Dies scheint man auch in der Vedantaschule gefühlt zu haben; — gegen die, welche sich mit der auf bloß intellektuellem Gebiete gesuchten Lösung der Frage nicht beruhigen konnten, scheinen die Worte Shankaras am Schlusse unseres Abschnittes gerichtet zu sein: „Diejenigen aber, welche hartnäckig sind und den Sinn des Schriftwortes bedrängen, die bedrängen damit die zum Heile führende universelle Erkenntnis, halten die Erlösung für etwas Gemachtes und [folglich] Vergängliches und fügen sich nicht dem, was regelrecht ist" (S. 396,3).
Dies scheint man auch in der Vedantaschule gefühlt zu haben; — gegen die, welche sich mit der auf bloß intellektuellem Gebiete gesuchten Lösung der Frage nicht beruhigen konnten, scheinen die Worte Shankaras am Schlusse unseres Abschnittes gerichtet zu sein: „Diejenigen aber, welche hartnäckig sind und den Sinn des Schriftwortes bedrängen, die bedrängen damit die zum Heile führende universelle Erkenntnis, halten die Erlösung für etwas Gemachtes und [folglich] Vergängliches und fügen sich nicht dem, was regelrecht ist" (S. 396,3).
===Brahman als die Seele im Stande der Erlösung. Nach 1,3,42-43===
Der Abschnitt Brih. 4,3-4 (p. 706-919), dessen Haupt¬thema nach Çaiikara das genannte ist, entrollt über die Zu¬stände der Seele vor und nach dem Tode ein Bild, welches an Reichtum und Wärme der Darstellung wohl einzig in der indischen Literatur und vielleicht in der Literatur aller Völker dasteht. Wir übersetzen die Stelle mit einigen Kürzungen und Auslassungen, die sich selbst rechtfertigen werden, be¬merken jedoch, dais manches, besonders im ersten Teile, problematisch bleibt.
====a) Einleitung (4,3,1-9)====
Zu Janaka, dem Könige der Fideha's, kommt 1! kjhavalkya, um sich mit ihm zu unterreden.A6 Der König wirft die Frage auf: „Was dient dem Geiste [oder: Menschen, purusha] als „Licht?" — Die niichste Antwort lautet: „Die Sonne dient „ihm als Licht; denn beim Lichte der Sonne sitzt er und „gehet umher, treibt seine Arbeit und kehret heim." — „Aber „was dient ihm als Licht, wenn die Sonne untergegangen .,ist?" — „Der Mond." — „Und wenn Sonne und Mond „untergegangen sind?" — „Das Feuer." — „Und wenn Sonne „und Mond untergegangen sind, und das Feuer erloschen „ist?" — „Die Stimme; darum, wenn man seine eigene Hand ..nicht unterscheiden kann, und es erhebt sich [uccarati zu „lesen] irgendwoher eine Stimme, so gehet man auf dieselbe zu." — „Aber wenn Saline und Mond untergegangen sind, „das Feuer erloschen und die Stimme verstummt ist, was „dient dann dem Geiste als Licht?" — „Dann dient er sich .,selbst (Oman) als Licht." — „Was ist das für ein Selbst ?" —.,Es ist unter den Lebensorganen der aus Erkenntnis be-.,stehende, in dem Herzen innerlich leuchtende Geist. Dieser ..durchwandert, derselbe bleibend, beide Welten [diese Welt .,im' Wachen und Traume, jene im Tiefschlafe und Tode]; es „ist, als ob er sänne, es ist, als ob er schwankend sich be-.,wegte [in Wahrheit ist Brahman ohne individuelle Erkennt-.,nis und Bewegung]; denn wenn er Schlaf geworden ist, so ,,übersteigt er [im Tiefschlafe] diese Welt, die Gestalten des „Todes [der Vergänglichkeit, des Übels]. Nämlich, wenn „dieser Geist geboren wird, wenn er eingeht in den Leib, so ,,wird er mit den Übeln übergossen; wenn er auszieht, wenn „er stirbt, so lässet er die übel hinter sich. Zwei Zustände „sind dieses Geistes: der gegenwärtige und der in der andern „Welt; ein mittlerer Zustand, als dritter, ist der des Schlafes. „Wenn er in diesem mittleren Zustande weilt, so schaut er „jene beiden Zustände, den gegenwärtigen [im Traume] und „den in der andern Welt [im Tiefschlafe]. Je nachdem ihm „nun ein Zutritt wird zu dem Zustande in der andern Welt, „diesem Zutritte gemäfs tritt er hin und schaut beides, die „Uhel [dieser Welt, im Traume] und die Wonne [jener Welt, „im Tiefschlafe]."
====b) Der Traumschlaf (4,3,9-14.16-18)====
„Wenn er nun einschläft, dann entnimmt er aus dieser „allenthaltenden Welt das Bauholz (mâtrâmn, materiemi), fällt ,;es selbst und baut es selber auf vermöge seines eignen „Glanzes, seines eignen Lichtes; — wenn er so schläft, dann ,,dient dieser Geist sich selbst als Licht. Daselbst sind nicht „Wagen, nicht Gespanne, nicht Strafsen, sondern Wagen, Ge-„spanne und Strafsen schafft er sich; daselbst ist nicht Wonne, „Freude und Lust, sondern Wonne, Freude und Lust schafft „er sich; daselbst sind nicht Brunnen, Teiche und Flüsse. „sondern Brunnen, Teiche und Flüsse schafft er sich, — denn „er ist der Schöpfer. Darüber sind diese Verse:
„Abwerfend was des Leibes ist (çirriras) im Schlafe
„Schaut schlaflos er die schlafenden Organe;
„Ihr Licht entlehnend kehrt zum Ort dann wieder
„Der gold'ge Geist, der ein'ge Wandervogel.
