Elefant
Elefant heißt auf Sanskrit Gaja oder Hastin. Elefanten repräsentieren in Indien Weisheit, Fruchtbarkeit und souveräne Kraft. Der hinduistische elefantenköpfige Gott Ganesha ist in Indien sehr beliebt.
Indische Mythen und Symbole - Kapitel 3: Die Wächter des Lebens
Der nachfolgende Text ist dem Buch "Indische Mythen und Symbole - Schlüssel zur Formenwelt des Göttlichen" des Indologen Heinrich Zimmer entnommen (Originaltitel "Myths and Symbols in Indian Art and Civilization", Bollingen Foundation Inc., New York). Übersetzung aus dem Englischen von Ernst Wilhelm Eschmann, Eugen Diederichs Verlag, München 1981, 5. Aufl. 1993
Teil 6: Der Elefant
Der Elefant als »Bestimmer« unter den menschengestaltigen Sinnbildern göttlicher Mächte ist ein oft vorkommender Zug der frühen buddhistischen Reliefs von Bhârhut. Die meisten dieser Gottheiten sind nicht gekennzeichnet und darum nicht zu identifizieren. Andere tragen den Namen gewisser Yakshas und Yakshinis, männlicher und weiblicher Erdgenien, Schutzgeister der Fruchtbarkeit und des Wohlstandes. Die Verbindung eines Elefantenpaares mit der Figur der Göttin Lotos ist ebenso ein Zug der buddhistischen Kunst des 1. und 2. Jahrhunderts v. Chr. (Bharhut und Sanchi). Von hier kann es durch die ganze ausgedehnte Entwicklung der hinduistischen und buddhistischen Ikonographie verfolgt werden herab bis zu den gegenwärtigen Hindutempeln des Südens. In den Hindu-Miniaturen und den volkstümlichen Abbildungen von heute ist es ein beständig wiederkehrendes Motiv. Mehr noch: auf den so frühen Siegeln von Mohenjo-Daro — also nicht nur unter den frühesten Kunstwerken Indiens, sondern der menschlichen Kultur überhaupt — wird der Elefant abgebildet, manchmal vor einer Krippe stehend. Aber wir erhalten keine Aufklärung über den symbolischen Sinn des Tieres. So müssen wir uns fragen, was die Funktion und Bedeutung dieser majestätischen Gestalt ist.
Die religiösen Denkmale bieten wenig Hilfe. Viel jedoch läßt sich einem Studium der traditionellen medizinischen Handbücher entnehmen, die der Zähmung und Pflege des Elefanten gewidmet sind. Es scheint, daß der Besitz der Elefanten ein Vorrecht der Könige war. Sie wurden in der Wildnis gejagt und gefangen und dann in Waldgehegen oder auch für die Zwecke der Kriegführung in Garnisonen gehalten; sie dienten als Korps schwerer und zugleich beweglicher Kavallerie, einer Art Panzertruppe auf Beinen. Oder sie wurden den königlichen Marställen zugewiesen, um als prunkvolle Tragtiere für feierliche Aufzüge und zu magischen Zwecken zu dienen.
Die Hauptenzyklopädie über diesen Gegenstand ist die Hastyayurveda, »Die heilige Weisheit (Veda) vom langen Leben (Ayus) der Elefanten (Hasti).« Es ist eine Zusammenstellung von über 7600 Verspaaren, wozu noch Prosakapitel kommen. Es gibt auch noch eine kürzere Abhandlung, »Vergnügliche Abhandlung über die Elefanten« (Matangalila), die eine Zahl von bemerkenswerten mythologischen Einzelheiten enthält.
Aus diesem Werk lernen wir zum Beispiel, daß als Garuda, der schön Befiederte (Suparna), der goldbeschwingte Sonnenvogel am Anfang der Zeit ins Dasein trat, auch der Elefant geboren wurde. Im Augenblick, da der himmlische Vogel aus seinem Ei hervorbrach, nahm Brahma, der Schöpfer-Demiurg, die zwei halben Eierschalen in seine Hand und sang sieben heilige Melodien (Saman) über sie. Durch die Kraft dieser Zaubergesänge entstand Airavata, der göttliche Elefant, der zum Tragtier Indras werden sollte.
