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Version vom 12. November 2014, 21:04 Uhr
Gelassenheit durch Verständnis, Einfühlungsvermögen und Mitgefühl
Niederschrift eines Podcasts (2014) von Sukadev <mp3player>http://yoga-meditation-blog.de/wordpress/podpress_trac/web/4909/0/73_gelassenheit_durch_einfuehlungsvermoegen-mitgefuehl-verstaendnis.mp3</mp3player>
Um gelassener mit deinen Mitmenschen umgehen zu können, sind Einfühlungsvermögen, Mitgefühl und Liebe wichtig. Es geht hier also um liebevolle Gelassenheit, engagierte Gelassenheit, nicht kalte, gefühllose Gelassenheit. Ich will dir in diesem Abschnitt einige Tipps geben.
Wenn du einen Menschen triffst, grüße ihn mit echtem Gefühl. Wenn ihr wieder auseinandergeht, grüße den anderen wiederum.
Zweitens, verbinde dich jeden Tag von ganzem Herzen mit den drei bis zehn wichtigsten Menschen. Am besten morgens, entweder als Teil deiner Meditation, vor deiner Meditation, als eigentliche Meditationstechnik oder auch einfach so. Im Umgang mit deinem Partner gilt das auch. Bevor ihr euch am Abend viel erzählt, nach Dingen fragt, Aufgaben verteilt, nehmt euch eine Minute schweigend in den Arm und fühlt euch vom Herzen her. Genauso mit den Kindern, wenn du deine Kinder am Nachmittag oder Abend siehst, nimm dir eine Minute, um sie vom Herzen her zu spüren. Gib der Liebe so eine Chance.
Drittens, betrachte die Welt aus den Augen eines anderen. Versuche, zu verstehen, zu spüren, wie der andere tickt, also wie er wahrnimmt, denkt und fühlt. Höre die Lebensgeschichte des anderen an. Erzähle deine eigene Lebensgeschichte. Jeder lebt in seiner eigenen Welt. Jede Welt ist faszinierend, aber nicht ganz verstehbar.
Viertens, gehe davon aus, dass jedes Verhalten in einem bestimmten Kontext sinnvoll ist oder auch war, Ausdruck von legitimen Bedürfnissen ist.
Fünftens, lebe mal mit der Arbeitshypothese, Menschen tun alles auch deshalb, um Liebe zu schenken und/oder um Liebe zu bitten. Sie tun es manchmal auf sehr verquere Weise, und manchmal bitten sie um die Liebe von jemandem, der gar nicht mehr in seinem Körper ist, z.B. vom verstorbenen Vater oder der Mutter. Es fällt leichter, mit einem Menschen umzugehen, wenn man ihn als liebevoll erlebt.
Sechstens, denke über ein paar paläoanthropologische Hypothesen nach. Also, heutiges menschliches Verhalten ist erklärbar aus dem, was in der Steinzeit sinnvoll war. In der Steinzeit waren Angst, Ärger, Neid wichtige Ratgeber und Kraftgeber, welche das Überleben gesichert haben. Und es gab eine Aufgabenteilung. Dadurch, dass es in fast jedem Stamm mindestens einen hypersensiblen, fast paranoiden Menschen gab, der jede Gefahr schon von Weitem erahnte, konnten manche andere im Stamm entspannt die Schönheit genießen. Bringe also den scheinbar Paranoiden Wertschätzung entgegen, sie tragen die Gene in sich, welche das Überleben deiner Vorfahren gesichert haben, und sie sind auch jetzt wertvoll. Sie warnen vor allen möglichen Gefahren, auch wenn die meisten sich nicht manifestieren.
Aber so haben auch Optimisten ihren Platz. Sie wagen viel und erfinden Neues, und sie reißen andere mit. Auch die Pessimisten haben ihren Platz. Sie warnen vor Gefahren, und sie treffen so wichtige Vorkehrungen zur Gefahrenabwehr. So sind Ordnungsfreaks und Regelfanatiker wichtig. Sie helfen, dass die Regeln, unter denen alle leben wollen, eingehalten werden. Und die Rebellen sind wichtig, sonst würde alles starr werden und bei Änderungen in der Umwelt kollabieren oder Diktatoren hätten leichtes Spiel.
Mit diesen und anderen Techniken entwickle Liebe, Mitgefühl, Verständnis und Humor gegenüber anderen und auch dir selbst.
Siebtens, ein guter Ansatz für Wertschätzung anderer ist auch die Dosha Lehre aus dem Ayurveda. Und es ist gut, wenn in jedem Team jedes Dosha vertreten ist. Die Vata-Menschen haben die Ideen. Die Pitta-Menschen priorisieren und setzen die wichtigen Ideen um und geben Energie dahinter. Die Kapha-Menschen sorgen dafür, dass das Bewährte weiter gemacht wird, es gemütlich menschlich zugeht, niemand an Burnout leidet und dass es langfristig gut weitergeht. Das ist also die Kurzzusammenfassung des folgenden Textes. Du kannst gespannt sein, mit einigen Anekdoten gewürzt, wird das sehr, sehr praxisnah werden.
Ich will darüber sprechen, wie man durch Einfühlsamkeit, Mitgefühl, Liebe gelassener sein kann. Obgleich man fast sagen muss, jetzt die Liebe in den Dienst der Gelassenheit zu stellen, ist eine Umkehrung von dem, wie man es eigentlich sehen kann, aber das Thema ist ja „Gelassenheit entwickeln“. Und eine Übung, die ihr gerade eben gemacht habt, ist eine, von der ich sehr, sehr viel halte. Jeden Tag mit jedem Menschen, der für dich in den nächsten Tagen von besonderer Wichtigkeit ist, eine Herzensverbindung herzustellen, in der Art, wie wir es gerade gemacht haben oder so wie du denkst, dass es für dich passt.
Herzensverbindung
Der Mensch hat die Fähigkeit, sich einzufühlen in den anderen. Das ist eine der großartigen Fähigkeiten des Menschen. Der Mensch hat die Fähigkeit, vom Fühlen her, vom Intuitiven her, andere zu verstehen. Und wenn man andere vom Intuitiven versteht, geht Vieles leichter. Vom Yogischen her würde man sogar sagen, das ist nicht nur irgendeine Funktion im Hirn, dass man das alles gut deutet, sondern es besteht tatsächlich eine Energieverbindung und telepathische Verbindung, wie es die meisten kennen. Man denkt an einen Menschen und im nächsten Moment ruft er an, oder es geht einem schlecht, prompt ruft Mami an. Also, bei mir ist das immer so, wenn es irgendwo schwierig ist, ich kann sicher sein, am gleichen Tag wird die Mutter anrufen, sie spürt das.
