Absolutivum
Als Absolutivum (Plural: Absolutiva) bezeichnet man in der Sanskrit Grammatik eine indeklinable (unveränderliche) partizipähnliche Form, die von einer Verbalwurzel (Dhatu) abgeleitet wird. Sie bezeichnet eine Nebenhandlung (Guna Kriya), die (in der Regel) vor der eigentlichen Haupthandlung (Mukhya Kriya) erfolgt, und mit dieser dasselbe logische Subjekt (Agens, Kartri) hat.
Bildung und Bedeutung
Zur Bildung des Absolutivums werden im (klassischen) Sanskrit zwei Suffixe (Pratyaya) gebraucht. Je nach dem, ob vor der Wurzel ein Präfix (Upasarga) steht oder nicht, tritt an die schwache Form der Verbalwurzel das Suffix -ya (-tya) bzw. -tvā. Die Grundbedeutung der Wurzel wird durch das Präfix häufig modifiziert oder gänzlich verändert:
- Wurzel kṛ "tun, machen" (ohne Präfix) + Suffix -tvā ergibt kṛtvā "getan habend, gemacht habend"
- Wurzel kṛ mit Präfix vi "verändern, umgestalten" + Suffix -tya ergibt vikṛtya "verändert habend, umgestaltet habend"
- Wurzel dā "geben, schenken" (ohne Präfix) + Suffix -tvā ergibt dattvā "gegeben habend, geschenkt habend"
- Wurzel dā mit Präfix ā "nehmen, entgegennehmen, erhalten" + Suffix -ya ergibt ādāya "in Empfang genommen habend"
Syntax und Beispielsätze
Das Absolutivum bleibt unveränderlich, d.h. es nimmt weder Fall (Kasus), Zahl (Numerus) noch Geschlecht (Genus) des Substantivs an, auf das es sich bezieht. Daher lässt sich aus seiner Form auch nicht schließen, ob es sich auf ein männliches, weibliches oder sächliches Substantiv bezieht. Das Absolutivum bezeichnet in der Regel das logische Subjekt bzw. den Agens (Kartri) der Nebenhandlung, die der Haupthandlung zeitlich vorausgegangen ist.
Durch die Verwendung von Absolutiva kann man auf sehr effektive Weise ganze Nebensätze in komprimierter Form ausdrücken. Daher ist diese Form im Sanskrit sehr beliebt und geläufig.
- kaṭaṃ kṛtvā puruṣo grāmaṃ gacchati "Eine Matte (Kata) gemacht habend (kṛtvā, kṛ), geht (gacchati, gam) der Mann (Purusha, Nom. Sg. m.) ins Dorf (Grama)", d.h. "Nachdem er eine Matte gemacht hat, geht der Mann ins Dorf."
- mālāṃ kṛtvā kanyā nagaraṃ gacchati "Eine Kette (Mala) gemacht habend (kṛtvā, kṛ), geht (gacchati, gam) das Mädchen (Kanya, Nom. Sg. f.) in die Stadt (Nagara)", d.h. "Nachdem es eine Kette gemacht hat, geht das Mädchen in die Stadt."
- gāṃ dattvā vaiśyo gacchati "Eine Kuh (Go) gegeben habend (dattvā, dā), geht (gacchati, gam) der Vaishya", d.h. "Nachdem er eine Kuh gegeben hat, geht der Vaishya."
- gām ādāya brāhmaṇo mantraṃ paṭhati "Die Kuh (Go) in Empfang genommen habend (ādāya, ā + dā), rezitiert (paṭhati, paṭh) der Brahmane ein Mantra", d.h. "Nachdem er die Kuh in Empfang genommen hat, rezitiert der Brahmane ein Mantra."
Erläuterung: In diesen Sätzen (Vakya) bezeichnen die Verben gacchati "er (sie, es) geht" (3. Pers. Sg. Aktiv) und paṭhati "er (sie, es) rezitiert" (3. Pers. Sg. Aktiv die Haupthandlung. Die der Haupthandlung zeitlich vorausgehende Nebenhandlung wird jeweils durch die Absolutiva kṛtvā, dattvā und ādāya ausgedrückt. Die Nominative puruṣaḥ, kanyā, vaiśyaḥ und brāhmaṇaḥ sind jeweils logisches Subjekt (Agens, Kartri) von Haupt- und Nebenhandlung (-aḥ wird laut Sandhi zu -o).
