Sanskrit Kurs Lektion 86

Aus Yogawiki

Dieser Sanskrit Kurs führt anhand einfacher Beispielsätze und -verse in die Grammatik des Sanskrit ein. Einen ausführlichen Überblick über das Sanskrit findest Du im Artikel Sanskrit. Hinweise zur indischen Schrift, der wissenschaftlichen Umschrift (Transliteration) sowie der korrekten Aussprache gibt der Artikel Devanagari. Stichwörter, nach denen Du in der Yoga Vidya Wiki suchen kannst, sind in vereinfachter Schreibweise (Transkription) wiedergegeben.

Die Verben der 2. Klasse bzw. Ad Klasse (4)

In Lektion 83 bis 85 haben wir die Beugung (Konjugation) der Verben der 2. Klasse (Ad Klasse), die zur athematischen Konjugation gehört, betrachtet. Nun folgt ein weiterer Beispielvers aus der Hatha Yoga Pradipika, die Auflösung des Verb-Rätsels aus Lektion 85 sowie ein neues Verb-Rätsel.


Beispielvers aus der Hatha Yoga Pradipika

Die gesamte Hatha Yoga Pradipika besteht aus Versen, deren häufigstes Versmaß (Chhandas) der Shloka (Anushtubh) ist. Hier folgt ein Vers aus dem zweiten Kapitel (Upadesha) der Hatha Yoga Pradipika, das der Praxis des Pranayama gewidmet ist. Der 5. Vers betont die Bedeutung der Reinheit der feinstofflichen Energiekanäle (Nadi) für eine erfolgreiche Pranayama-Praxis.


शुद्धिमेति यदा सर्वं नाडीचक्रं मलाकुलम् |
तदैव जायते योगी प्राणसङ्ग्रहणे क्षमः || २.५ ||


  • wissenschaftliche Transliteration:
śuddhim eti yadā sarvaṃ nāḍī-cakraṃ malākulam |
tadaiva jāyate yogī prāṇa-saṅgrahaṇe kṣamaḥ || 2.5 ||


  • vereinfachte Transkription:
shuddhim eti yada sarvam nadi-chakram malakulam |
tadaiva jayate yogi prana-sangrahane kshamah || 2.5 ||


  • Wort-für-Wort-Übersetzung:
śuddhim : Reinheit, Reinigung (Shuddhi, Akk. Sg. f.)
eti : erreicht ("geht", i, Verb‏‎)
yadā : wenn (Yada, adv.)
sarvam : die ganze, vollständige (Sarva, Nom. Sg. n.)
nāḍī-cakram : Menge, Gesamtheit ("Kreis", Chakra, Nom. Sg. n.) der (feinstofflichen Energie-)Kanäle (Nadi, f.)
malākulam : die angefüllt ist (Akula, Nom. Sg. n.) mit Verunreinigungen (Mala)
tadā : dann (Tada, adv.)
eva : erst, nur (Eva, Partikel)
jāyate : wird, ist (jan, Verb‏‎)
yogī : der Yogi (Yogin, Nom. Sg. m.)
prāṇa-saṅgrahaṇe : zum Ansammeln, Beisichhalten, Lenken (Sangrahana, Lok. Sg. n.) der Lebensenergie, des Prana (m.)
kṣamaḥ : befähigt, geeignet (Kshama, Nom. Sg. m.)


  • Übersetzung:
Wenn die Gesamtheit der verunreinigten (feinstofflichen) Energiekanäle gereinigt ist,
erst dann wird der Yogi fähig, die Lebensenergie zu lenken (d.h. Pranayama zu praktizieren).

