Yoga im Gefängnis

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Yoga im Gefängnis sorgt immer noch in vielen Gesichtern für Erstaunen. Obgleich die Resozialisierung einen wichtigen Pfeiler der Gefängnisstrafe darstellt, sieht die Realität leider in vielen Fällen anders aus. Kleine, beengte Zellen, wenige kulturelle Angebote und Programme, die bei der Selbstfindung unterstützen würden, lassen die Insassen eher noch frustrierter und aggressiver werden. Viele Häftlinge kehren nach der Entlassung erneut in die Gefangenschaft zurück, weil sie rückfällig werden.

Enge Haftzellen

Einer der größten Vorteile von Yoga ist, dass es dabei hilft, in emotional und physisch herausfordernden Situationen ruhig zu bleiben. Diese Art des Trainings erlaubt es, sich nicht nur schneller von negativen Emotionen zu befreien, sondern trägt auch dazu bei, weniger impulsiv aus Ärger, Angst oder Feindseligkeit zu handeln. Einzelne Erfahrungsberichte und erste Studienergebnisse sprechen dafür, dass diese Aspekte der Yogapraxis auch Inhaftierten helfen können, einen Zugang zu sich selbst und damit auch zu einem kriminalitätsfreien Leben zu finden.

Mit Hilfe von Yoga aus der Kriminalität

Vom Schwerverbrecher zum charismatischen Yogalehrer

‘‘‘Dieter Gurkasch‘‘‘ war in seiner Vorschulzeit ein sensibler und herzoffener Junge. Seine Kindheit war zwar nicht immer so liebevoll, wie er selbst sich das gewünscht hätte. Dennoch wuchs er aber bürgerlich und behütet auf. Trotzdem manifestierte sich in dem Heranwachsenden ganz nebenbei der Eindruck, dass er nur geliebt werde, wenn er stark sei. Als er dann in der Adoleszenz seine Bäckerlehre absolvierte, staute sich tiefer Frust in ihm auf. Sein Arzt verschrieb ihm Beruhigungsmittel – der erste Einstieg in die Drogensucht. Es folgten weitere, dann auch illegale, Drogen. Seine zerrüttete Beziehung zu einer sehr viel älteren Frau, ein falscher Bekanntenkreis und erste Überfälle brachten ihn mehr und mehr in die Abwärtsspirale der Kriminalität. Dies kulminierte schließlich 1985 unter Drogenrausch in einem Raubmord an einer 55-jährigen Ladenbesitzerin, die er für 360 Mark niedergeschlagen hatte. Mit beiden Füßen sprang er auf das Gesicht der ohnehin schon in sich gekrümmten und wimmernden Kioskbesitzerin.

Gurkasch wurde zunächst wegen Raubmordes für 13 Jahre verurteilt und verbrachte die Zeit der Inhaftierung voller Wut, Hass, Träumen und Tränen im Männergefängnis „Santa Fu“, einer Backsteinfestung mit Stacheldraht über fünf Meter hohen Mauern und Zäunen.

1988 brach er aus, befand sich 23 Stunden in Freiheit voller Hass und Zorn auf die Gesellschaft. Dennoch wurde er 1996 als Mitte Dreißig-jähriger vorzeitig entlassen. Jedoch hatte weder das Eingesperrtsein vorher noch die wiedergewonnene Freiheit die Kraft, ihm ein inneres Gefühl zu geben, dass er in Frieden und Freude leben konnte. Wieder verstrickte er sich in Drogengeschäfte, Diebstähle, Waffenhandel und Raubüberfälle. Als es schließlich 1997 zu einer Schießerei mit der Polizei kam, traf ihn eine Kugel knapp an Herz und Wirbelsäule vorbei – ein glatter Durchschuss. Verblutend lag er auf der Emmastraße, für kurze Zeit bereits tot. Auf dem OP-Tisch reanimiert durch Herzmassage am frei liegenden Herzen im Universitätsklinikum Eppendorf durfte Dieter Gurkasch erneut leben.

Wieder verurteilt zu nun insgesamt 25 Jahren Gefängnis folgten sieben Jahre in Isolationshaft, wo er weiterhin heimlich mit Drogen dealte und sich durch viel Körpertraining im Gefängnishof und Kultivierung böser Blicke den Respekt der anderen Gefangenen sicherte.

