Sanskrit Kurs Lektion 30
Dieser Sanskrit Kurs führt anhand einfacher Beispielsätze und -verse in die Grammatik des Sanskrit ein. Einen ausführlichen Überblick über das Sanskrit findest Du im Artikel Sanskrit. Hinweise zur indischen Schrift, der wissenschaftlichen Umschrift (Transliteration) sowie der korrekten Aussprache gibt der Artikel Devanagari. Stichwörter, nach denen Du in der Yoga Vidya Wiki suchen kannst, sind in vereinfachter Schreibweise (Transkription) wiedergegeben.
Das Kompositum (3)
In den Lektionen 28 und 29 haben wir das Kompositum (Samasa) näher betrachtet. Dabei stellten wir fest, dass im Sanskrit ein Kompositum innerhalb eines Satzes (Vakya) als Substantiv, Adjektiv oder Adverb verwendet werden kann. Ein besonderer Bildungstyp des adjektivisch verwendeten Kompositums (Bahuvrihi) ist die Verbindung von Partizip Präteritum Passiv (PPP) und Substantiv.
- jitendriya aus jita "besiegt, bezwungen" (Jita) + indriya "Sinnesorgan" (Indriya): der seine Sinne bezwungen hat (Jitendriya)
- mitāśana aus mita "gemessen, gemäßigt" (Mita) + aśana "Essen, Speise" (Ashana): dessen Essen gemäßigt ist, der mäßig isst (Mitashana)
- kṛtaśrama aus kṛta "gemacht, unternommen" (Krita) + śrama "Anstrengung, Bemühung" (Shrama): der sich Mühen unterzogen hat, der sich bemüht hat (Kritashrama)
- muktakara aus mukta "befreit, geöffnet" (Mukta) + kara "Hand" (Kara): eine offene Hand habend, freigebig (Muktakara)
- labdhavara aus labdha "erlangt" (Labdha) + vara "Wunsch" (Vara): der seinen Wunsch erlangt hat (Labdhavara)
Bei all diesen Komposita ist das Vorderglied ein Adjektiv bzw. PPP, das eine Handlung ausdrückt, die in irgendeiner Beziehung zum Hinterglied (Substantiv) des Kompositums steht.
Grammatische Übereinstimmung (Kongruenz)
Ein als Adjektiv (Visheshana) fungierendes Kompositum (Bahuvrihi) nimmt Fall (Kasus), Zahl (Numerus) und Geschlecht (Genus) des Substantivs an, auf das es sich bezieht:
- jitendriyaḥ puruṣaḥ "ein Mann (Purusha, Nom. Sg. m.), der seine Sinne bezwungen hat (Jitendriya, Nom. Sg. m.)"
- jitendriyā strī "eine Frau (Stri, Nom. Sg. f.), die ihre Sinne bezwungen hat (Jitendriya, Nom. Sg. f.)"
Beispielvers aus der Hatha Yoga Pradipika
Hier folgt ein Vers aus dem zweiten Kapitel (Upadesha) der Hatha Yoga Pradipika, das der Praxis des Pranayama gewidmet ist. Der 7. Vers beschreibt die erste Phase der Reinigungsatmung (Nadi Shodhana), die auch als Wechselatmung bzw. Anuloma Viloma bekannt ist.
- बद्धपद्मासनो योगी प्राणं चन्द्रेण पूरयेत् |
- धारयित्वा यथाशक्ति भूयः सूर्येण रेचयेत् || २.७ ||
- wissenschaftliche Transliteration:
- baddha-padmāsano yogī prāṇaṃ candreṇa pūrayet |
- dhārayitvā yathā-śakti bhūyaḥ sūryeṇa recayet || 2.7 ||
- vereinfachte Transkription:
- baddha-padmasano yogi pranam candrena purayet |
- dharayitva yatha-shakti bhuyah suryena recayet || 2.7 ||
- Wort-für-Wort-Übersetzung:
- baddha-padmāsanaḥ : der den Lotussitz (Padmasana) eingenommen ("gebunden") hat (Baddha, Partizip Präteritum Passiv der Wurzel badh/bandh, Nom. Sg. m.)
- yogī : der Yogi (Nom. Sg. m.)
- prāṇaṃ : den Atem, die Lebensenergie (Prana, Akk. Sg. m.)
- candreṇa : durch den Mond(kanal, das linke Nasenloch, Chandra, Instr. Sg. m.)
- pūrayet : soll einatmen (pṝ, Verb)
- dhārayitvā : nachdem er (den Atem) angehalten hat (dhṛ, Absolutivum)
- yathā-śakti : nach Vermögen (wie es in seiner Macht steht", Yathashakti)
- bhūyaḥ : wieder (Bhuyas, Adverb)
- sūryeṇa : durch den Sonne(nkanal, das rechte Nasenloch, Surya, Instr. Sg. m.)
- recayet : soll ausatmen (ric, Verb)
- Übersetzung:
- Der Yogi, der den Lotussitz (Padmasana) eingenommen hat, soll den Atem (Prana) durch den Mondkanal (das linke Nasenloch bzw. Chandra) einatmen.
- Nachdem er (den Atem) nach Vermögen angehalten hat, soll er durch den Sonnenkanal (das rechte Nasenloch bzw. Surya) wieder ausatmen.
