Spiritualität im Alltag
Spiritualität im Alltag kann bedeuten, geistige Prinzipien in alltägliche Handlungen zu integrieren oder auch alltägliche Handlungen vollkommmen nach geistigen Prinzipen auszurichten. Mit etwas Geschick und Konzentration läßt sich jede Aufgabe im Leben spirituell ausrichten. Sukadev Bretz, der Gründer und Leiter von Deutschlands größter Ashramgemeinschaft gibt dazu einige Beispiele und Anregungen, wie sie unter anderem auch bei Yoga Vidya gelebt werden.
Spiritualisiere Deinen Alltag
Artikel von Sukadev Bretz aus dem Yoga Vidya Journal Nr. 29, Herbst 2014
Sukadev zeigt an zwei Beispielen, wie du auch im Alltag spirituell leben kannst: Durch kleine Rituale, die du für dich ausführen kannst und durch die Einstellung, dass alles im Leben von Gott kommt, damit du daran wachsen kannst.
Kleine Rituale im Alltag
Ein wunderbar kleines Ritual, was du für dich selbst machen kannst, ist ein Arati (eine Lichtzeremonie). Du kannst dafür einfach eine Kerze oder wenn vorhanden ein Arati-Lämpchen nehmen und dieses vor deinem Altar schwenken. Bevor du dich zur Meditation hinsetzt, probiere mal aus, dich zu verneigen oder zünde eine Kerze an und schwenke sie 3x im Uhrzeigersinn. Vor dem Essen könntest du ein Gebet sprechen und Dankbarkeit äußern. Die Wiederholung des Om Tryambakam Mantras vor dem Autofahren stärkt und schützt dich (Vorsicht im Straßenverkehr ist natürlich trotzdem geboten). Du kannst auch ein Gebet sprechen, dich an Gott wenden, wenn du deine Wohnung verlässt oder auch abends wieder heimkehrst. Kleine Rituale und Gebete sind schöne Weisen, dich an Gott zu erinnern. Überlege, was du heute besonders tun kannst, vielleicht jetzt gleich. Ein kleines Ritual, ein kleines Gebet, etwas, was dir hilft, Hingabe an Gott zu üben, Gottes Gegenwart zu erfahren.
Deinen Alltag spiritualisieren
Es gibt verschiedene Weisen, wie du den Alltag spiritualisieren kannst. Da helfen dir die sechs Yogawege des Ganzheitlichen Yoga nach Swami Sivananda. Jeder Weg drückt sich in einer bestimmten Einstellung zum Alltag aus. Eine Weise ist die Karma Raja Yoga Einstellung: Was auch immer kommt, hilft dir spirituell zu wachsen. Eine andere hilf reiche Weise ist die Bhakti Yoga Einstellung: Was auch immer kommt, es ist von Gott gesandt. Beides kannst du auch verbinden, in dem du sagst: Was auch immer kommt, es ist von Gott geschickt, damit du spirituell wachsen kannst. Gott gibt dir deine Aufgaben. Wenn dir irgendjemand komisch kommt, dann liegt das nicht daran, dass dieser Mensch schlechte Laune hat oder weil in seiner Kindheit etwas schief gelaufen ist und er dir deshalb böse ist. Es ist schon gut, sich in den Anderen so hineinzufühlen. Aber es geschieht dir deshalb, damit du daran spirituell wachsen kannst.
Jeder Mensch ist auf diese Weise ein Gesandter Gottes
Jeder ist mit all seinen Besonderheiten, mit denen er dir gegenüber tritt, ein Instrument Gottes, ob er es weiß oder nicht. Selbst wer keine Ahnung von Gott hat oder nichts mit Gott zu tun haben möchte, ist doch von Gott geschickt. Und wenn du im Ashram bist, hörst du das immer wieder und du wirst immer wieder daran erinnert. Yoga ist eben nicht nur die Luft anhalten, die Kundalini spüren und das dritte Auge leuchten spüren. Meditation ist auch nicht nur dasitzen und hoffen, dass irgendetwas geschieht. Es wird nicht bei jedem sofort die Kundalini erweckt und die Chakras leuchten. Sondern du beobachtest deinen Geist und ordnest ihn. Yoga ist nicht nur auf dem Kopf stehen und dabei sein Ajna Chakra spüren. Yoga heißt nicht nur sich sattwig zu ernähren, obgleich es auch dazu gehört.
