Tiefenökologie
Tiefenökologie, auch Tiefe Ökologie, ist eine Philosophie, die die Gesamtheit der Lebewesen und die Erkenntnis, dass alles Leben miteinander verbunden ist, einschließt. Tiefenökologie, in Englisch Deep Ecology, betrachtet die Erde als lebendigen Organismus – Gaia. Tiefenökologie verbindet Ökologie und Spiritualität.
Tiefenökologie möchte der Entfremdung des Menschen von sich selbst sowie von der Gemeinschaft aller Lebewesen entgegenwirken. Dafür öffnet Tiefenökologie neue Erfahrungsräume, die den Menschen wieder mit sich selbst und der Ganzheit allen Seins verbindet. Existenzielle Fragen wie: „Wer bin ich?“, „Woher kommen wir?“ und „Welchen Platz nehme ich innerhalb dieser Gesamtheit allen Lebens ein? Was ist unsere Aufgabe in der heutigen Zeit?“ sollen aus dem Inneren heraus beantwortet werden können.
Die Philosophie der Tiefenökologie führt den Menschen über die Grenzen des Individuums hinaus. Der ganzheitliche Ansatz der Tiefenökologie fördert das persönliche Wachstum im Rahmen des In-Beziehung-Seins mit allen Lebewesen. Der Wandel menschlicher Lebensart wird thematisiert und soziale, kulturelle, ökonomische und ökologische Veränderungen werden angestrebt.
„Wenn man Tiere töten kann, so kann dieselbe Einstellung auch Menschen töten. Es ist dieselbe Geisteshaltung, die sowohl die Natur ausbeutet als auch Kriege verursacht.“ (Satish Kumar)
Entstehung der Tiefenökologie
Der Begriff Deep Ecology (Tiefenökologie) stammt von dem norwegischen Philosoph Arne Naess, der diesen Begriff erstmalig 1973 in dem Artikel „The Shallow and the Deep” des Journals „Inquiry“ benutzte. 1999 sagte Arne Naess in einem Interview: „Tiefenökologie (…) ist eine Bewegung, in der man nicht nur Gutes für den Planeten im Interesse der Menschen tut, sondern auch im Interesse des Planeten selbst. Das heißt, man betrachtet den Globus als Einheit und spricht über die einzelnen Ökosysteme, man versucht, sie am Leben zu erhalten als ein Wert für sich. Das heißt, in deren eigenem Interesse, (…) ohne dabei an (…) sein eigenes Vergnügen zu denken. Tiefenökologie geht von dem philosophischen oder religiösen Standpunkt aus, der besagt, dass alle Lebewesen wertvoll sind und somit Schutz vor der Zerstörung durch Milliarden von Menschen benötigen. (…) Es ergibt sich also eine ganzheitliche Betrachtungsweise, das heißt, eine Betrachtung der Natur und der Beziehung der Menschheit zur Natur, die eine grundlegende Haltung und Freude an der Natur mit dem Verhalten in der Gesellschaft für die Natur vereint.“ Tiefenökologie ist also eine Art der ökologischen Philosophie, die auf ein ökologisches Gleichgewicht und einen tiefgehenden Wandel des menschlichen Bewusstseins ausgerichtet ist. Tiefenökologie möchte diesen Transformationsprozess jedes einzelnen Menschen fördern.
Im Gegensatz dazu beschränke sich der konventionelle Umweltschutz darauf, Reparaturen an geschädigten Ökosystemen vorzunehmen, was lediglich die Geschwindigkeit der Zerstörung verringert habe. Konventioneller Umweltschutz fördere nicht den notwendigen grundlegenden Wandel im Umgang der Menschen mit der Natur. Arne Naess bezeichnete diese Art der Umweltpolitik als „oberflächliche Ökologie“ (Shallow Ecology).
Arne Naess gab 8 Kernaussagen an:
- Das Wohlbefinden und Gedeihen menschlichen und nichtmenschlichen Lebens auf der Erde hat Wert in sich (Synonyme: intrinsischer oder inhärenter Wert). Dieser Wert ist unabhängig von der Nützlichkeit der nicht-menschlichen Welt für menschliche Zwecke.
- Reichtum und Vielfalt von Lebensformen tragen zur Realisierung dieses Wertes bei und stellen ebenfalls Werte in sich selbst dar.
- Menschen haben kein Recht, diesen Reichtum und diese Vielfalt zu beeinträchtigen, außer um lebensnotwendige Bedürfnisse zu befriedigen.
- Das Gedeihen menschlichen Lebens und menschlicher Kulturen verträgt sich mit einem substantiellen Bevölkerungsrückgang. Das Gedeihen nicht-menschlichen Lebens bedarf sogar eines solchen Rückganges.
- Die gegenwärtigen menschlichen Eingriffe in die nicht-menschliche Welt sind unangemessen, und die Situation verschlechtert sich ständig.