Der Name Airavata klingt wie eine vom Namen der Mutter abgeleitete Bezeichnung, als ob nach einer bis jetzt noch unentdeckten Überlieferung dieser Elefant der Sohn eines weiblichen Wesens namens Iravati wäre. Irrawaddy kennen wir als den Namen des Hauptflusses und der Lebensader Burmas. Es ist auch der zweite Name eines großen Flusses im Pentschab, des Ravi. Ferner bedeutet ira »Wasser«, trinkbare Flüssigkeit überhaupt, Milch, Erfrischung, die Flüssigkeit, die in dem kosmischen Milchmeer enthalten ist. Iravati würde also heißen »Sie, die das Flüssige besitzt« (ira). Dieses »Sie« würde der Fluß selbst sein; denn Flüsse und Gewässer sind weibliche, mütterliche, nährende Gottheiten, und das Wasser ein weibliches Element.
Verfolgen wir die Genealogie einen Schritt weiter: Ira (»das Flüssige«) ist eine der Töchter eines archaischen Demiurgen oder Schöpfergottes mit Namen Daksha, »Die Geschickte«, eine Brahma, dem schöpferischen Herrn der Wesen (Prajapati) parallele und in seiner Funktion teilweise mit diesem identische Gestalt. In anderem Zusammenhang ist Ira als die Königin-Gemahlin noch eines anderen alten Schöpfergottes und Vater der Kreaturen, Kashyapa, des »Alten Schildkrötenmannes«, bekannt. Als solche ist sie die Mutter alles pflanzlichen Lebens.
Airavata ist so auf viele Weise durch seine Mutter mit der Lebensflüssigkeit des Kosmos verbunden. Diese Verwandtschaft wird weiter durch die Tatsache dargetan, daß der Name Airavata sowohl zur Bezeichnung des Regenbogens, der als Indras Waffe betrachtet wird, und einer bestimmten Art von Blitzen benutzt wird, also für die beiden auffallendsten Lichtmanifestationen von Donner und Regen.
Airavata war der erste göttliche Elefant, der aus der Eierschale in der rechten Hand Brahmas hervorging. Sieben andere männliche Elefanten folgten ihm. Aus der Schale in Brahmas linker Hand erschienen darauf acht weibliche Elefanten. Diese sechzehn bildeten acht Paare und wurden die Ahnen aller Elefanten sowohl im Himmel wie auf Erden. Sie wurden auch die Dig-Gajas oder »Elefanten (Gaja) der Richtungen des Raums (Dik)« genannt (im Sanskrit wird ein k am Ende zu g vor einem Konsonanten, darum wird dik-gaja zu dig-gaja). Sie stützen das All an den vier Seiten und den vier Ecken dazwischen.
Die Elefanten sind die Karyatiden des Alls. Als solche erscheinen sie sehr passend in dem auf den Felsen gehauenen Shiva-Tempel zu Elura, »Dem Tempel des Herrn vom Berge Kailasha«. Dieser Tempel ist eines der großen klassischen Denkmäler der religiösen Hinduarchitektur. Er stammt aus dem 8. Jahrhundert n. Chr. Nirgendwo hat die Majestät und Erhabenheit des Elefanten, dieses einzigen überlebenden Repräsentanten der alten Spezies des Riesenmastodons, älter als das Rhinozeros, das Flußpferd und andere Dickhäuter, einen angemesseneren und würdigeren Ausdruck gefunden. In diesen Gestalten lebt ein intimes Gefühl für den Charakter des Elefanten, das, zugleich realistisch und monumental, die lange und enge Kameradschaft des Hindus mit dem gewaltigen Tiere bezeugt.
Ein anderer und völlig verschiedener Bericht vom Ursprung Airavatas und seiner Gemahlin Abhramu erscheint in dem gefeierten Mythos von der Quirlung des Milchmeers. Nachdem die Götter und Titanen ein Jahrtausend lang an ihrem Werk geschafft hatten, begann ein sonderbares Sortiment von Personifikationen und Symbolen sich aus der Milch des Alls zu erheben. Unter den ersten Gestalten waren die Göttin Lotos und Airavata, der milchweiße Elefant. Endlich erschien der Arzt der Götter, Amrita, das Unsterblichkeitselixier in einer milchweißen Schale tragend.
Als besonders wertvoll werden die sogenannten »weißen Elefanten« betrachtet — Albinos mit hellen oder rosigen Flecken —, weil sie an den Ursprung ihres Ahnherrn aus der Allmilch erinnern. In noch höherem Grade besitzen sie die spezielle magische Kraft des Elefanten, nämlich die Fähigkeit, Wolken hervorzurufen. Abhramu, der Name von Airavatas Gemahlin, weist auf diese besondere Macht hin: mu bedeutet »formen, herstellen, binden oder knüpfen«; abhra »Wolke«. Abhramu bedeutet »Wolken hervorbringend«, »Die, welche Wolken bindet oder knüpft« — speziell die wohltätigen Monsunwolken, die nach der sengenden Sommerhitze den Pflanzenwuchs beleben. Wenn sie nicht erscheinen, droht Trockenheit, Ausfall der Ernten und eine allgemeine Hungersnot.
