Niedere Natur
Niedere Natur - in der spirituellen Literatur Bezeichnung für die niedere Natur des Menschen. Oft ist mit "niedere Natur" das gemeint, was der Mensch mit dem Tier gemein hat, also Instinkte wie Überleben, Fortpflanzen, Kümmern um Nachwuchs, Zusammenleben, Nestbau, etc. Manchmal sind auch die Emotionen und Gefühle gemeint mit niedere Natur, wie z.B. Angst, Ärger, Depression, Niedergeschlagenheit, Eifersucht, Neid, Gier. Streben nach Geld, Anerkennung, Sinnesvergnügen, Macht etc. wird auch als niedere Natur gesehen. Höhere Natur ist dann das Streben nach spiritueller Entwicklung, Nächstenliebe, Dienst an Gott und der Menschheit, Großzügigkeit etc.
In der spirituellen Philosophie wird als niedere Natur das sichtbare Universum gesehen. Höhere Natur ist dann z.B. die Astralwelt oder auch Gott in seiner Gestalt als Viratsvarupa, Ishvara, Hiranyagarbha etc.
Swami Sivananda über die Niedere Natur und wie sie transformiert werden kann
Swami Sivananda schreibt in einigen seiner Bücher über die niedere Natur des Menschen und wie ein spiritueller Aspirant diese transformieren kann. Hier einige Auszüge aus seinen Werken:
I.
Auch der kleinliche, hartnäckige Egoismus, der im Menschen lebt, bildet ein ernsthaftes Hindernis für die Meditation auf dem Weg zum Selbst. Diese arrogante Selbstbestätigung des kleinen Ich nährt oberflächliche Gedanken und nimmt Einfluss auf die gewohnten Wege des Gefühls, des Charakters und der Handlung.
Ein solcher Egoismus kann schwerfällig und träge (tamasartig) oder lebhaft und erregt (rajas-artig) sein. Er entwertet oder verwischt die erhabene göttliche Sattva-Natur und verschleiert die unsterbliche Seele (Atman), die aus eigenem Licht erstrahlt.
Die niedere Natur muss von Grund auf erneuert und vollkommen verändert werden. Geschieht dies nicht, so muss jede geistige Erfahrung oder übernommene Kraft ohne Wert bleiben. Besteht dieses kleine Ich, die menschliche Persönlichkeit, darauf, ihr begrenztes, selbstsüchtiges, unedles, falsches und unergiebiges Bewusstsein zu behalten, werden weder Enthaltsamkeit (Tapas) noch geistige Schulung (Sadhana) Früchte tragen, und es wird sich erweisen, dass die Sehnsucht nach Gott-Erfahrung nicht wirklich, sondern nur eitle Neugier ist.
Der Schüler sagt wohl zum Meister: "Ich will Yoga üben und Nirvikalpa Samadhi erlangen. Ich will zu deinen Füßen bleiben.« Aber er wird trotzdem nicht seine niedere Natur und seine alten Gewohnheiten ändern, sondern seine eigenen Methoden bewahren, seinen Charakter, sein Benehmen, seine gewohnten Grundsätze. Bleibt er dabei, ändert sich seine niedere Natur in nichts, so wird er in der Geistigkeit nicht um Haaresbreite vorankommen. Vorübergehende und teilweise Erhebungen seiner kleinen, gewohnten Persönlichkeit, flüchtige Inspirationen, kurze geistige Aufbrüche ohne wirkliche und grundlegende Verwandlungen sind von keinem praktischen Wert.
Praxistipps
Diese Transformation ist nicht einfach, denn die Gewohnheiten sind stark verwurzelt. Große Willenskraft ist notwendig, sonst fühlt der Aspirant sich oft hilflos gegenüber der Macht alter Gewohnheiten. Er*sie muss sein Sattva und seine Willenskraft zunächst beträchtlich erhöhen durch:
- Japa
- Kirtan
- Meditation
- unermüdlichen selbstlosen Dienst
- Satsang
- Innenschau, um seine Schwächen herauszufinden
- die Führung eines Gurus, der ihm passende Methoden dafür zeigen kann
II.
Stützt die niedere Natur, der alte Adam, sich hartnäckig und anmaßend auf sein niederes Denken und Wollen, dann ist die Sache äußerst ernst. Der Mensch sieht seine Fehler nicht ein, wird ungestüm, undiszipliniert, arrogant und frech und setzt sich über alle Regeln und Ordnungen hinweg.