Es gibt diese Verbindung und diese Verbindung können wir auch zu jedem Menschen herstellen. Daher mein Tipp, man kann einfach morgens, z.B. vor seiner Meditation oder statt seiner Meditation oder als Meditation, sich einfach hinsetzen, und dann denkt man erst an den einen und da reichen ein paar, eins, zwei, Atemzüge und man spürt ihn oder sie. Dann denkt man an den anderen eins, zwei Atemzüge, an den nächsten usw. Das ist die Kurzform. Die längere Form haben wir eben gemacht. Es gibt natürlich noch längere Formen, indem man über den anderen irgendwo versucht, dann auch nachzudenken. Aber die einfachste Form ist oft die beste, einfach jeden Menschen, der wichtig ist, mindestens kurz spüren, Herz zu Herz Verbindung.
Natürlich, in der Partnerschaft kann man das auch verbinden mit einer Umarmung. Nicht gleich nach Hause kommen und als erstes sagen, „ach, hatte ich heute einen Tag“ und losreden. Und der andere hat als erstes Fluchtgedanken: „Raus hier. Schnell vor den Computer. Schnell Fernseher an oder schnell irgendwas anderes tun.“ Sondern das erste, was man machen kann, ist einfach sich umarmen und schweigen, sich von Herz zu Herz spüren. Und prompt ist eine Verbindung da, und dann spürt man nachher, was man erzählen kann, ohne den anderen zu überfahren und zu überlasten. Man kann das auch mit denen machen, mit denen man nicht so gut kann, eben in sie hinein spüren. Man kann das grundsätzlich mit jedem Menschen machen.
Auch wenn du nach Hause kommst, auch zu Kindern, kannst du erst einmal, bevor du mit ihnen sprichst, erstmal von Herz zu Herz spüren, Liebe sprechen lassen. Diese fünfzehn bis dreißig Sekunden oder fünf bis sieben Sekunden für Vielbeschäftigte, die man wartet, bevor man in Kommunikation tritt und bevor man überlegt, was Kind alles falsch gemacht hat, oder was man sagen will, oder wofür man es loben will, oder was man sonst noch für gemeinsame Aktivitäten machen will, erst mal Herz zu Herz Verbindung herstellen. Das kann man jeden Morgen sowieso machen, dann macht man es in jedem Fall, nimmt diese dreißig Sekunden bis drei Minuten und das erleichtert vieles.
Ich kann hier gerade mal eine kleine Anekdote erzählen, die mich zu dieser Übung geführt hat. Das ist schon eine ganze Weile her. Es war das erste Mal als ich einen Ashram geleitet hatte. Man denkt oft, Ashram ist ein Ort des Friedens und Menschen gehen liebevoll und freundlich miteinander um und vermutlich, im Verhältnis zu dem, wie es sonst in Firmen zugeht, ist das in jedem Fall richtig. Aber auch Menschen mit hohen Idealen und Idealisten und Individualisten zusammenzubringen, ist immer eine besondere Herausforderung. Und sie machen auch nichts, nur um den Arbeitsplatz zu erhalten, sondern denen geht es ums Prinzip, dafür sind sie ja da. Sie wollen selbst das Höchste erreichen, und sie wollen selbst tun, was in ihrem Herzen ist, und sie wollen Gutes tun in dieser Welt.
Gut, jetzt diese Individuen zusammenzubringen, ist manchmal sehr einfach, es ist sehr befriedigend mit solchen Menschen zusammenzuarbeiten, die auch direkt sind und nicht irgendwas sagen und hinterrücks was ganz anderes tun, aber es kann auch schwierig sein. Es gab mal eine Phase, das war als ich erstmals einen Ashram geleitet habe, da war das irgendwo schwierig. Und dann kam dann so ein älterer Swami aus Indien, und den habe ich mal gefragt: „Was kann ich denn machen?“ Und dann hat er mir gesagt: „Concentrate.“ Da habe ich gefragt: „Was meinst du mit Concentrate?“ Dann hat er gesagt: „Concentrate your heart with the heart of each one which is important. Konzentriere dich auf jeden, der dort im Ashram wichtig ist.“ Das war damals jeder Mitarbeiter im Ashram, das waren nicht so viele. „Jeden Tag spüre eine halbe Minute lang am Tag das Herz von jedem, der da ist.“ Mehr hat er nicht gesagt. Und dann: „See the miracle happening. Sieh, wie das Wunder passiert.“ Und es war wie Magie, nach ein paar Tagen lief alles besser. Sogar, die andern gingen untereinander liebevoller miteinander um. Das hat ausgereicht, dass einer die Herzensverbindung bewusst herstellt jeden Morgen.
Gut, dann habe ich das auch mal zum Thema gemacht und dann geht vieles leichter. Das funktioniert nicht nur im Ashram, es funktioniert auch in der Familie, es funktioniert auch mit Chefs und Kollegen, mit denen man sich nicht versteht, egal, wer es ist. Also, diese Übung möchte ich euch besonders ans Herz legen. Eine zweite Sache, es gibt eine schöne Sache, wenn man Menschen trifft, was macht man als erstes? Man grüßt sie. Und da steckt viel spirituelle Weisheit drin. Das Problem ist, die meisten Menschen grüßen halbherzig: „Tach, Moin, Grüezi, Hallo.“ Das kann man machen, nur man sollte sich bewusst sein, das sind eigentlich alles hoch spirituelle Grüße. Hier sagen wir oft: „Om Namah Shivaya. Grüße an das Göttliche in dir.“ „Namah“ heißt „Ehrerbietung an“, Shiva heißt eigentlich liebevoll und gütig und glücksverheißend. Und „Om Namah Shivaya“ – „Ich grüße dich, der du glücksverheißend und tief im Inneren Liebe und Güte bist“.
Grußformeln
Wenn man irgendwie neu diese Ausdrücke gebraucht, dann macht man es mit mehr Gefühl, man überlegt auch: „Was erzähle ich da überhaupt?“ Aber wenn man lange genug das macht, irgendwann kann man es genauso mechanisch sagen wie „Tach“ oder „Moin“. Man kann aber das „Om Namah Shivaya“ immer mit Ehrerbietung sagen und natürlich, ich vermute, in euren Kontexten werdet ihr nicht am Montag zu eurem Chef gehen und sagen: „Om Namah Shivaya.“ Aber man kann sagen, „Grüß Gott“, wenn ihr aus Süddeutschland seid, und das wirklich auch so meinen: „Ich grüße das Göttliche in dir.“ Oder: „Guten Tag.“ Man kann wirklich sagen: „Ich wünsche dir einen guten Tag.“
Auch „Hallo“: „Hallo“ kommt aus dem Englischen und kommt von „Hail Lord“. Und das heißt: "Hail" – Gruß und "Lord" heißt Gott. Grüß Gott. Also, man könne sagen, eine Übersetzung von „hallo“ ist „Om Namah Shivaya“. Oder umgekehrt, „Om Namah Shivaya“ ist die Übersetzung von „Hallo“ im Sinne von „Hail Lord“. Oder auch „Tschüss“, wisst ihr, wo „Tschüss“ herkommt? Spanisch, Adiós. Und das ist wiederum eine Abkürzung von „Ich grüße Gott“. Und „Tschüss“ heißt „ich grüße Gott in dir“. Das Interessante ist, die flapsigen Verabschiedungsformen sind hoch spirituell. Hail – Ich grüße das Göttliche in dir – Hallo – Und ich grüße das Göttliche in dir – Tschüss oder Tschö, das rheinländische „Tschö“ kommt von Adieu, dem Französischen. Gut, also das ist auch etwas Gutes, wenn man jemanden trifft, einen Moment lang, am besten morgens mit jedem eine Verbindung herstellen. Und wenn man jemanden trifft, als erstes einen Moment lang ihm Gutes wünschen und mit ihm oder ihr sich verbindet. Dann geht vieles leichter.
