Klassische Upanishaden - Die Taittiriya-Upanishad des schwarzen Yajurveda
Quelle:
Klassische Upanishaden
Die Weisheit des Yoga
Auszüge aus dem Werk
„Sechzig Upanishads des Veda“
von Paul Deussen
Originalausgabe F.A. Brockhaus, Leipzig, 1897
Neuauflage B. Kleine Verlag GmbH, Bielefeld, 1980
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I. Die Shikshavalli
Erster Anuvaka
Zum Heil sei Mitra, Varuna , Zum Heile sei uns Aryaman! Zum Heil Indra, Brihaspati, Und Vishnu, der weitschreitende! Verehrung dem Brahman! Verehrung dir, Vayu! Denn du bist das sichtbare Brahman, dich will ich als das sichtbare Brahman bekennen. Ich will reden, was recht ist, ich will reden, was wahr ist. Das möge mir frommen, das möge dem Lehrenden frommen! Es fromme mir! Es fromme dem Lehrenden! Om! Friede! Friede! Friede!
Zweiter Anuvaka
Om! Wir wollen die Shiksha erklären. Laute und Betonung; Quantität (der Vokale) und Ausdruck (namentlich der Konsonanten); Ausgleichung (Saman) und Bindung (der Laute). So viel über das Studium der Shiksha.
Dritter Anuvaka
1. Ruhm sei mit uns! Brahmanenwürde sei mit uns! ? Weiter wollen wir den Geheimsinn (upanishad) der Buchstabenverbindung (samhita) erklären, und zwar an fünf Punkten, in Bezug auf die Welträume, die Weltlichter, die Wissenschaft, die Zeugung und das eigene Selbst. Dies ist, was sie die großen Verbindungen nennen. Jetzt in Bezug auf die Welträume. ? Der Vorderlaut ist die Erde, der Hinterlaut der Himmel, die Bindung der Raum, 2. das Binden der Wind. ? So in Bezug auf die Welträume. Nun in Bezug auf die Weltlichter. ? Der Vorderlaut ist das Feuer, der Hinterlaut die Sonne, die Bindung das (Wolken-) Wasser, das Binden das Blitzfeuer. ? So in Bezug auf die Weltlichter. Nun in Bezug auf die Wissenschaft. ? Der Vorderlaut ist der Lehrer, 3. der Hinterlaut der Schüler, die Bindung die Wissenschaft, das Binden die Belehrung. ? So in Bezug auf die Wissenschaft. Nun in Bezug auf die Zeugung. ? Der Vorderlaut ist die Mutter, der Hinterlaut der Vater, die Bindung das Kind, das Binden die Zeugung. ? So in Bezug auf die Zeugung. 4. Nun in Bezug auf das eigene Selbst. ? Der Vorderlaut ist die untere Kinnlade, der Hinterlaut die obere Kinnlade, die Bindung die Rede, das Binden die Zunge. ? So in Bezug auf das eigene Selbst. Dieses sind die großen Verbindungen. Wer also diese großen Verbindungen erklärt bekommt und weiß, der wird verbunden mit Nachkommenschaft, mit Vieh, mit Brahmanenwürde, mit Nährspeise, mit der Himmelswelt.
Vierter Anuvaka
1. Der allgestaltige Zeugestier der Lieder, Aus Liedern, aus Unsterblichem entsprungen, Indra durch Weisheit möge mich erlösen, Möge ich, o Gott, Träger sein des Unsterblichen! Mein Leib sei rüstig, meine Zunge honigreich, Viel hörend sei mit meinen Ohren ich! Du bist der Schrein, der Brahman einschließt, Mit Weisheit ganz überdeckt. Bewahre in mir, was ich gelernt. 2. Wenn sie herfährt, sich ausbreitend, Langes Weilen bereitend sich, ? Dann werden Kleider und Kühe, Trank und Speise mir stets zu teil, Drum birng sie mir, die Glücksgöttin, Reich an Wolle und Rindern, her! svaha! Möchten die Schüler nach mir fragen! svaha! Viele Schüler zu mir hin fahren! svaha! Schüler den Weg der Forschung wagen! svaha! Selbstbezwingung sich nicht ersparen! svaha! Und Frieden finden im Entsagen! svaha! 3. Möge ich der Ruhm meines Stammes sein! svaha! Möge ich besser als Reichere sein! svaha! Lass mich, o Gott, in dich gehen ein! svaha! Gehe, o Gott, selbst in mich ein! svaha! In dir, dem tausendfach verzweigten Sein, Wasch' ich, o Gott, von Schuld mich rein! svaha! Wie Wasser abgrundwärts stürzen, Monde zum Tagverschlinger Zeit, So lass, o Schöpfer, hereilen Zu mir Schüler von allerwärts! svaha! Du bist meine Zuflucht, Erleuchte mich, geh' in mich ein!
