Tantra Einführung und Geschichte: Unterschied zwischen den Versionen
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[[Kali]] ist die [[schwarze Göttin]]. Schwarz steht für geheimnisvoll, unergründbar. In vielen Darstellungen tanzt sie auf dem liegenden, lächelnden, unbeweglichen [[Shiva]]. Shiva symbolisiert das Bewusstsein, das sich nicht bewegt. Kali ist der Tanz der Energie, in beständiger Bewegung. Kali wird dabei mit verschiedenen Waffen dargestellt. Sie streckt die [[Zunge]] heraus, reißt ihre Augen auf und hat eine Girlande aus Schädeln um den Hals hängen. Dies symbolisiert zum einen die [[Intensität]] der Erfahrung, mit der wir das [[Leben]] erleben können und zum anderen die [[Vergänglichkeit]]: Nichts bleibt, alles ist im Fluss. Alles, was einen Anfang hat, hat auch ein Ende. Es gilt, mit der [[Schöpfung]] mitzutanzen, an nichts zu hängen, nirgends festhalten zu wollen, alles loszulassen. Dann ist der Schöpfungstanz wunderbar und ekstatisch. Andernfalls bringt er uns um. | [[Kali]] ist die [[schwarze Göttin]]. Schwarz steht für geheimnisvoll, unergründbar. In vielen Darstellungen tanzt sie auf dem liegenden, lächelnden, unbeweglichen [[Shiva]]. Shiva symbolisiert das Bewusstsein, das sich nicht bewegt. Kali ist der Tanz der Energie, in beständiger Bewegung. Kali wird dabei mit verschiedenen Waffen dargestellt. Sie streckt die [[Zunge]] heraus, reißt ihre Augen auf und hat eine Girlande aus Schädeln um den Hals hängen. Dies symbolisiert zum einen die [[Intensität]] der Erfahrung, mit der wir das [[Leben]] erleben können und zum anderen die [[Vergänglichkeit]]: Nichts bleibt, alles ist im Fluss. Alles, was einen Anfang hat, hat auch ein Ende. Es gilt, mit der [[Schöpfung]] mitzutanzen, an nichts zu hängen, nirgends festhalten zu wollen, alles loszulassen. Dann ist der Schöpfungstanz wunderbar und ekstatisch. Andernfalls bringt er uns um. | ||
Version vom 28. September 2021, 09:27 Uhr
Das Wort Tantra kommt aus dem Sanskrit und bedeutet „Gewebe“, „Zusammenhang“. Tantrismus ist eine religionsübergreifende spirituelle Bewegung, deren Ursprünge im Dunkeln liegen. Sie erachtet das Göttliche als im Universum manifest. Tantrismus sieht das Universum als ein Zusammenspiel von Bewusstsein (oft als Shiva bezeichnet) und Energie (Shakti). Beides sind göttliche Prinzipien, die in Wahrheit eins sind. Da alles im Universum ein Zusammenspiel von Bewusstsein und göttlicher Energie ist, ist letztlich alles göttlich. So ist Tantrismus wahrhaft monistisch (also von Einheit ausgehend). Vom höchsten Standpunkt aus gibt es nichts Gutes, nichts Schlechtes, da alles göttlich ist. Es gibt auch nicht die Unterscheidung von wirklich und unwirklich. Ziel ist es, zum höchsten Bewusstsein der Einheit zu kommen. Dies wird erreicht, indem man mittels verschiedener Praktiken den eigenen Energielevel so erhöht, dass man die Einheit von Shiva und Shakti wahrnimmt. Da das Bewusstsein als passiv gesehen wird, wird vor allem Shakti, die Kosmische Energie, verehrt. So ist Tantrismus meist mit der Verehrung des Göttlichen in der weiblichen Form, der Göttin, der Urmutter, eben der Kosmischen Energie verbunden.
Unterscheidung rotes, schwarzes und weißes Tantra
Rotes Tantra
Im roten Tantra übt man diverse Energiepraktiken, um sinnliches und sexuelles Vergnügen zu erhöhen. Im Westen wird, wie bereits ausgeführt, Tantra oft auf das rote Tantra reduziert.
Schwarzes Tantra
Im schwarzen Tantra werden Mantras rezitiert, Yantras als Amulette getragen, Rituale ausgeführt, um egoistische Ziele zu erwirklichen. Dazu können beispielsweise gehören: Reichtum, Macht, jemand anderes becircen oder sogar jemandem schaden zu können. Auf gewisse Weise ist diese Form des Tantra wie schwarze Magie, auch wenn sie nicht notwendigerweise negativ genutzt wird. In manchen Teilen Indiens wird Tantra mit schwarzem Tantra gleichgesetzt. Da kann es geschehen, dass man vor einem bestimmten Menschen gewarnt wird: „Sei vorsichtig, Mister X ist ein Tantriker!“, was so viel heißt wie: Er hat geistige Kräfte, mit denen er anderen schaden kann; er führt schwarzmagische Riten aus, er hat den bösen Blick oder anderes. Da ist sicher auch viel Aberglaube dabei.