- Die Politik muss deshalb geändert werden. Diese Veränderung betrifft grundlegende ökonomische, technologische und ideologische Strukturen. Der aus ihr resultierende Zustand der Dinge wird entscheidend anders sein als der gegenwärtige.
- Die ideologische Veränderung liegt hauptsächlich darin, Lebensqualität (im Sinne des Verweilens in Zuständen, die inhärenten Wert besitzen) anzuerkennen, anstatt an einem immer weiter wachsenden Lebensstandard festzuhalten. Es wird eine tiefe Sensibilität gegenüber dem Unterschied zwischen Quantität und Qualität geben.
- Diejenigen, die die vorangehenden Punkte unterschreiben, haben die Verpflichtung, sich um die dazu notwendigen Veränderungen direkt oder indirekt zu bemühen.
Tiefenökologie - was ist das?
Angewandte Tiefenökologie möchte die Menschen dazu anregen, sich zu identifizieren - mit anderen Menschen, mit Lebewesen wie Tieren, Pflanzen, Bäumen, Bergen, Meeren, Steinen und sogar mit zukünftigen Menschenwesen. Über die Identifikation mit dem gesamten Universum kann der Mensch wieder Vertrauen finden, seine Angst und das Gefühl des Getrennt-Seins loslassen. Auch die Einzigartigkeit jedes Menschen, sein Recht so zu sein, wie er gerade ist, wird hervorgehoben.
“Der Mensch als ein Organismus verhält sich zur äußeren Welt wie ein Wasserstrudel zum Fluss: der Mensch und die Welt sind ein einziger natürlicher Prozess. Doch wir verhalten uns so, als seien wir Eindringlinge und Plünderer in einem fremden Land. Das rührt daher, dass sich das Individuum, wenn es sich als auf die getrennte Persönlichkeit bzw. das Ego begrenzt erfährt, nicht bewusst ist, dass sein eigentlicher Körper ein tanzendes Energiegebilde ist, welches einfach nicht aus sich selbst heraus geschieht. Es geschieht nur im gemeinsamen Konzert mit unzähligen anderen Gebilden, die Tier, Pflanze, Insekt, Bakterie, Mineral, Flüssigkeit und Gas genannt werden. Der Begriff Person und das gewöhnliche Ich-Gefühl schließen diese Beziehungen nicht mit ein. Du sagst: „Ich kam in diese Welt.” Das stimmt nicht, Du kamst aus ihr heraus – wie ein Ast aus einem Baum.“ (Alan Watts)
„Die zivilisierte Menschheit ignoriert auf erschreckende Weise die Tatsache, dass sie mit ihrer natürlichen Umgebung verbunden ist. Die Existenz der Luft, des Wassers, der Pflanzen, Insekten, Vögel, Fische und Säugetiere ist unerlässlich – genauso unerlässlich wie das Gehirn, das Herz, die Lungen und der Magen für den menschlichen Organismus. Erstere sind unsere äußeren Organe, genauso wie die Letztgenannten unsere inneren Organe sind. (…) Die Sonne, die Erde und die Wälder sind im selben Maße Aspekte des Körpers wie das Gehirn. Bodenerosion ist genauso eine persönliche Krankheit wie Lepra, und viele wachsende Städte und Gemeinden sind genauso katastrophal wie Krebs. Das wir dies nicht als offensichtlich erkennen, ist das Ergebnis von jahrhundertelanger Gewöhnung an die Idee, dass man selbst nur die Hauthülle und ihr Inhalt sei, dass man das Innere und nicht das Äußere sei. Die außerordentliche Torheit dieser Vorstellung wird klar, sobald man versucht, sich das Innen ohne das Außen vorzustellen, oder das Außen ohne das Innen.“ (Alan Watts)
Tiefenökologie: Ökologie und Spiritualität
Joanna Macy
Joanna Macy (geb. am 2.5.1929) ist eine Umweltaktivistin aus den USA, deren Arbeit mit der Tiefenökologie in Verbindung steht. Sie praktizierte jahrelang Theravada-Buddhismus und schrieb zahlreiche Bücher, deren bekanntestes das Buch „Die Reise ins lebendige Leben: Strategien zum Aufbau einer zukunftsfähigen Welt“ ist. Auch für ihre Initiative „The Great Turning“, die sich mit dem Wandel von – wie sie sagt – einer industriellen Wachstumsgesellschaft hin zu einer nachhaltigeren Kultur befasst, ist Joanna Macy bekannt.
Joanna Macy entwickelte ein Modell für persönlichen und gesellschaftlichen Wandel sowie eine Seminarmethodik für dessen Anwendung. Sie nennt ihre Arbeit „die Arbeit, die wiederverbindet“ („The Work that Reconnects“) und integriert in ihr folgende Aspekte: betriebliche Nachhaltigkeit, spirituelle Ökologie, Meditation, Antworten auf den Klimawandel, die Weisheit der Stammesältesten sowie Hinweise für Aktivisten. Joanna Macy erforscht die Herausforderungen, denen sich Städte und Gemeinden auf der ganzen Welt gegenüber sehen, und lehrt ganzheitliche Ansätze, die eine lebenserhaltende Kultur stärken.