Fünfter Anuvaka
1. Bhur! bhuvah! suvar! so lauten die drei heiligen Ausrufe. Als vierten derselben macht Mahacamasya diesen kund: mahas! das ist Brahman; das ist Atman (das Selbst, der Leib), die anderen Gottheiten sind nur seine Glieder. Bhur ist diese Welt, bhuvah der Luftraum, suvar jene Welt, 2. mahas die Sonne, denn durch die Sonne gedeihen (mahiyante) alle die Welten. Bhur ist das Feuer, bhuvah der Wind, suvar die Sonne, mahas der Mond, denn durch den Mond gedeihen alle die Weltlichter. Bhur sind die Rigverse, bhuvah die Samanlieder, suvar die Yajussprüche, 3. mahas das Brahman, denn durch das Brahman gedeihen alle die Veden. Bhur ist der Aushauch, bhuvah der Einhauch, suvar der Zwischenhauch, mahas die Nahrung, denn durch die Nahrung gedeihen alle die Lebenshauche. Das sind diese viermal vier, jedesmal vier heilige Ausrufe. Wer sie weiß, der weiß das Brahman, dem bringen alle Götter Spende dar.
Sechster Anuvaka
1. Der Raum, der da innen im Herzen ist (Chand. 8,1,1), in dem weilt jener aus Geist bestehende, unsterbliche, goldne Purusha. ? Und das, was zwischen den beiden Gaumenseiten gleichwie eine Zitze herabhängt (das Zäpfchen, uvula), das ist der Ausgangsort des Indra (der zu Brahman ziehenden Seele). ? Und wo sich hier der Saum des Haares (d.h. das Haar von dem Saume aus) auseinanderlegt (am Scheitel), da schiebt er die Schädelhälften des Kopfes beiseite und betritt mit dem Worte bhur das Feuer, mit dem Worte bhuvar den Wind, 2. mit dem Worte suvar die Sonne, mit dem Worte mahas das Brahman. Da erlangt er Autonomie, erlangt er den Geistesherrn; zum Herrn der Rede, Herrn des Auges, Herrn des Ohres, Herrn der Erkenntnis, zu diesem wird er dann, zum Brahman, dessen Leib der (unendliche) Raum, dessen Wesen die Realität, dessen Spielplatz der Lebensodem, dessen Bewusstsein Wonne, dessen Ruhe vollendet, das unsterblich ist. ? Als solches, o Pracinayogya, sollst Du es verehren!
Siebenter Anuvaka
Erde, Luftraum, Himmel, Pole, Zwischenpole, Feuer, Wind, Sonne, Mond, Sterne, Wasser, Kräuter, Bäume, Raum, Selbst, soweit in Bezug auf die Wesen. – Nun in Bezug auf das Selbst: Aushauch, Einhauch, Zwischenhauch, Aufhauch, Allhauch, Auge, Ohr, Manas , Rede, Tastsinn, Haut, Fleisch, Sehne, Knochen, Mark. Dieses in Beziehung zu einander stellend, hat der Rishi gesagt: „Fünfffach, fürwahr, ist diese ganze Welt.“ Durch die Fünfheiten eben gewinnt man sich die Fünfheit.