„Das niedre Nest läfst er vom Leben Kuten
„Und schwingt unsterblich aus dem Nest empor sich,
„Unsterblich schweift er wo es ihm beliebet,
„Der gold'ge Geist, der ein'ge Wandervogel.
„Im Traumesatande schweift er auf und nieder
„Und schafft als Gott sich vielerlei Gestalten,
„Bald gleichsam wohlgemut mit Frauen scherzend,
„Bald wieder gleichsam Schreckliches erschauend.
„Nur seinen Spielplatz, nicht ihn selber sieht man,
„darum heilst es: «man soll ihn nicht jählings wecken,» denn „schwer ist einer zu heilen, zu welchem er sich nicht zurück-,,findet. Darum heilst es auch: «der [Schlaf] ist für ihn nur „eine Stätte des Wachens,» denn was er im Wachen sieht, „dasselbige siehet er auch im Schlafe. So also dient daselbst „dieser Geist sich selbst als Licht.... Nachdem er nun so im „Traume sich ergötzt und umhergetrieben hat und nachdem „er geschaut hat. Gutes und Ubles, so eilt er, je nach seinem „Eingang, je nach seinem Platze, zurück zum Zustande des „Wachens; und alles, was er in diesem schaut, davon wird er „nicht berührt; denn an diesem Geiste haftet nichts an; —.,und wiederum, nachdem er so im Wachen sich ergötzt und „umhergetrieben hat und nachdem er geschaut hat Gutes und „ Ubles, so eilt er, je nach seinem Eingange, je nach seinem „Platze zuriick zum Zustande des Traumes. Und gleichwie ..ein grofser Fisch an beiden Ufern entlang gleitet, an dem „diesseitigen und an dem jenseitigen, so gleitet der Geist an ,.den beiden Zuständen entlang, an dem des Traumes und an .,dem des Wachens [ohne von ihnen berührt zu werden]."
====c) Der Tiefschlaf (4,3,19.21-83)====
..Aber gleichwie dort im Luftraume ein Falke oder ein .,Adler, nachdem er umhergeflogen ist, ermüdet seine Fittiche .,zusammenfaltet und sich zur Niederkauerung begibt., also .,auch eilt der Geist zu jenem Zustande, wo er eingeschlafen „keine Begierde mehr empfindet und kein Traumbild schaut. „Das ist die Wesensform desselben, in der er über das Ver-„langen erhaben, vom Ubel frei und ohne Furcht ist. Denn „so wie einer, von einem geliebten Weibe umschlungen, kein „Bewufstsein hat von dem was aufsen oder innen ist, so auch .,hat der Geist, von dem erkenntnisartigen Selbste [dem Brah-„man] umschlungen, kein Bewufstsein von dem was aufsen „oder innen ist. Das ist die Wesensform desselben, in der „er gestillten Verlangens, selbst sein Verlangen, ohne Ver¬langen ist und vom Kummer geschieden. Dann ist der Vater „nicht Vater und die Mutter nicht Mutter, die Welten sind „nicht Welten, die Götter nicht Götter, die Veden nicht Ve-„den; dann ist der Dieb nicht Dieb, der Mörder nicht Mörder, „der Càndàla nicht Cizndàla, der Paulkasa nicht Paulkasa, der „Asket nicht Asket, der Büfser nicht Büfser; dann ist U n-„berührt.heit vom Guten und Unberührtheit vom Bösen, dann „hat er überwunden alle Qualen seines Herzens."
„Wenn er dann nicht sieht, so ist er doch sehend, obschon „er nicht sieht; denn für den Sehenden ist keine Unter-„brechung des Sehens, weil er unvergänglich ist; aber es ist „kein Zweites aufser ihm, kein anderes, von ihm verschic-„denes, das er sehen könnte. Ebenso wenn er dann nicht „riecht, schmeckt, redet, hört, denkt, fühlt, erkennt, so ist er ,,doch erkennend, obschon er nicht erkennt; denn für den „Erkennenden ist keine Unterbrechung des Erkennens, weil „er unvergänglich ist; aber es ist kein Zweites aufser ihm, „kein anderes, von ihm verschiedenes, das er erkennen könnte. „Denn nur wo gleichsam ein anderes ist, da kann eines das „andere sehen, riechen, schmecken, anreden, hören, denken, „fühlen und erkennen."
„Wie Wasser [rein, vgl. Kath. 4,15 und ad Brih. 366,S] „stehet er als Schauender allein und ohne zweiten, er dessen „Welt das Brahman ist. Dieses ist sein höchstes Ziel, dieses „ist sein höchstes Glück, dieses ist seine höchste Welt, dieses „ist seine höchste Wonne; durch ein kleines Teilchen nur „dieser Wonne haben ihr Leben die andern Kreaturen."
„Wenn unter den Menschen einer glücklich ist und reich, „König über die andern und mit allen menschlichen Genüssen „überhäuft, so ist das die höchste Wonne der Menschen. „Aber hundert Wonnen der Menschen sind eine Wonne der „Väter, die den Himmel erworben haben, und hundert Wonnen „der Väter, die den Himmel erworben haben, sind eine „Wonne in der Gandharva-Welt, und hundert Wonnen in der „Gandharva-Welt sind eine Wonne der Götter durch Werke, „die durch ihre Werke das Gottsein erlangen, und hundert „Wonnen der Götter durch Werke sind eine Wonne der „Götter von Geburt und eines der schriftgelehrt und ohne „Falsch und frei von Begierde ist; und hundert Wonnen der „Götter von Geburt sind eine Wonne in Prajàpati's Welt „und eines der schriftgelehrt und ohne Falsch und frei von „Begierde ist, und hundert Wonnen in Prajàpati's Welt sind „eine Wonne in der Brahman-Welt und eines der schrift-„gelehrt und ohne Falsch und frei von Begierde ist. Und „dieses ist die höchste Wonne, dieses ist die Brahman-Welt."
