Sanskrit Kurs Lektion 77: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 20. September 2019, 15:59 Uhr

Dieser Sanskrit Kurs führt anhand einfacher Beispielsätze und -verse in die Grammatik des Sanskrit ein. Einen ausführlichen Überblick über das Sanskrit findest Du im Artikel Sanskrit. Hinweise zur indischen Schrift, der wissenschaftlichen Umschrift (Transliteration) sowie der korrekten Aussprache gibt der Artikel Devanagari. Stichwörter, nach denen Du in der Yoga Vidya Wiki suchen kannst, sind in vereinfachter Schreibweise (Transkription) wiedergegeben.

Vokalische Nominalstämme (6)

In Lektion 76 haben wir den Singular und Plural der weiblichen Substantive auf betrachtet. Hierzu folgt ein weiterer Beispielvers aus der Hatha Yoga Pradipika.


Beispielvers aus der Hatha Yoga Pradipika

Die gesamte Hatha Yoga Pradipika besteht aus Versen, deren häufigstes Versmaß (Chhandas) der Shloka (Anushtubh) ist. Hier folgt ein Vers aus dem dritten Kapitel (Upadesha), das der Praxis der Mudras und Bandhas gewidmet ist. Der 124. Vers steht im Kontext der Praxis der zehn Mudras, die der Reinigung der Nadis dient.


इयं तु मध्यमा नाडी दृढाभ्यासेन योगिनाम् |
आसनप्राणसंयाममुद्राभिः सरला भवेत् || ३.१२४ ||


  • wissenschaftliche Transliteration:
iyaṃ tu madhyamā nāḍī dṛḍhābhyāsena yoginām |
āsana-prāṇa-saṃyāma-mudrābhiḥ saralā bhavet || 3.124 ||


  • vereinfachte Transkription:
iyam tu madhyama nadi dridhabhyasena yoginam |
asana-prana-samyama-mudrabhih sarala bhavet || 3.124 ||


  • Wort-für-Wort-Übersetzung:
iyam : dieser (Iyam, Nom. Sg. f.)
tu : aber (Tu, Partikel)
madhyamā : mittlere (Madhyama, Nom. Sg. f.)
nāḍī : (feinstoffliche) Kanal (die Sushumna, Nom. Sg. f.)
dṛḍhābhyāsena : durch intensives, unnachgiebiges, dauerhaftes (Dridha) Üben, Praktizieren (Abhyasa, Instr. Sg. n.)
yoginām : der Yogis Yogin, Gen. Pl. m.)
āsana-prāṇa-saṃyāma-mudrābhiḥ : mit Körperhaltungen (Asana), Kontrolle (Samyama) der Lebensenergie (Prana, Atemregulierung (Pranasamyama steht für Pranayama) und Siegeln (Mudra, Instr. Pl. f.)
saralā : gerade (Sarala, Nom. Sg. f.)
bhavet : wird (bhū, Verb)


  • Übersetzung:
Dieser mittlere Energiekanal (Sushumna) der Yogis wird durch intensives Üben der Körperhaltungen, der Atemregulierung und der Mudras gerade.


Erläuterungen

  • Das Demonstrativpronomen iyam "diese" bezieht sich auf das Substantiv nāḍī und steht daher ebenfalls im Nominativ Singular Femininum.
  • Die Partikel tu "aber, jedoch, wiederum" steht häufig metri causa, d.h. "aus metrischen Gründen" bzw. "um das Versmaß aufzufüllen".
  • Das Adjektiv‏‎ madhyamā ist eine nähere Bestimmung (Visheshana) zu nāḍī und steht daher auch im Nominativ Singular Femininum.
  • Der Nominativ (Prathama) nāḍī ist das logische Subjekt (Kartri) der Verbform bhavet.
  • Der Genitiv (Shashthi) yoginām "der Yogis" bezieht sich auf das Substantiv nāḍī: (dieser mittlere) Energiekanal der Yogis.
  • Der Instrumental āsana-prāṇasaṃyāma-mudrābhiḥ ist ein Kompositum vom Typ Dvandva, das mit "und" aufzulösen ist: "mit Körperhaltungen, Atemregulierung und Mudras". In der deutschen Übersetzung wurde die Bedeutung des Instrumentals etwas freier im Sinne eines Genitivs übersetzt: "(durch intensives Üben) der (statt "mit") Körperhaltungen, ...".
  • Das Adjektiv‏‎ saralā ist eine nähere Bestimmung (Visheshana) zu nāḍī und steht daher auch im Nominativ Singular Femininum.
  • Die Verbform bhavet ("sie wird, sollte sein") ist die 3. Person Singular Optativ (Präsens Aktiv bzw. Parasmaipada) der Verbalwurzel bhū "sein, werden" (1. bzw. Bhu Klasse). Der Optativ drückt hier eine Möglichkeit aus, die in der Zukunft eintritt.
  • Sandhi: Gleichartige Vokale (Svara) verschmelzen in Komposita zu einem Langvokal: a + a wird zu ā in dṛḍhābhyāsena. Die Endung m von iyam geht vor folgendem Konsonanten (Vyanjana) in Anusvara () über, welcher vereinfacht wie m ausgesprochen wird.


Metrische Analyse des 3. und 4. Pada

Betrachten wir das dritte (Tritiya) und vierte (Chaturtha) Versviertel (Pada) dieses Shloka noch einmal hinsichtlich der Längen (Dirgha) und Kürzen (Hrasva) der einzelnen Silben (Akshara). Lange Silben enden auf langen Vokal, oder auf einen kurzen Vokal (Svara), der von zwei Konsonanten (Vyanjana) gefolgt wird (inklusive Anusvara und Visarga). Dies nennt man Positionslänge*. Kurze Silben enden auf kurzen Vokal:


Silbe 1 2 3 4 5 6 7 8 1 2 3 4 5 6 7 8
Devanagari प्रा सं या मु द्रा भिः ला वेत्
Transliteration ā sa na prā ṇa saṃ ma mu drā bhiḥ sa ra bha vet
Silbenlänge lang kurz lang* lang kurz lang* lang kurz lang* lang lang* kurz kurz lang kurz lang
Symbol υ υ υ υ υ υ


Hinweise zur Aussprache: Alle acht Silben jedes Pada werden in einem Zuge, also ohne Pause, ausgesprochen. Zwischen den Versvierteln wird eine kurze Pause (Yati) eingehalten. Die Positionslänge der 3. und 7. Silbe (Pada 3) bzw. der 1. und 3. Silbe (Pada 4) ergibt sich durch die Aufteilung in nap-rā und saṃ-yā bzw. mud-rā-bhiḥ.


Fragen und Feedback

Für Fragen und Feedback zum Sanskrit Kurs wendet Euch gerne an Dr. phil. Oliver Hahn. Er ist Indologe und Autor für Yoga Wiki, Seminarleiter, Yogalehrer, Übersetzer und Lektor.

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