Prinzip

Aus Yogawiki
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Das Brahman als kosmisches Prinzip

Artikel aus dem Buch „Das System des Vedanta“ von Paul Deussen, Elibron Classics, 2. Auflage, 1906, S. 156 - 162.

Das Brahman als Weltschöpfer

Die Schöpfertätigkeit des Brahman ist eine der Grundvorstellungen über dasselbe, welche in den meisten von uns zu besprechenden Vedatexten wiederkehrt. Indem wir auf diese sowie auf die Untersuchungen in unserm kosmologischen Teile (Kap. XVI. XVII) verweisen, handeln wir hier nur einige Stellen ab, die sich anderswo nicht gut unterbringen lassen. Dieselben lehren uns Brahman von zwei Seiten kennen: a) als das die räumliche Ausdehnung der Wesen Bedingende (Brahman als Akasha, d. i. „Äther" oder „Raum", worüber später), — b) als dasjenige, welches dieses räumlich Ausgedehnte erfüllt und beseelt (Brahman als Prana, d. i. „Odem" oder „Leben").

a) Brahman als Akasha, nach 1,1,22 und 1,3,41

1. In der Chandogya Up. 1,8-9 findet sich ein Dialog zwischen drei Männern, in welchem nach dem Ausgangspunkte (Gati) geforscht wird, auf welchen das Saman (Gesang) zurückgehe. Das Saman, so heißt es im Verlaufe desselben, gehe zurück auf den Ton, der Ton auf den Odem, der Odem auf die Nahrung, die Nahrung auf das Wasser, das Wasser auf die himmlische Welt, diese aber habe als ihre Grundlage die irdische Welt. Aber auch die irdische Welt sei endlich und gehe zurück auf den Äther (oder Raum).

Denn der Äther ist es, aus dem alle diese Wesen hervorgehen, und in welchen sie wieder untergehen, der Äther ist „älter als sie alle, der Äther ist das höchste Ziel. Dieser "Allervortrefflichste ist der Udgitha [Gesang des Saman], er ist der Unendliche."

Wenn es auch am nächsten liege, so bemerkt Shankara zu 1,1, 22, bei dem Worte Äther an das so benannte Element zu denken, so passe doch nicht auf dieses, sondern nur auf das Brahman was hier vom Äther ausgesagt werde (S. 136,5). Denn wenn auch die übrigen Wesen (Elemente) zunächst und unmittelbar aus dem Ätherelemente hervorgegangen seien, so heiße es doch hier, "alle Wesen", also auch der Äther, entstünden aus demjenigen und gingen zurück in das, was hier, wie häufig in der Schrift, bildlich der Äther genannt werde, nämlich das Brahman (S. 130). Auch könne nur dieses unter dem Ältesten verstanden werden (S. 136,11), nach der Schrift, welche es (Chand. 3,14,3) älter (größer) als die Erde, älter als den Luftraum, älter als den Himmel, älter „als diese Welten" nenne; und nur Brahman sei auch das höchste Ziel (S. 136,14), nach den Worten (Brih. 3,9,28, wo Shankara mit den Madhyandinas Rater liest):

"Brahman ist Wonne und Erkenntnis, des Opferspenders höchstes Ziel. Und des der absteht und erkennt."

2. Gegen Ende der Chandogya Up. (8,14) findet sich ein merkwürdiger Spruch (vielleicht ein Segen für den ausscheidenden Schüler), welcher lautet:

„Der Äther ist es, welcher die Namen und Gestalten auseinanderdehnt; worin diese beiden sind [oder: was in diesen beiden ist], das ist das Brahman, das ist das Unsterbliche, das ist die Seele. Ich gehe fort zur Halle des Herrn der Schöpfung, zu seinem Hause [ich trete ein in die Welt]; ich bin die Zierde der Brahmanen, die Zierde der Krieger, die Zierde der Ansiedler; zur Zierde bin nachfolgend ich gelangt; nicht möge ich, der Zierden Zier, eingehen in das Graue, ohne Zähne, das ohne Zähne, Graue, Schleimige [in den Mutterschoß zu neuer Geburt; oder: ins Greisenalter?]."