„Moin Moin“, das kommt ja aus dem Friesischen und das heißt „Segen“. „Moin“ heißt „Segen“, „göttlicher Segen“ und „Moin, Moin“, „ich wünsche dir doppelt göttlichen Segen“. Das „Moin Moin“ im Friesischen hat nichts mit „Morgen“ zu tun, weshalb man das sehr wohl auch nachmittags und abends sagen kann, denn göttlichen Segen kann man jederzeit gebrauchen. Das ist erst mal eine Grundlage. Der nächste Aspekt ist auch, man kann erst mal davon ausgehen, jeder will von seinem subjektiven Standpunkt aus das Gute.
Liebe schenken, um Liebe bitten
Und wir können auch noch dazu diesen Standpunkt, man kann sagen, diese Arbeitshypothese haben, jedes Verhalten eines Menschen ist auch dadurch motiviert, Liebe zu schenken und um Liebe zu bitten. Menschen machen das zum Teil ganz verquer und Menschen machen das zum Teil mit großem Verletzen und furchtbarer Gewalt und tun Menschen Schrecklichstes an, aber man kann trotzdem noch entdecken, die beiden Urmotivationen des Menschen sind Liebe schenken und um Liebe bitten. So ein typischer klassischer Konflikt – ich weiß nicht, ob ihr den habt, vielleicht habt ihr gleichberechtigtere Partnerschaften, aber früher war das mal so: Mann geht zur Arbeit und macht Überstunden. Warum macht er die Überstunden? Um seiner Familie Liebe zu geben. Er verdient dort etwas mehr Geld, er bekommt dabei etwas mehr Mittel, dann kann er anschließend seiner Frau etwas Schöneres kaufen, kann für die Familie besseren Urlaub ermöglichen, ein größeres Haus ermöglichen und die sagen ja alle, dass sie für alles Mögliche Geld haben wollen, also geht er länger ins Büro.
Was denkt die Frau typischerweise? „Der liebt mich nicht mehr, bleibt ständig im Büro.“ Sie schimpft den Mann, weil er solange im Büro bleibt. Warum schimpft sie den Mann? Um ihm ihre Liebe zu zeigen. Sie will eben sagen: „Ich liebe dich, und ich brauche dich, und ich hätte gerne mehr von dir.“ Und auch um Liebe zu bitten: „Ich brauche deine Liebe und zwar nicht in Gestalt von irgendwelchem Geld.“ Jetzt hat man diesen typischen Konflikt, beide wollen eigentlich Liebe zeigen und letztlich auch um Liebe bitten. Mann hofft auch: „Ich bringe mehr Geld nach Hause, das erkennt meine Frau an und dann ist sie freundlich und liebevoll zu mir.“ Vielleicht gibt es in der ein oder anderen Partnerschaft von euch das andersherum, aber es ist diese typische Sache. Wenn man so ein bisschen überlegt und in den Menschen schaut, wird man das meistens feststellen, dass einer Liebe zeigen oder bekommen will.
Auch wenn ihr dann einen Chef habt, mag sein, dass er nicht unbedingt euch die Liebe schenken will oder darum bitten will, vielleicht will er die Liebe von jemand anderen. Manche Menschen wollen die Liebe von ihrem Papa, selbst wenn der schon lange tot ist. Man sagt, dass viel Verhalten von Menschen darin motiviert ist, dass sie hoffen, der Vater sagt irgendwann: „Sohnemann, Tochter, ich bin stolz auf dich, hast du gut gemacht.“ Viele haben das ihr ganzes Leben, sie wollen die Liebe ihres Vaters noch haben, selbst wenn der schon lange tot ist. Manche richten ihr Leben danach aus, worauf ihr Vater stolz sein würde. Es kann manchmal auch helfen, sich dessen bewusst zu werden.
Und mein Tipp wäre ja, solltet ihr über achtzehn sein, dann sollte eure Lebensgestaltung nicht von den Vorstellungen eurer Eltern abhängen, denn eure Eltern haben eigentlich nur einen Hauptwunsch. Welcher Wunsch ist das? Die Eltern haben den Hauptwunsch, dass ihr glücklich seid. Eine der wichtigsten Motivationen, wenn nicht die wichtigste Motivation, von Eltern ist, dass die Kinder glücklich sind. Und wenn man seine Eltern glücklich machen will, was muss man nur machen? Glücklich sein. Und ansonsten kann man auch noch den Eltern versuchen, Liebe zu schenken, sie anzurufen, sie besuchen und sich um sie kümmern, wenn nötig, aber nicht sein Leben ausrichten nach den Wünschen der Eltern. Wenn man das 18. Lebensjahr überschritten hat, dann sollte man das nicht mehr tun, das ist nicht notwendig, selbst wenn die Eltern ständig an einem rumnörgeln. Warum nörgelt Mutter und Vater an einem rum und sagt: „Mach endlich mal was Vernünftiges!“ Warum machen sie das? Um einen zu ärgern? Sie wollen, dass es einem gut geht, sie wollen ihre Liebe zeigen. Also, wenn Eltern an einem rumnörgeln, freu dich zunächst einmal darüber.
Warum solltest du dich darüber freuen? Du hast Eltern, die dich lieben. Es gibt es sogar so extrem, dass Eltern die Kinder in Gerichtsprozesse verwickeln. Warum machen sie das? Auch aus Liebe zum Kind. Es gibt die verquersten Geschichten. Man kann das von der amüsanten, lustigen Seite nehmen, obgleich es für die Betroffenen sehr schwierig ist. Oder es gibt Geschwister, die sich ums Erbe streiten und alles Erbe den Rechtsanwälten vorwerfen. Warum machen sie das? Aus Liebe - ja. Gerade wenn Liebe involviert ist, dann wird es oft sehr schwierig. Wenn es eine reine Geschäftsbeziehung ist, dann ist es sehr viel leichter. Aber das erst mal anzuerkennen, manchmal Liebe, manchmal verletzte Liebe, manchmal tragen Geschwister zum Teil lange Vergangenes aus - einer meint, die Mutter hat ihn schon im Alter von sieben Jahren benachteiligt gegenüber dem anderen, und deshalb will er jetzt nicht dem anderen zwei Prozent mehr vom Erbe der Eltern geben. „Die Liebe muss gleichgestellt werden und dazu brauche ich das.“
Immer von der Liebe ausgehen
Okay, das ist eine Hypothese, die ich euch empfehlen kann, immer von Liebe ausgehen und eben bei Eltern als erstes erkennen: „Ja, es ist toll, ich habe Eltern, denen ich wichtig bin und die sich um mich kümmern wollen und die mir Liebe zeigen wollen und das ist anerkennenswert.“ Das ist der erste Schritt. Der zweite Schritt wäre, sich bewusst zu machen, gerade wenn die Gelassenheit gefordert wird, weil die Eltern einem in den Lebensstil und die Erziehung reinreden wollen – das ist das Allergrässlichste, wenn Schwiegermütter in die Erziehung reinreden wollen, das scheint dermaßen archetypisch zu sein, dass es fast immer vorkommt, sowie jemand Kinder hat, wenn es eine Schwiegermutter gibt, dann gibt es Konflikte, weil sie reinreden will.
