Leben nach dem Tod

Aus Yogawiki
Der vedische Sonnengott Surya mit Savitri

Aus dem Buch "Altindisches Leben: Die Cultur der vedischen Arier", nach den Samhita dargestellt von Heinrich Zimmer, Berlin 1879

Kapitel 15: Das Leben nach dem Tode

Das Grab ist nur ein Ort für den Leib; das Feuer vermag nur des Leibes Glieder zu vernichten. Die eigene Persönlichkeit des Gestorbenen geht nicht mit dem Tode zu Grunde, sie ist unvergänglich.

Von der späteren indischen Lehre der Seelenwanderung haben wir jedoch im Veda keine Andeutung; ebenso ist von der durch den Buddhismus wesentlich beeinflussten brahmanischen Auffassung einer öfteren Schöpfung der Welt in demselben keine Spur; ja eine solche wird einmal direkt bestritten: »Nur einmal (sakrt) ward der Himmel geschaffen, nur einmal ward die Erde geschaffen, nur einmal ward der Kuh (prçnyah) Milch gemolken, nicht entsteht dadurch eine zweite (anyah sc. çardhah.) Marutschaar Rv. 6, 48, 22.

Ob schon Av. 10, 8, 39, 40 auf Weltzerstörung durch Feuer hinweist, bleibt zweifelhaft: »Als der allsengende Agni niederbrennend zwischen Himmel und Erde trat, wo die getreuen Gattinnen standen jenseits (?parastat): wo war Matariçvan damals? In die Wasser war Matariçvan gefahren, in die Fluthen waren die Götter eingedrungen: hoch erhob er sich der Durchmesser des Luftraums, in die Weltgegenden drang der Flammende vor«.

Man glaubte an eine persönliche Unsterblichkeit der Seele, an ein sofortiges Eingehen in die Seligkeit von Seiten der Frommen: »Noch eine andere Herrlichkeit (çravas) gibt es über diese (irdische) hinaus, dort überwinden sie sicheren Ganges das Alter« Rv. 10, 27, 21.

»So zeuch denn hin auf jenen alten Pfaden,
worauf der Vorzeit Vater heimgegangen!
Yama und Varuna den Gott wirst schauen
in ihrer Seligkeit die beiden Fürsten.
Dort finde unsere Väter, dort den Yama,
und dort der Tugend Lohn im höchsten Himmel,
Zur Heimath kehre aller Mängel ledig,
nimm an den Körper neu in Kraft erblühend«

ruft man dem Gestorbenen nach Rv. 10, 14, 7. 8 (Sieb. Lieder S. 147).

Der Weg dahin ist eine lange und beschwerliche Wanderung (prapatha), auf der Pushans Schutz nöthig ist (Rv. 10, 17, 4); der geopferte Bock, der dem Gestorbenen vorausgeht und ihn den Vätern ankündigt, muss allenthalben ausgebreitete, dichte Finsternis durchwandern, ehe er zu des Himmels dritter Kuppel aufsteigt Av. 9, 5, 1. 3; vgl. 8, 1, 8.

Nach einzelnen Andeutungen setzte man vor dem endlichen Eingehen in das Land der Seligen über einen Fluss: »Den göttlichen Kahn, den mit guten Rudern versehenen, den nicht leck werdenden, wollen wir schuldlos (anagasah v. l. des Av.) zum Heile besteigen« Rv. 10, 63, 10; Av. 7, 6, 3.

»Den räderlosen, neuen Wagen, den du, o Knabe, durch den Geist angefertigt, den eindeichsligen und doch nach allen Seiten hin gewandten, den besteigst du, ohne zu sehen. 3.
Den Wagen, den du, o Knabe, herrolltest vor den Sängern, dem rollte das Lied (saman) nach, von hier aus in das Schiff gesetzt. 4.
Wer hat den Knaben erzeugt, wer hat den Wagen (von hier) weg gerollt? Wer vermag uns auch dies anzusagen, wie (? wo yatra) die Übergabe (des Toten? anudeyi) stattfand? 5.
Wie (? wo) die Übergabe stattfand, von dort entstand der Anfang: Vorn ist ein Abgrund ausgespannt, nach hinten ist ein Ausgang gemacht. 6.
Dies ist des Yama Sitz, der auch das Haus der Götter genannt wird; für ihn wird diese Flöte geblasen, mit Liedern wird er verherrlicht.« 7. Rv. 10, 135.

