lektion 65 haben wir den Singular der weiblichen Substantive auf betrachtet. Nun schauen wir uns den Singular der abgeleiteten weiblichen Substantive auf an.

Bildung

Übersicht 1: häufige abgeleitete Substantive und Adjektive auf

Von vielen Substantiven (m./n.) und Adjektiven kann regelmäßig eine weibliche Form abgeleitet werden, indem an deren Endung ein langes gefügt bzw. ein kurzes -a durch ein langes ersetzt wird:

  • siṃha (m.) "Löwe" > siṃhī (Simhi f.) "Löwin"
  • yogin (m.) "Yogi" > yoginī (Yogini f.) "Yogini"
  • sādhu (adj.) "gut, richtig; ein Guter, Heiliger" > sādhvī* (Sadhvi f.) "eine Gute, Heilige"

*Anmerkung: Vor der Femininendung geht das -u eines darauf auslautenden Nominalstammes in den Halbvokal -v- über.

Devanagari Transliteration siehe Bedeutung abgeleitet von siehe Bedeutung
देवी devī Devi die Himmliche, Göttin deva Deva himmlich; Gott
सिंही siṃhī Simhi Löwin siṃha Simha Löwe
व्याघ्री vyāghrī Vyaghri Tigerin vyāghra Vyaghra Tiger
हंसी haṃsī Hamsi (weibl.) Gans haṃsa Hamsa (männl.) Gans, Ganter; Seele
गुर्वी gurvī Gurvi die Schwere; eine schwangere Frau guru Guru schwer; Lehrer
लघ्वी laghvī Laghvi die Leichte laghu Laghu leicht
साध्वी sādhvī Sadhvi die Gute; eine Heilige sādhu Sadhu gut; ein Heiliger
स्वाद्वी svādvī Svadvi die Süße; Weintraube svādu Svadu süß
योगिनी yoginī Yogini Yogini yogin Yogin Yogin
कुण्डलिनी kuṇḍalinī Kundalini die mit Ohrringen Geschmückte, die Geringelte; die mystische Schlangenkraft kuṇḍalin Kundalin mit Ohrringen geschmückt, geringelt; Schlange
रोगिनी roginī Rogini die Kranke rogin Rogin krank
सुखिनी sukhinī Sukhini die Glückliche sukhin Sukhin glücklich
बलवती balavatī Balavati die Starke balavat Balavat stark
सरस्वती sarasvatī Sarasvati die Sarasvati (ein Fluss) sarasvat Sarasvat wasserreich, reich an Teichen
सती satī Sati die Gute sat* Sat seiend, gut
भवन्ती bhavantī Bhavanti die Gegenwärtige; Gegenwart, Präsens bhavant* Bhavant seiend, gegenwärtig

*Anmerkung: Die Formen sat und bhavant sind das Partizip Präsens Aktiv der Wurzeln as "sein" und bhū "sein, gegenwärtig sein, werden".


Übersicht 2: Singular der abgeleiteten weiblichen Substantive auf

In der folgenden Übersicht wurde das weibliche Wort Devi ("Göttin") in allen acht Fällen des Singulars (Einzahl, Ekavachana) dekliniert. Diesem Bildungstyp folgen alle abgeleiteten weiblichen Substantive auf . Das Femininum devī ist von deva ("Gott", Deva) abgeleitet.

Fall (Kasus) Sanskritname Frage Devanagari Transliteration Transkription deutsche Wiedergabe
1. Nominativ Prathama Wer? Was? देवी devī devi "die Göttin"
2. Akkusativ Dvitiya Wen? Wohin? देवीम् devīm devim "die Göttin"
3. Instrumental Tritiya Mit wem? Womit? देव्या devyā devya "mit der Göttin"
4. Dativ Chaturthi Wem? देव्यै devyai devyai "der Göttin"
5. Ablativ Panchami Von wem? Von wo? देव्याः devyāḥ devyah "von der Göttin (her)"
6. Genitiv Shashthi Wessen? Wovon? देव्याः devyāḥ devyah "der Göttin"
7. Lokativ Saptami Wo? देव्याम् devyām devyam "bei der Göttin"
8. Vokativ Sambodhana Rufform (oh ..., he ...!) देवि devi devi "(oh) Göttin!"

Anmerkungen: Der Nominativ endet auf langes , der Vokativ endet auf kurzes -i. Die Formen des Genitivs und Ablativs lauten beide gleich (devyāḥ). Vor vokalischen Deklinationsendungen (Instr., Dat., Abl., Gen., Lok.) geht das lange des Stammes in den Halbvokal -y- über.


Beispielvers aus der Hatha Yoga Pradipika

Die gesamte Hatha Yoga Pradipika besteht aus Versen, deren häufigstes Versmaß (Chhandas) der Shloka (Anushtubh) ist. Hier folgt ein Vers aus dem dritten Kapitel (Upadesha), das der Praxis der Mudras und Bandhas gewidmet ist. Der 110. Vers steht im Kontext der Erweckung der Kundalini.