====d) Das Sterben (4,3,35-4,4,2)====
„Wie nun ein Wagen, wenn er schwer beladen ist, knar-„rend geht, also auch gehet dieses körperliche Selbst, von „dem erkenntnisartigen Selbste belastet, knarrend [röchelnd], „wenn es so weit ist, dafs einer in den letzten Zügen liegt. „Wenn er nun in Schwäche verfällt, sei es durch Alter oder „durch Krankheit, dais er in Schwäche verfällt, dann, so wie „eine Mangofrucht, eine Feige, eine Beere ihren Stiel losläfst, „also auch läfst der Geist die Glieder los und eilt wiederum, „je nach seinem Eingange, je nach seinem Platze, zurück zum „Leben.... Und gleichwie zu einem Könige, wenn er fort-„ziehen will, die Vornehmen und die Polizeileute und die „Wagenlenker und Dorfschulzen sich zusammenscharen, also „auch scharen zur Zeit des Endes zu der Seele alle Lebens-„organe sich zusammen, wenn es so weit ist, dais einer in „den letzten Zügen liegt. Wenn nämlich die Seele in Ohn-„macht verfällt und es ist, als käme sie von Sinnen, dann „eben scharen diese Lebensorgane sich zu ihr zusammen; sie „aber nimmt diese Kraftelemente in sich auf und ziehet sich „zurück auf das Herz; der Geist aber, der im Auge wohnte, „kehrt nach auswärts zurück [zur Sonne, der er entstammt, „vgl. S. 70]; alsdann erkennt einer keine Gestalt mehr. Weil „er zur Einheit geworden ist, darum siebet er nicht, so heifst „es, weil er zur Einheit geworden ist, darum riecht er nicht, „schmeckt er nicht, redet er nicht, hört er nicht, denkt er „nicht, fühlt er nicht, erkennt er nicht. Alsdann wird die „Spitze des Herzens leuchtend; aus dieser, nachdem sie leuch-„tend geworden, ziehet die Seele aus, sei es durch das Auge, „oder durch den Schädel, oder durch andere Körperteile. „Indem sie auszieht, zieht das Leben mit aus; indem das „Leben auszieht, ziehen alle Lebensorgane mit aus. Sie ist „von Erkenntnisart, und was von Erkenntnisart ist, das ziehet „ihr nach."
====e) Die nichterlöste Seele nach dem Tode 14,4,2-6)====
„Dann nehmen sie [die Seele] das Wissen und die Werke „bei der Hand, und ihre neuerworbene Erfahrung" [wenn wir apîirvu prajnâ lesen dürfen]. —
„Wie eine Raupe, nachdem sie zur Spitze des Blattes ge-„langt ist, einen andern Anfang ergreift und sich selbst dazu „hinüberzieht, so auch die Seele, nachdem sie den Leib ab-,.geschüttelt und das Nichtwissen losgelassen hat, ergreift sie „einen andern Anfang und zieht sich selbst dazu hinüber."
„Wie ein Goldschmied von einem Bildwerke den Stoff „nimmt und daraus eine andere, neuere, schönere Gestalt .,hämmert 87, so auch diese Seele, nachdem sie den Leib ab-„geschüttelt und das Nichtwissen losgelassen hat, so schafft „sie eine andere, neuere, schönere Gestalt, sei es der Väter „oder der Gandharven oder der Götter oder des Prajäpati „oder des Brahman oder anderer Wesen."
„Wahrlich, dieses Selbst ist das Brahman, bestehend aus „Erkenntnis, aus Manas, aus Leben, aus Auge, aus Ohr, be-„stehend aus Erde, aus Wasser, aus Wind, aus Äther, be-„stehend aus Feuer und nicht aus Feuer, aus Lust und nicht „aus Lust, aus Zorn und nicht aus Zorn, aus Gerechtigkeit „und nicht aus Gerechtigkeit, bestehend aus allem. Je nach-„dem einer nun besteht aus diesem oder aus jenem, je nach-„dem er handelt, je nachdem er wandelt, danach wird er „geboren; wer Gutes tat wird als Guter geboren, wer Böses „tat wird als Böser geboren, heilig wird er durch heiliges „Werk, böse durch böses. Darum fürwahr heifst es: «Der „Mensch ist ganz und gar gebildet aus Begierde (kiima); je „nachdem seine Begierde ist, danach ist sein Wille (kratac), „je nachdem sein Wille ist, danach tut er das Werk (lcarman), je nachdem er das Werk tut, danach ergehet es ihm.» — Darüber ist dieser Vers:
„Dem hängt er nach, dein strebt er zu mit Taten,
,,Wonach sein inn'rer Mensch und sein Begehr steht. —
„Nachdem den Lohn er hat empfangen
„Für alles, was er hier begangen,
„So kehrt aus jener Welt er wieder
„Zu dieser Welt des Wirkens nieder."
„So steht es mit dem Verlangenden (khmayamâna)."