In dem wunderbaren Zeitalter mythologischen Beginns besaß die Nachkommenschaft der ursprünglichen acht Elefanten Flügel. Wie Wolken schwebten sie frei durch den Himmel. Aber einige von ihnen verloren ihre Flügel durch Unachtsamkeit, und seitdem ist der majestätische Stamm gezwungen, auf dem Boden zu bleiben.
Es wird erzählt, wie einst ein Schwarm von fliegenden Elefanten das Mißgeschick hatte, sich den plötzlichen Zorn eines heiligen Büßers zuzuziehen, einer Menschenart, der man sich nur mit der äußersten Ehrfurcht nahen darf, und die man sehr sorgfältig behandeln muß. Denn Asketen sind von äußerst sensitiver und reizbarer Natur. Versehentlich ließen sich diese vergnügten Flügelelefanten eines Tages auf dem Zweig eines Riesenbaumes nördlich vom Himalaya nieder. Darunter saß ein Asket namens Dirghatapas, »Ausdauernde Strenge«, und unterrichtete eben in diesem Augenblick seine Schüler, als der schwere Zweig des Baumes, unfähig die Last auszuhalten, abbrach und auf die Köpfe der Zuhörer fiel. Eine Anzahl von ihnen blieb tot liegen, aber die Elefanten, nicht im geringsten bekümmert, flogen behende auf und ließen sich auf einen anderen Zweig nieder. Der zornige Heilige verfluchte sie gründlich. Von da ab waren sie und ihre ganze Rasse der Flügel beraubt und verblieben am Boden, dem Menschen unterworfen. Und was noch schlimmer war: mit ihrer Fähigkeit, durch die Lüfte zu schweben, verwirkten sie auch die göttliche Kraft, die ebenso den Wolken wie allen Gottheiten eigentümlich ist, nach Belieben verschiedene Gestalten anzunehmen.
Man sagt, daß auch die Pferde ursprünglich Flügel hatten. Indra trennte sie mit seinem Donnerkeil ab, um die wild umherstreifenden Tiere lenkbar zu machen, auf daß sie die Streitwagen sowohl der himmlischen wie der Kriegerkönige auf Erden ziehen möchten. Selbst die turmhohen Bergketten, deren schneebedeckte Gipfel sich mit den Wolken vermischen und ihnen so stark ähneln, daß man manchmal nicht sagen könnte, ob dort oben Wolken oder Berge sind, besaßen am Anfang Flügel, ja sie waren eine besondere Art von Wolken. Indra aber nahm ihnen die Kraft zu fliegen, um mit ihrem Gewicht die noch unsichere Oberfläche des Landes zu befestigen.
Wie Airavata zu Indra gehört, so der Elefant im allgemeinen zu den Königen. In feierlichen Staatsaufzügen stellten sie das symbolische Reittier des Königs dar; im Kriege sind sie der Wachtturm und die Zitadelle, aus denen er die Strategie der Schlacht lenkt. Aber ihre wichtigste Aufgabe besteht darin, ihre überirdischen Verwandten, die Wolken, jene himmlischen Elefanten, herbeizurufen. Daher halten die Hindukönige Elefanten zum Wohl ihrer Untertanen, und einen weißen Elefanten zu verschenken würde den Herrscher bei seinem Volk recht unbeliebt machen.
Doch eben diese Tat, aus Mitleid für die Leiden eines benachbarten Königreiches vollbracht, wird dem Buddha in seinem vorletzten Dasein zugeschrieben. Zu jener Zeit wurde er als Bodhisattva oder »werdender Buddha« in Gestalt des Prinzen Vishvantara geboren. Er übte die höchsten Tugenden der Hintansetzung des eigenen Ichs, der Selbstverleugnung, des Edelmutes und des Mitleids. So gab er eines Tages den weißen Elefanten, den Stolz des väterlichen Reiches, an ein benachbartes Land, das unter Dürre und Hungersnot litt. Dadurch fühlten sich seine Untertanen verraten und aufgegeben und vertrieben ihn. Diese Erzählung ist sehr volkstümlich; sie steht unter den »Berichten von früheren Existenzen des Buddha« (Jataka). Sie erscheint häufig in buddhistischen Gemälden und Reliefs abgebildet, wobei die frühesten Darstellungen auf den Toren der Großen Stupa von Sanchi (1. Jahrh. v. Chr.) auftauchen.
