Tägliche Lesung Sivananda Juli 02
Auf dieser Seite sind Inspirationen von Swami Sivananda gesammelt, die aus sehr verschiedenen Quellen stammen. Diese wurden bereits im Juli 2002 als "Gedanken zur täglichen Inspiration" veröffentlicht. Leider sind viele Texte nicht mehr vorhanden. Diese Tage fehlen.
01.07.02 GEIST UND MATERIE
Der Geist (mind) ist keine grobe Sache, sichtbar und fühlbar; seine Existenz kann nirgends gesehen werden; seine Größe kann nicht gemessen werden; er benötigt keinen Raum, in dem er existieren kann. Geist und Materie sind zwei Aspekte, bzw. Subjekt und Objekt ein- und desselben, vollkommenen Brahman - der selber weder das eine, noch das andere ist und doch beide beinhaltet.
Der Geist geht der Materie voraus; das ist die Theorie des Vedanta. Die Materie geht dem Geist voraus; das ist die Theorie der Wissenschaft. Der Geist ist in dem Sinn immateriell, dass er nicht die Eigenschaften der abwägbarer Materie hat. Er ist aber nicht in dem Sinn immateriell, in dem Brahman (reiner Geist) immateriell ist.
Der Geist ist die subtile Form von Materie. Infolgedessen ist er der Souffleur des Körpers. Der Geist ist aus subtiler, reiner (sattviger), atomarer Materie gemacht. Der Geist ist reine Elektrizität. Er wird aus dem subtilsten Teil der Nahrung geformt. Die Seele ist die einzige Quelle der Intelligenz; es ist offensichtlich, dass sie in ihrem eigenen Licht leuchtet.
Die Organe oder Geist und Sinne beziehen ihre Prinzipien der Aktivität und des Lebens von der Seele. Von sich aus sind sie leblos. Folglich ist die Seele immer das Subjekt und niemals das Objekt. Der Geist (mind) ist das Objekt der Seele.
Es ist ein Haupt-Grundsatz des Vedanta, dass das, was ein Objekt für ein Subjekt ist, keine Intelligenz haben kann. Selbst das Prinzip des Selbstbewusstseins ist ohne Intelligenz - es existiert nicht aus eigenem Licht heraus, sondern ist ein Objekt der Apperzeption (begrifflich urteilendes Erfassen) der Seele.
Der Geist ist zusammengesetzt aus grober und feiner Materie, entsprechend den Bedürfnissen des entfalteten Bewusstseins, welches mit ihm verbunden ist. In dem Gebildeten ist er aktiv und klar definiert. In dem Ungebildeten ist er umwölkt und unklar definiert.
Vollkommenes Bewusstsein ist allen gemein. Es ist eins. Alle Tätigkeiten des Geistes werden dem einen, allen gemeinen, Bewusstsein vorgelegt, das der Zeuge aller geistigen vrttis (Gedankenwellen) ist. Es ist der Geist, der den Menschen begrenzt, der in Tatsache identisch mit Brahman ist.
Diese Realität wird dann realisiert, wenn der Vorhang der Unwissenheit beseitigt wird. Für Brahman ist der Geist ein Objekt der Wahrnehmung. Atman nimmt direkt all die Erscheinungen des Geistes wahr - Begierden, Vorstellungen, Zweifel, Glauben, Scham, Intellekt, Angst, etc. - und verbleibt dabei unberührt und ungebunden.
02.07.02 DER GEIST WIRD ZUM KÖRPER
Der Körper mit seinen Organen ist nichts anderes als der Geist (mind). Der physische Körper ist die äußere Manifestation des Geistes. Der Geist ist die subtile Form des physischen Körpers. Der Geist wird selbst zum Körper, indem er über den Körper nachdenkt. Dann, verstrickt in die Kontemplation, wird der Geist vom Körper heimgesucht. Alle Körper haben ihren Sitz im Geist. Sollte der Geist gelähmt sein, wird der Körper keinerlei Intelligenz zeigen.
