Schlussbetrachtung von Kunstform und Yoga im indischen Kultbild: Unterschied zwischen den Versionen
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So gern uns die großen [[Wort]]e, mit denen wir ihre ewigen Zeugnisse feiern müssen, auch im Angesicht indischer Götter und [[Heilige]]r über die Lippen flössen, wir bringen sie nicht mehr hervor. Denn wir wissen, daß sie zwar keineswegs fehl am Orte sind, daß man auch bei ihnen von Schmelz und Größe, Erhabenheit und Reizen sprechen kann, aber wir werden inne, daß damit nur vergleichsweise Beiläufiges, auch Vorhandenes angerührt wird, daß aber solchen Beschwörungen sich ihr Kern nicht aufschließt. Sind Reiz und Hoheit mehr als ein Schimmer, der diesen Kern umfließt und unser westliches [[Auge]], unseren [[schönheit]]shungrigen Sinn verlockt, von diesem Kerne abzuirren mehr als ein Vordergründliches, das unseren Andrang schon mit schimmernder Schale abfängt und zersplittert? | So gern uns die großen [[Wort]]e, mit denen wir ihre ewigen Zeugnisse feiern müssen, auch im Angesicht indischer Götter und [[Heilige]]r über die Lippen flössen, wir bringen sie nicht mehr hervor. Denn wir wissen, daß sie zwar keineswegs fehl am Orte sind, daß man auch bei ihnen von Schmelz und Größe, Erhabenheit und Reizen sprechen kann, aber wir werden inne, daß damit nur vergleichsweise Beiläufiges, auch Vorhandenes angerührt wird, daß aber solchen Beschwörungen sich ihr Kern nicht aufschließt. Sind Reiz und Hoheit mehr als ein Schimmer, der diesen Kern umfließt und unser westliches [[Auge]], unseren [[schönheit]]shungrigen Sinn verlockt, von diesem Kerne abzuirren mehr als ein Vordergründliches, das unseren Andrang schon mit schimmernder Schale abfängt und zersplittert? | ||
[[Datei:Sixtinische Kapelle Michelangelo.jpg|thumb|Michelangelo - Deckengemälde der Sixtinischen Kapelle | |||
— Immer wieder gleitet unser Blick von ihrer [[Schönheit]], die ihn verführt und unser doch zu spotten scheint, die wie das [[Spiel]] der [[Maya]] ist, in der das Göttliche sein reines [[Wesen]] lustvoll verhüllt, hinüber zu jenen strengeren Geschwistern rein linearer Konstruktion, die schon in einer reineren, flimmerlosen [[Form]] des [[Schein]]s verschweigen, was im Schweigen der schmelzumflossenen [[Gestalt]]en, vom Lockgesange schöner Formen übertönt, sich birgt. An ihnen sehen wir, was uns an ihnen fesselt und was verschwiegener Lebenskeim der schönen Bilder ist: die Notwendigkeit der Sinn[[beziehung]]en aller Teile aufeinander, die [[Ruhe]] eines überwillkürhaften Nebeneinander, der letzte Ernst rein sachlicher Aussage, die [[Wahrheit]] more geometrico in wechselnden unendlichen Aspekten sub specie aeternitatis gottgewählten, notwendigen [[Schein]]es dargestellt — sind alle nicht mit jener Größe, jenem Reiz der [[Form]], die uns zu indischer [[Kunst]] verlocken, unlöslich verbunden, haben ihr Lebensbereich, die Bühne, deren sie bedürfen, nicht allein im großen und im schönen Schein. | — Immer wieder gleitet unser Blick von ihrer [[Schönheit]], die ihn verführt und unser doch zu spotten scheint, die wie das [[Spiel]] der [[Maya]] ist, in der das Göttliche sein reines [[Wesen]] lustvoll verhüllt, hinüber zu jenen strengeren Geschwistern rein linearer Konstruktion, die schon in einer reineren, flimmerlosen [[Form]] des [[Schein]]s verschweigen, was im Schweigen der schmelzumflossenen [[Gestalt]]en, vom Lockgesange schöner Formen übertönt, sich birgt. An ihnen sehen wir, was uns an ihnen fesselt und was verschwiegener Lebenskeim der schönen Bilder ist: die Notwendigkeit der Sinn[[beziehung]]en aller Teile aufeinander, die [[Ruhe]] eines überwillkürhaften Nebeneinander, der letzte Ernst rein sachlicher Aussage, die [[Wahrheit]] more geometrico in wechselnden unendlichen Aspekten sub specie aeternitatis gottgewählten, notwendigen [[Schein]]es dargestellt — sind alle nicht mit jener Größe, jenem Reiz der [[Form]], die uns zu indischer [[Kunst]] verlocken, unlöslich verbunden, haben ihr Lebensbereich, die Bühne, deren sie bedürfen, nicht allein im großen und im schönen Schein. | ||