Ökopsychologie
Ökopsychologie verbindet Psychologie und Tiefenökologie. Diese tiefenökologische Psychologie, die versucht, die Kluft zwischen psychologischer und ökologischer Sichtweise zu schließen, entwickelte Theodore Roszak in seinem Buch "Ökopsychologie – Der entwurzelte Mensch und der Ruf der Erde". Der Gedanke der Empathie für alles Lebendige spielt dabei eine zentrale Rolle. Die Ansicht, der Mensch sei getrennt von der Natur, er stehe über ihr, wird als Ursache der ökologischen Misere genannt.
Siehe auch
- Permakultur
- Ökodorf
- Transition Town
- Yogastadt
- Yoga
- Karma Konsum
- Solidarische Landwirtschaft
- Soziale Landwirtschaft
- Nachhaltigkeit
- Vandana Shiva
- Satish Kumar
- Gemeinschaft
- Garten
- Matavenero
- Kräuter
- Ayurveda
Weblinks
- Gesellschaft für angewandte Tiefenökologie
- Aufbruch - anders besser leben
- Holon Institut mit Gunter Hamburger
- Tiefenökologie
- Joanna Macy - Tiefenökologin
- Ökodorf Sieben Linden
- Art of Mentoring Tiefenökologie in der Tradition der nordamerikanischen Ureinwohner
- Foundation for Deep Ecology, Kanada
- Tiefenökologie. Wenn Philosophie praktisch wird - Radiosendung des BR2
- Schumacher Institute
- Ökodorf Sieben Linden
- Tiefenökologie auf Facebook
- Gaia Education
- Tiefenökologie Seminare - Lebenskunst Bodensee
- Solidarische Landwirtschaft
- Permakultur Institut
- Permakultur Akademie
- Transition Initiativen in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Literatur
- Dolores LaChapelle, Weisheit der Erde: Von der Erde lernen heißt leben lernen (2013)
- Manfred Ehmer, Gaia: Portrait einer Göttin (2014)
- Franz-Theo Gottwald und Andrea Klepsch, Tiefenökologie: Wie wir in Zukunft leben wollen (1995)
- Stephan Harding, Lebendige Erde: Gaia - Vom respektvollen Umgang mit der Natur (2008)
- Johannes Heinrichs, Öko - Logik. Geistige Wege aus der Klima- und Umweltkatastrophe (2007)
- Sepp Holzer, Wüste oder Paradies: Holzer'sche Permakultur jetzt! Von der Renaturierung bedrohter Landschaften über Aqua-Kultur und Biotop-Aufbau bis zum Urban Gardening (2013)
- Dieter Jarzombek, Ökotherapie und Tiefenökologie in Theorie und Praxis (2009)
- Jochen Kirchhoff, Was die Erde will (2009)
- Andreas Lentz, Geomantie & Tiefenökologie: Das neue Erdbewusstsein (1998)
- Geseko von Lüpke, Politik des Herzens: Nachhaltige Konzepte für das 21. Jahrhundert. Gespräche mit den Weisen unserer Zeit (2011)
- Joanna Macy, Hoffnung durch Handeln: Dem Chaos standhalten, ohne verrückt zu werden (2014)
- Joanna Macy, Fünf Geschichten, die die Welt verändern: Einladung zu einer neuen Sicht der Welt (2013)
- Joanna Macy, Geliebte Erde, gereiftes Selbst: Ermutigung zum sozialen Wandel und für eine ökologische Erneuerung (2009)
- Joanna Macy, Die Reise ins lebendige Leben: Strategien zum Aufbau einer zukunftsfähigen Welt (2004)
- Joanna Macy, Die Wiederentdeckung der sinnlichen Erde. Wege zum Ökologischen Selbst (1999)
- Arne Naess, The Ecology of Wisdom: Writings by Arne Naess (2010)
- Arne Naess u.a., Deep ecology of wisdom. Explorations in unities of nature and cultures (2005)
- Arne Naess, Joanna Macy u.a., Denken wie ein Berg. Ganzheitliche Ökologie: Die Konferenz des Lebens (1989)
- Theodore Roszak, Ökopsychologie. Der entwurzelte Mensch und der Ruf der Erde (1994)
- David Rothenberg (Hgsg.), Die Zukunft in unseren Händen: Eine tiefenökologische Philosophie (2013)
- Andreas Sommer, Zur Praxisbezogenheit der Tiefenökologie (2013)
- Alan Watts, Der Lauf des Wassers: Eine Einführung in den Taoismus (2011)
- Alan Watts, Die Illusion des Ich. Westliche Wissenschaft und Zivilisation in der Krise. Versuch einer Neuorientierung (1987)
- Stephanie Wild (Hgsg.), Sich die Ernte teilen. Einführung in die Solidarische Landwirtschaft (2012)
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