Geist
Das deutsche Wort Geist hat verschiedene Bedeutungen: Geist kann Verstand, Gemüt, Seele heißen. Es kann Astralwesen (nicht verkörpertes Wesen) andeuten oder vielleicht jemanden, der woanders ist (und auch nicht am Telefon verbunden) - aber "subtil da". Geist kann auch eine geistige Strömung oder Kraft sein, z.B. der Geist des Mitgefühls. Verschiedene Bedeutungen schwingen mit in den Wörtern: Begeisterung, Lebensgeister, Vergeistigung, Geisteskraft, Heiliger Geist etc.
In der deutschsprachigen Yoga Literatur ist Geist meist die Übersetzung des englischen Begriffs Mind bzw. der Sanskritausdrücke Manas, Antarkarana oder Chitta.
Der reine und der unreine Geist - von Sri Swami Sivananda
Der Sanskrit Begriff für Geist ist Manas. Es heißt, Manas besteht aus zwei Arten, dem reinen und dem unreinen Geist. Was mit dem Gedanken an Begierde assoziiert wird, ist der unreine Geist, während die Assoziation ohne Begierde der reine Geist ist: auch bekannt unter dem Namen höherer Geist. Der unreine Geist wird der niedere Geist genannt. Beim Menschen ist allein sein Geist der Grund für Anhaftung oder Befreiung. Der Geist, der von sinnlichen Objekten angezogen wird, tendiert zur Anhaftung, während der nicht angezogene zur Befreiung tendiert. Es heißt, es gibt Erlösung für einen Geist ohne Begehr nach sinnlichen Objekten. Nach der Befreiung sollte ein Aspirant daher seinen Geist immer frei von allem Wunsch nach materiellen Objekten halten.
Der unreine Geist oder Ashuddha Manas ist angefüllt mit unreinen Vasanas (Neigungen des Geistes), Rajas und Tamas und der reine Geist oder Shuddha Manas ist angefüllt mit reinen Vasanas und Sattwa. Die unreinen Vasanas führen zu Wiedergeburt. Der reine Geist mit reinen Vasanas führt zu Moksha oder Befreiung von Geburt und Tod. Weltlich geprägte Personen arbeiten mit dem niederen oder dem unreinen Geist. Sie sind an ihr Karma gebunden. Die befreiten Weisen arbeiten mit dem reinen oder sattwigen Geist (höherer Geist). Sie sind nicht an ihr Karma gebunden, da sie frei von Egoismus sind und keine Entlohnung für ihre Taten erwarten.
Der unreine Geist ist unstet. Er schwankt ständig. Er springt von einem Objekt zum nächsten. Er sehnt sich ständig nach sinnlichen Objekten. Er ist angefüllt mit allen möglichen Ängsten und Schmerzen. Der reine Geist ist stetig. Er betreibt Brahma Vichara. Er ruht im höheren Selbst. Er fühlt sich nicht zu sinnlichen Objekten hingezogen. Er ist frei von allen möglichen Ängsten und Schmerzen.
Der unreine Geist ist nicht anders als die Vasanas (subtile Wünsche), die zu zahllosen Wiedergeburten führen. Der Geist wird Opfer vieler Wünsche durch sein Schwanken. Die Schwankung wird von Rajas und Vikshepa Shakti ausgelöst. Wenn der Geist schwankt, wandert er von einem Objekt zum nächsten.
Der Ajnani oder Mensch mit weltlichem Gemüt wird vom unreinen Geist beherrscht. Er agiert entsprechend dem Diktat des niederen oder unreinen Geistes. Aber ein Weiser oder Jnani hat seinen Geist perfekt unter Kontrolle. Er agiert entsprechend der Stimme seiner Intuition.
Wie ein Wäscher Schmutz durch Schmutz entfernt, genau wie ein Reisender den Dorn in seinem Fuß mit einem anderen Dorn entfernt, so sollte auch der unreine Geist vom reinen Geist eliminiert werden.
Wer den niederen oder unreinen Geist ausgelöscht hat, treibt Wiedergeburten weit von sich. Die reinen Vasanas, mit denen der Weise Taten vollbringt, führen für ihn nicht zu Wiedergeburt.
Alle unreinen Vasanas lösen sich komplett auf, wenn du Wissen über das Selbst oder Brahma Jnana erhältst. Meditation, Japa, Kirtan, Pranayama, Brahma Vichara, das Studium religiöser Bücher und Satsang generieren reine Vasanas.
Wenn der Geist vom Wunsch nach Objekten befreit ist und im Selbst oder Atman ruht, wirst du ewige Glückseligkeit genießen. Wenn der Geist von allem Begehr oder Sehnsucht nach Objekten befreit ist, wenn er im Herzen kontrolliert wird, wenn er die Realität von Atman erreicht, wirst du Moksha oder die finale Seligkeit des Lebens erreichen.
O geliebter Ram! Erlaube es deinem Geist nicht zu schwanken. Mache deinen Geist für immer frei von allem Begehr nach materiellen Objekten. Lösche den unreinen oder niederen Geist mit Hilfe des reinen oder höheren Geistes aus und transzendiere auch den höheren Geist. Mögest du fest wie ein Felsen sein! Mögest du mit dem reinen oder sattwigen Geist beschenkt sein! Mögest du immer friedlich in der ewigen Wonne des Selbst ruhen!
Sein, Geist und Bewusstsein
Artikel von Matthias Roth, erschienen im Yoga Vidya Journal Nr. 17
Im Yoga ist sehr viel von Geist, GEIST, Sein, Selbst, höheres Selbst, Ich und Bewusstsein die Rede. Dann wären da noch: spirit, mind, Selbstver wirklich - ung, Bewusstseins erweiterung, höheres (göttliches) Bewusst sein usw. Ich habe den Eindruck, dass diese, sehr komplexen und schwierigen! Begrifflichkeiten in der Yoga-Welt nicht immer mit der dafür notwendigen „Trennschärfe“ benutzt werden. Will sagen: Viele Yoginis verwenden diese und ähnliche Begriffe oft und ausdauernd, scheinen sich aber nicht immer wirklich darüber im Klaren zu sein, was diese Begriffe eigentlich bedeuten oder beschreiben (könnten). Dies führt dann zu Missver - ständnissen dergestalt, dass zwei Menschen über denselben Begriff reden, eigentlich aber komplett verschiedene Dinge damit meinen. „Klassiker“ sind diesbezüglich Selbstverwirklichung und Bewusstseins - erweiterung. Es ist wie bei dem alten Witz über die Philosophie: Frage zwei Philosophen nach einer Sache, und du erhältst (mindestens) drei verschiedene Antworten!
Diesem Dilemma werde auch ich hier nicht abhelfen können. Ich möchte allerdings einige Dinge zur je eigenen Diskussion stellen. Vielleicht auch, weil es mir ein Bedürfnis ist, dem in mancherlei Hinsicht zur Wellness-Maschine degradierten Yoga Respekt zu verschaffen aus anderen Gründen als demjenigen, dass Yoga einem persönlich gut tut. Sukadev habe ich vor langen Jahren einmal sinngemäß sagen hören: Wer immer brav seine Übungen macht und quasi den „Lebenstil Yoga“ in sein Leben einführt, ohne dabei wirkliche, echte Erfahrungen zu machen und sich weiter zu entwickeln, läuft Gefahr, eine Art spirituellen Materialismus zu praktizieren. Das gefällt mir, und es führt uns hier direkt mitten hinein ins Thema.