Version vom 1. März 2014, 09:59 Uhr
Aus: Heinrich Zimmer, Kunstform und Yoga im indischen Kultbild, 1987, S. 253 bis 257
Der Gandhara-Buddha trägt, wie alle aus klassischer Tradition erwachsenden Bildwerke einen festlichen Charakter. Die klassische Kunst ist durchaus festlich: hier ist auch der Tod noch ein Fest. Die Niobiden »sterben in Schönheit« Würde, Großartigkeit und Schmelz umwittern alle klassische Gestalt. Michelangelos Giuliano di Medici, il Pensieroso, sitzt in eine fürstliche Melancholie versunken, und ein pfeilbesäter Sebastian stellt die Überwindung des Todes durch die Anmut dar. Wie der Betende Knabe (Berlin) bringt die Klassische Kunst ihre eigene Schönheit huldigend dem Auge der Götter und Menschen dar, in ihr verklärt sich das Leben und preist seine eigene Vollendung.
Diesen Sinn der klassischen Kunst hat unter den Späteren kaum einer klarer gelebt und dargestellt als Tizian in einigen seiner Venusbilder — etwa in der Berliner Venus mit dem Orgelspieler. Zärtlich beugt sich Amor zu ihrem Ohr, wie sie dem weichen Spiel des Ritters zu ihren Füßen lauscht: Vollkommenheit zittert in der musikumquollenen Stunde dieses lauen Nachmittags wie um jede göttliche Schwellung ihres opalen-milchig schimmernden Leibes, den sanftester Atem in erquickender Unrast hält. Leis unterbricht der Ritter sein Orgelspiel, in dessen Wogen er versank und wendet den Kopf zu seiner Herrin, als fühle er plötzlich eine Leere um sich, als sei Sie, deren Schmelz in Tönen zu betten, für ihn einzige Lust vollkommener Stunde war, ihm jäh entrückt und entfremdet. Vernahm er einen leisesten Klageton, einen schon erstickten Laut ihrer himmlischen Kehle, die Gefühl mit Überfülle sprengte? — In ihren Augen glänzen Tränen: das Zeichen der Schönheit, die, um sich selbst wissend, an ihrer Grenze steht.
Vollkommene Schönheit ist ein Ende; hinter allem Vollkommenen steht der Tod, und das Glück der Vollendung, die sich selbst weiß — ein höchster Augenblick verklärten Lebens —, findet seine reine Auflösung einzig im süßen Weh unendlicher Schwermut, in dem trauerumflorten wunschlosen Wissen um die eigene Vergänglichkeit. Die klassische Kunst ist ein ewiger Hymnus zum Triumph erhöhten Lebens.
So gern uns die großen Worte, mit denen wir ihre ewigen Zeugnisse feiern müssen, auch im Angesicht indischer Götter und Heiliger über die Lippen flössen, wir bringen sie nicht mehr hervor. Denn wir wissen, daß sie zwar keineswegs fehl am Orte sind, daß man auch bei ihnen von Schmelz und Größe, Erhabenheit und Reizen sprechen kann, aber wir werden inne, daß damit nur vergleichsweise Beiläufiges, auch Vorhandenes angerührt wird, daß aber solchen Beschwörungen sich ihr Kern nicht aufschließt. Sind Reiz und Hoheit mehr als ein Schimmer, der diesen Kern umfließt und unser westliches Auge, unseren schönheitshungrigen Sinn verlockt, von diesem Kerne abzuirren mehr als ein Vordergründliches, das unseren Andrang schon mit schimmernder Schale abfängt und zersplittert?
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