Sanskrit Kurs Lektion 94: Unterschied zwischen den Versionen

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:Es gibt einen unbeschreiblichen (Zustand der) Absorption, in der jedwede geistige Veränderung verschwunden ist, die frei von allen Bewegungen (des Körpers) ist, die (nur) von einem selbst erfahrbar und jenseits des Bereiches der Sprache ist.
:'''Es gibt einen unbeschreiblichen (Zustand der) Absorption, in der jedwede geistige Veränderung verschwunden ist, die frei von allen Bewegungen (des Körpers) ist, die (nur) von einem selbst erfahrbar und jenseits des Bereiches der Sprache ist.'''





Version vom 3. Juni 2019, 17:12 Uhr

Dieser Sanskrit Kurs führt anhand einfacher Beispielsätze und -verse in die Grammatik des Sanskrit ein. Einen ausführlichen Überblick über das Sanskrit findest Du im Artikel Sanskrit. Hinweise zur indischen Schrift, der wissenschaftlichen Umschrift (Transliteration) sowie der korrekten Aussprache gibt der Artikel Devanagari. Stichwörter, nach denen Du in der Yoga Vidya Wiki suchen kannst, sind in vereinfachter Schreibweise (Transkription) wiedergegeben.

Das Gerundivum (4)

In Lektion 49-51 haben wir die Bildung und Verwendung des mit dem Suffix -tavya gebildeten Gerundivums betrachtet:

  • kṛ "tun, machen" (Wurzel) + -tavya (Gerundivum-Suffix) > kartavya "(ist, sind) zu tun, zu machen"

Eine weitere Möglichkeit, Gerundiva zu bilden, stellt das Anfügen des Suffix -ya dar:

  • kṛ "tun, machen" (Wurzel) + -ya (Gerundivum-Suffix) > kārya "(ist, sind) zu tun, zu machen"


Bildung

Bei der Bildung des Gerundivums mit dem Suffix (Pratyaya) -ya wird die Form der Verbalwurzel in verschiedener Weise verändert, oder sie bleibt unverändert.

Endet die Verbalwurzel auf einen Konsonanten (Vyanjana), so bleibt der Wurzelvokal entweder unverändert:

  • vand "loben" (Wurzel) + -ya (Gerundivum-Suffix) > vandya "(ist, sind) zu loben"
  • nind "tadeln" (Wurzel) + -ya (Gerundivum-Suffix) > nindya "(ist, sind) zu tadeln"

Oder der Wurzelvokal erhält die Vollstufe (Guna):

  • dviṣ "hassen" (Wurzel) + -ya (Gerundivum-Suffix) > dveṣya "(ist, sind) zu hassen"
  • yudh "kämpfen" (Wurzel) + -ya (Gerundivum-Suffix) > yodhya "(ist, sind) zu bekämpfen"

Oder der Wurzelvokal erhält die Dehnstufe (Vriddhi):

  • kam "lieben" (Wurzel) + -ya (Gerundivum-Suffix) > kāmya "(ist, sind) zu lieben"
  • vac "sagen" (Wurzel) + -ya (Gerundivum-Suffix) > vācya "(ist, sind) zu sagen"


Auf den langen Vokal ā- auslautende Wurzeln verwandeln dieses zu e-:

  • "geben" (Wurzel) + -ya (Gerundivum-Suffix) > deya "(ist, sind) zu geben"
  • jñā "wissen" (Wurzel) + -ya (Gerundivum-Suffix) > jñeya "(ist, sind) zu wissen"


Auf andere Vokale (Svara) auslautende Wurzeln nehmen die Vollstufe (Guna) oder Dehnstufe (Vriddhi) an:

  • ji "siegen" (Wurzel) + -ya (Gerundivum-Suffix) > jeya "(ist, sind) zu besiegen"
  • kṛ "tun, machen" (Wurzel) + -ya (Gerundivum-Suffix) > kārya "(ist, sind) zu tun, zu machen"


Syntax und Bedeutung

Das Gerundivum nimmt wie ein Adjektiv (analog dem Partizip Präteritum Passiv) Fall (Kasus), Zahl (Numerus) und Geschlecht (Genus) des Substantivs an, auf das es sich bezieht. Es bezeichnet das logische Objekt (Karman) der Handlung und steht daher in der passiven Konstruktion (Karmani Prayoga) im Nominativ (Prathama).