Erläuterungen

  • Syntax: Der erste Halbvers (erster und zweiter Pada) besteht aus einem Relativsatz, der zweite Halbvers (dritter und vierter Pada) aus einem Hauptsatz.
  • Der Akkusativ (Dvitiya) śuddhim ist das logische Objekt (Karman) der Verbalhandlung eti.
  • Die Verbform eti ("geht") ist die 3. Person Singular (Indikativ Präsens Aktiv bzw. Parasmaipada) der Verbalwurzel (Dhatu) i "gehen" (2. bzw. Ad Klasse). Verben in der Bedeutung des Gehens werden in Verbindung mit einem Akkusativobjekt verwendet, um das Erreichen eines Zustandes auszudrücken: śuddhim eti "geht zur Reinheit", d.h. "erlangt Reinheit, wird rein".
  • Die beiden Adverbien yadā "wenn" und tadā "dann" beziehen sich wie die Korrelativpronomen Yad und Tad aufeinander, wobei yadā den Relativsatz und tadā den Hauptsatz einleitet: "Wenn ..., dann ...".
  • Das Adjektiv sarvam bezieht sich als nähere Bestimmung (Visheshana) auf nāḍī-cakram und steht daher auch im Nominativ Singular Neutrum.
  • Der Nominativ (Prathama) nāḍī-cakram ist ein Kompositum (Samasa) des Typs Tatpurusha und das logische Subjekt (Agens, Kartri) der Verbalhandlung eti.
  • Das Adjektiv malākulam ist ein Kompositum (Samasa) des Typs Tatpurusha bezieht sich als nähere Bestimmung ebenfalls auf nāḍī-cakram und steht daher auch im Nominativ Singular Neutrum.
  • Die emphatische Partikel eva "nur, erst" hebt das vorangehende Wort (tadā) hervor: "erst dann, nur dann".
  • Der Nominativ yogī ist das logische Subjekt (Agens, Kartri) der Verbalhandlung jāyate.
  • Der Lokativ (Saptami) prāṇa-saṅgrahaṇe ist ein Kompositum (Samasa) des Typs Tatpurusha und bezeichnet hier in Verbindung mit dem Adjektiv kṣamaḥ, wozu man bzw. der Yogi fähig bzw. wofür geeignet ist.
  • Das Adjektiv kṣamaḥ "fähig, geeignet" bezieht sich als nähere Bestimmung auf yogī und steht daher auch im Nominativ Singular Maskulinum.
  • Sandhi: Die Endung m von sarvam und nāḍī-cakram geht vor folgendem Konsonanten (Vyanjana) in Anusvara () über, welcher vereinfachend wie m ausgesprochen werden kann. Das auslautende lange ā von tadā und das anlautende e von eva verschmelzen zu ai in tadaiva.


Metrische Analyse des 1. und 2. Pada

Betrachten wir das erste (Prathama) und dritte (Dvitiya) Versviertel (Pada) dieses Shloka noch einmal hinsichtlich der Längen (Dirgha) und Kürzen (Hrasva) der einzelnen Silben (Akshara). Lange Silben enden auf langen Vokal, oder auf einen kurzen Vokal (Svara), der von zwei Konsonanten (Vyanjana) gefolgt wird (inklusive Anusvara und Visarga). Dies nennt man Positionslänge*. Kurze Silben enden auf kurzen Vokal:


Silbe 1 2 3 4 5 6 7 8 1 2 3 4 5 6 7 8
Devanagari शु द्धि मे ति दा र्वं ना डी क्रं ला कु लम्
Transliteration śu ddhi me ti ya sa rvaṃ ḍī ca kraṃ ma ku lam
Silbenlänge lang* kurz lang kurz kurz lang lang* lang* lang lang lang* lang* kurz lang kurz lang*
Symbol υ υ × υ υ ×


Hinweise zur Aussprache: Alle acht Silben jedes Pada werden in einem Zuge, also ohne Pause, ausgesprochen. Zwischen den Versvierteln wird eine kurze Pause (Yati) eingehalten, so dass die letzte Silbe eines Pada stets als lang gilt, unabhängig von ihrer tatsächlichen Kürze oder Länge (× "Anceps"). Die Positionslänge der 1. und 7. Silbe (Pada 1) bzw. der 3. Silbe (Pada 2) ergibt sich durch die Aufteilung in śud-dhi und sar-vaṃ bzw. cak-raṃ.


Verb-Rätsel

Auflösung aus Lektion 85

  • 1. c) विद्मः vidmaḥ - wir wissen: gebildet von der Wurzel vid "wissen"; die Endung der 1. Person Plural -maḥ tritt an den schwachen Stamm vid-, der mit der Wurzel identisch ist.
  • 2. a) ihr sagt - ब्रूथ brūtha: gebildet von der Wurzel brū "sagen"; die Endung der 2. Person Plural -tha tritt an den schwachen Stamm brū-, der mit der Wurzel identisch ist.

Neues Rätsel

Anhand der in der Lektion 83 in Übersicht 2 gegebenen starken und schwachen Präsensstämme sowie der Personalendungen in Übersicht 1 ist es möglich, die folgenden beiden Verbformen abzuleiten. Die Personalpronomen "ich, du" usw. müssen im Sanskrit nicht ausdrücklich genannt werden, da die Verbform bereits unzweideutig ist. Viel Spaß beim Rätseln!


1. Sanskrit - Deutsch 2. Deutsch - Sanskrit
स्थः sthaḥ a) er steht sie ist a) सन्ति santi
b) ihr beiden seid b) अत्ति atti
c) ihr seid c) अस्ति asti


Die Auflösung findest Du in Lektion 87.


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