Achter Anuvaka
Der Laut Om ist das Brahman, der Laut Om ist diese ganze Welt. Wenn man sagt Om, so bedeutet dies ein willfähriges Tun, und auch wenn der (Adhvaryu) spricht: “O! lass den Ruf hören!”, so lässt der (Agnidh) ihn hören. Mit Om singen sie die Samans, mit Om Shom rezitieren sie die Shastras, mit Om ruft der Adhvaryu den Antwortruf, mit Om fordert der Brahman auf, mit Om gibt der (Yajamana) beim Agnihotram seine Einwilligung. Om spricht auch der Brahmane, wenn er (den Veda) rezitieren will: “möge ich das Brahman (das Vedawort) erlangen.” Und er erlangt das Brahman.
Neunter Anuvaka
Rechtschaffenheit und Lernen und Lehren des Veda, Wahrhaftigkeit und Lernen und Lehren des Veda, Askese und Lernen und Lehren des Veda, Bezähmung und Lernen und Lehren des Veda, Beruhigung und Lernen und Lehren des Veda, Feueranlegung und Lernen und Lehren des Veda, Agnihotram und Lernen und Lehren des Veda, Gastfreundlichkeit und Lernen und Lehren des Veda, Leutseligkeit und Lernen und Lehren des Veda, Kinder und Lernen und Lehren des Veda, Ehepflicht und Lernen und Lehren des Veda, Nachkommenschaft und Lernen und Lehren des Veda. Nur Wahrhaftigkeit meint Satyavacas Rathitara. Nur Askese meint Taponitya Paurushishti. Nur Lernen und Lehren des Veda meint Naka Maudgalya, denn dies sei die Askese, ? dies sei die Askese.
Zehnter Anuvaka
Den Lebensbaum belebend ich, ? Mein Ruhm berghoch erhebend sich, ? Wie Sonnensüßtrank höchster Läuterung teilhaft, Ein Kleinod voller Lebenskraft, Voll Weisheit, göttertrankbetaut, ? Dies ist des Trishanku (Lobspruch über das) Vedastudium.
Elfter Anuvaka
1. Nachdem er den Veda mit ihm studiert hat, ermahnt der Lehrer seinen Schüler: I. (a) Sage die Wahrheit, Übe die Pflicht, Vernachlässige nicht das Veda-Studium. II. Nachdem du dem Lehrer die liebe Gabe überreicht hast, sorge, dass der Faden deines Geschelchts nicht reiße. (b) Vernachlässige nicht die Wahrheit, Vernachlässige nicht die Pflicht, Vernachlässige nicht die Gesundheit; Vernachlässige nicht dein Vermögen, Vernachlässige nicht Lernen und Lehren des Veda. 2. (c) Vernachlässige nicht die Pflichten gegen die Götter und Manen, Ehre die Mutter wie einen Gott, Ehre den Vater wie einen Gott, Ehre den Lehrer wie eine Gott, Ehre den Gast wie einen Gott. (d) Die Werke, die untadelig sind, die sollst du üben, keine andern. Was unter uns als guter Wandel gilt, den sollst du einhalten, 3. keinen andern. III. (e) Wir treffen euch wohl zusammen mit Brahmanen, welche höher stehen als wir selbst: vor diesen darfst du nicht eher, als bis sie sich gesetzt haben, aufatmen (zur Ruhe kommen). (f) Du sollst geben mit Glauben, Du sollst nicht geben ohne Glauben, Du sollst geben mit Freudigkeit, Du sollst geben mit Schamhaftigkeit, Du sollst geben mit Furcht, Du sollst geben mit Mitgefühl. (g) Ferner, wenn dich einmal Zweifel überkommt in Betreff einer Handlung oder Zweifel in betreff eines Verhaltens, 4. so siehe, ob nicht daselbst Brahmanen vorhanden sind von richtigem Urteile, geschickt und erprobt, nicht rigorös, aber treu in ihrer Pflicht; wie diese gegen dieselben sich verhalten würden, also sollst du dich in ihr verhalten. (h) Endlich, wenn du mit solchen in Berührung kommst, die bescholten sind, so siehe, ob nicht daselbst Brahmanen vorhanden sind von richtigem Urteile, geschickt und erprobt, nicht rigorös, aber treu in ihrer Pflicht; wie diese gegen dieselben sich verhalten würden, also sollst du dich gegen dieselben verhalten. Das ist die Anweisung (im Vidhi), das ist die Unterweisung (im Arthavada), das ist die Geheimlehre des Veda (der Vedanta), das ist die Anbefehlung (des Acara). Also sollst du es beobachten, – ja, also sollst du alles dies beobachten!