Nach einiger Zeit saß er in Zelle A5, 34 – eine Fläche von 2,20 Meter mal 3,70 Meter - mit Blick auf den B-Flügel, als er eine Sportverletzung hatte. Seine heutige Ehefrau Fee zeigte ihm daher Entspannungsübungen aus Fernost, allem voran die fünf Tibeter. Als Weiberkram verurteilt begann Gurkasch heimlich in den frühen Morgenstunden das Training von Haltungen und Atmung. Zeit war ja im Überfluss vorhanden. Dies setzte in ihm einen tiefen Prozess in Gang, der dazu führte, dass er sich zum ersten Mal den inneren Gefühlen von Wut und Hass stellen und seine Taten zutiefst betrauern, sogar wie ein Kind heulen, konnte. Seine wichtigste Erkenntnis war, dass Freiheit nur in sich selbst und nicht im Außen erreicht werden kann.

Langsam legte sich auch das männliche Revierverhalten im Knast. Zunächst hatte er die Befürchtung, durch dieses Verhalten zum Underdog zu werden. Umso überraschender war es, dass dies nicht passierte. In ihm stärkte sich der Wunsch, tiefer in sich zu gehen und seine inneren Konflikte aufzulösen. So begann er eine Therapie, engagierte sich in einem Verein, der Kultur in Gefängnisse bringt und übernahm 2001 die Leitung der Gefängnisbibliothek.

Dieter Gurkasch hält eine Lesung über seinen Weg

Sein Wandel vollzog sich weiter, er wurde Vegetarier, was im Knast nicht so leicht ist: Gurkasch musste sich dann immer selbst etwas kochen. Auf der Fensterbank der Bibliothek züchtete er Sprossen. Ahimsa, die Gewaltfreiheit, wurde ein wichtiges Prinzip für ihn. Dadurch nahm er im Knast allmählich eine Außenseiterrolle ein. Nach etlichen Übungen fing er an, etwas längst Verdrängtes wieder zu spüren - sein Herz. Er begann für die Kioskbesitzerin zu beten und empfand zum ersten Mal Reue.

Auch ohne Drogen war er ständig high, süchtig nach Büchern über Kundalini, Liebe, Yoga und Meditation und vertiefte seine Praxis in der Zelle. Stunden um Stunden verbrachte er meditativ im kreuzbeinigen Sitz und ließ allmählich seinen Hass gegen sich selbst und die Welt sowie seine Ausbruchsfantasien los. Nach drei Jahren erfuhr er die Erweckung seiner Kundalini.

2007 gründete er dann eine Yogagruppe im Gefängnis. Seine erste Stunde leitete er einem Vergewaltiger, einem Betrüger, einem Bankräuber und einem Mörder an. Insgesamt unterrichtete er dann bis zur Entlassung ca. 250 Häftlinge.

Auf Grundlage des allgemeinen bundesverfassungsrechtlichen Urteils für Menschenrechte, das die bisherige Regelung zur deutschen Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig erklärte, wurde der Yogi plötzlich und unerwartet am 30.11.2011 in die Freiheit entlassen, der er nur mit einem Bollerwagen persönlicher Sachen gefüllt entgegenging.

Heute wohnt der ehemalige Schwerverbrecher in einer 46-Quadratmeterwohnung in Hamburg Altona - eine blitzblanke, duftende Wohnung mit weißem Teppichboden, Kristallen und Klangschalen sowie einem extra Raum für Yoga. Nicht nur zum Yogi, sondern auch zum gläubigen Christ hat er sich entwickelt und betete lange zu Inge D., der er das Leben genommen hatte.

Als zweiter Vorsitzender des Vereins YuMig (Yoga und Meditation im Gefängnis) möchte er Yoga als niedrigschwelliges Therapieangebot in deutschen Gefängnissen verankern. Er glaubt, wenn er selbst es schaffen konnte, kann jeder andere das auch. Für ihn ist es sein Lebensziel – sein Dharma und Karma. Kathrin Ludwig: Wie aus einem Mörder ein sanfter Yoga-Lehrer wurde 09/2012. Die Welt Yoga gehört hinter Gitter 08/2013. Stuttgarter Zeitung Buchlesung und Vortrag mit Dieter Gurkasch. Yoga Vidya

Häftlinge sind hingebungsvolle Schüler

James Fox tat es als einer der Ersten: er startete ein Projekt, das für einige zunächst zweifelhaft und wenig erfolgsversprechend erschien. Seine Idee war, Gefängnisinsassen Yoga beizubringen. Seit seiner Yogalehrerausbildung hatte er von vorneherein die Idee, Yoga an jene weiterzugeben, für die es am wenigsten zugänglich ist, sei es aus wirtschaftlichen oder psychologischen Gründen. So konzentrierte er sich auf Jugendliche und Häftlinge. Er begann sein Prison Yoga Projekt im härtesten Knast Kaliforniens, in St. Quentin.

