Sukadev Interview Yoga Aktuell September 2005: Unterschied zwischen den Versionen
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Ich lebte 12 Jahre bei Swami Vishnu-devananda. Er erklärte mir einmal, dass er Swami Sivanandas [[Ashram]] und damit die von seinem Meister gegründete Divine Life Society 1957 verlassen und eine eigene Organisation (die „International Sivananda Yoga Vedanta Centers“) gründen musste, da er voller Enthusiasmus und Ideen war, und die anderen viel älteren Schüler Swami Sivanandas diese nicht teilten und ihm keine Möglichkeit gaben, sie weiter zu entfalten. Als Swami Vishnu-devananda Anfang der 90er die Leitung der von ihm gegründeten Sivananda Yoga Centers an seine Nachfolger, zu denen auch ich zunächst gehörte, weitergab, fühlte ich ähnlich: Ich war voller neuer Ideen, und die anderen wollten im Wesentlichen die Tradition fortführen. Hinzu kam etwas anderes: Ich war ein Swami (Mönch), der das Gelübde der Enthaltsamkeit lebte, und spürte, dass dies nicht auf Dauer mein Weg sein würde. Ich bat Swami Vishnu-devananda darum, mich von meinen Gelübden zu entbinden, was er auch tat. Allerdings wurde mir nach einem Jahr klar, dass als Nicht-Swami für mich kein Platz mehr in den Sivananda Yoga Zentren war. So ging ich ein paar Monate nach Indien. Im von Swami Sivananda selbst gegründeten [[Sivananda Ashram Rishikesh]] hatte ich eine sehr starke Vision von Swami Sivananda. Darin verstand ich, dass Swami Sivananda mir die Aufgabe gab, nach Deutschland zurückzukehren, in Frankfurt ein Zentrum zu öffnen, aus dem 5 Jahre später ein erster [[Ashram]] ([[Yoga Seminarhaus]]) und schließlich eine große Yoga Bewegung in Deutschland entstehen würde. Dies erinnerte mich an eine andere machtvolle Vision von Swami Sivananda, die ich 1987 während der 100-Jahr Feier Swami Sivanandas hatte: In dieser Vision hatte Swami Sivananda gezeigt, dass Yoga in der neu entstehenden Weltkultur ein sehr große Bedeutung haben würde, und dass ich eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des Yoga haben würde, allerdings nicht als Mönch. Dass es meine Aufgabe sein würde, Yoga noch stärker mit den humanistisch-demokratischen Ideen des Westens zu verbinden und für andere westliche Ideen öffnen sollte. So gründete ich die Yoga Vidya Zentren mit dem Ziel, einen ganzheitlichen Yoga-Weg zur Entfaltung der ganzen Persönlichkeit zu lehren. Ein Yoga-Weg, der auch andere Elemente anderer Traditionen mit integrieren kann, und in dem der einzelne noch mehr lernt, selbst herauszufinden, was für ihn hilfreich ist. | Ich lebte 12 Jahre bei Swami Vishnu-devananda. Er erklärte mir einmal, dass er Swami Sivanandas [[Ashram]] und damit die von seinem Meister gegründete Divine Life Society 1957 verlassen und eine eigene Organisation (die „International Sivananda Yoga Vedanta Centers“) gründen musste, da er voller Enthusiasmus und Ideen war, und die anderen viel älteren Schüler Swami Sivanandas diese nicht teilten und ihm keine Möglichkeit gaben, sie weiter zu entfalten. Als Swami Vishnu-devananda Anfang der 90er die Leitung der von ihm gegründeten Sivananda Yoga Centers an seine Nachfolger, zu denen auch ich zunächst gehörte, weitergab, fühlte ich ähnlich: Ich war voller neuer Ideen, und die anderen wollten im Wesentlichen die Tradition fortführen. Hinzu kam etwas anderes: Ich war ein Swami (Mönch), der das Gelübde der Enthaltsamkeit lebte, und spürte, dass dies nicht auf Dauer mein Weg sein würde. Ich bat Swami Vishnu-devananda darum, mich von meinen Gelübden zu entbinden, was er auch tat. Allerdings wurde mir nach einem Jahr klar, dass als Nicht-Swami für mich kein Platz mehr in den Sivananda Yoga Zentren war. So ging ich ein paar Monate nach Indien. Im von Swami Sivananda selbst gegründeten [[Sivananda Ashram Rishikesh]] hatte ich eine sehr starke Vision von Swami Sivananda. Darin verstand ich, dass Swami Sivananda mir die Aufgabe gab, nach Deutschland zurückzukehren, in Frankfurt ein Zentrum zu öffnen, aus dem 5 Jahre später ein erster [[Ashram]] ([[Yoga Seminarhaus]]) und schließlich eine große Yoga Bewegung in Deutschland entstehen würde. Dies erinnerte mich an eine andere machtvolle Vision von Swami Sivananda, die ich 1987 während der 100-Jahr Feier Swami Sivanandas hatte: In dieser Vision hatte Swami Sivananda gezeigt, dass Yoga in der neu entstehenden Weltkultur ein sehr große Bedeutung haben würde, und dass ich eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des Yoga haben würde, allerdings nicht als Mönch. Dass es meine Aufgabe sein würde, Yoga noch stärker mit den humanistisch-demokratischen Ideen des Westens zu verbinden und für andere westliche Ideen öffnen sollte. So gründete ich die Yoga Vidya Zentren mit dem Ziel, einen ganzheitlichen Yoga-Weg zur Entfaltung der ganzen Persönlichkeit zu lehren. Ein Yoga-Weg, der auch andere Elemente anderer Traditionen mit integrieren kann, und in dem der einzelne noch mehr lernt, selbst herauszufinden, was für ihn hilfreich ist. | ||