Auch an dieser Stelle ist, nach Shankara zu 1,3,41, unter dem Äther das Brahman zu verstehen, hauptsächlich, weil er von den Namen und Gestalten unterschieden wird, diese aber alles Erschaffene, alles was nicht Brahman selbst ist, in sich begreifen (S. 329,7).

b) Brahman als Prana, nach 1,1,23

Zwischen den beiden großen Upanishaden, Brihadaranyaka, welche Studierenden des (weißen) Yajurveda, und Chandogya, welche solchen des Samaveda als Textbuch dient, bemerkt man vielfache, oft wörtliche Übereinstimmung, daneben aber gewisse Züge einer durchgehenden Polemik, welche sich unter anderm darin zeigt, dass Lehrer, welche in der einen Upanishad als oberste Autorität dastehen, in der andern eine untergeordnete Stellung einnehmen. So z. B. Ushasta, der Abkömmling des Cakra, dessen Wissen in Brih. 3,4 hinter das des Yajnavalkya zurücktritt (vgl. oben S. 153), während er in Chand. 1,10-11, allerdings unter dem Namen Ushasti, die erste Rolle spielt.

In der Legende, die hier von ihm erzählt wird, erscheint er als gänzlich verarmt und bei aller Armut noch stolz, indem er bei einem Reichen Speise erbettelt, den dazu gebotenen Trank aber zurückweist, weil er Wasser zum Trinken auch ohne Betteln sich verschaffen könne. Weiter wird von ihm erzählt, wie er sich zu einem Opfer begibt und die dazu bestellten Priester durch seine Fragen in Verlegenheit setzt. Der das Opfer veranstaltende König wird auf ihn aufmerksam, und nachdem er seinen Namen gehört, überträgt er auf ihn die Funktionen der andern Priester. Jetzt ist an diesen die Reihe, den Ushasti zu examinieren, und die erste Frage in diesem Kolloquium lautet: "Welches ist die Gottheit, auf die sich der Prastava (die Introduktion zum Gesange des Saman) bezieht?" — Hierauf antwortet Ushasti (Chand. 1,11,5) :

„Es ist das Leben (oder der Odem, Prana); denn alle diese Wesen gehen in das Leben ein und zum Leben (Pranam, besser wohl: Pranad, aus dem Leben) entspringen sie."

Hier ist, nach Shankara, unter dem Leben nicht etwa die Lebenskraft zu verstehen, in welche, nach Shatap. 10,3,3,6, die Organe im Schlafe eingehen, und aus dem sie beim Erwachen wieder geboren werden, sondern das Brahman, weil nach den Textesworten nicht nur die Organe, sondern alle Wesen aus ihm hervorgehen und in dasselbe zurückkehren (S. 140,10); und wenn man einwenden wollte, dass die andern beiden Antworten des Ushasti, als welche „die Sonne" und „die Nahrung" erfolgen, neben Brahman nicht passen (S. 139,13), so ist zu erwidern, dass das auch gar nicht nötig ist (S. 141,5).

Brahman als Weltregierer

a) Nach 1,3,39

In der Kathaka Upanishad (6,1) wird die Welt mit dem Ashvattha, dem indischen Feigenbaume, verglichen, dessen viele Zweige den wandernden Seelen, und dessen eine Wurzel dem einen Brahman im Himmel entsprechen. Als Wesen dieses Weltganzen aber wird das Brahman bezeichnet, auf dem alle Welten beruhen, und welches sie als Lebenshauch (Prana) durchdringt und regiert:

Die Wurzel hoch und niederwarts die Zweige,
Von alters leer steht dieser Feigenbaum: —
Dies eben ist das Reine, dies das Brahman,
Dies eben heißet das Unsterbliche.
Auf dieses lehnen sich die Welten alle.
Und dieses überschreitet keine je.
Wahrlich dieses [die Welt] ist das [das Brahman]!
Das Leben ist's, in dem die ganze Welt,
Was immer ist, entsprungen, zitternd geht;
Gar furchtbar ist es, ein gezückter Blitzstrahl,
Wer dieses weiß, dem wird Unsterblichkeit.
Aus Furcht vor diesem brennt das Feuer, aus Furcht vor ihm die Sonne brennt,
Aus Furcht vor diesem rennen Indra und Vayu und der Tod zu fünft.