====f) Die Erlösung (4,4,6-23)====
„Nunmehr von dem Nichtverlangenden (akltmayam&na): „Wer ohne Verlangen, frei von Verlangen, gestillten Ver¬langens, selbst sein Verlangen ist, dessen Lebensgeister „ziehen nicht aus; sondern Brahman ist er und in Brahman „löst er sich auf. Darüber ist dieser Vers:
.,Wenn alle Leidenschaft verschwunden,
.,Die in des Menschen Herzen nistend schleicht,
„Dann hat der Sterbliche Unsterblichkeit gefunden,
„Dann hat das Brahman er erreicht."
„Wie eine Schlangenhaut tot und abgeworfen auf einem „Ameisenhaufen liegt, also liegt dann dieser Körper; aber das „Körperlose, das Unsterbliche, das Leben ist lauter Brahman, „ist lauter Licht." —
„Darüber sind diese Verse:
„Eng strecket sich der alte Pfad, den ich gefunden und gegangen,
„Erlöst betritt der Weise ihn, zur Welt des Himmels zu gelangen.
.,Mag man ihn weite, schwarz, braun, grün oder rot benennen, —
„Es ist der eine Pfad, den die Brahmanen kennen;
„Auf diesem wallt wer Brahman liebt und Gutes übt in Lichtgestalt."
„In blindes Dunkel fährt wer im Nichtwissen lebte;
„In blinderes wohl noch wer nach Werkwissen strebte.
„Ja, freudelos ist diese Welt, von blinder Finsternis bedeckt:
„In sie geht nach dem Tode ein der Mensch, den nicht das Wissen
weckt."
„Doch wer sich als das Selbst erfafst bat im Gedanken,
„Wie mag der wünschen noch, dem Leibe nachzukranken „Wem in des Leib's abgründlicher Befleckung
.,Geworden ist znm Seibste die Erweckung,
„Den als allmächtig, als der Welten Schöpfer wifst; „Sein ist das Weltall, weil er selbst das Weltall ist."
„Dieweil wir hier sind, mögen wir es wissen;
„Wo nicht, so bleibt der Wahn, ein grofs Verderben.
„Unsterblich sind die einen, wenn sie sterben, —
„Zur Pein die andern werden fortgerissen."
„Der Mann, der als sein eigen Selbst Gott hat geschaut von Angesicht, „Den Herrn des, das da war und wird, der fürchtet und verbirgt sich
nicht!"
„Zu dessen Füfsen rollend hin in Jahr' und Tagen geht die Zeit,
„Den Götter ale der Lichter Licht anbeten, als Unsterblichkeit,
„In dem der Wesen fünffach Heer mitsamt dem Raum gegründet stehn,
„Den weifs als meine Seele ich, unsterblich den Unsterblichen."
„Des Odems Odem und des Auges Auge,
„Des Ohres Ohr und des Verstand's Verstand,
„Wer diese kennt, der wahrlich hat das Brahman,
„Das alte, uranfängliche erkannt."
„Im Geiste sollen merken sie:
„Nicht ist bier Vielheit irgendwie;
„Von Tod zu Tode wird verstrickt
„Wer eine Vielheit hier erblickt."
„Einheitlich ist er anzuschauen, nnmefsbar grofs, unwandelbar.
„Hoch über Raum und Sündenstaub, der Atman grofs, unwandelbar."
„Dem denket nach, die Weisheit zu erringen,
„Nicht Worten viel, die nur Beschwerde bringen!"
„Wahrlich, dieses grofse, ungeborne Selbst, das ist unter „den Lebensorganen jener aus Erkenntnis bestehende [selbst-„leuchtende Geist)! Hier, inwendig im Herzen ist ein Raum, „darin liegt er, der Herr des Weltalls, der Gebieter des „Weltalls, der Fürst des Weltalls; er wird nicht höher durch „gute Werke, er wird nicht geringer durch böse Werke; er „ist der Herr des Weltalls, er ist der Gebieter der Wesen, „er ist der Hüter der 'Wesen; er ist die Brücke, welche diese „Welten auseinanderhält, dafs sie nicht verfliefsen [vgl. S. 174]."
„Ihn suchen durch Vedastudium die Brahmanen zu er-„kennen, durch Opfer, durch Almosen, durch Biifsen, durch „Fasten; wer ihn erkannt hat, der wird ein Muni. Zu ihm „auch pilgern hin die Pilger, als die nach der Heimat (loko) „sich sehnen."
„Dieses wufsten die Altvordern, wenn sie nicht nach Nach-„kommen begehrten und sprachen: «Wozu brauchen wir Nach-„kommen, wir, deren Seele diese Welt ist!. Und sie standen „ab von dem Verlangen nach Kindern, von dem Verlangen „nach Besitz, von dem Verlangen nach der Welt und wan-„derten umher als Bettler. Denn Verlangen nach Kindern „ist Verlangen nach Besitz, und Verlangen nach Besitz ist „Verlangen nach der Welt; denn eines wie das andere ist eitel „Verlangen."
„Er aber, der Atman, ist nicht so und ist nicht so. Er „ist ungreif bar, denn er wird nicht gegriffen, unzerstörbar, „denn er wird nicht zerstört, unhaftbar, denn es haftet nichts „an ihm; er ist nicht gebunden, er wankt nicht, er leidet „keinen Schaden."
„[«'er solches weifs,] den überwältigt beides nicht, ob er „darum [weil er im Leibe war] das Böse getan hat oder ob „er das Gute getan hat; sondern er überwältigt beides; ihn „brennet nicht was er getan und nicht getan hat. Das sagt „auch der Vers:
,,Das ist des Brahmanfreundes ew'ge Majestät,
„Dafs er nicht wächst durch Werke und nicht minder wird;
Man folge ihrer Spur, wer sie gefunden hat,
.,Der wird durch böse Werke weiter nicht befleckt."
