Michelangelo - Deckengemälde der Sixtinischen Kapelle — Immer wieder gleitet unser Blick von ihrer
Schönheit, die ihn verführt und unser doch zu spotten scheint, die wie das
Spiel der
Maya ist, in der das Göttliche sein reines
Wesen lustvoll verhüllt, hinüber zu jenen strengeren Geschwistern rein linearer Konstruktion, die schon in einer reineren, flimmerlosen
Form des
Scheins verschweigen, was im Schweigen der schmelzumflossenen
Gestalten, vom Lockgesange schöner Formen übertönt, sich birgt. An ihnen sehen wir, was uns an ihnen fesselt und was verschwiegener Lebenskeim der schönen Bilder ist: die Notwendigkeit der Sinn
beziehungen aller Teile aufeinander, die
Ruhe eines überwillkürhaften Nebeneinander, der letzte Ernst rein sachlicher Aussage, die
Wahrheit more geometrico in wechselnden unendlichen Aspekten sub specie aeternitatis gottgewählten, notwendigen
Scheines dargestellt — sind alle nicht mit jener Größe, jenem Reiz der
Form, die uns zu indischer
Kunst verlocken, unlöslich verbunden, haben ihr Lebensbereich, die Bühne, deren sie bedürfen, nicht allein im großen und im schönen Schein. Hier setzt nicht ein gehobenes
Lebensgefühl sich Denkmäler eigener Verklärung, hier hält nicht vollendetes Erdenda
sein sich den
Spiegel seiner eigenen
Schönheit vor, hier feiert nicht das Vergängliche seinen Sieg über die
Mächte des
Todes, die es ständig zu verkümmern drohen und im niederen Bann barer Bedürftigkeit und mühseliger Erhaltung des Lebens gefangen halten, feiert nicht seinen Aufstieg zur
Freiheit gottgleichen Überschwanges, der sich zur Schönheit auskristallisiert und sich verschwendet. In der klassischen Kunst erscheint der
Mensch als göttlich, weil er so schön ist. Er tritt an die Stelle der Götter, die sein
Geist überwältigt und ausgelöscht hat, nun bleibt nur mehr die Feier seines eigenen
Selbst als des Göttlichsten, das die
Erde trägt. In ihr verweilt er als in seinem höchsten Augenblick. Für die indische
Kunst ist der Mensch
Gott, und sie ist geschaffen, damit er es erfahre und ihrer nicht mehr bedürfe. Sie ist nur schön, weil das Göttliche, solange es sich selbst mit formerfülltem menschlichen
Auge anschaut, als das Vollkommene auch schön erscheinen muß. Aber
Schönheit ist nicht sein
Wesen, und durch den
Maya-Schleier seiner Schönheit in der Bilderscheinung ragt immer jener unauflösliche Kern, der jenseits von Schön und nicht-Schön, jenseits von
Name und
Form Wesen des Göttlichen ist — Wesen des Menschen.
Tat Tvam Asi! — »Das bist — du!« Die klassische Kunst und das indische Kultbild sind polar verschieden: diese feiert den schönsten Schleier der
Maya, jenes breitet ihn in wechselnden, oft schönen
Formen aus, weil nur in seiner
Maya das Göttliche
Erscheinung wird. Was für diese
Ziel und Vollendung, ist für jenes Durchgang und Beginn. Auf Grund dieser Polarität der Ziele erscheint in beiden das Material aller künstlerischen Werk
freude, die Formenwelt der Maya, durchaus verschieden. Dank dieser Polarität ragt im indischen Kultbild formumspült jener stumme Kern, von dem die klassische beredte Kunst nichts ahnt, den sie nicht birgt, »vor dem (...)« — um eine Wendung der alten
Weisen aus den
Upanishads über das
Brahman zu gebrauchen, dessen Maya sich ja im Kultbilde entfaltet — »vor dem die
Worte umkehren, ohne ihn erreicht zu haben, mitsamt dem Denken (...)« — Buddhistisch gesprochen: Weil im
Buddhabilde das
Nirvana oder die
Leere (
Shunyam) in sinnlicher oder übersinnlicher Erscheinungsform (als
Nirmana- oder Sam
bhogakaya) räumlich gebannt wird, gilt von seinem Kern, der unsagbarer Grund seiner Erscheinung ist, was ein Vers der altbuddhistischen Gedichtsammlung Suttanipata über den vollendeten