Manches bleibt dunkel und zweifelhaft in dem Liede, auch Sayanas Commentar hilft nicht weiter. Sollte der Wagen, das Schiff nur eine Allegorie für den »Scheiterhaufen« sein? Dies scheint Ludwigs Ansicht Rgv. 2, 646. Oder dürfen wir an eine im germanischen und slavischen Alterthum übliche Sitte denken? In einem Schiff oder Kahn errichtete man einen Scheiterhaufen, legte den Toten darauf, zündete den Scheiterhaufen an und sendete so den Gestorbenen auf lichterloh brennendem Nachen stromabwärts in jenes künftige Land.

Der Ort, wo die Frommen das Leben der Seligkeit führen, ist kein Vorplatz des Himmels, sondern jener unendliche Lichtäther, in dem Varuna mit den Aditya wohnt, der Ort, wo die Sonne den höchsten Stand erreicht: »Surya folgt der strahlenden Göttin Ushas wie der Jungfrau (Spur) der Jüngling dorthin, wo gottesfürchtige Männer ewig leben (eigentl. eine Generation nach der andern aufziehen, wo ihnen ein Yuga nach dem andern sich aufspannt) und Wonne über Wonne genießen« Rv. 1, 115, 2. Im dritten Himmel (pradiv) sitzen die Väter Av. 18, 2, 48, dort ist die Welt der Tugend (sukrtasya) und der Tugendhaften (sukrtam) V. S. 15, 50; Av. 9, 5, 1 u. ö.

Dorthin nach dem Tode zu gelangen, ist des Ariers Sehnsucht: »Fügt uns hinzu zum Volk der Ewigkeit« fleht Vasishtha Rv. 7, 57, 6. »Zu seiner (Vishnus) lieben Heimath möcht ich eingehen, wo Gott ergebene Männer selig leben; da ist die Freundesschar des mächtigen Streiters, des Süssen Quell an Vishnus höchster Stufe« Rv. 1, 154, 5. »Wo unsere frommen Freunde sich erfreuen als Selige und von den Gebrechen ihres Leibes frei sind, unverkrüppelt, grad an Gliedern, dort im Himmel, dort wollen wir Vater und Mutter und die Söhne wiedersehn« Av. 6, 120, 3. Dieses Verlangen hatte seine volle Berechtigung, denn dort ist ja des Menschen eigentliche Heimath (asta), zu der er nach der Wanderung auf dieser Erde wieder zurückkehrt (punar-i) Rv. 10, 14, 8; dort in jener grossen Unendlichkeit, in jenem unendlichem Lichte ist sein Ursprung: »Wer gibt mich der grossen Aditi wieder zurück, dass ich Vater und Mutter schaue« Rv. 1, 24, 1.

Der mit Gebrechen behaftete irdische Leib ist für jenes Leben nicht mehr tauglich; der Heimgegangene ersteht an Leib vollständig (sarvatanu) und mit allen Gliedern versehen (sanga) in jener Welt (Av. 11, 3, 32. 49; 5, 6, 11 ; 18, 4, 64; çatap. Br. 5, 6, 1, 1; 11, 1, 8, 6; 12, 8, 3, 31). Er empfängt, wie aus der angeführten Stelle (Rv. 10, 14, B. Av. 6, 120, 3) und Av. 3, 28, 5: »Wo fromme Freunde sich erfreuen, nachdem sie ihres Körpers Gebrechen aufgegeben haben« ersichtlich ist, einen aller Unvollkommenheit freien Körper, der von ewigem Lichte strahlt. Vergleiche auch Av. 11, 1, 37 und Rv. 10, 56, 1 : »Hier hast du ein Licht, dort hast du ein Licht, aber mit dem dritten Lichte vereinige dich; wenn dein Körper sich zur Ruhe legt, so sei lieblich (äußere Erscheinung), willkommen bei den Göttern an höchster Geburtsstätte«.

Worin das Leben der Seligkeit bestand, wird für gewöhnlich in den Liedern des Rigveda nicht näher angeführt; es heisst einfach: »in des Himmels Mitte führen sie ein Leben der Seligkeit« (madhye divah svadhaya madayante) Rv. 10, 15, 14, was Rv. 1, 108, 12 gleicherweise von Indra und Agni ausgesagt wird. Eine eingehendere Schilderung haben wir nur Rv. 9, 113, 7 1%:

»Wo Licht ist, welches nie erlischt,
und wo der Himmelsglanz erstrahlt,
Dahin, in die Unsterblichkeit
die ewge bringe Soma mich!
Wo König ist Vaivasvata
und wo des Himmels Innerstes,
Wo jene ewigen Wasser sind
o Soma mach unsterblich mich!
Wo man nach Wunsch sich regt, bewegt,
in dritter Höh des Himmelsreichs,
Wo glanzvoll alle Räume sind -
o Soma mach unsterblich mich!
Wo Wunsch und Sehnsucht sind gestillt
an rother Sonne Gipfelpunkt,
Wo Lust und Sättigung zugleich
o Soma mach unsterblich mich!
Wo Lust und Freud und Fröhlichkeit
und Wonne wohnen, wo der Wunsch
des wünschenden Erfüllung hat
o Soma mach unsterblich mich!«

Siebenzig Lieder Seite 111.