Yoga ist Spiritualisierung des Alltags
Du solltest dich immer wieder am Schopf fassen und versuchen, dich aus deinem Sumpf herauszuholen. Hast du auch immer wieder die Neigung zu sagen: Ich wäre ja spirituell und ich könnte ja Gott erfahren, wenn nur die Umstände nicht so wären? Wenn mein Partner anders wäre, wenn meine Arbeit leichter wäre, wenn die Menschen in meiner Umgebung etwas freundlicher zu mir wären, wenn der Computer funktionieren würde, wenn die Heizung nicht schon wieder ausgefallen wäre, wenn ich das Essen besser vertragen würde, wenn ich nicht krank wäre und so weiter. So hast du viele Gründe nicht mit Yoga zu beginnen oder es ausfallen zu lassen. Die "Bhakti" - und "Karma Raja Yoga" Einstellung besagen: Was auch immer geschieht, es ist dir geschickt, damit du spirituell wachsen kannst. Der Raja Yogi versucht sein Karma zu verstehen: Warum passiert mir das, was ist genau meine Aufgabe? Und wie kann ich daran arbeiten? Der Bhakti Yogi ist einfacher „gestrickt“. Er denkt sich: Du musst nicht alles verstehen, warum es so geschehen ist. Du nimmst es einfach als Aufgabe von Gott an. Irgendwie wirst du daran wachsen können. Du tust es für Gott, so gut du kannst. - Beide Wege sind gut und ergänzen sich. Und wenn du etwas falsch machst? Was du tust ist ja auch für andere Menschen eine „Lektion“. Da kannst du dann ganz beruhigt sein. Auch deine Fehler kannst du Gott darbringen. Von Gottes Standpunkt aus ist es vielleicht gar kein Fehler gewesen. Wenn also gilt: Alles was dir passiert, ist eine Lektion, an der du wachsen kannst, dann gilt auch umgekehrt: Was du sagst und tust ist eine Lektion für andere, selbst wenn du einen Fehler machst. All das wird beim Mantra-Singen mit der Anrufung von Rama verbunden. Geht etwas schief, rufe die Gottheit Rama an. Stehst du vor einer Herausforderung, bete Ram, Ram. Du kannst auch OM, OM wiederholen. Oder ein deutsches Gebet sprechen. Was auch immer du möchtest. Aber du kannst dich immer wieder daran erinnern: Was auch immer geschieht, Gott tritt dir gegenüber. Du kannst es fühlen und daraus handeln. Ram – Ram.
Über den Autor
Yogameister Sukadev Bretz – der dynamische Begründer und Leiter von Yoga Vidya, einer der führenden Yoga Bewegungen Europas. Er versteht es wunderbar, tiefe Weisheit humorvoll und anschaulich weiterzugeben. Seine besondere Stärke ist es, Aspiranten zu intensiver Praxis zu motivieren, hinter allem einen höheren Sinn zu sehen und mehr Energie und Herz in den Alltag zu bringen.
Alles ist Yoga - Von der Matte ins Leben
Artikel von Christopher Sölter aus dem Yoga Vidya Journal Nr. 29, Herbst 2014
Yoga findet nicht nur auf der Matte statt und ist nicht vom eigentlichen Leben getrennt. Auch im Alltag kann Yoga praktiziert werden und stellt somit letztlich einen Lebensstil dar, der die Spiritualisierung des täglichen Lebens als Ziel hat.
Wenn heutzutage von Yoga die Rede ist, meinen die meisten eigentlich die Körperstellungen des Hatha Yoga, den physischen Yoga. "Ha" heißt "Sonne" und "tha" heißt "Mond" und "Hatha" vereinigt also alles Gegensätzliche. Hatha Yoga zielt darauf ab, den Körper auf energetischer, emotionaler, mentaler und vor allem physischer Ebene zu harmonisieren. Der Hatha Yoga besteht aus fünf Unterpunkten: Körperhaltungen, Atemübungen, richtige Ernährung, positives Denken & Entspannung. Hatha Yoga bildet im engeren Sinne zusammen mit Kundalini Yoga Unterpunkte des Raja Yoga. Daneben stehen noch drei weitere große Yogawege: Karma Yoga, Bhakti Yoga, Jnana Yoga. Alle Wege bedingen sich gegenseitig und stehen für eine Entwicklung des Menschen auf allen Ebenen: physisch, energetisch, mental, psychisch und spirituell. Das Ziel dieser Integration verschiedener Yogawege ist die Verwandlung des gesamten menschlichen Wesens. Yoga führt in seiner gesamten Breite zu einem mehr an Gesundheit, Zufriedenheit, Erfolg in Beruf und Partnerschaft und Sinnfindung im Leben.