Der Geist vollzieht äußerst schnell alle Handlungen in der linga sharira (subtiler Körper) und schwankt dadurch. Aber der grobe Körper ist völlig unwissend und inaktiv. Sollte sich dieser grobe Körper auflösen, nimmt der Geist schnell einen frischen Körper an. Dieser physische Körper ist sozusagen der Abdruck des Geistes. Er ist durch den Geist gemacht, um die eigenen Energien verströmen zu können, um sich selbst zu vergnügen. Dadurch gewinnt er verschiedene Erfahrungen dieser Welt durch die Organe des Wissens oder der Wahrnehmung.
Der Körper ist tatsächlich nichts anderes als unsere Gedanken, Launen, Überzeugungen und Gefühle, für das nackte Auge sichtbar gemacht. Jede Zelle unseres Körpers leidet oder wächst, empfängt einen Lebensimpuls oder einen zum Sterben, von jedem Gedanken, der in den Geist gelangt. Ihr tendiert dazu, in das Bild des Dinges, an das ihr am meisten denkt, hineinzuwachsen. Wenn der Geist sich stark mit einem gewissen Gedanken beschäftigt, wird eine definierte Schwingung von Materie vorbereitet. Dies wiederum tendiert dazu, sich zu wiederholen, eine Gewohnheit zu werden.
Der Körper folgt dem Geist und ahmt dessen Veränderungen nach. Jede Veränderung in euren Gedanken erzeugt eine Vibration in eurem mentalen Körper und diese verursacht, wenn sie an den physischen Körper weitergeleitet wird, Aktivität im Nervengewebe des Gehirns. Und diese Aktivität im Gehirn und in den Nervenzellen verursacht elektrische und chemische Veränderungen im Körper.
Vedanta fügt dem noch folgendes hinzu: "Seht und fühlt Brahman überall. Ignoriert die Namen und Formen." Dies lehrt euch, mittels vicara (Nachforschung), rechtes Denken und Meditation, atma bhava (das Gefühl, dass das Selbst alles ist) oder Brahma bhava (das Gefühl, dass Brahman alles ist) zu entwickeln.
Wenn ausschließlich ein Gedanke den Geist beschäftigt, kommt ein geistiger Zustand oder bhava auf, der mit der Natur des Gedankens korrespondiert. Denkt an euren Feind - der feindselige bhava manifestiert sich.
Denkt an Gnade und universelle Liebe - prema (Liebe) bhava oder karuna (Mitgefühl) bhava werden sich manifestieren. Denkt an universellen Dienst - seva (Dienen) bhava wird sich manifestieren. Denkt an Lord Krishna und seine lilas (Spiele) - Krishna-prema bhava wird sich manifestieren. Gefühle begleiten immer das Denken; sie sind wie Feuer und Hitze - unzertrennlich.
03.07.02 WIE MAN RECHTES DENKEN KULTIVIERT
Jeder Gedanke birgt eine gewisse Vorstellung, Gestalt, Dimension, Gewicht, Form, Farbe, etc. Ein Gedanke ist ebenso Materie wie ein Stein. Ein Tisch ist eine mentale Vorstellung plus ein äußeres Etwas. Was auch immer ihr Außen seht, besitzt ein entsprechendes Gegenstück im Geist. Die Pupille ist ein kleines, rundes Ding im Auge und die Retina ist eine andere, kleine Struktur im Auge. Wie funktioniert es, dass das Bild eines großen Berges, das durch diese kleine Öffnung gesehen wird, in den Geist gelangt? Wie passt die große Gestalt eines Berges durch das kleine Loch im Auge? Das ist das Wunder aller Wunder. Das Bildnis des Berges existiert bereits im Geist. Der Geist ist wie ein großes Stück Segeltuch, das alle Bilder der außen wahrgenommenen Objekte enthält.
Gedanken bewegen sich und wechseln von einem Menschen zu einem anderen. Gedanken beeinflussen die Leute. Ein Mensch mit starken Gedanken kann ganz leicht Menschen mit schwachen Gedanken beeinflussen. Telepathie ist ein Zweig der okkulten Wissenschaft, in welchem der yogi Botschaften an irgendeinen Menschen in irgendeinem Teil der Erde übertragen kann.