Weniger speculative Naturen, die grosse Masse des Volkes wird sich zu solch tiefgeistiger Auffassung des zukünftigen Lebens kaum emporgeschwungen haben, sie malte sich dasselbe sinnlicher aus, so dass es in ihrem Geiste vielfach als eine verschönerte Fortsetzung des diesseitigen angesehen wurde. Die Lieder des Rigveda bieten uns in dieser wie noch in andern Fragen am wenigsten die Anschauungen dieser Kreise; durch die größere Berücksichtigung, die dem Rigveda bis jetzt zu Theil geworden ist, findet man häufig als Anschauungen des vedischen Volkes ausgegeben, was in Wirklichkeit nur Eigenthum weniger geistiger Größen war, unter denen z. B. ein Vasishtha das Zeug hatte, ein Zarathustra seines Volkes zu werden. Oder sollte eine Anschauung, nach der der Tod nur ein Eingehen in die grosse Unendlichkeit ist, der der Mensch entstammt, nach der das Dortsein, die Wiedervereinigung mit derselben schon Seligkeit ist, in der That älter, ursprünglicher und natürlicher sein als die, welche das Leben nach dem Tode als eine verbesserte Auflage des irdischen ansieht, in dem man aller Drangsale und Mühen ledig mit den Göttern fröhlich zecht und auch nach Lust der Liebe genießt?

Nach Rv. 10, 135, 1 sitzt Yama mit den Göttern und Vätern unter schön belaubtem Baum und trinkt mit ihnen in Gemeinschaft (sam-pa). Immerdar nach Wunsch milchende, schimmernde, röthlich-weiße, ein- und vielfarbige Milchkühe, die nicht mit dem Fuße ausschlagen, treten an jeden Frommen heran (Av. 18, 4, 33 ff.); laue, wohlthuende Winde wehen, kühlender Regen träufelt hernieder (Av. 18, 2, 21 ff.); Teiche von Ghrta gibt's daselbst, Bäche, in denen Honig fliesst, Ströme mit Milch gefüllt, Sura statt Wasser führend (Av. 4, 34, 5. 6; Çatap. Br. 11, 5, 6, 4); nicht finden sich Reiche und Arme, Mächtige und Unterdrückte (Av. 3, 29, 3), und da es viel Weibsvolk daselbst gibt (svarge loke bahu strainamesham), so ist es gut, dass Agni dem Toten bei der Bestattung nicht den çiçna verbrennt (Av. 4, 34, 2). Rv. 10, 56, 3 ruft Brhaduktha seinem dahingeschiedenen Sohne nach: »Ein Held bist du, mit Raschheit sollst du gehen zu den Verlangenden (suvenih Acc. Plur. Feminini, also Frauen!) in glücklicher Fahrt zum Ruhme, in glücklicher Fahrt zum Himmel, in glücklicher Fahrt nach den alten bleibenden Satzungen, in glücklicher Fahrt zu den Göttern, flugs (anu patma) in glücklicher Fahrt«.

Es verdient auch hervorgehoben zu werden, dass — wie Muir ST. 5, 307 Note beobachtet hat — die Rv. 9, 113, 11 zur Schilderung der himmlischen Wonne verwendeten Ausdrücke (yatranandaçca modaçca mudah pramuda asate »wo Lust und Freud und Fröhlichkeit und Wonne wohnen« Roth) im Taitt. Br. 2, 4, 6, 6 zum Ausdruck irdischer Geschlechtslust dienen: modah pramoda anando mushkayornihitah sapah. — Nach Çatap. Br. 14, 7, 1, 32-33 ist die Wonne, die der Selige in jenem Leben geniesst, hundert Mal so groß als die höchste Wonne und das höchste Glück auf dieser Welt.

Die in die glückliche Gemeinschaft der Götter eingegangenen Väter (pitarah) empfangen fast göttliche Verehrung; sie werden sehr häufig neben den Göttern zum Schutz angerufen, ihnen werden Opfer dargebracht und der Trank svadha wird ihnen dabei ausgegossen. An dieselben ist der Hymnus Rv. 10, 15 gerichtet.