Oft dient ein Gerundivum dazu, das deutsche "sollen" oder "müssen" bzw. eine Aufforderung, die sich auf die (nähere) Zukunft bezieht, auszudrücken. Hier die Formen des Nominativ Singular Maskulinum (er), Femininum (sie) und Neutrum (es) der Gerundiva Vandya, Jneya und Karya:

  • vandyaḥ (Nom. Sg. m.) / vandyā (f.) / vandyam (n.): "(er/sie/es) soll/muss gelobt werden"
  • jñeyaḥ (Nom. Sg. m.) / jñeyā (f.) / jñeyam (n.): "(er/sie/es) soll/muss gekannt (oder gewusst) werden"
  • kāryaḥ (Nom. Sg. m.) / kāryā (f.) / kāryam (n.): "(er/sie/es) soll/muss gemacht (oder getan) werden"


Falls das logische Subjekt bzw. der Agens (Kartri "Handelnder, Macher") der Verbalhandlung, d.h. derjenige, der die Handlung "tut", ausgedrückt wird, steht dieses stets im Instrumental (Tritiya). Das logische Objekt (Karman) der Handlung, d.h. das, was getan werden soll, steht stets im Nominativ (Prathama), z. B.:

  • mālā kanyayā kāryā |

Eine Kette (Mala, Nom. Sg. f.) von dem Mädchen (Kanya, Instr. Sg. f.) soll gemacht werden (Karya, Nom. Sg. f.).

Obwohl der Satz im Sanskrit in passiver Konstruktion steht, klingt er im Deutschen aktivisch flüssiger:

Das Mädchen soll eine Kette machen.

Ohne logisches Subjekt lautet der Satz (Vakya):

  • mālā kāryā |

Eine Kette (Mala, Nom. Sg. f.) soll gemacht werden (Karya, Nom. Sg. f.).


Beispielvers aus der Hatha Yoga Pradipika

Die gesamte Hatha Yoga Pradipika besteht aus Versen, deren häufigstes Versmaß (Chhandas) der Shloka (Anushtubh) ist. Hier folgt ein Vers aus dem vierten Kapitel (Upadesha), das der Praxis der Meditation und Versenkung (Samadhi) gewidmet ist. Der 32. Vers beschreibt den Zustand der Auflösung bzw. vollständigen Absorption (Laya) des Geistes, mit anderen Worten, Samadhi.


उच्छिन्नसर्वसङ्कल्पो निःशेषाशेषचेष्टितः |
स्वावगम्यो लयः कोऽपि जायते वागगोचरः || ४.३२ ||


  • wissenschaftliche Transliteration:
ucchinna-sarva-saṅkalpo niḥśeṣāśeṣa-ceṣṭitaḥ |
svāvagamyo layaḥ ko’pi jāyate vāg-agocaraḥ || 4.32 ||


  • vereinfachte Transkription:
uchchhinna-sarva-sankalpo nihsheshashesha-cheshtitah |
svavagamyo layah ko’pi jayate vag-agocharah || 4.32 ||


  • Wort-für-Wort-Übersetzung:
ucchinna-sarva-saṅkalpaḥ : (in der) jedwede (Sarva) geistige Veränderung ("Wunsch, Wille", Sankalpa, Nom. Sg. m.) verschwunden („abgeschnitten“ ist, Uchchhinna)
niḥśeṣāśeṣa-ceṣṭitaḥ : die frei ist (Nihshesha) von allen, sämtlichen (Ashesha) Bewegungen (des Körpers, Cheshtita, Nom. Sg. m.)
svāvagamyaḥ : die (nur) von einem selbst, vom Selbst (Sva) wahrnehmbar, erfahrbar ist (Avagamya, Nom. Sg. m.)
layaḥ : Auflösung, Absorption (Laya, Nom. Sg. m.)
ko’pi (kaḥ api) : eine unbeschreibliche ("gewisse, bestimmte", Ka, Nom. Sg. m. Api)
jāyate : es gibt, entsteht (jan, Verb)
vāg-agocaraḥ : jenseits des Bereiches (Agochara, Nom. Sg. m.) der Sprache (Vach)


  • Übersetzung:
Es gibt einen unbeschreiblichen (Zustand der) Absorption, in der jedwede geistige Veränderung verschwunden ist, die frei von allen Bewegungen (des Körpers) ist, die (nur) von einem selbst erfahrbar und jenseits des Bereiches der Sprache ist.