Weißes Tantra
Im weißen Tantra übt man, um sich selbst zu reinigen, seinen Energielevel zu erhöhen, um zum Instrument der göttlichen Kraft zu werden, Liebesfähigkeit zu entwickeln und schließlich zur Einheit zu gelangen. Weißes Tantra kann stark rituell und damit religiös geprägt sein. Dabei werden verschiedene Formen von Pujas (Verehrungsrituale), Homas (Feuerzeremonien) oder Yatras (Pilgerreisen) zu Tempeln ausgeführt, Heilige Schriften rezitiert; die Göttin wird auf verschiedene Weisen verehrt. Weißes Tantra kann aber auch aus weniger religiös gebundenen Formen von Sadhana (spirituelle Praxis) bestehen. Dieses nichtrituelle Tantra ist gleichbedeutend mit Kundalini-Yoga. Nichtrituelles Tantra und damit Kundalini-Yoga kann unabhängig von einer Religionszugehörigkeit praktiziert werden und verbindet auch in Indien Hindus mit Buddhisten und Sikhs, teilweise sogar mit islamischen Sufis und im indischen Mittelalter mit nestorianischen Christen. Kundalini-Yoga kann natürlich auch mit rituellem Tantra verbunden sein. Überdies schließt weißes Tantra rotes und schwarzes Tantra nicht notwendigerweise aus, so wie eigentlich (fast) nichts im Tantra ausgeschlossen wird.
Unterteilung Tantra in Vamachara und Dakshinachara
Vamachara (linkshändiger Tantra)
Im Vamachara Tantra werden Praktiken geübt, die außerhalb der gesellschaftlichen Gepflogenheiten sind. Dazu gehören dann Meditation auf Friedhöfen und in Krematorien, eventuell sogar auf einer ausgegrabenen Leiche; diverse sexuelle Praktiken, Einnahme von Drogen. Oft wird im linkshändigen Tantra von den fünf M’s (Panchamakara) gesprochen, welche die Verkehrung der fünf vedischen Reinigungsriten sind:
- Matsya [oder Mīna] (Fisch)
- Māmsa (Fleisch)
- Madya (Wein)
- Mudrā (getrocknete Körner, auch Drogen)
- Maithuna (ritualisierter Geschlechtsakt)
Diese sollen eingefahrene Denkmuster überwinden und zu ekstatischen Erfahrungen führen. Wörtlich verstanden und ausgeführt widersprechen sie wichtigen ethischen Prinzipien. Gerade bei jeder intensiven Energiearbeit und vor allem bei erweckter Kundalini der Verzicht auf Fleisch, Fisch, Alkohol, Drogen und Tabak essentiell.
Dakshinachara (rechtshändiger Tantra)
Im Dakshinachara Tantra werden vor allem Praktiken ausgeübt, die im Rahmen der gesellschaftlichen Gepflogenheiten sind.. Im rechtshändigen Tantra gelten die Panchamakaras daher als Symbole für tiefere Weisheiten. Man sollte selbstverständlich kein Fleisch essen, keinen Wein trinken und so weiter. Matsya heißt nicht: Verzehr von Fisch, sondern bezieht sich auf die Übung, sich mit dem Göttlichen verbunden zu fühlen – der Aspirant schwimmt in göttlicher Liebe. Mamsa heißt nicht: Verzehr von Fleisch, sondern die Überwindung der tierischen Natur, Madya heißt: Trinken des göttlichen Nektars der Liebe, Mudra heißt: Bewusstseinserweiterung in tiefer Meditation, Maithuna heißt: Vereinigung von Kundalini und Shiva.
Geschichte Tantra
Manchmal liest man in Büchern über indische Philosophie Folgendes: Die Ursprünge indischer Philosophie und des Hinduismus entstanden durch die Begegnung der arischen Einwanderer mit den indischen Ureinwohnern (Drawiden) im Rahmen der Eroberung der Indus- und Gangesebene 1500–800 v. Chr. Dabei entstand zunächst die vedische Religion, in der Götter wie Indra, Agni, Varuna wichtig waren. Daraus entwickelten sich dann etwa 800–200 v. Chr. die Upanishaden, welche die Hochphilosophie des Vedanta enthalten. Vedanta beschreibt die Einheit von der Seele im Menschen (Atman) mit der Weltenseele (Brahman) und sieht die manifeste Welt als Täuschung (Maya) an.