1. »Erheben sollen sich die untern, erheben die höchsten, erheben die mittleren Väter, die somaliebenden, die treuen, des Gesetzes kundigen, die in das Geisterleben (asu) eingegangen sind: diese Väter sollen uns bei unsern Anrufungen hold sein.
2. Diese Verehrung sei heute den Vätern (dargebracht), denen welche in der Vorzeit dahin gegangen und denen, welche später, welche im irdischen Luftraume sich niedergelassen haben oder welche jetzt in den mit schönen Ansiedlungen versehenen Gauen wohnen.
3. Ich habe die wohlwollenden Väter gefunden, den Enkel und den Schritt Vishnûs; welche auf der Opferstreu sitzend mit der Svadha vom gekelterten Trank genießen, die kommen am häufigsten her.
4. Ihr auf der Opferstreu sitzenden Väter kommt mit Hülfe herbei, diese Opfer haben wir euch bereitet, findet Gefallen an ihnen; kommt herzu mit heilbringender Gnade, verleiht uns Heil und Segen frei von Fehl.
5. Angerufen sollen die freundlichen Väter zu den ihnen lieben, auf der Opferstreu niedergesetzten Labungen herbeikommen, sie sollen hier hören, uns segnen und uns fördern.
6. Das Knie herbeugend, zur rechten Seite euch niedersetzend, nehmt dieses Opfer alle wohlgefällig auf; schädigt, o Väter, uns durch nichts für das, was wir etwa nach Menschenweise an Sünde begangen haben.
7. Niedersitzend im Schoße der röthlichen (Morgenröthen?) verleiht Reichthum dem frommen Sterblichen, den Söhnen, o Väter, gewährt von diesem Gut, hier legt Segensfülle nieder.
8. Die Väter aus alter Zeit, die freundlichen, besten, welche zum Somatrank herbeigefahren kamen; mit diesen soll Yama, er, der Verlangende mit den Verlangenden sich erfreuend, nach Wunsch an den Opfergüssen sich berauschen.
9. Welche lechzend bei den Göttern dursteten, die opferkundigen, denen von den Sängern Preisgesänge dargebracht werden, mit ihnen den wohlwollenden, o Agni, komm herbei, den wahrhaften Weisen, den zum Opfer sich setzenden.
10. Welche als wahrhafte Havisesser, Havistrinker mit Indra und den Göttern vereint sind, mit ihnen den tausenden, wie Götter zu preisenden, den spätern, den frühern Vätern, den zum Opfer sich setzenden, komm herbei Agni.
11. Ihr vom Feuer verzehrten Väter (d. h. die, deren Leichnam verbrannt wurde) kommt herbei, setzt euch, jeder auf seinen Sitz, sicher fördernde; verzehrt die Opfer, die euch auf der Opferstreu dargebracht sind, heldenreichen Reichthum verleihend.
12. Du, o Agni, hast, angefleht, die Opfer entführt, nachdem du sie wohlriechend gemacht hast; du übergabst sie den Vätern, diese aßen mit Svadha sie; iss auch du, o Gott, die dargereichten Opfer.
13. Die Väter, welche hier und die, welche nicht hier sind, welche wir kennen und die, welche wir nicht kennen: du weißt, o Jatavedas, wie viele sie sind; mit Svadha genieße das wohlzubereitete Opfer.
14. Welche durchs Feuer verbrannt und welche nicht durchs Feuer verbrannt in des Himmels Mitte an der Svadha sich berauschen, mit diesen gestalte nach Wunsch den Körper, richte als Selbstherrscher das Geisterreich ein«.

Das Haupt der Seligen ist Yama; er ist der Versammler der Völker (samgamano jananam) Rv. 10, 14, 1, verlangt sehnsüchtig nach den Menschen (Rv. 10, 135, 1) und bietet den Gestorbenen einen Ruheort (avasana Rv. 10, 14, 9) voll Annehmlichkeiten. »Yama soll den Sitz dir zurichten« wird Rv. 10, 18, 13 dem Bestatteten nachgerufen. Zu dieser Eigenschaft eines Herrschers (rajan) der seligen Geister der Verstorbenen gelangte Yama dadurch, dass er der erste Mensch war, er heißt daher Vater (pitar), Stammvater (viçpati) Rv. 10, 135, 1. Als der erste der Gestorbenen ist auch er der erste Wiederauflebende:

Der hingegangen nach den weiten Höhen,
der vielen nach ihm einen Weg gezeigt hat,
Den Sohn Vivasvants jenen Völkersammler,
den König Yama ehret jetzt mit Opfer.
Er ging voran und fand uns eine Wohnstatt
auf jener Flur, die Niemand uns entfremdet,
Wohin der Vorzeit Vater heimgegangen:
sein Weg fahrt dorthin jeden Erdgeborenen.