Zwölfter Anuvaka
Zum Heil sei Mitra, Varuna , Zum Heile sei uns Aryaman,. Zum Heil Indra , Brihaspati, Und Vishnu, der weitschreitende. Verehrung dem Brahman! Verehrung dir, Vayu! Denn du bist das sichtbare Brahman, dich habe ich als das sichtbare Brahman bekannt. Ich habe geredet, was recht ist, ich habe geredet, was wahr ist. Das hat mir gefrommt, das hat dem Lehrenden gefrommt. Es frommte mir, es frommte dem Lehrenden. Om! Friede! Friede! Friede!
II. Die Anandavalli
1. Om! Der Brahmanwissende erlangt das Höchste. Darüber ist dieser Vers: Als Realität, als Erkenntnis, als Wonne (Vulgata: als unendlich), Wer so das Brahman kennt, in der Höhle (des Herzens) verborgen und im höchsten Raume, Der erlangt alle Wünsche In Gemeinschaft mit Brahman, dem allweisen. Aus diesem Atman, fürwahr, ist der Äther (Raum) entstanden, aus dem Äther der Wind, aus dem Winde das Feuer, aus dem Feuer das Wasser, aus dem Wasser die Erde, aus der Erde die Pflanzen, aus den Pflanzen die Nahrung, aus der Nahrung der Same, aus dem Samen der Mensch. Dieser Mensch, fürwahr, ist aus Nahrungssaft bestehend (annara-samaya); an ihm ist dieses (hinzeigend) das Haupt, dieses die rechte Seite, dieses die linke Seite, dieses der Rumpf, dieses das Unterteil, das Fundament. Darüber ist auch dieser Vers (freie Shlokas): 2. Aus Nahrung geboren sind die Geschöpfe, Alle, wie sie auf Erden sind, Durch Nahrung haben sie ihr Leben, In diese gehn sie ein zuletzt. Nahrung ist der Wesen ältestes, Drum wird allheilend sie genannt. Alle Nahrung erlangt einer, Der Brahman als die Nahrung ehrt, Nahrung ist der Wesen ältestes, Drum wird allheilend sie genannt. Aus Nahrung entstehn die Wesen, Durch Nahrung wachsen sie weiter, Wesen durch sich, sich durch Wesen, Nährt sie, darum heißt Nahrung sie. Von diesem aus Nahrungssaft bestehenden verschieden, dessen innerer Atman (Selbst), ist der aus Lebenshauch bestehende (Prana maya); mit dem ist jener gefüllt (wie ein Schlauch mit Wind); jener nun ist menschengestaltig, und gemäß seiner Menschengestaltigkeit ist auch dieser menschengestaltig. An ihm ist der Einhauch das Haupt, der Zwischenhauch die rechte Seite, der Aushauch die linke Seite, der Raum (Äther) der Rumpf, die Erde das Unterteil, das Fundament. Darüber ist auch dieser Vers: 3. Dem Lebensodem nachatmen Götter, Auch die Menschen und Tiere all', Odem ist ja der Wesen Leben, Drum wird All-Leben er genannt. Zur vollen Lebensdauer kommt, Wer Brahman als den Odem ehrt, Odem ist ja der Wesen Leben, Drum wird All-Leben er genannt. Bei diesem ist sein (als Leib) verkörpertes Selbst das nämliche wie bei dem vorigen. Von diesem aus Lebenshauch bestehenden verschieden, dessen innerer Atman (Selbst), ist der aus Manas (Vorstellung, Wille, Wunsch) bestehende (manomaya); mit dem ist jener gefüllt; jener nun ist menschengestaltig, und gemäß seiner Menschengestaltigkeit ist auch dieser menschengestaltig. An ihm ist das Yajus das Haupt, die Ric die rechte Seite, das Saman die linke Seite, die Anweisung (d.h. das Brahmanam) der Rumpf, die Atharva- und Angiras-Lieder das