Warum wollen die reinreden? Aus Liebe. Sie meinen es gut mit ihrem Enkel. Und sie meinen es natürlich auch gut mit Tochter und Schwiegertochter und mit dem Sohn. Sie wissen natürlich auch, das Wichtigste für die Eltern ist das Wohl ihrer Enkel, also muss natürlich die Schwiegermutter alles tun, dass es dem Enkel gut geht. Wenn ihr Großeltern seid, bitte macht eines nicht, in die Erziehung eurer Kinder reinreden. Das ist sehr wichtig für das Wohlbefinden eurer Tochter, Sohn, Schwiegertochter, Schwiegersohn. Egal, was ihr meint, redet denen nicht rein in die Erziehung. Selbst wenn ihr findet, die machen das ganz grässlich, solange sie nicht gewalttätig sind – ihr versteht was ich meine?
Also, bei allem anderen, stützt nur das, was die Eltern tun. Und wenn ihr Eltern habt, die sich einmischen, erkennt wieder, die meinen es liebevoll. Und sie mögen es liebevoll meinen, und es geht ihnen nur darum, dass es uns gut geht und „am meisten helfe ich ihnen, indem ich mich darum kümmere, dass es uns gut geht“. Dann erkennt man die Intention an, dann kann man auch zuhören, und gegenüber Eltern muss man sich dann auch nicht rechtfertigen. Wenn man erwachsen ist, muss man sich nicht rechtfertigen. Die Eltern müssen nicht akzeptieren, was man tut, sie müssen es auch nicht verstehen, sie müssen es nicht gutheißen, das müssen sie alles nicht, und man braucht es ihnen auch nicht zu erklären. Und man muss auch nicht zum hundertsten Mal erklären, warum man Vegetarier geworden ist. Man muss nicht zum zweihundertsten Mal erklären, warum man als Yogalehrer tätig ist, statt einen gescheiten Beruf zu haben.
Man kann das einmal erklären. Man kann durchaus entwaffnend sagen: „Ja, ich finde es toll, dass du um mich besorgt bist. Und ich finde es toll, dass du Anteil nehmen willst an meinem Leben. Was macht dein Knie? Wie geht es Tante Else usw.“ Also Ablenkungsstrategie ist häufig dann hilfreich. Anerkennen, dass der andere es gut meint, man kann es anhören, nicht rechtfertigen und sich irgendwie freuen. Man kann sogar in dieser Liebe der Eltern baden, selbst wenn sie sich gerade sehr eigenartig ausdrücken.
Mit der Rechtfertigung beginnen Schleifen. Und die braucht es nicht. Vierzehnjährige müssen erklären, warum sie nicht pünktlich nach Hause gekommen sind. Eltern müssen sich das nicht anhören, sie können auch sagen: „Wir haben es ausgemacht und ich erwarte, dass du das einhältst.“ Aber man selbst, wenn man älter ist als achtzehn, muss man sich nicht rechtfertigen, vor allem, wenn man finanziell selbstständig ist. Wenn man nicht finanziell selbstständig ist, dann muss man sich vielleicht rechtfertigen, wenn man das Geld zum Fenster rauswirft oder die Eltern das als solches empfinden. Dann haben die Eltern ein gewisses Anrecht, aber ansonsten nicht. Ansonsten ist keine Rechtfertigung nötig. Ihr könnt das auch bei euren Kollegen sehen und euren Chefs usw., eine gute Arbeitshypothese, die ich euch auch empfehlen würde, man kann das mal eine Woche bewusst machen.
Empathie
Gut, der nächste Punkt ist, ich sagte, der Mensch hat die schöne Fähigkeit der Empathie, des Einfühlungsvermögens. Durch diese beiden Techniken, die ich genannt habe, eigentlich sind es ja schon drei, also erstens, morgens daran denken, zweitens, bevor man anfängt, zu sprechen, erst mal hinein spüren und dem anderen Gutes wünschen, und wenn man natürlich sich verabschiedet, auch dem anderen Gutes wünschen zum Schluss. Dazwischen kann man sich auch auseinandersetzen, kann auch mal konträr sein, Konflikte muss man nicht scheuen, aber wenn da dieses Grundprinzip des Verständnisses da ist, ist es gut. Das dritte ist, so zwischendurch zu überlegen: Wie könnte ich das Verhalten meiner Mitmenschen deuten als Bitte um Liebe und den Versuch, Liebe zu schenken? So verrückt sie das manchmal ausdrücken, man kann es machen.
Die nächste Möglichkeit, um die Empathie zu entwickeln, ist, davon auszugehen, dass jeder in der eigenen Welt lebt und jede Welt ist faszinierend, wenn auch nicht ganz zu verstehen. Du kannst beispielsweise sagen: „Ja, mit dem Menschen habe ich so viel Konflikte.“ Es ist eine gute Übung, du kannst mal überlegen: Wie tickt der Mensch überhaupt? Eine gute Hilfe könnte dafür sein, ohne dass das in allen Lebenskontexten möglich ist. Man kann versuchen, mehr über den anderen herauszufinden. Manchmal kann man auch mal schauen, ob der andere bereit ist, seine Lebensgeschichte zu erzählen. Man kann fragen: „Was ist dir besonders wichtig?“ Das kann man übrigens auch wiederum mit seinem Partner machen, selbst wenn man seine Lebensgeschichte schon kennt, kann man nochmal sagen: „Wir kennen uns ja jetzt schon lange und schon vor fünf Jahren haben wir uns gegenseitig unsere Lebensgeschichte erzählt, die deutet sich ja manchmal anders. Erzähl mir doch noch mal, was vom jetzigen Standpunkt aus wichtig war in deinem Leben.“
Da kommt plötzlich eine Nähe wieder zustande, man versteht den anderen mehr. Man kann das auch mal mit Kollegen machen, wenn man mal zusammen irgendwo hinfährt, irgendwo zu einer Konferenz oder so. Man kann das machen mit seinen Mitarbeitern. Im Gespräch ein bisschen anregen: „Erzählen Sie doch mal etwas über sich.“ Und manche fangen dann an, plötzlich wie ein Wasserfall zu reden. Und manchmal kann man einfach versuchen, mehr über den Menschen herauszufinden. Und dann kann man probieren, die Welt mit den Augen des anderen zu sehen. Übrigens mit der notwendigen Demut. Das Schlimmste, was man machen kann: „Ich verstehe dich ja.“ Was kommt dann? „Aber…“
Preisfrage: Angenommen, jemand erzählt euch das. Wie gut verstanden fühlt ihr euch in dem Moment? So, jetzt weitere Preisfrage: Wer von euch hat das schon mal jemand anderem angetan? „Ich verstehe dich ja, aber…“ Also, zu behaupten, „ich verstehe dich ja“, ist eine Zumutung und ist arrogant. Man kann sagen: „Ich versuche, dich dort zu verstehen.“ Oder: „Ich meine, dein Anliegen dort verstanden zu haben.“ Es gibt ja dann auch diese gewaltfreie Kommunikation unter anderem, wo man erst mal sagt: „Ich habe das so und so verstanden. Hast du das so und so gemeint?“ Dann kann der andere sagen: „Nein, so habe ich es nicht gemeint.“ So könnte man dann nachhaken, aber das ist jetzt kein Kommunikationsseminar, obgleich das auch sehr gute Sachen sind. Aber zumindests, kann man probieren, sich in den anderen hineinzuversetzen. Man ist sich bewusst, dass die Hypothesen, die wir über den anderen aufstellen, mit Irrtum behaftet sind. Und man kann sich auch bewusstmachen: Versteht du dich selbst wirklich? Ich bin jemand, ich versuche, mich seit vierzig Jahren zu verstehen. Ich bin mir immer noch für Überraschungen gut.