Ein solcher Schüler hält an seinem alten Ich fest und wird sich weder Gott noch seinem persönlichen Guru unterwerfen. Er lehnt sich bei der geringsten Sache gegen Gott und die Welt auf und wird niemals gehorchen. Nicht bereit, eine geistige Unterweisung anzunehmen, ist er auch nicht bereit, seine Fehler und Schwächen zuzugeben. Er hält sich für sündenlos und großer Taten fähig, obwohl er ein völlig ungeordnetes Leben führt.
Der alte Adam gefällt sich in den gewohnten Formen der niederen Natur. Er legt sich auf seine groben, egoistischen Gedanken, Wünsche, Einbildungen und Ansichten fest und folgt ihnen. Er beansprucht das Recht, mit aller Kraft seines Unernstes, seiner Unwissenheit, seiner Selbstsucht in seinem verkehrten niederen Dasein zu verharren und all diese Unreinheiten mit Wort, Handlung und Haltung zum Ausdruck zu bringen. Er richtet mit Heftigkeit, verteidigt sich auf jede Art und sucht seine alte Gewohnheit des Denkens, Sprechens und Fühlens aufrechtzuerhalten.
Er behauptet das eine, tut das andere und sucht seine falschen Ansichten anderen aufzuzwingen. Sind diese nicht bereit, sie anzunehmen, kämpft er gegen sie. Sofort revoltiert er und behauptet, dass nur seine Ansichten richtig und die seiner Gegner ungerecht, unvernünftig, unerzogen seien. Er versucht die anderen davon zu überzeugen, dass seine Meinungen mit der Wissenschaft des Yoga übereinstimmen. Es sind erstaunliche Wesen.
Wäre der Schüler wirklich offen mit sich und ehrlich mit seinem Guru, wollte er sich ernsthaft bessern, dann würde er damit beginnen, seine Dummheit und seine Fehler zu erkennen und Verständnis für die wahre Ursache und die Natur seines Widerstrebens aufzubringen, dann wäre er bald auf dem rechten Weg, sich zu bessern und zu ändern. Statt dessen aber versteckt er den alten Adam und seine teuflischen Gedanken hinter irgendeiner Rechtfertigung oder Ausrede.
III.
Ein anmaßender und arroganter Sadhu sucht eine Position in der Gesellschaft einzunehmen und seinen Nimbus in ihr zu wahren. Er spielt den großen Yogi und gibt vor, übernatürliche Kräfte zu besitzen. (Solche Fehler der Eitelkeit, Arroganz, die in der Richtung des Rajas liegen, sind übrigens, wenn auch in geringerem Ausmaß, in der Mehrzahl der Menschen vorhanden.)
Ein solcher Schüler ist nicht guten Willens, seinem Guru zu gehorchen oder Ältere und Vorgesetzte zu achten. Er folgt nur seinen eigenen Ideen und Impulsen. Undiszipliniertheit und Respektlosigkeit sind ihm gewohnheitsmäßig eingewurzelt. Manchmal verspricht er, seinem Guru wieder gehorsam zu sein, aber seine Handlungen stehen meist im Gegensatz zu seinen Versprechungen. Ein solcher Mangel an Disziplin ist ein ernstes Hindernis für die geistige Schulung und ein schlechtes Beispiel für andere.
Wer ungehorsam ist und die Disziplin verletzt, wer nicht ehrlich gegen seinen Guru ist und ihm sein Herz nicht öffnet, wird die Wohltat seiner Hilfe nicht empfangen, in seinem eigenen Sumpf stecken bleiben und keine Fortschritte machen. Welch traurige Tatsache! Ein solcher Mensch kennt sich nicht wirklich und macht schlechten Gebrauch von seinem Verstand, indem er ihn verwendet, um seine verrückten Handlungen zu rechtfertigen.
Hätte der Schüler nur ein bißchen Gefühl für seine bemitleidenswerte Lage, zeigte er nur ein wenig Besserung, wäre er nur ein wenig aufnahmebereit, könnte er geändert werden und auf dem Weg des Yoga voranschreiten. Andernfalls aber kann ihm keiner Hilfe bringen.
Der Schüler sollte mit ganzem Wesen (Sarva Bhava) der Verwandlung seiner niederen Natur in die göttliche zustimmen und sich ohne Vorbehalt Gott oder seinem Guru unterordnen. Seine Absicht muss dabei wahrhaftig, seine Haltung beständig und seine Anstrengung ausdauernd sein. Nur dann ist die Veränderung möglich. Einfache Gesten der Zustimmung genügen nicht und werden niemals aus ihm einen Übermenschen oder Yogi machen.
Yoga kann nur von dem geübt werden, der ihn ernst nimmt und der bereit ist, sein kleines Ich und dessen Ansprüche aufzugeben. Halbe Maßnahmen gibt es auf dem geistigen Weg nicht. Ernste Disziplin der Sinne und des Bewusstseins, strenge Enthaltsamkeit (Tapas) und ununterbrochene Meditation sind zur Selbstverwirklichung notwendig. Die feindlichen Kräfte sind immer bereit, den Schüler zu überfallen, wenn er nicht wachsam ist oder wenn er ihnen auch nur das geringste Zugeständnis macht.