Inzwischen ist Yoga Vidya Deutschlands größte Yoga-Bewegung geworden. Wir bilden über die Hälfte aller in Deutschland ausgebildeten Yogalehrer aus. In den 40 Yoga Vidya Stadtzentren (2005)und den 2 Yoga Vidya Seminarhäusern sind 200 Menschen vollzeitig tätig, und viele Hundert ehrenamtliche Mithelfer. Dies brachte auch die Notwendigkeit, andere Entscheidungsstrukturen und Lebensstile für die Mitarbeiter zu entwickeln. Ich fühlte, dass ich eine Alternative zu den in Indiens Guru-orientierten Ashrams und auch in den Sivananda Zentren üblichen autoritären Strukturen entwickeln wollte. Inzwischen funktionieren wir als demokratische Gemeinschaft: Wir haben bestimmte für alle Mitarbeiter gültigen Prinzipien. In den Seminarhäusern haben wir wöchentliche Mitarbeiter Besprechungen, wo alle wichtigen Entscheidungen per Mehrheitsentscheidungen gefällt werden. Ein Mal im Jahr treffen sich die Mitarbeiter aller Yoga Vidya Seminarhäuser und Zentren. Dann können übergeordnete Entscheidungen gefällt werden. Ich spüre, dass Swami Sivananda auf diese Weise momentan besonders stark wirkt. In vielerlei Hinsicht gehen wir einen Mittelweg: Wir stehen in einer bestimmten Tradition, ermöglichen es aber dem Einzelnen, auch andere spirituelle Wege zu integrieren. Als Gründer und Leiter bestimme ich doch einiges, kann jedoch auch bei Entscheidungen überstimmt werden. Die meisten Mitarbeiter haben Partner bzw. Familie mit Kindern, wohnen aber in der Gemeinschaft. Die Mitarbeiter haben Sozialversicherung und Gehalt, dessen Höhe aber ehe ein Taschengeld ist. Wir leben einen spirituellen Yoga, lassen aber jeden Kursteilnehmer sich so entfalten, wie der Teilnehmer es für sich spürt. Wir fühlen, dass Swami Sivananda uns führt, glauben aber, dass wir selbst herausfinden müssen, was er von uns will und uns dabei immer wieder irren können. Wir versuchen viele Ideen zu integrieren, müssen dabei aber immer wieder aufpassen, dass wir uns dabei nicht selbst verlieren. So ist die Entwicklung von Yoga Vidya für mich ein großes Abenteuer, welches eine große Dynamik entfaltet. | Inzwischen ist Yoga Vidya Deutschlands größte Yoga-Bewegung geworden. Wir bilden über die Hälfte aller in Deutschland ausgebildeten Yogalehrer aus. In den 40 Yoga Vidya Stadtzentren (2005)und den 2 Yoga Vidya Seminarhäusern sind 200 Menschen vollzeitig tätig, und viele Hundert ehrenamtliche Mithelfer. Dies brachte auch die Notwendigkeit, andere Entscheidungsstrukturen und Lebensstile für die Mitarbeiter zu entwickeln. Ich fühlte, dass ich eine Alternative zu den in Indiens Guru-orientierten Ashrams und auch in den Sivananda Zentren üblichen autoritären Strukturen entwickeln wollte. Inzwischen funktionieren wir als demokratische Gemeinschaft: Wir haben bestimmte für alle Mitarbeiter gültigen Prinzipien. In den Seminarhäusern haben wir wöchentliche Mitarbeiter Besprechungen, wo alle wichtigen Entscheidungen per Mehrheitsentscheidungen gefällt werden. Ein Mal im Jahr treffen sich die Mitarbeiter aller Yoga Vidya Seminarhäuser und Zentren. Dann können übergeordnete Entscheidungen gefällt werden. Ich spüre, dass Swami Sivananda auf diese Weise momentan besonders stark wirkt. In vielerlei Hinsicht gehen wir einen Mittelweg: Wir stehen in einer bestimmten Tradition, ermöglichen es aber dem Einzelnen, auch andere spirituelle Wege zu integrieren. Als Gründer und Leiter bestimme ich doch einiges, kann jedoch auch bei Entscheidungen überstimmt werden. Die meisten Mitarbeiter haben Partner bzw. Familie mit [https://www.yoga-vidya.de/kinderyoga/ Kindern], wohnen aber in der Gemeinschaft. Die Mitarbeiter haben Sozialversicherung und Gehalt, dessen Höhe aber ehe ein Taschengeld ist. Wir leben einen spirituellen Yoga, lassen aber jeden Kursteilnehmer sich so entfalten, wie der Teilnehmer es für sich spürt. Wir fühlen, dass Swami Sivananda uns führt, glauben aber, dass wir selbst herausfinden müssen, was er von uns will und uns dabei immer wieder irren können. Wir versuchen viele Ideen zu integrieren, müssen dabei aber immer wieder aufpassen, dass wir uns dabei nicht selbst verlieren. So ist die Entwicklung von Yoga Vidya für mich ein großes Abenteuer, welches eine große Dynamik entfaltet. | ||
===Welche Schwerpunkte setzt Yoga Vidya heute im Vergleich zu den anderen Sivananda Zentren?=== | ===Welche Schwerpunkte setzt Yoga Vidya heute im Vergleich zu den anderen Sivananda Zentren?=== |
Version vom 21. März 2015, 10:07 Uhr
In der Ausgabe September 2005 erschien in der Zeitschrift Yoga Aktuell ein Interview mit Sukadev Volker Bretz. Es ging dabei sehr viel über Swami Sivananda, über Sivananda Yoga, über die Entwicklung von Yoga Vidya und das Verhältnis von Yoga Vidya zu Sivananda Yoga. Hier das vollständige Interview, das in dieser Yoga Zeitschrift erschienen ist:
Was macht Sivananda Yoga in Ihren Augen aus?
Durch welche Besonderheiten unterscheidet sich diese Tradition von anderen?