Rv. 10, 14, 1. 2 — Für den ersten Halbvers hat Av. 18, 3, 13: »Der als der erste der Sterblichen starb, der als der erste in jene Welt voranging«.

Mit der persönlichen Unsterblichkeit ist natürlich persönliche Verantwortlichkeit nach dem Tode verbunden: »Nur gottesfürchtige Männer« (devayanto, devayavo narah) leben dort ewig Rv. 1, 115, 2 ; 1, 154, 5 ; Av. 6, 120, 3 ; die Treuen (avrka), heiligen Gesetzes kundigen (rtajna) gehen ins Geisterleben (asu) ein Rv. 10, 15, 1. Schon ganz in brahmanischem Sinne gehalten sind die Anforderungen, die Rv. 10, 154 gestellt werden:

»Soma läutert sich den Einen, zum Ghrta setzen sich andere, denen Honig zuströmt: zu denen solle er eingehen. 1.
Welche durch Askese (tapas) unangreifbar wurden, welche durch dieselbe zum Lichte eingingen, welche Askese ausübten: zu denen soil er eingehen. 2.
Welche in Schlachten kämpfen, als Helden ihre Leiber dransetzten, auch die, welche tausendfachen Opferlohn geben: z. d. s. e. e. 3.
Auch die, welche die ersten Pfleger frommen Werkes, gerecht und heilig gesinnt waren: zu den Vätern, den inbrunstreichen, zu denen, o Yama, soll er eingehen. 4.
Die Seher, die tausendfache Weisen kennen, die die Sonne hüten: zu den inbrunstreichen Rishi, o Yama, zu denen soll er eingehen. 5.

Was ist nun das Schicksal derer, die nicht fromm lebten, die in Feindschaft mit den Göttern vom Tode ereilt wurden?

Roth hat in einem Aufsatz »On the morality of the Veda« Journ. of the Americ. Or. Soc. 3, 329-347 diese Frage aufgeworfen; er findet, dass wir aus dem Veda (d. h. der Rigveda- Samhita) hierauf keine bestimmte Auskunft erhalten. Zwei Möglichkeiten bieten sich dar: Die Bösen leben entweder nach Vernichtung ihres irdischen Körpers noch fort in irgendwelchem Zustand, der jedoch von dem glückseligen Leben der Frommen ebenso verschieden ist, wie ihr Wandel auf dieser Erde war; oder durch den Tod wird ihre Individualität ausgelöscht, das Nichtempfangen des ewigen Lebens, der Untergang des individuellen Seins ist eben die Strafe für sie. »Passages in the sacred writtings speak in favor of the second supposition, of the annihilation of the wicked of death. We read there that Varuna, the supreme judge of the actions of men and of their fate hereafter, thrustes those who displease him into the depth. As their body in the grave, so themselves sink into a dark abyss; and with that, doubtless, their being is at end. Herewith accords too the already mentioned doctrine that immortality is a free gift from heaven. Whoever fails to receive it, ends his existence when this body lies. Of a hell this religion knows nothing, although the later Indians have imagined for themselves hell and its horrors, after the same manner as other nations« pag. 345.

Diese Ansicht, der auch Weber ZDMG. 9, 238. 239 beistimmt, scheitert an den Thatsachen. Vorerst ist festzuhalten, dass Roth nur den Rigveda im Auge hat. Nach der, wie wir sahen, dort mehrfach ausgesprochenen, tiefen Auffassung ist Seligkeit einfach »Leben im ewigen Licht«. Der Gegensatz von »gut« ist »böse«, ebenso von Licht »Finsternis«; so wenig ein Eingehen in jene Glanzräume von Seiten des Guten »Vernichtung des Seins, Aufhebung ihrer Individualität« bedeutet, ebenso wenig ist der Bösen »sink into a dark abyss« dasselbe, wie Roth folgert. Auch die Lehre, dass Unsterblichkeit (d. h. ewige Seligkeit!) freie Gabe des Himmels ist, bedingt nicht gänzlichen Untergang der Bösen, wie z. B. ein Blick in die christliche, speciell protestantische Dogmatik lehren kann. Zudem tritt diese Anschauung nur vereinzelt in wenigen Liedern, besonders an Varuna, hervor: die Mehrzahl der vedischen Rishi denkt sich das Verhältnis zwischen Göttern und Menschen anders: dehi me dadami te Des mihi do tibi V. S. 3, 50 ist der Grundton, der auch die Gebete des Rigveda durchzieht.