Yoga kann nicht üben, wer an sein altes Ich, an seine alten Gewohnheiten, an seine alte, anmaßende und nicht verwandelte Natur gebunden bleibt. Man kann nicht zwei Leben auf einmal führen. Reines, göttliches Leben, das Leben des Yogi, ist nicht vereinbar mit dem irdischen Leben der Leidenschaft und Unwissenheit.
Göttliches Leben kann sich nicht den irdischen Ordnungen anpassen. Man muss sich vielmehr auf die höhere Ebene des göttlichen Bewusstseins erheben. Man kann für sein kleinliches Denken und sein enges Ich nicht die Freiheit der Handlung beanspruchen, man kann nicht bei seinen eigenen Ideen, Urteilen, Wünschen und Impulsen verharren, wenn man Yogi werden will.
Die niedere Natur, begleitet von Anmaßung, Unwissenheit und Unruhe, verhindert die göttliche Erleuchtung. Es geht darum, ein ernsthafter, wahrer Schüler auf dem geistigen Pfad zu werden und die niedere Natur zu töten, indem man die höhere, göttliche, entwickelt. Dazu ist es notwendig, aufwärts zu streben, immer bereit, das göttliche Licht zu empfangen, sich zu läutern und ein Weiser zu werden, erfüllt von der göttlichen Kraft.
Möge der Segen der großen Yogi mit euch allen sein!
Ausdruck des Ego auf dem spirituellen Weg
- Verstellung
- Heuchelei
- Übertreiben
- seine wahren Gedanken und Tatsachen verschleiern
- Lügen
- Rechtfertigung mit unhaltbaren, unlogischen Argumenten
Der Mensch selbst ist sich gar nicht bewusst, was er tut, denn sein Verständnis ist durch Unreinheiten getrübt. Er weiß nicht, was er genau meint und meint nicht, was er sagt.
IV.
Wenn er seinen eigentlichen Zustand nur ein bisschen versteht, ein wenig Besserung und Aufnahmebereitschaft zeigt, kann er sich ändern und im Yoga vorankommen. Wenn er weiterhin seine Augen und sein Herz verschließt gegen die Wahrheit und das göttliche Licht, kann ihm niemand helfen.
Ein ernsthafter Aspirant sollte mit ganzem Wesen (sarva-bhava) einer Transformation seiner niederen in eine göttliche Natur zustimmen. Dazu muss man sich vorbehaltlos Gott oder dem Guru hingeben. Wirkliche Veränderung kommt nur mit der rechten inneren Einstellung und einem rechten, beständigen Bemühen. Äußere Gesten der Zustimmung und „ja“ zu sagen, reicht nicht aus. Das macht dich nicht zum Übermenschen oder Yogi.
Nur, wer ganz ernsthaft ist und bereit ist, das kleine Ego und dessen Ansprüche aufzugeben, kann auf dem Yogaweg voranschreiten. Halbheiten gibt es auf dem spirituellen Weg nicht. Strikte Disziplin der Sinne und des Geistes, intensive Praxis (Tapas) und Meditation sind notwendig, um Gottverwirklichung zu erreichen. Du kannst nicht gleichzeitig ein Doppelleben führen: Reines göttliches Leben, Yoga-Leben, kann nicht mit einem weltlichen Leben voller Leidenschaft und Unwissenheit koexistieren. Erhebe dich über den begrenzten menschlichen Level zur höheren Ebene göttlichen Bewusstseins.
Werde ein wahrer, ernsthafter Aspirant auf dem Yogaweg. Überwinde die niedere Natur, indem du die höhere göttliche kultivierst. Schwinge dich hoch. Bereite dich vor auf die Herabkunft des göttlichen Lichtes. Reinige dich und werde ein dynamischer Yogi/eine dynamische Yogini. Möge der Segen der großen Yogis mit euch allen sein!
Copyright Divine Life Society
Siehe auch
Literatur
- Sukadev Bretz: Meditieren lernen in 10 Wochen - Übungsbuch mit MP3-CD
- Sukadev Bretz: Die Yoga Weisheit des Patanjali für Menschen von heute
- Sukadev Bretz, Ulrike Schöber: Der Pfad zur Gelassenheit
- Yoga Vidya: Das große Yoga Vidya Hatha Yoga Buch
- Swami Saradananda: Atem - Kraftquelle deines Lebens
- Swami Sivananda: Konzentration und Meditation
Seminare
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