Swami Sivananda war einer der großen Yoga Meister des 20. Jahrhunderts, welche die Renaissance des Yoga einleiteten. Swami Sivananda lehrte einen ganzheitlichen Yoga. Swami Vivekananda, der erste indische Yoga-Meister, der auch im Westen lehrte, sah die 4 Yoga-Wege Jnana Yoga, Bhakti Yoga, Raja Yoga und Karma Yoga als separate Yoga-Wege für verschiedene Menschen mit verschiedenem Temperament. Swami Sivananda betonte, dass es zwar manche Menschen gibt, die mit einem Yoga-Weg allein zur Verwirklichung kommen. Für die Mehrheit der Menschen sei es jedoch am sinnvollsten, die verschiedenen Yoga-Wege zu integrieren. Swami Sivananda war auch der erste große Yoga-Meister des 20. Jahrhunderts, der Hatha Yoga als Teil des ganzheitlichen Yoga sah. Als Arzt sah er die großen Möglichkeiten des Hatha Yoga. So lehrte Swami Sivananda Asanas, Entspannung und gesunde Ernährung für den physischen Körper, Pranayama für den Energiekörper, Bhakti Yoga für die Transformation der Emotionen, Raja Yoga für die Herrschaft über das Denken, Jnana Yoga für die Entwicklung der Unterscheidungskraft und Karma Yoga als selbstlosen Dienst und Handlung ohne Verhaftung für Überwindung des Egos und Spiritualisierung aller Handlungen.
Swami Sivananda integrierte dabei klassische, traditionelle, bewährte Yogalehren mit moderner Weitergabe. Er sprach englisch, nutzte als Lehrmedien Fotos, Schallplatten und Filme und richtete eine Druckerpresse und ein Filmstudio im Ashram ein. In früheren Jahren musste man 12 Jahre bei einem Meister leben, um Yoga zu lernen. Swami Sivananda entwickelte 7-tägige „Sadhana Intensiv-Wochen“ und 3-monatige „Yoga Vedanta Courses“, um auch Berufstätigen das Lernen von Yoga zu ermöglichen. Heute klingt es selbstverständlich, dass man Yoga in Kursen und Seminaren lernt. Zu Swami Sivanandas Zeiten war das revolutionär. Swami Sivananda überwand dabei die Grenzen von Kasten, Rassen und Religionen. In seinem Ashram wurden (im Unterschied zu manchen anderen Ashrams), die Kastengrenzen aufgehoben, Westler wurden aufgenommen und auch Frauen wurden zur Übung auch von Hatha Yoga animiert. Durch die Jahrhunderte lange moslemische Fremdherrschaft war für Frauen Hatha Yoga verpönt. Swami Sivananda drehte Yoga-Filme, in denen er zeigte, wie Frauen Yoga übten.
Eine Besonderheit von Swami Sivananda war auch, dass er dem Übenden die Verantwortung für seinen Weg gab. Wenn Menschen Swami Sivananda fragten, was sie genau praktizieren sollten, antwortete er oft: „Führe ein spirituelles Tagebuch. Sei regelmäßig in deinen Praktiken. Die innere Stimme und der gesunde Menschenverstand werden dich führen“. Für ihn war es okay, wenn manche im Yoga mehr die gesundheitlichen und manche mehr die spirituellen Wirkungen suchten.
Swami Sivananda war dabei offen für andere Traditionen. Er meinte, dass verschiedene religiöse und spirituelle Traditionen sich gegenseitig befruchten können. Er selbst bezog sich in seinen Büchern natürlich auf die klassischen Yoga-Schriften, aber auch auf die Bibel, die Lehren Buddhas, der Jains und westlicher Philosophen. Er integrierte westliche Schulmedizin mit Ayurveda, Hatha Yoga und westlicher Naturheilkunde.
Die Offenheit Swami Sivanandas und die Bandbreite seiner Lehren kann man auch in seinen Schülern und Nachfolgeorganisationen sehen, die inzwischen ganz unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Es gibt die Divine Life Society, die vor allem in Indien, aber auch in 20 anderen Ländern Zentren hat, und die größtenteils stärkere Betonung bei Jnana und Bhakti Yoga hat. Swami Vishnu-devananda, der 1957 von Swami Sivananda auf Vortragsreise nach Amerika geschickt wurde, blieb gleich in Amerika, machte sich selbständig und gründete seine eigene Organisation, die er „International Sivananda Yoga Vedanta Centers“ nannte. Swami Satyananda gründete die Bihar School of Yoga mit den Satyananda Yoga Zentren, Swami Satchidananda „Integral Yoga“, Swami Sivananda Radha den Yasodhara Ashram. Anders seiner Schüler gründeten keine eigenen größeren Yoga Organisationen, aber waren als Yogalehrer sehr einflussreich: Swami Venkatesananda (hauptsächlich in Afrika, Australien und Europa), Swami Jyotirmayananda (in Florida), Swami Brahmananda, Andre van Lysebeth, Boris Sacharow. Und in der nächsten Generation gibt es auch weitere Entwicklungen, wie Yogi Haris Sampoorna Yoga und eben uns, Yoga Vidya. Das macht für mich einen großen Teil der Besonderheit Swami Sivanandas aus: Eine große Dynamik des selbstlosen Dienens und der Weitergabe des Yoga, welche sich auf verschiedene Weise manifestiert, und immer wieder neue Kanäle findet, um Yoga auf immer wieder neue Weise weiterzugeben. Das ist vielleicht die Essenz von Swami Sivananda: Klassisches, ganzheitliches Yoga, welches in immer wieder neuen Formen weitergegeben und praktiziert wird.
Was war es, das Sie persönlich diesen Weg hat einschlagen lassen?
Nach einer Sinnkrise las ich 1979 viele Bücher über die verschiedenen spirituellen Wege. Sivananda Yoga faszinierte mich, weil es ein ganzheitlicher, offener Weg war, weil es authentische Meister in der Tradition gab, die das lebten, worüber sie schrieben. So begann ich 1980 ernsthaft zu praktizieren. 1981 traf ich einen Schüler Swami Sivanandas, nämlich Swami Vishnu-devananda, der mein Lehrer wurde. Die inneren spirituellen Erfahrungen bestärkten mich in meinem Weg.