Kundalini Yoga – Mehr Energie für dein volles Potential
Hier dreht sich alles um Energie. Es werden vor allem Atemtechniken (Pranayama) praktiziert, um im Menschen schlafende Energie (Kundalini) zu aktivieren und zu höheren Bewußtseinszuständen zu gelangen. Feinstoffliche Energiekanäle (Nadis) werden gereinigt und Energiezentren (Chakras) angeregt. Auch wenn es bei regelmäßiger Praxis der Übungen nicht bei jedem gleich zu einer spektakulären Energieerfahrung kommt, so bewirken die Praktiken doch in jedem Fall eine wesentliche Erhöhung des Energieniveaus, eine Vitalisierung und Aktivierung des ganzen Körper-/Geistsystems und eine neue, ungekannte Lebensqualität. Ein angenehmer Nebeneffekt ist meistens, dass man mit weniger Schlaf auskommt und so mehr Zeit entweder für Yogaübungen und Meditation oder für andere Aktivitäten gewinnt. Auch die Asanas (Körperstellungen) des Hatha Yoga helfen, den Energiefluss im Körper anzuregen und harmonisieren und die Chakras zu stimulieren.
Raja Yoga – Beherrsche deinen Geist, statt umgekehrt
‚Raja’ heißt ‚König’ und Ziel ist KönigIn über die eigenen Gedan ken zu werden. „Yoga ist das zur-Ruhe-bringen der Gedan ken im Geist“ laute die berühmte Raja Yoga Definition nach Patanjali. Techniken, wie positives Denken, Visualisierungen, Entwicklung von Konzentration & Meditation sollen dazu führen Innenschau zu praktizieren, die Sinne von äußere Reizen abzuziehen und so zu erkennen, dass alles Vergnügen, was wir aus äußeren Objekten erlangen vergänglich ist und uns niemals wirklich befriedigt. Übung: Versuche dich, wann immer es geht, auf deinen Atem zu konzentrieren, um so raus aus den Kopf rein in den gegenwärtigen Moment zu kommen.
Karma Yoga – Gebe dein Bestes und lasse dann los
Karma Yoga heißt einerseits, dass man die zusätzliche Energie, Achtsamkeit, Konzentrationsfähigkeit, Gelassenheit und Belast - barkeit, die man aus den anderen Yogawegen gewinnt, nutzbringend für sich, seine Mitmenschen und die ganze Gesellschaft in das tägliche Leben einbringt. Es bedeutet auch Pflichterfüllung in dem Sinn, dass man seine Kraft und sein Können bestmöglich einsetzt, einfach, weil gewisse Aufgaben und Pflichten erfüllt werden müssen. Und andererseits bedeutet es selbstloses Handeln im Sinne von Dienst am Mitmenschen, Nächstenliebe, Hilfe, ohne eine Gegenleistung oder Belohnung dafür zu erwarten. Aufgaben werden als Chance angesehen, daraus zu lernen und zu wachsen. Es bedeutet in der Praxis, dass man sich durchaus bemüht, seine Aufgaben so gut wie möglich zu erfüllen und sein Möglichstes dafür tut oder dass man eine Entscheidung so gut wie möglich abwägt und dann nach bestem Wissen und Gewissen trifft, dass man aber letztendlich auch loslässt und erkennt, im Grunde genommen liegt vieles außerhalb meines Einflussbereiches und es soll das geschehen, was geschehen soll. Was auch immer kommen mag, es ist langfristig und von einer höheren Warte aus betrachtet gut und richtig. Übung: Versuche im Alltag dein Bestes zu geben aber dann auch das Ergebnis loszulassen und zufrieden zu sein.