Ein Gedanke des Ärgers oder Hasses sendet Pfeile von der Gedankenfabrik in Richtung der Person, auf die die Gedanken zielen. Sie verletzen die Person, bringen Zwietracht und Disharmonie in die Gedankenwelt und kehren wieder zu dem Absender der Gedanken zurück und verletzen auch ihn. Wenn einer die Wirkung und Macht von Gedanken versteht, wird er viel vorsichtiger in der Erzeugung seiner Gedanken in seinem geistigen Laboratorium werden.
Entwickelt die Fähigkeit, ausschließlich sattvische (reine) Gedanken zu produzieren, indem ihr langwierige geistige Disziplin übt und durch Korrekturen, Wiederholung von guten, bedeutungsvollen Hymnen, durch gute Gesellschaft, das Studium heiliger Bücher, japa (Wiederholung des Namens Gottes), Meditation, Pranayama (yogisches Atmen), Gebete, usw. Ein guter Mensch kann einem Freund dadurch helfen, dass er ihm gute Gedanken schickt, selbst wenn Letzterer weit entfernt wohnt. Erlaubt keinen schlechten Gedanken, eure Gedankenfabrik zu betreten. Passt ständig auf eure Gedanken auf. Vermeidet nutzloses Denken. Bewahrt eure geistige Energie.
Um sublime Gedanken zu kultivieren, solltet ihr euch stets mit dem Ausführen von tugendhaften Taten und dem Studium von religiösen Büchern beschäftigt halten. Löscht zufälliges Denken aus. Denkt nur an ein Subjekt und seine verschiedenen Aspekte. Wenn ihr das tut, erlaubt ihr niemals einem anderen Gedanken, den bewussten Geist zu betreten. Zieht den Geist wieder und wieder auf das vorliegende Subjekt zurück. Nehmt dann einen anderen Gedanken auf, wenn ihr den vorherigen erschöpft habt.
Durch diese Praxis werdet ihr organisiertes Denken entwickeln. Die geistigen Bilder werden dadurch große Stärke und Kraft gewinnen; sie werden scharf umrissen und wohl definiert sein. Bei gewöhnlichen Personen sind die geistigen Bilder undefiniert.
04.07.02 ÜBER DIE VRTTI
Das geistige Gewebe ist chitta. Es ist eine mentale Substanz. Die vrtti oder Gedankenwelle ist eine Modifikation des geistigen Gewebes. Es ist ein Vorgang. So wie Wellen und Blasen von der Oberfläche des Ozeans aufsteigen, so steigen auch diese vrttis von der Oberfläche des Geist-Ozeans auf. So wie die Sonnenstrahlen von der Sonne ausgehen, so gehen auch diese mentalen Strahlen (Modifikationen der vrittis) von der Geist-Sonne aus. So wie die Sonne sich am Abend mit dem Horizont vereinigt, indem sie all ihre Strahlen sammelt, so müsst auch ihr euch mit der Sonne aller Sonnen, mit dem absoluten Bewusstsein, dem ewigen Frieden verbinden, indem ihr all die ausschweifenden geistigen Strahlen sammelt und den Geist auflöst.
Die Funktion der vrtti im Geist ist es, die Beseitigung der Ursache der die Unwissenheit verdeckenden Objekte zu veranlassen. Grobe Unwissenheit verhüllt alle Objekte. Wenn sie beseitigt ist, wird die Wahrnehmung von Objekten möglich.
Durch eigene Anstrengung nimmt der Geist die Form jedes beliebigen Objektes an und konzentriert sich auf sich selbst. Wenn der Geist an Brahman denkt, wird der einzige, letzte Gedanke an Brahman geformt. Seid wachsam. Beobachtet den Geist und seine Aktivitäten. Das Objekt bindet euch nicht - es ist die vrtti, die Identifikation mit der vrtti, die Anhaftung und Bindung verursacht.