Gibt es im Sivananda Yoga auch Aspekte, mit denen Sie sich schwer tun?
Sivananda Yoga ist sehr umfassend. Es ist frei von Fanatismus. Jeder Mensch muss sehen, wie er seinen Yoga Weg geht. Daher gibt es im Sivananda Yoga keine Aspekte, mit denen ich mich schwer tue. Anders verhält es sich mit den Lehren einzelner seiner Schüler. Da gibt es sehr wohl auch Entwicklungen, mit denen ich mich schwer tue.
Was würden Sie als wichtigstes Anliegen oder Ziel im Sivananda Yoga hervorheben?
Ganzheitliche Entwicklung des Menschen, wobei ein großer Stellenwert auf Eigenverantwortung gelegt wird.
Wie geht man in den Yoga Vidya Zentren auf diejenigen zu, die zunächst nur an der Asana-Praxis interessiert sind
Wird in den Hatha Yoga Klassen darauf hingewirkt, ihnen auch die anderen Dimensionen des Yoga näher zu bringen, oder wird dies weitgehend der Eigeninitiative überlassen?
In den Yoga Vidya Zentren sehen wir 3 Aspekte der Yoga Praxis:
- Harmonie, Entspannung, Gesundheit
- Entwicklung und Entfaltung der eigenen Fähigkeiten
- Vereinigung mit dem wahren Selbst, dem Göttlichen in uns und überall
Es spielt dabei keine Rolle, aus welchem Grund man Hatha Yoga übt. Die Praxis des Yoga hilft auf allen 3 Gebieten. In den Yoga Vidya Stadtzentren wie auch bei den Tausenden bei Yoga Vidya ausgebildeten Lehrern ist es sicherlich so, dass die meisten Kursteilnehmenden hauptsächlich an Gesundheit, Entspannung und Wohlbefinden interessiert sind, und das natürlich auch in den Yogakursen finden. Wenn ein Mensch sich entspannt, findet er Zugang zu den Tiefen seiner Seele. Und wenn da ein tiefes spirituelles Bedürfnis ist, das bisher zugeschüttet, unterdrückt oder einfach verspannt zugeschnürt war, so macht sich dieses bemerkbar. So geschieht es bei vielen Menschen von selbst, dass sie, obgleich sie zunächst aus körperlichen Gründen kommen, an den anderen Dimensionen des Yoga Interesse finden. Dies kann man aber nicht verallgemeinern. Es hängt davon ab, was in der Tiefe des Menschen angelegt ist.
Das ist vielleicht eine Besonderheit des Hatha Yoga in der Tradition von Swami Sivananda und besonders bei Yoga Vidya: Indem die Asanas länger gehalten werden, größere Betonung auf die Bauchatmung und Entspannung gelegt wird als in manchen anderen Traditionen, kommt der Teilnehmer allein schon durch die Hatha Yoga Praxis immer mehr zu sich selbst. Ein Yoga Vidya Lehrer ist dabei nur Begleiter dieses Prozesses und lässt geschehen, was von innen angelegt ist. So beobachten wir: Manche Kursteilnehmer hören von selbst anstrengungslos mit dem Rauchen auf, manche stellen ihre Ernährung um, manche bekommen den Mut, ihre Karriere intensiver zu verfolgen, manche geben ihrer Partnerschaft stärkeren Stellenwert, und manche … finden den spirituellen Weg.
Anders als in den Stadtzentren und den Yoga-Kursen der meisten bei Yoga Vidya ausgebildeten Yogalehrern ist es in den Yoga Vidya Seminarhäusern im Westerwald und im Teutoburger Wald: Da drückt der Tagesablauf den ganzheitlichen Yoga aus. Um 7-8h ist Meditation und Mantra-Singen, 9.15-11h ist Yogastunde, abends 20-21h Meditation und Mantra-Singen. Die Ernährung ist eine vegetarische Vollwertkost. Um diesen Grundrhythmus sind all unsere Seminare und Ausbildungen aufgebaut. Wir haben Einführungsseminare mit diversen Vorträgen, Intensiv-Praxis-Wochen mit viel Praxis, diverse Ausbildungen mit viel Didaktik. Jeder übt Meditation, Asanas, Pranayama, Tiefenentspannung und Mantra-Singen. Wer in ein Yoga Vidya Seminarhaus kommt und über Nacht bleibt, lernt also notwendigerweise verschiedenste Aspekte und Dimensionen des Yoga kennen und ausprobieren und kann nachher entscheiden, was davon für ihn hilfreich ist.
Kommen neue Schüler oft mit völlig falschen Vorstellungen von Sivananda Yoga in die Zentren? (Wenn ja, mit welchen?)
Da die wenigsten Anfänger viel über die verschiedenen Yoga Richtungen wirklich gehört haben, gibt es kaum solche, die mit falschen Vorstellungen kommen…
Schweigsamkeit und Charismatisches Auftreten
Swami Sivananda forderte seine Anhänger zu einem nicht ganz einfachen Balance-Akt auf: Einerseits riet er ihnen zu Schweigsamkeit und Bescheidenheit, andererseits empfahl er ihnen, sich in der Öffentlichkeit durch charismatisches Auftreten Gehör zu verschaffen, um dadurch den Yoga und das Bemühen um spirituelle Erfüllung zu verbreiten. Wie handhaben Sie persönlich dieses Zwiegespann aus intro- und extrovertiertem Verhalten?