Roth spricht 1.c. weiterhin die Ansicht aus, dass eine Bestrafung der Bösen nach dem Tode, also ein Fortleben derselben, wesentlich beruhe auf der Erkenntnis, dass die menschliche Natur in allen Individuen des Menschengeschlechts dieselbe sei. Diese Erkenntnis zeigt sich aber nach ihm am frühesten in dem hebräischen Prophetenthum, sodann deutlicher im Buddhismus und vollkommen klar im Christenthum: »We ought not therefore to be surprised, if we do not find this exalted thought among the ancient Indians, twelve or fifteen centuries before Christ«.

Nein, diese Erkenntnis hat die Hölle nicht geschaffen, sondern sie ist die nothwendige Consequenz des allgemein menschlichen Gedankens »Auge um Auge, Zahn um Zahn«. Sobald sich überhaupt ein Volk zum Glauben an ein Fortleben nach dem Tode erhebt und die ethische Seite des irdischen Lebens so sehr in den Vordergrund schiebt, dass dies Fortleben der Guten zugleich eine Belohnung durch einen glücklicheren Zustand ist, wird es auch eine wirkliche Bestrafung des Bösen nach diesem Leben, wenn auch noch so verschieden, ausbilden.

In der hebräischen Religion ist bekanntlich Teufel- und Dämonenlehre sowie die ins Christenthum mit herüber genommene Hölle erst in Folge der Berührung mit dem Parsismus entstanden; aber ebenso ist auch die Unsterblichkeit, die Belohnung der Guten in einem Jenseits nicht althebräisch. Aufhören der Individualität, also bloß Entziehung eines Gutes hat nie ein ganzes Volk als Strafe angesehen für den unbehelligt aus dieser Welt scheidenden Bösen, am wenigsten das Volk der vedischen Arier. Was wünschen die Sänger ihren Feinden, die sie selbstverständlich als Gottlose betrachten, nicht schon hier alles an: »Platzen sollen sie« Rv. 8, 39. 40. 41! Ist es bei einer solchen Gesinnung denkbar, dass man, wenn der verhasste Feind nach einem Leben von hundert Herbsten, umgeben von reicher Nachkommenschaft unbehelligt und ungestraft dahin schied, dies als eine genügende Strafe ansah, dass er nicht einer weiteren, glücklicheren Fortsetzung des Lebens theilhaftig wurde?

Dass der Bestrafung der Bösen selten Erwähnung im Rigveda geschieht, ist erklärlich; nehmen wir einmal die Totenlieder des X. Mandala und Rv. 9, 113, 7 ff. weg, wie oft wird des glückseligen Lebens im Rigveda gedacht? nicht viel mehr und nicht viel deutlicher wird es erwähnt, als das zukünftige der Bösen, auf das ich folgende Stellen beziehe: »Fern seien die Schlingen, fern die Schuld, o Götter, nicht ergreift mich wie einen Vogel bei der Brut. Seid heute bei uns, o Verehrungswürdige, an euer Herz will ich zitternd flüchten; schützt uns, o Götter, vor des Wolfes Verzehren und vor dem Fall in den Pfuhl (karta)« fleht Grtsamada Rv. 2, 29, 6. Rv. 9, 73, 8-9: »Der Hüter der heiligen Ordnung (rta) ist nicht zu trügen, drei Läuterungsmittel (bildlich cf. Rv. 3, 26, 8) hat er ins Herz gelegt (einem Jeden), kundig überschaut er alle Wesen; die ihm nicht wohlgefälligen (ajushtan), gottlosen (avratan) stößt er hinab in den Pfuhl (karta). Der heiligen Ordnung Gewebe ist gespannt auf das Läuterungsmittel an der Spitze der Zunge durch Varunas übernatürliche Weisheit. Die Weisen haben es anstrebend erreicht, der Unvermögende (dies zu thun) soll stürzen in den Pfuhl«. »Kein Verwandter ist er (Indra) dem , der nicht Soma keltert, kein Freund, kein Bruder; die Unfreundlichen (d. h. die schlechten Opferer - dushpravyah) stößt er hinab in die Tiefe (avacah) Rv. 4, 25, 6. Nach Rv. 4, 5, 5 sind sowohl die, die bruderlose Mädchen beschlafen, als auch Frauen von schlechtem Wandel, die ihren Gatten täuschen, diejenigen die Verbrecher (papasah), Verächter der heiligen Ordnung (anrtah), Lügner (asatyah) für jenen tiefen Ort (idam padam gabhiram) geboren. »Wer uns anfeindet, den lass gelangen ins untere Dunkel«, fleht ein Rishi zu Indra Rv. 10, 152, 4.