Unterteil, das Fundament. Darüber auch dieser Vers: 4. Vor dem die Worte umkehren Und das Denken, nicht findend ihn, Wer dieses Brahmans Wonne kennt, Der fürchtet nun und nimmer sich. Bei diesem ist sein (als Leib) verkörpertes Selbst das nämliche wie bei dem vorigen. Von diesem aus Manas bestehenden verschieden, dessen innerer Atman (Selbst) ist der aus Erkenntnis bestehende (vijnanamaya); mit dem ist jener gefüllt; jener nun ist menschengestaltig, und gemäß seiner Menschengestaltigkeit ist auch dieser menschengestaltig. An ihm ist der Glaube das Haupt, die Gerechtigkeit die rechte Seite, die Wahrheit die linke Seite, die Hingebung (yoga) der Rumpf, die Macht (mahas) das Unterteil, das Fundament. Darüber ist auch dieser Vers:
5. Erkenntnis bringt er als Opfer, Erkenntnis als die Werke dar, Als Erkenntnis alle Götter Ehren Brahman, das älteste. Wer das Brahman als Erkenntnis Weiß und nicht von ihm weichet ab, Der lässt im Leibe die Übel Und erlangt alles, was er wünscht. Bei diesem ist sein (als Leib) verkörpertes Selbst das nämliche wie bei dem vorigen. Von diesem aus Erkenntnis bestehenden verschieden, dessen innerer Atman (Selbst) ist der aus Wonne bestehende (anandamaya); mit dem ist jener gefüllt; jener nun ist menschengestaltig, und gemäß seiner Menschengestaltigkeit ist auch dieser menschengestaltig. An ihm ist Liebes das Haupt, Freude die rechte Seite, Freudigkeit die linke Seite, Wonne der Rumpf, Brahman das Unterteil, das Fundament. Darüber ist auch dieser Vers: 6. Nichtseiend ist der gleichsam nicht, Wer Brahman als nichtseiend weiß; Wer Brahman weiß als Seiendes, Ist dadurch selbst ein Seiender. Bei diesem ist sein (als Leib) verkörpertes Selbst das nämliche wie bei dem vorigen. Da nun entstehen Fragen wie diese: Ob irgend ein Nichtwissender Abscheidend geht in jene Welt? Oder ob wohl der Wissende Abscheidend jene Welt erlangt? Er begehrte: „Ich will vieles sein, will mich fortpflanzen.“. Da übte er Kasteiung. Nachdem er Kasteiung geübt, schuf er diese ganze Welt, was irgend vorhanden ist. Nachdem er sie geschaffen, ging er in dieselbe ein. Nachdem er in sie eingegangen, war er Seiendes und Jenseitiges, Aussprechliches und Unaussprechliches, Gegründetes und Grundloses, Bewusstsein und Unbewusstsein, Realität und Nichtrealität. Als Realität ward er zu allem, was irgend vorhanden ist; denn dieses nennen sie die Realität. Darüber ist auch dieser Vers: 7. Nichtseiend war dies zu Anfang; Aus ihm entstand das Seiende. Es schuf sich selbst wohl aus sich selbst, Daher dies „wohlbeschaffen“ heißt. Was dieses Wohlbeschaffene ist, fürwahr, das ist die Essenz. Denn wenn einer diese Essenz empfängt, so wird er wonnevoll. Denn wer könnte atmen, wer leben, wenn in dem leeren Raume (akashe, in dem Nichts, aus dem die Welt entstanden) nicht jene Wonne wäre. Denn er ist es, der die Wonne schaffet. Denn wenn einer in jenem Unsichtbaren, Unrealen, Unaussprechlichen, Unergründlichen den Frieden, den Standort findet, alsdann ist er zum Frieden gelangt. Wenn aber einer in jenem Zwischenraum, eine Trennung (oder „eine wenn auch kleine Trennung“, zwischen sich als Subjekt und dem Atman als Objekt) annimmt, dann besteht sein Unfriede fort; es ist aber der Unfriede des, der sich weise dünket (indem er Brahman zum Objekt der Erkenntnis macht). Darüber auch dieser Vers:
8. Aus Furcht vor ihm der Wind läutert, Aus Furcht vor ihm die Sonne scheint, Aus Furcht vor ihm eilt hin Agni Und Indra und der Tod zu fünft. Dieses ist die Betrachtung über die Wonne. Gesetzt, es sei ein Jüngling, ein wackerer Jüngling, ein lernbegieriger, der schnellste, kräftigste, stärkste, und ihm gehörte diese ganze Erde mit all ihrem Reichtum, so ist das eine menschliche Wonne. Aber hundert menschliche Wonnen sind eine Wonne der Mensch-Gandharven (Gandharva gewordene Menschen oder Mensch gewordene Gandharvas), ? und eines der schriftgelehrt und frei von Begierde ist. Und hundert Wonnen der Mensch-Gandharven sind eine Wonne der Gott-Gandharven, ? und eines, der schriftgelehrt und frei von Begierde ist. Und hundert Wonnen der Gott-Gandharven sind eine Wonne der Väter, welche die langdauernde Himmelswelt bewohnen, ? und eines der schriftgelehrt und frei von Begierde ist. Und hundert Wonnen der Väter, welche die langdauernde Himmelswelt bewohnen, sind eine Wonne der geborenen Götter („der Götter, die zu Menschen geworden sind“ [Dvivedaganga], oder einfach: der devah pratyaksham, d.h. der Brahmanen?), ? und eines der schriftgelehrt und frei von Begierde ist. Und hundert Wonnen der geborenen Götter sind eine Wonne der Werkgötter, die durch ihr Werk zu den Göttern eingehen, ? und eines der schriftgelehrt und frei von Begierde ist. Und hundert Wonnen der Werkgötter sind eine Wonne der Götter, ? und eines der schriftgelehrt und frei von Begierde ist. Und hundert Wonnen der Götter sind eine Wonne des Indra , ? und eines der schriftgelehrt und frei von Begierde ist. Und hundert Wonnen des Indra sind eine Wonne des Brihaspati, ? und eines der schriftgelehrt und frei von Begierde ist. Und hundert Wonnen des Brihaspati sind eine Wonne von Prajapati, ? und eines der schriftgelehrt und frei von Begierde ist. Und hundert Wonnen des Prajapati sind eine Wonne des Brahman, ? und eines der schriftgelehrt und frei von Begierde ist. Er, der hier im Mensch wohnt, und jener dort in der Sonne, die sind eins. Wer, solches wissend, aus dieser Welt dahinscheidet, der gelangt in jenen aus Nahrungssaft bestehenden Atman, und gelangt in jenen aus Lebenshauch bestehenden Atman, und gelangt in jenen aus Manas bestehenden Atman, und gelangt in jenen aus Erkenntnis bestehenden Atman, und gelangt in jenen aus Wonne bestehenden Atman. Darüber ist auch dieser Vers:
9. Vor dem die Worte umkehren Und das Denken, nicht findend ihn, Wer dieses Brahmans Wonne kennt, Der fürchtet sich vor keinem mehr. Ihn, fürwahr, quälen nicht mehr die Fragen: „Welches Gute habe ich unterlassen?“ ? „Welches Böse habe ich begangen?“ ? Wer, solches wissend, sich von diesen hin zum Atman rettet, der rettet sich zugleich von beiden (Gutem und Bösem) hin zum Atman, ? wer solches weiß. ? So lautet die Upanishad.