In dem jährlich wiederholten Ritual, das dem Regenfall, dem Reichtum der Ernten, der Fruchtbarkeit von Vieh und Mensch und der allgemeinen Wohlfahrt des Königreiches gewidmet ist, spielt der weiße Elefant, der in so dauernder Beziehung zur Göttin Lotos steht, eine bezeichnende, hervorragende Rolle. Solch ein Fest wird in der Hastyayurveda beschrieben. Der mit Sandelholzpaste weiß gemalte Elefant wird in feierlicher Prozession durch die Hauptstadt geleitet. Seine Begleiter sind Männer in Frauenkleidern, die mit clownischen unanständigen Bemerkungen und Witzen Fröhlichkeit hervorrufen. Durch diese rituelle weibliche Verkleidung ehren sie das weibliche Prinzip des Kosmos, die mütterliche, gebärende, nährende Energie der Natur, und durch ihre ebenfalls rituelle unzüchtige Sprache stimulieren sie die schlafende sexuelle Energie der Lebenskraft. (Das Beieinander dieser beiden rituellen Verhaltungsweisen läßt sich über die ganze Welt verfolgen.) Schließlich bringen die hohen Beamten des Reiches, sowohl Zivil wie Militär, dem Elefanten ihre Verehrung dar. Der Text bemerkt dazu: »Wenn sie den Elefanten nicht verehren würden, wären der König und sein Reich, das Heer und die Elefanten zum Untergang verurteilt, weil eine Gottheit mißachtet worden wäre. Wenn aber dem Elefanten die ihm geschuldete Verehrung gezollt wird, so werden sie blühen und wachsen und ebenso ihre Frauen und Söhne, das Land, das Heer und die Elefanten selbst. Die Ernten werden zur rechten Zeit emporsprießen; Indra, der Regengott, zur gewohnten Zeit Regen senden, und es wird weder Pest noch Dürre sein. Sie werden hundert Jahre lang leben (eine volle Lebenszeit) mit vielen Söhnen und viel Vieh und werden tüchtige Nachkommen haben. Wer immer Söhne zu haben wünscht, wird Söhne haben, und das Verlangen nach Reichtümern und anderen Gütern soll auch erfüllt werden. Die Erde wird mit Schätzen kostbarer Metalle und Juwelen überfließen.«
So schenkt die Verehrung des weißen Elefanten als einer Gottheit, die nicht mißachtet werden darf, dem Menschen alle jene irdischen Segnungen, welche die Göttin Lotos, Shri-Lakshmi, die Göttin des Glückes und des Wohlergehens, die Erdenmutter, fruchtbar und überquellend von Wassern und Reichtümern, in Vorrat hat. Der symbolische Charakter und die mythische Bedeutung des Tieres treten klar aus den zwei Anreden hervor, mit denen es bezeichnet wird, wenn es um seine Ehrung als Gottheit geht. Shri-Gaja, »Der Elefant Shris«, wird er genannt und Megha, »Wolke«. Der Elefant ist gewissermaßen eine Regenwolke, die auf der Erde wandert. Durch seine magische Kraft beschwört er die geflügelten Wolkengesellen aus der Atmosphäre, sich zu nähern. Wenn der irdische Wolkenelefant nach Gebühr verehrt wird, sind seine himmlischen Verwandten erfreut und fühlen sich veranlaßt, ihre Dankbarkeit zu zeigen, indem sie das Land mit reichlichem Regen begnaden.
Ein anderer Name für den Elefanten Shris ist »Sohn des Airavata«. Sohn, in der Sprache der Mythen und Symbole, meint »Doppelgänger«, »anderes Ich«, »lebendes Abbild des Vaters«, »des Vaters Wesen in einer anderen Individuation«.
Siehe auch
Weiterlesen im Buch von Heinrich Zimmer?
- Heinrich Zimmer, "Indische Mythen und Symbole - Schlüssel zur Formenwelt des Göttlichen"
- Kapitel 1: Ewigkeit und Zeit
- Kapitel 2: Die Mythologie Vishnus
- Kapitel 3: Die Wächter des Lebens
- Kapitel 4: Shivas kosmisches Entzücken
- Kapitel 5: Die Göttin
Literatur
- Das Yoga-Lexikon von Huchzermeyer, Wilfried
- Swami Sivananda, Götter und Göttinnen im Hinduismus
- Swami Sivananda, Parabeln
Seminar
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