Man ist selbst der beste Selbstunterhalter. Und wenn ich jetzt weiß, und ich bin durchaus jemand, ich nehme mir Zeit, mich selbst zu verstehen, ich führe Tagebuch, ich meditiere, ich habe so viele verschiedene Dinge gemacht, um mich zu verstehen und in so vielen verschiedenen Richtungen. Und ich bin mir immer noch für Überraschungen gut. Wie könnte ich annehmen, irgendeinen anderen Menschen vollständig zu verstehen? Das wäre unsinnig. Wenn es noch nicht mal mit sich selbst gelingt. Wo man mit sich selbst vierundzwanzig Stunden am Tag zusammen ist und jederzeit seine eigenen Gedanken beobachten kann und sein Verhalten analysieren kann, sich seiner Gefühle bewusst werden kann, Hypothesen ständig testen kann. Aber trotzdem, der Versuch, sich in den anderen hineinzuversetzen, ist eine gute Sache.
Verhalten steht in Bezug zu Bedürfnissen
In diesem Kontext können wir auch wieder von etwas ausgehen: Jedes Verhalten war oder ist in einem bestimmten Kontext sinnvoll und ist Ausdruck legitimer Bedürfnisse, wenn wir es ein bisschen komplizierter machen wollen. Die einfachere Sache wäre, wir gehen einfach von Liebe aus, andere wollen Liebe schenken, um Liebe bitten. Aber wir können noch weiter gehen. Jedes Verhalten ist in irgendeinem Kontext sinnvoll und Ausdruck legitimer Bedürfnisse, auch wenn es komisch oder unverständlich erscheint. Da könnt ihr natürlich auch schauen, z.B. es gibt die so genannten Paläoanthropologie. Habt ihr von der mal gehört?
Steinzeitpsychologie nennt man das auch, man sagt, der größte Teil des menschlichen Verhaltens erklärt sich aus den Gegebenheiten der Steinzeit. Die Genetik des Menschen hat sich seit Erfindung des Ackerbaus und der Städte und des Computers und des Handys noch nicht geändert. Die genetische Ausstattung, oder man würde sagen, die Psyche, ist ein paar Hunderttausend Jahre gleichgeblieben unter Steinzeitbedingungen oder hat sich erst ein paar Hunderttausend Jahre in Steinzeitbedingungen entwickelt, dann ist sie ein paar Hunderttausend Jahre gleichgeblieben. Also, wenn man andere Homo Sapiens treffen würde von vor Hunderttausend Jahren, dann könnte man mit denen Kinder zeugen, und wenn man ein Findelkind aufnehmen würde, das würde ganz normal aufwachsen wie ein Neuzeitkind auch, könnte auch nachher Autofahren und Flugzeuge bedienen und im Internet surfen usw. Da hat sich nichts geändert an der emotionalen und intellektuellen Grundausstattung des Menschen.
Gut, und so kann man vieles erklären, was damals war. Z.B. ist es sehr sinnvoll, ängstlich zu sein. Warum? Damit man überlebt. Und auch diese Stressreaktion ist gut. Angenommen, wir hätten einen extrem gelassenen Menschen gehabt vor Hunderttausend Jahren. Und der geht da so daher und genießt die Schönheit des Waldes, genießt die Schönheit des Himmels, genießt das Zwitschern der Vögel, sieht dort plötzlich ein großes Tier, das schwarz und gelb-orange gestreift ist, unglaublich schön, das Herz geht ihm auf. Was passiert mit dem Menschen? Schnell gefressen vom Säbelzahntiger, er kann sein Erbgut nicht weitergeben. Deshalb konnten diese so gelassenen Menschen ihr Erbgut nicht weitergeben. Aber unser Urahn, sowie er einen Säbelzahntiger gesehen hatte, ist er schnell weggerannt, und sobald er ein kleines Geräusch gehört hat, ist er zusammenzuckt, und er hat überlebt.
Also ist es sehr sinnvoll, dass wir, sowie etwas andeutungsweise bedrohlich ist, zusammenzucken. Deshalb, wenn du merkst, dass du ängstlich bist, kannst du auch sagen: „Ist toll, dass ich diese Veranlagung in mir drin habe. Weil dieser Teil der menschlichen Spezies in mir drin ist, gibt es mich überhaupt.“ Oder Ärger. Man kann sich über verschiedene Dinge ärgern. Z.B. kann man sich ärgern, weil die eigenen Wünsche nicht berücksichtigt worden sind. Ist das sinnvoll? Früher war es ganz sicher sinnvoll, denn angenommen, man hätte das nicht und ist in einem Stamm von zwanzig, dreißig Leuten und die Beute wird ungerecht aufgeteilt, man kriegt nichts zu essen. Was passiert mit einem? Man verhungert und stirbt. Und in der damaligen Zeit war das durchaus üblich, dass auch Teile von Horden gestorben sind. Man nimmt z.B. an, dass im alten Germanien, alle acht bis zwölf Sommer die Ernte so schlecht war, dass die Hälfte des Stammes im Winter ausgestorben ist. Das wird inzwischen wieder bezweifelt, dass es so schlimm gewesen ist, aber vor ein paar Jahren habe ich da so ein Buch darüber gelesen, das waren die Situationen, in denen Teile unserer Vorfahren – ich nenne es Teile unserer Vorfahren, Menschen sind ja ein Gemisch aus so vielen verschiedenen Ländern – gelebt haben.