Leben ist Rhythmus: Es gibt Tag und Nacht, Sommer und Winter. So gibt es Phasen, wo man sich zurückziehen sollte, um neue Kraft zu tanken, und Phasen, in denen man aktiv nach außen geht, um anderen zu helfen und zu dienen. Als Yogalehrer gilt: Je mehr man selbst praktiziert, umso mehr kann man andere dazu inspirieren, selbst zu praktizieren. So sorge ich dafür, dass ich selbst ausreichend Zeit für meine Praktiken finde. Dann habe ich die Kraft, um andere zu unterrichten. Und wenn man alles als Dienst tut, verschmelzen beide Aspekte.
Verzerrungen vermeiden
Versuchen Sie, Verzerrungen im öffentlichen Bild von Yoga wie der teilweise vorherrschenden Reduktion auf körperliche Aspekte durch entsprechende Öffentlichkeitsarbeit entgegenzuwirken? Oder belassen Sie es dabei, dem einzelnen in den Zentren und durch die bestehenden Publikationen Gelegenheit zu bieten, den ganzen Weg kennen zu lernen?
Ich sehe in der zunehmenden Popularität des Yoga, die sich ja auf die Betonung der körperlichen und damit auch wissenschaftlich nachweisbaren Aspekte gründet, einen großen Vorteil: Da Yoga immer populärer wird, gilt man nicht mehr als Exot oder Außenseiter, wenn man es praktiziert. Und bei allem, was populär ist, gibt es einige Menschen, die in die Tiefe gehen. So sehe ich keine Notwendigkeit, dem öffentlichen Bild entgegenzuwirken. Wenn bewusste Hatha Yoga Praxis die Herzen der Menschen öffnet, werden die, welche innerlich dafür eine Ader haben, auch für die anderen Yoga Aspekte sich interessieren.
Mit welcher Zielsetzung haben Sie die Yoga Vidya Zentren ins Leben gerufen?
Und was war ausschlaggebend dafür, innerhalb der Sivananda Tradition eine neue Bewegung zu gründen anstatt Ihre Anregungen in die Arbeit der schon zuvor bestehenden Sivananda Zentren zu integrieren?
Ich lebte 12 Jahre bei Swami Vishnu-devananda. Er erklärte mir einmal, dass er Swami Sivanandas Ashram und damit die von seinem Meister gegründete Divine Life Society 1957 verlassen und eine eigene Organisation (die „International Sivananda Yoga Vedanta Centers“) gründen musste, da er voller Enthusiasmus und Ideen war, und die anderen viel älteren Schüler Swami Sivanandas diese nicht teilten und ihm keine Möglichkeit gaben, sie weiter zu entfalten. Als Swami Vishnu-devananda Anfang der 90er die Leitung der von ihm gegründeten Sivananda Yoga Centers an seine Nachfolger, zu denen auch ich zunächst gehörte, weitergab, fühlte ich ähnlich: Ich war voller neuer Ideen, und die anderen wollten im Wesentlichen die Tradition fortführen. Hinzu kam etwas anderes: Ich war ein Swami (Mönch), der das Gelübde der Enthaltsamkeit lebte, und spürte, dass dies nicht auf Dauer mein Weg sein würde. Ich bat Swami Vishnu-devananda darum, mich von meinen Gelübden zu entbinden, was er auch tat. Allerdings wurde mir nach einem Jahr klar, dass als Nicht-Swami für mich kein Platz mehr in den Sivananda Yoga Zentren war. So ging ich ein paar Monate nach Indien. Im von Swami Sivananda selbst gegründeten Sivananda Ashram Rishikesh hatte ich eine sehr starke Vision von Swami Sivananda. Darin verstand ich, dass Swami Sivananda mir die Aufgabe gab, nach Deutschland zurückzukehren, in Frankfurt ein Zentrum zu öffnen, aus dem 5 Jahre später ein erster Ashram (Yoga Seminarhaus) und schließlich eine große Yoga Bewegung in Deutschland entstehen würde. Dies erinnerte mich an eine andere machtvolle Vision von Swami Sivananda, die ich 1987 während der 100-Jahr Feier Swami Sivanandas hatte: In dieser Vision hatte Swami Sivananda gezeigt, dass Yoga in der neu entstehenden Weltkultur ein sehr große Bedeutung haben würde, und dass ich eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des Yoga haben würde, allerdings nicht als Mönch. Dass es meine Aufgabe sein würde, Yoga noch stärker mit den humanistisch-demokratischen Ideen des Westens zu verbinden und für andere westliche Ideen öffnen sollte. So gründete ich die Yoga Vidya Zentren mit dem Ziel, einen ganzheitlichen Yoga-Weg zur Entfaltung der ganzen Persönlichkeit zu lehren. Ein Yoga-Weg, der auch andere Elemente anderer Traditionen mit integrieren kann, und in dem der einzelne noch mehr lernt, selbst herauszufinden, was für ihn hilfreich ist.