„Darum, wer solches weifs, der ist beruhigt, bezähmt, ent-„sagend, geduldig und gesammelt; nur in seinem Selbste sieht „er das Selbst, alles sieht er an als das Selbst; nicht über-„windet ihn das Böse, er überwindet alles Böse, nicht ver-„brennet ihn das Böse, er verbrennet ailes Böse; frei von „Bösem, frei von Leidenschaft und frei von Zweifel wird er „ein Brâhrana, er, dessen Welt das Brahman ist!" —
„A]so sprach l'âjiiasalkya. Da sprach der König: «U Hei-„liger, ich gebe dir mein Volk in Knechtschaft und mich „selbst dazu.»"
Man könnte denken, so bemerkt Çafikara zu diesem Ab-schnitte, dafs in demselben von der individuellen Seele ge¬handelt werde, weil gegen Anfang und gegen Ende (unter a und f) die Rede sei von „dem unter den Lebensorganen aus Erkenntnis bestehenden" (p. 330,9) ; es ist aber vielmehr überall an die höchste Seele zu denken, indem sie in der Stelle vom Tiefschlafe und vorn Sterben von der individuellen Seele unter-schieden wird, beim Tiefschlafe, wo es heifst, der Geist sei ,.von dem erkenntnisartigen Selbste umschlungen" (p. 331,2), beim Sterben, wo von einer Belastung des körperlichen Selb-stes, d. h. der individuellen Seele, durch das erkenntnisartige Selbst die Rede ist (p. 331,7): der „erkenntnisartige" (prüjiia) nämlich ist [im geraden Gegensatze gegen die Terminologie des Vedäntasära, vgl. Anm. 82, S. 194] der höchste Gott, wel¬cher so heilst, weil er von der allwissenden Erkenntnis ewig ungetrennt ist (p. 331,6). Was aber die erwähnte Stelle zu Anfang und zu Ende betrifft, so heilst es dort (unter a): „es ist als ob er sänne, es ist als ob er schwankend sich bewegte", und hier (unter f): „wahrlich, dieses grofse, ungeborne Selbst, das ist unter den Lebensorganen jener aus Erkenntnis be¬stehende", zum deutlichen Beweise, dais hier die individuelle Seele nur erwähnt wird, um eben ihre Identität mit der höchsten zu lehren (p. 332,1-6). Auch die Zustände des Wachens und Schi'afens werden ja nur erwähnt, um die Freiheit der Seele von ihnen zu zeigen; denn es heifst (unter b und c), dais der Geist von den Bildern im Wachen und Traume, und wiederum, dass er von Gutem und Bösem nicht berührt werde (p. 332,12), wie denn auch der König wiederholt in den [von uns ausgelassenen] Ausruf ausbricht: „rede weiter zur Er¬lösung" (p. 332,11). Endlich bezeugen auch die Stellen (unter f) „der Herr des Weltalls" usw. und „er wird nicht höher durch gute Werke" usw., dais wir nicht an die indi¬viduelle, sondern an die höchste Seele zu denken haben (p. 333).
Ein Sinnesorgan ist nicht gleichzusetzen mit der Seele, denn du kannst das gleiche Objekt auch mit anderen Sinnen wahrnehmen. Zum Beispiel: „Ich habe den Baum zuerst gesehen und jetzt berühre ich ihn.“ Solch eine Aussage wäre sinnlos, wenn das „Ich“ nicht vom Auge verschieden wäre (welches seinerseits nicht berühren kann) und nicht von der Haut verschieden wäre (die nicht sehen kann). Das „Ich“ bzw. die Seele unterscheidet sich von den Sinnen.
Zwischen den Sinnen und ihren Objekten, z.B. zwischen Auge und Farbe, Ohr und Geräusch usw. existiert eine feste Beziehung. Es ist das Auge und nicht das Ohr, das Farbe wahrnimmt, und es ist das Ohr und nicht das Auge, das Töne hört. Falls einer dieser Sinne die Seele selbst wäre, so könnte die Seele nur ein Objekt wahrnehmen. Das „Ich“ aber kann viele Objekte wahrnehmen, denn das „Ich“ sieht Farben, hört Töne usw. Daher ist das „Ich“ bzw. die Seele, wo alle Wahrnehmungen zusammenlaufen, von den einzelnen Sinnen verschieden, die ihrerseits jeweils nur ein Objekt wahrnehmen können.
Angenommen, wir leugnen die Existenz einer unsterblichen Seele jenseits unseres sterblichen Körpers. Dies führt zu vielen Paradoxien, wie z.B. das Nicht-Genießen verdienter Handlungen (Kritahani) und das Erfahren unverdienter Handlungen (Akritabhyagama). Jemand der z.B. in diesem Leben eine bestimmte schlechte Tat begeht, leidet vielleicht nicht unbedingt in diesem Leben darunter. Er würde also überhaupt nicht darunter leiden müssen, außer eine Seele würde seine Existenz im nächsten Leben fortführen. Dies ist mit dem Nicht-Erfahren von verdienten Handlungen gemeint. Andererseits finden wir oft Menschen, die für Taten büßen, die sie in diesem Leben nicht begangen haben. Das wäre das Erfahren unverdienter Handlungen, es sei denn, wir glauben an eine Seele, die vor diesem Leben existiert hat und diese Taten einst beging.