Da war es wichtig, dass man sich ärgert, wenn man nicht berücksichtigt wird, und den Ärger kundtut. Oder man muss es auch nicht nur selbst machen, sondern es gibt dann auch andere, die sich darüber ärgern, dass ein anderer zu kurz kommt. Es gibt dann dieses Gerechtigkeitsgefühl, auch das kann eine Grundlage von Ärger sein. Das Schöne ist aber auch, Menschen leben in Gruppen zusammen. Menschen leben nicht allein, sind nicht wie Katzen, die eigentlich dafür gemacht sind, allein zu leben, aber interessanterweise mit Menschen doch gut zusammenleben können, und nur zur Paarung und Aufzucht irgendwo zusammenleben. Mensch ist immer schon soziales Wesen gewesen.
Jetzt das Schöne ist, nicht alle in der Art sind gleich, und wenn es in der Art so einen Paranoiden gibt, dann kann sich der Stamm auch erlauben, dass es ein paar gibt, die so gelassen und ästhetisch durch die Welt gehen. Wenn es irgendeinen im Stamm gibt, der geht raus aus der Höhle und schaut, der sieht dort auch, Vögel zwitschern, die Sonne scheint, blauer Himmel und Schmetterlinge usw., der denkt immer: „Irgendwas ist schief. Irgendwas stimmt nicht.“ Und der ist ständig in Alarmbereitschaft, seine Antennen sind darauf gerichtet, es könnte was passieren. Und weil der so paranoid ist, ist er der Warner für alle. Der sorgt dafür, dass der gesamte Stamm überlebt. Der hört den Säbelzahntiger, wenn der noch einen Kilometer entfernt ist. Der mag die Gruppe fünfmal vergebens warnen, aber beim sechsten Mal stimmt es.
Und weil es diesen Paranoiden gibt, kann es den anderen geben, der dort sagt: „Ach, genieß doch die Welt. Es geht doch alles gut. Es ist doch alles schön. Schau den Himmel an.“ Es gibt auch heute Paranoide und sie können furchtbar nerven. Wenn man irgendeine neue Idee hat, was sagen sie? „Das geht schief. Haben wir schon probiert. Alles zu viel Risiko.“ Jetzt kann man sich furchtbar über die ärgern, oder man kann sagen: „Ist toll, dass es so jemanden gibt, dann brauche ich mir nicht die Sorgen vorher zu machen. Der Herr Schmidt wird schon die Bedenken herausfinden.“ Es ist wichtig, dass der zu Wort kommt und dass man den auch anhört. Die größten Fehlentscheidungen entstehen, wenn es einstimmig beschlossen worden ist und insbesondere einstimmig, ohne vorherige Diskussion. Irgendeinen Bedenkenträger braucht es. Deshalb sagt man gerne, wenn es keinen gibt, dann muss jemand formell in die Rolle des Advocatus Diaboli gehen.
Also, wenn ihr irgendwelche Leute habt, die paranoid sind im Sinne von sogar leicht krankhaft, das ist auch der Grund, weshalb es das überhaupt gibt in der genetischen Ausstattung, dass Menschen sogar krankhaft paranoid sind. Sie waren früher wichtig, und zum Teil sind sie es auch heute noch. Sie müssen als solches anerkannt werden, die sollten nicht zum Diktator werden, nicht zum Tyrannen, aber wertgeschätzt, wie die inneren Eigenschaften. Oder es gibt den Gerechtigkeitsfreak. Es ist auch gut, dass es die gibt, dann braucht nämlich nicht jeder selbst sich für seine Bedürfnisse zu sorgen. Es gibt dann normalerweise in einer Gruppe jemanden, der merkt, da stimmt etwas nicht. Die nerven auch manchmal.
Oder es gibt die Vorschriftenfreaks. Kennt ihr die? Wenn ihr kein solcher seid, dann nerven die ganz ungemein. Man kommt nur fünf Minuten zu spät, der guckt einen schräg an. Man hat sich etwas mehr vom Kuchen genommen, der in der Arbeitsgruppe auf dem Tisch steht, und schon schaut er komisch. Man fühlt sich ständig durchleuchtet. Vielleicht ist der gar nicht so schlimm, wie man denkt, aber mindestens werden sofort alle Eltern da drauf projiziert. Gut, und manche sagen dann ja auch immer was. Und wenn ihr selbst ein solcher seid, dann ärgert ihr euch erstens ständig, dass die Leute so nachlässig sind, und zweitens ärgern die sich ständig über euch. Vielleicht habt ihr sogar einen Spitznamen, der Polizist oder etwas ähnliches.
Hier im Haus habe ich mal gehört, da gab es mal Leute, die wurden immer die Ashrampolizei genannt. Die merken, wenn in der Mitarbeiterküche Lebensmittel drin sind, die dort nicht sein sollten oder wenn aus irgendeinem Zimmer eine Musik heraushallt, die im Ashram nicht öffentlich gespielt werden soll. Mit Kopfhörern darf man anhören, was man will, ansonsten sollte es eher meditative Musik sein oder Mantramusik. Aber es ist wichtig, dass es solche gibt, denn alle wohnen ja z.B. in einem Ashram, und warum? Weil es ein Ashram ist und zum Ahsram gehören bestimmte Regeln dazu. Da gehören bestimmte Essensregeln dazu, da gehört Nachtruhe dazu, da gehört dazu, dass man gemeinsam meditiert, Asanas, Pranayama übt usw. Selbst die, die sich nicht an die Regeln halten, sind deshalb im Ashram, weil es diese Regeln gibt. Denn wenn es diese Regeln nicht gibt, dann können sie ja irgendwo sonst wohnen. Weshalb also die auch dankbar sein können, dass es die anderen gibt, die dafür sorgen, dass die Regeln mindestens ausreichend eingehalten werden, damit man sich dort wohlfühlt. Und umgekehrt, auch diejenigen, die dann die Regeln immer respektieren.
Und es geht natürlich auch in der Familie, das geht in der Arbeitsgruppe, das geht im Verein, das geht in jedem gemeinnützigen Verein, wenn es da nicht irgendjemanden gibt, dem die Regeln wichtig sind, zerfällt das irgendwann. Also, wenn ihr ein solcher seid, dann wertschätzt euch selbst, ihr habt wichtige Funktionen, wertschätzt auch die anderen, die haben auch wichtige Funktionen. Und wenn es jemand anderen gibt, der die Funktion hat, auch wenn es euch immer wieder nervt, wertschätzt diese Funktion. Man braucht eben nicht alle Minister in sich gleich stark zu haben, sondern manch andere haben dieses etwas stärker. Ja, man kann das mit einem Schmunzeln nehmen: „Man braucht mich. Die Gruppe braucht mich ganz sicher. Und ich mache mich dabei unbeliebt. Und ich lache darüber.“ Dann kann man die Sache etwas gelassener sehen.
