Sanskrit Kurs Lektion 98
Dieser Sanskrit Kurs führt anhand einfacher Beispielsätze und -verse in die Grammatik des Sanskrit ein. Einen ausführlichen Überblick über das Sanskrit findest Du im Artikel Sanskrit. Hinweise zur indischen Schrift, der wissenschaftlichen Umschrift (Transliteration) sowie der korrekten Aussprache gibt der Artikel Devanagari. Stichwörter, nach denen Du in der Yoga Vidya Wiki suchen kannst, sind in vereinfachter Schreibweise (Transkription) wiedergegeben.
Die Verben der 4. Klasse bzw. Div Klasse (2)
In Lektion 97 haben wir die Beugung (Konjugation) der Verben der 4. Klasse (Div Klasse, thematische Konjugation) in der Gegenwart betrachtet. Nun folgt ein weiterer Beispielvers aus der Hatha Yoga Pradipika, die Auflösung des Formen-Rätsels aus Lektion 97 sowie ein neues Formen-Rätsel.
Beispielvers aus der Hatha Yoga Pradipika
Die gesamte Hatha Yoga Pradipika besteht aus Versen, deren häufigstes Versmaß (Chhandas) der Shloka (Anushtubh) ist. Hier folgt ein Vers aus dem vierten Kapitel (Upadesha), das der Praxis der Meditation und Versenkung (Samadhi) gewidmet ist. Der 98. Vers gibt einen Vergleich für das Auflösen des Geistes bzw. Denkens im Zusammenhang mit der Meditation auf den inneren Ton (Nada).
- काष्ठे प्रवर्तितो वह्निः काष्ठेन सह शाम्यति |
- नादे प्रवर्तितं चित्तं नादेन सह लीयते || ४.९८ ||
- wissenschaftliche Transliteration:
- kāṣṭhe pravartito vahniḥ kāṣṭhena saha śāmyati |
- nāde pravartitaṃ cittaṃ nādena saha līyate || 4.98 ||
- vereinfachte Transkription:
- kashthe pravartito vahnih kashthena saha shamyati |
- nade pravartitam chittam nadena saha liyate || 4.98 ||
- Wort-für-Wort-Übersetzung:
- kāṣṭhe : an einem Holzscheit (Kashtha, Lok. Sg. n.)
- pravartitaḥ : das brennt ("zu Werke geht, wirksam ist", Pravartita, Nom. Sg. m.)
- vahniḥ : ein Feuer (Vahni, Nom. Sg. m.)
- kāṣṭhena : dem (verbrannten) Holzscheit (Instr. Sg. n.)
- saha : zusammen mit (Saha, adv.)
- śāmyati : verlischt ("kommt zur Ruhe", śam, Verb)
- nāde : auf den (unangeschlagenen) Ton (Nada, Lok. Sg. m.)
- pravartitam : konzentriert ("verweilend", Nom. Sg. n.)
- cittam : der Geist (Chitta, Nom. Sg. n.)
- nādena : mit dem Ton, Klang (Instr. Sg. m.)
- saha : zusammen (adv.)
- līyate : löst sich auf, wird absorbiert (lī, Verb)
- Übersetzung:
- Ein Feuer, das an einem Holzscheit brennt, verlischt zusammen mit dem (verbrannten) Holzscheit.
- (Genauso) löst sich der auf den (unangeschlagenen) Ton konzentrierte Geist zusammen mit diesem auf, (wenn dieser verklingt).
Erläuterungen
- Der Lokativ (Saptami) kāṣṭhe bezeichnet den Ort der Handlung (Adhikarana) bzw. die Stelle, wo sich etwas befindet.
- Das Adjektiv (Visheshana) pravartitaḥ ("zu Werke gehend", Partizip Präteritum Passiv der Wurzel vṛt mit Präfix pra) ist eine nähere Bestimmung zu vahniḥ und steht daher ebenfalls im Nominativ Singular Maskulinum.
- Der Instrumental (Tritiya) kāṣṭhena bezeichnet das Instrument (Karana) der Handlung bzw. in diesem Falle etwas, was den Agens der Handlung begleitet.
- Das Adverb saha "zusammen" verlangt den Instrumental. Es könnte auch weggelassen werden, da der Instrumental an sich schon im Sinne der Begleitung bzw. Gleichzeitigkeit verstanden wird.
- Die Verbform śāmyati ("kommt zur Ruhe") ist die 3. Person Singular (Indikativ Präsens Aktiv bzw. Parasmaipada) der Gegenwart der Verbalwurzel (Dhatu) śam "zur Ruhe kommen, still werden".
- Der Lokativ nāde bezeichnet hier die Stelle, wo sich etwas befindet, bzw. die "Sache", worauf etwas gerichtet ist.
