Sanskrit Kurs Lektion 64

Aus Yogawiki

Dieser Sanskrit Kurs führt anhand einfacher Beispielsätze und -verse in die Grammatik des Sanskrit ein. Einen ausführlichen Überblick über das Sanskrit findest Du im Artikel Sanskrit. Hinweise zur indischen Schrift, der wissenschaftlichen Umschrift (Transliteration) sowie der korrekten Aussprache gibt der Artikel Devanagari. Stichwörter, nach denen Du in der Yoga Vidya Wiki suchen kannst, sind in vereinfachter Schreibweise (Transkription) wiedergegeben.

Der Partizip Präsens Aktiv (4)

In Lektion 61 - 63 haben wir die Bildung und Verwendung des Partizip Präsens Aktiv betrachtet. Der folgende Beispielvers enthält ein solches Partizip in Zusammenhang mit einem absoluten Lokativ.

Beispielvers aus der Hatha Yoga Pradipika

Die gesamte Hatha Yoga Pradipika besteht aus Versen, deren häufigstes Versmaß (Chhandas) der Shloka (Anushtubh) ist. Hier folgt ein Vers aus dem ersten Kapitel (Upadesha), das der Asana-Praxis gewidmet ist. Der 43. Vers hebt die Vorzüge von Siddhasana hervor. Er besteht aus sechs statt aus den üblichen vier Versvierteln (Pada).


किमन्यैर्बहुभिः पीठैः सिद्धे सिद्धासने सति |
प्राणानिले सावधाने बद्धे केवलकुम्भके |
उत्पद्यते निरायासात्स्वयमेवोन्मनी कला || १.४३ ||


  • wissenschaftliche Transliteration:
kim anyair bahubhiḥ pīṭhaiḥ siddhe siddhāsane sati |
prāṇānile sāvadhāne baddhe kevalakumbhake |
utpadyate nirāyāsāt svayam evonmanī kalā || 1.43 ||


  • vereinfachte Transkription:
kim anyair bahubhih pithaih siddhe siddhasane sati |
prananile savadhane baddhe kevalakumbhake |
utpadyate nirayasat svayam evonmani kala || 1.43 ||


  • Wort-für-Wort-Übersetzung:
kim : was (wird gewonnen, Kim, Akk. Sg. n.)
anyaiḥ : andere (Anya, Instr. Sg. n.)
bahubhiḥ : durch viele (Bahu, Instr. Sg. n.)
pīṭhaiḥ : Körperstellungen ("Sitzhaltungen", Pitha, Instr. Sg. n.)
siddhe : gemeistert, vervollkommnet (Siddha, Lok. Sg. n.)
siddhāsane : wenn die vollkommene Sitzhaltung (Siddhasana, Lok. Sg. n.)
sati : ist (sat, Lok. Sg. n.)
prāṇānile : wenn der Prana (genannte Körper-)Wind, Atem (Anila, Lok. Sg. m.)
sāvadhāne : aufmerksam, achtsam ("in Aufmerksamkeit", Savadhana, Lok. Sg. m.)
baddhe : festgehalten, gehemmt, gestoppt ist (Baddha, Lok. Sg. m.)
kevala-kumbhake : in der vollständigen Atemverhaltung (Kevala Kumbhaka, Lok. Sg. n.)
utpadyate : entsteht (ud + pad, Verb)
nirāyāsāt : ohne Anstrengung, ohne Ermüdung (Nirayasa, Abl. Sg. m.)
svayam : von selbst (Svayam, indekl.)
eva : ganz (Eva, Partikel)
unmanī : jenseits des Denkens (Unmani, Nom. Sg. f.)
kalā : der Zustand ("Kunstfertigkeit, Sechzehntel", Kala, Nom. Sg. f.)


  • Übersetzung:
Wozu sind die vielen anderen Körperstellungen noch gut, wenn Siddhasana gemeistert ist?
Wenn der Lebensatem Prana achtsam in der vollkommenen Atemverhaltung gestoppt wird,
dann entsteht ohne Anstrengung und ganz von selbst der Zustand jenseits des Denkens (Unmani).


Erläuterungen

  • Syntax: Alle drei Lokative (Saptami) des ersten und zweiten Halbverses (siddhe siddhāsane sati und prāṇānile sāvadhāne baddhe) bilden jeweils zusammen einen absoluten Lokativ, der die Voraussetzung für die darauffolgende Aussage beschreibt. Dieser besteht aus einem Substantiv (siddhāsane bzw. prāṇānile) in Verbindung mit einem Partizip Präteritum Passiv (siddhe bzw. baddhe), das im ersten Fall noch um ein Partizip Präsens Aktiv (sati) und im zweiten Fall um ein Adjektiv (sāvadhāne) erweitert wurde. In der deutschen Übersetzung wird ein solcher absoluter Lokativ häufig mit "wenn" eingeleitet.
  • Das Frageadverb kim bedeutet in Verbindung mit einem Instrumental soviel wie "wozu (dient) ... ?, was (soll) ... ?, was (wird ... gewonnen)?". Es steht hier im Sinne einer rhetorischen Frage, die die Antwort "(zu) nichts!" impliziert, und bezieht sich auf die drei folgenden Instrumentale anyair bahubhiḥ pīṭhaiḥ.
  • Die beiden Adjektive anyaiḥ und bahubhiḥ beziehen sich auf das Substantiv pīṭhaiḥ und stehen daher ebenfalls im Instrumental Plural Neutrum.
  • Der Instrumental (Tritiya) pīṭhaiḥ bezeichnet das Instrument der Handlung (Karana).
  • Das Partizip Präteritum Passiv (PPP) siddhe ist innerhalb des ersten absoluten Lokativs eine nähere Bestimmung zu siddhāsane und steht daher ebenfalls im Lokativ Singular Neutrum.
  • Der Lokativ (Saptami) siddhāsane ist innerhalb des absoluten Lokativs das logische Objekt (Karman) der als Partizip Präteritum Passiv ausgedrückten Verbalhandlung siddhe ("gemeistert, vervollkommnet").
  • Das Partizip Präsens Aktiv sati "seiend" ist innerhalb des absoluten Lokativs eine weitere nähere Bestimmung zu siddhāsane und steht daher ebenfalls im Lokativ Singular Neutrum.
  • Der Instrumental prāṇānile ist innerhalb des zweiten absoluten Lokativs das logische Objekt (Karman) der als Partizip Präteritum Passiv ausgedrückten Verbalhandlung baddhe ("gestoppt").
  • Das Adjektiv sāvadhāne ist innerhalb des absoluten Lokativs eine nähere Bestimmung zu prāṇānile und steht daher ebenfalls im Lokativ Singular Maskulinum. Im Deutschen wird es mit "achtsam" als Adverb wiedergegeben.
  • Das Partizip Präteritum Passiv baddhe ist innerhalb des absoluten Lokativs eine weitere nähere Bestimmung zu prāṇānile und steht daher ebenfalls im Lokativ Singular Maskulinum.
  • Der Lokativ kevala-kumbhake gibt hier die näheren Umstände der Handlung (Adhikarana) an. Er ist ein Kompositum (Samasa) vom Typ Karmadharaya.


Seminare

Sanskrit und Devanagari

10.11.2017 - 12.11.2017 - Sanskrit

Erlernen der Devanagari-Schrift zum korrekten Aussprechen der Mantras.

Dr. phil. Oliver Hahn


Siehe auch