Ein Gegenstand wurde zuerst vom linken Auge gesehen und nun vom rechten Auge erkannt. Dieser Umstand wäre unmöglich, gesetzt den Fall, dass die Seele mit dem linken Auge oder dem rechten Auge identisch wäre, basierend auf dem Prinzip, dass der Sitz des Erkennens mit dem Sitz der Wahrnehmung identisch ist. Wir müssen also auf die Existenz einer Seele schließen, die von den Augen verschieden und der gemeinsame Sitz von Wahrnehmung und Erkennen ist.
Die Seele ist auch von den Sinnen verschieden, weil sich die Funktionen der Sinne gegenseitig erregen können. Wenn du eine Mangofrucht erblickst, beginnt der Speichel im Mund zu fließen. Der Geschmackssinn ist angeregt. Der Sehsinn hat eine Erregung des Geschmackssinns verursacht. Dieser Umstand wäre unmöglich, außer wir nehmen an, dass eine Seele existiert, die von den Sinnen verschieden ist und die Sinne in sich vereint. Die Seele erkennt die Frucht und erinnert sich an ihre Eigenschaften. Die Erinnerung regt als Konsequenz den Geschmackssinn an.
Man kann sich nur an diejenigen Objekte erinnern, die man bereits zuvor gesehen hat. Du erinnerst dich an den Geruch eines Objektes, wenn du seine Farbe siehst. Dieser Umstand wäre unmöglich, falls Erinnerung die Eigenschaft der Sinne wäre, z.B. des Auges, welches das Objekt noch nie gerochen hat. Daraus müssen wir schließen, dass die Erinnerung die Eigenschaft eines eigenständigen Gebildes ist, welches Seele genannt wird. Die Seele wiederum ist der Sitz von Wahrnehmung, Farbe und Geruch. Die Seele ist der absolute Seher und von Natur aus Bewusstsein, wohingegen alle anderen Dinge (Objekte, Körper, Sinne, Prana, Gemüt, Intellekt etc.) das Gesehene darstellen und von Natur aus unbelebt sind. Während alles andere vergänglich und unecht ist, ist die Seele die unvergängliche Wirklichkeit.
Artikel aus dem Buch „Das System des Vedanta“ von Paul Deussen, Elibron Classics, 2. Auflage, 1906, S. 185 - 191.
Brahman als das Selbst (Atman). Nach 1,4,19-22
Kein Mensch, er stelle sich wie er wolle, kann heraus aus dem eigenen Selbste; alles in der Welt kann nur insoweit unser Interesse erregen, ja es ist nur insoweit vorhanden für uns, als es, uns affizierend, eingeht in die Sphäre unseres Ich und so gleichsam ein Teil von uns wird. Daher das eigene Selbst mit seinem Inhalte der erste, ja in gewissem Sinne der einzige Gegenstand der philosophischen Forschung ist.
Dieser Gedanke mag uns vorbereiten auf die Betrachtung eines der merkwürdigsten Stücke der Upanishaden, des Gespräches zwischen Yajnavalkya und seiner Gattin Maitreyi, welches in zwei Rezensionen Brih. 2,4 und Brih. 4,5, und zwar in beiden sowohl nach der Lesung der Kanvas, wie auch (im Shatap. Br.) nach der der Madhyandinas, im ganzen also in vierfacher Gestalt vorliegt. Shankara zitiert, von den identisch lautenden Stellen abgesehen, bald die Rezension in Brih. 2,4 (z. B. p. 385,10. 392,8), bald die in Brih. 4,5 und zwar letztere sowohl in der Kanva-Form (S. 199,1.11. 399,4. 613,2. 648,6. 674,9. 930,5. 974,7. 1142,6) als auch in der Madhyandina-Form (S. 185,15. 386,7. 387,3. 392,10. 794,14. 983,4). Auch das Zitat 646,9-647,1 ist nach den Madhyandinas, jedoch mit Herübernahme des Imam statt Idam von den Kanvas; von beiden abweichend ist das Zitat S. 388,9 und ebendasselbe wieder anders S. 391,8 ; — dies scheint zu beweisen, dass Shankara die Upanishaden vorwiegend aus dem Gedächtnisse zu zitieren pflegt, welches ihm hier, wo vier Rezensionen durcheinander liefen, weniger treu als gewöhnlich sein mochte. Wir analysieren im folgenden die Stelle nach Brih. 2,4 und ziehen die Abweichungen in Brih. 4,5 nur so weit heran, als es von Interesse scheint.
(Zusatz in Brih. 4,5: „Yajnavalkya hatte zwei Gattinnen, Maitreyi und Katyayani; von ihnen war Maitreyi der Rede vom Brahman kundig, Katyayani hingegen wusste nur, was die Weiber wissen [vgl. Ev. Luc. 10,38-421. Nun wollte Yajnavalkya in den andern Lebensstand [aus dem Stande des Hausvaters in den des Einsiedlers] übergehen.) Da sprach Yajnavalkya: "Maitreyl! Ich werde nun diesen Stand [des Hausvaters] aufgeben. Wohlan, so will ich zwischen dir und der Katyayani da Teilung halten." — Da sprach Maitreyi: "Wenn mir nun, o Herr, diese ganze Erde mit all ihrem Reichtume angehörte, würde ich wohl dadurch unsterblich sein?" - "Mitnichten!" sprach Yajnavalkya, sondern wie das Leben der Wohlhabenden, also würde dein Leben sein; auf Unsterblichkeit aber ist keine Hoffnung durch Reichtum." — Maitreyi sprach: "Wodurch ich nicht unsterblich werde, was soll ich damit tun? Teile mir lieber, o Herr, das Wissen mit, welches du besitzest." — Yajnavalkya sprach: Lieb, fürwahr, bist du uns, und Liebes redest du. Komm, setze dich, ich werde es dir erklären, du aber merke auf das, was ich dir sage."
