Sanskrit Kurs Lektion 64: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 30. Januar 2018, 17:57 Uhr

Dieser Sanskrit Kurs führt anhand einfacher Beispielsätze und -verse in die Grammatik des Sanskrit ein. Einen ausführlichen Überblick über das Sanskrit findest Du im Artikel Sanskrit. Hinweise zur indischen Schrift, der wissenschaftlichen Umschrift (Transliteration) sowie der korrekten Aussprache gibt der Artikel Devanagari. Stichwörter, nach denen Du in der Yoga Vidya Wiki suchen kannst, sind in vereinfachter Schreibweise (Transkription) wiedergegeben.

Der Partizip Präsens Aktiv (4)

In Lektion 61 - 63 haben wir die Bildung und Verwendung des Partizip Präsens Aktiv betrachtet. Der folgende Beispielvers enthält ein solches Partizip in Zusammenhang mit einem absoluten Lokativ.

Beispielvers aus der Hatha Yoga Pradipika

Die gesamte Hatha Yoga Pradipika besteht aus Versen, deren häufigstes Versmaß (Chhandas) der Shloka (Anushtubh) ist. Hier folgt ein Vers aus dem ersten Kapitel (Upadesha), das der Asana-Praxis gewidmet ist. Der 43. Vers hebt die Vorzüge von Siddhasana hervor. Er besteht aus sechs statt aus den üblichen vier Versvierteln (Pada).


किमन्यैर्बहुभिः पीठैः सिद्धे सिद्धासने सति |
प्राणानिले सावधाने बद्धे केवलकुम्भके |
उत्पद्यते निरायासात्स्वयमेवोन्मनी कला || १.४३ ||


  • wissenschaftliche Transliteration:
kim anyair bahubhiḥ pīṭhaiḥ siddhe siddhāsane sati |
prāṇānile sāvadhāne baddhe kevalakumbhake |
utpadyate nirāyāsāt svayam evonmanī kalā || 1.43 ||


  • vereinfachte Transkription:
kim anyair bahubhih pithaih siddhe siddhasane sati |
prananile savadhane baddhe kevalakumbhake |
utpadyate nirayasat svayam evonmani kala || 1.43 ||


  • Wort-für-Wort-Übersetzung:
kim : was (wird gewonnen, Kim, Akk. Sg. n.)
anyaiḥ : andere (Anya, Instr. Sg. n.)
bahubhiḥ : durch viele (Bahu, Instr. Sg. n.)
pīṭhaiḥ : Körperstellungen ("Sitzhaltungen", Pitha, Instr. Sg. n.)
siddhe : gemeistert, vervollkommnet (Siddha, Lok. Sg. n.)
siddhāsane : wenn die vollkommene Sitzhaltung (Siddhasana, Lok. Sg. n.)
sati : ist (sat, Lok. Sg. n.)
prāṇānile : wenn der Prana (genannte Körper-)Wind, Atem (Anila, Lok. Sg. m.)
sāvadhāne : aufmerksam, achtsam ("in Aufmerksamkeit", Savadhana, Lok. Sg. m.)
baddhe : festgehalten, gehemmt, gestoppt ist (Baddha, Lok. Sg. m.)
kevala-kumbhake : in der vollständigen Atemverhaltung (Kevala Kumbhaka, Lok. Sg. n.)
utpadyate : entsteht (ud + pad, Verb)
nirāyāsāt : ohne Anstrengung, ohne Ermüdung (Nirayasa, Abl. Sg. m.)
svayam : von selbst (Svayam, indekl.)
eva : ganz (Eva, Partikel)
unmanī : (der Zustand) jenseits des Denkens (Unmani, Nom. Sg. f.)
kalā : erquickend ("lieblich") wie die Mondsichel (Kala, Nom. Sg. f.)


  • Übersetzung:
Wozu sind die vielen anderen Körperstellungen noch gut, wenn Siddhasana gemeistert ist?
Wenn der Lebensatem Prana achtsam in der vollkommenen Atemverhaltung gestoppt wird,
dann entsteht ohne Anstrengung und ganz von selbst der Zustand jenseits des Denkens (Unmani), der erquickend wie die Mondsichel ist.