इडा भगवती गङ्गा पिङ्गला यमुना नदी |
इडापिङ्गलयोर्मध्ये बालरण्डा च कुण्डली || ३.११० ||


  • wissenschaftliche Transliteration:
iḍā bhagavatī gaṅgā piṅgalā yamunā nadī |
iḍā-piṅgalayor madhye bāla-raṇḍā ca kuṇḍalī || 3.110 ||


  • vereinfachte Transkription:
ida bhagavati ganga pingala yamuna nadi |
ida-pingalayor madhye bala-randa cha kundali || 3.110 ||


  • Wort-für-Wort-Übersetzung:
iḍā : (der Energiekanal namens) Ida (Nom. Sg. f.)
bhagavatī : (ist) die herrliche, erhabene, heilige (Bhagavati, Nom. Sg. f.)
gaṅgā : Ganga (der Ganges, Nom. Sg. f.)
piṅgalā : (der Energiekanal namens) Pingala (Nom. Sg. f.)
yamunā : Yamuna (Nom. Sg. f.)
nadī : (ist) der Fluss (Nadi, Nom. Sg. f.)
iḍā-piṅgalayoḥ : Ida und Pingala (Gen. Du. f.)
madhye : zwischen ("in der Mitte", Madhya, Lok. Sg. n.)
bāla-raṇḍā : die junge (Bala) Witwe (Randa, Nom. Sg. f.)
ca : und (Cha)
kuṇḍalī : (ist) die Kundali (die "Schlangenkraft" Kundalini, Nom. Sg. f.)


  • Übersetzung:
Ida ist die heilige Ganga. Pingala ist der Fluss Yamuna.
Und die junge Witwe zwischen Ida und Pingala ist die Kundali(ni).

Erläuterungen

  • Syntax: Dieser Vers besteht aus drei Nominalsätzen, d.h. Sätzen (Vakya) ohne finite Verbform, in denen die Verbform "ist" im Sanskrit mitverstanden wird. Der erste Halbvers besteht aus den beiden Nominalsätzen iḍā bhagavatī gaṅgā und piṅgalā yamunā nadī.
  • Die beiden Nominative (Prathama) iḍā und gaṅgā stehen als Bezugswort und Apposition nebeneinander, wobei die Bedeutung der Verbform "ist" impliziert ist.
  • Die beiden Nominative piṅgalā und yamunā stehen ebenfalls als Bezugswort und Apposition nebeneinander, wobei die Bedeutung der Verbform "ist" impliziert ist.
  • Der Nominativ nadī bezieht sich als Apposition auf yamunā: "der Fluss Yamuna".
  • Der Genitiv (Shashthi) Dual iḍā-piṅgalayoḥ "von Ida und Pingala" bezieht sich auf den Lokativ madhye. Es handelt sich um ein Kompositum (Samasa) vom Typ Dvandva, das im Deutschen mit "und" aufzulösen ist.
  • Der Lokativ (Saptami) madhye "in der Mitte, zwischen" bezeichnet den Ort (Adhikarana) der Handlung.
  • Die beiden Nominative bāla-raṇḍā und kuṇḍalī stehen ebenfalls als Bezugswort und Apposition nebeneinander, wobei die Bedeutung der Verbform "ist" impliziert ist. Das Kompositum bāla-raṇḍā gehört zum Typ Karmadharaya. Bei diesem Typ stehen nach der Auflösung des Kompositums beide Glieder im selben Kasus : bāla-raṇḍā = bālā (Nom.) raṇḍā (Nom.) "die junge Witwe".
  • Sandhi: Die Form iḍā-piṅgalayor steht für iḍā-piṅgalayoḥ, da Visarga () nach anderen Vokalen als a oder ā vor stimmhaften Konsonanten (hier: m) zu -r wird.


Metrische Analyse des 3. und 4. Pada

Betrachten wir das dritte (Tritiya) und vierte (Chaturtha) Versviertel (Pada) dieses Shloka noch einmal hinsichtlich der Längen (Dirgha) und Kürzen (Hrasva) der einzelnen Silben (Akshara). Lange Silben enden auf langen Vokal, oder auf einen kurzen Vokal (Svara), der von zwei Konsonanten (Vyanjana) gefolgt wird (inklusive Anusvara und Visarga). Dies nennt man Positionslänge*. Kurze Silben enden auf kurzen Vokal:


Silbe 1 2 3 4 5 6 7 8 1 2 3 4 5 6 7 8
Devanagari डा पि ङ्ग यो र्म ध्ये बा ण्डा कु ण्ड ली
Transliteration i ḍā pi ṅga la yo rma dhye la ra ṇḍā ca ku ṇḍa
Silbenlänge kurz lang lang* kurz kurz lang lang* lang lang kurz lang* lang kurz lang* kurz lang
Symbol υ υ υ υ υ υ


Hinweise zur Aussprache: Alle acht Silben jedes Pada werden in einem Zuge, also ohne Pause, ausgesprochen. Zwischen den Versvierteln wird eine kurze Pause (Yati) eingehalten. Die Positionslänge der 3. und 7. Silbe (Pada 3) bzw. der 3. und 6. Silbe (Pada 4) ergibt sich durch die Aufteilung in piṅ-ga und madh-ye bzw. ra-ṇḍā und kuṇ-ḍa.


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