Sanskrit Kurs Lektion 25

Aus Yogawiki

Dieser Sanskrit Kurs führt anhand einfacher Beispielsätze und -verse in die Grammatik des Sanskrit ein. Einen ausführlichen Überblick über das Sanskrit findest Du im Artikel Sanskrit. Hinweise zur indischen Schrift, der wissenschaftlichen Umschrift (Transliteration) sowie der korrekten Aussprache gibt der Artikel Devanagari. Stichwörter, nach denen Du in der Yoga Vidya Wiki suchen kannst, sind in vereinfachter Schreibweise (Transkription) wiedergegeben.

Die Korrelativpronomen Yad und Tad (3)

In Lektion 23 und 24 haben wir die Korrelativpronomen Yad und Tad behandelt, die sich in einem Satz (Vakya) aufeinander beziehen. Der folgende Beispielvers enthält noch einmal diese beiden Korrelativpronomen in Verbindung mit der |passiven Konstruktion des Verbs (Karmani Prayoga).


Beispielvers aus der Hatha Yoga Pradipika

Die gesamte Hatha Yoga Pradipika besteht aus Versen, deren häufigstes Versmaß (Chhandas) der Shloka (Anushtubh) ist. Wir betrachten einen Vers aus dem vierten Kapitel (Upadesha), das der Praxis der Meditation und Versenkung (Samadhi), insbesondere der Konzentration auf den inneren Klang (Nada Anusandhana) gewidmet ist. Der 102. Vers beschreibt den inneren bzw. "unangeschlagenen" Klang (Anahata Nada) als eine Manifestation der göttlichen Energie (Shakti) im Gegensatz zum höchsten Bewußtsein (Shiva bzw. Maheshvara):


यत्किञ्चिन्नादरूपेण श्रूयते शक्तिरेव सा |
यस्तत्त्वान्तो निराकारः स एव परमेश्वरः || ४.१०२ ||


  • wissenschaftliche Transliteration:
yat kiñcin nādarūpeṇa śrūyate śaktir eva sā |
yas tattvānto nirākāraḥ sa eva parameśvaraḥ || 4.102 ||


  • vereinfachte Transkription:
yat kinchin nadarupena shruyate shaktir eva sa |
yas tattvanto nirakarah sa eva parameshvarah || 4.102 ||


  • Wort-für-Wort-Übersetzung:


yat kiñ-cid : was (Yad) auch immer ("irgend etwas", Kinchid, Nom. Sg. n., Indefinitpronomen)
nāda-rūpeṇa : in Form (Rupa, Instr. Sg. m.) des (unangeschlagenen) Klanges (Nada)
śrūyate : wird gehört (śru, Verb)
śaktiḥ : die göttliche Energie (Shakti, Nom. Sg. f.)
eva : wahrlich (Eva, Partikel)
 : das ("diese", Tad, Nom. Sg. f.)
yaḥ : wer ("welcher" Yad, Nom. Sg. m.)
tattvāntaḥ : das Ende (Anta, Nom. Sg. m. der philosophischen) Kategorien ("So-sein", Tattva)
nir-ākāraḥ : ohne Form (Akara, Nirakara, Nom. Sg. m.)
saḥ : der ("dieser", Tad, Nom. Sg. m.)
eva : wahrlich
parameśvaraḥ : der höchste (Parama) Herr (Ishvara, Parameshvara, Nom. Sg. m.)


  • Übersetzung:
Was auch immer in Form des (unangeschlagenen) Klanges gehört wird, das ist wahrlich die göttliche Energie (Shakti).
Der das Ende der Tattvas (philosophischen Kategorien) ist und ohne Form, der ist wahrlich der höchste Herr (das höchste Bewußtsein bzw. "Selbst", Parameshvara).