- Das Adjektiv pravartitam ("verweilend", Partizip Präteritum Passiv der Wurzel vṛt mit Präfix pra) ist eine nähere Bestimmung zu cittam und steht daher ebenfalls im Nominativ Singular Neutrum.
- Der Nominativ cittam ist das logische Subjekt (Kartri) der Verbalhandlung līyate.
- Der Instrumental (Tritiya) nādena bezeichnet das Instrument (Karana) der Handlung bzw. in diesem Falle etwas, was den Agens der Handlung begleitet.
- Die Verbform līyate ("er löst sich auf") ist die 3. Person Singular Medium (Atmanepada) der Gegenwart der Verbalwurzel (Dhatu) lī "verschwinden, sich auflösen, absorbiert werden".
- Sandhi: Die Form pravartito steht für pravartitaḥ, da auslautendes -aḥ vor stimmhaftem Konsonant (hier: v) zu -o wird. Die Endung m von pravartitam und cittam geht vor folgendem Konsonanten (Vyanjana) in Anusvara (ṃ) über, welcher vereinfachend wie m ausgesprochen werden kann.
Metrische Analyse des 3. und 4. Pada
Betrachten wir das dritte (Tritiya) und vierte (Chaturtha) Versviertel (Pada) dieses Shloka noch einmal hinsichtlich der Längen (Dirgha) und Kürzen (Hrasva) der einzelnen Silben (Akshara). Lange Silben enden auf langen Vokal, oder auf einen kurzen Vokal (Svara), der von zwei Konsonanten (Vyanjana) gefolgt wird (inklusive Anusvara und Visarga). Dies nennt man Positionslänge*. Kurze Silben enden auf kurzen Vokal:
Silbe | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 |
Devanagari | ना | दे | प्र | व | र्ति | तं | चि | त्तं | ना | दे | न | स | ह | ली | य | ते |
Transliteration | nā | de | pra | va | rti | taṃ | ci | ttaṃ | nā | de | na | sa | ha | lī | ya | te |
Silbenlänge | lang | lang | kurz | lang* | kurz | lang* | lang* | lang* | lang | lang | kurz | kurz | kurz | lang | kurz | lang |
Symbol | – | – | υ | – | υ | – | – | – | – | – | υ | υ | υ | – | υ | – |
Hinweise zur Aussprache: Alle acht Silben jedes Pada werden in einem Zuge, also ohne Pause, ausgesprochen. Zwischen den Versvierteln wird eine kurze Pause (Yati) eingehalten. Die Positionslänge der 4., 6., 7. und 8. Silbe (Pada 3) ergibt sich durch die Aufteilung in var-ti-taṃ cit-taṃ.
Formen-Rätsel
Auflösung aus Lektion 97
- 1. c) शाम्यामः śāmyāmaḥ - wir werden still: gebildet von der Wurzel śam "still werden"; die Endung der 1. Person Plural -maḥ tritt an den Präsensstamm śāmya-, dessen Auslaut a- zu ā- (śāmyā-) gelängt wird.
- 2. b) du kasteist dich - तप्यसि tapyasi: gebildet von der Wurzel tap "sich erhitzen, sich kasteien"; die Endung der 2. Person Singular -si tritt an den Präsensstamm tapya-.
Neues Rätsel
Anhand der in der Lektion 97 in Übersicht 2 gegebenen Präsensstämme der Div Klasse sowie der Personalendungen in Übersicht 1 ist es möglich, die folgenden beiden Verbformen abzuleiten. Die Personalpronomen "ich, du" usw. müssen im Sanskrit nicht ausdrücklich genannt werden, da die Verbform bereits unzweideutig ist. Das Substantiv Vriksha stimmt im Numerus (Zahl) mit dem Verb überein. Das Frageadverb Kasmat leitet eine Frage ein und steht somit auch im Sinne eines Fragezeichens. Viel Spaß beim Rätseln!
1. | Sanskrit - | Deutsch | 2. | Deutsch - | Sanskrit | |||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
वृक्षौ जीर्यतः vṛkṣau jīryataḥ | a) | der Baum wird alt | Warum werdet ihr zornig? | a) | कस्मात्कुप्यतः kasmāt kupyataḥ | |||
b) | die beiden Bäume werden alt | b) | कस्मात्कुप्यति kasmāt kupyati | |||||
c) | die Bäume werden alt | c) | कस्मात्कुप्यथ kasmāt kupyatha |
Die Auflösung findest Du in Lektion 99.
Fragen und Feedback
Für Fragen und Feedback zum Sanskrit Kurs wendet Euch gerne an Dr. phil. Oliver Hahn. Er ist Indologe und Autor für Yoga Wiki, Seminarleiter, Yogalehrer, Übersetzer und Lektor.
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Siehe auch
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