Sanskrit Kurs Lektion 30: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 6. September 2016, 16:51 Uhr

Dieser Sanskrit Kurs führt anhand einfacher Beispielsätze und -verse in die Grammatik des Sanskrit ein. Einen ausführlichen Überblick über das Sanskrit findest Du im Artikel Sanskrit. Hinweise zur indischen Schrift, der wissenschaftlichen Umschrift (Transliteration) sowie der korrekten Aussprache gibt der Artikel Devanagari. Stichwörter, nach denen Du in der Yoga Vidya Wiki suchen kannst, sind in vereinfachter Schreibweise (Transkription) wiedergegeben.

Das Kompositum (3)

In den Lektionen 28 und 29 haben wir das Kompositum (Samasa) näher betrachtet. Dabei stellten wir fest, dass im Sanskrit ein Kompositum innerhalb eines Satzes (Vakya) als Substantiv, Adjektiv oder Adverb verwendet werden kann. Ein besonderer Bildungstyp des adjektivisch verwendeten Kompositums (Bahuvrihi) ist die Verbindung von Partizip Präteritum Passiv (PPP) und Substantiv:


  • jitendriya aus jita "besiegt, bezwungen" (Jita) + indriya "Sinnesorgan" (Indriya): der seine Sinne bezwungen hat (Jitendriya)
  • mitāśana aus mita "gemessen, gemäßigt" (Mita) + aśana "Essen, Speise" (Ashana): dessen Essen gemäßigt ist, der mäßig isst (Mitashana)
  • kṛta-śrama aus kṛta "gemacht, unternommen" (Krita) + śrama "Anstrengung, Bemühung" (Shrama): der sich Mühen unterzogen hat, der sich bemüht hat (Kritashrama)
  • mukta-kara aus mukta "befreit, geöffnet" (Mukta) + kara "Hand" (Kara): eine offene Hand habend, freigebig (Muktakara)
  • labdha-vara aus labdha "erlangt" (Labdha) + vara "Wunsch" (Vara): der seinen Wunsch erlangt hat (Labdhavara)


Beim Zusammensetzen der einzelnen Wörter sind an den "Schnittstellen" die Wohllautregeln des Sandhi zu beachten (Einzelheiten siehe hier). Dabei verschmelzen gleichartige Vokale (Svara) zu einem Langvokal, z.B. wird a + a zu ā. Ungleichartige Vokale werden besonders behandelt, z.B. wird a + i zu e.

Bei all diesen Komposita ist das Vorderglied ein Adjektiv bzw. PPP, das eine Handlung ausdrückt, die in irgendeiner Beziehung zum Hinterglied des Kompositums steht, das jeweils ein Substantiv ist.


Grammatische Übereinstimmung (Kongruenz)

Ein als Adjektiv (Visheshana) fungierendes Kompositum (Bahuvrihi) nimmt Fall (Kasus), Zahl (Numerus) und Geschlecht (Genus) des Substantivs an, auf das es sich bezieht:


  • jitendriyaḥ puruṣaḥ "ein Mann (Purusha, Nom. Sg. m.), der seine Sinne bezwungen hat (Jitendriya, Nom. Sg. m.)"
  • jitendriyā strī "eine Frau (Stri, Nom. Sg. f.), die ihre Sinne bezwungen hat (Jitendriya, Nom. Sg. f.)"
  • mitāśano yogī* "ein Yogi (Nom. Sg. m.), der mäßig isst (Mitashana, Nom. Sg. m.)"
  • mitāśanā yoginī "eine Yogini (Nom. Sg. f.), die mäßig isst (Mitashana, Nom. Sg. f.)"


*Die Form mitāśano steht für mitāśanaḥ, da auslautendes -aḥ vor stimmhaften Konsonanten (hier: y) zu -o wird. Der Nominativ Singular des maskulinen Stammes yogin lautet yogī.


Beispielvers aus der Hatha Yoga Pradipika

Die gesamte Hatha Yoga Pradipika besteht aus Versen, deren häufigstes Versmaß (Chhandas) der Shloka (Anushtubh) ist. Hier folgt ein Vers aus dem zweiten Kapitel (Upadesha) der Hatha Yoga Pradipika, das der Praxis des Pranayama gewidmet ist. Der 7. Vers beschreibt die erste Phase der Reinigungsatmung (Nadi Shodhana), die auch als Wechselatmung bzw. Anuloma Viloma bekannt ist.