III. Die Bhriguvalli
1. Es begab sich, dass Bhrigu Varuni zu seinem Vater Varuna ging und sprach: „Lehre mich, o Ehrwürdiger, das Brahman!“ ? Und er legte ihm dieses vor (was er bisher gelernt hatte): die Nahrung, den Odem, das Auge, das Ohr und das Manas . Er aber sprach zu ihm: „Dasjenige, fürwahr, woraus diese Wesen entstehen, wodurch sie, enstanden, leben, worein sie, dahinscheidend, wieder eingehen, das suche zu erkennen, das ist Brahman.“ Da übte er Tapas (Askese). Nachdem er Tapas geübt, 2. erkannte er: „das Brahman ist die Nahrung. Denn aus der Nahrung entstehen ja diese Wesen, durch die Nahrung, nachdem sie entstanden sind, leben sie, und in der Nahrung gehen sie, dahinscheidend, wieder ein.“ Obwohl er dieses erkannt, ging er wiederum zu seinem Vater Varuna und sprach: „Lehre mich, o Ehrwürdiger, das Brahman!“ ? Der aber sprach zu ihm: „Durch Tapas suche das Brahman zu erkennen; das Brahman ist Tapas.“ ? Da übte er Tapas. Nachdem er Tapas geübt, 3. erkannte er: „das Brahman ist Lebensodem. Denn aus dem Lebensodem entstehen ja diese Wesen, durch den Lebensodem, nachdem sie entstanden sind, leben sie, und in den Lebensodem gehen sie, dahinscheidend, wieder ein.“ Obwohl er dieses erkannt, ging er wiederum zu seinem Vater Varuna und sprach: „Lehre mich, o Ehrwürdiger, das Brahman!“ ? Der aber sprach zu ihm: „Durch Tapas suche das Brahman zu erkennen, das Brahman ist Tapas.“ ? Da übte er Tapas. Nachdem er Tapas geübt, 4. erkannte er: „das Brahman ist Manas . Denn aus dem Manas entstehen ja diese Wesen, durch das Manas , nachdem sie entstanden sind, leben sie, und in das Manas gehen sie, dahinscheidend, wieder ein.“ Obwohl er dieses erkannt, ging er wiederum zu seinem Vater Varuna und sprach: „Lehre mich, o Ehrwürdiger, das Brahman!“ ? Der aber sprach zu ihm: „Durch Tapas suche das Brahman zu erkennen, das Brahman ist Tapas.“ Da übte er Tapas. Nachdem er Tapas geübt,
5. erkannte er: „das Brahman ist Erkenntnis. Denn aus der Erkenntnis entstehen ja diese Wesen, durch die Erkenntnis, nachdem sie entstanden, leben sie, und in die Erkenntnis gehen sie, dahinscheidend, wieder ein.“ Obwohl er dieses erkannt, ging er wiederum zu seinem Vater Varuna und sprach: „Lehre mich, o Ehrwürdiger, das Brahman!“ ? Der aber sprach zu ihm: „Durch Tapas suche das Brahman zu erkennen, das Brahman ist Tapas.“ ? Da übte er Tapas. Nachdem er Tapas geübt, 6. erkannte er: „das Brahman ist Wonne. Denn aus der Wonne entstehen ja diese Wesen, durch die Wonne, nachdem sie entstanden, leben sie, und in die Wonne gehen sie, dahinscheidend, wieder ein.“ Dieses ist die Lehre des Bhrigu, des Sohnes des Varuna , welche in dem höchsten Himmelsraume gegründet ist. Wer solches weiß, der ist gegründet, der wird nahrungsreich, ein Nahrungesser, wird groß an Nachkommenschaft, Vieh und Brahmanenwürde und groß and Ruhm. 7. Seine Maxime ist, die Nahrung nicht zu tadeln. (a) Die Nahrung, fürwahr, ist das Leben, und der Nahrungesser ist der Leib. Der Leib ist in dem Leben gegründet, und das Leben ist in dem Leib gegründet. In dieser Weise ist die Nahrung in der Nahrung gegründet. Wer also die Nahrung in die Nahrung gegründet weiß, der ist gegründet, der wird nahrungsreich, ein Nahrungesser, wird groß an Nachkommenschaft, Vieh und Brahmanenwürde und groß an Ruhm.