Da diese Hochphilosophie für das einfache Volk nicht zu verstehen war, bekamen die Brahmanen, die Priester, immer größere Macht. Sie ließen Religion und Philosophie in Ritualen und Vorschriften erstarren und betonten dabei die Leidhaftigkeit und Illusion dieser Welt. Als Gegenbewegung entstanden dann die Volksreligionen des Shaivismus, Vaishnavismus und Tantrismus, welche als höchste Gottheit Shiva, Vishnu beziehungsweise Shakti/Devi verehrten. Besonders der Tantrismus war dabei sehr viel diesseitsorientierter, körperbejahender, genussfreudiger und bedurfte nicht mehr der Vermittlung durch Priester. Zwischen dem 2. und 8. Jh. n.Chr. entstanden Schriften, die „ Agamas“ beziehungsweise „Tantras“ genannt wurden. Im indischen Mittelalter folgte die Blütezeit des Tantrismus, welcher dann auch die brahmanische Hochreligion durchdrang. Diese geschichtliche Einschätzung wird in ähnlicher Form von den meisten deutschen Indologen geteilt.
Seit Urzeiten gab es in Indien gleichzeitig diverse spirituelle und religiöse Richtungen, welche sich gegenseitig beeinflussten, befruchteten und dann wieder voneinander abgrenzten. Tantrismus war dabei mit der Verehrung der Muttergottheit und damit der Kosmischen Energie verbunden. Zwar haben die Tantriker erst in den nachchristlichen Jahrhunderten eigene Schriften verfasst, aber man findet schon zu Zeiten der Induskulter (4. bis 3. Jt. v. Chr.) die Symbole des Tantras wie Muttergöttinnen und Darstellungen von Shiva in Meditation und als Shivalingam. In den klassischen Schriften (den Veden, den Puranas und den Itihasas wie Ramayana und Mahabharata) gibt es zahllose Hinweise auf Tapaswins ( Asketen), die Atemübungen und andere Energieübungen praktizierten und die Göttin verehrten.
Gerade im späteren indischen Mittelalter, als Indien unter Fremdherrschaft diverser moslemischer Steppenvölker geriet, wurde die vorherrschende brahmanische Religion von den Regierenden unterdrückt und die Volksreligionen wurden stärker, befruchteten und vermischten sich untereinander mit dem Brahmanismus und dem Vedanta. Heutzutage lehren die meisten Yoga-Meister zum einen die Philosophie der Einheit im Sinne des Vedanta, zum anderen aber auch tantrische Praktiken wie Hatha- und Mantra-Yoga und verbinden das mit Raja-, Bhakti- und Karma-Yoga. Letztlich sind die verschiedenen Systeme nicht als historische Entwicklungen zu verstehen, sondern als verschiedene Aspekte des gleichen umfassenden ganzheitlichen Yoga.
Göttinnenverehrung im Tantrismus
Im Tantrismus wird die Göttin in zahllosen Namen und Gestalten verehrt.
Shakti
Shakti ist der abstrakte Name und bedeutet „Kosmische Energie“. Viele westliche Aspiranten haben heutzutage gerne ein abstraktes Gottesbild ohne Darstellung der Göttin als Person und beziehen sich gerne auf diese „Kosmische Energie“.
Kali
Kali ist die schwarze Göttin. Schwarz steht für geheimnisvoll, unergründbar. In vielen Darstellungen tanzt sie auf dem liegenden, lächelnden, unbeweglichen Shiva. Shiva symbolisiert das Bewusstsein, das sich nicht bewegt. Kali ist der Tanz der Energie, in beständiger Bewegung. Kali wird dabei mit verschiedenen Waffen dargestellt. Sie streckt die Zunge heraus, reißt ihre Augen auf und hat eine Girlande aus Schädeln um den Hals hängen. Dies symbolisiert zum einen die Intensität der Erfahrung, mit der wir das Leben erleben können und zum anderen die Vergänglichkeit: Nichts bleibt, alles ist im Fluss. Alles, was einen Anfang hat, hat auch ein Ende. Es gilt, mit der Schöpfung mitzutanzen, an nichts zu hängen, nirgends festhalten zu wollen, alles loszulassen. Dann ist der Schöpfungstanz wunderbar und ekstatisch. Andernfalls bringt er uns um.