Erläuterungen

  • Syntax: Alle drei Lokative (Saptami) des ersten und zweiten Halbverses (siddhe siddhāsane sati und prāṇānile sāvadhāne baddhe) bilden jeweils zusammen einen absoluten Lokativ, der die Voraussetzung für die darauffolgende Aussage beschreibt. Dieser besteht aus einem Substantiv (siddhāsane bzw. prāṇānile) in Verbindung mit einem Partizip Präteritum Passiv (siddhe bzw. baddhe), das im ersten Fall noch um ein Partizip Präsens Aktiv (sati) und im zweiten Fall um ein Adjektiv (sāvadhāne) erweitert wurde. In der deutschen Übersetzung wird ein solcher absoluter Lokativ häufig mit "wenn" eingeleitet.
  • Das Frageadverb kim bedeutet in Verbindung mit einem Instrumental soviel wie "wozu (dient) ... ?, was (soll) ... ?, was (wird ... gewonnen)?". Es steht hier im Sinne einer rhetorischen Frage, die die Antwort "(zu) nichts!" impliziert, und bezieht sich auf die drei folgenden Instrumentale anyair bahubhiḥ pīṭhaiḥ.
  • Die beiden Adjektive anyaiḥ und bahubhiḥ beziehen sich auf das Substantiv pīṭhaiḥ und stehen daher ebenfalls im Instrumental Plural Neutrum.
  • Der Instrumental (Tritiya) pīṭhaiḥ bezeichnet das Instrument der Handlung (Karana).
  • Das Partizip Präteritum Passiv siddhe ist innerhalb des ersten absoluten Lokativs eine nähere Bestimmung zu siddhāsane und steht daher ebenfalls im Lokativ Singular Neutrum.
  • Der Lokativ (Saptami) siddhāsane ist ein Kompositum (Samasa) vom Typ Tatpurusha und innerhalb des absoluten Lokativs das logische Objekt (Karman) der als Partizip Präteritum Passiv ausgedrückten Verbalhandlung siddhe ("gemeistert, vervollkommnet").
  • Das Partizip Präsens Aktiv sati "seiend" ist innerhalb des absoluten Lokativs eine weitere nähere Bestimmung zu siddhāsane und steht daher ebenfalls im Lokativ Singular Neutrum.
  • Der Instrumental prāṇānile ist ein Kompositum vom Typ Tatpurusha und innerhalb des zweiten absoluten Lokativs das logische Objekt (Karman) der als Partizip Präteritum Passiv ausgedrückten Verbalhandlung baddhe ("gestoppt").
  • Das Adjektiv sāvadhāne ist innerhalb des absoluten Lokativs eine nähere Bestimmung zu prāṇānile und steht daher ebenfalls im Lokativ Singular Maskulinum. Im Deutschen wird es mit "achtsam" als Adverb wiedergegeben.
  • Das Partizip Präteritum Passiv (PPP) baddhe ist innerhalb des absoluten Lokativs eine weitere nähere Bestimmung zu prāṇānile und steht daher ebenfalls im Lokativ Singular Maskulinum.
  • Der Lokativ kevala-kumbhake gibt die näheren Umstände der Handlung (Adhikarana) an. Er ist ein Kompositum vom Typ Karmadharaya.
  • Die Verbform utpadyate ("entsteht") ist die 3. Person Singular Medium (Atmanepada) der Gegenwart der Verbalwurzel pad "gehen, fallen", die in Verbindung mit dem Verbalpräfix (Upasarga) ud "hervorgehen, entstehen" bedeutet.
  • Der Ablativ (Panchami) nirāyāsāt "ohne Anstrengung, anstrengungslos" bezieht sich als Adverb (Kriyavisheshana) auf das Verb utpadyate.
  • Das Indeklinabile (Avyaya) svayam "von selbst" bezieht sich ebenfalls adverbiell auf das Verb utpadyate.
  • Der Nominativ (Prathama) unmanī ist das logische Subjekt (Agens, Kartri) der primären Verbalhandlung udpadyate.
  • Das Nomen kalā bezieht sich entweder als Apposition ("Mondsichel") oder als Adjektiv ("erquickend, lieblich") auf den unmanī genannten höchsten Bewusstseinszustand und steht daher ebenfalls im Nominativ Singular Femininum. Es handelt sich hierbei um eine poetische Anspielung auf die Mondsichel bzw. den Mond, der in der indischen Kultur als der Spender göttlichen Nektars (Amrita, Soma) gilt.
  • Sandhi: Die Form anyair steht für anyaiḥ, da Visarga () vor stimmhaften Konsonanten (hier: b) zu -r wird, wenn er nicht auf einen a-Laut (kurz oder lang) folgt. Das auslautende kurze a von eva und das anlautende kurze u von unmanī verschmilzt zu o in evonmanī.


Metrische Analyse des 5. und 6. Pada

Betrachten wir das dritte (Tritiya) und vierte (Chaturtha) Versviertel (Pada) dieses Shloka noch einmal hinsichtlich der Längen (Dirgha) und Kürzen (Hrasva) der einzelnen Silben (Akshara). Lange Silben enden auf langen Vokal, oder auf einen kurzen Vokal (Svara), der von zwei Konsonanten (Vyanjana) gefolgt wird (inklusive Anusvara und Visarga). Dies nennt man Positionslänge*. Kurze Silben enden auf kurzen Vokal:


Silbe 1 2 3 4 5 6 7 8 1 2 3 4 5 6 7 8
Devanagari त्प द्य ते नि रा या सा त्स्व मे वो न्म नी ला
Transliteration u tpa dya te ni tsva ya me vo nma ka
Silbenlänge lang* lang* kurz lang kurz lang lang lang kurz kurz lang lang kurz lang kurz lang
Symbol υ υ υ υ υ υ


Hinweise zur Aussprache: Alle acht Silben jedes Pada werden in einem Zuge, also ohne Pause, ausgesprochen. Zwischen den Versvierteln wird eine kurze Pause (Yati) eingehalten. Die Positionslänge der 1. und 2. Silbe in Pada 5 ergibt sich durch die Aufteilung in ut-pad-ya .


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