Selbstliebe
Selbstliebe (Sanskrit: स्व्āर्थपरत्ā Svārthaparatā) ist die Liebe zu sich selbst. Selbstliebe ist das das Sichselbstannehmen, Selbstannahme. Selbstliebe ist verbunden mit Selbstachtung, Selbstvertrauen und Selbstwert. Selbstliebe im Vedanta Sinn ist die Liebe zu seinem wahren Selbst, zum Atman. Im Karma Yoga ist Selbstliebe die Überzeugung, dass man der richtige Mensch am richtigen Ort zur richtigen Zeit ist, um die Aufgaben zu erledigen, die einem das Schicksal bringt. Übertriebene Selbstliebe in unreifer Form kann aber auch Narzistische Liebe sein. Amor Sui, die übertriebene und egoistische Eigenliebe, gilt als eine der Todsünden im Katholizismus.
Selbstliebe als Grundlage von aller Liebe
Liebe ist das Grundgefühl, etwas und jemanden zu mögen. Die Grundlage jeder Form von Liebe ist die Selbstliebe. Die Selbstliebe hat, vom Yoga betrachtet, mehrere Aspekte:
- Dein wahres Selbst, dein tiefstes Ich, ist eins mit dem Göttlichen. Tief in dir ist alles Gute. Hier ist Selbstliebe eins mit der Gottesliebe
- Alles in dir ist ursprünglich sinnvoll und liebenswert. Lerne geschickt damit umzugehen
- Du hast die richtigen Fähigkeiten für deine anstehenden Aufgaben
- In dir schlummern noch riesige Möglichkeiten
- Alles ist Schöpfung Gottes, auch du in deinen relativen Aspekten, mit deinen scheinbaren Schwächen und Unzulänglichkeiten
Jeder der Yoga Wege bzw. Yoga Arten hilft dir, Selbstliebe zu entwickeln:
Selbstliebe im Raja Yoga
Raja Yoga ist der Psychologische Yoga. Hier einige Empfehlungen aus dem Raja Yoga zur Selbstliebe:
Jede Neigung in dir, jede Emotion, ist ursprünglich sinnvoll. Auch Ängste, Wut, Selbstzweifel etc. haben ihren ursprünglichen Sinn. Es gilt, die verschiedenen Anteile in dir würdigen und steuern zu lernen. Hier ist Selbstliebe eine Form der Selbstakzeptanz als Grundlage der persönlichen Weiterentwicklung. Insbesondere Raja Yoga, der königliche Yoga, empfiehlt, dass du lernst, dich als König, als Herrscher über all deine inneren Anteile anzusehen. Ein guter König geht mit allen Bewohnern seines Königreichs liebevoll und geschickt um, sorgt dafür, dass sie alle haben, was sie brauchen, und sich gut weiterentwickeln. So kannst du dich selbst etablieren als Raja, als König. Du kannst die verschiedenen Anteile, Fähigkeiten und Neigungen, als wohlmeinende Mitarbeiter ansehen. Es gilt, diese inneren Anteile zu sehen, zu würdigen, zu lieben. Dann gilt es, dass du dich nicht abhängig machst, dich nicht beherrschen lässt von einem Aspekt, sondern eigenverantwortliche Entscheidungen triffst, und auch die inneren Anteile weiter entwickelst bzw. sich weiter entwickeln lässt
Selbstliebe im Karma Yoga
Karma Yoga ist der Yoga des geschickten Handelns, der Yoga des uneigennützigen Dienens, des verhaftungslosen Wirkens. Hier einige Aussagen aus dem Karma Yoga zur Selbstliebe:
Karma, das Schicksal, schickt dir genau die Aufgaben, für die du die richtigen Fähigkeiten hast. Wenn es jemand anderes gäbe, der besser für deine anstehenden Aufgaben wäre, dann hätte das Schicksal diese Aufgabe jemand anderem gegeben. Deine Schwächen und Stärken sind genau so, dass alle, die in einer bestimmten Situation sind, genau die richtigen Erfahrungen machen können. Hier ist Selbstliebe das Vertrauen in dich Selbst, Selbstvertrauen, Schicksalsvertrauen und Gottvertrauen. Selbstliebe ist auch hier die Grundlage der persönlichen Weiterentwicklung
Selbstliebe im Jnana Yoga
Jnana Yoga ist der Yoga der Erkenntnis, der Yoga der Einheit (Advaita). Aus dem Gedanken der Einheit kommen folgende Aussage zur Selbstliebe:
Vom Standpunkt von Advaita Vedanta ist alles göttlichen Ursprungs (Sarvam Khalvidam Brahman). Daher ist alles liebenswert. Selbstliebe, Nächstenliebe, Naturliebe sind alles Ausdruck der Liebe zur höheren Wirklichkeit, Brahman. Da alles Brahman ist, kann man durch die Liebe Brahman erfahren. Selbstliebe ist eine Grundlage für Atma Jnana bzw. Brahma Jnana - für die höchste Erkenntnis
Selbstliebe im Bhakti Yoga
Bhakti Yoga ist der Yoga der Gottesliebe. Zur Selbstliebe gibt es folgende Aussagen aus diesem Yoga:
Vom Standpunkt von Bhakti Yoga ist alles eine Schöpfung Gottes. Die Welt, die Natur, der eigene Körper, die eigene Persönlichkeit, die eigenen Fähigkeiten. Wenn Gott gewollt hätte, dass man jemand anderes wäre bzw. andere Fähigkeiten hätte, dann hätte er sie einem gegeben. Hier ist Selbstliebe Ausdruck von Gottvertrauen.
Selbstliebe und Kundalini Yoga
Kundalini Yoga ist der Yoga der Energie. Vom Standpunkt des Kundalini Yoga aus hast du ungeahnte Fähigkeiten und Möglichkeiten in dir. Die Shakti, die Kosmische Energie, ist in dir. Statt dich zu ärgern über deine Unzulänglichkeit, habe Vertrauen in deine Fähigkeiten. Selbstliebe ist hier das Vertrauen in die Göttliche Mutter in dir, die sich zu gegebener Zeit in dir auf die Weise manifestieren wird, die gut für dich, deine Mitmenschen und alle Beteiligten ist. Übe spirituelle Praktiken, aktiviere deine Lebensenergie, dein Prana. Übe posivitve Affirmationen. Bete. Die Kosmische Energie, die Kundalini, wird zu gegebener Zeit in dir erwachen und in dir und durch dich immer mehr wirken. Selbstliebe ist auch hier Gottesvertrauen, Schicksalsvertrauen und Ausdruck der Liebe zur Kosmischen Energie, zu einer höheren Intelligenz, die auch in dir wirksam ist.
Selbstliebe und Hatha Yoga
Hatha Yoga ist der Yoga der Körperübung. Hatha Yoga ist der einfachste und wirkungsvollste Yoga, um Selbstliebe zu entwickeln. Denn in dieser physischen Welt nimmt der Mensch zunächst mal seinen Körper wahr. Selbstliebe ist zunächst die Liebe zu seinem eigenen Körper. Gerade in der westlichen Gesellschaft haben Menschen häufig ein negatives Körperbild. Durch die Darstellung von scheinbar perfekten Körpern in Werbung, auf Zeitschriften, im Internet, im Fernsehen, sieht man, dass der eigene Körper nicht so perfekt erscheint - und das ist das Gegenteil von Selbstliebe. So meinen die meisten Menschen, dass sie zu dick, zu dünn, zu hellhäutig, zu dunkelhäutig seien, dass ihre Nase zu groß, zu klein, ihre Stirn zu hoch, zu tief, etc. seien. Im Hatha Yoga lernt man zu entspannen, loszulassen, seinen Körper zu spüren, seinen Körper als Quelle angenehmer Empfindungen zu erfahren. Aus dieser Empfindung des Körpers kann positive Selbstliebe entstehen. In den Asanas, den Körperübungen, lernst du, deinen Körper mit seinen Muskeln, Gelenken, Organen zu spüren. Du lernst, dass Selbstliebe, Körperliebe, Grundlage ist, um Fortschritte zu machen. Ein Bekämpfen des Körpers führt dich in den Asanas nicht weiter. Im Atem, beim Pranayama, erfährst du den Rhythmus des Lebens, du erfährst das Prana, die Lebenskraft hinter allem. So bekommst du einen tiefen Respekt vor dem, was in dir ist. Aus diesem tiefen Respekt kommt eine Selbstliebe, die mit Hochachtung verbunden ist. Du spürst die tiefe Intelligenz auch im Körper - und lernst, sie in dir wirken zu lassen. In der Tiefenentspannung lässt du alles los - dabei verschmilzt die Selbstliebe in einer allgemeinen Liebe zu allem.