Erläuterungen

  • Der Nominativ svāvagamyaḥ (sva + avagamyaḥ) ist für sich genommen ein Kompositum vom Typ Tatpurusha. Er bezieht sich als adjektivisches Kompositum (Bahuvrihi) auf das Substantiv layaḥ und steht daher wie dieses im Nominativ Singular Maskulinum. Das Hinterglied avagamyaḥ ist ein mit dem Suffix -ya gebildetes Gerundivum, abgeleitet von der Wurzel gam "gehen", die in Verbindung mit dem Verbalpräfix ava "wahrnehmen, erfahren" bedeutet.
  • Der Nominativ layaḥ ist das logische Subjekt (Agens, Kartri) der Verbalhandlung jāyate.
  • Das Interrogativpronomen kaḥ "wer" wird in Verbindung mit der Partikel (Nipata) api zum Indefinitpronomen ko’pi "ein gewisser". Es steht hier in der Bedeutung "ein(e) unbeschreibliche(r)" und bezieht sich syntaktisch auf layaḥ, mit dem es in Fall (Nominativ), Zahl (Singular) und Geschlecht (Maskulinum) übereinstimmt.
  • Der Nominativ vāg-agocaraḥ ist für sich genommen ein Tatpurusha-Kompositum. Er bezieht sich als adjektivisches Kompositum (Bahuvrihi) ebenfalls auf das Substantiv layaḥ und steht somit im Nominativ Singular Maskulinum.
  • Sandhi: Die Formen °saṅkalpo und svāvagamyo stehen für °saṅkalpaḥ und svāvagamyaḥ, da auslautendes -aḥ vor stimmhaftem Konsonant (hier: n bzw. l) zu -o wird. Die Formen ko’pi stehen für kaḥ api, da auslautendes -aḥ vor kurzem a zu -o wird, wonach das kurze anlautende a von api wiederum ausfällt und graphisch durch Apostroph ( ' ) bzw. Avagraha () dargestellt wird. Gleichlautende Vokale verschmelzen innerhalb von Komposita zu einem langen Vokal: a + a wird zu ā in niḥśeṣāśeṣa° (niḥśeṣa + aśeṣa°) und svāvagamyaḥ (sva + avagamyaḥ). Im PPP ucchinna wird das auslautende stimmhafte d des Präfix ud in der Verbindung mit chinna (über stimmloses t) zu palatalem c assimiliert: d (> t) > c bzw. ud + chinna (> ut + chinna) > uc-chinna. Im Kompositum vāg-agocaraḥ wird das auslautende stimmlose k von vāk (der Pausaform von vāc) vor anlautenden Vokal (hier: a) zu stimmhaftem g.

Metrische Analyse des 1. und 2. Pada

Betrachten wir das erste (Prathama) und zweite (Dvitiya) Versviertel (Pada) dieses Shloka noch einmal hinsichtlich der Längen (Dirgha) und Kürzen (Hrasva) der einzelnen Silben (Akshara). Lange Silben enden auf langen Vokal, oder auf einen kurzen Vokal (Svara), der von zwei Konsonanten (Vyanjana) gefolgt wird (inklusive Anusvara und Visarga). Dies nennt man Positionslänge*. Kurze Silben enden auf kurzen Vokal:


Silbe 1 2 3 4 5 6 7 8 1 2 3 4 5 6 7 8
Devanagari च्छि न्न र्व ङ्क ल्पो निः शे षा शे चे ष्टि तः
Transliteration u cchi nna sa rva sa ṅka lpo niḥ śe ṣā śe ṣa ce ṣṭi taḥ
Silbenlänge lang* lang* kurz lang* kurz lang* lang* lang lang* lang lang lang kurz lang kurz lang
Symbol υ υ υ υ


Hinweise zur Aussprache: Alle acht Silben jedes Pada werden in einem Zuge, also ohne Pause, ausgesprochen. Zwischen den Versvierteln wird eine kurze Pause (Yati) eingehalten. Die Positionslänge der 1., 2., 4., 6. und 7. Silbe (Pada 1) bzw. der 1. Silbe (Pada 2) ergibt sich durch die Aufteilung in uc-chin-na-sar-va-saṅ-kal-po bzw. niḥ-śe.


Verb-Rätsel

Auflösung aus Lektion 93

  • 1. a) und c) धातुम् dhātum - zu stellen, zu legen: gebildet von der Wurzel dhā "setzen, stellen, legen"; die Infinitivendung -tum tritt an die unveränderte Verbalwurzel.
  • 2. b) und c) zu gehen - एतुम् etum, गन्तुम् gantum: gebildet von den Wurzeln i und gam "gehen"; die Infinitivendung -tum tritt im ersten Fall an den starken Präsensstamm e-, im zweiten Fall an die Verbalwurzel gam, deren auslautendes -m an das dentale t- der Endung -tum angeglichen (assimiliert) und so zu -tum wird: gam + tum > gan-tum.


Neues Rätsel

Anhand der in dieser und Lektion 49 gegebenen Übersichten zur Bildung des Gerundivums auf -ya und -tavya ist es möglich, die folgenden beiden Gerundiva abzulesen bzw. per Analogiebildung herzuleiten. Viel Spaß beim Rätseln!


1. Sanskrit - Deutsch 2. Deutsch - Sanskrit
हेय heya (Wurzel ) a) (ist, sind) zu opfern (ist, sind) zu bekämpfen (Wurzel yudh) a) योक्तव्य yoktavya
b) (ist, sind) zu verlassen b) योद्धव्य yoddhavya
c) (ist, sind) zu schlagen c) यन्तव्य yantavya


Die Auflösung findest Du in Lektion 95.


Fragen und Feedback

Für Fragen und Feedback zum Sanskrit Kurs wendet Euch gerne an Dr. phil. Oliver Hahn. Er ist Indologe und Autor für Yoga Wiki, Seminarleiter, Yogalehrer, Übersetzer und Lektor.

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