Wenn ihr mit Geist, Körper und vrttis eins werdet, werdet ihr verschiedene Arten der Not und des Leides erfahren. Das ganze Universum wurde alleine durch vrttis geschaffen. Wenn diese geistigen Gedankenwellen nachlassen, könnt ihr den absoluten Zustand höchsten Friedens und Glückseligkeit erlangen. So wie Seife den physischen Körper reinigt, so reinigen japa (Wiederholung) eines jeden mantras, dhyana (Meditation) und kirtan (rhythmisches Rezitieren), zusammen mit der Praxis der yama und niyama (Disziplin), den Geist von allen Unreinheiten. So wie ihr den physischen Körper mit Nahrung erhaltet, so werdet ihr auch dem Geist Nahrung geben müssen, sowie der Seele spirituelle Nahrung.
Nur wenn die Modifikationen vergehen, betretet ihr die Stille. Realisiert das. Schließt die Augen, zieht die Sinne zurück, beruhigt den Geist, stillt die Gedanken, schärft den Intellekt, läutert das citta, meditiert über Om und rezitiert es mit Gefühl. Betretet die Stille. Stille ist atman, das Zentrum - sie ist in der Herz-Höhle. Wenn der Geist von einem Objekt zum nächsten rennt, gibt es einen Moment zwischen den Intervallen, in dem ihr ohne den Geist (mind) seid - das ist Brahman.
05.07.02 DIE WELLEN DES GANGES
Erfahrung ist niemals ohne Bewusstsein möglich. Alles, was ewig ist, muss unendlich und unbegrenzt sein. Bewusstsein ist unbegrenzt; das Bewusstsein der Begrenzung zeigt, dass Bewusstsein größer ist als Begrenzung. Vollkommenheit ist das Erlangen unsterblichen Lebens oder reines Bewusstsein. Das Nachforschen nach dem "Wer bin ich?" führt zur Selbstverwirklichung (Brahma-jnana). Göttliche Weisheit kann nur von denen erlangt werden, die mit Reinheit ausgestattet sind. Zerreißt den Schleier. Verwirklicht die Realität.
Schmerz stellt sich ein, wenn man etwas nicht hat, was man haben möchte, oder wenn man etwas hat, was man nicht haben möchte. Brahman ist ohne ein Zweites. In Brahman ist weder Schmerz noch Wollen. Daher ist Schmerz im Absoluten nicht möglich. Kontakt ist die Mutter des Schmerzes. Das Absolute kann keine Kontakte haben und daher - kein Schmerz. Brahman ist frei von allem Wollen und Begehren, weil es alles in sich enthält. Deshalb ist es eine Verkörperung von Glückseligkeit.
Glückseligkeit ist keine Eigenschaft. Es ist die wesentlichste Essenz des Selbst oder atmans. Da das Selbst von Natur aus absolut ist, ist auch seine Glückseligkeit absolut. Mit Brahman verhält es sich genauso.
Zerschlagt das Ego. Erreicht hier und jetzt das Ziel. Nehmt die innere Essenz und erlangt Vollkommenheit. Lockert nicht die scharfe Wachsamkeit gegenüber euren subtilsten Feinden - Selbstsucht und Begierde. Wo könnt ihr den Herrn sehen? Ich fand den Herrn, wo das "Ich" nicht existierte.
Befreiung gibt es dort, wo es keine Wahrnehmung eines "Ich" gibt. Die Wahrnehmung von "Ich" und "Mein" bedeutet Unfreiheit. Identifiziert euch mit der all-durchdringenden Seele (atman). Ihr werdet Unsterblichkeit erlangen. Das ist das Geheimnis des unsterblichen Lebens.
Mit dem Wachsen und der Ausweitung eures innersten Wesens, erreicht ihr größere Vollkommenheit und Erfüllung, und Glückseligkeit ist das Ergebnis hiervon. Säubert euch von Selbstsucht und Egoismus. Entflieht den Begrenzungen von Raum und Zeit. Verliert jedes Gefühl der Getrenntheit. Vereint euch mit Brahman bzw. dem Absoluten. Die Praxis der Gegenwart Gottes wird das Auflösen des Ego-Schleiers bewirken.