An dieser Stelle, sagt Shankara, sei unter dem Leben (oder Hauch, Prana) nicht der fünffache Lebensodem (Kap. XXVII, 4) oder der Wind zu verstehen, sondern das Brahman, wie aus dem Zusammenhang erhelle (S. 34,7). Auf dieses allein passe die Stelle von dem Zittern der ganzen Welt (S. 325,2) sowie das Wort vom Blitzstrahle; denn gleichwie der Mensch denkt: „der gezückte Blitzstrahl könnte mein Haupt treffen, wenn ich seine [Indras?] Gebote nicht erfülle", und von dieser „[und ähnlicher] Furcht gezwungen den Befehl eines Königs usw. vollzieht, so vollzieht diese ganze Welt, das Feuer, der Wind, die Sonne usw. aus Furcht vor dem Brahman mit Notwendigkeit die ihr zukommende Verrichtung" (S. 325,11). Auch sei es, so fährt Shankara fort, nur die Erkenntnis des Brahman, durch welche uns die Unsterblichkeit werde (S. 326,2), denn so sage die Schrift (Shvet. 3,8 = Vaj. S. 31,18; vgl. Taitt. ar. 3,13,1) :

Wer ihn erkannt hat, übersteigt den Tod,
Nicht gibt es einen andern Weg zum Gehen.

Wie die letzten Worte zeigen, haben wir unter Unsterblichkeit (Amritatvam) bei den Indern nicht sowohl den okzidentalischen Begriff einer Unzerstörbarkeit durch den Tod zu verstehen, als vielmehr die Befreiung von der Notwendigkeit, wieder und immer wieder zu sterben.

b) Nach 1,2,18-20

In der Brihadaranyaka Upanishad wird Yajnavalkya von Uddalaka, dem Sohne des Aruna (dem Vater und Belehrer des Shvetaketu, in Chand. VI, vgl. Kap. XX, 2), gefragt nach „dem innern Lenker (Antaryamin), der diese Welt und die „andere Welt und alle Wesen innerlich regiert", und antwortet darauf (Brih. 3,7,3) :

„Der, in der Erde wohnend, von der Erde verschieden ist, den die Erde nicht kennt, dessen Leib die Erde ist, der die Erde innerlich regiert, der ist deine Seele, dein innerer Lenker, dein Unsterbliches."

Dasselbe, was hier von der Erde gesagt ist, wird weiter, unter stereotyper Wiederkehr derselben Formel, übertragen auf das Wasser, das Feuer, den Luftraum, den Wind, den Himmel, die Sonne, die Himmelsgegenden, Mond und Sterne, den Äther, die Finsternis, das Licht; sodann auf alle Wesen; sodann auf den Odem, die Rede, das Auge, das Ohr, den Verstand, die Haut, die Erkenntnis [nach der Kanva-, „das Selbst" nach der Madhyandina-Rezension] und den Samen. — Zum Schlusse heißt es (3,7,23):

„Er ist sehend, nicht gesehen, hörend, nioht gehört, verstehend, nicht verstanden, erkennend, nicht erkannt; nicht gibt es außer ihm einen Sehenden, einen Hörenden, einen Verstehenden, einen Erkennenden; er ist deine Seele, dein innerer Lenker, dein Unsterbliches; — was von ihm verschieden, das ist leidvoll."

Hier ist, wie Shankara zeigt, unter dem „innern Lenker" der höchste Atman zu verstehen; denn seine Eigenschaft ist es, alles Entstandene von innen heraus zu regieren, wozu er die Macht hat, weil er die Ursache von allem Entstandenen ist (S. 195,13), und wobei er sich der Organe der betreffenden Wesen bedient (S. 196, 7). Dass er von den Wesen verschieden ist, geht daraus hervor, dass diese ihn nicht kennen; denn sich selbst kennen die Wesen, indem z. B. die Gottheit Erde weiß: „Ich bin die Erde" (S. 196,4).