Bhakti Yoga – Liebe deinen Nächsten wie dich selbst
und wirkt daher eher auf der Gefühlsebene. Dieser Weg wird in Indien am meisten praktiziert und ist eine gute und wichtige Ergänzung zu der in unserer Kultur vorherrschenden Rationalität. Es ist eine innere Grundhaltung bedingungslosen Vertrauens und Loslassens, der Hingabe – Vertrauen in etwas Höheres als man selbst oder Vertrauen darin, dass alles irgendwie schon seine Richtigkeit hat. Dass auch die Dinge, die außerhalb des eigenen Einflussbereiches liegen, im Grunde genommen letztlich gut sind. Bhakti Yoga wird stark entwickelt durch Wohlwollen gegenüber allem Leben, Mantra-Singen, Gebet, Zeremo nien und Rituale. Übung: Vertiefe das Gefühl der Verbundenheit mit allen Wesen und einer höheren Kraft als du selbst.
Jnana Yoga – Wer oder was bist du?
Jnana Yoga ist die Auseinandersetzung mit grundlegenden Fragen wie: „Was ist der Sinn des Lebens?“, „Wer oder was bin ich?“, „Woher komme ich?“, „Gibt es Gott?“ und so weiter. Grundlage dafür ist die Vedanta-Philosophie, eine nicht-dualistische Philo sophie, die beschreibt, dass hinter allem eine gemeinsame „Ursubstanz“ steht (Brahman). Das bedeutet, wir sind in unserem innersten Kern verbunden mit allem. Weiterhin wird dieses tiefste Selbst (Atman), dass in uns allen ist, als Sein-Wissen- Glückseligkeit (Sat-Chit-Ananda) beschrieben und kann durch fortschreitende Yogapraxis immer klarer erkannt werden. Zwar kann es hilfreich sein, intellektuell darüber zu philosophieren, nur muss dieses Wissen letztlich intuitiv erfahren und erkannt werden, weil es jenseits der Erfassbarkeit des menschlichen Geistes liegt. Und dieses intuitive Erfahren wird unterstützt durch die anderen Yogawege, vor allem den Raja und Bhakti Yoga. Übung: Gehe der Frage „Wer bin ich?“ auf den Grund.
Menschen bringen verschiedene Talente und Vorlieben mit, so ist nicht jeder Yogaweg für jeden gleich gut geeignet. Man sollte schwerpunktmäßig den Weg wählen, der der eigenen Persönlichkeitsstruktur am meisten entspricht, aber man sollte auch die anderen Wege gleichzeitig praktizieren und in sein Leben integrieren, so dass die persönliche Entwicklung nicht einseitig, sondern wirklich ganzheitlich und umfassend wird. Auch der spirituelle Fortschritt und die persönliche Evolution schreiten so sehr viel schneller voran. Die Hatha Yoga Übungen, die auf der Matte stattfinden, dienen vor allem als Grundlage für die anderen Yogawege. Yoga ist somit eine ganzheitliche Entwicklung des Menschen und findet jeden Moment statt, denn: Alles ist Yoga. Alle Wege helfen dir dabei Frieden und Harmonie in deinem individuellen Universum (Menschen, die mit dir in Kontakt treten, deine Arbeit…) zu vergrößern, so, dass du dadurch zum Frieden auf kollektiver Ebene beiträgst. Weiterhin geben dir dir die verschiedenen Yogawege die Macht Identifikationen mit gewohnten Gedankenprozessen & Handlungen mehr und mehr aufzulösen und so wirklich das Leben zu formen, dass du gern führen würdest. Schicksal ist Gewohnheit.
Denke mehr und mehr an deine Möglichkeiten und nicht an deine Begrenzungen und du kannst mit Hilfe von Yoga erfahren, dass du unendliche Möglichkeiten, unendliche Kraft und alles Wissen in dir hast, ja das du Gott bist. Wie sieht dein Leben aus, wenn du das Höchste, was du dir vorstellen kannst, selbst bist? Doch um wirklich einmal tief in die Materie und Nicht-Materie einzusteigen und tiefer zu gehen, ist es in der Regel sehr hilfreich ein Retreat zu besuchen. So kannst du das Gelesene in der Praxis erfahren und authentischer im Alltag umsetzen.
Über den Autor
Christopher Sölter ist Yogalehrer und Meditationskursleiter (BYV), ehemali - ger Pressesprecher des Yoga Vidya e.V. Schreibt gerade ein Buch über seinen 1,5 jährigen Aufenthalt im Yoga Vidya Ashram Bad Meinberg.
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