बद्धपद्मासनो योगी प्राणं चन्द्रेण पूरयेत् |
धारयित्वा यथाशक्ति भूयः सूर्येण रेचयेत् || २.७ ||


  • wissenschaftliche Transliteration:
baddhapadmāsano yogī prāṇaṃ candreṇa pūrayet |
dhārayitvā yathāśakti bhūyaḥ sūryeṇa recayet || 2.7 ||


  • vereinfachte Transkription:
baddhapadmasano yogi pranam candrena purayet |
dharayitva yathashakti bhuyah suryena recayet || 2.7 ||


  • Wort-für-Wort-Übersetzung:
baddha-padmāsanaḥ : der den Lotussitz (Padmasana) eingenommen ("gebunden") hat (Baddha, Partizip Präteritum Passiv der Wurzel badh/bandh, Nom. Sg. m.)
yogī : der Yogi (Nom. Sg. m.)
prāṇaṃ : den Atem, die Lebensenergie (Prana, Akk. Sg. m.)
candreṇa : durch den Mond(kanal, das linke Nasenloch, Chandra, Instr. Sg. m.)
pūrayet : soll einatmen (pṝ, Verb‏‎)
dhārayitvā : nachdem er (den Atem) angehalten hat (dhṛ, Absolutivum)
yathā-śakti : nach Vermögen (wie es in seiner Macht steht", Yathashakti)
bhūyaḥ : wieder (Bhuyas, Adverb)
sūryeṇa : durch den Sonne(nkanal, das rechte Nasenloch, Surya, Instr. Sg. m.)
recayet : soll ausatmen (ric, Verb)


  • Übersetzung:
Der Yogi, der den Lotussitz (Padmasana) eingenommen hat, soll den Atem (Prana) durch den Mondkanal (das linke Nasenloch bzw. Chandra) einatmen.
Nachdem er (den Atem) nach Vermögen angehalten hat, soll er durch den Sonnenkanal (das rechte Nasenloch bzw. Surya) wieder ausatmen.


Erläuterungen

  • Dieser Vers enthält zwei Komposita (Samasa), die jeweils als Adjektiv (baddha-padmāsanaḥ) und als Adverb (yathā-śakti) fungieren.
  • Das Kompositum baddha-padmāsanaḥ bezieht sich als Adjektiv auf yogī und steht daher ebenfalls im Nominativ Singular Maskulinum.
  • Der Nominativ (Prathama) yogī ist das logische Subjekt bzw. der Agens (Kartri) der Verbalhandlungen pūrayet und recayet sowie des Absolutivums dhārayitvā.
  • Der Akkusativ (Dvitiya) prāṇam ist das logische Objekt (Karman) der Verbalhandlungen pūrayet und recayet.
  • Der Instrumental (Tritiya) candreṇa steht als Instrument der Handlung (Karana) in syntaktischem Zusammenhang zum Verb pūrayet. Er bezeichnet hier den Weg bzw. die Passage der Atemluft beim Einatmen.
  • Die Verbform pūrayet ("er soll einatmen") ist die 3. Person Singular (Optativ Präsens Aktiv bzw. Parasmaipada) des Kausativs der Verbalwurzel (Dhatu) pṝ "füllen, einatmen". Der Optativ drückt einen Wunsch oder eine Möglichkeit, eine höfliche Aufforderung oder - wie in diesem Falle - eine neutrale Anweisung aus.
  • Der Instrumental sūryeṇa steht als Instrument der Handlung in syntaktischem Zusammenhang zum Verb recayet. Er bezeichnet hier den Weg bzw. die Passage der Atemluft beim Ausatmen.
  • Das Absolutivum dhārayitvā bezeichnet eine Nebenhandlung (Guna Kriya), die (in der Regel) vor der eigentlichen Haupthandlung (Mukhya Kriya, hier: recayet) erfolgt, und mit dieser dasselbe logische Subjekt (hier: yogī) hat. Die Form dhārayitvā ist vom Kausativ der Wurzel dhṛ "halten, anhalten" abgeleitet.
  • Das Adverb yathā-śakti "nach Vermögen" ist ein adverbielles Kompositum (Avyayibhava) und als Umstandsbestimmung der Art und Weise eine nähere Bestimmung zum Absolutivum dhārayitvā.
  • Sandhi: Gleichartige Vokale (Svara) verschmelzen in Komposita zu einem Langvokal: a + ā wird zu ā in °padmāsanaḥ Die Form baddha-padmāsano steht für baddha-padmāsanaḥ, da auslautendes -aḥ vor stimmhaften Konsonanten (hier: y) zu -o wird. In den beiden Instrumentalen candreṇa und sūryeṇa wird das n der Endung durch das vorangehende r (Repha) zu , d.h. es wird "zerebralisiert".


