Sanskrit Kurs Lektion 58

Aus Yogawiki

Dieser Sanskrit Kurs führt anhand einfacher Beispielsätze und -verse in die Grammatik des Sanskrit ein. Einen ausführlichen Überblick über das Sanskrit findest Du im Artikel Sanskrit. Hinweise zur indischen Schrift, der wissenschaftlichen Umschrift (Transliteration) sowie der korrekten Aussprache gibt der Artikel Devanagari. Stichwörter, nach denen Du in der Yoga Vidya Wiki suchen kannst, sind in vereinfachter Schreibweise (Transkription) wiedergegeben.

Der Partizip Präsens Passiv

Das Sanskrit besitzt eine häufig verwendete Ausdrucksweise, mit der man eine Handlung (Kriya), die in der Gegenwart (Präsens) stattfindet, ausdrücken kann, ohne dabei ein konjugiertes Verb (Akhyata) zu benutzen. Dazu gebraucht man ein sogenanntes Verbaladjektiv bzw. Partizip mit der Bedeutung des Passivs in der passiven Konstruktion (Karmani Prayoga). Dieses Verbaladjektiv heißt Partizip Präsens Passiv.

Bildung

Das Partizip Präsens Passiv bezeichnet einen Vorgang in der Gegenwart, der häufig parallel zu einer anderen Handlung verläuft. Ein solches Partizip erkennt man daran, dass es auf das Suffix (Pratyaya) -māna endet, welches an den Passivstamm der jeweiligen Verbalwurzel (Dhatu) tritt, der seinerseits auf -ya endet:

  • pac (Wurzel der Bhu Klasse) "kochen", Passivstamm pacya- + -māna wird zu pacyamāna "(gerade) gekocht werdend"
  • śru (Wurzel der Su Klasse) "hören", Passivstamm śrūya- + -māna wird zu śrūyamāṇa "(gerade) gehört werdend"
  • kṛ (Wurzel der Tan Klasse) "machen, tun", Passivstamm kriya- + -māna wird zu kriyamāna "(gerade) gemacht werdend, getan werdend"

Syntax

Das so entstandene Partizip Präsens Passiv folgt bei männlichen und sächlichen Substantiven der Deklination der Nominalstämme auf -a (wie Ashva bzw. Sattva). Die weiblichen Formen folgen der Deklination auf ā (wie Kanya).

Das Partizip Präsens Passiv nimmt wie ein Adjektiv (Visheshana) Fall (Kasus), Zahl (Numerus) und Geschlecht (Genus) des Substantivs an, auf das es sich bezieht.

In der deutschen Übersetzung gibt man eine solche passivische Ausdrucksweise des Sanskrit häufig in aktiver Konstruktion (Kartari Prayoga) wieder, da diese für das Deutsche typisch bzw. "idiomatisch" ist.


Übung 1

  • Devanagari: भिक्षुः पच्यमानस्य सूपस्य गन्धं जिघ्रति |
  • wissenschaftliche Transliteration: bhikṣuḥ pacyamānasya sūpasya gandhaṃ jighrati |
  • vereinfachte Transkription: bhikshuh pachyamanasya supasya gandham jighrati |
  • Wort-für-Wort-Übersetzung: Der Bettelmönch (Bhikshu, Nom. Sg. m.) der gekocht werdenden (pacyamāna, Gen. Sg. m.) Suppe (Supa, Gen. Sg. m.) den Duft (Gandha, Akk. Sg. m.) riecht (ghrā, Verb), d.h. "Der Bettelmönch riecht den Duft der Suppe, die gerade gekocht wird."