Inzwischen ist Yoga Vidya Deutschlands größte Yoga-Bewegung geworden. Wir bilden über die Hälfte aller in Deutschland ausgebildeten Yogalehrer aus. In den 40 Yoga Vidya Stadtzentren (2005)und den 2 Yoga Vidya Seminarhäusern sind 200 Menschen vollzeitig tätig, und viele Hundert ehrenamtliche Mithelfer. Dies brachte auch die Notwendigkeit, andere Entscheidungsstrukturen und Lebensstile für die Mitarbeiter zu entwickeln. Ich fühlte, dass ich eine Alternative zu den in Indiens Guru-orientierten Ashrams und auch in den Sivananda Zentren üblichen autoritären Strukturen entwickeln wollte. Inzwischen funktionieren wir als demokratische Gemeinschaft: Wir haben bestimmte für alle Mitarbeiter gültigen Prinzipien. In den Seminarhäusern haben wir wöchentliche Mitarbeiter Besprechungen, wo alle wichtigen Entscheidungen per Mehrheitsentscheidungen gefällt werden. Ein Mal im Jahr treffen sich die Mitarbeiter aller Yoga Vidya Seminarhäuser und Zentren. Dann können übergeordnete Entscheidungen gefällt werden. Ich spüre, dass Swami Sivananda auf diese Weise momentan besonders stark wirkt. In vielerlei Hinsicht gehen wir einen Mittelweg: Wir stehen in einer bestimmten Tradition, ermöglichen es aber dem Einzelnen, auch andere spirituelle Wege zu integrieren. Als Gründer und Leiter bestimme ich doch einiges, kann jedoch auch bei Entscheidungen überstimmt werden. Die meisten Mitarbeiter haben Partner bzw. Familie mit Kindern, wohnen aber in der Gemeinschaft. Die Mitarbeiter haben Sozialversicherung und Gehalt, dessen Höhe aber ehe ein Taschengeld ist. Wir leben einen spirituellen Yoga, lassen aber jeden Kursteilnehmer sich so entfalten, wie der Teilnehmer es für sich spürt. Wir fühlen, dass Swami Sivananda uns führt, glauben aber, dass wir selbst herausfinden müssen, was er von uns will und uns dabei immer wieder irren können. Wir versuchen viele Ideen zu integrieren, müssen dabei aber immer wieder aufpassen, dass wir uns dabei nicht selbst verlieren. So ist die Entwicklung von Yoga Vidya für mich ein großes Abenteuer, welches eine große Dynamik entfaltet.
Welche Schwerpunkte setzt Yoga Vidya heute im Vergleich zu den anderen Sivananda Zentren?
Im Vergleich zu den von Swami Vishnu-devananda gegründeten Zentren lehrt Yoga Vidya ein nochmals viel breiteres Spektrum: Wir haben sowohl besonders sanftes Yoga (sanftes Rückenyoga und Seniorenyoga) als auch intensivere Seminare (Kundalini Intensiv-Seminare, 300-minütige Yogastunden, Meditation Schweige-Retreats).
Für das Yoga Vidya Hatha Yoga habe ich die klassische Rishikeshreihe auf verschiedene Weisen fortentwickelt: Es gibt unter anderem
- die Yoga Vidya Fitness-Reihe (mit 15 Minuten die Kondition fördernden Sonnengebeten, isometrischen Kraftübungen, Flexibilität- und Koordinationsfördernde Koordinationsübungen)
- die Yoga Vidya Bodywork-Reihe (mit Partner-Übungen zur schnellen Entwicklung der Flexibilität)
- Die Yoga Vidya Energie-Reihe mit längerem Halten der Stellungen und Chakra-Konzentration
- Die Yoga Vidya Bhakti-Reihe: Asanas als Ganzkörper-Gottesverehrung
- Die Yoga Vidya Reihe für geistige Entwicklung mit Affirmationen
- Die Yoga Vidya Schwangeren-Yoga-Reihe
- Spezielle Anpassungen an Dosha-Ungleichgewichte: Die Yoga Vidya Vata-Reihe, Pitta-Reihe und Kapha-Reihe
- Yoga Vidya Reihen für Menschen mit verschiedensten körperlichen Gebrechen bis zur Yoga Vidya Reihe im Rollstuhl
Wir verbinden Yoga mit vielen anderen Systemen: Yoga und Ayurveda, Yoga und Thai Massage, Yoga und Moor, …
Ein besonderer Schwerpunkt bei uns sind Aus- und Weiterbildungen. Die Yogalehrer Aus- und Weiterbildungen sind sicher unsere „Kernkompetenz“. Da haben wir sowohl kurze 4-Wochen-Intensiv-Ausbildungen als auch sehr langjährige Ausbildungen („Yoga Vidya Visharada Studiengang; dauert typischerweise mindestens 5 Jahre und hat über 1280 Unterrichtseinheiten). Auch therapeutisches Yoga entwickeln wir weiter und geben Ausbildungen auf dem Gebiet: Wir bieten sowohl Yoga Heilpraktiker Ausbildungen als auch Yoga Psychotherapie Ausbildungen an. Wir haben Ausbildungen, die mit Yoga verwandt sind (Atemkursleiter Ausbildung, Entspannungskursleiter Ausbildung etc.) und solche, die mit Yoga sinnvoll verbunden werden können (Tibetische Klangmassage, Sterbegleiter Ausbildung etc.). Als ein neuer Schwerpunkt entwickelt sich in den letzten Jahren Ayurveda. Es gibt immer mehr Ayurveda Seminare und Wellness Kuren. Am Ende des Jahres wird ein Ayurveda Arzt bei uns auch die Ayurveda Medizin einführen. Und mit über 50 Ayurveda Ausbildungen 2006 dürfte es bei Yoga Vidya mehr Ayurveda Ausbildungen geben als in jedem anderen deutschen Institut.
Aber inmitten des breiten Spektrums bleibt eine gemeinsame Essenz: Bei den Yogastunden der Grundaufbau mit Anfangsentspannung, Atemübungen, dynamische Übungen (Sonnengebet oder Abwandlungen), statische Asanas, Tiefenentspannung). Bei allen Seminaren und Ausbildungen bei Yoga Vidya ein besonderer Tagesablauf, der immer auch praktische Yogastunden, Meditation und Mantra-Singen enthält. So setzen wir ein Prinzip von Swami Sivananda um: Einheit in Verschiedenheit.
Kundalini Yoga
Einer der Aspekte, auf die sich Yoga Vidya spezialisiert hat, ist auch Kundalini Yoga. Die Zuordnung dieser Form des Yoga ist in den Sivananda Yoga-Schriften nicht ganz eindeutig – mal wird sie als Unterform des Raja Yoga bezeichnet, dann wieder als eigenständige Yogaform aufgeführt, die mittels der Praktiken des Hatha Yoga oder auch anderer Yogawege ausgeübt wird. Wie sehen Sie die Zuordnung und wo würden Sie Kundalini Yoga innerhalb der fünf Punkte Swami Vishnu-devanandas ansiedeln?