Um Yoga in Gefängnissen unterrichten zu dürfen, haben mittlerweile mehr als 400 Yogalehrer seine Ausbildung durchlaufen. Denn einiges ist zu beachten und mit einem geschulten Blickwinkel zu sehen. Beispielsweise ist es für traumatisierte Menschen, was auf Gefangene oft zutrifft, notwendig, dass sie Privatsphäre haben. Sie würden misstrauisch, wenn jemand außerhalb des Sichtfeldes hinter ihnen wäre. Daher werden die Yoga-Matten immer im Kreis und an der Wand entlang angeordnet, nicht wie sonst häufig üblich in Reihen hintereinander. So kann die Konzentration bei sich selbst und dem Unterrichtenden bleiben.

Des Weiteren sollte Knast-Yoga eher bodenständig sein und sich auf den Körper und den Geist konzentrieren. Spirituelle Inhalte sind in diesem Rahmen eher deplatziert oder zumindest verfrüht. Es geht ja erst einmal darum, ein eigenes Körpergefühl zu schaffen, aufzubauen und zu erhalten und mentale Fertigkeiten zu erlangen, welche die automatisierten Denk- und Bewertungsvorgänge durchbrechen. Die Häftlinge lernen, mit ihren Gefühlen wie Trauer, Wut, Hass und Verzweiflung umzugehen, ihre Emotionen und somit ihre aggressiven Impulse besser zu kontrollieren.

Fox beschreibt die Gefangenen als sehr hingebungsvolle Schüler. Da sie nichts mehr haben und gleichzeitig voller Angst und innerem Stress sind, brauchen sie Yoga in seinen Augen viel mehr als die typische gutbürgerliche Hausfrau. Besonders bei traumatisierten Menschen kann Yoga auf einen noch fruchtbareren Boden treffen. Zwar springen auch 10-15 Prozent ab, aber die meisten kann Fox bei der Stange halten. Oftmals sind es jüngere Männer, die die ersten Stunden nicht durchhalten, sei es, weil es ihnen zu sehr als Mädchengymnastik erscheint oder weil sie ahnen, dass es sie mehr berühren könnte, als sie zulassen möchten.

Es mag von außen seltsam aussehen, Gewalttätern und Betrügern eine solche Luxusbehandlung zu erteilen. Aber wenn man sich überlegt, was es bewirkt und welche Personen daraus hervorgehen, dann ist es doch beruhigender, wenn es solche Ex-Häftlinge in die Gesellschaft zurückkehren, die ihre Gefühle und ihren Geist kontrollieren können. Utler, Simone: „Yoga im Knast: Häftlinge sind hingebungsvolle Schüler": Spiegel online

Yoga hilft Inhaftierten (Wissenschaftliche Studie)

In einer zehnwöchigen Studie der Oxford University (England) untersuchten die Psychologen Dr. Amy Bilderbeck und Dr. Miguel Farias anhand von Fragebögen die Vorteile von Yoga bei Inhaftierten mit dem Ergebnis, dass Inhaftierte, die wöchentlich einen 90-minütigen Yogakurs besuchten, Verbesserungen in ihrer Stimmung, eine Reduzierung ihres Stressniveaus und eine Drosselung ihrer Impulsivität erfuhren. Letzteres deutet nicht nur darauf hin, dass Insassen besser mit dem Stress ihrer Gefangenschaft umgehen können, sondern auch darauf, dass Angreifer besser der Neigung widerstehen können, eine weitere Straftat nach ihrer Freilassung zu begehen.

Denn nach Aussage von Sam Settle, dem Vorsitzenden des Prison Phoenix Trust, der Förderung der Studie, kommt es bei beinahe der Hälfte der erwachsenen Gefangenen innerhalb eines Jahres nach ihrer Freilassung zu einer erneuten Inhaftierung. Aus diesem Grund sei es essentiell die zerstörenden Auswirkungen des Gefängnislebens aufzuheben. Diese Studie bestätigt, was Gefangene bereits seit 25 Jahren durchgängig an den Prison Phoenix Trust berichtet haben: Yoga und Meditation hilft ihnen sich besser zu fühlen, bessere Entscheidungen zu fällen und die Fähigkeit des Denkens vor dem Handeln zu entwickeln – alles Voraussetzungen für eine positive, kriminalitätsfreie Lebensführung nach der Rückkehr in die Gesellschaft. Yoga Helps Incarcerated 07/2013. Yoga Journal

Siehe auch

Literatur

  • Dieter Gurkasch: "Leben Reloaded – Wie ich durch Yoga im Knast die Freiheit entdeckte". Kailash Verlag (2013), ISBN 978-3-424-63084-8

Weblinks