Sanskrit Kurs Lektion 22
Dieser Sanskrit Kurs führt anhand einfacher Beispielsätze und -verse in die Grammatik des Sanskrit ein. Einen ausführlichen Überblick über das Sanskrit findest Du im Artikel Sanskrit. Hinweise zur indischen Schrift, der wissenschaftlichen Umschrift (Transliteration) sowie der korrekten Aussprache gibt der Artikel Devanagari. Stichwörter, nach denen Du in der Yoga Vidya Wiki suchen kannst, sind in vereinfachter Schreibweise (Transkription) wiedergegeben.
Das Passiv der Gegenwart (2)
In Lektion 21 haben wir das Passiv der Gegenwart behandelt, eine im Sanskrit sehr häufige Form des Verbs. Der folgende Beispielvers enthält gleich drei Verben (Akhyata) im Passiv (Karmani Prayoga).
Beispielvers aus der Hatha Yoga Pradipika
Die gesamte Hatha Yoga Pradipika besteht aus Versen, deren häufigstes Versmaß (Chhandas) der Shloka (Anushtubh) ist. Wir betrachten einen Vers aus dem vierten Kapitel (Upadesha), das der Praxis der Meditation und Versenkung (Samadhi) gewidmet ist. Der 108. Vers beschreibt einige Aspekte tiefer meditativer Versenkung (Samadhi) und ihrer Wirkungen für den Übenden:
- खाद्यते न च कालेन बाध्यते न च कर्मणा |
- साध्यते न स केनापि योगी युक्तः समाधिना || ४.१०८ ||
- wissenschaftliche Transliteration:
- khādyate na ca kālena , bādhyate na ca karmaṇā |
- sādhyate na sa kenāpi , yogī yuktaḥ samādhinā || 4.108 ||
- vereinfachte Transkription:
- khadyate na cha kalena badhyate na cha karmana |
- sadhyate na sa kenapi yogi yuktah samadhina || 4.108 ||
- Wort-für-Wort-Übersetzung:
- khādyate : wird verschlungen ("gefressen", khād, Verb)
- na : nicht (Na)
- ca : und (Cha)
- kālena : vom Tod ("von der Zeit", Kala, Instr. Sg. m.)
- bādhyate : wird beeinträchtigt, geplagt (bādh, Verb)
- na : nicht
- ca : auch
- karmaṇā : durch (das Gesetz der) Tat(vergeltung, Karman, Instr. Sg. n.)
- sādhyate : wird unterworfen, beherrscht ("zum gehorchen gebracht", sādh, Verb)
- na : nicht
- saḥ : der, er (Tad, Nom. Sg. m.)
- kena api : von irgend jemandem (Ka, Instr. Sg. m. Api)
- yogī : Yogin (Nom. Sg. m.)
- yuktaḥ : (der vollständig) konzentriert ("verbunden") ist (Yukta, Nom. Sg. m.)
- samādhinā : durch (die) Versenkung (Samadhi, Instr. Sg. m.)
- Übersetzung:
- Der Yogi, der sich im Samadhi befindet, wird weder vom Tod ("von der Zeit") verschlungen, noch wird er vom Karma geplagt, noch wird er von irgend jemandem beherrscht.
Erläuterungen
- Die Verbformen khādyate ("wird verschlungen"), bādhyate ("wird beeinträchtigt") und sādhyate ("wird unterworfen") sind die 3. Personen Singular Passiv der Gegenwart der Verbalwurzeln (Dhatu) khād "essen, fressen, verschlingen", bādh "beeinträchtigen, plagen" und sādh "unterwerfen, beherrschen, zum gehorchen bringen".
- Die Verneinungspartikel na "nicht" erscheint in diesem Vers drei mal und steht jeweils hinter dem Verb, das sie verneint.
- Die Verbindungspartikel ca bedeutet für sich genommen "und, aber". In Verbindung mit na "nicht" kann man sie mit "weder ... noch ..." übersetzen.
- Die Instrumentale (Tritiya) kālena, karmaṇā und kena (in kenāpi) sind jeweils das Subjekt bzw. der Agens (Kartri) der drei Verbalhandlungen khādyate, bādhyate und sādhyate.
- Das Interrogativpronomen kena "von wem?" wird in Verbindung mit der Verbindungspartikel api "auch" zu einem sogenannten Indefinitpronomen und bedeutet "von irgend wem, von irgend jemandem".
- Die Nominative (Prathama) saḥ und yogī sind das gemeinsame logische Objekt (Karman) der drei Verbalhandlungen khādyate, bādhyate und sādhyate.
- Das Demonstrativpronomen saḥ wird auch im Sinne eines bestimmten Artikels ("der") sowie als Personalpronomen der 3. Person Singular ("er, sie, es") verwendet.
- Das Adjektiv (Visheshana) yuktaḥ ("verbunden", Partizip Präteritum Passiv der Wurzel yuj) ist eine nähere Bestimmung zu yogī und steht daher ebenfalls im Nominativ Singular Maskulinum.
- Der Instrumental samādhinā bezeichnet das Instrument der Handlung (Karana) und bezieht sich auf das PPP yuktaḥ.
- Sandhi: Das dentale n des Stammes karman wird im Instrumental karmaṇā durch das vorausgehende r zerebralisiert, d.h. es wird zu ṇ. Visarga ḥ in saḥ fällt vor allen Konsonanten (Vyanjana) aus (Ausnahmeregel). Das auslautende bzw. anlautende kurze a von kena und api verschmilzt zu einem langen ā in kenāpi.
Metrische Analyse des 4. Pada
Betrachten wir das vierte (Chaturtha) Versviertel (Pada) dieses Shloka noch einmal hinsichtlich der Längen (Dirgha) und Kürzen (Hrasva) der einzelnen Silben (Akshara). Lange Silben enden auf langen Vokal (auf den noch ein Konsonant folgen kann), oder auf einen kurzen Vokal (Svara), der von zwei Konsonanten (Vyanjana) gefolgt wird (inklusive Anusvara und Visarga). Dies nennt man Positionslänge*. Kurze Silben enden auf kurzen Vokal:
Silbe | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 |
Devanagari | यो | गी | यु | क्तः | स | मा | धि | ना |
Transliteration | yo | gī | yu | ktaḥ | sa | mā | dhi | nā |
Silbenlänge | lang | lang | lang* | lang* | kurz | lang | kurz | lang |
Symbol | – | – | – | – | υ | – | υ | – |
Aussprache | yo | gī | yuk | tas | sa | mā | dhi | nā |
Hinweise zur Aussprache: Alle acht Silben dieses Pada werden in einem Zuge, also ohne Pause, ausgesprochen. Die Positionslänge der 3. und 4. Silbe ergibt sich durch die Aufteilung in yuk-tas-sa, wobei s-s zu einem langen ss verschmilzt. Visarga ḥ wird in der Aussprache an einen folgenden Zischlaut (Ushman) angeglichen (assimiliert). So wird ḥ s zu s s bzw. ss.
Fragen und Feedback
Für Fragen und Feedback zum Sanskrit Kurs wendet Euch gerne an Dr. phil. Oliver Hahn. Er ist Indologe und Autor für Yoga Wiki, Seminarleiter, Yogalehrer, Übersetzer und Lektor.
Weblinks
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Siehe auch
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- Sanskrit Kurs Lektion 3
- Sanskrit Kurs Lektion 4
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