Mangel an Selbstliebe ist auch nichts Schlechtes
Siehe auch einen Mangel an Selbstliebe positiv. Denn es nutzt auch nichts, dir zu sagen: "Ich muss Selbstliebe haben". Dann verurteilst du dich wegen Mangel an Selbstliebe... Interpretiere auch den Mangel an Selbstliebe positiv: Mangel an Selbstliebe hilft dir, dich weiterzuentwickeln. Mangel an Selbstliebe ist ein innerer Ansporn, weiter an dir zu arbeiten. Mangel an Selbstliebe hilft dir, nicht stecken zu bleiben. Mangel an Selbstliebe ist auch eine Quelle von Demut. Wenn du also merkst, dass dir Selbstliebe fehlt, freue dich: Du hast eine gute Grundlage für spirituelle Entwicklung. Indem du auch deinen Mangel an Selbstliebe liebst, kommst du schneller zur Selbstliebe, als wenn du den Mangel bekämpfst und dich selbst niedermachst wegen Mangel an Selbstliebe. Übe Hatha Yoga und die anderen Jogas bzw. Joga Übungen - du wirst schon bald merken, wie deine Selbstliebe wächst, ohne in Egoismus auszuarten.
Christentum und Selbstliebe
Im Christentum, in der Bibel und bei den Kirchenvätern, gibt es ein zwiespältiges Verhältnis zur Selbstliebe.
Liebe deinen Nächsten wie dich selbst
Ein Gebot der Bibel ist: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Dieses Gebot der Nächstenliebe kann man auf verschiedene Weisen interpretieren:
- Die Selbstliebe wird vorausgesetzt, der Mensch hat schon die Reife, sich selbst zu lieben. Und jetzt kommt der nächste Schritt, nämlich den Nächsten wie sich selbst zu lieben
- Liebe deinen Nächsten sowie dich selbst: Kultiviere in gleichem Maße die Liebe zu deinen Mitmenschen wie auch zu dir selbst. Eigenliebe, Selbstliebe und Nächstenliebe gehören zusammen
- Liebe deinen Nächsten als dein Selbst: Im Yoga, insbesondere im Vedanta, wird gesagt, dass im Inneren aller Wesen die gleiche Seele, der Atman, ist. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst heißt dann: Du und dein Mitmensch, ihr seid beide Manifestationen der gleichen Seele. Daher liebe deinen Nächsten wie dich selbst, wie dein Selbst, als dein Selbst
Die Selbstliebe als Wurzel allen Übels
Der Kirchenvater Augustinus (354-430) hielt die Selbstliebe („Amor Sui“) für die Wurzel aller Sünden und den Grund allen Übels (z.B. in seinem Werk De Civitate Dei, Vom Gottesstaat 413-26). Auch der Mystiker Meister Eckhardt (1260-1328) hielt die „Eigenminne“ (Eigenliebe, Selbstliebe) wie alles Eigene des menschlichen Willens für etwas Fremdes zu betrachten und empfahl die Selbstliebe zu verneinen, damit sich Gottes Liebe in ihm entfalten kann. Laut Meister Eckhardt ist die Hinwendung zu sich die Hinwendung zur Finsternis (Predigten 6, 1313-22). Thomas von Kempen sagte: „Amor Sui“ bzw. „Amor Privatus“ hält von der Nachfolge Christi ab; frei sein heißt, nichts selbst sein wollen (Thomas von Kempen (1379-1471, „Nachfolge Christi“, 1420). Italienische Franziskaner haben dargelegt, dass der Mensch im Sündenfall den wahren „Ordo Amoris“ („Liebesordnung“) umgekehrt hat, indem er sich in Selbstliebe selber umarmt und an die Stelle des Schöpfers setzt. Um wieder allen Menschen in Liebe verbunden sein zu können, bedarf es der Überwindung des Ichs bzw. des Egos und des Selbsthasses (Iacopone da Todi 1230-1306: De Laude, Nr. XLIII, 9-12).