Durga
Durga symbolisiert die Muttergöttin in Reinform. Sie reitet auf einem Tiger (oder einem Löwen), lächelt, hat verschiedene Waffen und hebt ihre Hände zum Segen. Dies symbolisiert, dass die Göttin beziehungsweise Kosmische Energie sich wie unsere Mutter um uns kümmert. Sie will uns erziehen, fordert uns auf, stark zu sein wie ein Tiger, zu brüllen wie ein Löwe (und nicht zu blöken wie ein Schaf). Sie schützt uns, tadelt uns aber auch, und macht uns das Leben unangenehm, wenn wir uns ausruhen wollen. Wenn wir uns ihr aber wie ein Kind ganz anvertrauen, hält sie ihre schützende Hand über uns und führt uns bis zur höchsten Verwirklichung. Nicht umsonst heißt es, dass wir aus eigener Kraft die höchste Verwirklichung nicht erreichen können, sondern die Gnade und den Segen der göttlichen Mutter benötigen.
Lakshmi
Lakshmi ist die Göttin der Fülle, der Schönheit und des Wohlstands. Sie steht auf einem Lotus im Wasser. Um sie herum heben zwei Elefanten ihre Rüssel (was Glück und Wohlstand symbolisiert). Lakshmi hat vier Hände. Zwei davon halten nach oben geöffnete Lotusblüten. Zwei Hände sind in einer Segensgeste nach vorne beziehungsweise unten gehalten. Aus diesen Händen fallen Goldmünzen (oder auch Blüten) nach unten. Lakshmi symbolisiert die Schönheit der Schöpfung. Sie symbolisiert, dass die Göttin in der Schönheit der Natur und in allen Gaben gegenwärtig ist. Sie steht auch für das Ideal des Karma-Yogis, des uneigennützig Dienenden: Wenn wir anderen helfen wollen, müssen wir uns nach oben hin öffnen, um Kraft und Gaben zu bekommen. Dies wird symbolisiert durch die zwei nach oben zeigenden Hände von Lakshmi beziehungsweise dadurch, dass wir uns für die nach unten zeigenden segnenden Hände Lakshmis öffnen. Diese Kräfte und Gaben wollen wir an andere Menschen weiter geben (symbolisiert durch die nach unten zeigenden Hände und die Münzen beziehungsweise Blüten). Um geben zu können, müssen wir empfangen. Und wenn wir uns zum Instrument machen und nicht unsere eigene Energie, sondern göttliche Kraft weitergeben, werden wir durch Geben niemals arm werden, sondern uns im Gegenteil stets reich beschenkt fühlen.
Saraswati
Saraswati ist die Göttin der Künste, der Erkenntnis und der Weisheit. Sie sitzt meist auf einem Felsen. Dies symbolisiert, dass wahre Weisheit Festigkeit gibt. Sie trägt einen weißen Sari, der für Reinheit steht. Saraswati spielt eine Vina (Musikinstrument) und hält in den Händen ein Buch und eine Kette. Dies symbolisiert die wichtigsten Künste Musik, Literatur und bildende Kunst. Ein echter Künstler meint nicht, dass er selbst schafft. Vielmehr hat er das Gefühl, dass es durch ihn hindurch wirkt. Wenn wir uns ganz zu Instrumenten der Kosmischen Energie machen, werden wir wahrhaft kreativ und wunderbare Kräfte können durch uns wirken. Schließlich symbolisiert Saraswati aber auch die höchste Erkenntnis und Verwirklichung der Einheit.
Gayatri
Gayatri wird im Westen seit ein paar Jahren immer populärer. Zum einen deshalb, weil das Gayatri-Mantra in wunderschönen Vertonungen die „Charts“ spiritueller Musik immer wieder anführt, zum anderen weil Gayatri als Manifestation göttlichen Lichts dem Bedürfnis moderner Aspiranten nach nicht vermenschlichter Gottesvorstellung nachkommt. Das Gayatri Mantra lautet
„Om Bhur Bhuvah Swaha
Tat Savitur Varenyam
Bhargo Devasya Dhimahi
Dhiyo Yo Nah Prachodayat“
(In recht freier Übersetzung: „Wir verehren die Höchste Göttliche Lichtenergie, die die physische, astrale und kausale Welt geschaffen hat. Wir meditieren über diese göttliche Kraft. Möge sie unseren Verstand erleuchten, sodass wir die Wahrheit erfahren.“) So können wir in Gayatri die Lichtkraft hinter allem verehren. Die moderne Physik sagt, dass hinter allem die gleiche Energie steckt. Und da Licht das Urbild von Energie ist, ist die Verehrung der Kosmischen Energie als Lichtkraft etwas ganz Wunderbares.