Erläuterungen
- Dieser Vers enthält zwei Komposita (Samasa), die jeweils als Adjektiv (baddha-padmāsanaḥ) und als Adverb (yathā-śakti) fungieren.
- Das Kompositum baddha-padmāsanaḥ bezieht sich als Adjektiv auf yogī und steht daher ebenfalls im Nominativ Singular Maskulinum.
- Der Nominativ (Prathama) yogī ist das logische Subjekt bzw. der Agens (Kartri) der Verbalhandlungen pūrayet und recayet sowie des Absolutivums dhārayitvā.
- Der Akkusativ (Dvitiya) prāṇam ist das logische Objekt (Karman) der Verbalhandlungen pūrayet und recayet.
- Der Instrumental (Tritiya) candreṇa bezeichnet als Instrument der Handlung (Karana) den Weg näher, den die Atemluft (Prana) beim Einatmen nimmt.
- Die Verbform pūrayet ("er soll einatmen") ist die 3. Person Singular (Optativ Präsens Aktiv bzw. Parasmaipada) des Kausativs der Verbalwurzel (Dhatu) pṝ "füllen, einatmen". Der Optativ drückt einen Wunsch oder eine Möglichkeit, eine höfliche Aufforderung oder - wie in diesem Falle - eine neutrale Anweisung aus.
- Der Instrumental sūryeṇa bezeichnet als Instrument der Handlung den Weg näher, den die Atemluft (Prana) beim Ausatmen nimmt.
- Die Verbform recayet ("er soll ausatmen") ist die 3. Person Singular (Optativ Präsens Aktiv bzw. Parasmaipada) des Kausativs der Verbalwurzel (Dhatu) ric "leeren, ausatmen".
- Das Absolutivum dhārayitvā bezeichnet eine Nebenhandlung (Guna Kriya), die (in der Regel) vor der eigentlichen Haupthandlung (Mukhya Kriya, hier: recayet) erfolgt, und mit dieser dasselbe logische Subjekt (hier: yogī) hat. Die Form dhārayitvā ist vom Kausativ der Wurzel dhṛ "halten, anhalten" abgeleitet.
- Das Adverb yathā-śakti "nach Vermögen" ist ein adverbielles Kompositum (Avyayibhava) und als Umstandsbestimmung der Art und Weise eine nähere Bestimmung zum Absolutivum dhārayitvā.
- Sandhi: Gleichartige Vokale (Svara) verschmelzen in Komposita zu einem Langvokal: a + ā wird zu ā in °padmāsanaḥ Die Form baddha-padmāsano steht für baddha-padmāsanaḥ, da auslautendes -aḥ vor stimmhaften Konsonanten (hier: y) zu -o wird.
Auflösung und Übersetzung der Komposita
- Dem dreigliedrigen Kompositum baddha-padmāsanaḥ liegt das zweigliedrige padmāsanaḥ, also padma (Substantiv) + āsana (Substantiv) zugrunde, dem das Adjektiv bzw. PPP baddha vorangestellt wurde. Es handelt sich hier nicht um die als Baddha Padmasana bekannte Variante des Lotussitzes (dann wäre das Wort ein Neutrum), sondern um ein adjektivisch verwendetes Kompositum (Bahuvrihi), das nach dem Kommentator Brahmananda wie folgt aufzulösen ist: baddhaṃ padmāsanam yena tādśo yogī, d.h. "ein solcher (tādśaḥ, Tadrisha) Yogi, durch den (yena, Yad) Padmasana eingenommen (Baddha) wurde".
- Das Kompositum yathā-śakti (Yathashakti) ist ein adverbielles Kompositum (Avyayibhava), das sich aus dem Adverb Yatha und dem Substantiv Shakti zusammensetzt. Ein solches adverbielles Kompositum wird auch als Indeklinabile (Avyaya) bezeichnet, d.h. es verändert seine Form nicht bzw. ist nicht deklinierbar.
Weblink
Siehe auch
- Sanskrit Kurs Lektion 1
- Sanskrit Kurs Lektion 2
- Sanskrit Kurs Lektion 3
- Sanskrit Kurs Lektion 4
- Sanskrit Kurs Lektion 5
- Sanskrit Kurs Lektion 6
- Sanskrit Kurs Lektion 7
- Sanskrit Kurs Lektion 8
- Sanskrit Kurs Lektion 9
- Sanskrit Kurs Lektion 10
- Sanskrit Kurs Lektion 11
- Sanskrit Kurs Lektion 12
- Sanskrit Kurs Lektion 13
- Sanskrit Kurs Lektion 14
- Sanskrit Kurs Lektion 15
- Sanskrit Kurs Lektion 16
- Sanskrit Kurs Lektion 17
- Sanskrit Kurs Lektion 18
- Sanskrit Kurs Lektion 19
- Sanskrit Kurs Lektion 20
- Sanskrit Kurs Lektion 21
- Sanskrit Kurs Lektion 22
- Sanskrit Kurs Lektion 23
- Sanskrit Kurs Lektion 24
- Sanskrit Kurs Lektion 25
- Sanskrit Kurs Lektion 26
- Sanskrit Kurs Lektion 27
- Sanskrit Kurs Lektion 28
- Sanskrit Kurs Lektion 29
- Sanskrit Kurs Inhaltsverzeichnis