Rollen und Doshas
Vielleicht noch als ein letztes dieser Ausdrücke, dieser Konzepte, die euch auch helfen können. Es gibt so viele Rollen, die alle Menschen haben, aber wir haben ja hier auch eine Ayurveda Oase und im Ayurveda sprechen wir von Vata, Pitta und Kapha. Und grob kann man sagen, dass jeder Mensch all diese drei Eigenschaften in sich hat. Vata heißt Luft, luftig, neue Ideen, kommunikativ, ständig wieder was Neues überlegen. Pitta heißt Feuer, etwas durchsetzen und zielgerichtet sein, enthusiastisch und an Widerständen wachsen und das wirklich machen, andere auch dafür begeistern, notfalls den Karren allein aus dem Dreck ziehen. Kapha heißt Erde, Wasser, heißt Gemütlichkeit, heißt Bewahren, heißt gesunder Menschenverstand, heißt, das wertzuschätzen, was jetzt ist, heißt auch, liebevoll, freundlich mit anderen umgehen, heißt auch, verlässlich zu sein.
All das hat man in sich. Man könnte z.B. auch, wenn man eine Ministerkonferenz machen will, fragen: „Was sagt der Pitta in mir?“ Das Feuer sagt: „Das muss gemacht werden und zwar sofort oder bis dann.“ „Was sagt Vata dazu?“ „Ja, könnten wir nicht nochmal das probieren und das probieren und das wäre doch auch, und das haben wir noch nicht probiert. Und können wir nicht nochmal nachdenken. Und überhaupt, muss man denn immer so zielgerichtet sein?“ „Was sagt Kapha dazu?“ „Morgen ist auch noch ein Tag. Jetzt ist Feierabend. Jetzt machen wir uns einen schönen Yogi-Tee mit Sojamilch und Agavendicksaft, zünden eine Kerze an und eine Duftlampe, setzen uns hin und atmen einfach mal ein paar Mal durch.“ Gut, so können die drei miteinander kommunizieren. Und in einer guten Arbeitsgruppe, oft auch in der Familie, hat man alle drei drin.
Man könnte sich jetzt furchtbar darüber aufregen. Der Pitta-Mensch z.B., der könnte sich über den Vata-Menschen aufregen: „Wir haben doch gesagt, das wird gemacht, das sind die Ziele, und wir haben das längst alles vereinbart. Was muss der schon wieder alles in Frage stellen? Warum redet der schon wieder mit den Menschen? Warum verschwendet der wieder die Zeit? Warum surft der schon wieder im Internet? Der soll sich jetzt gefälligst an das halten, was wir vereinbart haben.“ Der kann sich über den Kapha-Menschen ärgern: „Was muss denn alles so langsam sein? Könnte der nicht mal in die Gänge kommen? Muss der immer seine Bedenken äußern? Den müsste man mal durchschütteln und in den Hintern treten.“ So könnte der Pitta-Mensch mit dem umgehen.
Er könnte aber auch anders mit diesen andern Typen umgehen. Er könnte den Vata-Mensch dafür schätzen: „Toll, dass der Ideen hat. Wir brauchen so jemanden. Der hat Ideen, außerdem spricht er mit den Leuten, der hat tausend Kontakte, und wenn wir irgendwas brauchen, kann ich den Vata-Mensch immer fragen, kennst du nicht jemanden, der dort helfen kann? Der hat sicher zu irgendjemanden eine Beziehung, wo man die Dienstwege umgehen kann, um schneller zu was zu kommen. Notfalls spricht er mit denen, der quasselt sie zu Tode, und dann kriegt er, was er will. Zum Teil schon, wenn der auftaucht. Also, den kann man gut einsetzen den Vata-Menschen. Oder irgendwelche Kontakte herstellen, dafür kann man den schätzen.“ Dafür nimmt man in Kauf, dass der ab und zu mal Dinge macht, die er nicht machen sollte, dafür nimmt man in Kauf, dass der auch im Internet surft auf Seiten, wo er nichts verloren hat. Dafür nimmt man in Kauf, dass der sich länger unterhält, seine Mittagspause meistens überzieht, und wenn er sagt, er spricht mal drei Minuten mit jemandem, kommt er sehr viel später zurück. Dafür kann man ihn abmahnen und die Flügel beschneiden und alles Mögliche, und dann hat man vielleicht einen demotivierten Menschen, der dort frustriert und halbherzig etwas macht und sein Engagement auf die Freizeit verlagert.
Man kann auch den Kapha-Menschen dort wertschätzen. Man kann sagen: „Gut, dass es den gibt. Der sorgt für das Bewährte, der bringt auch die Einwände rein, da brauche ich mich nicht so darum zu kümmern. Und er sorgt auch dafür, dass alle Feierabend machen, dass sie nicht zu viel arbeiten, und so brauche ich jetzt keine Angst zu haben, dass die anderen Pitta-Menschen ins Burnout rutschen. Dem gebe ich vielleicht sogar die Aufgabe: Kümmere dich um uns, und sorge dafür, dass es alles irgendwie funktioniert.“
Der Vata-Mensch könnte sich über alle aufregen, indem er sagt: „Muss denn der Pitta-Mensch immer alles so wörtlich nehmen? Wenn ich sage, man könnte doch mal, dann muss der doch nicht gleich versuchen, das umzusetzen, und das heißt auch nicht, dass ich alles in Frage stelle. Man muss da einfach mal darüber nachdenken. Man kann doch mal so hypothetisch usw.“ Also, er kann sich über den Pitta-Menschen aufregen. Er kann sich über den Kapha-Menschen erst recht aufregen: „Dieser konservative Typ. Jede Idee muss er verwerfen. Kann der nicht auch mal ein bisschen geistig flexibel sein?“ Oder der Vata-Mensch kann sagen: „Toll, dass es den Pitta-Menschen gibt, der sorgt dafür, dass manche meiner Ideen auch umgesetzt werden. Toll, dass es den Kapha-Menschen gibt, so vergesse ich nicht zu essen und zu trinken und außerdem wird das gemacht, was eigentlich unsere Aufgabe ist, und so habe ich ein bisschen Narrenfreiheit. Und da werde ich dann ihm ab und zu mal auch irgendwo bei dem ein oder anderen helfen.“
Gut, und der Kapha-Mensch könnte sich über die anderen furchtbar ärgern, über diesen luftigen Vata-Menschen, der ständig nervt mit seinen neuen Ideen. Der könnte sich über den Pitta-Menschen ärgern, dass der ständig irgendwo auf Speed aus ist, und es ihm ständig nicht schnell genug geht und der ständig neue Anforderungen hat und ständig mehr will. Oder der Kapha-Mensch könnte sich freuen über den Vata-Menschen: „Toll, dass der so viele Ideen hat, so brauche ich dort nicht mein Hirn zu sehr zu martern, und es ist ja auch irgendwo ganz schön, das ist so eine Leichtigkeit, so versinke ich nicht in die Schwermut, sondern eigentlich, wenn ich mit dem zusammen bin, fühle ich mich irgendwie leichter. Das ist auch schön. Und toll, dass es den Pitta-Menschen gibt, der sorgt dafür, dass ich in die Gänge komme und dass die anderen in die Gänge kommen, und ich kümmere mich auch um ihn, dass er uns lange erhalten bleibt.“
Denn die Pitta-Menschen haben eine Neigung, sich irgendwann auszubrennen, wenn sie nicht einen Kapha-Menschen haben, der so ein bisschen ölt, beruhigt, harmonisiert und einen Vata-Mensch haben, der ihnen irgendwo eine Leichtigkeit gibt. Vielleicht habt ihr, während ich gesprochen habe, festgestellt, dass ihr irgendjemanden habt in eurer Umgebung, der den Typen entspricht. Man kann übrigens sogar in dem einen Team mehr der Vata-Mensch sein und im anderen Team mehr der Kapha-Typ, auch das gibt es durchaus, auch wenn es seltener ist. Gut, also ein Weg für Gelassenheit ist, die anderen anzuerkennen für ihre Aufgabe und dann schauen, wie man gemeinsam auf ein gemeinsames Ziel hingeht, in gegenseitiger Wertschätzung und Anerkennung.