Erläuterungen

  • Der Nominativ (Prathama) bhikṣuḥ ist das logische Subjekt (Agens, Kartri) der Verbalhandlung jighrati.
  • Der Genitiv (Shashthi) pacyamānasya ist das von der Wurzel pac "kochen" abgeleitete Partizip Präsens Passiv. Es bezieht sich auf das Substantiv sūpasya und steht daher ebenfalls im Genitiv Singular Maskulinum.
  • Der Genitiv sūpasya bezieht sich auf den Akkusativ gandham.
  • Der Akkusativ (Dvitiya) gandham ist das logische Objekt (Karman) der Verbalhandlung jighrati.


Übung 2

  • Devanagari: स श्रूयमाणे महति शब्दे सूपं तत्क्षणं विस्मरति |
  • wissenschaftliche Transliteration: sa śrūyamāṇe mahati śabde sūpaṃ tatkṣaṇaṃ vismarati |
  • vereinfachte Transkription: sa shruyamane mahati shabde supam tatkshanam vismarati |
  • Wort-für-Wort-Übersetzung: Er (Tad, Nom. Sg. m.) bei einem gehört werdenden (śrūyamāṇa, Lok. Sg. m.) lauten (Mahat, Lok. Sg. m.) Geräusch (Shabda, Lok. Sg. m.) die Suppe (Supa, Akk. Sg. m.) im selben Augenblick (Tatkshana, Akk. Sg. n.) vergisst (vi + smṛ, Verb), d.h. "Als er ein lautes Geräusch hört, vergisst er die Suppe augenblicklich."

Erläuterungen

  • Syntax: Die drei Lokative (Saptami) (śrūyamāṇe mahati śabde) bilden zusammen einen absoluten Lokativ, der die Voraussetzung für die nachfolgende Aussage beschreibt. Dieser besteht aus einem Substantiv (śabde, das hier noch durch ein Adjektiv erweitert wurde) und einem Partizip Präsens Passiv (śrūyamāṇe). In der deutschen Übersetzung wird ein solcher absoluter Lokativ häufig mit "als" eingeleitet.
  • Der Nominativ saḥ "er" bezieht sich auf den Nominativ bhikṣu aus dem vorangehenden Satz (Übung 1) und ist das logische Subjekt (Agens, Kartri) der Verbalhandlung vismarati.
  • Das Partizip Präsens Passiv śrūyamāṇe ist von der Wurzel śru "hören" abgeleitet und bezieht sich auf das Substantiv śabde, weshalb es gleichfalls im Lokativ Singular Maskulinum steht.
  • Das Adjektiv (Visheshana) mahati ist eine nähere Bestimmung zu śabde und steht daher ebenfalls im Lokativ Singular Maskulinum.
  • Der Lokativ śabde ist innerhalb des absoluten Lokativs das logische Objekt (Karman) der als Partizip Präsens Passiv ausgedrückten Verbalhandlung śrūyamāṇe ("gehört werdend").
  • Der Akkusativ sūpam ist das logische Objekt (Karman) der Verbalhandlung vismarati.
  • Das Adverb tat-kṣaṇam (tad Tad + kṣaṇa Kshana) "im selben Augenblick" ist ein Kompositum (Samasa) und als Umstandsbestimmung der Zeit eine nähere Bestimmung zum Verb vismarati. Adverbiell verwendete Komposita werden als Avyayibhava bezeichnet.
  • Die Verbform vismarati ("er vergisst") ist die 3. Person Singular Aktiv (Parasmaipada) der Gegenwart der Verbalwurzel smṛ "erinnern" (1. bzw. Bhu Klasse), die in Verbindung mit dem Verbalpräfix (Upasarga) vi "vergessen" bedeutet.
  • Sandhi: Der Visarga () in saḥ ("dieser, der, er") fällt vor allen Konsonanten (Vyanjana) aus (Ausnahmeregel). Das r in śrūyamāṇe bewirkt, dass das dentale n der Partizipialendung -māna zu zerebralem , d.h. "zerebralisiert" wird. Die Endung -m von sūpam und tatkṣaṇam geht vor folgendem Konsonanten in Anusvara () über, welcher vereinfachend wie m ausgesprochen wird.

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