Sanskrit Kurs Lektion 89

Aus Yogawiki

Dieser Sanskrit Kurs führt anhand einfacher Beispielsätze und -verse in die Grammatik des Sanskrit ein. Einen ausführlichen Überblick über das Sanskrit findest Du im Artikel Sanskrit. Hinweise zur indischen Schrift, der wissenschaftlichen Umschrift (Transliteration) sowie der korrekten Aussprache gibt der Artikel Devanagari. Stichwörter, nach denen Du in der Yoga Vidya Wiki suchen kannst, sind in vereinfachter Schreibweise (Transkription) wiedergegeben.

Die Verben der 1. Klasse bzw. Bhu Klasse (4)

In Lektion 87 und 88 haben wir die Beugung (Konjugation) der Verben der 1. Klasse (Bhu Klasse, thematische Konjugation) in der Gegenwart betrachtet. Nun folgt ein weiterer Beispielvers aus der Hatha Yoga Pradipika, die Auflösung des Verb-Rätsels aus Lektion 88 sowie ein neues Verb-Rätsel.

Beispielvers aus der Hatha Yoga Pradipika

Die gesamte Hatha Yoga Pradipika besteht aus Versen, deren häufigstes Versmaß (Chhandas) der Shloka (Anushtubh) ist. Hier folgt ein Vers im Metrum Vasantatilaka aus dem vierten Kapitel (Upadesha) der Hatha Yoga Pradipika, das der Praxis der Meditation und Versenkung (Samadhi) gewidmet ist. Der 15. Vers beschreibt die geistigen und energetischen Voraussetzungen für die Erlösung.


ज्ञानं कुतो मनसि सम्भवतीह ताव-
त्प्राणोऽपि जीवति मनो म्रियते न यावत् |
प्राणो मनो द्वयमिदं विलयं नयेद्यो
मोक्षं स गच्छति नरो न कथंचिदन्यः || ४.१५ ||


  • wissenschaftliche Transliteration:
jñānaṃ kuto manasi sambhavatīha tāvat
prāṇo’pi jīvati mano mriyate na yāvat |
prāṇo mano dvayam idaṁ vilayaṃ nayed yo
mokṣaṃ sa gacchati naro na kathañ-cid anyaḥ || 4.15 ||


  • vereinfachte Transkription:
jnanam kuto manasi sambhavatiha tavat
prano’pi jivati mano mriyate na yavat |
prano mano dvayam idam vilayam nayed yo
moksham sa gachchhati naro na kathan-chid anyah || 4.15 ||


  • Wort-für-Wort-Übersetzung:
jñānam : Erkenntnis (des Selbst, Jnana, Nom. Sg. n.)
kutaḥ : wie ("woher", Kutas, adv.)
manasi : im Geist (Manas, Lok. Sg. n.)
sambhavati : ist möglich (sam + bhū, Verb)
iha : in dieser Welt ("hier", Iha, adv.)
tāvat : solange (Tavat, adv.)
prāṇaḥ : der Lebenshauch, Atem (Prana, Nom. Sg. m.)
api : sowohl ("auch", Api, Partikel)
jīvati : lebt (jīv, Verb)
manaḥ : (als auch der) Geist (Manas, Nom. Sg. n.)
mriyate : stirbt (mṛ, Verb)
na : nicht (Na, Partikel))
yāvat : wie (Yavat, adv.)
prāṇaḥ : Lebenshauch, Atem (Nom. Sg. m.)
manaḥ : (und) Geist (Nom. Sg. n.)
dvayam : zwei ("Paar", Dvaya, Akk. Sg. n.)
idam : diese(s, Idam, Akk. Sg. n.)
vilayam : zum Verschwinden ("Auflösung", Vilaya, Akk. Pl. m.)
nayet : bringt ("führt", , Verb)
yaḥ : wer (Yad, Nom. Sg. m.)
mokṣam : zur Befreiung (Moksha, Akk. Sg. m.)
saḥ : der (Tad, Nom. Sg. m.)
gacchati : gelangt ("geht", gam, Verb)
naraḥ : Mann, Mensch (Nara, Nom. Sg. m.)
na : nicht
kathañ-cid : auf irgendeine (andere) Weise ("irgendwie", Kathanchid)
anyaḥ : ein anderer (Anya)


  • Übersetzung:
Wie ist in dieser Welt im Geist Erkenntnis (des Selbst) möglich, solange der Atem lebt und der Geist nicht stirbt?
Ein Mensch, der sowohl den Atem als auch den Geist zum Verschwinden bringt gelangt zur Befreiung, und kein anderer auf irgendeine andere Weise.

Erläuterungen

  • Syntax: Dieser Vers besteht aus zwei Sätzen (Vakya), die jeweils aus Haupt- und Relativsatz bestehen (Pada 1-2 und Pada 3-4).
  • Der Nominativ (Prathama) Singular (Ekavachana) jñānam ist das logische Subjekt (Agens, Kartri) der Verbalhandlung sambhavati.
  • Das Frageadverb kutaḥ (Kutas) steht hier im Sinne von "wie" und leitet den Fragesatz ein.
  • Der Lokativ (Saptami) manasi bezeichnet den Ort der Handlung (Adhikarana) in Bezug auf das Verb sambhavati.
  • Die beiden Adverbien tāvat "so lange (dauernd)" und yāvat "wie (lange dauernd)" beziehen sich wie die Korrelativpronomen Yad und Tad aufeinander, wobei tāvat den Hauptsatz und yāvat den Relativsatz einleitet. Der Hauptsatz steht im 1. Pada (jñānaṃ kuto manasi sambhavatīha tāvat), der Relativsatz im 2. Pada (prāṇo’pi jīvati mano mriyate na yāvat). Aufgrund der relativ freien Wortstellung im Sanskrit sowie der Erfordernisse der Metrik (Chhandas) stehen tāvat und yāvat hier jeweils am Ende von Haupt- bzw. Relativsatz.

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