Jetzt wird sich göttliche Liebe manifestieren und ewige Glückseligkeit wird in euch fließen. Die Gnade des Herrn ist immer mit den aufrichtigen, selbstlosen Seelen.
06.07.02 WIE SICH EINDRÜCKE BILDEN
Eine Erfahrung auf der Ebene der Sinne sinkt in die Tiefen des Unterbewusstseins. Dort wird es zu einem samskara (ein Eindruck). Der Eindruck einer Erfahrung formt sich im citta (Unterbewusstsein) zu genau dem Zeitpunkt, an dem der Geist die Erfahrung erlebt. Zwischen der gegenwärtigen Erfahrung und der Bildung des samskara im Unterbewusstsein existiert keine Lücke.
Eine spezifische Erfahrung hinterlässt ein spezifisches samskara und die Erinnerung an diese Erfahrung entspringt dann eben diesem bestimmten samskara, das sich aus der bestimmten Erfahrung geformt hat.
Wenn ihr das erste Mal eine Orange erhaltet und sie probiert, erhaltet ihr Wissen über die Orange. Sofort wird ein samskara im Unterbewusstsein geformt. Dieses samskara kann jederzeit eine Erinnerung an das Objekt, die Orange und das Wissen über die Orange erzeugen. Das heisst, das Objekt und der Akt des Wissens sind nicht unterscheidbar, sie sind sogar untrennbar.
Samskaras sind auch als die `zurückbleibende Kraft´ bekannt. Wenn alle vrttis oder Gedanken hinwegsterben, bleibt der Rahmen des Geistes übrig, mit den samskaras. Dies wird als der `potenzielle Geist´ bezeichnet. Alle samskaras koexistieren im Geist. Vrttis klingen langsam ab, Spuren im Geist hinterlassend. Diese Spuren sind die samskaras. Von denen entspringt die Erinnerung.
Wenn ihr die yogische Sicht habt, könnt ihr ganz plastisch die Wunder wahrnehmen, die in der mentalen Fabrik eines Individuums geschehen. Ihr könnt sehen, wie die vrttis aus dem Geist-See aufsteigen. Ihr könnt sehen, wie sie sich senken. Ihr werdet völlig verwundert sein. Samskaras sind wie Kräfte, sie helfen oder hemmen sich gegenseitig.
Die Gesamtsumme aller samskaras ist als karmasaya (Behälter aller Arbeiten) bekannt und das wird sancita karma (angesammelte Arbeit) genannt. Wenn ein Mensch seinen physischen Körper verlässt, trägt er seinen Astralkörper der siebzehn tattvas (Elemente) und den karmasaya auf die geistige Ebene. Der karmasaya wird durch das höchste Wissen, das man durch das asamprajnata samadhi (der non-duale überbewusste Zustand) erlangt, gänzlich verbrannt.
08.07.02 MACHT EUCH DAS UNTERBEWUSSTSEIN ZUNUTZE
Die geistigen Prozesse sind nicht alleine auf den Bereich des Bewusstseins begrenzt. Der Bereich des Unterbewusstseins hat ein viel größeres Ausmaß als der Bereich des Bewusstseins. Wenn Botschaften bereit sind, kommen sie wie ein Blitz durch die Falltür des Unterbewusstseins an die Oberfläche des Bewusstseins. Nur zehn Prozent der geistigen Aktivitäten kommen in den Bereich des Bewusstseins. Wenigstens neunzig Prozent unseres geistigen Lebens findet unterbewusst statt.
Wir sitzen und versuchen ein Problem zu lösen. Wir versagen. Wir schauen uns um. Wir versuchen es wieder und wieder, aber wir versagen. Plötzlich steigt die Idee auf, die zur Lösung des Problems führt. Die unterbewussten Prozesse waren tätig. Das Unterbewusstsein ist euer ständiger Begleiter und aufrichtiger Freund. Selbst im Schlaf arbeitet es pausenlos. Es arrangiert, klassifiziert, vergleicht, sortiert die Fakten und Zeichen und arbeitet eine zufriedenstellende Lösung aus.