An die Urmaterie der Sankhyas ist nicht zu denken, weil auf diese zwar passt, dass er „nicht gesehen" usw., nicht aber, dass er „sehend" usw. genannt wird (S. 197,5). — Ebenso wenig kann die individuelle Seele gemeint sein, weil diese unter dem von ihm Regierten mit aufgezählt wird an der Stelle, wo die Kanvaas „die Erkenntnis", die Madhyandinas „das Selbst" lesen. Beides bedeutet die individuelle Seele (S. 198,7). Übrigens ist die Unterscheidung zwischen Brahman und der individuellen Seele nicht im höchsten Sinne real, sondern nur das Werk der Avidya, welche die höchste Seele mittels der Bestimmungen (Upadhi) als individuelle Seele auffasst (S. 199,5), und auf welcher die Scheidung von Subjekt und Objekt, die empirischen Erkenntnismittel, der Samsara und der vedische Gesetzeskanon beruhen (S. 199,9). In Wahrheit gibt es nur eine innere Seele und nicht zwei (S. 199,7).

Brahman als Weltvernichter, nach 1,2,9-10

In der Kathaka-Upanishad heißt es (2,24-25):

Nicht wer nicht ablässt von der Freveltat,
Nicht wer unruhig ist und ungesammelt,
Nicht wer im Herzen ohne Frieden ist,
Kann durch Erkenntnis jenen Geist erlangen,
Der Krieger und Brahmanen isst wie Brot.
Das mit des Todes Brühe er begießt; —
Wer ist der Mann, der weiß, wo dieser ist?

Von den drei Gegenständen, sagt Shankara, über welche die Kathaka Upanishad handelt, dem Feuer, der individuellen und der höchsten Seele, kann hier unter dem, der isst, nur die letztere verstanden werden. Allerdings frisst auch das Feuer; allerdings heißt es von der individuellen Seele (Mund. 3,1,1): „Der eine isst die süße Beere", und die folgenden Worte „der andre schaut, nicht essend, zu", beziehen sich auf die höchste Seele (vgl. darüber S. 184); aber dies ist von dem (Genuss der Frucht der Werke zu verstehen, welcher nur der individuellen, nicht der höchsten Seele zukommt. (S. 178;13). An unserer Stelle hingegen ist von dem Verschlingen alles Beweglichen [[[Mensch]]en und Tiere] und Unbeweglichen [[[Pflanze]]n] die Rede, wofür Brahmanen und Krieger, als das Edelste, beispielshalber angeführt werden (S. 178,11). Dieses Verschlingen alles Lebendigen, nachdem es mit der Brühe des Todes übergossen worden, kommt nur dem Brahman in seiner Eigenschaft als Weltvernichter zu (S. 1711,7).

Siehe auch

Literatur

  • Vedanta für Anfänger von Swami Sivananda
  • Vedanta - Der Ozean der Weisheit von Swami Vivekananda
  • Paul Deussen: Das System des Vedanta, Elibron Classics, 2. Auflage, 1906.
  • Soami Divyanand: Vedamrit - Die Botschaft der Veden. ISBN 3-926696-03-6 (Übersetzung der Veden auf Deutsch, Bd. 1); ISBN 3-926696-13-3 (Bd. 2); ISBN 3-926696-26-5 (Bd. 3)
  • Wilfried Huchzermeyer: Die heiligen Schriften Indiens - Geschichte der Sanskrit-Literatur.(edition-sawitri.de) ISBN 3-931172-22-8
  • Moritz Winternitz: Geschichte der Indischen Literatur, Leipzig, 1905 - 1922, Vol. I - III. Reprint in englischer Übersetzung: Maurice Winternitz: History of Indian Literatur, Motilal Barnarsidass, Delhi, 1985, Vol I - III
  • Aurobindo: Das Geheimnis des Veda, 2. Auflage 1997, Hinder + Deelmann, ISBN 3-873481-65-0
  • Lokamanya Bâl Gangâdhar Tilak: Orion ou Recherches sur l'Antiquité des Védas, Milan, Éditions Archè, 1989

Weblinks

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