Die Tradition des Augustinus und der Mystik setzt sich über die Jahrhunderte hinweg fort in der Rede von und der Kritik an „Amor Propio“, „Amor di Sé“, „Propria Carità“ (Dante, 1265-1321), „Amer Soi Meismes“, „Amour Propre“, „Amour de Soi“, „Eygen Lieb“, „Philautia“ (Spinoza, 1632-1677), „Self-Love“ (Francis Bacon, 1561-1626), und wie das sogenannte Gift der Selbstliebe auch immer genannt wird.
Egoismus und Selbstliebe
Selbstliebe kann im christlichen wie auch allgemein im religiösen Kontext positive Bedeutungen haben und auch negative: Als Egoismus ist Selbstliebe nicht so gut. Als Selbstvertrauen und Gottvertrauen und Dankbarkeit ist Selbstliebe eine gute Grundlage für Nächstenliebe und Gottesliebe.
Psychologie und Selbstliebe
In der heutigen Psychologie wird Selbstliebe und Eigenliebe überwiegend positiv gesehen. Selbstliebe und Eigenliebe gehören zusammen mit Selbstvertrauen, Selbstwert, Selbstwertgefühl, Selbstbild zu einer Dimension, welche die Resilienz der Psyche bestimmen. Wer ein gesundes Selbstvertrauen, ein gutes Selbstbild und eine gute Selbstliebe hat, kann auch mit den Wechselfällen des Lebens besser umgehen. Minderwertigkeitsgefühl und mangelndes Selbstvertrauen sowie ein innerer Dialog, der von Selbstzweifeln, Negativität und Beschimpfungen gegen sich selbst geprägt ist, gelten als Vorstufen verschiedener psychischer Erkrankungen.
Es gibt aber auch andere Stellungnahmen. Hierzu folgendes Zitat (Antonio Cho: Das Gespenst des Individualismus):
Das Schreckgespenst von Ichsucht, Selbstsucht, Egoismus, Egozentrik, Ichbezogenheit, Selbstbesessenheit, ja der Ich-Trunkenheit in Lieblosigkeit und Sichversagen, scheint auch noch den Kulturkritiker Sigmund Freud (1856-1939) bewegt zu haben, als er für die kindliche Entwicklung einen „primären Narzissmus“ postulierte, in dem die Liebe zu sich und zu anderen sich konkurrieren würden. „Seelische Gesundheit“ wird zu großen Teilen nach dem Maß der Reifung zur Gemeinschaftstauglichkeit und der gesellschaftlichen Bedürfnisse definiert. „Egoismus“ und „Narzissmus“, vorerst und bis heute durchaus im disqualifizierenden Wortgebrauch, lösen im 20. Jahrhundert das Wort „Selbstliebe“ ab.
Der Colditzer Psychiater, Kriminal-Anthropologe und Rassenhygieniker, Paul Näcke (der 1907 auch Karl Mays Geisteszustand begutachten musste) hat den Begriff „Narzissmus“ („Die sexuellen Perversitäten in der Irrenanstalt“, 1899) als „Selbstverliebtheit“ und „schwerste Form des Autoerotismus“ in die psychologische Literatur eingeführt. Narziss als Symbol der Selbstliebe zu betrachten, war schon ein Einfall des Philosophen Francis Bacon; doch erst das 19. Jahrhundert (vor allem die Epoche der Décadence) stilisierte die Figur des Narziss zum Symbol des Lebensgeizes und des (negativ gesehenen) Egoismus. Für die vorherigen Jahrhunderte war Narziss vor allem ein Beispiel für hoffnungslose Liebe, für ein durch Illusion getäuschtes Opfer.
Letztlich gilt es, Selbstliebe zu entwickeln als Grundlage der Nächstenliebe, der Naturliebe, der Gottesliebe. Sobald Liebe zu sehr auf nur ein Objekt begrenzt ist, führt das zu einem Ungleichgewicht. Sobald Liebe umfassender wird, ist sie etwas großartiges. Dazu gehört dann auch die Selbstliebe.
Anmerkung: Dieser Abschnitt Psychologie und Selbstliebe bedarf der Überarbeitung und der Ergänzung. Schicke doch einen Artikel dazu an wiki (at) yoga-vidya.de .