Mithilfe eures Unterbewusstseins könnt ihr eure lasterhafte Natur ändern. Durch das Kultivieren von gesunden, tugendhaften Eigenschaften könnt ihr eure lasterhafte Natur überwinden. Wenn ihr die Angst zu bewältigen sucht, verneint geistig, dass ihr Angst habt. Konzentriert eure Aufmerksamkeit auf die gegenteilige Eigenschaft, das Ideal des Mutes. Wenn sich Mut entwickelt hat, verschwindet die Angst von selbst. Positives überwindet Negatives. Ihr könnt in eurem Unterbewusstsein neue Gewohnheiten entwickeln, neue Ideen, neue Geschmäcker und einen neuen Charakter, indem ihr die alten ändert.
Alle Handlungen, Vergnügen und Erfahrungen hinterlassen ihre Eindrücke im Unterbewusstsein in der Form von subtilen Eindrücken oder zurückbleibenden Kräften. Samskaras sind der Hauptgrund für das Leben und die Erfahrung von Vergnügen und Schmerz. Die Erweckung von samskaras rufen die Erinnerung hervor. Der Yogi taucht tief nach Innen und kommt in direkten Kontakt mit diesen samskaras.
Er empfängt sie durch seine innere, yogische Schau. Wenn ihr euch an etwas zu erinnern wünscht, müsst ihr euch darum bemühen. Ihr müsst hinunter in die Tiefen des Unterbewusstseins steigen und dann die richtige Sache aus einer wunderlichen Mischung aus vielfältigen, irrelevanten Gegenständen herauspicken.
09.07.02 DAS INNERE INSTRUMENT
Antahkarana (das innere Instrument) ist ein weitläufiger Begriff, der den Geist (mind), Intellekt, Erinnerung und Selbstsucht (ahankara) beinhaltet. Das eine antahkarana nimmt verschiedene Namen an, ebenso wie derselbe Mensch den Namen Richter annimmt, wenn er als Richter in einem Gericht arbeitet, oder Präsident, wenn er in einer Gesellschaft oder einem Verband dient, oder Lagerverwalter, wenn er verantwortlich für die Lager ist.
Wenn ihr durch einen Mango-Garten geht, gehen Wille und Zweifel vom Geist aus - Er denkt, ob die Mango gut ist oder nicht. Der Intellekt kommt zu seiner Hilfe; er entscheidet, dass die Mango `gut´ ist. Dann findet chitta (Geistmaterie) heraus, wie man einige der Mangos von dem Gärtner ergattern kann. Ahankara (Ego; Ichbewusstsein) ist selbstanmaßend. Er begehrt die Mango zu jedem Preis. Der Geist führt diese Entscheidung aus, indem er sie zu den Füßen weiterleitet (karma indriya), um den Menschen zu dem Gärtner zu bringen. Ahankara kauft die Mango und isst sie. Die Eindrücke der Mango verbleiben im Geist und die vasana (Neigung) wird im Geist geformt. Der Gedanke des Vergnügens kommt dem Geist erst später. Und dieser, durch die Erinnerung (in Form eines subtilen vasanas) erzeugte Gedanke (sankalpa), nötigt den Menschen immer wieder, sich einer Mango zu erfreuen.
Dieser Zyklus - Wunsch, Gedanke, Handlung - existiert von Ewigkeit zu Ewigkeit. Das treibt den Menschen in die Knechtschaft. Wenn die vasana mehrmals wiederholt wird, wird sie zu einer starken Leidenschaft. Dann ist der Mensch ein Sklave der Leidenschaft und der indriyas (Sinne). Ein starkes Verlangen nach Sinnesbefriedigung wird trsna genannt. Der Unterschied zwischen Begierde und vasana ist, dass die vasana subtil und im Unterbewusstsein verborgen ist, wohingegen die Begierde grob und fassbar ist. Der Genuss, der dem aus dem Objekt gewonnenen Vergnügen entspringt, bringt Anhaftung an dieses Unterbewusstsein. Anhaftung ist moha.