Auflösung und Übersetzung der Komposita

  • Dem dreigliedrigen Kompositum baddha-padmāsanaḥ liegt das zweigliedrige padmāsanaḥ, also padma (Substantiv) + āsana (Substantiv) zugrunde, dem das Adjektiv bzw. PPP baddha vorangestellt wurde. Es handelt sich hier nicht um die als Baddha Padmasana bekannte Variante des Lotussitzes (dann wäre das Wort ein Neutrum), sondern um ein adjektivisch verwendetes Kompositum (Bahuvrihi), das nach dem Kommentator Brahmananda wie folgt aufzulösen ist: baddhaṃ padmāsanam yena tādśo yogī, d.h. "ein solcher (tādśaḥ, Tadrisha) Yogi, durch den (yena, Yad) Padmasana eingenommen (Baddha) wurde".
  • Das Kompositum yathā-śakti (Yathashakti) ist ein adverbielles Kompositum (Avyayibhava), das sich aus dem Adverb Yatha "wie" und dem Substantiv Shakti "Macht, Vermögen" zusammensetzt. Ein solches adverbielles Kompositum wird auch als Indeklinabile (Avyaya) bezeichnet, d.h. es verändert seine Form nicht bzw. ist nicht deklinierbar.


Metrische Analyse des 3. und 4. Pada

Betrachten wir das dritte (Tritiya) und vierte (Chaturtha) Versviertel (Pada) dieses Shloka noch einmal hinsichtlich der Längen (Dirgha) und Kürzen (Hrasva) der einzelnen Silben (Akshara). Lange Silben enden auf langen Vokal (auf den noch ein Konsonant folgen kann), oder auf einen kurzen Vokal (Svara), der von zwei Konsonanten (Vyanjana) gefolgt wird (inklusive Anusvara und Visarga). Dies nennt man Positionslänge*. Kurze Silben enden auf kurzen Vokal:


Silbe 1 2 3 4 5 6 7 8 1 2 3 4 5 6 7 8
Devanagari धा यि त्वा था क्ति भू यः सू र्ये रे येत्
Transliteration dhā ra yi tvā ya thā śa kti bhū yaḥ rye ṇa re ca yet
Silbenlänge lang kurz lang* lang kurz lang lang* lang** lang lang* lang lang kurz lang kurz lang
Symbol υ υ υ υ


Hinweise zur Aussprache: Alle acht Silben jedes Pada werden in einem Zuge, also ohne Pause, ausgesprochen. Zwischen den Versvierteln wird eine kurze Pause (Yati) eingehalten**. Die Positionslänge der 3. und 6. Silbe (Pada 3) bzw. der 2. Silbe (Pada 4) ergibt sich durch die Aufteilung in yit-vā, śak-ti bzw. yas-sū. Visarga in bhūyaḥ wird an das folgende s angeglichen (assimiliert), so dass die Aussprache bhū-yas sūr-ye-ṇa lautet.

**Unabhängig von ihrer eigentlichen Kürze oder Länge gilt die 8. bzw. letzte Silbe eines Versviertels stets als lang, da ihr eine Pause folgt.


Weblink

Hatha Yoga Pradipika 2.7


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Dr. phil. Oliver Hahn

Siehe auch