Übersicht: Das Absolutivum einiger häufiger Verben
Die nachfolgende Übersicht zeigt die Formen des Absolutivum 1 (ohne Präfix) und Absolutivum 2 (mit Präfix) einiger wichtiger Verben zusammen mit der Verbalwurzel (Dhatu) und deren Hauptbedeutung(en).
Verbalwurzel | Bedeutung | Absol. 1 | Übersetzung | Absolutivum 2 | Übersetzung |
---|---|---|---|---|---|
yuj | verbinden | yuktvā | verbunden habend | viyujya | getrennt habend |
raj/rañj | (sich) färben | raktvā | (sich) gefärbt habend | virajya | sich entfärbt habend, gleichgültig geworden seiend |
muc | befreien | muktvā | befreit habend | vimucya | abgeschossen habend |
gam | gehen | gatvā | gegangen seiend | āgamya und āgatya | gekommen seiend |
han | schlagen | hatvā | geschlagen habend | nihanya und nihatya | niedergeschlagen habend |
kram | schreiten | krāntvā | geschritten seiend | upakramya | herangetreten seiend |
bhram | umherirren, sich drehen | bhrāntvā | umhergeirrt seiend, sich gedreht habend | paribhramya | umkreist habend |
yam | zügeln | yatvā | gezügelt habend | āyamya und āyatya | verlängert habend |
nam | sich verbeugen, grüßen | natvā | sich verbeugt, gegrüßt habend | unnamya* und unnatya* | sich erhoben habend |
tan | (sich) dehnen | tatvā | (sich) gedehnt habend | avatatya | sich herabgesenkt habend |
man | meinen, denken | matvā | gemeint, gedacht habend | anumanya und anumatya | zugestimmt habend |
guh | verbergen | gūḍhvā | verborgen habend | avaguhya | umarmt habend |
dah | verbrennen | dagdhvā | verbrannt habend | vidahya | ausgebrannt habend |
badh/bandh | binden | baddhvā | gebunden habend | paribadhya | umzingelt habend |
budh | erwachen | buddhvā | erwacht seiend | prabudhya | aufgeblüht seiend |
snā | baden | snātvā | gebadet habend | niṣṇāya* | sich vertieft habend |
jñā | erfahren | jñātvā | erfahren habend | pratijñāya | anerkannt habend |
pā | trinken | pītvā | getrunken habend | nipāya | absorbiert habend |
dā | geben | dattvā | gegeben habend | ādāya | genommen habend |
dhā | setzen, stellen, legen | hitvā | gesetzt, gestellt, gelegt habend | pidhāya | verschlossen habend |
mā | messen | mitvā | gemessen habend | anumāya | geschlussfolgert habend |
sthā | stehen | sthitvā | gestanden habend | utthāya* | sich erhoben habend |
gā/gai | singen | gītvā | gesungen habend | anugāya | nachgesungen habend |
kṛ | machen, tun | kṛtvā | gemacht, getan habend | vikṛtya | verändert habend, umgestaltet habend |
ji | siegen | jitvā | gesiegt habend | parājitya | unterlegen seiend |
śru | hören | śrutvā | gehört habend | āśrutya | versprochen habend |
smṛ | erinnern | smṛtvā | erinnert habend | vismṛtya | vergessen habend |
bhū | sein, werden | bhūtvā | (geworden) seiend | anubhūya | empfunden habend |
kṛṣ | ziehen | kṛṣṭvā | gezogen habend | ākṛṣya | an sich gezogen habend, entzogen habend |
tyaj | verlassen | tyaktvā | verlassen habend | santyajya* | verlassen habend |
vac | sagen | uktvā | gesagt habend | anūcya* | studiert habend |
bhid | spalten | bhittvā | gespalten habend | vibhidya | sich geöffnet habend |
chid | abschneiden | chittvā | abgeschnitten habend | avachidya | von sich gewiesen habend |
majj | versinken | ma(ṅ)ktvā | versunken seiend | unmajjya* | aufgetaucht seiend |
grah | ergreifen | gṛhītvā | ergriffen habend | vigṛhya | auseinander gehalten habend |
sev | dienen | sevitvā | gedient habend | āsevya | genossen habend |
*Anmerkung: Bei der Verbindung von Präfix und Verbalwurzel treten die Wohllautregeln des Sandhi in Kraft.