Ausblick
Überlege, was von dem du die nächsten Tage umsetzen kannst. Überlege, wie du Menschen verstehen kannst. Grüße Menschen mit Mitgefühl. Grüße Menschen voller Freude, mit Einfühlungsvermögen, in jedem Fall mit Herz. Nimm dir vor, von jetzt an keinen unbewussten Gruß mehr zu machen, sondern grüße bewusst. Und wenn du jemandem „Guten Tag“ sagst, dann wünsche ihm einen guten Tag. Wenn du „Grüß Gott“ sagst, dann siehe das Göttliche im anderen. Und auch wenn du „Tschüss“ sagst, richte dich an das Göttliche und die Liebe im anderen. Gehe davon aus, dass andere aus Liebe heraus handeln und setze das so in deiner Einstellung um.
Mache das wie eine Arbeitshypothese und überlege, wie das Verhalten des anderen als Ausdruck von Liebe erklärt werden kann. Übrigens, die Liebe muss er nicht gegenüber dir spüren. Der andere kann ja Liebe zu seinem Kind haben und denken, er will dem Kind ein gutes Erbe hinterlassen, und dafür ist er hinterhältig zu dir. Aber er ist deshalb kein hinterhältiger Mensch, er ist ein liebevoller Mensch zu seinem Kind, der ein hinterhältiges Verhalten zu dir zeigt. Mit diesen Arbeitshypothesen kannst du ein gutes Stück weiterkommen.
Und lerne es, Menschen, die anders sind als du, wertzuschätzen. Der Pessimist hat seinen Platz, der Optimist, der Regelfanatiker, der Ordnungsfreak, aber auch der Rebell und der, der sich an nichts hält. Sie alle helfen, dass die menschliche Gesellschaft gut zusammenpasst und gut funktioniert. Und nicht nur funktioniert, sondern dass jeder einzelne sich gut weiterentwickelt. Jeder gibt dem anderen auch Lernaufgaben, Wachstumsaufgaben, denn letztlich geht es darum, das Höchste zu verwirklichen.
Gelassenheits-Einfühlungs-Meditation – Übungsanleitung
Niederschrift eines Podcasts (2014) von Sukadev <mp3player>http://yoga-meditation-blog.de/wordpress/podpress_trac/web/4912/0/74_gelassenheit-einfuehlungs-meditation.mp3</mp3player>
Am besten setzt du dich jetzt schon so hin, dass du die nächsten zwölf Minuten lang ruhig sitzen kannst. Vielleicht auf einem Stuhl, vielleicht auf einem Kissen, vielleicht schön angelehnt. Das Ganze geht auch im Liegen, wenn du das so lieber machen willst. Du kannst es theoretisch auch im Stehen machen, wenn du irgendwo wartest, aber ein bisschen Ruhe brauchst du schon. Hier also die eigentliche Übungsanleitung:
Sitze ruhig und gerade. Atme ein paar Mal tief ein und aus, und nimm Kontakt auf mit dem tiefsten Inneren in dir. Im tiefsten Inneren ist der göttliche Kern in dir, Satchidananda. Sat, im Sinne von Sein und Verbundenheit. Ananda, im Sinne von Freude und Liebe. Und auch wenn es nicht immer möglich ist, diesen Kern vollständig zu spüren, erahnen kannst du ihn immer wieder. Und selbst wenn das Erahnen zwischendurch schwierig ist, das Erinnern kann da sein. Tief im Inneren bist du Liebe und Freude.
Und alles andere in dir ist auch wohlmeinend, wenn auch nicht immer geschickt im Umgang. Du kannst dich etablieren als Führungspersönlichkeit, als Raja, als König, um mit diesen wohlmeinenden Kräften in dir umzugehen. Und es mag dir auch nicht immer gelingen, aber das macht es ja auch schön und interessant. Und das tiefe Göttliche, Liebevolle, Freudevolle in dir ist auch überall sonst, in den Menschen, mit denen du zu tun hast, vielleicht fallen dir ein oder zwei oder mehrere ein. Stelle nochmals eine Herz zu Herz Verbindung her. Und dieses Göttliche tritt dir auch als die Welt entgegen, in der du auch auf der relativen Ebene Aufgaben hast.
Und du kannst kurz an das denken, was vielleicht die nächste Woche auf dich wartet oder was auch immer für ein Zeithorizont für dich momentan interessant ist. Und du kannst innerlich sagen: „Ich freue mich darauf, das und das zu tun oder das und das abzuschließen oder das und das zu beginnen.“ Und dann bleibe einfach noch ein paar Momente entspannt sitzen. Atem kommt und geht. Gedanken kommen und gehen. Körperliche Empfindungen kommen und gehen. Du selbst bleibst ruhig, entspannt, gelassen.
Und noch einmal, denke an das, was dich die nächste Woche erwartet und überlege kurz: „Angenommen, ich würde nächste Woche gelassen und engagiert sein, wie wäre ich, angesichts meiner Aufgaben? Angenommen, ich würde meine Aufgaben engagiert, aber mit Gelassenheit und mit meinem Temperament wahrnehmen, wie würde ich es machen?“ Und du kannst überlegen: „Und angenommen, ich bin nicht ganz so gelassen, wie ich das idealerweise sehen würde, ich wäre aber ausreichend gelassen, wie würde ich es machen?“ Ausreichend engagiert und gelassen.
Dann öffne die Augen, bleibe aber noch einen Moment lang ruhig, kleine Bewegungen sind okay. Öffne die Augen und schaue dir die anderen an, von vorne oder Seite. In jedem ist auch Liebe und Freude. Oder schau dir Bäume an oder Orchideen. Spüre vom Herzen her Frieden, Freude, Verbindung.
Diese Meditation ist eine Meditation, die du ab und zu mal machen kannst, vielleicht nicht unbedingt für den täglichen Gebrauch, aber so alle paar Tage kannst du sie üben oder mindestens einige Prinzipien dieser Meditation.
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