Die nun folgende Belehrung hebt an mit dem Satze: „Fürwahr, nicht um des Gatten willen ist der Gatte lieb, sondern um des Selbstes willen ist der Gatte lieb." Was hier vom Gatten, das wird weiterhin, unter stehender Wiederholung derselben Formel, ausgesagt von der Gattin, den Kindern, dem Vermögen, dem Brahmanenstand und Kriegerstand, den Welten, Göttern, Wesen und zuletzt zusammenfassend von allem; — alles dies ist nicht lieb um seinetwillen, sondern um des Selbstes willen. — Hierin kann man zunächst nichts weiter finden, als den von uns zu Eingang dieses Abschnittes ausgesprochenen Gedanken; Shankara hingegen ad Brih. S. 448,7 erklärt, dass hier die Entsagung (Vairagya) als Mittel zur Unsterblichkeit gelehrt werde.
Und allerdings, wenn es sich bei allem doch nur um Befriedigung des Selbstes handelt, so fragt sich weiter, was denn unser wahres und eigentliches Selbst ist? Und hier wird das indische Bewusstsein ganz von selbst durch das Wort Atman (Selbst, Seele, Gott) darauf hingeleitet, in Gott unser eigentliches Ich, in einer Zurückziehung auf ihn die Befriedigung, welche wir in allen Verhältnissen des Lebens suchen, zu finden. So liegt hier der eigentliche Nervus Probandi in dem von tiefer philosophischer Einsicht zeugenden Gebrauche des Wortes Atman: Was wir begehren, das ist überall und immer nur Befriedigung des eigenen Selbstes; unser Selbst aber ist identisch mit der höchsten Gottheit und nur scheinbar von ihr verschieden; wer diesen Schein durchschaut, wer sich Gottes als seines Selbstes bewusst geworden ist, der hat und besitzt die volle Befriedigung, die er durch alles Streben nach Äußerlichem vergebens suchte.
In diesem Sinne heißt es weiter: „Das Selbst, fürwahr, o Maitreyi, soll man sehen, hören, überdenken und erforschen; wer das Selbst sieht hört, überdenkt und erforscht, der hat diese ganze Welt erkannt." — Wer dies erkannt hat, der weiß sich eins mit allem Seienden; wer es nicht erkennt, dem stehen alle Wesen fremd und feindselig gegenüber; dies besagt das Folgende, in welchem ausgeführt wird, dass Brahmanen und Krieger, Welten, Götter und Wesen, dass alles denjenigen preisgibt oder von sich ausschließt (Paradat), der alles dieses außerhalb des Selbstes weiß. — Nicht in seinen wesenlosen Erscheinungen kann man das Selbst ergreifen, sondern in dem, was die Erscheinungen hervorbringt; wer dies begriffen hat, der hat die Erscheinungen mit begriffen; diesen Gedanken enthalten die nun folgenden Bilder: Wenn eine Trommel gerührt, eine Muschel geblasen, eine Laute gespielt wird, so kann man die von ihr ausgehenden Töne nicht greifen; ergreift man aber das Instrument oder den Spieler, so hat man die Töne zugleich mit ergriffen. — Wie aus feuchtem Holze, wenn es brennt, die Rauchwolken ausgehen, so sind aus diesem großen Wesen alle Veden und (wie in Brih. 4,5 zugesetzt wird) alle Welten und Kreaturen ausgehaucht worden.
Der Atman ist der Vereinigungspunkt (Ekayanam) für alle Wesen wie der Ozean für alle Gewässer, die Haut für alle Tastempfindungen, die Zunge für alle Geschmäcke, die Nase für alle Gerüche, das Auge für alle Gestalten, das Ohr für alle Töne usw. — Aber warum sieht man nicht den Atman, der allein wesenhaft ist, sondern nur seine wesenlosen Erscheinungen? Hierauf antwortet das folgende, durch Chand. 6,13 als ursprünglich gesicherte, aber, wegen seiner dogmatischen Bedenklichkeit schon in der jüngern Rezension Brih. 4,5 gänzlich verunstaltete Bild: «Wie ein Salzklumpen, ins Wasser geworfen, sich in dem Wasser auflöst, also dass man ihn nicht herausziehen kann, aber an welcher Stelle man davon kostet, überall ist es salzig, — so fürwahr auch dieses große, endlose, uferlose durch und durch Erkenntnis seiende Wesen. Aus diesen Kreaturen erhebt es sich [als erkennender Geist] und mit ihnen gehet es wieder zugrunde; nach dem Tode ist kein Bewusstsein! so fürwahr sage ich.»
Also sprach Yajnavalkya. Da sprach Maitreyi: «Damit, o Herr, hast du mich verwirrt, dass du sagst, nach dem Tode sei kein Bewusstsein.» Aber Yajnavalkya sprach: «Nicht Verwirrung wahrlich rede ich; was ich gesagt, genügt zum Verständnisse: Denn wo eine Zweiheit gleichsam ist, da siehet einer den andern, da riecht, hört, redet an, bedenkt, erkennt einer den andern; wo aber einem alles zum eigenen Selbste geworden ist, wie sollte er da irgendwen sehen, wie sollte er da irgendwen riechen, hören, anreden, bedenken, erkennen? Durch welchen er dieses alles erkennt, wie sollte er den erkennen, wie sollte er doch den Erkenner erkennen?» — (Zusatz in Brih. 4,5: « Nun weißt du die Lehre, o Maitreyi; dieses fürwahr reichet hin zur Unsterblichkeit.» So sprach Yajnavalkya und zog von dannen.