Beispielvers aus der Hatha Yoga Pradipika
Hier folgt ein Vers aus dem zweiten Kapitel (Upadesha) der Hatha Yoga Pradipika, das der Praxis des Pranayama gewidmet ist. Der 8. Vers beschreibt die zweite Phase der Reinigungsatmung (Nadi Shodhana), die auch als Wechselatmung bzw. Anuloma Viloma bekannt ist. Die beiden Absolutiva sind ākṛṣya ("eingezogen habend, einziehend", ā + kṛṣ) und kṛtvā ("gemacht habend", kṛ).
- प्राणं सूर्येण चाकृष्य पूरयेदुदरं शनैः |
- विधिवत्कुम्भकं कृत्वा पुनश्चन्द्रेण रेचयेत् || २.८ ||
- prāṇaṃ sūryeṇa cākṛṣya pūrayed udaraṃ śanaiḥ |
- vidhivat kumbhakaṃ kṛtvā punaś candreṇa recayet || 2.8 ||
- Und, den Atem (Prana) durch den Sonnenkanal (das rechte Nasenloch bzw. Surya) einziehend (ākṛṣya "eingezogen habend"), soll er (d.h. der Yogi) den Bauch langsam füllen.
- Nachdem er vorschriftsgemäß die Atemverhaltung (Kumbhaka) ausgeführt hat (kṛtvā), soll er wieder durch den Mondkanal (das linke Nasenloch bzw. Chandra) ausatmen.
- Anmerkung: Gelegentlich kann die durch das Absolutivum ausgedrückte Nebenhandlung auch zeitgleich zur Haupthandlung verlaufen, so wie hier im Falle von ākṛṣya ("einziehend ") und dem Optativ pūrayet ("er soll füllen"). Es ergibt sich aus dem Zusammenhang, dass das Einziehen der Luft und das Füllen des Bauches mit dieser ein und derselbe Prozess ist.
Beispielvers aus der Bhagavad Gita
Im folgenden Beispielvers aus der Bhagavad Gita (5.10) ist die Form ādhāya das Absolutivum 2 der Verbalwurzel (Dhatu) dhā "setzen, stellen, legen", die in Verbindung mit dem Verbalpräfix (Upasarga) ā "geben, verleihen, darbringen" bedeutet. Wörtlich bedeutet ādhāya "dargebracht habend". Die Form tyaktvā ist das Absolutivum 1 der Wurzel tyaj "verlassen, aufgeben". Wörtlich bedeutet tyaktvā "aufgegeben habend".
- ब्रह्मण्याधाय कर्माणि सङ्गं त्यक्त्वा करोति यः |
- लिप्यते न स पापेन पद्मपत्त्रमिवाम्भसा || ५.१० ||
- brahmaṇy ādhāya karmāṇi saṅgaṃ tyaktvā karoti yaḥ |
- lipyate na sa pāpena padma-pattram ivāmbhasā || 5.10 ||
"Wer handelt, indem er seine Handlungen (Karman) dem Brahman darbringt (ādhāya) und Anhaftung (Sanga) aufgibt (tyaktvā), der wird vom Übel (Papa) nicht befleckt, so wie ein Lotusblatt (Padmapattra) nicht vom Wasser (Ambhas) benetzt wird." (BhG 5.10)
Weil Wasser von einem Lotusblatt aufgrund dessen Oberflächenstruktur abperlt, ohne daran haften zu bleiben, wird die geringe Benetzbarkeit seiner Oberfläche als "Lotoseffekt" bezeichnet.
Weblink
Siehe auch
- Sanskrit Adjektiv
- Sanskrit Verbalwurzel
- Sanskrit Verb
- Sanskrit Grammatik
- Sanskrit Sprache
- Sanskrit Kurs Lektion 30
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