Der Mensch, der Gegenständen nachhängt, der voller vasanas ist, ist an diese Gegenstände gebunden. Ein Entkommen ist für ihn fast unmöglich. Entkommen ist für ihn nur dann möglich, wenn er diese Knoten durch das Wissen um den Zeugen, den Direktor dieser geistigen Fabrik, der diese innere Show aufrecht hält, zerschlägt.
Wenn ihr klarsichtig die innere Arbeit in dieser geistigen Fabrik visualisieren könnt, werdet ihr verblüfft sein.
Wacht auf aus diesem langen Schlummer der Unwissenheit.
Reinigt, meditiert und erlangt Weisheit
Und streift froh umher.
---Das sagt Sivananda.
26.07.02 REIHENFOLGE DER YAMA UND NIYAMA
In den fünf Teilen oder Gliedern der yama (Selbstkontrolle) liegt eine wohldurchdachte Reihenfolge. Ahimsa (Gewaltlosigkeit) kommt zuerst, weil der Mensch zuerst seine brutale Natur beseitigen muss. Er muss gewaltlos werden; er muss kosmische Liebe entwickeln. Nur dann wird er tauglich für die Praxis von yoga sein. Dann kommt satyam oder Aufrichtigkeit. Weil das gesamte Phänomen der maya (Illusion) asat oder unwirklich ist, sollte sich der Aspirant dieser Tatsache bewusst sein. Er sollte sich stets der Wahrheit oder Brahman entsinnen. Dann kommt asteya oder Nicht-Stehlen. Er muss nämlich ein moralisches Bewusstsein entwickeln, er muss Richtig von Falsch unterscheiden können, Rechtschaffenheit von Ungerechtigkeit; und er muss wissen, dass alle eins sind. Brahmacarya ist eine göttliche Tugend.
Der Aspirant wird nun durch die Praxis von brahmacarya oder Keuschheit zu einem Übermenschen. Das fünfte ist aparigraha. Der yogische Student ist jetzt frei von Begierden, Verlangen, unnötigen Bedürfnissen, Luxusartikeln, dem Wunsch zu besitzen oder sich zu erfreuen. Er hat ein sehr weites Herz.
Yama heißt "einen Eid leisten". Niyama heißt "religiöse Befolgung". Yama ist keine Methode oder Anstandsregel oder Höflichkeit; er ist das Festhalten an Idealen und Prinzipien; er ist das Entwickeln göttlicher Charakterzüge, die die menschliche Natur in eine göttliche Natur umformen; er vernichtet Wünsche, Sehnsüchte, schlechte Qualitäten; er rottet brutale Instinkte und die brutale Veranlagung (im Menschen; d.Ü.) aus; er beseitigt Härte, Gewalt, Grausamkeit und Begierden; er füllt das Herz mit kosmischer Liebe, Güte, Barmherzigkeit, Tugend, Reinheit und göttlichem Licht. Er ist die Grundlage des göttlichen Lebens und des yoga, auf dem sich die Überstruktur des samadhi aufbaut. Er ist der Eckstein des yoga, auf dem sich das Gebäude des Überbewusstseins aufbaut.
Niyama ist die Regel oder die religiöse Befolgung. Er besteht aus fünf Gliedern, namens saucha, santosha, tapas, svadhyaya und Ishvarapranidhana. Saucha ist Reinheit, innere und äußere. Santosa ist Zufriedenheit. Tapas ist Entbehrung oder Kontrolle der Sinne oder Meditation. Svadhyaya ist das Studium der Schriften. Es beinhaltet auch das Chanten (Rezitieren) eines mantra (Name Gottes) oder die Nachforschung (nach dem Selbst, nach dem "Wer bin ich?", d.Ü.). Isvara pranidhana ist Selbsthingabe an den Herrn. Es ist das Weihen der eigenen Arbeit als ein Opfer an den Herrn.