Es klammerten sich die vedischen Sänger so sehr an dies Leben, das so schön ist (Av. 5, 30, 17), dass sie außer bei Todesfällen selten Gelegenheit nahmen, an das, was jenseits folgt, zu denken. Geschah dies doch, so ist es bei dem frohen und heiteren Charakter, den die Lieder des Rigveda athmen — sie sind eben aus den Kreisen glücklicher Menschen zumeist hervorgegangen —, ganz natürlich, dass sie, um mich so auszudrücken, eher eine positive Gabe erbaten, das Leben im ewigen Licht, als Bewahrung vor dem Sinken in den Pfuhl erflehten.

Welchen Sinn hat es ferner, Yama zwei wegbehütende (pathirakshi Rv. 10, 14, 11, am Wege sitzende pathishad Av. 18, 2, 12) Hunde zu geben, an denen Jeder vorbei muss, ehe er zum Wonneleben eingeht (Rv. 10, 14, 10), wenn die Bösen mit dem Tode in Nichts versinken. Als uralt wird die Vorstellung durch die Namensidentität von Çabala und Kerveros (M. Müller Chips 2, 182 ff.; Weber Ind. Stud. 2, 298; Benfey Vedica p. 149 ff.) erwiesen (...).

Benfey hat sogar (Hermes, Minos, Tartaros, Göttingen 1877 pag. 33 ff.; vgl. 17 ff.) den Versuch gemacht, den gemeinsamen Namen der Wohnung der Bösen bei Indern und Griechen nachzuweisen: Tartaro: talátala. Letzteres Wort kommt in späteren Schriften als Name einer bestimmten Hölle vor. Benfey fasst beide Wörter als Intensivbildung — ihr Verhältnis ist wie caracará zu cárcara etc.: »das fort und fort herabsteigende«, der Ort, wohin man gelangt, wenn man immer tiefer und tiefer hinabsteigt, also »die unterste Tiefe«.

Hiergegen spricht freilich, wie sich Benfey nicht verhehlt, dass sowohl tala als atala Namen für Höllen sind, ferner vitala, sutala, mahatala, rasatala, nitala, pratala, çritala, gabhastala. Es ist jedoch wohl zu beachten, dass in allen diesen Wörtern tala letztes Glied des Compositums ist, eine solche Auflösung von talatala aber nicht wohl angeht. Hiermit fällt meines Erachtens der Grund weg, der uns bestimmen könnte, talatala auf gleiche Stufe zu stellen mit den genannten Namen. Es erhebt sich vielmehr die Vermuthung, dass die spätere Zeit ein ihr etymologisch unverständliches altes Wort talatala falsch auffasste, und wie Aditi eine Diti, asura, asita, ein sura, sita, vidhava ein dhava hervorrief, so jene Höllennamen auf -tala erst nach talatala gebildet sind.

Das Vorhandensein eines Aufenthaltsortes für die Bösen nach diesem Leben in den übrigen Samhita steht außer jedem Zweifel: »Jenes Haus, welches unten (adharat) ist, dort sollen die Unholdinnen sein - dort soll man ihren Sitz nennen —, sie und alle Zauberinnen« Av, 2, 14, 3. Dies unterirdische Haus heißt Av. 12, 4, 36 die Höllenwelt (naraka loka) und steht im Gegensatz zu Yamas Reich, das sonst die Lichtwelt (svarga loka) genannt wird. Als »unterste Finsternis« (adhama tamamsi) wird die Hölle Av. 9, 2, 4. 9. 10. 17 (adhamam tamas) 8, 2, 24 ; 10, 3, 9; 13, 1, 32; als »schwarze Finsternis« (krshnam tamas) 5, 30, 11; »blinde Finsternis« (andham tamas) 18, 3, 3 bezeichnet. Der Mörder (virahan) wird V. S. 30, 5 der Hölle (naraka) geweiht.

Eine Schilderung der Strafen, die den Verdammten erwarten, haben wir Av. 5, 19, in einem Hymnus, den ich oben einer Zeit zugewiesen habe, in der die Fürsten und Edlen es mit allen Kräften versuchten, die immer mehr erstarkende Hierarchie zu brechen: »Welche einen Brahmanen anspeien oder Rotz auf ihn schleudern, die sitzen in der Mitte eines Baches von Blut und fressen Haare. Die den Schritt hemmende Fußfessel, die man dem Toten anbindet, das, o Brahmanenschinder, haben die Götter dir als Decke (? Lager) angewiesen. Die Thränen des jammernden, geschundenen (Brahmanen), die dahin rollen, diese bestimmten dir, o Brahmanenschinder, die Götter als dein Theil Wasser. Womit man den Gestorbenen wäscht, womit man die Bärte badet, das bestimmten, o Brahmanenschinder, die Götter als dein Theil Wasser« Vers 3; 12-14.