Heiligen spricht, zu dessen Stande ja das Kultbild, ihn verkörpernd, Wegweiser sein will: »Für den, der (wie die
Sonne) zur Rüste gegangen ist, gibt es nichts mehr, womit man ihn vergleichen könnte; womit man ihn aussagen möchte, das ist an ihm nicht zu finden. Wo alle Vorstellungen zunichte geworden sind, da sind auch alle Pfade der
Rede zunichte geworden.«
Nicht anders charakterisiert schließlich das
Kularnava—Tantra den vollkommenen Adepten seiner Lehre, der im
Bewußtsein seiner selbst zum Göttlichen geworden ist, dessen
Maya-haftes Abbild
Pratimas und
Yantras aller Formen sind: »Denn wie für die gemeine Welt der Pfad, den
Sonne und
Mond,
Sternbilder und
Planeten am
Himmel beschreiben, nicht wahrnehmbar ist, so auch der Wandel der
Yogins. Wie im
Luftraume der Vögel Pfad und im
Wasser der Weg der Fische nicht zu sehen ist, so auch der Wandel der Yogins.« Denn was wir am Kultbilde (
Pratima) bewundern, ist ja bei aller Bedeutsamkeit, die ihm auf seiner Stufe eignet, eben nur für diese Stufe bedeutsam. Es hat seine Daseinsberechtigung daran, daß es über sich hinausweist: es ist
Wesen nur für den in
Unwissenheit (
Avidya) Gebundenen, für den Noch-nicht-Erwachten (Apra
buddha): »Im Feuer ist
Gott (
Deva) für den
opferkundigen,
vedengelehrten Brahmanen (
Vipra), im eigenen
Herzen für den
Andachtsvollen (
Manishin), im Kultbilde (
Pratima) für den Noch-nicht-Erwachten (Apra
buddha), in Allem (
Sarvatra) für den, der um das (höchste)
Selbst weiß.« - für den Vidit
atman, der um den
Atman als
Brahman weiß, um sein eigenes
Wesen als das Wesen aller Wesen (Kularnava-Tantra). Damit scheint die
Grenze erreicht und bezeichnet, wo unser Erfassen und
Reden, solange wir kein Andächtiger sind, der das Bild durch
Pranapratishtha mit dem
heiligsten Leben seines
Herzens, der
Gottheit im Herzen, beleben kann, sein natürliches Ende findet; genau da, wo der Schleier der
Maya, der uns zur Betrachtung des Bildes verlockt, sich lüftet, und wo sein
Wesen beginnt. — Mag sich der westliche Betrachter, in der
Maya seiner
Kunst erwachsen und befangen, an der baren
Schönheit und Größe indischer Bilder weiden, oder sich von ihnen wenden und als ikonographisch-ethnologisches Material aussondernd verwerfen, was von Schönerem nicht zu trennen ist, wenn er daran vermißt, worin sein
Auge und seine Ergriffenheit zu schwelgen wünscht; — er wird Rechenschaft geben müssen, wie weit all seine Beredsamkeit mehr enthüllen kann, als seine bloße liebende Ferne zum Kern der Gebilde, um die er kreist.
Siehe auch
*
Heinrich Zimmer *
Indische Mythen und Symbole *
Indische Geschichten *
Himmelsfrau *
Yantra *
Mandala *
Chakra *
Hinduismus *
Buddhismus *
Meditation *
Kontemplation *
Maya Literatur
*Heinrich Zimmer, Der Weg Zum Selbst (1944) *Heinrich Zimmer, Buddhistische Legenden (1985) *Heinricht Zimmer, Die Indische Weltenmutter (1980) *
Paramahansa Satyananda, Tantra und Yoga Panorama *
Swami Sivananda, Götter und Göttinnen im Hinduismus *
Swami Sivananda, Parabeln *Lama Anagarika Govinda: Mandala – Gedichte und Betrachtungen (1961) *Helmut Hansen: Die Physik des Mandala (2007) *Paul Deussen, Der Gesang des Heiligen. Eine philosophische Episode des Mahabharatam. Übersetzung der Bhagavadgita (1911) *
Swami Sivananda: Konzentration und Meditation *
Swami Vishnu-devananda: Meditation und Mantras, Sivananda Yoga Vedanta Zentrum Weblinks
*
Meditation Portal *
Mantra Meditation *
Yantra Yoga *
Universallexikon - Kultbilder *
Kultbilder Seminare
*[
https://www.yoga-vidya.de/seminare/stichwortsuche/dfu/0/dtu/0/ex/0/fu/Mantra-Meditation%2BIntensivwoche%2Bmit%2BSukadev/ro/s/ Seminar Mantra-Meditation