8. Seine Maxime ist, die Nahrung nicht zu verschmähen. (b) Die Nahrung, fürwahr, ist das Wasser, und der Nahrungesser ist das Licht. Das Licht ist in dem Wasser gegründet, und das Wasser ist in dem Lichte gegründet. In dieser Weise ist die Nahrung in der Nahrung gegründet. Wer also die Nahrung in die Nahrung gegründet weiß, der ist gegründet, der wird nahrungsreich, ein Nahrungesser, wird groß an Nachkommenschaft, Vieh und Brahmanenwürde und groß an Ruhm. 9. Seine Maxime ist, die Nahrung zu mehren. (c) Die Nahrung, fürwahr, ist die Erde, und der Nahrungesser ist der Raum (Äther). Der Raum ist in der Erde gegründet, und die Erde ist in dem Raume gegründet. In dieser Weise ist die Nahrung in der Nahrung gegründet. Wer also die Nahrung in die Nahrung gegründet weiß, der ist gegründet, der wird nahrungsreich, ein Nahrungesser, wird groß an Nachkommenschaft, Vieh und Brahmanenwürde und groß an Ruhm.
10. Seine Maxime ist, keinen (Gast) in seiner Wohnung abzuweisen. Darum wird er alle Wege reiche Nahrung erlangen, also dass die Leute von ihm sagen: „Dem ist die Nahrung gediehen!“ ? Wahrlich, eben die Nahrung, die (a) jenem zu Anfang Erwähnten gediehen, die wird auch demjenigen zu Anfang gedeihen, ? und die (b) jenem in der Mitte Erwähnten gediehen, die wird auch demjenigen in der Mitte gedeihen, ? und die (c) jenem zu Ende Erwähnten gediehen, die wird auch demjenigen zu Ende gedeihen, der solches weiß. Als Wohlstand wohnt sie (die Nahrung, das Brahman) in der Rede, als Einnahme und Wohlstand in Aushauch und Einhauch, als Wirken in den Händen, als Gehen in den Füßen, als Entleeren im Entleerungsorgan, ? das ist ihre Wiedererkennung im Menschen. Nunmehr die in den Göttern: als Sättigung wohnt sie im Regen, als Gewalt im Blitze, als Pracht im Vieh, als Licht in den Gestirnen, als Fortpflanzung, Unsterbliches, Wonne in dem Zeugungsorgan, als Weltall in dem Raume. Man soll sie (die Nahrung) verehren als die Grundlage, und man wird gegründet sein; man soll sie verehren als die Macht, und man wird mächtig sein; man soll sie verehren als die Ehre (lies mana), und man wird geehrt sein; man soll sie verehren als Neigung, und alle Wünsche werden sich einem neigen; man soll sie verehren als die Zauberformel (Brahman), und man wird zauberreich sein; man soll sie verehren als das Herumsterben um die Zauberformel, und um einen herum werden sterben die hassenden Nebenbuhler, um einen herum die feindseligen Verwandten. Er, der hier im Menschen wohnt, und jener dort in der Sonne, die sind eins. Wer, solches wissend, aus dieser Welt dahinscheidet, der, nachdem er in jenen aus Nahrungssaft bestehenden Atman gelangt ist, und nachdem er in jenen aus Lebenshauch bestehenden Atman gelangt ist, und nachdem er in jenen aus Manas bestehen-den Atman gelangt ist, und nachdem er in jenen aus Erkenntnis bestehenden Atman gelangt ist, und nachdem er in jenen aus Wonne bestehenden Atman gelangt ist, ? durchstreift dann diese Welten, nach Lust sich nährend und nach Lust sich gestaltend, und sitzt da und singt dieses Lied:
O wundervoll! o wundervoll! o wundervoll!
Ich bin Nahrung, ich bin Nahrung, ich bin Nahrung!
Ich bin Nahrungesser, ich bin Nahrungesser, ich bin Nahrungesser!
Ich bin Ruhmkünder, ich bin Ruhmkünder, ich bin Ruhmkünder!
Der Erstgeborene der Weltordnung bin ich,
Schon vor den Göttern, an des Ew'gen Quellpunkt;
Wer mich austeilt, der labt mich eben damit,
Denn ich bin Nahrung, essend den Nahrungesser,
Bin über diese ganze Welt erhaben!
Wie Gold leuchtend ist, wer solches weiß! ? So lautet die Upanishad.