Swami Vishnu-devananda hatte Kundalini Yoga gerne als Aspekt von Raja Yoga gesehen, und Hatha Yoga als Teil von Kundalini Yoga.
Ich sehe Hatha Yoga und Kundalini Yoga als eigenständige Yoga-Wege und komme so auf 6 Yoga-Wege: Hatha Yoga entwickelt den physischen Körper, Kundalini Yoga den Energiekörper, Bhakti Yoga die Emotionen und Gefühle, Raja Yoga den Geist, Jnana Yoga den Intellekt, und Karma Yoga bringt alles ins tägliche Leben. Die fünf Punkte von Swami Vishnu-devananda (richtige Körperübung, richtige Ernährung, richtige Entspannung, richtige Atmung, positives Denken) beziehen sich ja zunächst auf das Hatha Yoga. Unter dem Punkt „positives Denken“ kann man dann natürlich auch die anderen Yogas subsumieren. Kundalini Yoga geht, wie Bhakti und Karma Yoga, über die 5 Punkte hinaus. Bei den Kundalini Yoga Seminaren bei Yoga Vidya werden im Kundalini Yoga länger gehaltene Asanas mit speziellen Konzentrationstechniken verbunden mit intensiven fortgeschrittenen Atemübungen, Mudras, besonderen Mantras und speziellen Meditationstechniken. Dies führt bei den Teilnehmern sehr schnell zu sehr intensiven Erfahrungen. Allerdings ist Kundalini Yoga keinesfalls für alle: Er ist den Mutigeren vorbehalten, die bereit zu intensiver Praxis und intensiver Erfahrung sind.
Gibt es einen Austausch mit den Sivananda Zentren? Schließlich arbeitet man gemeinsam im Dienste derselben guten Sache.
Wir haben einen sehr regen Austausch mit dem Sivananda Ashram in Rishikesh: Wir veranstalten regelmäßig Gruppenreisen dahin, die langjährigen Mitarbeiter besuchen den Sivananda Ashram regelmäßig, und Swamis vom Sivananda Ashram besuchen unsere Yoga Vidya Zentren. Mit den von Swami Vishnu-devananda gegründeten Zentren haben wir auch einige Kontakte. Ich besuche ab und zu mal Swami Durgananda, die Leiterin der europäischen Sivananda Yoga Vedanta Zentren, manche der Yoga Vidya Lehrer und Mitarbeiter gehen in die Sivananda Ashrams, und manche der Sivananda Yoga Lehrer machen bei uns Weiterbildungen. Ich würde mich allerdings freuen, wenn der Austausch sich noch intensivieren ließe.
Guru und Schüler
Swami Sivananda war zwar einerseits sehr bestrebt, seine Überzeugungen und Lehren an die Menschen heranzutragen, und suchte durchaus aktiv, Schüler zu gewinnen, andererseits lehnte er – obwohl er imposantes öffentliches Auftreten wie gesagt in gewisser Weise für sachdienlich hielt – Wirbel um seine Person ab. Von Bezeichnungen wie „Avatar“ wollte er nichts hören, und obgleich er seine Schüler sehr fürsorglich und eingehend betreute, sah er sich eigenen Aussagen zufolge selbst immer noch mehr als Schüler denn als Lehrer. Was impliziert dies für die Guru-Konzeption in der Sivananda Tradition?
Swami Sivananda betonte, dass in jedem Menschen das gleiche Selbst ist. Wenn man einen Meister zu hoch hebt, ist das nur die Entschuldigung, sich selbst weniger um Vollkommenheit bemühen zu müssen.
Swami Sivananda und seine Schüler wie Swami Vishnu-devananda und Swami Chidananda haben nie einen Kult um ihre Person geduldet. Vielmehr haben sie andere dazu aufgefordert, an sich selbst zu arbeiten. Swami Vishnu-devananda antwortete gerne auf die Frage, was wir ihm zum Geburtstag schenken könnten: „Wenn ihr intensiv Yoga praktiziert, ist dies das beste Geschenk.“ Trotzdem fühle ich, dass Swami Sivanandas Kraft und Energie weiter wirkt und seine Schüler führt und inspiriert. Und immer wenn ich wichtige Fragen habe, richte ich mich an ihn. Manchmal lässt er mich eine Weile zappeln… Aber nachher merke ich, dass er alles richtig arrangiert.
Immer wieder betonte Swami Sivananda die Wichtigkeit des Dienstes an den Mitmenschen. Inwiefern wird dieser Aspekt in der Arbeit Ihrer Zentren berücksichtigt?
Wir sehen das Unterrichten als Dienst an der Menschheit. Und wenn wir viele Menschen zu Yogalehrern ausbilden, können diese anderen durch Yoga Unterricht helfen. Daneben haben wir das Brahma Vidya Hilfswerk gegründet, mit dem in Indien den Ärmsten der Armen geholfen werden soll.
Gesundheit im Yoga
In den Schriften Swami Sivanandas wir häufig der Gesichtspunkt Gesundheit erwähnt: Der studierte Mediziner legte offenbar viel Wert darauf, auf eine stabile körperliche Verfassung Acht zu geben. Dazu gehörte zum Beispiel, dass er in seinen Ashrams stets auf eine gute Ernährung bedacht war. Auch nennt Swami Vishnu-devananda die richtige Ernährung als einen der fünf Eckpfeiler yogischer Lebensweise. Spielt dies in den Yoga Vidya Häusern und Zentren eher eine Nebenrolle oder wird diesem Punkt im Angebot mehr Bedeutung beigemessen als dies in anderen Schulen der Fall ist?