Erläuterungen

  • Der Nominativ (Prathama) yat kiñ-cid (n.) ist logisches Objekt (Karman) der Verbalhandlung śrūyate.
  • Der Instrumental (Tritiya) nāda-rūpeṇa "in Form des Klanges" ist ein Kompositum (Samasa) aus nāda und rūpa. Er bezieht sich auf yat kiñ-cid und bezeichnet das Instrument der Handlung (Karana).
  • Die Nominative und śaktiḥ sind logisches Subjekt (Agens, Kartri) der nicht genannten Verbalhandlung asti "ist" (as), die hier aus dem Zusammenhang mitverstanden wird.
  • Die emphatische Partikel eva "wahrlich" hebt jeweils das vorangehende Wort hervor (śaktiḥ bzw. sa).
  • Alle Nominative des 2. Halbverses bzw. Satzes beziehen sich auf das Kompositum parameśvaraḥ (parama + īśvara), das logische Subjekt des ebenfalls mitverstandenen Verbs asti ("er ist").
  • Die Nominative tattvāntaḥ (tattva + anta) und nir-ākāraḥ (nis "ohne" + ākāra "Form", Akara) sind ebenfalls Komposita. Sie sind Attribut bzw. Adjektiv zu parameśvaraḥ und stehen daher auch im Nominativ Singular Maskulinum.
  • Syntax: Dieser Vers (Shloka) besteht aus zwei gleich konstruierten Sätzen (Vakya). Im ersten Halbvers bezieht sich das Relativpronomen yat ("was" Yad) syntaktisch auf das Demonstrativpronomen ("diese, sie" Tad). Im zweiten Halbvers bezieht sich das Relativpronomen yaḥ ("welcher, wer" Yad) auf das Demonstrativpronomen saḥ ("dieser, der" Tad).
  • In Aussagen der Form yad = tad steht im Sanskrit häufig nicht ausdrücklich ein Wort für "sein" bzw. "ist" (asti ist die 3. Person Singular Indikativ der Gegenwart der Verbalwurzel as "sein").
  • Sandhi: Die Form kiñ-cin steht für kiñ-cid, da auslautendes -d vor n- an dieses angeglichen (assimiliert) wird. Die Form śaktir steht für śaktiḥ, da Visarga () vor Vokalen (Svara) zu -r wird, wenn es nicht zwischen zwei a-Lauten (kurz oder lang) steht. Nach dieser Regel wird auch nis + ākāraḥ zu nir-ākāraḥ. Die Form yas steht für yaḥ, da Visarga vor stimmlosem Dental (hier: t) zum dentalen Sibilanten (Ushman) s wird. Die Form tattvānto steht für tattvāntaḥ, da auslautendes -aḥ vor stimmhaften Konsonanten (hier: n) zu -o wird. Das auslautende bzw. anlautende kurze a von tattva und antaḥ verschmilzt zu einem langen ā in tattvāntaḥ. Das auslautende kurze a von parama und das anlautende lange ī von īśvaraḥ verschmilzt zu einem (stets lang zu sprechenden) e in parameśvaraḥ. Der Visarga in saḥ ("dieser, der, er") fällt vor allen Vokalen (Svara) außer kurzem a aus (Ausnahmeregel): sa.


Metrische Analyse des 1. Pada

Betrachten wir das erste (Prathama) Versviertel (Pada) dieses Shloka noch einmal hinsichtlich der Längen (Dirgha) und Kürzen (Hrasva) der einzelnen Silben (Akshara). Lange Silben enden auf langen Vokal (auf den noch ein Konsonant folgen kann), oder auf einen kurzen Vokal (Svara), der von zwei Konsonanten (Vyanjana) gefolgt wird (inklusive Anusvara und Visarga). Dies nennt man Positionslänge*. Kurze Silben enden auf kurzen Vokal:


Silbe 1 2 3 4 5 6 7 8
Devanagari त्कि ञ्चि न्ना रू पे
Transliteration ya tki ñci nnā da pe ṇa
Silbenlänge lang* lang* lang* lang kurz lang lang kurz
Symbol υ υ
Aussprache yat kiñ cin da pe ṇa

Hinweise zur Aussprache: Alle acht Silben dieses Pada werden in einem Zuge, also ohne Pause, ausgesprochen. Die Positionslänge der 1., 2. und 3. Silbe ergibt sich durch die Aufteilung in yat-kiñ-cin-nā.


Weblink

Seminare

Sanskrit und Devanagari

10.11.2017 - 12.11.2017 - Sanskrit

Erlernen der Devanagari-Schrift zum korrekten Aussprechen der Mantras.

Dr. phil. Oliver Hahn

Siehe auch