Zwischen yama und niyama besteht eine innige Beziehung. Niyama sichert yama ab. Wenn jemand innere Reinheit hat, kann er sich in brahmacarya begründen. Wenn ihr Zufriedenheit habt, werdet ihr nicht stehlen, andere verletzen oder Lügen erzählen. Dann ist es einfach für euch, aparigraha zu praktizieren.
29.07.02 WAS IST SATYAM?
Gott ist Wahrheit. Er kann nur durch das Sprechen der Wahrheit und das Einhalten der Wahrheit in Gedanken, Wort und Tat verwirklicht werden. Wahrhaftigkeit, rechte Einsicht, Selbstkontrolle, Abwesenheit von neidischem Wetteifern, Versöhnlichkeit, Bescheidenheit, Ausdauer, Abwesenheit von Eifersucht, Wohltätigkeit, Nachdenklichkeit, unvoreingenommene Menschenliebe, Selbstbeherrschung und unaufhörliche und mitfühlende Friedfertigkeit sind die dreizehn Formen der Wahrheit. Eure Gedanken sollten mit euren Worten übereinstimmen und eure Worte sollten mit euren Handlungen übereinstimmen. Etwas zu denken, etwas anderes zu sagen und ganz anderes zu tun, ist abscheulich - es ist nichts anderes als Verworfenheit. Durch das Erzählen von Lügen verpestet ihr euer Bewusstsein und infiziert euer Unterbewusstsein. Die Gewohnheit, Lügen zu erzählen, wird von euch mit in eure nächste Geburt getragen und ihr werdet von einer Geburt zur nächsten leiden. Habt ihr dies jemals bedacht?
Wenn ihr in der Wahrheit fest begründet seid, werden alle anderen Tugenden an euch anhaften. Dringt tiefer in das Königreich der Wahrheit ein. Opfert euch ganz der Wahrheit. Sterbt für die Wahrheit. Sprecht die Wahrheit. Wahrheit ist Leben und Kraft. Wahrheit ist Existenz. Wahrheit ist Wissen. Wahrheit ist Glückseligkeit. Wahrheit ist Stille. Wahrheit ist Frieden. Wahrheit ist Licht. Wahrheit ist Liebe. Lebt, um diese Wahrheit zu verwirklichen.
Wahrheit ist das Gesetz des Lebens. Wahrheit meint die Willensstärke, die positiven Prinzipien einzuhalten - ein Sinn für Gerechtigkeit, ein unvoreingenommener Geist und das Erkennen seiner subtilen Essenz in allem Leben. Wahrheit ist wie eine Leiter, die in den Himmel führt, oder ein Boot, das einem ermöglicht, den Ozean des Leids zu überqueren. Sprecht die Wahrheit, aber tut dies nicht unfreundlich und sprecht nicht in der Weise einer gefälligen Falschheit - das ist ewige Religion.
Feuer verbrennt alles; es ist seine wahre Natur. Wasser fließt von einer höheren Ebene nach unten; der Same sprießt und wird zu einem Baum; der Skorpion sticht; das ist deren wahre Natur. Das ist satyam. Aber der Mensch missachtet die Wahrheit; er ist undankbar. Er handelt nicht gemäß seiner essenziellen Natur. Frauen vergiften ihre Männer; Söhne verhalten sich nicht kindgemäß gegenüber ihren Vätern; Söhne ermorden ihre Eltern; das ist nicht Wahrheit. Seine essenzielle göttliche Natur zu manifestieren, göttliche Tugenden zu manifestieren, das ist satyam oder Wahrheit. Ehrlich gegenüber dem eigenen Selbst sein - das ist satyam.
Ein wahrheitsliebender Mensch ist frei von Sorgen und Ängstlichkeit, er hat einen ruhigen Geist. Er wird in der Gesellschaft respektiert. Wenn ihr zwölf Jahre lang die Wahrheit sprecht, werdet ihr vak-siddhis bekommen - dann wird all das, was ihr sprecht, auch geschehen. Dann wird große Macht in eurem Sprechen sein - ihr werdet in der Lage sein, Tausende zu beeinflussen.