In den Yoga Vidya Seminarhäusern wird großer Wert auf gesunde, sattwige (reine) Vollwertkost gelegt, die auch nach ayurvedischen Gesichtspunkten hergerichtet wird. Wir haben vermutlich eines der üppigsten vegetarischen Büffets, da im Rahmen der vegetarischen Vollwertkost für jeden etwas dabei sein soll: Den Lakto-Vegetarier, den Veganen, den Rohköstler, den Pitta-, den Vata- und den Kapha-Menschen. Wir empfehlen allen von uns ausgebildeten Yogalehrern, vegetarisch zu essen, auf Alkohol und Tabak zu verzichten. So können sie eine besondere Ausstrahlung entwickeln, die für das Unterrichten von Yoga so wichtig ist. Was der einzelne Yogaschüler zuhause isst, bleibt diesem natürlich selbst überlassen.
Stellenwert der Entspannung
Wie sieht es mit dem Gesichtspunkt der Entspannung aus, die in Swami Vishnu-devanandas Zusammenfassung einen eigenständigen Punkt darstellt: Fällt Entspannen – etwas vermeintlich ja so Einfaches – den Menschen gerade heutzutage schwer?
Entspannen fällt den Menschen deshalb so schwer, weil sie es nicht üben. Mit leicht erlernbarer regelmäßiger Tiefenentspannung und Kurzentspannung im Alltag kann jeder Mensch sehr schnell lernen, Spannungen loszulassen. Allerdings gibt es verschiedene Menschentypen. Es ist wichtig, verschiedene Entspannungstechniken auszuprobieren, um zu finden, was einem besonders liegt. So gibt es am Ende jeder Yoga Vidya Stunde eine Tiefenentspannungstechnik, die aber von Mal zu Mal differiert.
Positives Denken
„Positives Denken“ ist in der letzten Zeit zu einem Schlagwort geworden. Im Sivananda Yoga ist es jedoch keine inhaltsleere Floskel. Welche Seminarangebote gibt es dazu und wie wird darin positives Denken konkret gefördert?
Bei Yoga Vidya gibt es verschiedene Seminarangebote auf dem Gebiet des positiven Denkens: Solche, die Yoga Techniken mit westlicher Psychologie und Selbsterfahrung verbinden, und solche, die über Raja und Jnana Yoga in die Tiefe des spirituellen Lebens führen. Letztlich enthält Yoga ja die positivste Lebenseinstellung: Der Mensch ist in seinem Inneren göttlich. Alle Ereignisse des Lebens sind Lernaufgaben, anhand derer wir wachsen können und lernen, diese innere Göttlichkeit immer mehr auszudrücken. Und zum spirituellen Wachstum gehören auch menschliche Emotionen wie Trauer und Ärger, an denen wir aber nicht zu lange hängen sollten, sondern viel mehr immer weiter zur Liebe fortschreiten können.
Swami Vishnu-devanandas Friedensmissionen
Swami Vishnu-devananda setzte mit seinen Friedensmissionen wie dem Flug über die Berliner Mauer auch politische Zeichen. Gibt es – abgesehen von den positiven Auswirkungen auf die politische Lage, die man sich vom Mehren der Spiritualität in der Welt erhoffen kann – im Sivananda Yoga auch heute noch direktere politische Bestrebungen bzw. würden Sie diese in der Zukunft wieder für denkbar halten?
Wie oben gesagt, ist die Sivananda Bewegung sehr breit gefächert. Ich kann hier nur für Yoga Vidya sprechen: wir haben momentan kein besonders geartetes politisches Engagement. Ich empfehle Menschen durchaus, sich politisch für das Gemeinwesen zu engagieren. Wie das der Einzelne tut, ist ihm aber selbst überlassen. Als Ganzes sehen wir unsere Aufgabe mehr darin, die Kräfte des Friedens durch Lichtgedanken und Friedensmantras zu stärken, sowie Menschen zum inneren Frieden zu verhelfen.
Einheit der Religionen
Swami Sivananda hob oft hervor, dass letztlich alle Religionen eins sind, und berief 1953 das Weltparlament der Religionen ein. Inwiefern wird sein Bemühen um gelebte Einheit der Glaubensrichtungen fortgesetzt?
Einer der Schüler Swami Sivanandas, Swami Nityananda, gründete in Delhi die „Foundation for Religious Harmony“, in der bekannte Führer der verschiedenen Religionen Indiens tätig sind. Die Divine Life Society pflegt regelmäßigen Kontakt zu Repräsentanten verschiedener Religionen. Im Haus Yoga Vidya Bad Meinberg pflegen wir guten Kontakt zum örtlichen Pfarrer, und zu unseren jährlich stattfindenden Musik Festival kommen Musiker verschiedenster religiöser Traditionen. Eines habe ich im Dialog mit insbesondere christlichen Religionen festgestellt: Im Yoga haben wir kein Problem mit der Einheit aller Religionen. Allerdings bestehen andere Religionen wie manche christlichen Konfessionen darauf, dass es doch wichtige Unterschiede gibt. Ich halte daher das Respektieren auch der Ansicht, dass es Unterschiede gibt, für sehr wichtig im spirituellen Dialog.
Haben Sie einen Lieblingsaphorismus von Swami Sivananda oder einem anderem Meister Ihrer Tradition?
Swami Sivanandas Lieblingsaussprüche waren: „Diene, liebe, gib, reinige, meditiere und verwirkliche“ und „ein Gramm Praxis sind besser als Tonnen von Theorie“.
Siehe auch
- Sukadev Volker Bretz
- Swami Sivananda
- Sivananda Yoga
- Sukadev Interview Yoga Zeit aus dem Jahr 2012
- Sukadev Interview Zeitschrift Eve, Mai 2012
- Sukadev Interview Wirtschaft und Weiterbildung, 02 2012
- Sukadev Interview Kölner Stadtanzeiger, Mai 2012: "Sonnengruß statt Kurschatten"
- Interview mit Sukadev, Stadtanzeiger Horn-Bad Meinberg Juni 2009, aus Anlass des Kaufs der Klinik am Park/Artrium Vita/Projekt Shanti
- Sukadev Interview Stadtanzeiger Horn-Bad Meinberg September 2008