Die Bemerkungen des Badarayana und Shankara über diese Stelle sind von besonderem Interesse, sofern sie uns einen Einblick in gewisse prinzipielle Differenzen innerhalb der Vedantaschule gewähren, wobei Ashmarathya und Audulorni, jeder in seiner Weise, die rationalistische, exoterische, hingegen Kashakritsna die mystische, esoterische Auffassung vertreten. — Wie gewöhnlich erhebt sich die Frage, ob an unserer Stelle unter dem „Selbst" die individuelle oder die höchste Seele zu verstehen sei (S. 385,13); was beide unterscheidet, sind nur die Bestimmungen (Upadhi), nämlich Leib, Sinnesorgane, Tatorgane, Manas und Buddhi, in welche gekleidet die höchste Seele eben als individuelle Seele erscheint; auf ihnen beruht es, dass sie Genießer (oder Leider, Bhoktar) und Täter (Kartar) ist, von welchem beidem die höchste Seele, d. h. das Brahman, frei ist.
Nun sind in unserer Stelle unverkennbar Züge enthalten, welche nur der individuellen Seele zukommen; so der Eingang, in dem von der Liebe der Seele zu den Dingen die Rede ist, was nur von dem Genießer verstanden werden kann (S. 386,5); so die Lehre, dass die Seele sich aus diesen Kreaturen erhebe und wieder mit ihnen zugrunde gehe (S. 386,9); so endlich der Ausdruck „Erkenner", der einen Täter bezeichnet (S. 386,11). Auf der andern Seite nötigt uns der ganze Zusammenhang (p. 3386,15), an die höchste Seele zu denken: nur ihre Erkenntnis gewährt die von Maitreyl erstrebte Unsterblichkeit (S. 387,4); nur von ihr gilt, dass, indem sie erkannt ist, alles erkannt ist (S. 387,6); wie denn auch der Satz, dass alle den ausschließen, der sie außerhalb der Seele weiß, nur von der alles einschließenden, höchsten Seele verstanden werden kann (S. 387,13); eben dieses gilt von den Gleichnissen von der Trommel usw. (S. 387,14) und von der Stelle, wo die Seele als die Ursache des Veda usw. (S. 388,1) und als der Vereinigungspunkt alles Seienden bezeichnet wird (S. 388,4).
Darf sonach nur die höchste Seele verstanden werden, so fragt sich, wie wir uns mit den obenerwähnten Zügen abfinden, die nur auf die individuelle Seele passen? Ashmarathya sieht in ihnen eine Bürgschaft der Gewähr des Versprechens, dass mit dem Atman alles erkannt sei; begreife er alles, so begreife er auch die individuelle Seele (S. 388,8 fg. 390,10. 391,12). Wie dieser trotz der Wiederholungen nicht recht klar formulierte Meinung darauf hinausläuft, die Seele als einen Teil von Brahman, und somit die Beziehung beider zueinander als eine räumliche zu fassen, so stellt Audulomi zwischen beiden ein zeitliches Verhältnis auf: Weil die Seele zeitweilig (im Tiefschlafe) mit Brahman eins werde, deswegen erscheine sie in der fraglichen Stelle zur Einheit mit ihm verbunden (S. 389. 390,12. 392,1). Beiden gegenüber macht Kashakritsna, dessen Meinung Shankara als die schriftgemäße festhält (S. 390,14. 393,11), die Lehre von der Identität geltend, vermöge derer die höchste Seele selbst und ganz in Gestalt der individuellen Seele vorhanden sei (S. 390,2. 392,3), die Vernichtung der Erkenntnis beim Tode nur eine solche der individuellen Erkenntnis (Vishesha - Vijnanam) bedeute (S. 392,7) und die Bezeichnung Gottes als des „Erkenners" keine Täterschaft, sondern nur ein Bestehen aus lauterem Erkenntnisstoffe anzeige (S. 393,9), wie ja auch das Wesen der Erlösung in der unwidersprechlichen Gewissheit der Erkenntnis, dass Gott und die Seele eins sind, und der aus ihr folgenden absoluten Befriedigung bestehe (S. 395,3).
Ähnlichen Betrachtungen darüber, dass die Verschiedenheit zwischen Gott und Seele ein bloßer Schein, die Erlösung aber die Durchschauung dieses Scheines sei, werden wir noch vielfach im Verlaufe begegnen; aber alle derartige Versuche, die Erlösung als eine neue Art der Erkenntnis zu begreifen, geben über das Wesen derselben (wie es an Beispielen dem Inder entgegentrat und uns entgegentritt) keinen befriedigenden Aufschluss und können ihn nicht geben, so lange man nicht den Begriff der moralischen Umwandlung herbeizieht, der vom Christentume so stark betont wird, dem indischen Denken aber fremd geblieben ist.
Dies scheint man auch in der Vedantaschule gefühlt zu haben; — gegen die, welche sich mit der auf bloß intellektuellem Gebiete gesuchten Lösung der Frage nicht beruhigen konnten, scheinen die Worte Shankaras am Schlusse unseres Abschnittes gerichtet zu sein: „Diejenigen aber, welche hartnäckig sind und den Sinn des Schriftwortes bedrängen, die bedrängen damit die zum Heile führende universelle Erkenntnis, halten die Erlösung für etwas Gemachtes und [folglich] Vergängliches und fügen sich nicht dem, was regelrecht ist" (S. 396,3).