Noch ausführlicher ist die Schilderung der Höllenstrafen, die sich çatap. Br. 11, 6, 1 findet; s. Weber ZDMG. 9, 240 ff. Nach eben demselben Brahmana erfahren wir auch ausdrücklich, dass Jeder nach dem Tode wiedergeboren und auf einer Waage gewogen wird ; je nach seinen Werken (yadi sadhu vasadhu veti) empfängt er Lohn oder Strafe Çatap. Br. 11, 2, 7, 33 ; 6, 2, 2, 27 ; 10, 6, 3, 1; vgl. 12, 9, 11.

Damit kein Unberufener in Yamas Reich Eingang fände, sassen zwei Hunde am Wege (pathishad) und hielten Wache. Sie sind von nicht ganz geheurem Aussehen, haben vier Augen, sind breitnasig und von brauner Farbe RN,. 10, 14, 12; nach Av. 8, 1, 9 ist der eine çyama, der andere çabala. »Vorbei an den beiden gefleckten Hunden, den Sprossen Saramâs, den vieräugigen, lauf graden Wegs und tritt ein zu den Gutes erweisenden Vätern, welche mit Yama zusammen Gelage halten«, wird dem Toten nachgerufen Rv. 10, 14, 10. Jeden Bösen, der etwa durch will, halten sie an. In Rv. 7, 55, 2— 5 haben wir, wie Aufrecht Ind. Stud. 4, 341 ff. zeigt, ein Bruchstück einer Scene am Eingang in Yamas Reich: Ein Toter, an der Behausung Yamas angekommen, wird von einem der beiden Hunde angehalten; der Tote fordert den Hund auf, ihn in Ruhe zu lassen, Diebe möge er anbellen, Räuber anrennen, nicht aber ihn, einen Verehrer Indras.

Im weitern Verlaufe erhält Yama eine active Rolle zugetheilt, die ihm als erstem der Gestorbenen nicht zukam; Befugnisse des immer mehr zurücktretenden Varuna gehen auf ihn über. Galt bisher der Tod bloß als Yamas Pfad (Rv. 1, 38, 5), d. h. der Pfad auf dem man zu Yama kommt, oder auf dem Yama zuerst wandelte, so wurde er nun Yamas Fußfessel (padbiça) Rv. 10, 97, 16; Av. 6, 96, 2; 7, 112, 2 ; 8, 7, 28. Seine beiden Hunde wandeln nun unter den Menschen und spüren diejenigen aus, die sterben müssen (Rv. 10, 14, 12; Av. 8, 1, 9). In Rv. 10, 165, 4 erscheint der Kapota als sein Bote und er selbst als Todesgott. Auch Rv. 1, 29, 3: »Schläfere ein die beiden abwechselnd wachenden (Botinnen Yamas?); sie sollen unerweckt schlafen« wird auf ihn gehen. Bote des Todes (mrtyudûta) und Bote Yamas sind daher gleich Av. 8, 8, 11. »Yama ist Tod, ist schlimmes Sterben bringend, ist Verderber« Av. 6, 93, 1.

So wird Yama, auch unter sonst vielfach veränderten religiösen Anschauungen, allmählich zu einem Gegenstand des Schreckens: zu einem Beherrscher der Toten in der Unterwelt und Bändiger derselben, wie dies Muir im Anschluss an Webers Abhandlung in der ZDMG. 9, 237 ff. darzustellen versucht hat ST. 5, 314 ff.

Solche Vorstellungen, in denen wir überall Anknüpfungspunkte an die ältesten Anschauungen verwandter indogermanischer Völker wahrnehmen, hegte das indische Volk in seinem Jugendalter von dem zukünftigen Leben, als es selbst noch frisch war, stark im Vertrauen auf seine Götter, seines Lebens Vorbilder. Sie stehen in schroffem Gegensatz zu dem, was uns von philosophischen Charlatanen, vierzigjähriger Forschung zum Trotz, noch immer als alte Lehre der Urväter des indischen Volkes gepredigt wird. Ihren wesentlichsten Zügen nach waren diese Vorstellungen arisches Gemeingut und, von dem éranischen Brudervolke noch mehr vergeistigt, sind sie es gerade, von denen durch Übertragung in die hebräische Religion die mächtige Propaganda für die individuelle Unsterblichkeit der Seele ausging. Insofern betreten wir gleichsam einen Urfelsen der religiösen Schöpfung, der bis in die Gegenwart hineinragt.

(Aus dem Buch "Altindisches Leben: Die Cultur der vedischen Arier", nach den Samhita dargestellt von Heinrich Zimmer, Berlin 1879)

Siehe auch

Literatur

Seminare

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